BLKÖ:Ruf, Sebastian
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 27 (1874), ab Seite: 240. (Quelle) | |||
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Hegel, Schelling, Schleiermacher und vertiefte sich in ihre Werke, wie außer ihm nur wenige Tiroler. Er kam früh zur ganz richtigen Ansicht, daß Glauben und Wissen zwei concentrische Kreise sind, die sich nicht [241] berühren und gar nicht zu berühren brauchen, und so ging denn sein Leben ohne innere, durch religiöse Bedenken und Zweifel hervorgerufene Stürme dahin. Es sei, meint er, ein unphilosophisches Unternehmen, den Glauben philosophisch widerlegen zu wollen. Seine Devise lautet: „Gebet dem Glauben, was des Glaubens, und dem Wissen, was des Wissens ist.“ In früheren Jahren hat er die Ergebnisse seines Denkens in aphoristischer Form in Saphir’s „Humoristen“, in den „Memorabilien der Zeit“, im „Phönix“ und in einigen anderen, meist auswärtigen Blättern niedergelegt. Dabei stand er mit den feinen Geistern seines Vaterlandes, die viel zu früh für dasselbe, das unter mönchischem Zelotenthume und bischöflicher Zuchtruthe verkümmerte, das Zeitliche gesegnet haben, in engem Verkehre. Zu den Männern seines Umganges zahlten Flir, Schönach, Schuler u. A. In seinem Berufe aber, als Caplan in der Irrenanstalt, fand er das reichste, noch wenig gepflügte Feld für seine geistige Thätigkeit und das Studium der Geistesstörungen beschäftigte ihn vor Allem. Nachdem er lange geforscht, untersucht, gelesen und studirt hatte, trat er im Jahre 1852 mit der ersten Frucht seiner Beobachtungen und Studien über die menschliche Psyche – die Titel seiner Schriften folgen auf S. 242 – vor das Publicum, das in dieser Arbeit bald erkannte, daß es mit einem selbstschöpferischen Denker zu thun habe. Er weist in seiner Schrift nach, daß die Basis der Schuldzurechnung eine höchst unsichere sei und unser Urtheil die größte Behutsamkeit anzuwenden habe, damit es nicht den Gestörten mit dem Verbrecher, den Unschuldigen oder doch Unzurechnungsfähigen mit dem wahren Verbrecher vermenge. Dieses aus der Schule der Klagen und der Leiden, des Elends und des Jammers, wie es in der Vorrede ausgesprochen ist, hervorgegangene Buch zeigt ebenso große Belesenheit als eigenes Nachdenken, und ganz von dem Geiste tiefer Humanitität durchweht, empfiehlt es in der Kritik menschlicher Fehler eine Milde und Schonung, wie sie selbst bei den besten Christen nicht immer zu finden ist. In einer anderen, mehrere Jahre später erschienenen Schrift liefert R. wichtige Beiträge zur richtigen Beurtheilung der Delirien. Und auch in seinen folgenden Arbeiten pflügt er nicht das weite, unübersehbare Feld der „ewig grauen Theorie“, sondern immer auf den Standpunct der Praxis sich stellend, gibt er wohl durchdachte, eben durch seine eigene Praxis erprobte Rathschläge, wie dem Uebel zu steuern und wie man es besser zu machen habe. So ist denn R. bei der Pflege solcher Studien und im steten Verkehre mit den vom Unglücke am schwersten heimgesuchten Menschen allmälig zu einem vollendeten Menschenkenner geworden, der mit seinem tiefdringenden Blicke in den Geheimnissen der menschlichen Seele liest, ehe der Mund dieselben verkündet, und dem die Heilung der kranken Seelen besser gelingt, als vielen anderen geistlichen und weltlichen Aerzten. Caplan Ruf ist daher die Zuflucht und der Gewissensrath aller deren in der Umgebung, welche sich in ihren Zweifeln nicht mehr selbst zurechtfinden oder im Glauben einen Leitstern suchen. Er hat für Jeden, der ihn heimsucht, eine Arzenei, welche ihn beruhigt, und ihm, wenn möglich, den inneren Frieden wieder gibt. Daß auch solch ein stiller und segensvoll wirkender Weiser nicht unangefochten seinen Lebenspfad dahingehen konnte, versteht sich bei dem Zwiespalte der menschlichen, aus Dämon [242] und Engel zusammengesetzten Natur von selbst. Leute, denen das geräuschlose, segensvolle Wirken Anderer ein Dorn im Auge, ein Greuel ist, wollten in seinen schriftstellerischen Arbeiten Grundsätze und Ansichten ausgesprochen finden, welche „gefährlich“ seien, trompeteten ihre Entdeckung in die Welt hinaus und suchten Andere, die mit ihnen in dieselbe Trompete stießen. Aber ihre Lärmsignale verstummten und ihre Mahnrufe verschollen an der selbstlosen, in dem Segen, den sie schuf, Genüge findenden Thätigkeit des würdigen Priesters. R. lebt, geschätzt und geliebt von seiner ganzen Umgebung, hält, so weit es an ihm ist, Frieden mit der ganzen Welt, die er ihren Gang gehen läßt, und hat ein offenes, klares Auge für Alles, was ihm als einigermaßen bemerkenswerth auf seinem Lebenswege unterkommt, und zeigt große Theilnahme für Alles, was dem Fortschritte, der Freiheit, der Erhebung des menschlichen Geschlechtes förderlich erscheint. In Tirol selbst aber ist er als Priester, Denker und Humanist eine allgemein angestaunte, weil in dem Stande, dem er angehört, einzige Persönlichkeit. Die Titel der von R. bisher herausgegebenen Schriften sind: „Psychische Zustände, ein Beitrag zur Lehre von der Zurechnung, mit besonderer Rücksicht auf psychische Störungen“ (Innsbruck 1852, Wagner, 8°.); – „Die Delirien“ (ebd. 1856); – „Chronik von Achenthal. Nach urkundlichen Quellen“ (ebd. 1865, Wagner, 8°.); – „Die Criminaljustiz. Ihre Widersprüche und die Zukunft der Strafrechtspflege. Criminal-psychologische Studien“ (ebd. 1870, 8°.); den Titel einer Schrift über den Somnambulismus, welche auch selbstständig erschienen sein soll, gelang mir nicht aufzufinden. Ungleich größer ist die Zahl seiner in Tiroler Zeitschriften erschienenen historischen, geographischen, biographischen Aufsätze, deren Uebersicht hier folgt: „Ein berühmter Tiroler“ [im Boten für Tirol und Vorarlberg 1861, Nr. 61 u. 62], betrifft den als Rath des Kaisers Maximilian I. und als Gelehrten nicht unbekannten, 1510 gestorbenen Johann Fuchsmagen aus Hall; – „Zur Geschichte des Bauernaufstandes im Jahre 1525“ [in der Volks- und Schützen-Zeitung 1862, Nr. 19]; – „Der Knappenaufstand in Schwaz im Jahre 1525“ (ebd. 1862, Nr. 85 u. 86]; – „Zur Geschichte der Wiedertäufer“ [im Boten für Tirol 1862, Nr. 238–240]; – „Der Salzberg bei Hall“ (ebd. 1859, Nr. 15, 16, 19, 20]; – „Die Saline in Hall unter König Heinrich von Böhmen“ [ebd. 1859, Nr. 245–247]; – „Rudolf IV., Herzog von Oesterreich, und die Saline in Hall“ (ebd. 1863, Nr. 227]; – „Die Salzquelle am Röhrer-Bühel (bei Kitzbühel). Nach den Acten des k. k. Statthalterei-Archives“ [Volks- und Schützen-Zeitung 1858, Nr. 151]; – „Die Münze in Hall“ [Bote für Tirol 1862, Nr. 78 bis 81]; – „Leiden und Freuden der Stadt Hall von 1447 bis 1461, zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Schützenwesens“ [Volks- und Schützen-Zeitung 1859, Nr. 95]; – „Notizen über das alte Schützenwesen in Hall 1411–1490“ [ebd. 1862, Nr. 157, und 1863, Nr. 1]; – „Das Schützenwesen in Hall unter Kaiser Maximilian I. Von 1490 bis 1519“ (ebd. 1863, Nr. 23 u. 26]; – „Historische Notiz über das Kloster im Hallthale am Salzberge“ [Bote für Tirol 1858, Nr. 141–144]; – „Die alte Pfarre Absam. Aus den Archiven von Hall und Absam“ [Volks- und Schützen-Zeitung 1859, Nr. 25 u. 26]; – „Stadt- und Gerichtsordnung in Hall von 1300 bis 1328“ [Bote für Tirol 1861, [243] Nr. 270]; – „Die gute alte Zeit der Stadt Hall“ [ebd. 1863, Nr. 115 bis 117]; – „Die Gründung der Märkte in Hall. Aus Urkunden des Stadtarchives“ [Volks- und Schützen-Zeitung 1862, Nr. 59]; – „Die Besitzer von Melans bei Absam“ [ebd. 1860, Nr. 144, 147, 148]; – „Die Besitzer von Aschach bei Volders“ [ebd. 1863, Nr. 37]; – „Zur Geschichte der Glasmalerei in Tirol im 16. Jahrhunderte“ [Bote für Tirol 1862, Nr. 133, 134]. So ist denn R. nicht blos ein Arzt der Seele und ein Wohlthäter seiner Irren, sondern auch ein Forscher in der Geschichte seiner Heimat, die ihm, wie vorstehendes Verzeichniß beweist, schon manchen schätzbaren Beitrag verdankt.
Ruf, Sebastian (Caplan des Irrenhauses zu Hall, philosophischer Schriftsteller, geb. zu Absam bei Hall in Tirol im ersten Jahrzehende des laufenden Jahrhunderts). Betrat die geistliche Laufbahn und trat bald nach erlangter Priesterweihe die Caplansstelle im Haller Irrenhause an, welche er bis zur Stunde bekleidet. Er hat – und dieß ist das glänzendste Zeugniß seines edlen, menschenfreundlichen Charakters und seiner Selbstlosigkeit – nie um eine andere Stelle sich beworben, sondern blieb der Leitstern dieser in geistiger Nacht Wandelnden. So reich ein solches Menschenleben nach innen sein mag, nach außen fließt es einfach dahin und an die Stelle wechselnder Lebensereignisse mag hier mit Fug und Recht eine Charakteristik des Menschen treten, der mit beispielloser Entsagung für das Wohl der seiner Sorge Anvertrauten wirkt. Bei seiner Neigung zu philosophischen Studien beschäftigte er sich schon früh mit- Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1852, Beilage zu Nr. 248: „Literarisches aus Tirol“. – Oesterreichisches Morgenblatt (Prag) 1858, Nr. 3, S. 33. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1869, Nr. 1888 [heißt daselbst irrig Ruef]. – Süddeutsche Zeitung 1861, Nr. 549.