Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Staudinger, Joseph
Band: 37 (1878), ab Seite: 251. (Quelle)
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Staudigl, Joseph (Sänger, geb. zu Wöllersdorf nächst Wiener-Neustadt in Oesterreich unter der Enns am 14. April 1807, gest. zu Wien im Irrenhause am 28. März 1861). Die bekannten Darstellungen des Lebens dieses großen Sängers sind durchaus mangelhaft. Im Folgenden versuchen wir es, gestützt auf eine zuverlässige Quelle, eine wahrheitsgetreue Lebensskizze zu geben. Ist auch die herrliche, gewaltige Stimme dieses großen Sängers verhallt und melden nur noch die täglich sich mindernden Ueberlieferungen der Zeitgenossen, die ihn zu hören so glücklich waren, davon, das alte Sprichwort: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“ soll bei Staudigl nicht Anwendung finden, sein Andenken soll bewahrt werden, wie das Andenken jedes großen Künstlers in einem anderen Fache. Staudigl’s Vater war Jäger in Wöllersdorf und sein Sohn sollte auch Jäger werden. Die nachmals oft bewiesene Meisterschaft [252] desselben im Schießen läßt vermuthen, daß er auch ein tüchtiger Forst- und Jägersmann geworden wäre. Aber die schwächliche Constitution des Knaben erregte weniger bei dem Vater als bei den Anverwandten Bedenken; der Schullehrer J. Groß in Wöllersdorf, ein Vetter Staudigl’s, meinte, daß der Knabe nicht für den Dienst im Walde tauge, vielmehr bei seinem Talente, das sich darin kundgebe, daß er, der damals fünfjährige, bereits gut lese und schreibe, ein tüchtiger Schullehrer werden könne. Der Vater hatte nichts dagegen einzuwenden, und so kam denn, als S. sieben Jahre alt war, bereits der Unterricht im Singen und auf der Geige an die Reihe. Mir dem Singen ging es so gut vorwärts, daß er im neunten Jahre bereits vom Blatte lesen konnte, hingegen ließen die Fortschritte im Geigen- und Clavierspiel sehr viel zu wünschen übrig. Um nun in der eingeschlagenen Richtung den Jungen möglichst zu fördern, galt es zunächst, ihn so bald als möglich als Sängerknaben unterzubringen. Es fügte sich eben glücklich, daß in Wiener-Neustadt bei dem Regenschori und Director der Hauptschule Anton Herzog eine Sopranistenstelle zu besetzen war. Staudigl’s Vetter empfahl den Jungen, derselbe wurde geprüft, tauglich befunden und am 1. November 1816 als Sängerknabe aufgenommen. Als solcher machte er bald so günstige Fortschritte, daß er in kurzer Zeit zum Solisten vorrückte; nebenbei besuchte er das Gymnasium und die guten Fortschritte in den Studien steigerten auch die Wünsche der Eltern, die nun ihren Sohn schon nicht mehr Schullehrer, sondern gar einen Doctor werden lassen wollten. Nachdem er die ersten drei lateinischen Classen vollendet hatte, wollte ihn der Vater zu einem Chirurgen nach Lichtenwerth in die Lehre geben; aber auf Zureden seines Lehrers und des Chorregens unterblieb die Ausführung dieses Planes und Staudigl durfte seine Studien fortsetzen. In diesen machte er die besten Fortschritte, ebenso im Gesange, hingegen im Geigenspiele so schlechte, daß dasselbe aufgegeben und an dessen Stelle der Unterricht im Zeichnen gesetzt wurde, wofür S. treffliche Anlagen zeigte und in der That in zwei Jahren der beste Schüler des Zeichnenmeisters Nimerofsky wurde. Sein Zeichnentalent machte den Fortifications-Baumeister Joseph Koch in Wiener-Neustadt auf S. aufmerksam, der eben mutirte und aus seiner bisherigen Versorgung als Sängerknabe – November 1822– getreten war. Koch nahm sich nun seiner an, lehrte ihn das Bauzeichnen und verwendete ihn während des letzten Jahres seiner Gymnasialstudien als Bauzeichner. Koch, der den Jungen noch, als er Sängerknabe war, liebgewonnen, faßte nun, da er seine Fortschritte im Zeichnen gewahrte, den Entschluß, sich vollends seiner anzunehmen und ihn ganz für sein Fach zu erziehen, in welchem er dereinst sein Nachfolger werden sollte. Aber damit fand er bei seinen Eltern kein Gehör. Die sahen in ihrem Sohne nur einen Maurer im Schurzfelle, der möglicher Weise durch einen Sturz vom Gerüste sich zum Krüppel fallen konnte, und so kam man auf den ursprünglichen Gedanken, er solle Schullehrer werden, zurück. Dagegen aber erhob S. selbst Einsprache und wollte seine Studien fortsetzen. Nun aber fehlten den Eltern die Mittel, ihn dieselben fortsetzen zu lassen, wozu er unbedingt die meiste Eignung zu haben schien. Der Regenschori bemerkte jedoch, mit der Schulmeisterschaft müsse es sein Bewenden [253] haben, „denn er kann ja keine Musik“. Dieser Ausspruch des Regenschori verletzte tief den Ehrgeiz Staudigl’s, der nun nicht nur Schullehrer, sondern ein Virtuos auf der Orgel und Violine werden wollte. Sofort wurde eine Geige gekauft und über Hals und Kopf bei seinem Vetter Groß im Geigen-, Clavier- und Orgelspiel sich geübt. So waren die sechs Ferienwochen unter unausgesetzten musikalischen Uebungen vorübergegangen, als ein Brief eines seiner früheren Lehrer, eines Capitularen im Stifte Zwettel, an Staudigl’s Eltern es sehr beklagte, daß der Sohn die Studien aufgegeben, und dabei die Nachricht enthielt, daß für ihn in Krems für Wohnung, Bücher und Unterhalt gesorgt sei, er möge nur ungesäumt hinaufkommen, um die philosophischen Studien zu beginnen. Nun war der Himmel selbst voller Geigen und indem Staudigl die eigene als überflüssig in einen Winkel warf, schickte er sich sofort an zur Reise nach Krems. Am 2. November 1823 langte er an und fand daselbst alles, wie es der Zwettler Capitular den Eltern geschrieben hatte. Ein anderer Professor hatte ihm auch schon eine Unterrichtsstunde verschafft, mit deren Erlös er zur Nothdurft die Auslagen für seine Wäsche decken konnte. Auch nahm er bei dem dortigen akademischen Zeichnungslehrer Ober Unterricht im Zeichnen, aber brauchte schon im zweiten Monate kein Honorar weiter zu entrichten, da ihn Ober nicht blos in den Zeichnungsrequisiten frei hielt, sondern auch für seine Dienstleistungen als Gehilfe honorirte. So finden sich denn in Krems viele Zeichnungen von Staudigl’s Hand, die einen fremden Namen tragen. Auch in den Studien machte er gute Fortschritte und nur die Wahl fiel ihm schwer, wofür er sich entscheiden solle: ob für die Rechtswissenschaft, die Arzneikunde oder die Theologie. Der entscheidende Augenblick kam immer näher; als er nun viele seiner Collegen um Aufnahme in Seminarien und Klöster bitten sah und, nachdem er sie um den Grund dieses Schrittes gefragt, von ihnen vernahm, daß sie, da ihnen das Vermögen fehle, um Jus oder Medicin zu studiren, sich für den geistlichen Stand entschieden, bei welchem die leibliche Sorge wegfalle, entdeckte er, daß er sich selbst in gleichem Falle befinde und sich also für ihn die Standeswahl von selbst ergebe. Dazu gesellte sich noch die Freude der Eltern über diesen Entschluß, die nicht wenig stolz darauf waren, ihren Sohn dereinst als hochwürdigen geistlichen Herrn zu sehen. Staudigl setzte nun ohne Säumen sein Bittgesuch auf, nur war er noch unentschieden, in welchem Stifte er die Aufnahme ansuchen solle. Als er um diese Zeit – es war Ostern – die üblichen Ferien zu einem Ausfluge nach Melk benützte, daselbst auch das herrliche Stift besuchte, gefiel es ihm dort so gut, daß auch die Wahl des Stiftes entschieden war. Er überreichte daselbst sein Gesuch und wurde als Novize des Benedictinerstiftes aufgenommen. Am 1. November 1825 wurde S. eingekleidet und an diesem Tage überreichte er seinem Prälaten Marian Zwinger zwei eigens für ihn gearbeitete Zeichnungen, worauf ihm der Prälat die Zusicherung gab, daß S., sobald ihm die theologischen Studien mehr Muße ließen, die Convictszeichenschule übernehmen solle. Als er nun gar im Stifte viele Musikliebhaber und in dem Prälaten selbst einen eifrigen Verehrer und Förderer der schönen Künste fand, schienen die Erwartungen, die er vom Klosterleben gehegt, weit übertroffen. [254] Bei dem Prälaten fanden mehrmals in der Woche musikalische Abendunterhaltungen statt, bei denen S. im Anbeginne nicht mitwirkte, da er mit dem Gesange schon seit drei Jahren – nämlich während seiner Mutationszeit – pausirt hatte. Nun begann er wohl wieder zu singen, aber sein geringer Stimmumfang setzte ihm Schranken, noch mehr aber der Umstand, daß er, des Pianospiels unkundig, sich selbst nicht begleiten konnte. Er lernte demnach Guitarrespielen und sang nun den ganzen Tag – mit Vorliebe Schubert’sche – Lieder, so daß er darüber öfters Verdruß bekam. Um aber bei den musikalischen Abendunterhaltungen des Prälaten mitwirken zu können, erlernte er Oboe spielen, da der Student, welcher dieselbe gespielt, an eine andere Lehranstalt übergetreten und somit dieses Instrument vorderhand unbesetzt geblieben war. Er spielte nun dieselbe bis zu seinem am 13. September 1827 erfolgten Austritte aus dem Stifte. Denn je länger S. im Stifte war, um so ernstlicher wurde er gewahr, daß er für das Klosterleben doch nicht passe, und so bat er denn um seine Entlassung, die ihm auch ertheilt wurde. Ohne alle Mittel, ohne Aussicht auf irgend eine Unterkunft brachte ihn das Schiff auf der Donau nach Wien. Dort kannte er keine menschliche Seele, und so stand er ohne Freund, der ihm rathen, ohne Mittel, mit denen er sich ein paar Tage forthelfen konnte, mitten in der großen Weltstadt. Seine ganze Hoffnung hatte er zunächst auf das k. k. josephinische (ärztliche) Institut gerichtet. Da er aber mittellos war, mußte er während der Ferienzeit, während welcher er seine Aufnahme in das Institut betreiben wollte, im Elternhause in Traiskirchen zubringen, was, da er den Eltern durch seinen Austritt aus dem Stifte auch ein schweres Herzeleid zugefügt hatte, eben nicht erquicklich war. Indessen blieben seine Versuche, die Aufnahme in das Josephinum zu erwirken, vergeblich und so ließ er sich denn in der Universität einschreiben, in der Hoffnung, durch Lectionen seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Eine solche erhielt er wohl, das Honorar bestand in freiem Mittagstisch, aber das Schulgeld mit 30 fl., für seine Verhältnisse eine Riesensumme, war zu bezahlen, eines Secir-Apparates für die Lehrstunden der Anatomie bedurfte er auch dringend und mit den wenigen Gulden, die er sich für seine Mitwirkung auf dem Chore bei den Augustinern auf der Landstraße verdiente, konnte er diese Ausgaben nicht bestreiten, und wenn ihm auch diese paar Gulden über andere Nöthen hinweghalfen, seine eigentliche Lage verbesserten sie doch nicht. Nachdem er sich über seine Lage mit einem Freunde berieth, bewarb er sich auf dessen Rath um die durch Weinmüller’s Tod in der Hofcapelle erledigte Bassistenstelle. Nun zum Concurse wurde er wohl zugelassen (4. Juni 1828), aber das natürliche Talent, ohne alle Schule und theoretischen Kenntnisse, reichte auch für einen einfachen Sängerposten, wenngleich der Bewerber die beste, jedoch noch ungeschulte Stimme besaß, nicht aus. Bis die Entscheidung getroffen wurde, sah nun S. nach anderen Seiten aus, um den Eltern, die, wenngleich mit kleinen Mitteln, aber nichtsdestoweniger mit großen Opfern ihn unterstützten, nicht länger zur Last zu fallen. Als um diese Zeit Graf von Gallenberg [Bd. V, S. 68] Mitglieder für das k. k. Hofoperntheater engagirte, bewarb sich S. an demselben um eine Stelle; mit dem Gehalte, den er daselbst zu erlangen hoffte, wollte er entweder [255] seine Studien fortsetzen oder in der k. k. Akademie der bildenden Künste sein Zeichnungstalent ausbilden. Nun erhielt er wohl eine Stelle, aber nicht mehr als 200 fl. womit an eine Fortsetzung seiner Studien, da er ja nebenbei für seinen Lebensunterhalt sorgen mußte, nicht zu denken war. Um also seine Lage zu verbessern, suchte er am Josefstädter Theater eine Unterkunft. Dort aber machte ihm. als er Probe sang und zu diesem Zwecke „O Isis, o Osiris“ aus der „Zauberflöte“ vortrug, der damalige Chordirector Schwarzböck [Bd. XXXII, S. 320, Nr. 16] erst recht den Standpunct klar, indem er ihm rundheraus erklärte, daß er ja gar nicht singen könne und mit den 200 Gulden, die ihm der Graf angeboten, mehr als hinreichend bezahlt sei. Mit so herabgestimmten Hoffnungen unterschrieb also S. den Contract als Chorist im Hofoperntheater am 1. September 1828, wobei er sich noch die Clausel gefallen lassen mußte, bis zur Eröffnung des Theaters ohne Gage zu dienen. Es sind das jene kleinen Nadelstiche im menschlichen Leben, welche uns weit mehr verstimmen und herabdrücken als die wuchtigen Schläge des Schicksals, die uns nicht selten zu gewaltigem Widerstande emporreißen, S. ertrug aber Alles, in der Hoffnung auf ein Besserwerden, und es wurde besser, wenngleich nur auf kurze Zeit, denn alsdann wurde es ernstlich schlimmer. Zunächst wurden ihm, da man seine schöne Stimme kennen gelernt und sich auch von seinem Eifer in der weiteren Ausbildung überzeugt hatte, kleinere Aushilfspartien zugetheilt, die Ihm Honorare und zugleich den Vortheil brachten, öffentlich gehört zu werden. Dieses Letztere bekam auch alsbald thatsächlichen Ausdruck, da ihm von Directoren und Unterhändlern fremder Bühnen öfters Anträge und mit vortheilhafteren Bedingungen, als es jene in Wien waren, gemacht wurden. Aber S. konnte sich nicht entschließen, Wien zu verlassen. Seine Anhänglichkeit an die Residenz sollte ihm übel vergolten werden, denn das Honorar für kleine Partien. die er bisher gesungen, wurde allmälig auf die Hälfte herabgesetzt und nach und nach ganz eingezogen. Unter solchen Umständen mußte sich S. wohl oder übel nach einer anderen Stelle umsehen. Als ihm nun ein Antrag nach Sachsen-Coburg-Gotha gemacht wurde, war er schon daran, ihn anzunehmen, wollte aber doch noch früher einen Versuch bei seiner Direction machen, welche er, im Vertrauen auf seine mit jedem Tage sich vervollkommnenden Leistungen, um Erhöhung seiner Gage bat. Indessen wurde für Sachsen-Coburg-Gotha ein anderer Sänger gewonnen und die eigene Direction gab S. auf sein Bittgesuch – gar keine Antwort. Als dann am 1. September 1830 Duport die Administration der k. k. Hofoper übernahm. Staudigl aber vergebens auf neue Engagementsanträge gewartet hatte, bat S. den neuen Administrator, ihn wenigstens in der Operette in Hauptpartien zu verwenden. Als aber Duport entgegnete, er kenne seine Fähigkeiten noch gar nicht und müsse warten, bis sich eine Gelegenheit darböte, war auch diese Hoffnung einer Verbesserung seiner Lage zu Wasser geworden. Doch aber richtete sich die Aufmerksamkeit der Direction auf den strebenden jungen Mann, der jedoch vor Allem einer gründlichen Schulung bedurfte. So z. B. war Staudigl’s Hauptfehler, daß er wegen der niederösterreichischen Mundart, in welcher er auferzogen worden, kein reines A zu sprechen im Stande war. R und L konnte [256] er gar nicht aussprechen und auch mit der Prosodie hatte es seine Haken. Diese Unarten und Manieren, schnell geschildert, waren ungemein schwer abzugewöhnen. Er machte Fortschritte, wenngleich langsame. Auch ging es, da er nicht drei Noten gehörig zu verbinden gelernt, mit der Colloratur langsam vorwärts. Aber als er die Fortschritte gewahrte, als mit denselben auch der Umfang seiner Stimme merklich wuchs, da bekam er selbst Muth und Freude und bald ging es rascher vorwärts. Sein erstes Auftreten in einer großen Partie wurde jedoch durch einen Zufall herbeigeführt. Am 14. October 1830 – Staudigl war nun anderthalb Jahre beim Theater – sollte die „Stumme von Portici“ von Auber gegeben werden. Die Rolle des Pietro gab bisher der Sänger Siebert. Dieser aber meldete sich krank und der Director, der die Oper nicht gerne ausfallen lassen mochte, befand sich in nicht geringer Verlegenheit. In dieser Nothlage befragte er Staudigl, ob er sich im Stande fühle, die Partie des Pietro bis Abends einzustudiren. Staudigl sagte, ohne sich zu bedenken, zu. Zu verlieren hatte er – selbst wenn es fehlschlug – nichts, er konnte nur gewinnen, wenn er einigermaßen seine Aufgabe löste. Er studirte nun über Hals und Kopf mit Regisseur Demmer die Rolle ein. Als aber Siebert davon hörte, meldete er sich trotz seines Unwohlseins gesund und sang Abends den Pietro, wurde aber nun so heiser, daß er, als am 17. die Oper wiederholt werden sollte, außer Stande war. zu singen. Und am 17. October entschied sich Staudigl’s künftiges Geschick; er trat für Siebert in der Rolle des Pietro auf, sang sie und mit solchem Erfolge, daß ihm Director Duport versprach, ihn dieselbe noch zweimal singen zu lassen. Am Abende, da Staudigl sie zum zweiten Male sang, wurde ihm ein neuer Contract, auf fünf Jahre lautend, eingehändigt, vermöge welchem er des Chordienstes vom 1. November an enthoben und unter bessere Verhältnisse gestellt war. Nun legte auch der berühmte Cicimara Hand an an die Ausbildung Staudigl’s und unter dessen unmittelbarer Leitung studirte er nach und nach die Rollen des Assur, Podestà und Brabantio ein. Pietro blieb jedoch lange Zeit die einzige Hauptpartie in seinem großen Verzeichnisse kleiner Rollen. Erst am 22. März 1831 sang S. die zweite größere, nämlich den Rocco in Beethoven’s „Fidelio“, dann folgten im Mai: Sarastro; – im Juni: Moses; – Juli: Astur; – im August: Thoas in „Iphigenia“; – im September: Leporello und Podestà in der „Diebischen Elster“ u. s. w. [siehe S. 259 das Rollenrepertoire Staudigl’s]. Am 22. November 1831 erhielt Staudigl das Decret als k. k. Hofcapellsänger und am 1. September 1833 hatte er einen neuen Contract mit Duport abgeschlossen. Bis zum 1. April 1845 wirkte S. ununterbrochen an der Hofoper; nur die Urlaube benützte er zu Gastspielen. Für den dreimonatlichen Urlaub im Jahre 1841 folgte er einer Einladung nach London, wo er an der Seite der Lutzer [Bd. XVI, S. 175], Hölzel’s [Bd. IX, S. 113], Reichardt’s [Bd. XXV, S. 161], Pischek’s [Bd. XXII, S. 345] die Engländer zur Begeisterung hinriß. Dabei hatte Staudigl durch einen Umstand, so geringfügig an sich, doch seinen Charakter bezeichnend, die Engländer vollends für sich eingenommen. Ein armer deutscher Sänger hatte sein Benefice. Er bat deshalb die damals [257] berühmte Sängerin Clara Novella um ihre Mitwirkung. Diese aber verlangte dafür von dem armen Teufel 250 fl. Honorar. Diese Ausgabe konnte der Bittsteller nicht erschwingen und doch hatte er alle Hoffnung auf sein Benefice gesetzt. Hölzel rieth ihm, sich an Staudigl zu wenden. Als dieser die Bitte des armen Sängers vernommen, sagte er ihm seine Mitwirkung mit folgenden Worten zu: „Das versteht sich von selbst, Sie sind mein College, ich singe umsonst.“ – Als sich dieser liebenswürdige Zug des Sängers in London verbreitet hatte, wurde er der Liebling des Publicums und mit Auszeichnungen überschüttet. Durch vier Jahre, während der Dauer der italienischen Saison in Wien, glänzte Staudigl als der erste deutsche Baßsänger in London. Nicht anders war es in den großen Städten des Landes, welche er besuchte. Im Vortrage Händel’scher Arien, Schubert’scher und Mendelssohn’scher Lieder und Oratorien war er hinreißend. Im Jahre 1841– bis dahin hatte S. in London nur in Concerten gesungen – trat er in Opern auf, u. z. zuerst bei dem von Schumann in’s Leben gerufenen deutschen Opern-Unternehmen als Kaspar im „Freischütz“. Vor ihm hatte noch kein deutscher Sänger ähnlichen Erfolg zu verzeichnen. Man riß sich um ihn um ihn für Concerte in den Salons der höchsten Aristokratie zu gewinnen. Als er aber im Jahre 1843 zum ersten Male in der englischen Oper sang und er seine Wunderstimme in den Lauten der Sprache Shakespeare’s ertönen ließ, da war auch der Beifall ein frenetischer. Als dann im Jahre 1843 wieder eine deutsche Oper in London ihre Vorstellungen gab, rettete Staudigl’s Einsicht und Herzensgüte das schon beim Beginne in Frage gestellte Unternehmen. Er stellte sich an die Spitze desselben, opferte den ihm zugesagten Antheil des Gewinns und bewahrte die vaterländische Kunst vor dem schmählichen Bankerott, den sie zu gleicher Zeit in Paris erfuhr, wo man um Almosen für sie betteln mußte. Staudigl brachte seine Collegen mit Ehren nach Hause zurück. Im Jahre 1846 wurde er von Lumley für die italienische Oper gewonnen und nun erregte er mit seiner Leistung die Eifersucht von Lablache, der ihm in echtem Künstlerhochsinn die Palme zugestand. Diese Erfolge des Künstlers waren aber nicht nur imaginäre des enthusiastischen Beifalls, sondern auch materielle von nicht geringer Bedeutung, da der Künstler, der ein sehr ordentliches Leben führte, alsbald ein ansehnliches Vermögen gesammelt hatte. Am 1. April 1845 verließ Staudigl das Hofoperntheater, wo Karl Formes an seine Stelle trat. Er selbst nahm bei der von Pokorny im Theater an der Wien ins Leben gerufenen Oper die Stelle des Oberregisseurs der Oper mit 12.000 fl. Jahresgage an. Während seines Wirkens im Theater an der Wien stand die Oper thatsächlich in der höchsten Blüthe und mochte die Vorstadtbühne der reich subventionirten Hofoper mit Erfolg den Rang streitig. Damals erschien die Jenny Lind in Wien und sang im Theater an der Wien; ferner die Anna Zerr, die Lutzer, Tuczek, La Grange u. A. Die Compositeure Meyerbeer, Balfé, Lortzing, Wallace dirigirten persönlich ihre daselbst zum ersten Male aufgeführten Opern. Nach dem Jahre 1848 kehrte er ins Engagement am Hofoperntheater zurück und blieb bei demselben bis zu seiner im Jahre 1854 erfolgten Entlassung, welche Director Cornet dem Künstler, der über ein Vierteljahrhundert [258] an der Anstalt zu deren Ruhm und Gedeihen gewirkt, in seiner bekannten rohen Weise gegeben und so wohl den ersten Grund zu der bald darauf eingetretenen Katastrophe gelegt hatte. Am 18. Februar 1854 sang er den Ruben im „Verlorenen Sohne“ zum letzten Male im Hofoperntheater. In der That hatte der herrliche klangvolle Baß, den er bisher sang, in den letzten Jahren an Kraft und Ausdruck verloren, aber immer noch war er eine Kraft in der Oper, die ihres Gleichen suchen konnte. Zu der dem Künstler durch seinen ungeschlachten Director widerfahrenen Kränkung gesellte sich nun noch der Kummer über seine Besitzung in Steiermark, welche er, der Landwirthschaft unkundig, zu hohem Preise gekauft und worauf er noch einen Theil des Kaufpreises schuldete. Oftmals erklärte er, er wolle nur so lange singen, bis er sich den für die Tilgung dieser Schuld erforderlichen Betrag erworben. Im Februar 1855 eröffnete er im Pesther deutschen Theater ein vier Abende umfassendes Gastspiel: Plumkett, Bertram, Asthon, Tell. In der letzten Partie verließ ihn aber plötzlich sein Gedächtniß und nur mit großer Anstrengung vermochte er es, die Partie zu Ende zu singen. Nach der Vorstellung brach er zusammen und klagte seinen Freunden in Thränen in herzzerreißender Weise seine Ohnmacht, weiter zu singen. Noch versah er den Capellendienst in der Hofkirche, an welcher er seit dem Jahre 1831 angestellt war, aber mit dem Künstler war eine merkliche Aenderung vor sich gegangen. Die Heiterkeit seines vorigen Wesens war abgestreift. Einer Aufforderung des Comités, an der Säcularfeier des Mozartfestes mitzuwirken, kam er nach und am 27. und 28. Jänner 1856 sang er mit hinreißender Schönheit das „Dies irae“. Dann trug er in einem Concerte am 10. Februar 1856 im Theater an der Wien Schubert’s „Wanderer“ und ein eigenes Lied: „An die Nacht“, vor, worauf das Publicum stürmisch noch einen Vortrag verlangte und er „Die Gruppe aus dem Tartarus“ sang. Auch wirkte er am Palmsonntag d. J. in der „Schöpfung“ von Haydn mit, und hatte damit sein öffentliches Auftreten beschlossen. Von einem glänzend ausgefallenen Gastspiele in Krakau zurückkehrend, sollte er eines in Brünn antreten. Von der Reise erschöpft angelangt, wollte er dennoch auftreten, konnte aber nur mehr die erste Arie singen und mußte wegen zunehmender Heiserkeit seinen Part einem anderen Sänger abtreten. In Brünn hatte also der Sänger zum letzten Male die Bretter, welche die Welt bedeuten, betreten. In Wien angelangt, verfiel er immer mehr und mehr in Tiefsinn bis es auf dem Stephansplatze am 10. April 1856 zu vollem Ausbruche kam, so daß ihn seine Familie in die Irrenanstalt bringen mußte. Am 30. Mai 1856 wurde S. wegen gerichtlich erhobenen Wahnsinns unter Curatel gesetzt und Hofrath von Hye zu seinem Curator bestellt. Einige, aber nur kurze Zeit trug man sich mit der Hoffnung auf seine Wiedergenesung. Bald aber erkannten die Aerzte seine Krankheit als unheilbar. Die Pflege, die ihm in der Anstalt zu Theil wurde, war eine musterhafte und sein Wesen nahm allmälig eine ruhige Fassung an. Er spielte Billard und Schach, in welchen zwei Spielen er Meister war. Auch trieb er Musik, las Zeitungen und Bücher. In Begleitung seines Arztes machte er oft Ausflüge auf das Land, und namentlich nach Dörnbach, dessen herrlichen Park er über alles liebte. Ueber sein Verhalten im Irrenhause [259] siehe S. 160 die Quellen, wo der Bericht des scharf beobachtenden Psychologen Seb. Ruf mitgetheilt wird. Zu Anbeginn des Jahres 1861 zeigten sich die Symptome einer umsichgreifenden Zerstörung des Organismus, am 28. März machte ein wiederholter Schlagfluß seinem langwierigen Leiden ein Ende. Am 31. März, Nachmittags 5 Uhr, fand seine feierliche Bestattung auf dem Matzleinsdorfer Friedhofe unter Betheiligung aller künstlerischen Koryphäen der Bühne, welche damals in Wien anwesend waren, Statt. Für seine Verdienste um die leidende Menschheit in unentgeltlicher Mitwirkung in Concerten und Vorstellungen zu ihren Gunsten hatte ihm die Commune Wien das Ehrenbürgerdiplom und die große goldene Salvatormedaille verliehen. Am 25. Juli 1831 hatte sich S. mit Henriette Putz, der Tochter des königlich württembergischen Hoftheatermaschinisten, verheirathet. Putz verfertigte bis 1811 im Theater an der Wien unter Ferdinand Grafen Pálffy die Maschinen zu den Pantomimen und starb 1821 zu Stuttgart.

I. Staudigl’s Rollenrepertoire. Mit Uebergehung der Jahre, in welchen Staudigl im Chore mitgewirkt, also keine besonderen Gesangspartien auszuführen hatte, folgen hier die Partien, die er seit seinem ersten Auftreten in selbständigen Rollen sang. Im Kärnthnerthortheater: 1829. 26. April: Notar in „Uniform und Schlafrock“ von Berton. – 2. Mai: Richter im „Maifest“ von Pavesi. – 1830. Moreno, „Stumme von Portici“. – Ein Bauer, „Fra Diavolo“. – 1831. 1. Juni: Moses in der gleichnamigen Oper, erste große Rolle. – Hiero, „Bestürmung von Korinth“. – Comthur, „Die Unbekannte“. – Daniel, „Der Wasserträger“. – Rocco, „Fidelio“. – Sarastro, „Die Zauberflöte“. – Assur, „Semiramis“. – Thoas, „Iphigenie“. – Podestà, „Diebische Elster“. – Zauberer, „Lustiger Schuster“. – Pietro, „Die Stumme von Portici“. – Gouverneur, „Don Juan“. – 1832. Eremit, „Freischütz“. – Fontonarose, „Liebestrank“ von Auber. – Oberpriester, „Vestalin“. – Ivan, „Acht Monate in zwei Stunden“. – Aristo, „Liebesproben“ von Guglielmi. – Brabantio, „Othello“. – Der Alte im Walde, „Rothkäppchen“. – 1833. Oberpriester, „Ferdinand Cortez“. – Heinrich VIII., „Anna Boleyn“. – Orovist, „Norma“. – Inguerrand, „Vampyr“ von Lindpaintner. – Bertram, „Robert der Teufel“. – 1834. Montalban, „Clara von Rosenberg“. – Andiol, „Der Schwur“. – 1835. Leporello, „Don Juan“. – Reuterholm, „Ballnacht“. – Kaspar, „Freischütz“. – 1836. Tchinkao, „Pferd von Erz“. – St. Mars, „Jüdin“. – Oroes, „Semiramis“. – Dandau, „Jessonda“. – 1837. Gouverneur, „Lestocq“. – Walter Fürst, „Tell“. – Seneschall, „Johann von Paris“. – Bijou, „Postillon von Lonjumeau“. – Dulcamara, „Liebestrank von Donizetti. – Bruder Romuald „Gang nach dem Eisenhammer“. – 1838. Sir Georges, „Puritaner“. – Figaro, „Hochzeit des Figaro“. – Orosman, „Turandot“. – Georg Wilkins, „Höhle von Wawerley“. – Capulet, „Montecchi und Capuleti“. – 1839. Graf Adorni, „Genueserin“. – Osmin, „Entführung“. – Marcel, „Hugenotten“. – 1840. Guthrun, „Alfred der Große“. – Doctor Alfonso, „Mädchentreue“. – Primislaus, „Wlasia“. – Dunois, „Johanna d’Arc“. – 1841. Balthasar, „Favorite“. – Marino Faliero in der gleichnamigen Oper. – Felix, „Römer in Melitone“ (i. e. Les martyrs). – 1842. Torald, „Mara“. – 1843. Blondel, „Richard Löwenherz“. – 1844. Cosmus II., „Guido und Ginevra“. – Edmund, „Heimkehr des Verbannten“. – Pasqual Bruno in der gleichnamigen Oper von Hatton. – Visconti, „Welfen und Ghibellinen“. – Hofnarr, „Ring und Maske“. – 1845. Wetter von Strahl, „Liebeszauber“. – 1846 und 1847 (im Theater an der Wien). – 1848. Abayaldos, „Dom Sebastian“. – Plumkett, „Martha“. – St. Bris, „Hugenotten“. – Roland, „Musketiere der Königin“. – Herzog Alfonso, „Lucretia Borgia“. – 1849. Tuck, „Templer und Jüdin“. – Tell, „Wilhelm Tell“. – Nabucodonosor in der gleichnamigen Oper. – Antonio, „Linda“. – Chevreuse, „Maria von [260] Rohan“. – Graf Alban, „Zigeunerin“. – Jahia, „Jolanthe“. – Macbeth in der gleichnamigen Oper. –1850. Oberthal, „Prophet“. – Jacob, „Joseph und seine Brüder“. – Zacharias. „Prophet“. – 1851. Renald, „Paquita“. – Scherasmin, „Oberon“. – Gomez, „Casilda“. – Ruben, „Verlorener Sohn“. – 1852. Johann Fust, „Gutenberg“. – Malvolino, „Stradella“. – Siegfried, „Tochter der Wellen“. – Camoens, „Indra“. – 1853. Keine neue Rolle. – 1854. Falstaff „Sommernacht“. – Im Theater an der Wien. 1845. Ivo, „Haimonskinder“. – * Orovist, „Norma“ (die mit einem Sternchen bezeichneten Partien sind bereits gesungene Rollen). – *Kaspar, „Freischütz“. – 1846. *Sir Georges, „Puritaner“. – *Leporello, „Don Juan“. – Victor, „Seltsame Hochzeit“. – *Marcel, „Hugenotten“. – Asthon. – Graf Rudolph, „Nachtwandlerin“. – Hans Stadinger, „Waffenschmied“. – *Bertram, „Robert der Teufel“. – Richard Boll, „Schweizer-Familie“. – *Graf Alban, „Zigeunerin“. – Michel, „Belagerung von Rochelle“. – *Johann Fust, „Gutenberg“. – 1847. Sulpiz, „Die Tochter des Regiments“. – General Saldorf, „Vielka“.
II. Staudigl’s Compositionen. Staudigl hat, wie in der Lebensskizze erwähnt worden, auch componirt. Man verdankt ihm einige Lieder, welche durch eine eigenthümliche, charakteristische Frische und Klarheit, durch enges Anschmiegen der Melodie an den Text, durch edle Motive und musikalisch reine Ausarbeitung und Durchführung sich auszeichnen. Bei Spina in Wien sind erschienen: „Molly’s Abendlied“, von Janitschka; – „Der Gast“, von Harro Harring. – „An Emma“, von Schiller; – „Königin und Page“; – „Mein Bildniß“; – „In der Fremde“; – „Undine“; – „Sängers Brautgeschmeide“. Bei Hoffmeister in Leipzig kamen heraus: „Ins Meer“; – „Sonntag auf dem Meere“; – „Wogentäuschung“, von L. A. Frankl; – „Das Süßeste und Schwerste“; – „Der Himmel im Thale“; – „An die Nacht“. Man sieht, es sind deren eben nicht viel, im Ganzen vierzehn Nummern. Darunter sind besonders hervorzuheben: „An Emma“ in D-moll für Baryton; – „Molly’s Abendlied“ für Sopran, mit Begleitung der Physharmonika, und „Der Gast“ in D-Moll, für Baß, welchen wohl die Palme gebühren dürfte.
III. Ursache von Staudigl’s Wahnsinn, sein Verhalten im Irrenhause. Was die Ursache seines Wahnsinns gewesen, ob die Sorge über den gänzlichen Verlust seiner Stimme, die in letzter Zeit ihren einstigen Schmelz verloren, ob andere, bisher nicht aufgehellte Umstände, wer kann das sagen, wer wird das je sagen können? Die Czartoryski’schen „Recensionen“ geben dem traurigen Ereignisse den vor allem plausibelsten Erklärungsgrund. Sie schreiben: „Unter Cornet blieb Staudigl noch ein Jahr (1853 bis 1854) engagirt und wurde dann entlassen, weil seine Stimme und noch mehr sein Gedächtniß fühlbar gelitten hatten, aber freilich auf eine Weise entlassen, welche, wenn auch an unserer Hofbühne nicht ohne Beispiel, doch für einen durch langjährige hervorragende Leistungen bewährten und so vielfach angehuldigten Künstler kränkend sein mußte. Rechnet man dazu die erbitternde Wirkung selbst der berechtigten Kritik, wenn sie dem Sänger sagt (und doch wohl sagen muß), daß seine Glanzperiode vorüber und die Zeit des ehrenvollen Rücktrittes gekommen ist; rechnet man dazu: pecuniäre Verluste (gleichzeitig mit dem Verluste des Engagements), eine zerrüttete Gesundheit und andere zweifellos noch zusammenfließende Ursachen, so darf man wohl über die Geistesverwirrung, in welche er im Sommer 1856 verfiel, nicht über die Maßen in Verwunderung gerathen.“ So die „Recensionen“. Dazu gesellt sich noch ein nicht zu unterschätzender Umstand, daß nämlich der Künstler selbst bereits seit Jahren von dem Gedanken einer ihm bevorstehenden geistigen Katastrophe voreingenommen war. Es war gegen das Ende der Vierziger-Jahre, zu jener Zeit, in welcher Staudigl so sehr gefeiert wurde, als er einmal in einer deutschen Residenzstadt in einer Gesellschaft mit einer Dame zusammentraf, welche in ihren jüngeren Jahren sich der Liebe des damals im Irrenhause zu Oberdöbling gefesselten Lenau erfreute. Im Verlaufe des Gespräches kam auf diesen Unglücklichen Dichter die Rede, und einer bedauerte tief das Verhängniß, welches die größten deutschen Dichter verfolgt. „Die deutschen Sänger“, verbesserte Staudigl; „mir ist es zuweilen zu Muthe, als erwarte mich gleichfalls ein deutsches Dichterloos. Wenn [261] ich singe, namentlich in tragischen Rollen, umfaßt die Macht der Melodien mich so sehr und erschüttert mich derart, daß ich weinen könnte, und dann ist es mir immer, als hätte irgend eine unsichtbare Hand meinen Geist berührt und dieß Fühlen und Ahnen, das den Dichter so gewaltig erfaßt, ist der Vorbote des Wahnsinns.“ – Eine andere Thatsache ist das Folgende. Im Frühling 1853 sang Staudigl in Pierson’s Oratorium „Jerusalem“, welches unter Benedict’s Leitung in Exeterhall zu London aufgeführt wurde, und zwar mit so großer Innigkeit und Hingebung an die Tondichtung, daß bei dem schönen und ergreifenden Quintett „Selig sind die Todten“ im Saale viele Augen voller Thränen standen. Dies mochte nicht eben Wunder nehmen; daß aber über Staudigl’s Wangen ebenfalls die Thränen perlten, mußte auffallen, denn wer so viel singt, ist selbst bei den rührendsten Stellen, wenn er sie ohnedieß schon mehrfach gesungen, wohl nur selten eine Beute seiner Empfindungen; im Allgemeinen denkt ja der Sänger immer weniger an die Empfindung, welche die Musik ausdrückt, als an die Mittel, wie er sie am schönsten und correctesten dem Publicum gegenüber zur Geltung bringe. Als nach der Vorstellung ein deutscher Musiker den ihm befreundeten Künstler nach der Ursache dieser seltsamen Erregung während seines Vortrages fragte, antwortete dieser: „Es ist etwas Eigenthümliches in dieser Musik. Mich verfolgte dabei gestern außerdem ein eigenthümlicher Gedanke. Vor einigen Tagen speiste ich nämlich bei einer in London lebenden deutschen Familie; später wurde musicirt, und da mehrere Mitglieder derselben gut musikalisch sind und außer mir auch noch eine englische Sängerin da war, sangen wir auch dieses Quintett aus „Jerusalem“. Eine junge, blasse Dame, welche erst nach dem Diner erschienen war und still in einer Ecke dem Vortrage zugehört hatte, brach in Thränen während desselben aus. Auf dem Heimwege sagte mir ein Freund der Familie, daß die Miß ihren Bräutigam durch den Tod verloren habe und sich seitdem in einer Geisteslähmung, einer traurigen Apathie befinde; seit seinem Tode, der vor zehn Monaten erfolgt war, hatte sie noch keine einzige Thräne gefunden, die ihren Schmerz erleichtert, ihre Apathie gebrochen hätte. Die Thränen nun, welche ihr der Gesang entlockt, gaben die sichere Hoffnung der Genesung von ihrer bedenklichen Melancholie. Und seitdem verfolgt mich der Gedanke, daß ich auch einmal in meinem Geiste zerstört sein werde; wieder und immer wieder drängt er sich mir auf, und als ich gestern das Quintett sang, sagte ich aus innerstem Herzen zu mir: „Sänge man doch über meinem Sarge dieses rührende Quintett!“ Und sein Wunsch ward erfüllt, wie sich seine unheilvolle Ahnung erfüllt hatte. Bald darauf deckte die Nacht des Irrsinns den großen Sänger. – In der ersten Zeit, nachdem Staudigl in die Heilanstalt kam, gab sich Alles, Aerzte und Publicum, der Hoffnung seiner Genesung hin. Aber allmälig mußte diese aufgegeben werden. Bruno Schön [Bd. XXXI, S. 105], viele Jahre Seelsorger an der k. k. Irrenanstalt, in welcher S. untergebracht war, berichtet in seinem so interessanten Buche über Geistesgestörte Folgendes über Staudigl: „Joseph Staudigl lebt noch, während ich dieses schreibe (1861). Als ich ihm vorgestern an seinem Namenstage gratulirte, lag er im Bette, er kannte mich nicht mehr und sah ganz stumpfsinnig vor sich hin. Vor zwei Jahren erfreute er sich noch an Musik, wirkte in unseren musikalischen Abendunterhaltungen mit Lust und Liebe mit und verschaffte uns manchen musikalischen Genuß. Noch außerordentlich schön sang er Lieder, besonders einige seiner eigenen Compositionen, die er noch in gesunden Tagen herausgab, und das Wanderlied von Schubert: „Ich komme vom Gebirge her“. In Gegenwart von Fräulein Csillag, Tietjens, Dr. Schmid und anderen Künstlern vom k. k. Kärnthnerthortheater riß er uns alle hin. Sein musikalisches Gehör, selbst als er schon ziemlich blödgradig war, war doch noch so fein, daß er den geringsten Mißton vernahm und davon unangenehm afficirt wurde. Sein Ausdruck dafür war meist: „Ei, wie der wieder gikst!“ Einer seiner Mitpatienten, ein Künstler auf dem Cello und Compositeur nach verschiedener Richtung hin, componirte fast täglich ein Lied und legte es mir und Staudigl zur Beurtheilung vor, der es denn auch classificirte und darauf schrieb: „mittelmäßig, gut, sehr gut, Joseph Staudigl“, je nachdem er es fand. Da der Compositeur mit ihm per Du. also auf vertrautem Fuße stand, in die Zukunftsmusik wie vernarrt war, wir aber keine besonderen Freunde davon [262] waren, fiel das Urtheil oft sehr tadelnd aus, was den Musikus, der sehr ehrgeizig und verwöhnt, nicht wenig ärgerte, und uns vorwarf, wir verständen seinen hohen Geist gar nicht. Er machte uns oft tüchtig herunter. Wir wiesen ihm die gröbsten Verstöße im Contrapuncte nach, er aber blieb bei der hohen Meinung, die er von seiner Person hatte. Meist sang ich’s zuerst, aber einmal war ich nicht im Stande, diesen Unsinn zu singen, und behauptete, es sei nicht zu singen. Ich legte es dem Compositeur vor und forderte ihn auf, es selbst wenigstens zu brummen, da er keine Stimme hatte. Ein Patient begleitete ihn auf dem Fortepiano. Richtig brachte er es selbst nicht zu Stande, es war eine Art Katzenmusik. Was that nun Staudigl? Er nahm das Lied und sang es vom Blatte weg mit all den Dissonanzen, gerade so wie es geschrieben war, und setzte uns alle in Erstaunen. Meist war er sehr gut gelaunt und schien sein Unglück nicht zu achten, spielte fleißig Schach und Billard, worin er ein großer Meister war, und beschäftigte sich mit Lesen und Spazierengehen im Garten, wo wir uns gut unterhielten, seine Lieblingslieder sangen und von Jagd, wovon er auch ein großer Liebhaber war, seinen Kunstreisen u. dgl. discurirten, was er gerne that. Ich durfte nur intoniren: „In tiefem Keller sitz’ ich hier, auf einem Faß voll Reben“, eines seiner Lieblingslieder, so sang er weiter. Nur hatte er die Manier, recht hoch zu singen, was seinem tiefen Baß unschön ließ. Wenn man ihm das vorstellte. erwiderte er: „Ich habe zwölf Octaven und kann noch höher.“ Auf die Einwendung, daß der Sänger gewöhnlich nur zwei hat, erwiderte er: „O, Anfangs, als kleiner Bub, hatte ich diese nicht, erst nur fünf Töne, dann wuchsen die Töne mit den Jahren, und nachdem ich erst in den Bergen bei Wöllersdorf (sein Gut) ein berühmtes Kraut gefunden (er gab sich sonst viel mit Homöopathie ab), bekam ich die Jugend wieder und dazu zwölf Octaven“. Das war nicht Scherz, sein voller Ernst. Nach einem Besuche des Herrn Hofschauspielers Löwe war er einmal sehr aufgeregt – die Erinnerung an seine Glanzperiode machte das, und es mußten die weiteren Besuche sehr beschränkt werden. So oft ich ihn fragte: „Staudigl, wie geht’s?“ antwortete er resolut: „Sehr gut, Pfarrer.“ Er nannte mich immer so, obgleich wir dreißig Jahre schon bekannt sind.“ – Noch ein Wort über Staudigl’s Schwanengesang. Das letzte Lied sang der Künstler im Irrenhause vor einem kleinen Kreise von Zuhörern bei Gelegenheit eines Besuches, den ihm seine Collegen Ander, Beck, Rosa Csillag und noch einige Collegen der Hofoper in seinem traurigen Asyl gemacht. Er versuchte dabei zuerst den Vortrag der Arie „O Isis und Osiris“, die er dereinst in solcher Vollendung gesungen, daß es ihm wohl darin Keiner nachgemacht. Aber er kam mit der Sache nicht zurecht, er mußte die Arie in der Mitte unterbrechen. Von tiefer sichtlicher Wehmuth ergriffen, ging er hierauf auf den „Wanderer“ von Schubert über und sang dieses Lied, jedoch seltsamer Weise, ohne den Text auszusprechen, in solcher Rührung, daß helle Thränen über seine Wangen flossen und auch bei seiner Zuhörerschaft kein Auge trocken blieb. Es war Staudigl’s letztes Lied.
IV. Porträte. 1) Lith, von Beckel (Fol.). – 2) Gezeichnet und lithographirt von Kriehuber (Wien 1846, Spina, Fol.). Ich sah ein Exemplar dieses Bildnisses mit Staudigl’s eigener Devise: „Der Kunst mein Leben, dem Freunde mein Herz“. – 3) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges „J. Staudigl“. C. Mayer geschabt 1856 (nach Rahl?). Beilage zu M. Auer’s polyg. illustr. Zeitschrift „Faust“ (gr. 4°.) [schönes, lebensvolles, nicht häufiges Blatt]. – 4) Unterschrift: „Joseph Staudigl, | k. k. Hof-Kapell- und Opernsänger. Lithogr. bey Trentsensky (8°.) [sehr selten]. – 5) Unterschrift: „Joseph Staudigl. N. d. Daguerreotyp, gest. v. A. Weger u. Singer [auch als Beilage zur Leipziger Moden-Zeitung). – 6) Unterschrift: „Herr Staudigl und Herr Pischek | in dem berühmten Duette aus den „Puritanern“, gesungen im k. k. priv. Theater an der Wien, | Bei der Trompete erstem Ruf wirst du gewappnet mich sehen etc. | Andr. Geiger sc.“ (4°.) [wahrscheinlich nach einem Originale Cajetan-Elfinger’s gestochen. Costümbild Nr. 106 der Bäuerle’schen Theater-Zeitung]. – 7) Unterschrift: „Herr Staudigl | als | Oberpriester in der Oper Norma. M. Kern del. And. Geiger sc.“ (4°.), Costümbild der Bäuerle’schen Theater-Zeitung Nr. 35.
V. Gedenktafel. An dem Geburtshause Staudigl’s in Wöllersdorf Nr. 16 wurde am [263] 1. Juni 1862 eine marmorene Denktafel mit den Angaben seines Geburts- und Sterbedatums angebracht. Wöllersdorf ist 11/4 Gehstunde von Wiener-Neustadt und ebenso weit von der Bahnstation Felixdorf gelegen. Die Denktafel wurde von dem Männer-Gesangsverein von Wiener-Neustadt beigestellt. Der Gesangsverein „Biedersinn“ aus Wien, dann jene aus Baden, Ebenfurth, Gloggnitz, Gumpoldskirchen, Himberg, Neunkirchen waren in corpore, die von Hainburg, Stockerau und der „Zion“ in Wien durch Deputationen vertreten, Dr. Johann Adam, Professor an der k. k. Militär-Akademie in Wiener-Neustadt, eröffnete die Feier, welcher Staudigl’s Witwe, Frau Henriette, beiwohnte, mit einer Festrede. Unter Absingung des Marschner’schen Liedes „Liedesfreiheit“ fand die feierliche Enthüllung Statt. Nun hielt der Secretär des Wiener-Neustädter Gesangsvereins an die Festtheilnehmer eine Ansprache, in welcher er Staudigl’s Wirken und Bedeutung darlegte. Die eigens zu dieser Feier abgesungene Festcantate ist eine Composition des Regenschori von Wiener-Neustadt, Leopold Plaimschauer, des ältesten Jugendfreundes Staudigl’s. – Weniger bekannt dürfte das Vorhandensein einer zweiten Gedenktafel Staudigl’s sein. Zu Wiener-Neustadt, wo Staudigl studirte, erhielt er von dem damaligen Regenschori Herzog Gesangsunterricht. In dem Hause, in welchem Herzog wohnte, befindet sich zur Erinnerung an Staudigl eine Marmorplatte, in welcher Staudigl’s Name eingegraben (nach einer Mittheilung mit Scheidewasser eingeätzt) ist. [Wiener Zeitung 1862, Tagesbericht Nr. 130: „Enthüllung des Denksteins an Staudigl’s Geburtshause“. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1862, Nr. 140, in der „Kleinen Chronik“: „Gedenkfeier für Staudigl“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1862, Nr. 119, 143 und 167, in der Rubrik „Theater und Kunst“. – Zellner’s Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst (Wien, kl. Fol.) 1862, Nr. 45, S. 180.]
VI. Staudigl’s Grabdenkmal. Erst hatten die Mitglieder des Hofoperntheaters den Beschluß gefaßt, ihrem verewigten Kunstgenossen ein schönes und auch in künstlerischer Beziehung würdiges Grabdenkmal zu errichten. Da aber die hinterbliebene Familie sich im Besitze eines anständigen Vermögens befand, das sie eben der Kunst des Dahingeschiedenen verdankte, so wurde von derselben dieser Antrag und die damit verbundene Absicht der Veranstaltung einer Akademie für Herstellung eines Staudigl-Grabdenkmals abgelehnt. Die Familie übertrug im Anbeginne dem Steinmetzmeister Wasserburger die Ausführung eines Denkmals, welches dieser in einer Pyramide aus Granit mit einfacher Inschrift, Name, Geburts- und Sterbedatum des Künstlers enthaltend, ausführen sollte. Später aber wurde der Gedanke mit der Pyramide fallen gelassen und eine mehr künstlerische Form für das Denkmal gefunden, mit deren Ausführung der Bildhauer Pilz betraut wurde. Am 23. April 1862 Nachmittags fand die feierliche Enthüllung auf dem Matzleinsdorfer Friedhofe, wo der Sänger zur ewigen Ruhe bestattet ist, Statt. Ein Choral, von den Mitgliedern der Hofoper gesungen – Text von Otto Prechtler, Musik von Heinrich Esser – eröffnete die Enthüllungsfeier. Dann wurde die Hülle von dem Denkmale fallen gelassen und Lewinsky sprach ein zu dieser Feier gleichfalls von Prechtler geschriebenes Gedicht. Ein auch zu diesem Zwecke componirtes Lied, welches der Wiener Männer-Gesangsverein vortrug, schloß die Feier, welcher über ein halbes Tausend Menschen beigewohnt. Das Denkmal selbst besteht aus einer überlebensgroßen Statue, welche den Verewigten darstellt, dessen porträtähnlicher Kopf einem Oelgemälde, das in den letzten Lebensjahren Staudigl’s gemalt worden, entnommen ist. Staudigl steht, leicht in einen Mantel gehüllt, aufrecht; der linke, auf einem Convolut von Noten ruhende Fuß ist somit etwas gehoben. Beide Arme ruhen auf einer Leier, die auf den Schenkel des erhobenen Fußes gestützt ist. Von den sich über der Leier kreuzenden Armen trägt die Hand des rechten Armes einen Lorbeerkranz, der an der Leier herniederhängt. Der etwas aufwärts gerichtete Kopf scheint sphärischen Melodien zu lauschen. [Zwischenact (Wiener Theaterblatt) 1861, Nr. 117. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 142 und 168; 1862, Nr. 102 und 112, in der sogenannten „Kleinen Chronik“. – Abbildungen des Denkmals enthielt Waldheim’s „Illustrirte Zeitung“ 1862, Nr. 15, S. 172, in gutem Holzschnitte. – Die Biene (Neutitscheiner Unterhaltungsblatt, 4°.) 20. October 1861, Nr. 30.]
[264] VII. Zu Staudigl’s Charakteristik als Mensch und Künstler und über seine Söhne. Wer eine volle Charakteristik Staudigl’s als Gesangskünstler wünscht, dem ist der gründliche, von einem feinfühligen Sachkenner verfaßte Essay in den Czartoryski’schen „Recensionen“ zu empfehlen, der in den Quellen zur Biographie verzeichnet ist. Schon in der Lebensskizze finden sich hie und da Andeutungen, welch’ eine biedere, echt österreichische Natur der Künstler war. Im Uebrigen war er ein Universalgenie. Nicht zufrieden mit den Triumphen, welche er als Sänger feierte, verlegte er sich, wie sein Compositionen-Verzeichniß bezeugt, auch auf die Lieder-Composition, worin er ganz Beachtenswerthes leistete und gewiß noch mehr geleistet haben würde, wenn ihn seine Aufgabe als Gesangskünstler nicht so sehr in Anspruch genommen und zuletzt ganz erfüllt hätte. Er spielte Orgel und Clavier. Im Billard- und Schachspiel war er Meister, der es mit Jedem aufnahm. Er zeichnete und malte mit mehr als dilettantischer Geschicklichkeit, er radirte und in Freundeskreisen finden sich seine Blätter. Als die Daguerreotypie in Paris erfunden ward, verlegte er sich mit allem Eifer auf dieselbe und unbekümmert, ob die Joddämpfe seine Stimme schädigten, fertigte er ganz gelungene Lichtbilder. Schon im reifsten Mannesalter stehend, erlernte er die englische Sprache so vollkommen, daß man ihn, als er in England gastirte, für einen geborenen Engländer hielt. Aber auch noch nach anderer Seite befriedigte er seinen Wissensdrang. So widmete er sich dem eindringlichen Studium der Homöopathie schon zu einer Zeit, als diese Heilmethode von Seite der Regierung selbst in Acht und Bann gelegt ward. Hahnemann’s „Organon der Heilkunde“ ward ihm zum Evangelium; nach dessen Angabe nahm er die Verfertigung der Medicamente selbst vor und curirte nicht nur sich selbst, sondern auch – natürlich unentgeltlich – mit Vergnügen jeden Anderen, der sich ihm vertrauensvoll zuwendete. Einem schon achtzigjährigen Hausmeister auf der Wieden, der ihm sein Leiden klagte, verabreichte er seine selbstbereiteten homöopathischen Kügelchen. Der Mann nahm sie auch ein, starb aber, nicht an den Kügelchen, wohl aber an den achtzig Jahren. Die Witwe beschuldigte nun Staudigl an dem Tode ihres Mannes, zeigte die Sache beim Gerichte an und Staudigl mußte sich, um weiteren Folgen vorzubeugen, herbeilassen, der Klägerin, die in ihrem Gatten ihren Ernährer verloren zu haben vorgab, eine kleine Jahrespension bis zu ihrem Ableben zu zahlen. – Als Regisseur in der Zeit seiner Wirksamkeit unter Pokorny im Theater an der Wien entwickelte er eine Thätigkeit ohne Gleichen. Die ihm von der damaligen Direction der Hofoper widerfahrene Kränkung wollte er dadurch wettmachen, daß er dem Hoftheater in einem Vorstadttheater eine gefährliche Concurrenz schuf, was ihm auch in der That gelang. Seinem ganzen Wesen nach, als Künstler und Mensch, war S. eine Elite-Natur, die, wie überall, so auch am Himmel der Kunst nur sporadisch auftaucht. Er verfügte, nachdem er sich ausgebildet, als Sänger über kolossale Mittel, welche er denn auch künstlerisch zu benützen verstand. Seine Stimme, von einem beim Baß seltenen Wohllaut und erschütternder Tiefe, wußte er mit künstlerischem Geschmacke und maßhaltender Selbstbeschränkung zu beherrschen. Er konnte mit seinem Baß niederschmettern und wieder rühren. Die unübertroffene Klarheit des musikalischen Ausdrucks, eine musterhafte Beherrschung seiner Stimme in allen Tonschattirungen, Correctheit und innige Wärme im Vortrage, verbunden mit einer staunenswerthen Kraft und Ausdauer seines Stimmorgans, vor Allem aber die bis ins kleinste Detail wohlberechnete und von klarem künstlerischen Verständnisse zeugende musikalische Charakterisirung seiner dramatischen Gestalten stellte ihn den ersten Opernsängern aller Zeiten an die Seite. Den Culminationspunct seiner Künstlerschaft aber mochte er wohl im Oratorium erreicht haben. Er war das Prototyp eines von seiner Aufgabe begeisterten, mit Kunst- und Naturmitteln reich ausgestatteten Oratoriensängers. Seinem Vortrag wohnte jene erhabene Einfachheit und ruhige, dabei aber doch die Gemüthsaffecte zu vollem Ausdrucke bringende Beherrschung des musikalischen Ausdrucks, aber auch jene weihevolle Inspiration inne, welche die höchste Stufe des Oratoriengesanges charakterisiren. Und ebenso Herrliches leistete er als Liedersänger, als welcher er überdieß eine Ausdauer an den Tag legte, daß eher der Accompagnist in der Begleitung, als Staudigl im Gesange ermüdete. So war er denn im Ganzen ein frisches, heiteres Künstlernaturell, fein geartet und doch gewaltig, [265] zum Herzen sprechend und mit dem Donner seiner tiefen Töne zu tiefst erschütternd. – In seinen Familienverhältnissen glücklich, hinterließ er aus seiner Ehe mit seiner Gattin, die ihn überlebte, mehrere Söhne und eine Tochter. Der eine, Rudolph, ist Doctor der Philosophie und Professor der darstellenden Geometrie an der technischen Hochschule (vormals Polytechnikum) in Wien. Als Fachschriftsteller thätig, hat er folgende Werke und Abhandlungen herausgegeben: „Grundzüge der Reliefperspective. Mit 30 in den Text eingedruckten Holzschnitten“ (Wien 1868, Seidel und Sohn, 8°.), eine Bildhauern, welche sich zur Zeit das Studium der Reliefdarstellung noch immer zu wenig angelegen sein lassen, nicht genug anzuempfehlende. durch ihre klare Darstellung ungemein brauchbare Schrift; – *„Anwendung der räumlichen Central- und Parallelprojection zur Lösung verschiedener, die Flächen zweiter Ordnung betreffender Probleme. Mit einer Tafel“; – *„Durchführung verschiedener, die Curven zweiten Grades betreffenden Constructionen mit Hilfe der Kegel- und Cylinderflächen. Mit einer Tafel“ (Wien 1869, 8°.) – *„Ellipsenconstructionen. Mit einer Tafel“ (ebd. 1869, 8°.); – *„Construction eines Kegelschnittes, wenn derselbe durch imaginäre Puncte und Tangenten bestimmt wird. Mit einer Tafel“ (Wien 1870, 8°.); – „Lehrbuch der neueren Geometrie für höhere Unterrichtsanstalten und zum Selbststudium. Mit 82 Holzschnitten“ (Wien 1870, Seidel, 8°.). Die mit einem Sternchen (*) bezeichneten Schriften sind Sonderabdrücke aus den Sitzungsberichten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. – Ein zweiter Sohn[WS 1], dessen Taufname uns nicht bekannt ist, hat sich zum Sänger ausgebildet und singt einen schönen Baryton. Zur Zeit ist er Mitglied der Oper an dem großherzoglichen Theater in Karlsruhe.
VIII. Einzelnes. Verfrühte Todesanzeige. Die „Gratzer Zeitung“. Abendblatt 1856, Nr. 190, enthält folgende auffällige Notiz: „ (Nekrologie.) Der Sänger Joseph Staudigl, die langjährige Zierde des Hofoperntheaters in seiner besten Zeit, hat am 17. August. Morgens um 6 Uhr, in der neuen Irrenanstalt in Wien das Zeitliche gesegnet. Er starb an einer Gehirnlähmung.“ [Staudigl ist nicht am 17. August, sondern am 28. März, nicht schon im Jahre 1856, sondern erst im Jahre 1861 gestorben. Für die Kunst war er freilich seit 10. April 1856. als dem Tage des Ausbruchs seines Irrsinns, unwiederruflich verloren.] – Ein Franzose über Staudigl. Die „Indépendance belge“ meldete Staudigl’s Tod in den seiner Zeit stark gelesenen und geistreichen Feuilletons – wenn ich nicht irre, von Fiorentino – wie folgt: „Monsieur Joseph Standigl (sic) est mort dans la nouvelle maison de santé de Michelbeuergrund. Il est mort fou! Sa folie était fort singulière: il croyait que sa voix pouvait parcourir douze octaves. (Pauvre Alboni! qui n’en a que trois! Même il affirmait que s’il voulait s’en donner la peine, il arriverait aisément à treize. Vous m’interrompez et vous me dites: Qu’est–ce, s’il vous plait, que Joseph Standigl (sic)? – Comment, ne le connaissez-vous pas? C’est une gloire, une vraie! C’était un chanteur, un chanteur allemand, adoré en Allemagne, une des plus belles voix de basse, quon eût jamais entendues! Ce n’était pas seulement un chanteur, il était peintre, grand peintre! Il était chimiste! Médecin homoepathe! Grand joueur d’échecs, admirable joueur de billard! Il était savant, car sa jeunesse s’était écoulée dans le couvent des bénédictins. Pendant, trente années il a été les délices de la Germanie, et depuis sept ans il était fou!... Vous l’appelez?... – Joseph Sandigl (sic) vous dis-je!“ [innerhalb weniger Zeilen zweimal Standigl, einmal Sandigl; wenn’s so weiter gegangen wäre, wer weiß, ob nicht unser unvergeßlicher Staudigl nicht noch zum Saunigl geworden wäre!].
IX. Quellen zur Biographie. Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Für Künstler, Kunstfreunde und alle Gebildeten. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorff (Offenbach 1861, Joh. Andre, gr. 8°.), Bd. III, S. 632. – Breslauer Zeitung 1861, Nr. 151: „Staudigl“. – Brünner Zeitung 1861, Nr. 75, im Feuilleton: „Theater“. – Coulissen-Geheimnisse aus der Künstlerwelt. Vom Verfasser der „dunklen Geschichten aus Oesterreich“ und der „Hof- und Adelsgeschichten“ (Wien 1869, R. von Waldheim, Lex.-8°.), S. 414: „Staudigl’s Künstlerduell“ [266] [Wettgesang zwischen Staudigl und Pischek in den „Puritanern“]. – Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität (Frankfurt a. M., 4°.) 1856, Nr. 149: „Staudigl’s Ahnung“. – Faust. Polygraphisch-illustrirte Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft u. s. w. (Wien, gr. 4°.) IV. Jahrgang, Nr. 20: „Joseph Staudigl“. Von Alex. Patuzzi. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.), 1865, Nr. 202: „Aus Staudigl’s Leben“. – Dasselbe 1866, Nr. 311: „Staudigl und Holbein“. – Gartenlaube. Herausg. von Ernst Keil (Leipzig, Jahrg. 1865, S. 480: „Joseph Staudigl“. – Gratzer Zeitung 1861, Nr. 77: „Staudigl’s Leichenbegängniß“. – Kaiser (Friedrich), Unter fünfzehn Theater-Directoren. Bunte Bilder aus der Wiener Bühnenwelt (Wien 1870, R. v. Waldheim, 12°.) S. 140, 142, 145 bis 147 [mit interessanten Einzelnheiten aus S.’s Leben]. – Mainzer Unterhaltungsblatt (4°.) 1841, Nr. 209: „Noch einige Worte in Bezug auf den Sänger Staudigl. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für das gebildete Publikum u. s. w. (Hildburghausen, Bibliographisches Institut, gr. 8°.). Zweite Abtheilung, Bd. X, S. 129. – Monatschrift für Theater und Musik. Herausgeber Joseph Klemm (Die Fürsten Czartoryski) (Wien, 4°.), II. Jahrgang (1856) S. 1–16: „Herr Joseph Staudigl“ [siehe auch weiter unten die Fortsetzung dieser Zeitschrift unter „Recensionen“]. – Mußestunden (Wien, Waldheim, 4°.) Jahrg. 1862, S. 300. – Neue Zeit (Olmützer polit. Blatt) 1861, Nr. 75, im Feuilleton: „Joseph Staudigl“. – Olmützer Allgemeiner Anzeiger (Localblatt, 4°.) 1857, Nr. 231, in den Miscellen“ [Staudigl und Lablache]. – Oesterreichische Zeitung (Wiener polit. Blatt, Fol.) 1861, Nr. 80, im Feuilleton von Ed. Mautner. – Ostdeutsche Post (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 88, im Feuilleton. – Pietznigg, Mittheilungen aus Wien (Wien, 8°.) 1834, Band III, S. 190: „Künstler-Parallelen. I. Die Sänger Staudigl und Pöck“. Von Heinrich Proch. – Dieselben, Jahrg. 1835, Bd. I, S. 105–121: „Joseph Staudigl, k. k. Hof-Capell- und Opernsänger. Biographie“. [Ein im Archive des Wiener Musik-Conservatoriums in der Biographiensammlung befindliches und Staudigl betreffendes Manuscript ist weiter nichts als eine wörtliche Abschrift des in Pietznigg’s Mittheilungen enthaltenen biographischen Aufsatzes.] – Pilsener Bote (Localblatt, gr. 4°.) 14. Februar 1858, Nr. 13: „Joseph Staudigl“. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1857, Nr. 153: „Ueber Staudigl’s Irrsinn“. – Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik. (Redigirt von den Fürsten Czartoryski) (Wien, 4°.) VII. Jahrg. (1861), Nr. 14 und 15: „Joseph Staudigl“ (geb. 14. April 1807 – gest. 28. März 1861). – Dieselben, VIII. Jahrg (1862), Nr. 18, S. 288. – Schilling (G. Dr.), Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhard, gr. 8°.) S. 325. – Seyfried (Ferdinand, Ritter von), Rückschau in das Theaterleben Wiens seit den letzten fünfzig Jahren (Wien 1864, Selbstverlag des Verfassers, 8°.) S. 153 u. f.: „Joseph Staudigl. k. k. Hofopern- und Hofcapellsänger“. – Stadt-Post (Wiener Localblatt) 1858, Nr. 42: „Ueber Sänger Staudigl“. – Temesvárer Zeitung 1865, Nr. 179, im Feuilleton: „Miscelle“. – Allgemeine Theater-Zeitung. Redigirt von Adolph Bäuerle (Wien, gr. 4°.) 1840, Seite 488: „Lieder von Staudigl“. – Dieselbe 1841, S. 783: „Staudigl“ [über seinen Gesang]. – Dieselbe S. 819: „Noch einige Worte in Bezug auf den Sänger Staudigl“. – Waldstein (Max), Theatergeschichten (Wien, Pesth, Leipzig 1876, A. Hartleben, 8°.) S. 240 und 260. – Wanderer (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 74, im Feuilleton: „Staudigl“. – Weil (Philipp), Wiener Jahrbuch für Zeitgeschichte, Kunst und Industrie und Oesterreichische Walhalla (Wien 1851, A. Schweiger, 8°.). Erste (und einzige) Abtheilung, S. 117. – Wiener Zeitung 1861, Nr. 80, S. 1247: „Staudigl“. Von C. D. – Allgemeine Wiener Musik-Zeitung. Herausgegeben von Dr. August Schmidt (4°.), IV. Jahrg. (1844), S. 168, in den „Miscellen“. – Dieselbe, V. Jahrgang (1845), S. 431: „Ueber Staudigl’s Lieder“. – Wiener Neuigkeitsblatt 1858, Nr. 33: „Joseph Staudigl“. – Zellner’s Blätter für Theater, Musik und Kunst (Wien, kl. Fol.) II. Jahrg. (1856), Nr. 31; „Ueber den Beginn des Irrsinns des Künstlers. – Dieselben, VII. Jahrg. (1861), Nr. 27, S. 106: „Staudigl“. – Der Zwischenact (Wiener Theaterblatt, kl. Fol.), IV. Jahrg. (1861), Nr. 84: „Jos. Staudigl. Biographische Skizze“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Josef Staudigl) (Wikipedia).