Tencteri, germanische Völkerschaft, deren Name in den Texten fast immer zu Caesars Zeit mit dem der Usipetes, in der Kaiserzeit mit dem der Tubantes verbunden ist. Zuerst erwähnt werden sie in der Zeit der Eroberung Galliens (Caes. bell. Gall. IV 1, 1. 4, 1. 16, 2. 18, 4. V 55, 2. VI 35, 5: Tenchteri. Flor. I 45, 14: Tencteri. Plut. Caes. 22: Τέγκεροι. Cass. Dio XXXIX 47, 1: Τέγκτηροι. App. Celt. 18: Ταγχρέαι). Nach der Niederlage des Ariovistus, von den Sueben aus ihren ersten Sitzen verjagt, irrten die T. und Usipeter drei Jahre lang in Germanien auf der Suche nach neuen Ländereien umher, überschritten den Rhein, nachdem sie die Menapier, die sich weigerten sie aufzunehmen, geschlagen hatten, und zogen auf Einladung der Gallier die Mosa hinauf bis ins Land der Eburones und Condrusi; nach langen, von blutigen Kämpfen unterbrochenen Verhandlungen vernichtete sie
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Caesar ad confluentem Mosae et Rheni (bell. Gall. IV 15, 2), d. h. bei Xanten, wenn die Mosa des bell. Gall. die Maas ist (C. Jullian), oder bei Coblenz, wenn der Name Mosa statt Mosella steht (T. Rice Holmes, E. Sadée); ihre Reiter allein entgingen dem Gemetzel und flüchteten sich auf das rechte Ufer des Rheins zu den Sugambrern, wo die beiden Völkerschaften sich wieder ordneten (C. Jullian Hist. de la Gaule III 1909, 323–330. T. Rice Holmes Caesar’s conquest of Gaule2 1911, 95–100. 698–706. E. Sadée Bonn. Jahrb. CXXIII 1916, 99–104. L. Schmidt Gesch. der deutschen Stämme II 4, 1918, 405–410). 17 v. Chr. vereinigten sich die T. mit den Usipetern und Sugambern und brachten den Römern die unter dem Namen clades Lolliana (Cass. Dio LIV 20, 4) bekannte Niederlage bei. 12–11 v. Chr. von Drusus unterworfen (Liv. Epit. 138. Flor. II 30, 23. Oros. VI 21, 15), wahrscheinlich erhoben sie sich 9 n. Chr. auf den Ruf des Arminius und beteiligten sich an dem Angriff der Brukterer, Usipeter und Tubanten auf Germanicus bei seiner Rückkehr vom Feldzuge des J. 14, auf welchem er den Tempel der Göttin Tanfana zerstört hatte (Tac. ann. I 51). Unter Nero, 58 n. Chr., führte Duvius Avitus, Legat von Untergermanien, ein Heer gegen sie, um zu verhindern, daß sie sich mit den Ampsivariern vereinigten, welche sich am Unterlauf des Rheines niederlassen wollten (Tac. ann. XIII 55). Während der Unruhen nach dem Tode Neros zeichneten sie sich schon im Anfang des Jahres 70 durch ihre eifrige Parteinahme für Civilis aus (Tac. hist. IV 21). Sie schickten Abgesandte nach Colonia Agrippina, Köln, um die Bewohner zu veranlassen, endgültig mit Rom zu brechen und ein germanisch-keltisches Reich zu gründen (Tac. hist. IV 64f.). In der Schlacht, die am Ende dieses Jahres von Cerialis dem Civilis, dem Classicus und allen ihren Verbündeten vor Augusta Treverorum, Trier, geliefert wurde, und welche die Empörung beendete, kämpften sie tapfer auf dem linken Flügel des gallischen Heeres (ebd. 77). Im 2. Jhdt. kennt sie noch Ptolem. II 11, 6. Wie die Usipeter und die Tubanten (Laterc. Veron. app.), blieben sie ohne Zweifel bis auf Gallienus unter der römischen Herrschaft. Vom 3. Jhdt. an wurden sie von dem mächtigen Bunde der Franken aufgesogen (C. Jullian IV 1914, 542f.).
Nur Caesar und Tacitus geben uns einige Einzelheiten über die Sitten der kriegerischen T. (L. Schmidt 413f.). Sie scheinen besonders den Gott Mars verehrt zu haben, oder vielmehr den dem Mars der Römer geglichenen germanischen Gott (Tac. hist. IV 64). Sie waren seßhaft, widmeten sich dem Ackerbau und nährten sich von Feldfrüchten: wenn sie im 1. Jhdt. v. Chr. ausgewandert sind, so geschah es, weil die Sueben sie hinderten, ihr Land zu bebauen, agricultura prohibebantur (Caes. bell. Gall. IV 1, 2), und um sich Getreide zu verschaffen, frumentandi causa (ebd. 9, 3) schickten sie ihre Reiterei auf Kundschaft aus. Diese Reiterei war vorzüglich: equestris disciplinae arte praecellunt (Tac. Germ. 32). Caesar erzählt (IV 12, 2) daß sie nach dem Angriff abzusteigen pflegten, um die Pferde ihrer Gegner von unten zu durchbohren.
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Tac. a. O. berichtet von einer besonderen Erbfolgeregel bei ihnen: die Pferde wurden als Erbschaft nicht dem ältesten Sohne übergeben, sondern dem, der die größten kriegerischen Fähigkeiten gezeigt hatte (über den genauen Sinn dieser Regel s. Fustel de Coulanges Rech. sur quelques problèmes d’hist. 1885, 237. 239f.). – Es ergibt sich aus den ziemlich ungenauen Angaben der Texte, daß das von den T. in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit eingenommene Gebiet auf dem rechten Ufer des Rheins lag, in unmittelbarer Nähe des Flusses (Tac. Germ. 32), auf der Höhe von Colonia Agrippina (Tac. hist. IV 64). Es grenzte an die der Ubier, Sugambrer und Chatten und lag zwischen Rura, Ruhr, und Laugona, Lahn. Den T. sind wahrscheinlich die germanischen Gräber zuzuschreiben, die man in der Nähe der Sieg, bei Troisdorf, Wahn und Niederpleiß, entdeckt hat (L. Schmidt 415f.).