BLKÖ:Schuler, Johannes

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Schuler, Georg
Band: 32 (1876), ab Seite: 152. (Quelle)
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Schuler, Johannes (Schriftsteller und Abgeordneter des Frankfurter Parlaments, geb. zu Matrei in Tirol 11. December 1800, gest. zu Innsbruck 12. October 1859). Sein Vater, ursprünglicher Marktrichter in Matrei, wurde später als Professor des römischen und Kirchenrechts nach Innsbruck berufen. Als er dort 1803 seine Gattin durch den Tod verlor, verfiel er in tiefe Schwermuth und der Sohn mußte zu seinem Großvater mütterlicherseits, Johann Probst, gebracht werden, wo er einige Zeit blieb. Als im Jahre 1810 die Innsbrucker Hochschule aufgehoben ward, nahm der genesene Vater, der sich um diese Zeit zum zweiten Male verheirathet hatte, seinen Sohn nach Salzburg mit und dort begann dieser seine Studien. Sechs Jahre verlebte der junge Johannes in Salzburg, dann kehrte er in seine Vaterstadt Innsbruck zurück und bezog 1820 die Universität in Wien, dort, um wohl mehr dem Wunsche des Vaters als eigener Neigung zu folgen, die Rechte studirend. Daselbst wurde er krank, kam in krankem Zustande nach Salzburg und im September 1822 nach Innsbruck, von wo er, um sich ganz zu erholen, nach Gnadenwalde nächst Hall übersiedelte und dort mit dem Gedanken umging, Benedictinermönch zu werden. Seine [153] Wahl fiel auf das berühmte Kloster Fiecht in seiner Heimat, und in der That trat er in dasselbe ein, freundliche Aufnahme findend. Als er aber dort nicht fand, was er suchte, verließ er 1823 das Kloster, nahm das juridische Studium von Neuem auf, vollendete es und erwarb zu Padua – wo man, wie damals die Sage ging, leicht promoviren konnte, daher die Paduaner Doctoren im Kaiserstaate immer mit scheelen Blicken angesehen wurden – den Doctorgrad. Anfänglich trug sich S. mit dem Gedanken an eine Professur, gab aber in Folge einer vertraulichen Mittheilung, aus welcher er inne wurde, daß er als Mitglied einer zum Zwecke gemeinschaftlicher wissenschaftlicher Ausbildung gegründeten Verbindung politischer Umtriebe verdächtigt war und ihm nie ein Lehramt vertraut werden würde, dieses Vorhaben auf und trat als Praktikant bei dem damaligen Gubernium in Innsbruck ein. Indessen übernahm er, um doch einigermaßen für die Oeffentlichkeit thätig zu sein, im Jahre 1828 die Redaction des „Tiroler Boten“, des einzigen damaligen politischen Organs für Landesinteressen, welche er viele Jahre führte. Am 27. April 1831 erhielt er die ständische Archivar-Stelle, eine in den damaligen Zeiten polizeilicher Bevormundung und Ueberwachung einigermaßen unabhängige Stelle, welche er bis zum Jahre 1848 bekleidete. Archiv und Redaction des „Tiroler Boten“ ließen ihm genug Muße, auch noch in anderer Richtung thätig zu sein. Aus seiner Redactionsperiode leuchtet ein ganz besonders pikanter Artikel, in welchem er mit sittlichem Ernste gegen die Frivolität Heine’s auftrat, der damals im Zenith seines Ruhmes stand. Mit aufmerksamem Auge die Verhältnisse und Zustände seines Heimatlandes – das in einer dauernden Stagnation ganz versumpfen zu wollen schien – überschauend, mit Schmerz gewahrend, wie Tirol der Strömung des deutschen geistigen Lebens ziemlich fremd geblieben, ja die Namen Goethe’s, Schiller’s, Lessing’s nur Wenigen und diesen auch nur oberflächlich bekannt waren, sammelte Schuler, um eine Oase in dieser geistigen Wüste zu schaffen, einen Kreis enthusiastischer Freunde, die mit dem glühendem Eifer der Jugend sich dem Studium deutscher Literatur und Philosophie ergaben. Aber damit war es nicht genug: er opferte einen großen Theil seines Vermögens zur Beschaffung einer Bibliothek, die er Jedem, der sich für Literatur interessirte, auf das Liberalste zu benutzen verstattete. Sie enthielt Werke von Schriftstellern, bei deren Namen allein einer vormärzlichen Censur die Gänsehaut überlief und die Censurscheere in der Hand zuckte. Es ist interessant und wäre ein lohnendes culturhistorisches Studium, nach den Männern zu forschen, welche in der vormärzlichen Periode in den einzelnen Kronländern des Kaiserstaates wie gute Genien über der heranwachsenden Jugend wachten, daß sie nicht im Sumpfe des politischen Druckes und polizeilichen Spähersystems ganz unterging, und die Hoffnung auf eine bessere Zeit, deren Anbruch nicht ausbleiben konnte, wach erhielten. So waren z.B., was Schuler in Tirol, Professor Petruzzi in Krain, Martin Mayer in Kärnthen. Schuler förderte aber nicht nur Lecture und Studium all’ der Geisteskämpen, welche in den Fächern seiner Bücherschränke, eine Geisteswacht über dem Lande Tirol, standen, sondern eiferte seine geistigen, strebenden Freunde auch zur Production an; die Frucht dieser Bemühungen war ein Album, betitelt: „Alpenblumen aus [154] Tirol“, zu dessen Herausgabe sich mit ihm im Jahre 1829 Streiter und Beda Weber verbunden hatten. Drei Jahre, und das war in jenen Tagen viel, sehr viel, fristete der Almanach sein Dasein „aber noch heute ist er nicht vergessen und gehört zu jenen Büchern, die jedes gebildete Landeskind gelesen haben muß. Schuler schrieb für die „Alpenblumen“ Novellen, darunter die treffliche: „Jacob Stainer“[WS 1], in welcher er die traurige Geschichte des berühmten Geigenmachers von Absam in einer Weise erzählt, die es bedauern laßt, daß S. im Gebiete der Novelle nicht fruchtbarer gewesen. Sein eigentliches Gebiet war das politische und seine Zeit begann mit dem Jahre 1848, an dessen politischen Ereignissen er thätigen Antheil nahm. Seine Wirksamkeit, sein Verhalten vor 1848 war ein derartiges, daß ihm nun, nachdem die Schranken gefallen waren, das allgemeine Vertrauen entgegenkam. War er bisher der Mann der Literaturgeschichte, jetzt wurde er ein Mann der Geschichte, die seinen Namen immer und mit Ehren nennen wird. Zuerst wurde S., um die Landesvertheidigung gegen die eindringenden Wälschen zu ordnen, nach Wien entsendet, dann in das Frankfurter Parlament gewählt; später, nachdem er am 29. Februar 1852 die Stelle des ständischen Archivars, die er seit 1848 thatsächlich nicht mehr versehen hatte, niedergelegt, sehen wir ihn als Vicepräsidenten des tirolischen Landtages, zuletzt, und zwar seit 18. November 1849 als außerordentlichen, seit 28. August 1850 als ordentlichen Professor der Rechtsphilosophie und des Strafrechts und als Rector der Innsbrucker Hochschule. Die Stadtgemeinde Innsbruck nahm zugleich vielfältig seine Dienste in Anspruch; ohne seine Theilnahme, seinen Rath wurde nichts von Belang geschlichtet. Als nun das verhängnisvolle Jahr 1859 anbrach, wurde S. in das Comité für Landesvertheidigung gerufen und entwarf das Landesvertheidigungsstatut, das mit geringen Veränderungen so lange bestanden hatte, als das Institut selbst bestand. Noch war es ihm vergönnt, 1859 den Morgen einer neuen Zeit über Oesterreich heraufdämmern zu sehen, aber er hatte sich schon zum Sterben zurecht gelegt. Da fiel ihm dasselbe doppelt schwer, denn mit bewegter Stimme rief er aus: „Jetzt käme meine Zeit, nur drei Jahre möchte ich noch zu leben haben“. In den letzten Stunden beschäftigte ihn die Sorge um sein Vaterland. Mit Nachdruck sprach der sterbende Patriot, was seine Landsleute nie vergessen sollten: „Eines ist, was Tirol vor Allem noth thut, die religiöse Toleranz, wenn es diese nicht zu erringen weiß, so ist kein Heil zu erwarten“. Schuler’s Tod machte in ganz Tirol, wie es das Blatt, dessen Leiter er viele Jahre gewesen, offen ausspricht, einen gewaltigen Eindruck. Bei seinem Leichenbegängnisse, einem der großartigsten, das Innsbruck je geschaut, waren die Männer aller Parteien zugegen, und jeder von ihnen gestand, daß das Vaterland einen großen Verlust erlitten habe. Schuler, seinem Aeußern nach ein kleines, unansehnliches Männchen, war tief und gründlich gebildet, seinen Sinn für das Wahre bewährte er durch seine allseitige Gelehrsamkeit und gediegene Kritik; für das Schöne durch seine, wenngleich nur spärlichen Dichtungen und seinen Einfluß auf die Pflege der Poesie, Musik und bildenden Künste; für das Gute durch sein ganzes, der Geammtheit, wie dem Einzelnen wohlthätiges Leben. Und doch war sein Pfad nicht dornenlos. Während man, wo man ihn [155] brauchte, ihn benützte, wo es Schwierigkeiten gab, seinen Rath und seine Hilfe in Wort und Schrift suchte, ging ihm der Hochmuth, ging ihm die Mißgunst mit Ostentation aus dem Wege. Weil er seinen eigenen geraden Weg ging, weil er seine Ueberzeugung nicht beugte vor dem Lufthauche der Gunst und der Tagesmeinung, hatte der edle Mann Feinde und Gegner genug. Auf der einen Seite vom Mißtrauen wegen seines Freisinns gemieden, auf der andern vom Spotte wegen seiner Besonnenheit verfolgt, ging er unerschütterlich mitten hindurch im Bewußtsein, das Rechte zu wollen und zu thun und gestählt durch den Panzer der Ueberzeugung. Hochherzig in Allem, vergalt er seinen Feinden nie mit Mißgunst, und tolerant selbst gegen seine Gegner, ehrte er auch ihre Ansichten. Voll Ehrfurcht vor dem Göttlichen, voll Pietät für Alles Heilige und Ehrwürdige, fest und gediegen in seinen Grundsätzen, dem Vaterlande ein aufopfernder Bürger, treu seinen Freunden, edel selbst gegen seine Feinde, fremd jeder Verstellung und Heuchelei, durchaus tüchtig und bieder, menschenfreundlich, ohne Neid, immer hilfreich, mit Lehren und Ermunterung zur Hand bei jedem guten Gedanken; der nach Verwirklichung strebte, fei es im poetischen, im prosaischen, im politischen Felde oder in Angelegenheiten der Gemeinde, der Vertraute der tirolischen Jugend, wie des tirolischen Alters, war er durch und durch ein Charakter und dabei ein liebenswürdiger Charakter. Wenige Jahre nach seinem Tode erschienen, von seinen Freunden herausgegeben, die „Gesammelten Schritten von Johannes Schuler“ (Innsbruck 1861, Wagner, 8°.). Es ist ein mäßiger Band dieser Nachlaß des edlen Todten, er enthält – nichts Rechtswissenschaftliches – sondern politische, literarische Abhandlungen und drei Novellen. Unter ersteren befinden sich die „Tirolischen Gedanken“, welche, im Jahre 1852 in der Innsbrucker „Schützenzeitung“ erschienen, großes Aufsehen machten. In den literarischen Aufsätzen sind viele freie und feine Bemerkungen über die neuere Literatur, darunter über Heine, Grillparzer und Lenau, niedergelegt. Lenau im Jahre 1840 in Tirol zu feiern, dazu gehörte viel Muth, denn es ist nicht unwichtig, zu erfahren, daß man nach Lenau’s Tode seinen Wahnsinn als Strafe Gottes von den Kanzeln herab zu schildern wagte! So weit vergaßen sich Die, so sich Diener Gottes nennen. Von den drei Novellen, welche der Nachlaß enthält, haben zwei das Glück, die Beute literarischer Piraten geworden zu sein. Die Novelle: „Liebeswahnsinn“ wurde im Jahre 1864 mit kleinen Veränderungen in einem norddeutschen Blatte, und „Jacob Stainer“ in einem Wiener Blatte von einem Dritten als Originalarbeit veröffentlicht. Im Gasthause „zur frommen Scholastica“ am Achensee lebt heute noch Schuler’s Andenken, Vom Jahre 1838 an pflegte er seine herbstliche Muße daselbst zu verbringen. Bald folgten ihm, wie Steub erzählt, die Gelehrten und Dichter aus Innsbruck, bald auch erschienen die geistesverwandten Freunde aus Bayern und dem Reiche. Schuler war in den deutschen Landen gar wohl bekannt und besaß im Reich gar viele Freunde. Oefter war es, als wenn das damals noch kleine Häuschen vor lauter Celebritäten bersten sollte. Namentlich wurde die Weltweisheit viel besprochen, da S. selbst, dann der früh verstorbene Schönach [Bd. XXXI, S. 118], der poetische Flir [Bd. IV, S. 267], sowie der tiefsinnige Verfasser der „Chronica“ von Thales an bis [156] auf Hegel den Gang des menschlichen Denkens spursam verfolgt hatten.

Bote für Tirol und Vorarlberg (Innsbruck, kl. Fol.) 1861, Nr. 292, S. 1247. – Oesterreichisches Morgenblatt 1858, Nr. 3, S. 32, im Artikel: „Poetische Literatur in Tirol“, von Walter v. Metz [mit nächstehender Apostrophe an Schuler: „Er wäre vor Allem berufen, eine lesbare Geschichte des Landes zu schreiben. Umfassende Bildung, die Kunst der Prosa, hingebende Liebe für das kleine Volk in den Alpen und eine gründliche Kenntniß seiner Zustände und Bedürfnisse hätten ihn dafür rühmlichst befähigt, aber ... doch wir geben keinen Nekrolog. Nur um Eines möchten wir Schuler bitten. Möge er die Muße seines Alters benützen und uns die letzten drei Decennien der tirolischen Geschichte aus unmittelbarer Anschauung der Dinge schildern, denn hier liegt der wichtige Wendepunct zwischen Alt und Neu, nur von hier aus läßt sich ein Verständniß der Vergangenheit für die Zukunft erschließen.“ Gewiß wäre Schuler der rechte Mann gewesen, denn er besaß den Muth, die Wahrheit zu sagen, und Tirol braucht solche Männer]. – Neue freie Presse (Wien) 1865, Nr. 341, in einem Aufsätze von Ludwig Steub; – dieselbe 1866, Nr. 505, in den „Kritischen Anzeigen“. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) Jahrg. 1864, S. 100. – Den 1861 ausgegebenen „Gesammelten Schriften des Johannes Schuler“ geht ein kurzer Lebensabriß desselben voraus. – Kehrein (Joseph), Biographisch-literarisches Lexikon der katholischen deutschen Dichter, Volks- und Jugendschriftsteller im 19. Jahrhundert (Zürch, Stuttgart und Würzburg 1870, Leo Wörl, gr. 8°.) Bd. II, S. 133 [nach diesem bereits 1856 gestorben, was irrig ist]. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Nr. 60, im Feuilleton: „Bilder aus der Provinz“. [Daselbst heißt es von Schuler: „Schuler’s Nachlaß zeigt einen feinen Geist, ein schönes Talent für Novellistik. Schuler’s Bibliothek war die „Giftbude“, aus welcher vor 1848 die strebsamen Jünglinge Tirols sich die verbotenen Werke der deutschen Literatur holten. An ihm rankte sich der tirolische Liberalismus empor.“]

Anmerkungen (Wikisource)