Geschichte der Stadt Basel. Erster Band/2. Die rudolfinische Zeit/5. Die Geistlichkeit
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Neben dieser Laienbevölkerung tritt uns die Geistlichkeit ungebührlich entgegen. Ungebührlich, weil in den Quellen — fast ausschließlich Klosterarchiven und Klosterannalen — sie nur sich überliefert und weil diese Einseitigkeit der Ueberlieferung unsere Vorstellung zu fälschen geeignet ist. Eine ganze Welt lebte in den Mauern Basels, über die wir aus den vor uns liegenden Zeugnissen nichts erfahren. Unsere Pflicht ist, bei Darstellung des geistlichen Wesens der übermäßig zuströmenden Nachrichtenfülle gegenüber Stand zu halten und nur das Wesentliche herauszugreifen.
Aber auch dann noch überraschen uns die Eigenart und der Reichtum des Lebens, das sich im Klerus verkörpert, und die Bedeutung dieses Standes für die Geschicke auch des profanen Basel. In den Türmen von Gotteshäusern kündigte sich die Stadt dem entfernten Reisenden zuerst an; ein Münsterbild schmückte das früheste Siegel der Bürgerschaft. Wie die Stadtherrschaft in den Händen der Kirche lag, so war im täglichen Leben des Einzelnen das Heiligste und das Unentbehrliche nur hier zu finden.
An der Spitze des Basler Klerus standen die Kirche St. Martin und die Genossenschaften Domstift, St. Alban, St. Leonhard und St. Peter.
Auf das hohe Alter der St. Martinskirche wurde schon hingewiesen. Sie darf als das älteste Gotteshaus Basels gelten; ihre Entstehung ist schon im sechsten Jahrhundert und wohl auf Königsgut zu suchen. Sie war auch die früheste Pfarrkirche. Als ihre Gemeinde haben wir hauptsächlich die Handelsansiedelung am unteren Birsig anzunehmen, und zwar auf den beiden Ufern des Flusses. Aber daß ihr Sprengel noch weiter reichte, über das nächste Stadtgebiet hinaus das Dorf Hüningen umfaßte, scheint sich aus der Zugehörigkeit des letzteren zu St. Martin in späterer Zeit zu ergeben.
Für die Martinsgemeinde auf dem linken Birsigufer fehlen allerdings bestimmte urkundliche Zeugnisse. Die durch solche Zeugnisse erhellte Zeit [116] zeigt uns in diesem Gebiet zunächst die Kapellen St. Nikolaus und St. Brandan, die vielleicht schon eine zweite Entwicklungsperiode bezeichnen. Die völlige Ablösung des Gebietes von St. Martin geschah dann jedenfalls durch das Entstehen der Pfarrkirche von St. Peter, wohl im zwölften Jahrhundert. Aber daß noch 1233, bei der Organisierung des Petersstiftes, die Möglichkeit der Uebertragung eines Canonicats an den Pleban von St. Martin ausdrücklich vorbehalten wurde, kann als Hinweis auf alte Rechte St. Martins in der Petersparochie gelten.
Eine Schmälerung der Rechte erlitt die alte St. Martinspfarrei schon früh auch auf der andern Seite. Die Kathedrale war der altkirchlichen Anschauung gemäß die Pfarrkirche der Bischofsstadt. Wir müssen daher annehmen, daß mit der Verlegung des Bistums nach Basel auch die Pfarreiverhältnisse in dieser Stadt umgestaltet wurden. Die Rechte gingen an das im alten Römerkastell sich erhebende Münster über. Wie die schon erwähnte Entstehung einer Kirche St. Peter auf den Bischof zurückzuführen ist, so zeigt sich an Anderm, daß er auch St. Martin an sich gezogen hat. Bei Gründung des Klosters St. Alban steht in der großen Reihe der bischöflichen Gaben die Martinskirche. Bischof Burchard schenkt diese und alle seine pfarrlichen Befugnisse in ihrem Gebiet, d. h. in der Stadt Basel „wie sie der Birsig begrenzt“, dem Kloster. St. Martin steht nun im Gebiet von St. Alban; Prior und Convent von St. Alban sind seine Patrone. Aber St. Martin bleibt Pfarrkirche und behauptet eine Eigenexistenz auch unter den neuen Verhältnissen. Es zeigt sich dies zunächst darin, daß zwei Kirchgemeinden St. Alban und St. Martin nebeneinander bestehen und scharf von einander abgegrenzt sind; ihre Grenze geht vom Birsig bei Lallosthurm das Fahnengäßlein und den obern Schlüsselberg hinauf zum Rheine. Noch bedeutsamer ist das selbständige Handeln der Gemeindegenossen von St. Martin neben dem Leutpriester schon im Jahre 1234, in Betreff eines Weges zu ihrer Kirche. Und so tritt auch die Gemeinde als solche 1287 beim Bau ihrer Kirche hervor. Dieses freie Handeln der Parochianen um Jahrhunderte früher als bei irgend einer der andern Kirchgemeinden der Stadt ist Zeugnis einer dieser Martinsgemeinde als alter Institution innewohnenden besonderen Kraft.
Von der Geschichte dieser Kirche und Gemeinde verlautet im übrigen wenig. Als Inhaber der Pfarrei begegnen uns Mitglieder des Domkapitels: 1236—1244 der Domkämmerer und Domdekan Wilhelm, 1259 der Archidiakon Heinrich von Neuenburg, 1277—1290 der Domherr Werner Schaler. Sie heißen Pleban oder Rektor. Aber diese hohen Herren [117] übten die Seelsorge nicht selbst aus; daher an ihrer Stelle Vikare, Viceplebane amtierten: 1241 ein Ulrich, 1293 und 1294 ein Reinbold.
Das der Kirche St. Martin zustehende Recht im Dorf Hüningen wurde schon als Beweis ihres hohen Alters erwähnt. Bis 1184 wird ihr nur der dortige Zehnte bestätigt; aber schon bald findet sich eine Kapelle daselbst, die als Filiale durch den Pfarrer von St. Martin mit bedient wird; diesem spricht Papst Cölestin 1196 den vierten Teil des Hüninger Zehnten zu. Noch 1277 wird das Hüninger Gotteshaus als zur St. Martinskirche gehörende Kapelle erwähnt.
Neben den zum Teil prächtigen Kirchen neuen Stiles, die das dreizehnte Jahrhundert in Basel geschaffen, mochte die noch aus früher Zeit stammende Martinskirche dürftig erscheinen. Jedenfalls erfahren wir, daß an ihrer Stelle in den 1280er Jahren ein neues Gebäude kostbarer Art, sumptuoso opere, aufgeführt wurde. Um die Mittel hiefür zu gewinnen, zogen Kollektoren der Gemeinde durch das ganze Bistum; Bischof Peter empfahl sie 1287 durch ein Rundschreiben zu guter Aufnahme. Noch in Vermächtnissen der 1290er Jahre wird dieses Baues von St. Martin gedacht.
Durch Ehrwürdigkeit und Macht ragte das Domstift empor. Es war nicht nur das älteste und während langer Zeit das einzige Stift der Stadt; sein Zusammenhang mit dem Regiment der Diözese, ja mit der allgemeinen Kirchenverwaltung, erhob es weit über alles Andere, was in Basel Klerus hieß.
Dies ganze Wesen, die Gefühle zentraler Gewalt und Beherrschung wie der feierlichsten Andacht fanden ihren Ausdruck im Münster.
Über den Bau des Münsters kann das Folgende gesagt werden, nicht durchweg als sicheres Ergebnis von Forschung, sondern zum Teil als Vermutung.
Am 25. Oktober 1185 hatte ein Brand das Münster schwer geschädigt. So schwer, daß nicht nur eine Wiederherstellung, sondern ein Neubau nötig wurde. Vom Feuer verschont geblieben waren der Chor und das Westende mit Türmen und Fassade.
Zunächst wurde der Chor provisorisch abgeschlossen, um ihn auch während der Bauzeit benützen zu können, ebenso in der hintern Front der beiden Westtürme eine provisorische Mauer gezogen.
Der Neubau sollte nicht dasselbe wieder bringen, was das alte Münster geboten hatte. Bedürfnis und Gesinnung waren gewachsen. Man verlangte [118] jetzt nach einem großem Raume und gewann diese Vergrößerung gegen Süden, auf dem Boden der wohl gleichfalls vom Brande verwüsteten Stiftsgebäude. Wir kennen den Meister nicht, der den Plan aufstellte. Aber es war die Zeit Heinrichs von Horburg, eines Kirchenfürsten, dessen große und leidenschaftliche Art wir schon kennen gelernt haben. Zum Geiste seiner Regierung paßt auch dieser Bauentwurf mit dem machtvoll breiten Mittelschiffe. Wir wissen auch nichts näheres vom Fortgange des Baues. Bischof Heinrich starb auf der Meerfahrt, und die Zeit seines Nachfolgers Lütold war eine verworrene und bedrängte. Man hatte mit dem Bau des Langhauses begonnen, aber ihn wenig gefördert. Wohl erst mit dem Auftreten Heinrichs von Thun, des Regenten, der die Vögte und Grafen beugte, den Rat der Stadt zur Anerkennung seiner Gewalt zwang, die Rheinbrücke baute, hat auch der Bau des Münsters wieder frisches Leben empfangen. Vielleicht hiefür hat Heinrich den Kirchenschatz an die Juden verpfändet, wenn die Verpfändung nicht schon eine ältere war. Aber er benützte auch die reichen Kräfte, die seine Zeit ihm bot. Um die Mitte der 1220er Jahre war das Langhaus vollendet, und es konnte an den Bau des Querschiffs geschritten werden. Das Münster war des Namens einer Basilica, der ihm damals gelegentlich gegeben wurde, in der Tat wieder würdig. Mit dem Langhause zusammen war wohl der Kreuzgang gebaut worden.
Der Chor hatte während dieser Jahrzehnte des Baus unberührt gestanden, er war das einzige benützbare Kircheninnere gewesen. Die Kreuzpredigt Martins von Päris hatte in ihm stattgefunden, der junge Friedrich II. in ihm gebetet. Wiederholt reden die Urkunden von Dingen, die in diesem Raume geschahen, von der Stiftung eines ewigen Lichtes, von Gelöbnissen vor dem Hochaltar usw. Jetzt kam auch an ihn die Reihe, durch einen Neubau ersetzt zu werden, und bis auf weiteres konnten Langhaus und Querschiff allein als Kirche dienen. Die letzten Jahre Heinrichs und den Episcopat Lütolds von Röteln hindurch scheint der Chorbau gedauert zu haben; am 23. Mai 1250 wird wieder eine Urkunde „im Chore“ datiert.
Es ist nicht zu entscheiden, was unter den Bischöfen Berthold und Heinrich von Neuenburg am Münster geschah, ob namentlich schon unter ihnen der Westbau erneuert wurde. Hiegegen scheint die Erwähnung des porticus im Jahre 1259 zu sprechen (sofern auch jetzt wieder wie im Jahre 1231 hierunter der zwischen der alten Fassade und der provisorischen Langhauswand gelegene Raum zu verstehen ist), und sprechen ferner die allgemeinen Verhältnisse. Heinrich von Neuenburg fand keine Muße zu [119] einem solchen Bau, der ja nicht eigentliche Notwendigkeit war. Was er baute, war höchstens seine Residenz und ein Anfang seiner Grabkapelle an der Nordseite des neuen Langhauses. Ist diese Annahme richtig, so vermögen wir uns das Basler Münster in den ersten Jahren König Rudolfs deutlich vorzustellen. Es ist in der Hauptsache das Münster von heute, ohne die obern Teile des Chors, ohne die äußern Seitenschiffe, mit einer alten Fassade, in der das heute Galluspforte heißende Portal als Haupteingang steht, und mit zwei romanischen Türmen; auch der Kreuzgang ist mit seinen untern Partieen im heutigen größern Kreuzgange noch erhalten.
Mit Peter Reich aber kommt fühlbar ein neuer Impuls. Vielleicht ist an Anregungen zu denken, die er von seiner Dompropstei in Mainz mitbrachte. Eine zweite Bauperiode setzt nun ein, deren Leistung vor allem die gänzliche Erneuerung der Westseite ist; eine neue Fassade wird gebaut, der Südturm vom Erdboden an, der Nordturm vom zweiten Stockwerk an neu aufgeführt, das alte Portal in die Nordfront des Querschiffs verlegt. Aber man bleibt hierbei nicht stehen, sondern drängt weiter und zieht nun auch neue Mittel heran. Wiederholte Ablaßverheißungen an die Förderer des Münsterbaus, wiederholte Vermächtnisse Einzelner, ein dringliches Kollekteschreiben an alle Gemeinden der Diözese 1297 zeigen, mit welcher Energie diese letzten Bischöfe des Jahrhunderts verfahren. Es ist das Gefühl befestigter Zustände, das Bewußtsein von Macht, das nun wieder aus allem spricht. Auch handelt es sich nicht allein um eigentliches Bauen, sondern auch um reichere Ausgestaltung und Ausstattung des Innern. Wir gehen kaum irre, wenn wir dabei unmittelbare Einwirkungen zumal Straßburgs vermuten. Dort entstand in diesen Jahrzehnten der gewaltige Bau, über dessen Schönheit selbst ein Urkundenschreiber in Flammen geraten konnte und, seinen gewohnten Stil bei Seite legend, von den Blumen des Mais zu reden begann, denen gleich das Bauwerk in seinem Schmuck aufsteige. In derselben Zeit wurde auch der Turm zu Freiburg gebaut. Von solchen Vorbildern erregt hat namentlich der große Peter von Aspelt alles daran gesetzt, um den Bau auch seines Münsters in eine lichte Höhe zu treiben. Wir wissen nicht, wie weit empor er drang, wie weit seine Nachfolger das Werk führten. Das große Erdbeben hat Schöpfungen vernichtet, die wir nicht ahnen können.
Von dem Leben, das um die ruhige Macht dieses Münsters wogte, war schon die Rede. Es wurde gezeigt, wie auf dieser von jeher durch Beherrschung ausgezeichneten Höhe weltliche und geistliche Gewalt sich enge [120] berührten und von derselben Hand ausgeübt wurden, wie das mannigfaltigste Treiben den Platz und seine Wohnungen füllte.
Hier, wo uns nur das Geistliche gilt, ist das Bild darum nicht weniger ansprechend. Als charakteristisch vor allem erweist sich die libertas, die Freiheit, die engere Immunität dieses der Gewalt weltlichen Gerichts verschlossenen Münsterbezirkes. Er umfaßte das castrum oder atrium, dem heutigen Münsterplatz entsprechend, und innerhalb dieser Freiung waltete ein besonderer Friede, dessen Bruch als sacrilegium galt und schwer gebüßt wurde; in den Domherrenhöfen, die den Platz umschlossen, konnten weder Menschen noch Güter mit Arrest belegt werden und fand der Fliehende eine Freistatt.
Die Domherren haben anfangs ihre Behausungen jedenfalls da gehabt, wo heute der Kreuzgang seine Hallen öffnet. Die bis in spätere Zeit festgehaltenen Bezeichnungen einzelner Teile des Kreuzganggebietes (capitulum, refectorium, scolae, latus canonicorum) zeigen die der alten Regel folgende Gemeinsamkeit des Wohnens auf dieser Stelle, an welche Gemeinsamkeit überhaupt der Name Münster noch heute erinnert. Dieses Stiftsgebäude, in dem die Herren wohnten, aßen und schliefen, hieß claustrum; in unmittelbarer Verbindung mit ihm stand die Wohnung des Bischofs. Und zwar scheint dieser Zustand bis an die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts gewährt zu haben. Nicht ohne Störung freilich. Die Vorschrift gemeinsamen Lebens, die auch den Stiftsklerus unter mönchische Ordnung zu beugen bestimmt gewesen, wurde anderwärts schon früh außer Acht gelassen, und daß sie auch in Basel nicht mehr zur Anwendung kam, zeigen die wiederholten Rügen der Päpste über den Besitz mehrerer Wohnungen im claustrum durch einzelne Domherren. Völliges Verlassen dieses Stiftshofes durch die Kapitularen hat wohl erst stattgefunden, als nach dem Brande von 1185 die Erweiterung der Münstergebäude gegen Süden eine gänzliche Umgestaltung der hier stehenden Gebäude nötig machte. An deren Stelle wurde nun der Kreuzgang angelegt, die Domherrenwohnungen aber nach moderner Art rings um den Münsterplatz her eingerichtet. Sie begegnen uns hier urkundlich nicht vor 1234; ihre geschlossene Reihe gab dem Platze den Charakter eines Stiftshofes.
Die bischöfliche Residenz haben wir uns, wie schon gesagt wurde, in Verbindung mit dem alten claustrum zu denken, sowie in unmittelbarer Nähe des Münsters. Ihre früheste Erwähnung findet sich im Kapitular Hattos von c. 820, wobei aber nicht klar wird, ob von einem königlichen oder einem bischöflichen Palaste die Rede ist. Bischof Heinrich im Jahre [121] 1189 ist dann der Erste, der eine seiner Urkunden aus seinem Hofe datiert; auch hier hat wohl der Neubau des Münsters eine Aenderung zur Folge gehabt. Ein halbes Jahrhundert später aber wird die gänzliche Zerstörung des Bischofshofes durch die Bürger gemeldet, 1247. Wahrscheinlich ist nach dieser Katastrophe das Haus nicht sofort wieder aufgebaut worden. Denn Bischof Berthold bewohnte einen der Höfe am Münsterplatz (heute Nr. 18), baute auch in diesem eine der heiligen Katharina geweihte Kapelle. Wo die folgenden Bischöfe hausten, ist uns nicht bekannt. Aber man darf glauben, daß ein Herrscher wie Heinrich von Neuenburg sich die alte Residenz am hohen Ufer des Stromes wieder aufgerichtet habe. In der Tat finden wir später einen bischöflichen Palast an derjenigen Stelle, wo heute die berühmte Terrasse sich breitet und in ihrem Namen „Pfalz“ den alten Zustand festhält. Es ist denkbar, daß der Bau dieser Pfalz durch Heinrich von Neuenburg hastig und unsorgfältig geschah, sodaß ihr Sturz in den Rhein 1346, den die Chronik meldet, erklärlich wird.
Inmitten dieser Höfe von Bischof und Domherren war das Münster keineswegs die einzige Kirche. Zahlreiche Bethäuser schmückten vielmehr den Bezirk und gaben ihm eine besondere Weihe, machten ihn zu einer auserlesenen „Stadt Gottes“.
Die älteste und die diesem Alter wie ihrer Funktion gemäß angesehenste war die Kapelle Johannes des Täufers; sie hieß zu Zeiten sogar Kirche. Wir erkennen in ihr die schon in frühester Zeit der Kathedrale beigegebene Taufkapelle. Ihr Vorsteher war dementsprechend der Archipresbyter, und unter diesem stand auch der Sprengel, der später die in der Nähe der Stadt gelegenen Gemeinden Muttenz, Münchenstein, Pratteln, Hochwald, Oberwil, Allschwil und Hüningen, die sogenannten vagantes extra civitatem, mit umfaßte. In der Folge ging der Name Archipresbyter auf den Archidiakon von Basel über, dem der Stadtklerus unterstand, und es erscheint der Dekan von St. Johann, dessen Dekanat die soeben genannten, in der allgemeinen Dekanatseinteilung des Bistums nicht berücksichtigten Gemeinden umfaßte. Außerdem jedoch war dieser Dekan Vorsteher, und die St. Johannskapelle Stätte einer Bruderschaft, die, wohl aus den regelmäßigen Zusammenkünften jener Landgeistlichen entstanden, diese selbst sowie die Domkapläne einschloß, der Bruderschaft St. Johanns auf Burg.
In anderer Weise hervorragend war St. Ulrich. Eine Kaplanei dieses Namens erscheint schon 1219, 1245 gibt die Kapelle der Gasse den Namen Ulrichsgasse. In den 1260er Jahren aber wurde sie durch den Dompropst, [122] dem sie Zustand, zu einer Kirche erhoben. Es stand diese Maßregel im Zusammenhang mit dem kurz vorher erledigten Seelsorgestreit des Domstifts mit St. Alban und war jedenfalls eine Folge des Wachstums der Stadt; das Gemeindegebiet, das jetzt der neuen Pfarrkirche zugeschieden wurde, umfaßte die Vorstädte zwischen St. Alban und Birsig sowie die alte Parochie von Binningen und Bottmingen.
Zu nennen sind ferner die St. Jakobskapelle hinter dem Münster, die aber beim Münsterbau untergegangen zu sein scheint; die St. Vincenzkapelle und die St. Fridolinskapelle am Sprung; die schon erwähnte St. Katharinakapelle im Hofe Bischof Bertholds, später des Domherrn von Ellerbach. Von ihr, der Katharinenkapelle im Hof, in curia, unterschieden war die Katharinenkapelle im Wasen, in cespite, d. h. im Kirchhof neben dem Münster; nahe bei dieser standen die St. Maria Magdalenakapelle, als deren Gründer 1193 der Archidiakon Diether genannt wird, und die St. Nikolauskapelle.
Uns beschäftigen aber hier nicht diese Gebäude, sondern ihre Verwalter und Bewohner.
Die ältesten Basler Domherren begegnen, gestaltlos und nur genannt, in den Confraternitäten von Reichenau und St. Gallen, sowie in der Gründungsurkunde von St. Alban. 1005 wird ein Dompropst Otim genannt; ein Dompropst Dietrich von Basel erlangte 1046 das Bistum Verdun. Erst im zwölften Jahrhundert wird auch diese Welt für uns zu einer beseelten. In mannigfachen Äußerungen erscheinen jetzt die Domherren als Berater des Bischofs wie als seine Widersacher; sie treten heftig für ihre Stiftsgüter ein; derbe Weltlichkeit und Lebensbehagen sprechen, wie aus allem, so namentlich aus der umfänglichen Speiseordnung, die sie für ihre Festmahlzeiten dem Propste diktieren. Die reichen Zeiten der beiden Heinriche, Lütolds und Bertholds zeigen uns sodann das Domkapitel auf einer glänzenden Höhe. Schon sein Umfang ist beträchtlich; wir besitzen Urkunden, in denen 10, 15, 18, 21 Domkanoniker als Zeugen paradieren. Aus dieser Menge heben sich Einzelne hervor, wie der Arzt Cuno, wie Heinrich von Veseneck, der als Domherr drei Episcopate durchlebte und zwei Jahrzehnte lang Dompropst war. Sodann Dietrich am Ort und Lütold von Röteln; für Jenen dichtete Konrad von Würzburg das gewaltige Epos vom trojanischen Krieg, für Lütold von Röteln die Legende vom hl. Sylvester. Lütold hat dem Domkapitel sieben Jahrzehnte lang angehört; schon 1243 saß er darin als Domherr; er hatte nacheinander mehrere Archidiakonate inne, war auch Propst von Moutier-Grandval, [123] wurde dann Dompropst und starb als solcher, nachdem ihm der Versuch, auch noch Bischof zu werden, mißglückt war, hochbetagt als der Letzte seines Geschlechtes im Jahre 1316. Auch der Domherr Rüdeger von Kienzheim ist der Erwähnung wert; man bewunderte seine Redekunst, seine ausgebreitete Gelehrsamkeit, aber auch seinen Reichtum, der ihm möglich machte, das St. Martinsstift in Colmar, dessen Propst er war, mit einem prachtvollen Stiftshause samt Kreuzgang zu beschenken. Endlich der von Spechbach, der „bei seinen Zeiten wohl und köstlich lebte“, dessen Seele aber nach dem Tode jammernd und von bösen Geistern gepeinigt in seinem Domherrnhause erschien.
In der Regel rekrutierte sich das Domkapitel aus der Ministerialität, sowie überhaupt aus dem Adel dieser Lande; aber auch Grafensöhne saßen darin: Berthold von Pfirt, Heinrich und Otto von Neuenburg, Hermann und Werner von Tierstein, Wilhelm von Toggenburg, Ulrich von Kiburg, Albrecht und Rudolf von Habsburg.
Bei den Domkaplänen ist das Bemerkenswerte ihre Masse. Im Münster selbst bestanden zahlreiche Kaplaneien; zu diesen kamen die Pfründen all der über den Burghügel zerstreuten Gotteshäuser, gesellten sich ferner die mannigfachen Dienste in den Hofhaltungen von Bischof und Domherren. Diesen Schwarm von Klerikern aller Art und Gattung, von Schreibern, Verwaltern, geistlichen Beamten mehrten noch die Scholaren, deren Jeder der hohen Herren zu persönlichen Geschäften und Dienstleistungen um sich hatte. Aus dem ganzen wirren Haufen heben wir nur Einen hervor, den Bruder Hartung, einen Barfüßermönch, der als solcher durch Bischof Heinrich von Isny in diese Kreise gebracht und zur angesehenen Stelle eines bischöflichen Kaplans erhoben wurde; er behielt das Amt auch nach Heinrichs Weggang; seine Bedeutung für uns liegt darin, daß durch ihn jene wichtige Sammlung von Urkunden des Bistums zusammengestellt wurde, die neben anderm das berühmte Bischofsrecht gerettet hat.
Eine Sache für sich und unter allen Instituten dieser eigenartigen Welt auf Burg dasjenige, das dem täglichen und profanen Leben der Unterstadt am nächsten trat, war das geistliche Gericht. Die geistliche Gerichtsbarkeit war ursprünglich allein Sache des Bischofs; vor ihr Forum gehörten alle Klagen gegen Geistliche, auch in Civilsachen, alle Streitigkeiten um kirchlichen Grundbesitz, und die Kirche strebte naturgemäß danach, die Kompetenzen auszudehnen, auch gewisse Verbrechen und weiterhin Civilrechtssachen überhaupt vor sich zu ziehen. Sie trat in Konkurrenz mit dem weltlichen Gerichte; der Kampf hierüber war ein allgemeiner und durch die [124] Jahrhunderte hindurch dauernder. In Basel nun scheint die Entwicklung die gewesen zu sein, daß der Bischof seine Gerichtsbarkeit in der Regel durch Propst und Dekan des Domkapitels ausüben ließ; Aeußerungen hievon sind die von den judices Basilienses erlassenen Urkunden, die um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts begegnen. Erst Heinrich von Isny brachte diesem Zustande gegenüber, bei dem das Recht des Bischofs in Vergeß geraten war, dieses wieder zur Geltung und verständigte sich mit Propst und Dekan, unter Halbteilung der Gerichtsgefälle zwischen ihm und ihnen.
Aber diese Usurpation war nicht die einzige. Noch stärker griff in Rechte des Bischofs der Archidiakon ein. Dieser war ursprünglich der bevorzugte Helfer des Bischofs bei Verwaltung der Diözese, namentlich bei der Sendgerichtsbarkeit für innerkirchliche Angelegenheiten, Kirchenzucht, Amtsvergehen der Geistlichen usw. Daraus bildete sich bei ihm schon frühe, auf Kosten der bischöflichen Jurisdiktion, eine eigene Gerichtsbarkeit aus, im Zusammenhang mit der allgemeinen Aspiration von Macht, mit den Uebergriffen und Anmaßungen, die durchweg die Entwicklung der Archidiakonatsgewalt kennzeichnen. Die heftigen Bewegungen und der Unfriede, die — trotz Spärlichkeit der Quellen unverkennbar — die Geschichte des Basler Bistums im zwölften Jahrhundert erfüllten, sind jedenfalls zum Teil aus diesem Konflikt erwachsen; als ein mächtiger Repräsentant der Archidiakonatswürde in jener Zeit kann uns Diether vom Kornmarkt gelten, der nach dem Münsterbrande von 1185 die St. Maria Magdalenenkapelle erbaute.
Der Gegensatz der beiden Gewalten, den kein Ausgleich beseitigte, findet sich dann seit Mitte des dreizehnten Jahrhunderts vorwiegend in den neben einander amtenden Gerichtshöfen des Bischofs auf der einen, des Archidiacons von Basel (im Gegensatz zu den in den verschiedenen Sprengeln der Diözese regierenden Archidiakonen archidiaconus major genannt) auf der andern Seite. Jede der beiden Curien hatte ihren Official und ihren Stab von Beamten, Notaren, Advokaten, Siegelbewahrern, Bütteln. Diejenige des Archidiakons, der, wie oben erwähnt wurde, auch Archipresbyter hieß, daher sein Official auch der erzpriesterliche heißen konnte, war zuständig nur für die Stadt und deren Umgegend, diejenige des Bischofs dagegen für das ganze Bistum, sodaß sie in der Stadt selbst mit jener konkurrierte. Aber wie diese Gerichtshöfe sich auf beschränktem Gebiete Konkurrenz machten, so traten sie beide dem weltlichen Gerichte des Schultheißen gegenüber. Ihre Überlegenheit in der Rechtskunde, ihre sichere Anwendung der Form gewann stets das Zutrauen der Laien, sowohl für die [125] Entscheidung von Rechtshändeln als für die Notariatsgeschäfte freiwilliger Gerichtsbarkeit. Die Urkunden in eigener Sache, die der Official durch Anfügung seines Siegels beglaubigte, und in weit stärkerem Maße noch die von den Officialen selbst ausgestellten Urkunden zeigen, wie zahlreich und mannigfaltig die Rechtsgeschäfte waren, die vor sie zur Bezeugung gebracht wurden. Der hieraus erwachsende, durch Übergriffe wie durch Verbote stets neu genährte Widerstreit zwischen Stadtgericht und geistlichen Gerichten füllte die Jahrhunderte, bis ihm erst die Reformation ein Ende machte.
Ihren Sitz hatten beide Gerichte auf Burg. Der Archidiakonatsofficial scheint sein Konsistorium in der St. Maria Magdalenakapelle gehabt zu haben, die einst ein Archidiakon erbaut hatte; aber er amtete auch an andern Stellen. Wir finden sein Gericht und dasjenige des bischöflichen Officials auf dem Münsterplatz unter der großen Linde, im Hofe des Domsängers, auf den Stufen vor der Peterskirche, auf dem Leonhardsberg usw.
In allen diesen Einrichtungen, Formen, Rechten erschien das Domstift als eine geschlossene und mächtige Einheit, dem weiten Umfang der Diözese wie der nahen Stadt gegenüber.
Hier war der Punkt, wo das Leben des Bistums seinen Ursprung hatte und seine Richtung empfing. Alljährlich in der Fastenzeit versammelte sich hier die Geistlichkeit zur Synode, und neugierig mochten diese Landpfarrer um sich blicken, die, nachdem sie schon die starken Tore der Stadt dort unten durchschritten, hier oben nochmals durch einen Mauerring eintretend sich in einer merkwürdig umfriedeten Welt fanden, wo die stolzen Ritter- und Priesterhöfe, die geschmückten Kapellen, die Pracht des Münsters ihnen wie Wunder erschienen neben ihrer bäuerlichen Heimat.
Für die Stadt selbst hatten Domstift und Kathedrale eine andere Bedeutung. Eigenartig war schon, daß in diesem Münster, das ursprünglich doch die Pfarrkirche der Stadt gewesen, nunmehr der Klerus kein Seelsorgerecht besaß, auf den Altar- und Chordienst beschränkt war. Er begab sich aber damit des Einflusses auf die Seelen und auch der äußern Vorteile keineswegs. Das Anniversar, das Gräberbuch, die Urkunden des Münsters zeigen uns eine Art Münstergemeinde, die Gesellschaft der ihm und seinen Klerikern besonders zugetanen Gläubigen, die Nachbarn, die Umwohner, die sein Treiben unmittelbar sahen und hörten und über Parochierechte hinweg in Leben und Tod zu ihm hielten. Es waren durchaus nicht nur ritterliche Dienstleute; auch die Burger von der Freienstraße, jenes bunte Gemisch sodann von Notaren, Kunstfertigen und Gelehrten [126] an der Augustinergasse, wie die Bewohner der Ulrichsgasse bis zu den Häusern des Brotmeisters und des Ritters von Kaiserstuhl gehörten zu diesem Kreise.
Zum Greifen nahe war der Stadt die ganze Münsterwelt und doch wie entrückt dem gewöhnlichen Verkehr, wie abgesondert durch ihre Rechte und Freiheiten, durch die Immunität der ganzen Ansiedlung, die Fuhrweinfreiheit, Zollfreiheit, Martinszinsfreiheit der Domherren, die diesen und mit ihnen der ganzen Münsterklerisei zukommende Freiheit von Steuer- und Dienstpflicht, während die andern Stifter und Klöster diese Bürden trugen.
Aber auch hierüber hinaus noch repräsentierte das Domkapitel eine ansehnliche Macht. Seine Funktionen als Ratskollegium des Bischofs, als Wahlbehörde waren erheblich; seine Teilnahme am weltlichen Regiment und damit auch an der Stadtherrschaft verschaffte ihm das Recht, Zwei aus seiner Mitte zu den Kiesern des Rates abzuordnen. Und wie stark steht es da, wenn es als Gegner des Bischofs auftritt, dessen schlechte Wirtschaft rügt, sich der Beeinflussung der Wahlen in das Kapitel erwehrt. Dem entspricht, daß schon frühe eine Teilung der ursprünglich einheitlichen Stiftsgüter zwischen Bischof und Kapitel stattfand. Wir sehen zwei getrennte Vermögensverwaltungen und gelegentlich das Domkapitel sogar als Gläubiger des Bischofs.
Unter den Kapitelgütern nahm aber das zur Dompropstei gehörende den ersten Rang ein, mit einem weitverteilten Reichtum an Ländereien und Rechtsamen ringsum im Stadtbann, in Hüningen und zu Michelfelden, in Bubendorf, Benken, Hagental, Spechbach, Istein usw. In dem stattlichen Hofe des Propsts an der Rittergasse zu Basel, neben der leimenen Stege, die dort zur Marienkapelle hinaufführte, war die Stätte des Gerichtes, an das als letzte Instanz der Rechtszug von den Dinghöfen der genannten Dörfer ging.
Unverkennbar lebt in allen diesen Verhältnissen des Domstifts eine Größe, die kein anderes Stift noch Kloster Basels hat. Wir erinnern uns an den schon einmal betonten Zusammenhang mit den allgemeinen Dingen, der hier waltete. Durch königliche Stiftungen war das Münster ausgezeichnet. Zwar wurde das Andenken Kaiser Heinrichs II. noch nicht gefeiert, aber der Domschatz bewahrte herrliche Gaben dieses Wohltäters, die seinen Namen festhielten. Alljährlich wurde die Jahrzeit feierlich begangen, die einst Kaiser Heinrich III. für sich und seine Gemahlin, für seine Eltern Konrad und Gisela und für den Würzburger Bischof Bruno hier gestiftet hatte. Auch die Namen des [127] Königs Rudolf und der Seinigen zierten das Anniversarienbuch, und im hohen Chor stand das Grabmal, das die Gebeine der Königin Anna und ihrer Söhne Karl und Hartmann barg, in seiner Nähe der Altar mit den zum Seelenheil dieser erlauchten Toten gestifteten Pfründen zweier Priester, der capellani regine.
Den vollkommenen Gegensatz zum Domstift bildet das Kloster St. Alban. Sein Wesen ist Entrücktsein, Abgewendetsein. Es ist entstanden als wahres Anachoretenkloster in Einöde und Wald. Wenn es vielleicht auch eine durch das Andenken alten Martyriums schon geheiligte Stätte wählte und auch Basel selbst nicht ferne lag, so war doch in dieser grauenvollen Zeit des elften Jahrhunderts ein Wohnungsuchen an dieser Stelle gleich einem Wohnungsuchen in der Wildnis. In Einsamkeit sich zu bergen mochte damals Mancher getrieben sein, der Schlimmes erlebt oder getan hatte; vielleicht haben wir an Derartiges zu denken bei jenem Vorfahr des Grafen Adelbert, dem im Jahre 1096 schon gestorbenen Wolfrad, dem frühesten uns genannten Mönche von St. Alban.
Die Anfangszeiten glichen hier völlig denen des Klosters im Eremus. Die Mönche rodeten den Wald, der ihrem Hause zunächst stand; sie bauten das Feld; sie zogen das Wasser der Birs durch einen Kanal in ihre Nähe, legten hier Mühlen an. Um dieses früheste Centrum von Arbeit und geordnetem Leben sammelten sich Anwohner, und bei der klösterlichen Niederlassung entstand ein Dorf und später eine Vorstadt.
Auf solche Weise bildete sich hier außerhalb Basels eine abgeschlossene Welt. Sie trug sofort einen eigenen Charakter und hielt diesen auch später fest. St. Alban war ein Kloster der kleinen Leute. Wir vernehmen wenig von Beziehungen des Adels oder der reichen Burger zu diesem Gotteshause; auch unter den Prioren begegnen uns keine dieser Herren. Eine Folge hievon mag sein, daß in den Urkunden das Kloster verhältnismäßig selten von sich reden macht. Es lebte weniger nach außen, als im Bereich seiner Grundherrschaft, mit seinen Zinsleuten und Hörigen, und was hier vorfiel kam in keine Urkunden. Aber auch seine besondere Organisation kommt hiebei in Betracht. Von Anbeginn war St. Alban der unmittelbaren Leitung des Abtes von Cluny unterstellt. Es war eine Gründung des cluniacensischen Geistes; dieser Zusammenhang gab nicht allein die Regel für Gesinnung und Leben des Klosters, sondern er bewirkte auch ein Abgewendetsein desselben in die Ferne, nach Cluny, von Basel weg. Seine ganze Geschichte offenbart dies. Nicht daß die einzelnen Beziehungen [128] zwischen Kloster und Stadt etwa fehlten; schon seine ausgedehnten Pfarreirechte bewirkten, daß es mit einem großen Teile der Stadtbevölkerung stets in Berührung blieb. Aber sein Wesen selbst stand doch unter Herrschaft eines fremden Geistes, einer fremden Kultur; wenn auch die Mönche einheimisch sein mochten, so finden wir unter den Prioren öfters Ausländer; gleich der erste, Wilhelm, war ein Mönch aus Cluny, und auch Joffrid, Stephan, Symon scheinen Wälsche gewesen zu sein.
St. Alban hatte auffallend wenig Besitzungen in der alten Stadt. Seine Güter lagen vor allen im Lande draußen, zu beiden Seiten des Rheins. Bei seiner Gründung war es durch Bischof Burchard fürstlich ausgestattet worden, und diesem Beispiel waren große Donatoren, wie die Grafen Ulrich von Saugern und Adelbert und der Vitztum Hupold von Basel gefolgt. So besaß das Kloster schon zu Beginn des zwölften Jahrhunderts Güter in Binningen, Oberwil, Pratteln, Gelterkinden, Thürnen, Höllstein, im Sundgau zu Buschweiler, Habsheim, Sierenz, Uffheim, Ranspach usw., im Breisgau zu Rheinweiler, ja im fernen Mett bei Biel; großartiger noch war die lange Reihe von Kirchen, die ihm gehörten, diesseits Rheins in Kembs, Biesheim, Appenweier, überm Rheine in Lörrach, Hauingen, Kandern, jenseits des Jura in Hägendorf, durchweg mit reichem Zubehör an Ländereien und Rechten.
Auch sein Besitz in Kleinbasel geht auf die Schenkung des Gründers Burchard zurück; er bestand in der Kirche St. Theodor und ausgedehntem Territorium; bei Anlaß der Schilderung von Kleinbasel wird hierüber noch zu reden sein.
In der Stadt selbst finden wir nur vereinzelte, den Mönchen von St. Alban zustehende Liegenschaften. Um so überraschender wirkt hier der Umfang ihrer geistlichen Macht.
Bischof Burchard hatte bei der Gründung des Klosters alle seine pfarrlichen Befugnisse in der Stadt Basel „wie sie der Fluß Birsig begrenzt“ auf den Prior übertragen und ihm außerdem die Kirche St. Martin geschenkt. St. Alban erhielt damit die Seelsorge in ganz Basel; nicht allein in seiner eigentlichen und engern St. Albansgemeinde vor dem Tor, sondern im Bezirk der alten Stadt zwischen Birsig und Rhein. Das Verhältnis war ein außerordentliches. Wenn auch die alte Parochie St. Martin dieser Schenkung gegenüber sich zu behaupten vermochte, so lag etwas Befremdliches doch darin, daß die Arbeit an der Gemeinde im Kerne der Stadt, rings um die Kathedrale her, Mönchen anvertraut war, die vor der Stadt hausten und ihren Regenten in Cluny hatten. Wir dürfen freilich annehmen, [129] daß eine geraume Zeit lang, und nachdem der Martinssprengel abgesondert war, nicht sehr viele Häuser und Seelen unter St. Alban zu stehen kamen. Das Domstift mit seinen Pertinenzen war jedenfalls vom Gemeindeverband eximiert, und es ist daran zu erinnern, daß die Stadtmauer in der ersten Zeit wahrscheinlich in der Richtung der heutigen Bäumleingasse lief. So blieb in der Tat kein großes Gebiet mehr. Aber die Stadt wuchs auch nach dieser Seite hin; und die Stadtmauer wurde auf die Linie Wasserturm-Kunostor hinausgeschoben. Im Gebiet der Berechtigung von St. Alban trat infolge hievon keine Änderung ein; aber Bedeutung und Inhalt dieses Rechtes hob sich mächtig durch die Überbauung des nun von den Mauern geschirmten Terrains. Nicht zum Wohlgefallen des Domstifts. Die Inbrunst, mit der einst Burchard so Großes seinem Heiligen dargebracht, wirkte schon lange nicht mehr, und mit Widerwillen sahen zumal die Domkapläne, wie die Geistlichen von St. Alban hier vor ihren Augen im Bereiche des Münsters amteten, die Sakramente spendeten, Einfluß und Anhang hatten, Gebühren erhoben. Daß das Kloster auch in außergewöhnlichen Fällen seine Rechte geltend zu machen verstand, zeigte sich bei der Niederlassung der Barfüßer innerhalb der Stadtmauern 1250, die nur mit seinem Consense geschah. Es verlautete auch, daß St. Alban, um der wachsenden Arbeit besser genügen, den seiner Sorge Befohlenen wirksamer beistehen zu können, den Bau einer Kirche mit Kirchhof innerhalb der Mauern plane. Nun rührten sich die Domkapläne. Sie brachten 1256 den Bischof Berthold dazu, ausdrücklich zu erklären, daß seit unvordenklichen Zeiten die Domgeistlichen befugt seien, den Bewohnern der alten Stadt von Lallos Turm (Fahnengäßchen) aufwärts bis zu den Stadtmauern die Sakramente zu spenden. Ein Schiedsspruch sodann, den der Bischof bestätigte, stimmte hiermit überein, sprach die Gemeinde innerhalb der Mauern dem Kloster ab und teilte sie dem Domkapitel zu. Aber die Mönche von St. Alban fügten sich keineswegs. Sie suchten das Recht, das ihnen in Basel vorenthalten wurde, am apostolischen Stuhle und gelangten hier in der Tat zum Ziel. 1259 wurde in Anagni entschieden, daß die umstrittene Gemeinde dem Kloster zustehe; das Domstift solle keine pfarrlichen Funktionen gegenüber den Gemeindegenossen ausüben; dafür wurde dem Kloster auferlegt, das Patronat von St. Theodor an das Domstift abzutreten.
So hatte St. Alban seine kirchliche Machtstellung behauptet; dem Domstift konnte die Erhebung seiner Ulrichskapelle zur Pfarrkirche, die kurz nachher gelang, ein Trost für die Niederlage sein. Aber einige Jahre [130] später hatte St. Alban sein Recht neuerdings zu wahren, als die Deutschordensherren sich in seiner innern Gemeinde festsetzten.
Völlig frei dagegen von aller Nachbarschaft und daher auch frei von Feindschaft und Eingriffen bewegten sich die Mönche in der äußern Gemeinde, die das ganze Stiftungsgut zwischen Stadtmauer und Birs umfaßte. Der Leutpriester von St. Alban, dem der Prior die Versehung des Pfarramtes übertrug, wird zum ersten Male 1192 genannt; er wurde aus der Zahl der Mönche genommen.
Centrum alles Lebens von St. Alban waren Kloster und Kirche. Aus zwölf Mönchen sollte der Konvent bestehen, mit Einrechnung des Priors. Aber diese Zahl wurde selten eingehalten. 1269 fanden die Visitatoren dreizehn Mönche vor, 1275 und 1276 nur fünf. 1289 lebten im Kloster neben den Mönchen noch zwei Konversbrüder und eine Begine. Auch im übrigen fand sich bald die bald jene Verletzung der Regel: Fleischessen zur Unzeit, Schwatzen, Tragen leinener Hemden, Mangel der Weihen u. s. f. Pflicht der Brüder war, dreimal im Tag die Messe zu feiern.
Noch ist vom Klosterbau ein dürftiger Rest erhalten, in einem Stück des Kreuzgangs. Vom Aussehen der Kirche wissen wir nichts. Wollen wir sie uns vergegenwärtigen, so dürfen wir annehmen, sie sei den gleichfalls cluniacensischen Kirchen von Payerne, Grandson, Romainmotier ähnlich gewesen. 1269 wurde an ihr gebaut, 1299 wiederum; aus dem letzten Jahre wird berichtet, daß der Chor noch nicht vollendet sei.
Um den von einer Mauer umzogenen Bifang der Kirche, des Klosters und ihrer Nebengebäude drängte sich die weltliche Ansiedelung. Vor allem die Mühlen sind hier zu nennen, die ihr den besondern Charakter gaben; sie waren eine Grundlage für das wirtschaftliche Gedeihen des Klosters. Das Zinsbuch von 1284 kennt ihrer eine ganze Reihe; die eine Gruppe lag in der Nähe der Klostergebäude, weiter oben am Teich die andere, die auch Sägen enthielt. Noch älter als die Müller vielleicht waren die Fischer. Im tiefen Mühlenrevier und oberhalb des Klosters am Berge fanden sich andere notwendige Gewerbe, Schmiede, eine Weberin, Schneider usw. Auch das Spital, das die Mönche betrieben, stand hier oben. Der Klosterbäcker wird genannt, der Förster des Klosters, der Hirt, der Bannwart, der Amtmann, der Sigrist. Das Kleinleben eines Dorfes oder Landstädtchens im Klosterschatten liegt vor uns. Eines der Häuslein war dem alten Pfarrer von Kembs eingeräumt, seine Tage darin zu beschließen. Noch trug ein Haus den erlauchten Namen des Bischofs Burchard. Ein Schüler Berthold, die von Brüglingen, die Nonnen des Schöntals besaßen Häuser. Burchard [131] von Liesberg, die Brüder Burchard und Cuno von Corchapois waren Jurassier, die jedenfalls mit der Birsflösserei herabgekommen und hier sitzen geblieben waren. Gärten, Scheunen, Ställe fanden sich zwischen den Wohnungen zerstreut; auch ein Sodbrunnen wird genannt.
Alles das stand auf Grund und Boden des Klosters. Jede Mühle und jedes Haus zahlte den Mönchen zu Fastnacht ein Huhn und zur Zeit der Heuernte einen Heuer. Diese Vorschrift mochte die gebundenen Verhältnisse der ersten Ansiedelungszeit wiederspiegeln; aber die Ansiedelung wuchs, nicht nur an Umfang, sondern auch an Art und Inhalt. Sie entwickelte sich in den verschiedensten Formen. Schon eine frühe Anordnung aus Cluny redet von der Menge der Bewohner dieses Dorfes, sodaß die Spende beim Kloster nur einmal in der Woche gegeben werden könne. Aber durchaus nicht alle Anwohner waren auf solche Spende angewiesen, und auch durchaus nicht Alle waren Unfreie. Auch innerhalb der Grundherrschaft konnten Freie leben, unter der Gerichtsherrschaft des Grundherrn stehen, mit herrschaftlichem Gute beliehen sein.
Mit der Ausbreitung der Wohnungen, der Mehrung von Menschen und Gut hatte sich das Bedürfnis eines Schutzes ergeben. Schon früh werden Kloster und Mühlen zusammen eine Ummauerung erhalten haben; später, wohl vor 1284, wurde zur rechten Seite der von Kunos Tor hinausführenden Straße die Mauer aufgeführt, die auch die Ansiedelungen „auf dem Berge“ schirmte. Sie verband den äußeren Bezirk mit der Stadtmauer; wo sie zusammentrafen, bei der heutigen Einmündung der Malzgasse, stand das Friedentor. Auch ein Turm bei den Mühlen wird genannt, ein Steinbogen und ein oberer Steinbogen, ein Torwartshaus.
An dieses Dorf, diese Vorstadt schloß sich nun die weite Grundherrschaft von St. Alban. Was zwischen der Stadtmauer und der Birs, sowie der von der Stadt nach St. Jakob hinausführenden Straße und dem Rheine gelegen war, gehörte in der Hauptsache dem Kloster. Auch der Lauf der Birs unterhalb St. Jakob war ein Teil dieser Herrschaft; noch 1301 anerkannte dies Graf Hermann von Honberg ausdrücklich; nur St. Alban hatte das Recht, in dieser Flußstrecke zu fischen und zu wuhren. Dies schöne Gebiet war der Kern der burchardischen Schenkung gewesen, seine Nutzung war der die Mönche am nächsten berührende Teil der ganzen Klosterwirtschaft. Von der Hardwaldung, die große Strecken dieses Gebietes überzog, wurde schon geredet, ebenso von der Ausleihung dieses Waldgebietes, von der allmählichen Rodung. Wie ferne dem gewöhnlichen Verkehr und den Wohnungen dieses Gebiet aber war, zeigt deutlich der Galgenstreit [132] des Klosters mit Johann von Arguel. Ursprünglich hatte sich der städtische Galgen vor Spalen auf dem Lysbühl befunden, war aber, als die dortige Gegend bewohnt zu werden begann, vom mächtigsten Grundeigentümer dieser Gegend, dem von Arguel, beseitigt und draußen im Gebiet von St. Alban aufgerichtet worden, wo er Niemanden störte als die Mönche.
Wir haben noch die Rechtsverhältnisse der Grundherrschaft von St. Alban zu beachten; sie sind deutlich erkennbar.
Zunächst waltet im innersten Bezirke, der Kirche, Kirchhof und Kloster umschließt und dem Namen des Allerhöchsten geweiht ist, der besondere Friede der Heiligkeit. Wer diesen Frieden bricht, den trifft Exkommunikation und das Gericht Gottes.
Größer ist das Gebiet der Immunität. Als solches stellt sich der ganze Bereich der Grundherrschaft zwischen Stadtmauer und Birs dar. Richter hier ist allein der Prior des Klosters. Bischof Burchard hat ihm diese Gerichtsbarkeit zugeteilt und dadurch, wie er sagt, alles Handeln und Amtieren weltlicher Personen, alles Geräusch der Welt aus diesem Gebiete weggewiesen, damit die Mönche in voller Freiheit einzig Gott zu dienen vermögen. Nur die hohe Gerichtsbarkeit hat der Bischof dem Kloster nicht gegeben, sondern sich reserviert.
Doch kommt diese Immunität nicht nur im Fernhalten des weltlichen Gerichts zum Ausdruck; auch andere öffentliche Gewalten und Lasten sind ausgeschlossen. Wer in dem Gebiet von St. Alban wohnt, ist von Heerespflicht und sonstigen Diensten der Stadt noch im dreizehnten Jahrhundert frei. Bischof, Bürgermeister und Rat mögen, wenn sie ein Aufgebot erlassen, auch den Prior von St. Alban um Zuzug bitten, aber er kann nach freiem Willen Leute ziehen lassen oder die Bitte versagen.
Die Gerichtsbarkeit, die dem Kloster zustand, wurde von ihm geübt nicht durch den Prior persönlich, sondern durch dessen Schultheiß; als Richter saßen die Müller. Gerichtsort war der Platz unter der Linde vor der Kirche, bei Regenwetter der Kreuzgang.
Die Handhabung der hohen Gerichtsbarkeit zu St. Alban war durch Bischof Burchard lediglich seinen Beamten, d. h. wohl in erster Linie dem Vogt seiner Kirche, zugewiesen worden. Ein Weistum des dreizehnten Jahrhunderts bezeichnet dies Verhältnis etwas näher. Bei blutiger Tat innerhalb der Grundherrschaft des Klosters ladet der Prior den Schuldigen vor, zugleich entbietet er den bischöflichen Schultheiß. Dann sitzt er mit diesem zusammen unter der Linde zu Gericht. Von Bußen erhält der Prior 2/3, [133] der Schultheiß 1/3. Aber geht es an blutige Strafe, so steht der Prior auf und läßt einen Stellvertreter neben dem Schultheiß sitzen. Es ist etwas dem Verfahren beim bischöflichen Vogtsgericht durchaus Analoges; statt des Bischofs der Prior, statt des Vogtes der Schultheiß.
Aber wir sehen, daß von dritter Seite Eingriffe in diese Gerichtsbarkeit zu St. Alban stattfanden. Burchard hatte 1103 dem von ihm gestifteten und ausgestatteten Kloster Vögte gegeben, für die linksrheinischen Besitzungen den Grafen Rudolf von Honberg, für die rechtsrheinischen den Herrn Dietrich von Röteln. Ausdrücklich nur als Schirmvögte, tuitionis virtute, zur Verteidigung von Leuten und Gütern des Klosters. Von irgend welcher Gerichtsgewalt der Vögte kein Wort. Die eine dieser Schirmvogteien scheint sich im Honbergischen Hause weitergeerbt zu haben, auch dann noch, als dieses die Vogtei des Bistums schon eingebüßt hatte; und auch bei ihr zeigt sich die Entwicklung der Vogtei zu Mißbrauch und Uebergriff. Der Honberger Graf Werner beanspruchte Kraft seiner Schirmvogtei eine Gerichtsbarkeit zu St. Alban. Das Kloster widersetzte sich; es kam zu einem Schiedsverfahren, und Bischof Heinrich bestätigte 1221 den Spruch, durch den auf Grund des burchardischen Privilegs dem Grafen alle Gerichtsbarkeit aberkannt und für die Zukunft Ruhe geboten wurde. Es ist aber fraglich, ob sich der Graf völlig gefügt habe; in der Gerichtsbarkeit wenigstens, die später durch die Herren von Biedertal und die Herzoge von Oesterreich zu St. Alban geübt wurde, wenn auch in sehr kümmerlicher Weise, scheint eine Usurpation der Honberger weiterzuleben.
Auf die Spärlichkeit der Ueberlieferung bei St. Alban ist nochmals hinzuweisen. Wir vermögen beinahe nur die allgemeinen Zustände zu erkennen, und da wir eine Mönchswelt vor uns haben, macht sich insbesondere das persönliche Element kaum geltend. Immerhin zeichnen sich in der Reihe der Prioren einige wenige Figuren aus: Heinrich, der um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Prior war und neben St. Alban auch die Priorate von St. Viktor in Genf und des Portes bei Belley innehatte; seinen Wert erweisen überdies der Sieg, den er im Parochiestreit über die Domkapläne errang, und seine Erhebung zum Bischof von Genf 1260. Sodann Stephan, unter dessen Regierung (1270er und 1280er Jahre) so überraschend viel von Kauf, Leihe und Verwaltung der Klostergüter die Rede ist, daß dies nur als Folge seiner persönlichen Energie und Rührigkeit betrachtet werden kann; die Ergänzung hiezu sind aber die Rügen der Visitatoren, daß zur selben Zeit die Mönche Mangel leiden und Stephan sie auch nicht mit genügendem Ernste zur Erlangung der Weihen anhalte.
[134] Wie St. Alban war auch St. Leonhard die Schöpfung eines reformatorischen Geistes.
Diese Schöpfung ruhte zunächst auf der Initiative eines reichen Klerikers, dessen Persönlichkeit freilich wie eine halbmythische vor uns steht, des Diakons Ezelin. Dieser bewog den Bischof Rudolf dazu, eine vor der Stadt gelegene Berghöhe, die Allmendland war, „der Freiheit zu schenken“, d. h. mit der Heiligkeit und dem Frieden eines kirchlichen Ortes zu begaben; er baute dann hier die Kirche, die 1118 durch Rudolf in der Ehre der heiligen Bartholomäus und Leonhard geweiht wurde. Art und Verfassung dieser Kirche kennen wir nicht, dürfen aber vermuten, daß schon bei ihr eine Kongregation von Geistlichen sich befand. Sie empfing ansehnliche Schenkungen: von Bischof Rudolf selbst den Berg, sowie einen gegen 140 Jucharten großen Landkomplex gegen Allschwil, von Bischof Berthold Pastorat und Zehntquart in Stetten. Als ihr Prokurator wird ein Eppo genannt, und von diesem ging nun die zweite Anregung aus: das Gotteshaus der Augustinerregel zu unterstellen. Bischof Adelbero vollzog dies; Mönche aus Marbach sollen die Regel hier eingeführt haben. 1135 gab Adelbero dem neuen Stift Statuten, Papst Innocenz erteilte 1139 seine Bestätigung. Adelbero begabte das Stift auch mit dem nahegelegenen Walde. So entstand fünfzig Jahre nach St. Alban das zweite Kloster in Basel. Auch dieses, indem man sich einer neuen Auffassung zuwendete, einem neuen, strengeren, geläuterten Leben eine Statt bereiten wollte.
Wie St. Alban war auch St. Leonhard eine Gründung vor den Mauern, ein Erstes in bisher unbebautem und unbewohntem Gebiet. Aber schon die Teilnahme alles Volkes bei der Widmung der Allmend und dann wieder der Wille alles Volkes bei der Einführung der Regel gibt der neuen Stiftung ihre Eigenart. Sie ist nicht abgelegen und wendet sich nicht ab wie St. Alban, sie wurzelt im Volke, ist von Anbeginn etwas Populäres.
Zahlreiche Urkunden und ein im Jahre 1290 sorgsamst angelegtes Zinsbuch sind die Quellen für Geschichte des Leonhardsgutes.
An die Kirche angeschlossen, zog sich ihr städtisches Grundeigentum in dichtgedrängter und dem Anschein nach ziemlich geschlossener Masse über die Hänge des Leonhardsberges; die Grenzen waren in der Hauptsache gegen außen die Mauern, gegen innen Spalenberg und Gerbergasse. Das Gebiet ist dadurch gekennzeichnet, daß von allen Häusern, die auf Grund und Boden des Stiftes standen, diesem ein Schnitter gestellt werden mußte. Wie der Achtschnitter des Bischofs ist dies ein grundherrliches Recht, das der Bischof usurpierender Weise in seine Stadtherrschaft aufgenommen zu haben [135] scheint, das aber hier bei St. Leonhard, wie auch bei St. Alban, diesen Charakter unverkennbar trägt. In der Zeit unsrer Urkunden wird es sich dabei kaum mehr um die Leistung in natura gehandelt haben, sondern um die Zahlung eines entsprechenden Betrages. Der Name jedoch, der von der Lieferung des Schnitters zur Zeit der Ernte auf das grundherrliche Ackerland redet, bezeugt frühere landwirtschaftliche Zustände, und ein Hinweis auf den alten Umfang des Leonhardslandes liegt auch darin, daß der Schnitter noch spät nicht nur von den städtisch überbauten Liegenschaften, sondern auch von Parzellen im Gartengebiet auf dem Kohlenberg, außerhalb der Mauern, zu entrichten war.
Schon früh zeigen sich die auswärtigen Besitzungen des Stifts. Das früheste genannte Gut ist das im elsässischen Stetten; mit der Zeit fügte sich hieran ein ansehnlicher und wichtiger Besitz weit herum im Sundgau, in Neuweiler, Hagental, Wenzweiler, Müsbach, Knöringen, Michelbach bis hinab nach Dietweiler und Galfingen, ja selbst in Sulz noch war St. Leonhard begütert. Eine zweite Gruppe bildeten die Berechtigungen in Muttenz, Reinach, Pfäffingen, Wintersingen. Rechts vom Rheine aber scheint das Stift noch gar nichts besessen zu haben.
Eine Bereicherung eigener Art sodann war die Erwerbung des Klösterleins Kleinlützel. In früherer Zeit war dies eine Niederlassung von Cistercienserinnen gewesen; Graf Rudolf von Tierstein hatte dann das Haus unter die Regel St. Augustins gestellt und Marbacher Mönche dahin berufen. Aber die Verhältnisse waren dürftige und wurden immer kümmerlicher. Es fehlte an Allem; neue Mönche traten gar nicht mehr ein. Um daher das Kloster der Augustinerregel zu erhalten, vollzog Bischof Heinrich 1264 seine Vereinigung mit dem Leonhardsstift zu Basel; keine Unterscheidung sollte fortan zwischen Chorherren hier und dort gemacht werden, der Propst von St. Leonhard zugleich Prälat von Kleinlützel sein.
In der Reihe der Basler Gotteshäuser nehmen St. Leonhard und sein Gut eine besondere Stellung ein. Das Stift war viel weniger emanzipiert als St. Alban, zumal dem Bischof gegenüber, der bei diesem sozusageu Alles aus der Hand gegeben hatte. Dem Stift St. Peter aber war St. Leonhard überlegen durch höheres Alter und dann wieder in anderer Weise von ihm unterschieden dadurch, daß sein Gebiet ein jüngerer Stadtteil war als derjenige, bei dem St. Peter entstand. Zu Beginn des zwölften Jahrhunderts war dieses Gebiet von St. Leonhard noch unstädtisch, Allmend vor der Mauer. Seine Ummauerung wird zuerst im Jahre 1206 bezeugt. Aber erst geraume Zeit nachher, und dann zunächst noch recht langsam, [136] stellen sich die Urkunden ein, belehren uns über die Geschichte der Hofstätten, über die Rechte des Stiftes. Eine spätere Formation steht in ihnen vor uns, das alte Eigenartige ist schon verwischt.
Zu diesem nicht mehr deutlich Erkennbaren gehört auch das Propstgericht von St. Leonhard. Es ist nur sehr ungenügend bezeugt. Kein Weistum hat sich erhalten, wie bei St. Alban; auch nicht wie dort zeigt sich später ein klares Ende durch Abtretung einer Gerichtsbarkeit an die Stadt. Es handelt sich offenbar um ein reines Privatgericht. Nur zweimal findet es Erwähnung: 1252 wird ein Streit des Klosters Olsberg mit dem Schneider Albert über eine Hofstatt, die dem Stifte gehört, vor den Propst zur richterlichen Entscheidung gebracht; 1270 präsidiert der Propst dem Gerichte, redet von dessen Uebung, spricht Recht und adjudiziert ein Haus nach dem Urteil der jurati seiner Kirche. Wer sind diese jurati? Grundherrliche Hofgeschworene? oder Gemeindevertreter, die bei Verwaltung kirchlichen Besitzes mitwirkten?
Von der sozialen Eigenart St. Leonhards war schon zu reden Anlaß. Eine Bevölkerungsschicht wurde erwähnt, die als Leonhardsgesellschaft gelten kann. Es wird auf das dort Gesagte verwiesen und hier nur eine Familie kurz namhaft gemacht, die sich in dieser Plebs deutlich abzeichnet. Es ist die Familie der Färber, ihr Stammvater der Lombarde Albertlinus, der im Färbereigewerbe reich wurde, das Basler Bürgerrecht erwarb und unter den großen Wohltätern von St. Leonhard stand. Seine Söhne Nikolaus und Bertschi wurden hier Chorherren; auch ein Konrad Färber erscheint im Konvent; die ganze, gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts breit auswachsende Familie ist ausschließlich in dieser Welt von St. Leonhard heimisch, wohnt an der Gerbergasse, giebt Zeugen zu den Urkunden des Stifts. Wie diese Lombarden gehörte auch die ganze Judenschaft in den Bereich von St. Leonhard.
Wie aber stand es nun mit der wichtigsten Betätigung des Stiftes, mit demjenigen Geistigen, um des willen eigentlich es geschaffen worden war und lebte? Es ist Folge der Dürftigkeit unseres Quellenbestandes, daß wir auch bei St. Leonhard Ausführliches und Zusammenhängendes nur über die Gutsverwaltung erfahren. Anniversarienbuch, Statuten usw. fehlen völlig. Das innere Leben des Stifts bleibt uns verschlossen.
Die Zahl der Chorherren scheint keine fest bestimmte gewesen zu sein. Nur einmal begegnet uns die apostolische Zwölfzahl, sonst ist die Anzahl der Brüder stets kleiner, um sieben bis zehn schwankend. Der Vorsteher des Stiftes ist der Propst; seine Wahl wird schon im Statut von 1135 [137] den Brüdern zugewiesen. Aber neben ihm bestehen noch andere Aemter, die aus der Reihe der Brüder besetzt werden: der Custos, der Cellerar und Prokurator, der Pleban, der Scholastikus. Die Gesamtheit heißt Konvent, in späterer Zeit vorzugsweise Kapitel. Kurze, vereinzelte Erwähnungen zeigen, wie hier gelegentlich, sei es durch den Bischof, sei es durch das Kapitel selbst, vorkommende Anordnungen gestraft wurden.
Daß diese ganze Welt sich aus niederen Schichten rekrutierte, zeigen die Chorherrenlisten deutlich. Es hindert dies, das Kloster in uns bekannte Beziehungen einzugliedern; aber auch abgesehen hievon waltet ein Gefühl von Leerheit und Dürftigkeit. Nichts von dem Greifbaren und breit Lebendigen, das wir bei den Domherren finden; nichts hinwieder von dem idealen Unpersönlichen eines Minoritenkonvents, wo der Einzelne hinter der Idee vergeht, für die er lebt und Mönch geworden ist. Eine gewisse Deutlichkeit der Erscheinung haben sich nur zwei Leonhardsleute zu verschaffen vermocht: Heinrich von Weißenburg, der von 1279 bis 1294 die Probstwürde inne hatte und an dieser Stelle Vieles für den Bau des Klosters tat, und sein Nachfolger Martin. Dieser begann seine Laufbahn als Kleriker und Gutsverwalter der Familie zur Sonnen, trat ins Leonhardsstift, ward hier Administrator, dann Propst, und brachte es schließlich bis zum Vikar des Bischofs Peter; seine Tüchtigkeit für Alles, was Geschäft und Verwaltung heißt, zeigt sich überall; das Cartular und das Zinsbuch von St. Leonhard sind sein Werk.
Bei solcher Lage der Dinge beachten wir um so eifriger alle Spuren höherer Tätigkeit. Zu erinnern ist an die Versuche von Annalistik, die damals im Leonhardskloster gemacht wurden; an anderer Stelle giebt der Titel des Cartulars von 1295, der alle Regenten der Zeit aufzählt, in seinen Bemerkungen über den wundersamen Einsiedlerpapst Cölestin und sein Beiseiteschieben durch Bonifaz VIII. ein kleines Zeugnis davon, wie hinter diesen Klostermauern die allgemeinen Geschicke der Welt beachtet und erwogen wurden. An die Schule des Stifts ist hier nur zu erinnern; ebenso an sein Spital. In beiden lag eine Tätigkeit für die Außenwelt. Aber das Normale und zugleich das Erste und Hauptsächliche solcher Tätigkeit war die Pfarrei.
Eine Anerkennung des Stiftes St. Leonhard als Pfarrkirche geschah schon 1135 durch Bischof Adelbero damit, daß ihm Sepulturrecht und Kirchhof zugesprochen wurden, welches Recht 1139 die ausdrückliche Bestätigung des Papstes erhielt. Erst später, als die Bevölkerung des Pfarrgebietes zugenommen hatte, gewährte Bischof Lütold 1205 dem Stift auch [138] die Befugnis zur Sakramentsverwaltung und Seelsorge. Diese lag zunächst jedenfalls in der Hand des Propstes als Vorstehers des Stiftes, als sein Stellvertreter hiebei mochte der Custos funktionieren; seit 1291 sodann begegnet uns ein für diese Obliegenheiten besonders bestellter Pfarrer, plebanus. Auch der Begriff des Pfarrsprengels hat sich in solcher Weise erst allmählich entwickelt. Ein Bedürfnis zu genauer Umschreibung lag noch gar nicht vor, solange die Besiedelung eine lichte war; aber mit der Zeit ergaben sich Schwierigkeiten. Nicht mit St. Alban, dessen Sprengel die feste Grenze des Birsigs besaß, wohl aber mit St. Peter, an dessen Kirche sich gleichfalls eine Gemeinde angeschlossen hatte. Die beiden Kirchen spendeten allenthalben und durcheinander die Sakramente; der Zustand war anstößig und den Kirchen selbst wie den Gläubigen nachteilig. So griff denn der überall fördernde und Klarheit schaffende Bischof Heinrich von Thun auch hier ein; am 14. September 1230 zog er zwischen den Parochieen St. Leonhard und St. Peter eine feste Grenzlinie. Alle Häuser in der Spalengasse (Spalenberg) auf der Seite gegen St. Peter vom Tor (Schwibogen) an bis zu den obern Schalen, und ebenso vor dem Tore, ferner die Sattelgasse bis zu dem Bächlein gegen den Kornmarkt hin, sowie alles was unterhalb d. h. rheinwärts von dieser Linie liegt, sollen zu St. Peter gehören, alle Häuser oberhalb dieser Linie aber zu St. Leonhard. Diese Grenzbestimmung hat von da an Geltung gehabt und durch die Jahrhunderte bewahrt; mit Dankbarkeit feierte St. Leonhard in seinem Anniversarienbuch den Bischof Heinrich als Schöpfer der Parochie.
Endlich der Bau. Die Größe und Mächtigkeit der Anlage geht über das Klosterbedürfnis weit hinaus, deutet auf etwas Schloßartiges. So vermögen wir in der Tat die alte Tradition vom Schlosse Wildeck im Leimental, das hier gestanden haben soll, nicht ganz zu verwerfen. Es ist zu beachten, daß, wenn der Berg völlig unbebaut gewesen wäre, der Erbauer der Kirche diese über den Abhang, an den dominierenden Punkt gestellt hätte; an diesem Punkte stand wahrscheinlich die Burg, die dann zum Stiftshause gemacht wurde.
Wir wissen nichts Bestimmtes von diesem Bau. Nur eine romanische Krypta unter dem heutigen Chor darf als Zeuge des alten Zustandes gelten und als Beweis, daß die Kirche schon damals an dieser Stelle stand. Eine Reihe romanischer Architekturstücke und Skulpturen haben sich überdies als Trümmer gefunden und ermöglichen einen Schluß auf ansehnliche Baulichkeiten, ohne aber im Einzelnen Aufschluß zu geben. Auch die Urkunden reden nur von allerhand Detail; sie nennen Altäre der Kirche, [139] auch die Krypta nennen sie, den Kreuzgang und den Kirchhof, sowie im Stiftshause Stube, Refektorium, Kapitelsaal, Laube u. s. w. Einzig aus der Zeit des Propstes Heinrich von Weißenburg (1279—1294) wird zusammenhängender berichtet über Erweiterung der Kirche, Anlegung eines Kirchhofs für die Chorherren, Bau des Kapitelsaals, Aufführung von Stützmauern am Fuße des Berges, Herrichtung von Chorschranken und Altären in der Kirche. Es handelt sich offenbar um eine eingreifende Umgestaltung der Kirche, und daß diese Arbeiten auch unter Propst Martin noch andauerten, ist wohl aus der Häufigkeit der Ablässe zu schließen, die in den 1290er Jahren zu Gunsten der Leonhardskirche verheißen wurden.
Der Laienkirchhof lag vor der Kirche, der Stadt zugewendet; auf ihm stand die St. Oswaldskapelle. Diese Kapelle, 1248 zum ersten Mal genannt, bildete für das Stift eine nützliche Filiale. Sie war an dem der Stadt zugewendeten Eingang des innern Kirchengebietes gelegen, und die Stiftsherren konnten auf dem Platze vor der Kapellentüre allerhand Geschäfte mit dem Publikum erledigen; das Propstgericht saß hier, Häuserleihen fanden hier statt, Spenden wurden hier ausgeteilt. St. Oswald scheint ein ansehnlicher Bau gewesen zu sein; er hatte Ober- und Unterkirche; die Lieferung der Ziegel für das Dach ruhte als Last auf einem der Zinshäuser des Stifts.
An diese St. Oswaldskapelle knüpft sich ein lebendiger Handel. Johann Teufel, ein begüterter Bürger aus der Leonhardsgesellschaft, hatte dem Stifte sich und sein ganzes Gut verschrieben, wurde dann aber reuig und erklärte, weltlich bleiben zu wollen. Die Chorherren machten ihr Recht an ihn geltend. Bischof Heinrich mußte schlichten und brachte es dazu, daß Teufel sich mit einer großen Vergabung loskaufen konnte, 1277; er widmete, nicht sofort zwar, sondern auf den Zeitpunkt seines Todes, dem Stift mehrere Häuser zur Stiftung einer Pfründe in der Krypta von St. Oswald. Damit unanfechtbar weltlich geworden, heiratete er, zeugte einen Sohn, und nun schien das Stift in seinem Interesse neuerdings gefährdet. Es bewog daher die höchste Instanz, den Papst, im Jahre 1290 dazu, die Vergabung des Teufel fest und unlöslich zu machen. Aber Johann Teufel starb noch nicht. Vielmehr benützte er eine gute Gelegenheit zur Spekulation in Korn, kaufte billig ein und gewann binnen Jahresfrist durch Verkauf das Zehnfache. Auf dieses hin scheint sich das Stift neuerdings seiner bemächtigt zu haben. Es wird überliefert, daß er aus dem Spekulationsgewinn die St. Oswaldskapelle neu habe bauen lassen, was im Zusammenhang mit den Bauten des Propstes Heinrich allerdings [140] denkbar ist. Aber die Stiftsherren hielten ihn auch dann noch fest, und als er nach kurzem gestorben war, machten sie geltend, daß er auf dem Todbette noch das Mönchskleid angelegt und sich und seinen gesamten Nachlaß dem Stift übergeben habe. Der Sohn und Erbe, das junge „Teufelein“, erhob Einsprache; der Streit kam vor Schiedsmänner, und diese urteilten 1294, daß der junge Teufel durch das Stift mit einer Zahlung von zwanzig Mark abzufinden sei, der Nachlaß des Alten aber an St. Leonhard fallen solle.
Von St. Alban und St. Leonhard führt uns der Weg nach St. Peter wieder zurück in die größeren und freieren Formen, denen wir zuerst beim Domstift begegneten. Wir betreten da zugleich auch den Boden der Anfänge Basels.
Es wurde schon gesagt, wo er zu finden sei. Es ist das unterste Birsigtal und die aus diesem gegen Westen ansteigende Berglehne. Den frühesten Ansiedlern folgten hier und wuchsen die Geschlechter, die als Kern der Bürgerschaft, als Träger bürgerlicher Tätigkeit und des innersten städtischen Wesens zu gelten haben. Vermutungen über die frühesten kirchlichen Zustände dieses Stadtteiles sind oben, bei Anlaß der Martinsgemeinde, geäußert worden. Ein neuer, klar bezeugter Zeitraum knüpft sich an die Gotteshäuser St. Peter und St. Andreas.
St. Peter hat als einfache Pfarrkirche begonnen. Die Besiedelung des Abhangs, die in diesem Stadtteil früher stattfand als bei St. Leonhard, machte die Pfarrei zum Bedürfnis. Wir wissen nicht, wie sie entstand. Aber wir dürfen eine unmittelbare Einwirkung des Domstifts dabei annehmen; denn das Patronat der Kirche stand dem Dompropste zu, und bei der Erhebung zum Kollegiatstift war ihr Pfarrer der Domdekan. Auch hing der Bau der Kirche an dieser Stelle, am äußersten Rande des Plateaus, wo sie ihre Gemeinde auch äußerlich beherrschte und den alten St. Martin von gleicher Höhe über das Tal hin grüßte, wohl damit zusammen, daß das Domstift hier Grundbesitz hatte. Reste dieses Besitzes begegnen noch später im domstiftischen Schürhof bei St. Peter.
Zuerst genannt wird ein Leutpriester von St. Peter im Jahre 1200, er hieß Konrad. 1219 begegnet er nochmals, in einem Sprengelstreit mit den Johannitern, von dem später zu reden sein wird.
Auf diesen Konrad folgte ein Pfarrer gleichen Namens, der zur selben Zeit das Dekanat am Domstift inne hatte; unter ihm geschah die Grenzscheidung zwischen den Parochieen St. Peter und St. Leonhard 1230. [141] Vielleicht lag diesem Akt seine Initiative so gut zu Grunde, wie dann der Erhebung der Kirche zum Stift.
Es war die Zeit Heinrichs von Thun, die kräftige schöpferische Periode. Die Bevölkerung wuchs, die Arbeit des Pfarrers mehrte sich. Und wir haben uns klar zu machen, daß der Pfarrer schwerlich der einzige Geistliche einer solchen Gemeinde war. Eine kleine Zahl von Klerikern war unter ihm für die Parochie tätig, und von diesem Zustande aus bedurfte es keines großen Schrittes mehr, um die Pfarrkirche in eine kanonisch geordnete Kollegiatkirche umzuwandeln. Der Zweck, zu dem dieser Schritt geschah, war die Verherrlichung des Gottesdienstes. Die Zahl der an dieser Kirche Gott Dienenden sollte gemehrt, ihr Wesen geregelt, dem Kultus dadurch erhöhter Glanz gegeben werden. Es konnte dies hier um so eher geschehen, als das Kirchenvermögen, jedenfalls infolge von Zuwendungen aus der begüterten Gemeinde, so stark angewachsen war, daß es zum Unterhalt eines Kollegiums von Kanonikern ausreichte.
So geschah denn diese Erhebung der Pfarrkirche zum Stift in der Zeit zwischen September 1230 und Januar 1233, auf Betreiben namentlich des Leutpriesters Konrad, der in den gewohnten Räumen gerne einen prunkvolleren Gottesdienst mochte einziehen sehen. Sein Andenken als des iniciator collegii, Schöpfers des Stiftes, wurde noch lange gefeiert.
Im Januar 1233 zum ersten Mal werden Propst und Chorherren von St. Peter genannt; am 15. August gleichen Jahres gab ihnen Bischof Heinrich eine Ordnung, die auf das Absterben des alten Pfarrers Konrad in Kraft treten sollte. Im April 1236 war dies geschehen, sodaß Papst Gregor die neue Stiftung bestätigen konnte.
Das Statut Heinrichs besagte, daß die St. Peterskirche dem Kollegium dienen und gehören solle. Die Leutpriesterstelle wurde aufgehoben und die Seelsorge dem Custos des Stifts übertragen, der auch im übrigen alle Befugnisse des frühern Leutpriesters erhielt. Seine Wahl sollte wie bisher die des Pfarrers dem Dompropste zustehen, die Wahl des Propstes und die Annahme neuer Chorherren dem Kapitel von St. Peter selbst.
In solcher Weise erhielt das Kirchenleben Basels eine eigenartige Bereicherung. Sie ist denkwürdig schon deswegen, weil sie Bestand und Formen bis ins neunzehnte Jahrhundert bewahrt hat. Für die Beurteilung ihres Wesens aber kommt in Betracht, daß das kollegiale Leben, das beim Domstift durch die Beteiligung an Regierungsgeschäften eine höhere Bedeutung erhielt, hier allein für Chordienst und Gottesdienst bestand. Eine Gemeinsamkeit waltete, die doch dem Einzelnen die Freiheit lässiger Bewegung [142] und Gebahrung gab; er blieb auch ökonomisch der Korporation gegenüber in gewissem Maße unabhängig.
Aus diesen Verhältnissen erklärt sich der Charakter der Vornehmheit, den das Institut von Anbeginn trägt.
Die Güterverwaltung tritt in den Quellen auffallend zurück. Als frühester Hauptbesitz wird die Gruppe Kirchen-Eimeldingen-Märkt genannt; neben sie treten Güter in Oetlingen und städtische Liegenschaften; erst einige Jahrzehnte später macht sich auch Sundgauischer Besitz geltend. Aber Alles kommt nur nebenbei zur Sprache; die Urkunden beschäftigen sich stärker mit der Organisation, mit der Ausbildung der Rechte und Formen des jungen Stiftes.
Als die Hauptämter der ersten Zeit geben sich Propstei und Custodie; neben ihnen hat auch die Scholasterei ihren Platz.
Der Propst, durch die Chorherren gewählt, war Vorsteher und Leiter. Aber das Domstift oder der Bischof scheinen bei der Ernennung der ersten Pröpste einen Druck ausgeübt zu haben; man wählte Domprälaten an diese Stelle, den Domsänger Hugo, dann den Domkämmerer Konrad Golin, der später Domdekan wurde. Das Mißliche solcher Kombinationen liegt auf der Hand, und man fand in der Tat bei St. Peter Anlaß, sich darüber zu beklagen; die Geschäfte und die ganze Haltung litten darunter. Das Kapitel nahm sich daher zusammen und faßte 1274 den Beschluß, künftighin Pröpste nirgendwoher zu nehmen, als aus seiner eigenen Mitte.
Der Custos galt sogleich bei der Gründung des Kollegiums als der Nachfolger des alten Plebans. Aber wie anderwärts, so ließ auch hier dieser Würdenträger die Seelsorge durch einen stellvertretenden Priester ausüben. Er nahm dazu einen der Stiftskapläne; dieser hatte die Pfarrei zu bedienen und trug dafür den Titel eines Gesellen, socius. Er wird auch Vikar genannt; neben ihm beteiligten sich später an der Gemeindepflege auch die Kapläne der Marien- und der Nikolauspfründe sowie der sacrista.
Schon das Gründungsstatut redet vom Scholastikus. Er soll befugt sein, eine Stiftsschule zu halten und in dieser zwanzig Schüler um Lohn und zehn arme aufzunehmen.
Ein Dekan von St. Peter wird zuerst 1241 genannt, und sofort scheint dieses Amt an die zweite, bisher vom Custos besessene Stelle gerückt zu sein. Der Dekan erscheint wiederholt als Leiter des Kapitels, statt des abwesenden Propsts.
Endlich die Cantorei. Sie entstand erst in den 1260er Jahren, durch Stiftung des Chorherrn Reinher Vüli, der dann auch selbst der erste Cantor [143] wurde. Zum Unterhalt dieses Amtes bestimmte er Zinse von seinem Haus an der Eisengasse.
Die Zahl der Canonicate war zu Beginn auf sechzehn festgesetzt worden; wohl unter Kombination der apostolischen Zahl mit der sonst vielfach begegnenden Vierzahl. Dieses würdevolle Kapitel haben wir uns umgeben zu denken durch eine große und vielgestaltige Schar von Klerikern höhern und niedern Grades, von Priestern, Diakonen und Subdiakonen. Die in der Versehung des Gottesdienstes wochenweise abwechselnden Priester hießen Hebdomadare; an den zahlreichen Altären bestanden Kaplaneien; die Lektoren, der Rektor mit seinen Scholaren, der Sakristan, der Glöckner gehörten auch zu dem Schwarm.
Und dennoch genügte all dieses Personal zu Zeiten nicht. In den Reihen des Kapitels fehlten wohl beständig einzelne Herren, sei es weil sie ihren sonstigen Pfründen abwarteten, etwa den Landpfarreien, die sie besaßen, sei es weil sie in Bologna oder an einem andern berühmten Studium sich aufhielten. Auch sonst aber hatte man über Mangel an Priestern zu klagen. Die Bevölkerung in der Parochie nahm zu, die Meßstiftungen mehrten sich. Trotz der Konkurrenz, die insbesondere durch das Predigerkloster gemacht wurde, litten Stift und Gemeinde Not an Arbeitskräften. Diesen Übelständen durch Vermehrung der Priesterpfründen abzuhelfen, wie z. B. 1290 geschah, gelang deswegen nicht, weil das Geld schon für das vorhandene Personal kaum ausreichte. Mit Klagen darüber, daß das Stiftsvermögen der Menge der Verpfründeten gar nicht entspreche, schließt überhaupt unsere Periode; Versuche zur Besserung, die man zuletzt noch machte, waren die Bestimmung eines vakant gewordenen Chorherrenhauses zu gemeinem Nutzen und die Einverleibung von St. Andreas.
Zum Verständnis dieser ökonomischen Lage ist daran zu erinnern, daß die einzelnen Chorherren Sondervermögen besaßen. Aus Verkäufen, Testamenten usw. ergibt sich dies aufs deutlichste. Und dem entspricht, daß sie etwa auch im eigenen Hause wohnten. Allerdings werden Chorherrenhäuser genannt, die dem Stifte gehören; aber das ist nicht Regel noch Zwang.
Alles nun, was Stiftsgebäude hieß, war um den Kirchhof gereiht, der sich neben der Kirche befand. Neben den Häusern des Stifts auch Privathäuser von Chorherren. Auch das Schulhaus stand hier, das der Scholaster Burchard gebaut hatte, samt dem zum Marienaltar gehörenden Kaplanenhäuslein. Weiterhin das „hohe Haus“, in dem der edle Herr Walther von Klingen wohnte; später war es im Besitz seiner Enkel, der Grafen von Pfirt.
[144] Wir würden uns gerne die Zusammenordnung aller dieser Elemente im Raume vergegenwärtigen. Aber auch was an Erwähnungen von Einzelheiten des Kreuzgangs und der Kirche sich erhalten hat, ist viel zu wenig, um uns ein Schauen zu ermöglichen. Wir lesen von den Altären, von einer Marienkapelle beim letzten Bogen, von einer großen Türe und einem Türlein; auch die lampenhelle Krypta wird genannt, und im Äußern ein Portikus, Stufen vor der Kirche, der neue Glockenturm.
Näher glauben wir dem Menschentum selbst zu kommen, dem diese Räume dienten. Es sind freilich keine Figuren dabei, die durch Dieses oder Jenes unsrer Aufmerksamkeit rufen. Was wir an ihnen sehen, ist das übliche Tun und Lassen von Stiftsherren. Aber eine besondere Färbung hat der Kreis als Ganzes genommen.
Vorerst sind zu beachten die vielfachen Beziehungen zum Domstift. Beim Propst war hievon schon die Rede. Diese Zusammenhänge, — vielleicht immer noch ein Stück Weiterleben der alten Wirkung, die der Dom beim Entstehen von St. Peter ausgeübt - wiederholten sich bei einzelnen Chorherren, und zeigen uns hier Notare und einen Cellerar des Bischofs, einen Schreiber und einen Kaplan des Dompropsts usw.
Vor allem aber empfinden wir, wie fest diese Stiftswelt in ihrer Umgebung steht. Es ist die wohlgeschaffene, behagliche Umgebung, die wir schon früher als Petersgesellschaft charakterisierten. Von ein paar Landpfarrern abgesehen, die auch bei St. Peter Präbenden haben, sind die Chorherren und manche Kapläne doch zumeist Söhne dieser Burgergeschlechter, — Ludwigs, Brotmeister, Vülin, Rifo, Meier, Progant, zum Rosen - und zwischen hinein begegnet uns auch hier derselbe Adel, - Truchseß, Vitztum, von Eptingen, von Röteln — der dort in Wohnen und Leben sich vielfach mit dem Patriciate mengt. Aus diesem Kreise zieht das Stift unverkennbar seine Kräfte. Es hat Land und Rechte überall zerstreut in dem Bezirke, der sich von seiner Schwelle den Berg hinab zieht zu Birsig und Rhein; die Sinz, Zerkinden, Vorgassen, von Straßburg, Merschant, Fuchs, Progant, im Steinkeller, Stamler, Titensheim, aber auch kleine Leute wie Gerhard der Wechsler, Richard der Kaufmann, die Krämerin Ita usw., sind seine Zinsleute. Und eben diesen Kreisen gehören auch die Donatoren, die Stifter von Messen und Kaplaneien an, von denen die Urkunden und die schönen Jahrzeitbücher St. Peters reden. Einer der größten unter diesen war Ludwig der Krämer; Johann von St. Martin der Münzer und Berthold im Steinkeller stifteten Altäre.
[145] Es ist recht eigentlich das Wurzeln in Gewohnheit und Anschauung dieser Bevölkerungsklasse, das den Herren von St. Peter ihre Eigenart gibt. In der merkwürdigen Mischung dieses Wesens wirken der Geschäftssinn und die Freude am Leben viel stärker als alle kirchliche Weihe, als die doch den höchsten Dingen geltende Tätigkeit. Durch alle Zeugnisse geht diese Stimmung. Die Wohlhabenheit einzelner Kanoniker, die in Testamenten offenbar wird, sowie die ganz unbefangene Nennung ihrer Söhne und Töchter sprechen dafür. Auch die Bepflanzung des Platzes vor der Stadtmauer mit Bäumen 1277, die Aufsehen machte, ist Ausdruck solcher Gesinnung; die Kanoniker schufen hier nicht nur sich, sondern mit der Geberde vornehmer Herren zugleich allem Volk einen Lustgarten.
Neben St. Peter und im Gebiete seiner Parochie bestand die St. Andreaskapelle, als alte Gründung der Bischöfe deutlich bezeugt, wie auch ihr Kollaturrecht den Bischöfen zustand. Sie heißt stets Kapelle. Aber sie scheint Rechte einer Pfarrkirche besessen zu haben; denn sie hatte einen Kirchhof, wie in späterer Zeit so vielleicht schon frühe auch einen Glockenturm, und besaß eigenes Vermögen, war wirtschaftlich selbständig. Doch ist ihr Verhältnis zur Gemeindekirche St. Peter nicht klar. Ihr Kaplan wird gelegentlich unter den Chorherren gefunden.
Die erste Nennung von St. Andreas fällt in das Jahr 1241. Aber die Kapelle entstand jedenfalls viel früher. An die Zeit der Besiedelung dieses Stadtteiles ist zu denken; wie St. Peter vorzugsweise die Kirche der Kaufleute und der Burgergeschlechter war, so hatte St. Andreas Beziehungen zu den Krämern. Sie stand mitten in deren Quartier, und der später sich zeigende enge Zusammenhang der Krämerzunft mit St. Andreas weist auf alte Zustände zurück.
Im Jahre 1296 wurde St. Andreas durch den Bischof dem Petersstift übergeben und einverleibt; die Absicht hiebei war, durch Zuwendung des beträchtlichen Vermögens der Kapelle dem Mangel leidenden Stift aufzuhelfen.
In den bisher betrachteten Gestalten hatte eine ältere Zeit der Kirche ihre Formen gefunden. Aber im gleichen Jahre, da St. Peter in Basel zu einem Stift erhoben und damit diese frühere Schicht geschlossen wurde, begann etwas völlig Neues.
Es gehört zur überreichen Belebtheit der Zeit Heinrichs von Thun, daß in ihr auch die Bettelorden hier eine Stätte fanden. Ein neuer Geist, eine neue Art von Arbeit an den Menschen kam mit ihnen.
[146] Wir möchten uns den Eindruck vergegenwärtigen, den die erste Kunde von Franziskus machte. Franziskaner waren vielleicht unter den frühesten Passanten der jungen Rheinbrücke. Während[WS 1] man dem Domklerus wieder sein Münster baute, unterhielt man sich von diesen neuen Menschen und ihrer Lehre.
Als Kern dieser Lehre, wie sie in der Regel des heiligen Franz verkündet ist, wird zu fassen sein, daß die soweit als möglich gehende Erneuerung des ursprünglichen christlichen Lebens als Ziel gesetzt, für Erreichung dieses Zieles aber nicht die mönchische Abgeschlossenheit, sondern das Hinaustreten in die Welt vorgeschrieben wird. Wie bestimmt Franz beabsichtigte, sein Werk in der reinsten Form des Christentums auszuprägen, geht aus der Fassung der Regel unverkennbar hervor. Immer aufs neue wird die Nachfolge Christi gefordert; seine Weisungen an die Jünger werden wörtlich aufgenommen als Weisungen an die Ordensbrüder. Aus diesem Geiste entspringen die franziskanischen Gebote der Demut und der Armut, und zwar einer Armut, die als ein völliges Nichtsbesitzen für den Einzelnen wie für den Verband Gesetz ist. So zubereitet sollen die Brüder die Welt durchziehen, allem Volke das Christentum der Buße, der Liebe und Entsagung predigen.
Sie zeigten sich nun auch in Basel. Fremde Männer, ärmlich gekleidet, mit einem Strick als Gürtel; sie lebten von erbettelten Almosen; sie predigten, und in ihrer Rede lebte noch die Begeisterung, die sich an Person und Worten ihres Meisters, des milden Heiligen von Assisi, entzündet hatte. Was sie lehrten, war an sich nichts Neues; neu aber war die Art, in der diese Mönche auftraten.
Wenige Jahre nach ihnen kamen andere Männer mit derselben Lehre nach Basel, die Dominikaner. Ihr Wesen war in Manchem ein verschiedenes, es war kluger, bewußter. Aber vereint bedeuteten beide Orden eine gewaltige Bereicherung und Neuerung. In ihnen bemächtigte sich das Mönchtum eines großen Teils der geistlichen Tätigkeit in der Stadt, trat hier dem übrigen Klerus zur Seite und bald entgegen; sie kamen dem Volke nahe, brachten diesem, das bisher nur den Priester und das Sakrament besaß, das Evangelium. Alles dies im Dienste Christi, aber auch durchaus im Dienste der Kirche. Während der politischen und religiösen Kämpfe, die diese Jahrzehnte erschütterten, waren die Mendikanten die treuesten und wirksamsten Streiter des Papsttums. Dazu befähigte sie namentlich auch ihre Organisation. Was sie taten, geschah nach Weisung der Ordensleitung; was sie erwarben, erwarben sie der Kirche, dem apostolischen [147] Stuhle; dem Bischof und jeder parochialen Ordnung gegenüber machten sie ihre durch die Privilegien der Päpste geschaffene Freiheit geltend.
Die Niederlassung der Minoriten in Basel, die wohl von Straßburg aus geschah, ist nicht sicher bezeugt; wir finden ihr Haus 1238 als vorhanden erwähnt. Es hat seinen Meister oder Rektor und führt auch ein eigenes Siegel, sodaß die Niederlassung schon früher stattgefunden haben muß. Die spätere Provinzchronik gibt an, daß die Minoriten im Jahre 1231 nach Basel gekommen seien; es besteht kein Anlaß, dieser Mitteilung keinen Glauben zu schenken.
Das erste Barfüßerkloster zu Basel stand noch außerhalb der Stadtmauer, vor dem Tore zu Spalen, an der Stelle des spätern Klosters Gnadental. Einer aus dem Geschlechte Oezeli soll den Mönchen die Liegenschaft zu ihrem Bau geschenkt haben; ihr Nachbar war der Domherr Krafto, Thesaurar von Lautenbach. Auch anderwärts haben die Minoriten für ihre Klöster solche Situationen gewählt; das Land war hier leichter erhältlich; auch fanden sie sich hier unmittelbar bei der Stadt und doch frei von ihr. Aber in Basel blieben sie nicht allzu lange an dieser Stelle. Während sie hier hausten, vollzog sich die Katastrophe im großen Kampfe der Zeit, die Bannung des Kaisers, die Zerstörung der Bischofsburg, die Verhängung des Interdikts über die Stadt. Wir haben deutliche Spuren davon, daß die Minoriten und die Prediger zu Basel in diesen gewaltigen Jahren als die wirksamsten Werkzeuge der römischen Kirche gearbeitet haben; die Kirche siegte, und es erscheint wie eine Belohnung, daß jetzt der Bischof die Minoriten in das Innere der Stadt aufnahm.
Es geschah dies im Jahre 1250; Bischof Berthold übergab den Brüdern einen Allmendplatz innerhalb der Mauern beim Einlaufe des Birsigs, um hier Kirche und Kloster zu errichten; der Consens des Klosters St. Alban, in dessen Parochie das Terrain lag, erfolgte erst später, dieser Invasion rühriger Bettelmönche durch die stolzen Benediktiner ungerne und nur dem Bischof zu Willen erteilt; um so willkommener war das neue Kloster der Bürgerschaft, die bei der Abtretung der Allmend mitzuwirken hatte und ihre Vertreter in Rittern, Burgern und Gewerkschaften als stattliche Zeugenschar aufrücken ließ.
Die Brüder schritten sofort zum Bau. 1253 scheint das Kloster vollendet gewesen zu sein. An der Kirche wurde noch gearbeitet. Aber im Sommer 1256 konnte Papst Alexander Ablaß verheißen für alle Diejenigen, die an den Festen des hl. Franciscus, des hl. Antonius von Padua und der hl. Clara die Minoritenkirche zu Basel andächtig besuchten.
[148] Wir dürfen diese Kirche nicht in der heutigen Barfüßerkirche erkennen; sie ist ohne Zweifel ein bescheidenes Gotteshaus gewesen. Aber sie stand wohl schon am Platze der heutigen Kirche. Auch die Situation des Klosters kann von der spätern nicht wesentlich verschieden gewesen sein. Die Grenzen des Bezirkes waren die Allmend hinter der Stadtmauer, die Häuser der obern Freienstraße, der Birsig und die später zur Spitalliegenschaft gemachte Allmend. Von diesen Grenzen wurde diejenige des Birsigs zuerst überschritten. Schon 1260 erwarben die Barfüßer ein Stück Allmend auf dem linken Ufer; später brachten sie auch mehrere der am Fuße des Berges stehenden Häuser an sich; eines derselben, Omanns Haus, wurde ihnen durch das Leonhardsstift abgetreten und zwar, wie der Schaffner des Stifts mit hörbarem Seufzen bemerkt, aus Zwang des Barfüßerbischofs Heinrich von Isny. An anderer Stelle, zwischen Kirche und Birsig, erweiterte sich die Niederlassung 1288 durch Erwerb von Häusern und Land des Spitals; es geschah dies hauptsächlich zur Vergrößerung des Kirchhofs.
Die Geschichte aller Barfüßerklöster des spätern dreizehnten Jahrhunderts hat etwas Gemeinsames; wir finden nicht mehr den Geist, der in den ersten Jahren des Ordens über seiner teilweise noch von Furcht und Ungewißheit begleiteten Ausbreitung gewaltet hatte; diese innerliche Begeisterung, die ihren Ursprung nahm aus unmittelbarem Verkehr mit der lautern und schwärmerischen Gestalt des Ordensstifters, war geschwunden. Aber statt ihrer begegnet uns die Kraft und die Frische einer Jugend, die schon die ersten Siege hinter sich hat.
Diesen Eindruck giebt jetzt auch die Geschichte des Basler Hauses. Für sein Ansehen so gut wie für sein Alter spricht die Tatsache, daß eine Custodie der oberdeutschen Minoritenprovinz nach ihm genannt war, Custodie Basel hieß. Auch zählte es zu den Häusern der Provinz, die sich durch Größe und Lage zur Abhaltung der Provinzialkapitel eigneten; 1276 und 1285 haben solche Kapitel hier stattgefunden. Wie weit herum die Wirkung des Klosters reichte, seine Brüder zu Predigt und Gabenheischen zu reisen befugt waren, zeigt das Bestehen seiner „Herbergen“ in Laufen, Liestal, Rheinfelden, Laufenburg, in Schopfheim und in Hirsingen; diese Herbergen dienten den terminierenden Brüdern als Absteigequartier; ihre Verteilung im Lande gibt ungefähr den Umfang des Klostersprengels.
Die Größe des Konvents wird veranschaulicht durch die Nachricht, daß beim Einritt König Rudolfs in Basel 1274 ihm unter dem Klerus [149] auch 36 Minoriten entgegen zogen. So zahlreich haben wir uns die Bewohnerschaft keines der alten Klöster zu denken.
Das Wesentliche der Arbeit dieser Barfüßer entzieht sich freilich völlig unsern Blicken. Aber wir lesen die Predigten, die der Barfüßer Berthold von Regensburg damals hielt, und wenn wir an verwandte Erscheinungen von heute denken, so wird uns klar, was diese innere Mission der Bettelmönche bedeutete. Sie traten vor allem den kleinen Leuten, dem Volke nahe; sie wirkten auf dessen Masse im Ganzen und ergriffen es zugleich bis ins Einzelne und Verborgene des Hauses hinein, durch die Kräfte einer ausgezeichneten Organisation, die Clarissen, Tertiarier, Regelschwestern, Beginen, unterstützt und überall vertreten. Aber neben diesem populären Wesen melden sich schon zeitig auch höhere gesellschaftliche Beziehungen; im Kreise der Barfüßer erscheinen nun auch Burger und Edelleute. Das Kloster sah sich zum Leben doch auch auf die Teilnahme solcher angewiesen, sobald einmal das strenge Armutsprinzip der ersten Zeit leichter genommen wurde. Schon Jordanus a Giano, der einst die Lehre des Franziskus nach Deutschland gebracht hatte, war erstaunt, wenn er seine und der andern Missionare einstige Niedrigkeit mit dem jetzigen Glanze des Ordens verglich.
Im Mittelpunkt der damaligen Geschichte unseres Klosters steht derselbe Heinrich von Isny, von dem schon in der Geschichte des Bistums und der Stadt zu reden war. Er soll einst dem Basler Konvent als Lesemeister angehört haben; jedenfalls wendete er ihm als Bischof seine besondere Gunst zu. Das Gedeihen des Klosters ist wohl zum guten Teil auf den mächtigen Kirchenfürsten zurückzuführen; neben einzelne bestimmte Erweisungen trat die allgemeine geistige Wirkung; die Macht dieses so hoch erhobenen Ordensbruders gab ohne weiteres seinem Hause Ansehen.
Von ähnlicher Bedeutung war Konrad Probus; auch er stand als Minorit dem Basler Konvent nahe; er war Lektor zu Konstanz, wurde 1271 Provinzial, 1279 Bischof von Toul. Seine Stellung am Königshofe, seine Beziehungen zum Papst zeigen ihn als bedeutenden Mann, dessen Gunst Gewinn brachte. Das Basler Kloster erfreute sich seiner Freigebigkeit und feierte noch nach Jahrhunderten das Andenken des guten „Bischofs von Dol.“
Es ist nicht nur Wirkung eines reicheren Bezeugtseins, daß uns der zweite Mendikantenorden, derjenige der Prediger, sofort viel deutlicher entgegentritt. Er ist schärfer erkennbar, weil er selbst schärfere Formen [150] trägt. Die weiche Poesie, die dem Franziskus und seiner Schöpfung ihren Reiz gibt, mangelt ihm; sein Wesen, und zwar von Anbeginn, ist Klarheit und Weisheit.
Schon der Anfang in Basel ist bezeichnend. Während die Franziskaner wohl aus eigenem Antrieb herkamen und hier den Ort ihrer Niederlassung von einem Bürger zugewiesen erhielten, kamen die Dominikaner auf ausdrückliches Verlangen des Bischofs. Sie wurden berufen. Heinrich von Thun wünschte durch ihre Predigt, ihr Beichtehören, ihre Beaufsichtigung des Volkes in seinem Hirtenamt unterstützt zu werden. Das geschah im Jahre 1233.
Die Mönche erhielten gleich den Barfüßern einen Platz vor der Stadtmauer; er lag hart vor dem Kreuztor und scheint zum Grundeigentum des Bischofs selbst gehört zu haben. Spätere Ordenstradition bezeichnet ihn als einen schönen großen Weingarten und erklärt seine Bestimmung als Klosterplatz daraus, daß dort etliche fromme Leute Gesichte und Erscheinungen gehabt hätten.
Der Fortgang des Baus von Kloster und Kirche wird als ein auffallend langsamer bezeugt. Im Dezember 1235 wurde zum ersten Male Ablaß gewährt für Unterstützung des begonnenen Klosterbaues; im folgenden Jahre schon ist auch von einer Kirche die Rede, wobei wir jedoch wohl nur an eine provisorische Einrichtung, einen Holzbau zu denken haben. Es scheint an Geldmitteln gefehlt zu haben, vielleicht zufolge Opposition des benachbarten Petersstifts, und die Bischöfe von Basel und Konstanz, die Päpste, der Kardinallegat Hugo, Albert der Große mußten wiederholt die Gläubigen zur Beisteuer ermahnen, mit Ablaßverheißungen nachhelfen. Während z. B. in Straßburg die Prediger ihre neue Kirche rasch unter Dach brachten, hatten sie sich hier mit notdürftigen Einrichtungen zu begnügen. In den 1250er Jahren aber scheint der Bau des Klosters in der Hauptsache zu Ende gebracht und von der Kirche wenigstens das Langhaus, als Predigtraum der wichtigere Teil, errichtet gewesen zu sein. Die Mönche konnten sich nun mit einer bessern Arrondierung ihres Areals beschäftigen; sie erwarben im Jahre 1257 benachbarte Grundstücke. Aber der Brand, der am 10. November 1258 in dieser Gegend der Stadt ausbrach und große Verwüstungen anrichtete, legte auch das Kloster der Prediger in Asche. Dagegen, daß auch die Kirche (die nur als Langhaus stand) vernichtet wurde, scheint zu sprechen, daß sie im Mai 1259 als vorhanden erwähnt wird. Jedenfalls aber entbehrte sie des Chores. Und mit dessen Bau wurde nun im Jahre 1261 begonnen, das Fundament gelegt. Drei Jahre später standen die beiden Kapellen zur Seite des Chores fertig da [151] und wurden am 22. April 1264 durch den Bischof Dietrich von Wierland geweiht. Als endlich auch das Chorhaupt selbst gebaut, die Gewölbe geschlossen, Chor und Kirche vereinigt waren, fand am Tage nach Mariä Geburt (9. September) 1269 die feierliche Weihe des Gotteshauses statt, durch keinen Geringeren als Albert den Großen. Den Schluß der langen Bauarbeit bildete der Bau des Glockenturmes; am Feste des Ordensheiligen Dominicus, 4. August 1273, vierzig Jahre nach der Niederlassung, in den ersten Tagen der Regierung König Rudolfs, wurde er vollendet.
Von dieser Predigerkirche des dreizehnten Jahrhunderts hat der Chor samt seinen Seitenkapellen dem Erdbeben standgehalten und steht heute noch. Es ist nicht allein das Andenken der großen Gestalt seines Consecrators, das an ihm haftet und ihm Wert giebt; der Bau ist an sich ausgezeichnet durch den Adel seiner Gestalt.
Das Wesen des Predigerklosters ist demjenigen des Minoritenhauses in den allgemeinen Zügen gleich. Jedenfalls fanden sie sich im Dienst der Kirche zusammen, schon früh beim Kampfe gegen Friedrich und bei der Unterjochung der gegen Papst und Bischof sich erhebenden Bürgerschaft. Auch hier erscheint es wie eine Belohnung getaner Dienste, daß Bischof Berthold 1249 den Predigern eine Urkunde zu teil werden läßt, in der ihre Rechte allem Volk und zumal dem gesamten Weltklerus gegenüber aufs entschiedenste proklamiert werden. Scharf und prinzipiell ist hier Alles ausgesprochen, der Klerus bekommt ernste Vorwürfe zu hören, nichts ist den Dominikanern untersagt. Sie haben das Recht zu predigen, Beichte zuhören, Strafen zu verhängen und freizusprechen; kein Weltpriester soll sie daran hindern oder seine Pfarrkinder von ihnen abhalten dürfen. Es sind dies Zugeständnisse, die auch anderwärts gemacht werden; aber in beachtenswerter Weise geht hier der Bischof noch weiter. Er gibt den Predigern ausdrücklich die Befugnis, an seiner Stelle Haeretiker und Gebannte zu absolvieren, Gelübde zu lösen, Dispens zu erteilen, Zauberer und Wahrsager öffentlich zu bestrafen. In allen diesen Stücken wird den Mönchen die volle Macht des Bischofs zuerkannt. Deutlich tritt ihr Beruf zu Tage, die Kirche zu erbauen, Irrlehre und Wahn zu bekämpfen. Viel mehr als von den Minoriten wird hier das Agitatorische, das Streitbare und Laute gefordert. Der stilleren evangelisierenden Tätigkeit des Minderbruders, seiner Arbeit am Einzelnen gegenüber steht hier die Wirkung ins Große und mit starken heftigen Mitteln.
Der Erlaß Bertholds galt natürlich nur für die Basler Diözese. Aber der Vorsteher des Nachbarbistums Konstanz erwies den Brüdern von [152] Basel Aehnliches. 1235 gab er Ablaß für Förderung ihres Klosterbaues, und 1243 sicherte er ihnen das Recht zu Predigt, Exhortation und Beichte in seinem Sprengel. Es entsprach dies dem ganzen Wesen des Ordens, der nur unter Rom stand und vom Bistumsverbande kaum berührt war.
Statt des Bistumsverbandes hatte das Kloster seinen eigenen Bereich, der über die Grenzen der Diözesen hinwegging und für die Predigt und das öffentliche wie private Gabensammeln seiner Brüder galt, ganz entsprechend dem Terminierbezirke der Barfüßer. Aber auch hier wieder begegnen uns präzisere Formen, klare Abgrenzungen.
Die erste Verfügung dieser Art geschah schon bald nach der Niederlassung der Prediger in Basel durch den Ordensprovinzial Konrad von Höxter; sie bestimmte die Grenzen der Termine für die drei Klöster Basel, Freiburg und Zürich. Der Basler Bezirk war ein weit ausgedehnter; aber das Entstehen neuer Predigerklöster in diesen Landen machte auch jeweilen neue Begrenzungen nötig. So 1268 die Neugründung in Rottweil, 1270 die Neugründung in Bern, 1278 die Neugründung in Colmar, 1294 die Neugründung in Gebweiler. Der letztgenannte Fall ist nicht ohne Reiz; er zeigt, welche Interessen in Frage kamen. Basel verlor nämlich alle seine Elsässer Weintermine an den Konvent zu Gebweiler und verlangte nun, daß die Brüder in Freiburg ihm von ihren Weinbezirken einige abtreten sollten. Man stritt sich hierüber, und erst der vom Provinzialkapitel ernannte Schiedsrichter brachte eine Abgrenzung zu Stande, bei der Basel in der Tat einige Breisgauer Weinbezirke gewann. Die endgiltige Bereinigung mit Gebweiler zog sich bis 1296 hinaus. So ergab sich zu Ende des Jahrhunderts für das Basler Kloster ein gegen früher wesentlich veränderter Sprengel: er reichte bis zum Hauenstein und Laufenburg; im Breisgau umfaßte er alle Orte südlich von Müllheim sowie Alles, was von Schönau und St. Blasien gegen Basel zu gelegen war; im Elsaß zog sich die Grenze bis Thann und St. Amarin. Herbergen der Basler Prediger befanden sich in Säckingen, Rheinfelden und Mülhausen.
Neben die Gewalt, die das Kloster in diesem Gebiet ausübte, trat seine Herrschaft über einzelne Frauenklöster. Schon im zweiten Jahre seiner Existenz wurde ihm die Aufsicht auf die Kolmarer Nonnen übergeben; 1268 ging dann diese Aufsicht an die Freiburger, 1278 an die Colmarer Brüder über. Von zwei Frauenklöstern in Basel selbst, die dem Konvent anvertraut waren, St. Maria Magdalena und Klingental, wird an anderer Stelle zu handeln sein.
[153] Nicht nur im Zustand der Ueberlieferung, auch in der Sache selbst scheint begründet zu sein, daß das Predigerkloster schon früh einzelpersönliches Leben zeigt. Die Richtung zur Gelehrsamkeit, die Beziehung zu höhern Kreisen der Gesellschaft begünstigt das Hervortreten des Individuellen. Eine reiche Reihe von Gestalten steht vor uns im Rahmen dieser ersten Jahrzehnte. Der erste Prior des Hauses, Heinrich von Westhofen, genoß den Ruhm eines unbedenklich tätigen Ketzerverfolgers. Durch Heiligkeit des Lebens leuchtete der Prior Walther, und seinen Tod meldeten die seine Seele geleitenden himmlischen Geister in derselben Stunde den Brüdern in Straßburg. Aber unser Interesse gehört in höherm Grade den durch Studium und Wissen sich auszeichnenden Gliedern des Konvents. Auffallend ist hiebei namentlich die Beobachtung der Natur, die Erkenntnis ihrer Gesetze, der wir begegnen. Der Lesemeister Lütold 1263 und ein junger Mönch 1276 sagen Sonne- und Mondfinsternis voraus. Ein andrer Lesemeister, Heinrich, heißt physicus und medicus; er wird Leibarzt der Königin Anna und hebt ihr Söhnlein Karl aus der Taufe; daneben übt er wunderliche poetische Künste, er kann Verse machen, die sowohl vor- als rückwärts zu lesen sind und auf die eine Weise loben, auf die andre tadeln. Auch der Verfasser der im Kloster entstehenden Annalen ist hier zu nennen; sein Werk ist überreich an Nachrichten über die Natur; er selbst zeichnet eine Weltkarte auf zwölf Pergamentblätter, 1276 verbessert er sie. Andere Gebiete des Wissens vertreten der Bruder Johann als Kompilator eines Rechtshandbuches, und der Prior Heinrich, der für die guten frommen Weiblein deutsche Lieder dichtet. Zu dieser Vorstellung von geistiger Tätigkeit gehört untrennbar das Bild Alberts des Großen, der Basel wiederholt besucht und die Kirche geweiht hat. An einer starken Wirkung seiner Persönlichkeit auf Einzelne ist nicht zu zweifeln.
Alles dies macht klar, daß der Orden von vorneherein höhere Anforderungen an seine Mitglieder stellte, als die Minoriten taten. Es wird damit Zusammenhängen, daß er im allgemeinen auch sozial höher stand, Unterstützung und Nachwuchs meist in andern Kreisen fand als Jene. Wir sehen in Basel Dominikanerbrüder aus den Geschlechtern von Dale, Pfaff, von Pfaffenheim, zu Rhein, unter den Benefaktoren von Titensheim, vom Kornmarkt, von Pfaffenheim, von Eptingen, von Klingen. Ein Thüring (von Ramstein) gehörte dem Orden an; als Prior des Hauses Colmar wurde er 1301 durch das Generalkapitel in Köln, wir wissen nicht wegen welchen Vergehens, auf fünf Jahre aller seiner Ämter beraubt, für fünfundzwanzig Tage auf Wasser und Brot gesetzt und dann nach Ungarn [154] verwiesen; Johann zu Rhein hingegen, der in den 1290er Jahren Bruder des Basler Konventes war, wurde später Prior von Gebweiler, dann von Colmar, und brachte es bis zum Bischof von Valanea und Generalvikar des Bischofs von Konstanz.
Bei solcher Gesellschaft und der ihr entsprechenden Lebensart im Basler Kloster erklärt sich der rege Verkehr des Königs Rudolf und seiner Familie mit den Mönchen, auch wenn wir nicht sonst schon seine Neigung zum Predigerorden kennten. Wiederholt besuchte Rudolf das Kloster und speiste dort; die Königin ließ sich auch die Klausur zeigen und brachte einmal zur Unterhaltung der Brüder ein Stachelschwein in den Klostergarten; bei der Taufe ihres Söhnleins Karl in Rheinfelden 1276 sang der Basler Dominikaner Hartmann das Evangelium und war der Basler Lektor Heinrich Pate.
Aus allem spricht die Kraft und das Ansehen des Konvents. Seiner Brüder waren mehr als vierzig, die 1274 dem König bei seinem Einzug Ehre erwiesen. Das Generalkapitel selbst sprach es aus, 1296, nicht nur wie zahlreich Basels Konvent sei, sondern wie löblich auch seine honestas, Würde, und seine wissenschaftliche Arbeit. Als schöner Abschluß der Periode steht das Provinzkapitel dar, das am 8. September 1302 zu Basel gehalten wurde; 570 Brüder des Ordens waren dabei anwesend.
Ein Stück Leben dieses Hauses nun wird uns gezeigt in den Annalen, die von Mitte der 1260er bis Ende der 1270er Jahre durch einen der Mönche hier geschrieben worden sind. Die Schicksale des Klosters selbst werden freilich darin kaum berührt. Aber was im breitesten reichbewegten Flusse uns entgegenkommt, ist die Teilnahme des Hauses an dem draußen Geschehenden. Die unaufhörliche Bewegung im Kommen und Gehen und die emsigste Wißbegier sprechen sich aus. Es ist der Niederschlag alles Dessen, was tagsüber in der Fremdenstube, am Tisch, im Klostergarten zu hören gewesen, was Gäste erzählt oder was die Brüder von ihren Fahrten als Neuestes heimgebracht. Bei Durchblätterung dieses Tagebuches wird aufs neue deutlich, wie rege das Interesse auch an der entferntesten Begebenheit war, wie stark die Nationen sich mischten und miteinander verkehrten. Das internationale Wesen der Mendikantenwelt ist auf jeder Seite zu spüren. Keine große Auffassung freilich und keine Idee wird uns geboten; alles ist Rapportierarbeit eines untergeordneten, aber fleißig aufmerkenden Mannes. Notizen über das Wetter, über Kälte und Hitze, über Sternschnuppen mengt er mit den Berichten über politische Ereignisse; er schreibt nieder, was die Bauern erzählen, was die Kabisköpfe [155] in Sulz kosten; dann wieder kommen Geschichten und Anekdoten aus andern Klöstern und aus der Stadt, vom Krystall im Schlosse Regensberg, vom Bandwurm des Ritters Zielemp, buntvermengte Notizen über Fehden, über wundersame Menschen und Tiere, die Inschrift der Pierre Pertuis; Alles wird vorgebracht, in bunter Reihe, ungeordnet, wie es der Tag bot. Das Ganze durchaus kein Kunstwerk, nur festgehaltenes Klostergeschwätz, aber als frische unverfälschte Geschichtsquelle nicht hoch genug zu werten.
Minoriten und Prediger waren beinahe ein halbes Jahrhundert schon in Basel angesessen, als mit den Augustinern auch der dritte Mendikantenorden hier Niederlassung nahm. Man bewundert den Reichtum an Willen und Kraft, wie an innerm Bedürfnis, der dazu drängte, den Gedanken des Mönchtums stets wieder umzubilden, neue Formen für seine Gestaltung zu finden. Aber auch die erstaunliche Mannigfaltigkeit städtischen Wesens zeigt sich uns bei diesem wunderbaren Schauspiel, da Orden um Orden in die Stadt einzieht, Kloster nach Kloster sich hier öffnet und eine jede dieser so verschiedenen Schöpfungen ihren Raum, ihren Unterhalt, ihren Anhang und vor allem ihre Arbeit findet.
Die Augustiner waren aus italienischen Eremitenkongregationen erwachsen; 1256 in Rom hatte sich ihr Orden definitiv konstituiert und die Regel St. Augustins angenommen. Sofort nachher werden diese schwarzen Brüder auch in Deutschland angetroffen, wo sie gleich den ältern Bettelorden sich vor allem der geistlichen Tätigkeit in den Städten widmeten. 1270 kamen sie nach Breisach, 1271 feierten sie ein Kapitel zu Gebweiler, 1276 faßten sie von Mülhausen her kommend Fuß in Basel.
Bisher hatten hier alle Klöster ihre Ansiedlung an der Peripherie gefunden. Die Augustiner dagegen setzten sich im innersten Kerne fest, auf dem Burghügel, mitten zwischen Münster und St. Martin. Den Anstoß hiezu gab wohl die Gunst der hier begüterten ritterlichen Geschlechter, der Marschalke, der Kraft u. s. w. Aber die ganze Entwicklung des Klosters hat hieraus ihre Richtung genommen. Es lebt abgeschlossen, ohne Einfluß. Es hat kein Volksquartier um sich; seine Nachbarn sind Ministerialen, Hofbeamte, Domgeistliche und zahlreiche kleine Zugewandte bischöflicher und stiftischer Verwaltung.
Wir erfahren auch in der Tat wenig von diesem Kloster. Hie und da stehen die Augustiner unter Denen, die in einem Testament bedacht werden. 1293 erwarben sie ein Haus in der Lottergasse zu Rheinfelden und richteten es als Herberge für ihre predigend reisenden Brüder ein. [156] Von Wichtigkeit war ihre Auseinandersetzung mit dem Pfarrer von St. Martin, in dessen Gehege sie gekommen waren, im Jahre 1290. Wie überall trat auch hier der Gegensatz von Pfarrei und Bettelorden hervor, und bei diesem Konflikt scheint es dem geistlichen Herrn von St. Martin – es war der Domherr Werner Schaler, Bruder des mächtigen Bürgermeisters Peter Schaler — gelungen zu sein, seine ältern Rechte zur Geltung zu bringen. Die Fassung der Urkunde, die vom Vertreter des Ordensgenerals der Augustiner ausgestellt wurde, zeigt dies unverkennbar; die Abmachung wahrte die Interessen des Pfarrers in geschickter Weise, indem sie den Augustinern auferlegte, jährlich eine Entschädigung von fünfzehn Pfund für den Ausfall am Opfer an St. Martin zu entrichten.
Neben diese Mönchsklöster sah das dreizehnte Jahrhundert in Basel Nonnenklöster treten. Auch diese zeigen in Ursprung und Entwicklung große Mannigfaltigkeit.
Wir beginnen mit dem Kloster an den Steinen. Es steht vereinzelt da; Art und Zeit seiner Entstehung sind nicht bekannt.
In Deutschland führte namentlich das Beispiel des Propstes Rudolf von Worms an vielen Orten zur Gründung von Rettungshäusern für öffentliche Sünderinnen, in den ersten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderts. Dies waren die frühesten Klöster der Reuerinnen, die Vorbilder der später entstehenden Konvente, die dann nicht nur für gefallene Mädchen sich bildeten. Aber der Name blieb auch den Insassen der spätem Häuser; auch sie hießen Reuerinnen, büßende Schwestern, von ihrem Habit Weißfrauen.
Die früheste Erwähnung des Basler Reuerinnenklosters stammt aus dem Jahre 1230; Papst Gregor IX. nahm das Kloster in seinen Schutz und bestätigte ihm alle Rechte und Besitzungen. Zwei Jahre später verhieß er den Besuchern und Wohltätern des Klosters Ablaß.
Außer diesen zwei Papstbriefen liegen wenige Nachrichten aus der ältern Zeit vor. Das Kloster war vor der Stadtmauer am Birsig gebaut worden, auf Allmend, also mit Unterstützung und vielleicht auf Veranlassung der Gemeinde; 1234 erhielt es eine Schenkung von Ritter Pfaff, 1251 eine solche in seiner Nähe, im Sturgau, von Ritter Burchard Vitztum. Aber kurz darauf trat die Katastrophe ein, die den Bestand des Klosters schwer gefährdete: seine Verwüstung durch Graf Rudolf von Habsburg bei einem nächtlichen Ueberfall 1253. An eine völlige Vernichtung des Klosters ist freilich kaum zu denken; es bestand weiter, aber sein Unglück [157] wiederholte sich, indem 1267 der Birsig mit einem mächtigen Hochwasser sich gegen das Kloster ergoß und dessen Umfassungsmauer brach. Bischof Heinrich nahm sich der heimgesuchten Nonnen an, durch das Bistum wurden Gaben für sie gesammelt. Doch lag das Kloster schwer darnieder. Erst Arnold von Blotzheim, ein vielgenannter Geistlicher jener Jahre, dessen Schwester Bertha Nonne an den Steinen war, brachte durch sein Eingreifen das Haus wieder zu Gedeihen. In den Jahren 1275, 1277, 1281 vergabte er ihm seinen ganzen Besitz, namentlich große Güter zu Blotzheim, Habsheim, Sulz, Orschweier. Mit Recht feierte ihn die Klostertradition noch lange nachher als den zweiten Fundator des Hauses; als er 1284 starb, fand er sein Grab vor dem Frohnaltar in dem Chor, den er aus seinen Mitteln hatte bauen lassen; auch die Hälfte des Dormenters baute er und stellte im Klosterhof die Mühle wieder her, die hier durch einen Kanal des Birsigs getrieben wurde. Wie rasch und nachhaltig das Kloster bei solcher Unterstützung in die Höhe kam, zeigt die Tatsache, daß es schon 1282 im Stande war, um die ansehnliche Summe von 82 Mark Silbers eptingische Güter in Hausgauen an sich zu bringen. Dem Bau des Chors war 1280 die Weihe der drei neuen Altäre durch Bischof Albert von Marienwerder gefolgt.
Das Steinenkloster steht wie gesagt für sich allein da. Zwar ist von einem Orden der hl. Maria Magdalena die Rede, dem es angehöre; aber Organisation und Wirkung eines solchen Verbandes treten nirgends zu Tage. In ein festes Gefüge kamen die Weißfrauen erst 1291 durch Unterstellung ihres Hauses unter die Aufsicht der Dominikaner; den Anlaß zu dieser Maßregel boten dem Bischof die Zwistigkeiten, die unter den Schwestern ausgebrochen waren.
Aber diese Reuerinnen an den Steinen waren nicht die einzigen ihrer Art zu Basel; noch 1293 wird von andern Häusern dieses Ordens hier geredet. Und auch hierüber hinaus sehen wir einen großen Reichtum von Formen auf diesem Gebiete. Auch ohne die besondere Veranlassung, die zu der Gründung der Maria Magdalenen-Häuser führte, fand die weibliche Welt wie die männliche ihren Weg zum Klosterleben; auch sie tat dies von asketischen Gedanken getrieben, im Verlangen nach einer Stille, in der sie der Heiligung leben konnte; und daneben waren es allerdings auch äußere Rücksichten, welche den Klöstern Nonnen zuführten.
Schon die karolingische Zeit sah zu Basel Frauen und Jungfrauen, die sich Gott geweiht hatten. Um Klöster scheint es sich dabei nicht zu [158] handeln; es mögen Existenzen gewesen sein gleich den in einer Predigeraufzeichnung des dreizehnten Jahrhunderts geschilderten Weibern, die in der Nähe von Kirchen in Hütten oder Zellen, inclusoria, wohnten und auf ihre Weise Gott dienten. Es waren städtische Klausnerinnen. Der Mönch schildert uns, wie die Mendikanten, allenthalben organisationseifrig, sich auch dieser Frauen bemächtigten, sie aus ihrer Verzettelung herausrissen und in geordnete Klöster sammelten.
Für uns werden diese Nonnenklöster erst sichtbar vermöge ihres Anschlusses an bestehende Mönchsorden.
Wir finden zunächst Cisterzienserinnen. Ein solches Kloster war z. B. das nahe Olsberg. Aber auch in Basel selbst entstand ein Kloster dieser Art.
Als die Barfüßer nach 1250 ins Innere der Stadt übersiedelten, verkauften sie ihr Heimwesen vor Spalen samt der Kirche und allem Zubehör an das Stift auf dem Großen St. Bernhard. Dieses aber behielt den Erwerb nur kurze Zeit und gab ihn weiter an Frauen aus dem Cisterzienserinnenkloster zu Tänikon. Im Dezember 1253 begegnen uns diese im Besitz des Hauses. So auch noch im Dezember 1257. Eine Meisterin regiert den Konvent; der Abt von Lützel ist ihr Vater und Beichtiger; wir finden auch Basler Bürgertöchter unter den Nonnen. 1259 aber erwerben sie von der Dompropstei den Ort Michelfelden und verlegen mit Erlaubnis des Bischofs ihr Kloster dorthin. Es ist das spätere Kloster Blotzheim, wohin die Schwestern einige Jahre nachher von Michelfelden übersiedelten.
In dem freigewordenen Kloster vor Spalen zogen Clarissen ein.
Nachdem schon die ältern Mönchsorden sich der Aufgabe unterzogen hatten, mit Nonnenklöstern in Verbindung zu treten zum Zweck ihrer regelmäßigen Ueberwachung und der Aufrechterhaltung der Disziplin, griffen die Bettelorden auch auf diesem Gebiete kräftig ein. Daß die Dominikaner die Aufsicht über das Steinenkloster 1291 übernahmen, wurde gesagt; schon früher hatten sie dasselbe für Klingental getan.
Bei den Minoriten handelt es sich um einen zweiten Orden, dessen Stiftung ebenfalls vom hl. Franziskus ausging, den Orden der hl. Clara. Seine Angehörigen hießen arme Schwestern; die ihnen von Franziskus gegebene Regel ist derjenigen der Minderbrüder zum Teil wörtlich gleich. Seit 1245 war den Letztern durch den Papst die geistliche Leitung der Clarissen übertragen; sie waren ihre „geistlichen Väter“. Wir sehen eine [159] Ergänzung des Minoritenordens durch eine aus gleicher Gesinnung heraus geschaffene und organisatorisch eng verbundene weibliche Gemeinschaft.
So waren denn auch in dem alten Barfüßerkloster vor Spalen Clarissen die richtigen Erbinnen der Mönche. Sie kamen nicht sofort nach dem Wegzuge der Cisterzienserinnen; erst 1266 sollen sie eingerückt sein, vom Kloster Paradies bei Schaffhausen her. In den Urkunden werden sie zuerst 1268 genannt.
Das Bild dieses Clarissenklosters steht deutlich vor uns. Von der Armseligkeit und Demut der ersten Franziskanerzeiten wurde es nicht mehr berührt, sondern war schon Produkt einer Entwicklung. Es hatte vornehme Beziehungen, und daß in den Urkunden seine Insassen nicht „arme Schwestern“, sondern „arme Damen“ genannt werden, läßt den Geist erkennen, der hier waltete. Wir finden in der Tat adlige Nonnen, eine von Heidweiler, sowie Witwe und Tochter des Ritters Bohart von Auggen. Auch die Gönner und Wohltäter des Hauses sind in diesen Kreisen zu treffen: die Herren von Zässingen, die Töchter des reichen Vivian, die von Heidweiler, die Frau von Butenheim, und angesehene Burger, wie Burchard zum Rosen, Heinrich Iselin, usw. Eine Aebtissin leitet den Konvent; bei den Käufen, Schenkungen, Leihen fehlen nie die Minoriten als Aufseher und Berater. Im Jahre 1279 nahm aber dieses Kloster hier ein Ende; Bischof Heinrich führte die Frauen über den Rhein in das ehemalige Kloster der Sackbrüder in Kleinbasel.
Die nunmehr in das Haus vor Spalen einziehenden Nonnen — sie werden zum ersten Mal 1282 genannt — waren nicht wieder Clarissen. Sie kamen aus dem Kloster Gnadental bei Bremgarten, wo ein freier Verband gottseliger Frauen unter Leitung einer Meisterin lebte. Ordnung und Namen dieses Hauses brachten die Kommenden nun auch nach Basel. Ihr Leben tritt aber in den Urkunden noch wenig hervor, und was sich von ihm zeigt, hat bescheidenes Aussehen. Eine Meisterin stand dem Konvente vor, und wir dürfen auch annehmen, daß die Barfüßer die Aufsicht führten. Sie waren es, die im Jahre 1289 die Inkorporation des Klosters in den Clarissenorden vornahmen. Die Nonnen legten am 17. April d. J. das Gelübde auf die Regel des Ordens ab, in Gegenwart des Bischofs Peter und zahlreicher Zeugen. Von nun an hießen sie Frauen von St. Clara, und ihre Meisterin ward zur Aebtissin; aber der Name Gnadental blieb dem Hause.
Endlich noch einige kleine und vereinzelt stehende Ordensniederlassungen.
In der Vorstadt zu Kreuz finden wir schon frühe die Antonier angesiedelt. Sie waren ein Spitalorden, wie die nahen Johanniter, doch [160] nicht ritterlicher Art, vielmehr eine Bruderschaft für den Krankendienst, die dann in eine Kongregation regulierter Chorherren umgewandelt wurde. Sie scheinen den Johannitern als Gehilfen gedient zu haben, für ihren Unterhalt hauptsächlich auf die Almosen angewiesen gewesen zu sein, die sie an Festtagen auf den Straßen einsammelten.
Am entgegengesetzten Ende der Stadt, vor dem Aeschentor (Schwibogen), wohnten die Mönche, die als Brüder St. Marien, Unser Frauen Brüder, Erwähnung finden. Das waren Carmeliter, Glieder des Ordens, der aus der Genossenschaft von Einsiedlern am Berge Carmel erwachsen war. Die Verehrung Mariens war ihre Hauptaufgabe. Näheres von der Basler Niederlassung wissen wir nicht; beim Empfange Rudolfs am 13. Januar 1274 war sie durch acht Brüder vertreten.
Soviel von den Stiftern und Klöstern Basels. Es ist aber von Wert, über die Betrachtung des Einzelnen hinaus sich die Stellung dieser Kirchenwelt im Ganzen klar zu machen. So verschieden auch die Lebensbedingungen und die Entwicklung einer jeden Kirche, eines jeden Stifts und Klosters waren, so groß doch die Summe des Gemeinsamen und so anziehend die Aufgabe einer zusammenfassenden Betrachtung.
Wir fragen vor allem: in welcher Weise fand sich die Stadt als Gemeinde mit diesem Klerus ab?
Kirche und Geistlichkeit machten geltend, über der Welt oder außer ihr zu stehen; aber sie lebten in der Stadt, genossen Vorteile dieses Lebens und erhoben hier Rechtsansprüche. Das Eine widerstritt im Grunde dem Andern, und unter der Wirkung hievon stand auch das Verhältnis des Klerus zur Stadt.
Dies Verhältnis war im Allgemeinen dasjenige des Schutzes. Der Rat, der berechtigt und verpflichtet war, den Stadtfrieden zu wahren, war Schirmer wie der weltlichen Einwohner so der geistlichen. Deutlich redet er selbst von der protectio, die er dem Klerus gewährte, und diesem Schutzbegriff entsprach, daß Klöster, die sich hier niederließen, und auch auswärtige, die hier einen Hof hatten, Bürger der Stadt genannt wurden. Auch Domkapitel und Pfaffheit hießen Bürger.
Die so beschirmte Klerisei hatte in der Stadt die Stellung einer Einwohnerklasse besonderer Art und zum Teil eigenen Rechtes. Sie genoß einer kirchlichen Freiheit, eines privilegium clericale.
Zunächst in Bezug auf das Gerichtswesen. Dabei handelt es sich nicht um Gerichtsbarkeiten wie diejenige von St. Alban, sondern um eine [161] gerichtliche Sonderstellung der Kleriker und um die geistliche Gerichtsbarkeit. Bei Anlaß der Offizialgerichte ist hievon schon die Rede gewesen.
Im Steuerwesen galt eine Steuerfreiheit hinsichtlich des Gewerfes nur für die Amtleute des Vogts, des Bischofs und der Domherren sowie für die Eigenleute und das Gesinde der Domherren und der Gotteshausdienstmannen. Eine weitergehende Befreiung wird dort nicht statuiert; die Sache ist aber ohne praktische Bedeutung, da das Gewerf frühe dahin fiel und überdies der Bischof zu seiner Erhebung an den Willen der Gemeinde gebunden war. Anders verhielt es sich bei der städtischen Verkehrsabgabe, dem Ungeld. Eine Befreiung bestand hier für das Domkapitel und die Chorpfaffen auf Burg und wurde auch vom Rate für diese anerkannt, während die übrige Geistlichkeit zur Entrichtung des Ungelds verpflichtet war.
Andere städtische Lasten waren Wacht- und Kriegsdienst. Vom Getwinge, das dem Rat hiebei zustand, und von dem dieselben Klassen von Amtleuten, Eigenleuten und Gemeinde befreit waren, die auch Exemtion vom Gewerf genossen, redet das Bischofsrecht. Aber über dessen Bestimmungen hinausgehend wurde später auch hier eine Befreiung der Domherren und Domkapläne wie beim Ungeld anerkannt, während die übrigen Kleriker die Lasten von Wachen und Reisen zu tragen hatten, freilich nicht mit ihrem Leibe, sondern mit ihrem Gelde. Wir erinnern an die Bestimmung des Straßburger Stadtrechts, wonach die dortigen Klöster bei einem Heereszuge der Stadt die Pferde zum Fahnenwagen zu liefern hatten; in Basel ist aus späterer Zeit die Pflicht der Klöster zur Stellung der Trainpferde ebenfalls bezeugt.
Auch die äußere Stellung, die Erscheinung im Stadtbilde verdient hier gewürdigt zu werden. Außer dem Münster zeigen die noch heute stehenden Chöre zu Barfüßern, zu Predigern und im Klingental, und zeigt die Nachricht, daß der Chor des Steinenklosters das Erdbeben überdauert habe, die Mächtigkeit und Kraft dieser Bauten an. Sie ragten jedenfalls alle gewaltig hervor aus der größtenteils hölzernen Stadt; die starken Mauern und Gewölbe der Sakristeien haben die Dokumente durch den großen Brand von 1356 hindurch gerettet, während das städtische Archiv in ihm untergegangen ist. Beachtenswert ist auch die andauernde Bautätigkeit der Kirche. Sie füllt das ganze Jahrhundert. Alle diese Kirchen und Klöster sind in diesem Zeitraum entweder neu entstanden oder umgebaut und erweitert worden. Was die Urkunden über Ablässe und Altarweihen,
[162] die Nachrichten der Chroniken, endlich die Gebäude selbst uns hierüber lehren, läßt uns schließen auf eine allgemeine, jedenfalls auch durch Wetteifer, Neid und Stolz geweckte Regsamkeit sowie auf ein außerordentliches bauliches Können. Weniger bestimmt vermögen wir die Frage nach den zum Bauen nötigen Geldmitteln zu beantworten. Die Verschiedenheit, die sich im Betriebe zeigt, ist auffallend. Während die erste Kirche der Barfüßer rasch entstanden zu sein scheint, zog sich der Bau zu Predigern über Jahrzehnte hin; am Münster wurde wahrscheinlich das ganze Jahrhundert hindurch gebaut. Ohne Zweifel wirkten hiebei die Geldverhältnisse mit. Wenn ein Stift oder Kloster einen Bau unternahm, standen außer den Spenden, die durch Kollekten oder vermittelst Ablaßverkündung aufgebracht wurden und gewiß ungleichmäßig eingingen, keine flüssigen Kapitalien zur Verfügung, sondern Einkünfte aus festgelegten Renten. Es ist daher natürlich, daß der Bau nur langsam gefördert werden konnte.
Wenn so die Kirchen, Stiftshäuser und Klöster das Stadtbild beherrschten, so trat dem als Verwandtes zur Seite die außerordentliche Wirksamkeit aller dieser Korporationen im Liegenschaftswesen. Freilich dürfen wir uns nicht durch den Zustand der Überlieferung zur Ansicht verleiten lassen, als ob Grund und Boden ausschließlich in der Gewalt der Geistlichkeit gewesen wäre; über den ganzen, möglicherweise ausgedehnten Liegenschaftsbesitz der Laien, zumal der Ritter und Burger, fehlen uns nur die Nachrichten. Aber doch war dieser kirchliche Besitz ein sehr ansehnlicher, wie schon die Masse der von Erb und Eigen redenden Pergamente der Gotteshäuser zeigt; ihre Ergänzung findet sich in den auf den Liegenschaftsbesitz bezüglichen Eintragungen der Anniversarien und Zinsbücher, unter denen namentlich das an solchen Einträgen überreiche Buch von St. Leonhard zu nennen ist. Im Zusammenhange hiemit ist hervorzuheben, daß von städtischen Bestimmungen, durch die eine zu weit gehende Anhäufung von Immobilien in der Hand der Kirche verhindert werden sollte, in Basel nichts verlautet, während andere Städte schon zu dieser Zeit solche Bestimmungen erließen.
In der Hauptsache erscheint der kirchliche Besitz in der Stadt als ein arrondierter. Wie jedes Stift und Kloster seine Gesellschaft hatte, seine Anhänger, Gönner und Helfer, so auch in ähnlich bestimmter Umgrenzung einen Kreis der von ihm Abhängigen. Eine Nachbarschaft, die seine eigene Welt war. Bei St. Alban liegt dies klar zu Tage. Auch bei St. Leonhard finden wir einen solchen Zustand, und das Minoritenkloster hat die [163] ihm zugetanen Frauen ringsum in seinen Häusern wohnen; das vornehme Gegenspiel hiezu sind die Verhältnisse auf Burg und zu St. Peter. Natürlich besaß jedes Kloster auch einzelne, in entlegenere Stadtteile verzettelte Liegenschaften; aber im allgemeinen haben wir es mit Komplexen von Klostergut zu tun, welche die Stadt beinahe in Bezirke zerfallen lassen.
Dieser städtische Besitz der Kirche ist in vielen hunderten von Urkunden vor uns ausgebreitet, und im Schicksal dieser Liegenschaften und Häuser, wie es von Jahr zu Jahr sich wandelnd bezeugt wird, vollzieht sich vor unsern Augen eine privatrechtliche Entwicklung der interessantesten Art. Die Parzellierung des städtischen Bodens, die Verleihung dieser Hofstätten durch Stift oder Kloster zu Erbzinsrecht, der Hausbau des Zinsmanns, das Aufnehmen von Kapital durch diesen nicht auf die Hofstatt, die nicht sein Eigen war, aber auf das Haus, das ihm gehörte, endlich der Verkauf der Liegenschaft selbst durch den Beliehenen, aber unter Wahrung des grundherrlichen Eigentums, das ist ein immer wieder vor uns geschehender Gang. Seine Wirkung war dann das allmäliche Erlöschen des ursprünglichen Eigentums der Kirche. Aber in unserer Periode ist diese Entwicklung noch lange nicht geendet; wir stehen dem vollen Flusse, dem bewegtesten Leben gegenüber. Noch ist die Kirche Eigentümerin ihrer Hofstätten und bezieht als solche bei jeder Handänderung des Beliehenen eine Anerkennungsgebühr, vor allem aber jährlich den Zins, der zumeist in Geld, aber auch in Naturalien wie namentlich Wecken, Brotringen, Hühnern, Pfeffer, Wachs besteht.
Die Ergänzung dieses städtischen Besitzes sind die Güter auf dem Lande. Keines unserer Stifte und Klöster ermangelt solcher. Es sind Besitzungen aller Art, Eigengüter, Zinsrechte, Gefälle, und als wichtige Objekte Kirchensätze. Sie finden sich der großen Mehrzahl nach im Sundgau, viel seltener im Breisgau; im Sisgau ist hauptsächlich St. Alban begütert. Daß hier Verhältnisse bestehen, die von denen des städtischen Gutes sich unterscheiden, daß Recht und Betrieb hier andre sind, ist natürlich. Schon die Art der jährlichen Abgaben zeigt dies. Die Naturalabgaben überwiegen weit und sind aufs mannigfaltigste gestaltet: Korn- und Weinzinse vor allem, sodann Stroh, Gemüse, Eier und Käse, Becher voll Oeles, Lämmer, Gänse und anderes Geflügel; aber auch Rebstecken werden gezinst, und einen breiten Raum nehmen Dienste ein, wie Fuhre und Beherbergung. In Wintersingen hat St. Leonhard zwei solcher Herbergsrechte, das eine im Frühling, das andre im Herbst, jedesmal zu 31/2 Pferden; als ein halbes Pferd wird das des Kochs gerechnet, der den Propst bei diesem [164] Einritte zu begleiten hat. Aehnlich sind die Rechte von St. Alban in Kembs und in Mett; mit Hunden, Pferden, Jagdfalken, Dienern kommt der Propst auf den Hof seines Meiers oder Försters; nichts Mönchisches mehr steht vor uns, sondern der mächtige Grundherr.
Alle diese Dinge nehmen in der Ueberlieferung den breitesten Raum ein. Ihnen gelten fast alle Urkunden, ihnen die prächtigen Urbarien und Zinsrödel, die in den Anhängen der Anniversarien gesammelten Notizen. Es sind zum Teil Aufzeichnungen von erstaunlicher Einläßlichkeit und Sorgfalt; und so vollständig scheint hie und da dieses Material zu sein, daß wir uns versucht fühlen, heute noch einen solchen Vermögensstand und Haushalt zu rekonstruieren. Wir gewahren dabei, wie verwickelt und schwierig oft jene Verwaltungen sein mußten. Die Beaufsichtigung der Zinsleute und die Abnahme, Verwahrung und Verwertung aller der Einkünfte gaben um so mehr zu tun, je mehr es sich um Naturalleistungen und um kleine Einzelgefälle handelte. Wir ahnen den Organismus, den dies nötig machte, die Größe der Vorratsräume, die Menge des Gesindes, den Umfang der ganzen Oekonomie. Neben den Haus- und Hofgewerben, als welche uns Schuhmacher, Bäcker, Müller, Schmiede usw. genannt werden, stehen die Knechte und Tagelöhner, die Mähder, Heuer, Schnitter, Leser für Bearbeitung des nicht ausgeliehenen Landes. Nur gelegentlich zeigt sich dieses ganze Personal in den Zeugnissen; häufig aber, namentlich in einer spätern Zeit, erscheint der Schaffner, der Prokurator oder Syndikus. Bei St. Peter und St. Leonhard ist dies meist einer der Chorherren, in den Frauenklöstern und bei den Predigern einer der Konversen, bei den Barfüßern sehen wir Bürger das Amt besorgen. Dieser Schaffner erscheint als der Vertreter des Stifts oder Klosters bei allem profanen Geschäft, bei Kauf und Leihe und vor Gericht; ihn haben wir uns wohl auch als den Leiter der ganzen Gutsbesorgung zu denken.
Die Ueberlieferung, die uns die Kenntnis dieser Zustände vermittelt, ist natürlich eine einseitige; aber die Einseitigkeit so stark und geschlossen, daß sie uns die tiefste Bedeutung, den wirklichen Beruf dieser Stiftungen in der Tat kann vergessen lassen. St. Leonhard z. B., bei dem sozusagen nur diese Dokumente sich erhalten haben, alles Weitere aber völlig fehlt, stellt sich vor allem als Vermögensverwaltung und nur nebenbei als Gotteshaus dar.
Dem ausgebildeten, uns viel zu nahe kommenden Geschäftswesen gegenüber steht der eigentliche Dienst der Kirche. Wir haben ihn hier nicht
[165] darzustellen, sondern nur die wenigen Zeugnisse dieser Tätigkeit zu vernehmen, die sich vorfinden.
Vor allem handelt es sich um die Pfarreirechte, deren wichtigstes die Seelsorge ist. Zu ihr gehören die tägliche Messe, die Predigt an Sonn- und Feiertagen, die Abnahme der Beichte. Dazu kommt die Taufe, die Oelung und das Begräbnis. In welcher Weise zur Ausübung dieser Funktionen sich die Pfarreien in Basel ausbildeten, die Gemeinden entstanden, ist schon gesagt worden. Nur mit einer wirklichen Pfarrkirche haben wir es zu tun, mit St. Martin, und nur bei dieser tritt auch die Gemeinde als solche handelnd auf. Im übrigen finden wir die städtischen Pfarreien bei Stiftern und Klöstern.
Die pfarrliche Tätigkeit war allerdings etwas im Grunde Unmönchisches, ein Uebergreifen in die Tätigkeit der Priester und ein Abweichen vom wirklichen Berufe der Klosterleute. Aber es handelte sich um eine Aufgabe und zugleich um eine Macht, der sich das Kloster nicht entziehen konnte und wollte. Zu den wichtigsten Ausstattungsstücken, die St. Alban bei der Gründung erhielt, gehörten die pfarrlichen Befugnisse in der ganzen damaligen Stadt Basel; die Mönche ließen diese Geschäfte durch Kapläne besorgen, und jedem Versuche, ihre Herrschaft zu beeinträchtigen, traten sie kräftig entgegen. Aehnliches wiederholt sich bei den Priestermönchen von St. Leonhard. Dennoch scheint bei dieser kirchlichen Tätigkeit der Klöster ein vorhandenes Bedürfnis nicht befriedigt worden zu sein. Der große Erfolg der Bettelorden ruhte gerade auf dem Punkte der Predigt und des Beichthörens. Ihre Gesinnung, ihr Geist, die Art ihrer Arbeit waren Mächte, gegen welche die bisherigen Parochiegewalten offenbar nur schwer ihren Stand behaupten konnten.
Daher der erbitterte Kampf, der bald ausbrach. Wie überall, so auch hier. Vorerst sehen wir ein anscheinend von Niemand gehemmtes Eindringen und Fußfassen der neuen Mönche. Sie genossen die Gunst der Bischöfe, die sie dem Klerus ihrer ganzen Diözese warm empfahlen. St. Alban mußte die Niederlassung der Barfüßer in seinem Sprengel gutheißen; ein bischöfliches Privileg befreite die Prediger von der Pflicht, von den ihnen zufließenden Vergabungen und Begräbniseinnahmen irgend Jemandem, d. h. hier zunächst dem Petersstift, einen kanonischen Anteil zu entrichten. Das Wohlgefallen an diesen noch vom ersten Feuer erfüllten Söhnen der Kirche, die Zufriedenheit mit ihren Diensten im Kampfe gegen Kaiser Friedrich und gegen Haeretiker ließ ihnen alle Gunst gewähren. Nur nicht auf Seite des Pfarrklerus. Schon 1249 hatte sich Bischof [166] Berthold über den Widerstand zu beschweren, den Prälaten und Kirchherren den Mendikanten sei es im Geheimen sei es öffentlich bereiteten; er befahl ihnen, hievon abzulassen. Nun aber wandten sich die Inhaber der baslerischen Pfarrkirchen an den Papst selbst mit Klagen über Eingriffe der Ordensbrüder in die Pfarreirechte, über ihre Erbschleicherei bei Kranken, über die hieraus sich ergebende Schädigung der Pfarrer an Gebühren und Vergabungen. Sie erlangten einen Entscheid des Papstes, der die pfarrlichen Rechte sicher stellen sollte, aber sie erlangten nicht Ruhe. Der Konflikt scheint von da an ein dauernder gewesen zu sein. Mit der Opposition des in seiner Stellung und Wirksamkeit bedrohten Pfarrklerus als solchen verband sich hier, wo die Pfarreien zum guten Teil Klöstern inkorporiert waren, der Neid der alten Orden gegen diese neuen Heiligen. Und bald teilte auch der Bischof selbst diesen Widerwillen. Die Mendikanten durchbrachen mit ihren zahlreichen und großen Privilegien alle in der Diözese geltende Ordnung, waren vom Bischof emanzipiert, seiner Jurisdiktion nicht unterworfen. So hatte er allen Grund, gegen sie aufzutreten. Noch war ihnen der mächtige Heinrich von Isny, selbst Barfüßer, eine Stütze; aber nachdem dieser den Basler Bischofsstuhl verlassen hatte, trat ein Umschlag ein. Strömungen von außen her wirkten mit. Der heftige Streit der Straßburger Bürgerschaft mit dem dortigen Predigerkloster, der Erlaß des Rates daselbst gegen die Mendikanten, sein Rundschreiben, das er zur Aufklärung über das Vorgefallene auch an Basel gelangen ließ, machten hier tiefen Eindruck. Eine Reihe bedeutsamer Erlasse zeigt uns die Stimmung, die hier Oberhand gewonnen hatte: die Indulgenz für St. Leonhard 1287, in Stadt und Diözese Basel Beichte zu hören, Bußen aufzuerlegen, dem Volke zu predigen und den Zuhörern Ablaß zu verheißen; das Zirkular des erzpriesterlichen Offizials an alle Leutpriester der Stadt 1288, worin jedem Gläubigen auferlegt wird, seinem Sprengel treu zu bleiben; das vorteilhafte Abkommen des Pfarrers von St. Martin mit den Augustinern 1290. Völlig im Einklang mit alle dem steht die scharfe Bestimmtheit, mit der in den Synodalbeschlüssen von 1299 der Pfarrklerus bei seinen Rechten des Begräbnisses, der Predigt, des Beichthörens gegenüber den Bettelorden geschützt wird.
Doch dürfen wir bei Erwägung dieser Verhältnisse nicht nur an den Streit denken, der sich dabei entzündete, und nicht nur an die äußerlichen Einbußen, welche die Pfarrer erlitten. Den Mendikanten ist wahrlich noch Anderes zuzuschreiben als Uebergriff in fremde Rechte und Erbschleicherei. Was sie unzweifelhaft bewirkten, war eine segensvolle Erneuerung, eine [167] Belebung und Bereicherung des Verhältnisses zwischen Kirche und Gemeinde; und dies wurde nun nicht nur in ihrem Gebiete, sondern auch in den alten Verbänden spürbar. Daß z. B. der Bischof von Konstanz 1288 dem Leutpriester am Großmünster zu Zürich das Predigen ausdrücklich empfahl und ihn ermächtigte, den Besuchern seiner Predigten Ablaß zu erteilen, zeigt, wie das Beispiel der Bettelorden zur Nachfolge trieb, wie der Weltklerus Anlaß fand, nun auch seinerseits sich Mühe zu geben.
Damit werden wir aber auf die Gebiete inneren Lebens der Kirche geführt, die sich hier unsrer Betrachtung entziehen. Für sie muß auf die allgemeinen Darlegungen verwiesen werden; zu erwähnen ist höchstens, daß die an die Ausbildung des Bußsakraments sich anschließende Institution des Ablasses in Basel seit Beginn der 1230er Jahre in Uebung war.
Im übrigen zeigen die Quellen noch einige Einzelheiten aus dem Kirchenwesen, die von Interesse sind. So erfahren wir, daß schon damals einzelne Gotteshäuser der Stadt sich in Prozessionen besuchten. Die Mönche von St. Alban zogen an den Tagen vor Himmelfahrt, das Kreuz voran, zum Münster, während hinwieder am Martinstag die Domherren nach St. Alban wallfahrteten. Zahlreiche Prozessionen hatten die Stiftsherren von St. Peter auszuführen; schon ihre erste Ordnung von 1233 auferlegte ihnen, an den großen Marienfesten, am Kirchweihtag des Münsters, zu Weihnachten, am Palmsonntag, Ostern und Pfingsten processsionaliter zur Kathedrale zu ziehen und hier der Messe beizuwohnen; ohne Zweifel fanden alte Zusammenhänge in diesem Brauch ihren Ausdruck.
Auch das Augustinusfest war einer dieser feierlichen Vorgänge. Es wurde alljährlich zu St. Peter mit Glanz gefeiert; die Mönche von St. Leonhard hatten an die Kosten, weil das Fest ihrem „Herzog“ galt, eine Summe beizutragen.
Sodann das die zarteste Andacht mit zugreifender Sinnlichkeit merkwürdig vereinende Reliquienwesen. Vom heiligen Blut, das Bischof Ortlieb, von den Heiltümern, die ein halbes Jahrhundert später der Abt von Päris aus dem Osten gebracht, ist schon die Rede gewesen. Sie hatten den von Heinrich II. gestifteten Reliquienschatz des Münsters bereichert. Jetzt kamen einheimische Stücke dazu: 1254 von den Gebeinen der elftausend Jungfrauen aus Köln, 1270 das Haupt des heil. Pantalus ebendaher. In eine prachtvolle Büste von Gold und Silber wurde dieses eingeschlossen, Pantalus selbst zum zweiten Patron der Basler Domkirche erhoben; der Tag nach der Münsterkirchweih war sein Tag.
[168] Zahlreicher sind die Nachweise über die Anniversarien, die dazu dienten, den Todestag des Stifters auf ewig mit einer kirchlichen Feier zu seinem Seelenheil zu umgeben. Vor allem in den Jahrzeitbüchern, die sich bei Domstift und St. Peter in schönen Reihen erhalten haben, sind diese Stiftungen bezeugt. Der Quellenwert dieser Bücher zumal für Personengeschichte ist unvergleichlich. Aber sie vermitteln auch die schöne Vorstellung, wie in den Anniversarienfeiern die vergangenen Geschlechter stets aufs neue gegenwärtig waren, in ihrer Kirche und in ihrer Gemeinde weiter lebten.
Die mächtige Begleiterin dieser kirchlichen Tätigkeit war die wissenschaftliche Arbeit. Doch kann hier von den allgemeinen Beziehungen beider, von der Beherrschung der Wissenschaft und der literarischen Kultur durch die Kirche nicht gehandelt werden; wir haben uns auf die Ortsgeschichte und ihre dürftigen Zeugnisse zu beschränken.
Bemerkenswert ist hier das auswärtige Studium, der Besuch einer der großen Hochschulen jener Zeit durch Geistliche. Hiebei ist vor allem an Paris zu denken; ferner tritt uns Bologna mächtig entgegen. Dort treffen wir zu dieser Zeit eine Reihe von Basler Domherren als Studierende: den Heinrich Mazzerel, den Heinrich von Lörrach, den Peter Schaler. Neben ihnen dann den St. Peterschorherrn Burchard Vitztum, der später Propst wurde, und außer diesen noch zahlreiche andere Basler, einen Arnold von Biedertal, einen Pauler, einen Berthold, Friedrich, Heinrich usw. Den Kanonikern von St. Peter war ausdrücklich die Freiheit zugesichert, an eine Universität zu gehen, und wiederholte Erwähnungen zeigen, daß dies Verlassen von Stift und Pfründe zum Besuch eines solempne studium etwas Normales, ein anerkannter Brauch war. Daher auch im Statut der Hausgenossen 1289 die Bestimmung aufgenommen wurde, daß der Kauf von Silber für den Besuch solcher Schulen vom Schlagschatz so gut frei sein solle wie der Silberkauf für Wallfahrten und kriegerische Ausrüstung; in der entsprechenden Bestimmung des Bischofsrechtes war dieser Punkt nicht erwähnt, und sein Hinzutreten weist auf eine inzwischen geschehene Entwicklung.
Was solches Studium im Einzelnen bewirkte, ist uns natürlich verborgen. Nur zwei Erscheinungen können kurz erwähnt werden: die Jurisprudenz und die medizinische Wissenschaft.
Die Jurisprudenz ist im damaligen Basel vertreten durch die zahlreichen magistri, die namentlich an den geistlichen Gerichtshöfen als Offiziale, Vögte und Notare arbeiteten. Mitten in ihren Kreis hinein versetzt uns [169] ein merkwürdiges Rechtsgutachten über die Gültigkeit einer dem Kloster Lützel gemachten Schenkung, 1272. Es ist erstattet durch den Ritter Johann Rauber und die Meister Seman, Rudolf von Rixheim und Nikolaus; mit ihrem Gutbefinden erklärt sich einverstanden ein Magister Peter, bei dem vielleicht an Petrus de Prece, den Protonotar Konradins, zu denken ist. Diese Männer, nebst dem doctor legum Berthold und dem Magister Rudolf von Rheinfelden, können als die angesehensten Basler Juristen jener Tage gelten; Meister Seman erscheint dann als bischöflicher Offizial, Meister Nikolaus ist Advokat der Kurie. Die Ergänzung dieser Gelehrten aber, die kanonistisch-römischrechtliches Wesen in Rechtsprechung und Urkundenstil einführten, waren gute Laienjuristen wie der Ritter Rauber, der schon genannt worden ist, oder die Nachschultheißen Heinrich und Hugo von Gundolsdorf.
Mit der Rechtswissenschaft berührte sich die Schreibkunst. Wie hoch mußte diese stehen, wie einflußreich Der sein, der sie besaß, in einer Zeit, da Fürsten wie der Erzbischof Friedrich von Salzburg und die Aebte von St. Gallen und Murbach nicht schreiben konnten! Zwischen all der Kraft und Gewalttätigkeit stehen die Schreiber da als Wissende, auf deren Hilfe auch der Mächtigste sich angewiesen sah. Ihre Tätigkeit konnte in der Tat wie eine Wissenschaft gelten und mit juristischer Bildung Hand in Hand gehen. Dies vor allem bei den Schreibern der geistlichen Kurien und des Rates.
Aber Schreiber solcher Qualität fanden sich auch an andern Posten. Wo regiert und verwaltet wurde, war ein Schreiber Bedürfnis, und dessen Arbeit nicht nur das Ausfertigen der Urkunden, sondern auch die Korrespondenz, das Führen der Güterbücher und Rechnungen. So haben wir uns die Schreiber des Bischofs zu denken und der hohen Herren des Domkapitels. Typisch ist jener Burchard. der die zweite Hälfte des Jahrhunderts ausfüllt, als Schreiber der Dompropsts beginnt, dann Schreiber der Bürgerschaft wird, daneben Chorherr und bald Scholastikus zu St. Peter ist, Pfründen der Stifter Rheinfelden und Zofingen besitzt, Kinder zeugt und diese im Nonnenkloster Blotzheim versorgt. Die überaus schöne und klare Schrift dieses gewandten Mannes begegnet in zahlreichen Urkunden. Sodann die bischöflichen Schreiber Rudolf und Kuno, die Beide gleichfalls Chorherren von St. Peter sind; wie Kuno erhält auch der Dompropsteischreiber Heinrich von der ihn vor Vielen auszeichnenden Beschäftigung den Beinamen Schreiber. Aber auch aus andern Dienstverhältnissen treten uns solche Schriftkundige entgegen: der Hauskleriker der Familie zur Sonnen, Martin, der später Propst zu St. Leonhard wurde; der in Basel viel verkehrende [170] Schreiber des Grafen von Honberg, Rudolf von Wenslingen; und unter den Domherren der Magister Ulrich von Ulm, ehemals Notar des Kaisers.
Diese beamteten Schreiber sehen wir gelegentlich auch für Andre als ihre Herren die Kunst ausüben; so z. B. den Stadtschreiber Burchard 1269 für den Ritter Johann von Butenheim, 1265 für den Altscholaster Johann usw.
Und endlich zeigt sich die Wichtigkeit der Schreibkunst in dem Vorkommen selbständiger Privatschreiber, die aus ihrem Können ein Gewerbe machten. Wenn sie Urkunden schrieben, so hatten diese natürlich so wenig Beweiskraft, wie an sich die Ausfertigungen der beamteten Schreiber; diesen wie jenen kam solche Kraft erst durch die Besiegelung der hiezu Berechtigten. Einen Johann, zwei Konrade, einen Berthold, einen Eberlin, einen Anshelm finden wir als solche gewerbsmäßige Skriptoren. Und auch Frauen werden bei diesem Berufe getroffen: die Schreiberin Hedwig 1250, die Schreiberin Irmina 1297. Ihre geistliche Genossin war jene Klingentaler Nonne, von der die Prediger rühmen konnten, daß sie ihnen den ganzen Winterteil des Lektionars mit einer einzigen Feder geschrieben habe.
Das letzte Beispiel zeigt wieder, daß wir bei Betrachtung dieses Schreibervolkes durchaus nicht nur an die Verfertigung von Urkunden denken dürfen. Die Schreiber dienten dem Leben überall und alltäglich, und ein Blick auf die reiche Gesamtheit des von ihnen Geschaffenen zeigt ihre geschichtliche Bedeutung. Auch wo sie nicht Urkunden verfaßt haben, sind sie Urkundspersonen ersten Ranges. Das Greifbare und Schaubare, in dem jene Zeit noch heute vor uns lebt, besteht nur aus wenigen Gebilden des Meißels, aber aus unzähligen Werken der Feder.
Dem Sprachlichen und Stilistischen dieser Werke kann hier natürlich nicht näher getreten werden. Nur Eines ist zu erwähnen: das Auftreten des Deutschen in den Urkunden. Ihre übergroße Masse ist in einem Latein abgefaßt, das uns völlig als lebende Sprache entgegentönt, sodaß wir uns des Ueberganges nicht bewußt werden, der vom Sprechen und Tun des Tages zu dieser seiner Dokumentierung geschah. Nun beansprucht auch das Deutsche hier Geltung. Ein Zusammenhang mit allgemeinen Strömungen, die das Volkstum hervortreten lassen, eine Laienliteratur einführen, ist nicht zu verkennen. Beachtenswert aber sind die Punkte, wo diese Neuerung einsetzt, und die Personen, die sie vertreten. In Basel ist dies vor allem Bischof Heinrich von Neuenburg; als eigenartig und groß zeigt er sich auch hierin. Sein Bischofs- und Dienstmannenrechr, seine Verträge [171] mit den Herren von Butenheim, mit dem Grafen von Pfirt, mit der Stadt Neuenburg, seine Zunfturkunden, seine Handfeste für Kleinbasel sind deutsch abgefaßt. Sodann kommt Kleinbasel selbst in Betracht. In auffallender Weise bedienen sich hier Schultheiß und Rat konsequent der deutschen Sprache, während der Großbasler Rat lateinisch urkundet. Dies und die frischere, von Konvention freiere Form der Kleinbasler Ratsurkunden lassen vermuten, daß der Stadtschreiber in Kleinbasel kein Kleriker, sondern ein Laie war. In der Menge der Klosterurkunden sodann zeichnen sich die beiden Frauenklöster St. Clara und Klingental durch deutsche Abfassung aus, schon vor ihrer Uebersiedelung nach Kleinbasel und in den von ihnen ausgestellten Urkunden sowohl wie in den von ihnen empfangenen. Der Adel endlich, dessen Urkunden sonst schon früh zur deutschen Sprache greifen, ist nur wenig vertreten; aber der deutsch dichtende Herr Walther von Klingen urkundet lateinisch.
Auch von den medizinischen Kenntnissen der Geistlichkeit ist zu reden, als von einer weitern Wissenschaft, mit der sie in die Welt hinaustraten und dieser dienten. Der erste Basler Arzt, von dem mir hören, ist wohl jener Domherr Kuno; auch die nach ihm kamen, als medici, physici, chirurgici, scheinen Kleriker gewesen zu sein: Otto 1254, Johann von Zürich 1288, Dietrich 1295, Heinrich von St. Blasien 1298 u. s. w. Sie Alle tragen den Magistertitel. In dem Jahrhundert, das durch den Mönch Albert den Großen eine neue naturwissenschaftliche Erkenntnis gewann, war auch die Heilkunst noch in die Hand der Kirche gelegt. Dann aber trat unter der Wirkung fremdländischer Einflüsse eine Verschiebung ein; schon in der nächstfolgenden Zeit sehen wir hier die jüdischen Aerzte tätig.
Bei dieser Erwähnung wissenschaftlicher Arbeit der Kirche sind endlich ihre Schulen namhaft zu machen. Diese hatten in erster Linie dem kirchlichen Bedürfnisse selbst zu dienen, Geistliche heranzubilden.
Von den Schulen in den Klöstern Basels vernehmen wir gar nichts. Man vermutet solche Nachrichten noch am ehesten bei St. Alban zu erhalten. Aber so wenig hier über ein gelehrtes, geistiges Leben überhaupt etwas verlautet, so wenig über eine Klosterschule.
Besser bezeugt sind die Stiftsschulen. Von einer Domschule ist die Rede. Ferner von Schulen zu St. Peter und St. Leonhard. An allen diesen Orten haben wir die verschiedenen Arten von Schülern uns zu denken: solche die vom Stift lebten, Anwartschaft auf Pfründen hatten und als arme Schüler beim Chordienst mitzuwirken hatten, oder die in freierer [172] Stellung sich befanden, als Söhne aus guten Häusern sich für den Eintritt in den Weltklerus vorbereiteten, auf eigene Kosten lebten.
Schon bei der Gründung von St. Peter wurde bestimmt, daß dort eine Stiftsschule zu betreiben sei mit zwanzig Schülern, die ein Schulgeld entrichten, und zehn armen Schülern. Später lautete die Bestimmung sowohl für St. Peter als für St. Leonhard, daß an jedem Orte dreißig Schüler sein sollten, worunter sechs Arme oder sonst ohne Entgelt zu Unterrichtende.
Die ganze bewegliche und mannigfach gestaltete Welt der Scholaren findet freilich eine sehr ungenügende Bezeugung. Zunächst sind es die armen Schüler, die wir kennen lernen, aus den Statuten über ihr Singen im Chor und aus den Stiftungen von Brot- und Kleiderspenden zu ihren Gunsten. Sodann werden einzelne Scholaren gelegentlich erwähnt, weil sie im Dienste eines Domherrn stehen, oder als neugewählte Landpfarrer, aber auch als Gutsverwalter eines Nonnenklosters, und als Hausbesitzer. In allen diesen Fällen handelt es sich um geordnete Existenzen; von der viel zahlreicheren Gattung, die als fahrende Schüler, als Vaganten dem Jahrhundert zu tun gab, haben unsere Quellen nichts zu sagen.
Die Organisation der Stiftsschulen war in der Hauptsache durchweg dieselbe. Am Domstift wie zu St. Peter bestand die Würde des Scholasticus; auch im Leonhardskonvent findet er sich. Ihm lag die Aufsicht über das Schulwesen ob; er war der Gebildetste des Kollegiums, vor den Andern in Sprache und Schrift erfahren. Der Scholaster Burchard zu St. Peter galt als der beste Schreiber seiner Zeit, und der Domscholaster hatte das Amt, die Briefe, die das Kapitel ausgehen ließ, zu verfassen und die Briefe, die es empfing, vorzulesen. Unter ihm stand überall der Schulmeister, Knabenrektor, auch Unterscholasticus genannt, der in Person den Unterricht erteilte und die Schüler zum Mitsingen in den Chor zu bringen hatte.
Das Schulhaus diente wohl auch zur Wohnung der Schüler. Dasjenige der Münsterschule befand sich beim Kreuzgang. Zu St. Peter hatte der Scholasticus Burchard die Schule am Ende des Kirchhofs gebaut; zu St. Leonhard stand das Schulhaus anfangs unten am Berg beim Leonhardsspital; später wurde die Schule infolge Vergabung des Konstanzer Domkustos Heinrich Kücheli hinauf an den Kirchhof verlegt, in das ehemals dem Großen St. Bernhard zuständige Haus; der Konvent vermietete das alte Schulhaus 1297 an die Schreiberin Irmina.
Eine besondere Stellung nahmen neben diesen Stiftsschulen die Schulen der Mendikanten ein. Sie waren geregelt durch die allgemeinen [173] Gesetze der Orden und in jedem Hause gleich. Der Lesemeister unterrichtete die jungen Mönche, gab ihnen Anleitung zum Beichthören, zur Schriftauslegung, zur Polemik gegen die Haeresie; die Ausländer unter ihnen hatten die Landessprache zu lernen. In unsern Urkunden ist von diesem Schulhalten begreiflicherweise nichts zu lesen; einen Hinweis gibt einzig die Stiftung des Konrad Probus, der für die Aufzucht junger armer Minoritenschüler eine jährliche Summe aussetzte. Neben den Schulen der einzelnen Konvente aber bestanden die Generalstudien oder Provincialstudien des Ordens, wohin taugliche Brüder zu höherer Ausbildung gesandt wurden.
Aller dieser Unterricht aber, von der Kirche geregelt und erteilt, sollte zunächst nur den Bedürfnissen der Kirche selbst dienen. Eine Laienbildung, eine Bildung als Allgemeingut war daher nur zu erlangen, wenn die gegebene Vertreterin des Laientums, nämlich die Stadt, die Gemeinde, sich der Schule annahm. Wir wissen, daß anderwärts das dreizehnte Jahrhundert städtische Schulen entstehen sah, daß vereinzelt sogar Stadt und Kirche um die Schule kämpften. Für Basel liegt ein bestimmtes Zeugnis nicht vor. Aber jener Magister Johann, Knabenschulmeister in Basel, der 1285 uns begegnet, dürfte doch als städtischer Schulmeister, als Lehrer an einer städtischen Anstalt, aufgefaßt werden.
Um so deutlicher sehen wir auf einem andern Gebiete die Stadt der Kirche folgen und sie beerben.
Die Armenfürsorge lag in den Händen der Kirche; auch was von Weltleuten für die Armen und Notleidenden geschah, kam, sofern es sich um größere und dauernde Veranstaltungen handelte, durch Vermittlung kirchlicher Institute zu seiner Bestimmung. Dies gilt vor allem von den Armenspenden, die bei Klöstern durch private Wohltätigkeit veranstaltet wurden. Sie waren sehr häufig. Die Verfügungen des Johann Hurrebold 1284, des Herwig 1297, des Altscholaster Johann 1265, der Begine Hirnapussin 1300 sind nur einzelne Beispiele aus der Fülle. Der Kirche wurden dabei Summen Geldes oder noch eher jährliche Fruchtgefälle übergeben mit der Bestimmung, an kirchlichen Festen oder am Jahrestage des Stifters Brot, Wecken, Schuhe, Tuch unter die Armen auszuteilen.
Neben dieser vermittelnden Tätigkeit der Kirche stand ihre eigene organisierte Fürsorge.
Alle Armenanstalten des früheren Mittelalters waren bei Klöstern oder Stiftern. „Das Hospital gehörte zur Klosteranlage fast wie die Kirche.“ [174] Sein Name rührt her von der Beherbergung landfremder Reisender, die den Klöstern zufiel, wo keine Herbergen bestanden. Aber diese Hospitäler wurden schon frühe zu mehr, zu Pflegehäusern und Heilstätten, und diese Bestimmung trat immer stärker hervor.
Wir finden solche Einrichtungen auch in Basel. Die Infirmerie des Predigerklosters wird beiläufig genannt. Von den Antoniern war schon die Rede, von den Ritterorden und ihrer Spitalpflege wird noch zu reden sein. Hier stehen voran die Spitäler von St. Alban und St. Leonhard.
Das Spital von St. Alban befand sich an Stelle des Hauses zum Schönen Eck. Seine früheste Erwähnung, als einer schon fest bestehenden Anstalt, fällt in das Jahr 1278. Zwei Jahre später erhielt es ein Reglement durch den Abt Yvo von Cluny; die Trennung seines Vermögens von dem allgemeinen Klostergut wird eingeschärft, das Vermögen genau bezeichnet und seine Verwendung geordnet. Außer der Krankenpflege gedenkt der Abt dabei namentlich der Armenfürsorge; einer der Mönche hat als Almosenier zu amten; er soll die Armen und Bettler unterstützen und, wenn er bei Herannahen des Winters noch Geld in der Kasse hat, dies zur Verteilung von Leinen- und Wollentuch verwenden.
Aehnliches begegnet bei St. Leonhard, dessen Spital am Fuße des Berges lag. Auch bei ihm war gesonderte Vermögensverwaltung; ein Spitalmeister stand dem Hause vor.
Das Bemerkenswerte ist nun, daß die Stadt eingreift. Andere Städte erlebten die Umbildung des kirchlichen Spitals zu einer kommunalen Anstalt; in Basel trat ein Bürgerspital neben die Klosterspitäler. Mit der Festigung und Ausgestaltung der städtischen Verhältnisse hing dies zusammen. Die Kraft des Gemeindelebens, die in Schaffung des Bürgermeistertums, im Erwerb des Rathauses sich dokumentierte, führte in denselben Jahren auch zur Gründung dieser Anstalt. Die Klöster genügten wohl dem Bedürfnisse nicht, und der Bürgerschaft mochte es als Ehrensache erscheinen, hier von Gemeinde wegen etwas selbst zu tun. Es war ein Gedanke, durchaus verwandt dem damals am Würzburger Städtetage, 1256, gefaßten Beschlusse einer in den oberdeutschen Städten einzuführenden gemeindlichen Armensteuer.
Die Gründung dieses städtischen Spitals geschah kurz vor 1265; in diesem Jahre wird es zum ersten Male als neues Spital genannt. Grund und Boden, auf dem es stand, war die städtische Allmend auf dem rechten Birsigufer, neben dem Barfüßerkloster.
[175] Die Leitung dieses städtischen Spitals war einem Kollegium von Prokuratoren, Pflegern übertragen; angesehene Männer aus der Bürgerschaft, wie Heinrich Iselin, Johann von Arguel, Berthold im Steinkeller, sind unter diesen, so auch der Ritter Konrad Zerkinden. Die Geschäfte im Hause selbst besorgte die „Familie“ der Conversen, die sowohl Männer als Frauen umfaßte: eine geistliche oder halbgeistliche Genossenschaft, durch die gemeinsame Aufgabe des Dienstes an den Armen und Kranken verbunden, die wir gelegentlich auch bei Verfügungen über das Spitalvermögen neben den Pflegern mitwirken sehen. Auch von einem Priester des Spitals ist die Rede. Doch bringt erst das folgende Jahrhundert nähere Nachrichten über die Geschichte des Spitals. Das Wichtigste dieser frühern Zeit mag der Kauf der Güter zu Egringen 1284 sein und 1288 die Abtretung von Land an das Barfüßerkloster zur Erweiterung seines Kirchhofs.
Das Bestehen dieses Spitals beseitigte die alten Klosterspitäler nicht; sie begegnen uns noch neben ihm.
Eine unentbehrliche Ergänzung des Spitals war das Siechenhaus, wo die ansteckend Kranken, vor allem die Aussätzigen zusammengebracht und von aller Berührung mit der Welt möglichst fern gehalten wurden. In alter Zeit, da die Stadt nur bis zum Birsig reichte, stand das Siechenhaus auf dem jenseitigen Ufer, am Fuße des Leonhardsberges. Aber die Ausdehnung der Stadt machte in der Folge seine Verlegung nötig. Wir wissen nicht, wann dies geschah. Wir wissen auch nicht bestimmt, wessen Befehl und Leitung das Haus unterstand. Eine Beziehung zum Leonhardsstifte, gleich derjenigen des dortigen Spitals, ist nicht anzunehmen, eher an eine Befugnis der Stadtgemeinde selbst zu denken. Kurz nach Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, in denselben Jahren, die das städtische Spital entstehen sahen, wird das Siechenhaus zum ersten Mal weit draußen vor der Stadt, bei der Birsbrücke, gefunden. Aber es kann schon geraume Zeit früher dorthin verlegt worden sein. Seine Leitung war in den Händen von Pflegern, zeitweise derselben Männer, die Spitalpfleger waren. Wir vernehmen von Güterbesitz, den das Haus in seinem Revier erwarb; noch trug es nicht den Namen des heiligen Jakobus; nur von den Dürftigen an dem Felde, von den Leprosen bei der Birsbrücke ist die Rede.
Zur Vollständigkeit des Bildes der Basler Geistlichkeit gehören noch zwei Gruppen, die uns als Zwischenformen entgegentreten: die Ritterorden und die Beginen samt den Tertiariern.
[176] Die drei Ritterorden der Johanniter, Templer, Deutschherren haben gemeinsamen Ursprung; auch die Größe der Aufgabe war ihnen gemeinsam: Beschützung und Pflege der zum heiligen Grabe des Erlösers Pilgernden, Spitaldienst, Kampf gegen die Ungläubigen. Noch im zwölften Jahrhundert faßten alle drei Fuß auch im Abendlande.
Am frühesten werden in Basel die Johanniter angetroffen. Sofort an der Stelle, die dann Jahrhunderte lang das Johanniterhaus war. Dieser Ort war kaum durch den Zufall gegeben. Er lag an der begangenen Straße, die längs dem Rheine von Basel nach Norden führte; hier war Gelegenheit, Pilgern und Notleidenden beizustehen. Die erste knappe Erwähnung zeigt die Johanniter hier im Jahre 1206; aber von sehr ausgebildeten Verhältnissen redet schon ein Vergleich von 1219 über Parochiefragen. Die Johanniter haben eine Kapelle auf ihrem Gebiet vor dem Stadttor, eine zweite, die dem heiligen Nikolaus geweiht ist, innerhalb der Mauern und im Pfarrgebiet von St. Peter. Ohne Zweifel klingen hier alte Verhältnisse weiter, machte sich eine frühere, nicht mehr bestehende Stadtbegrenzung geltend. Der Leutpriester von St. Peter empfindet den Zustand als eine Schmälerung seines Rechtes, und nur durch eine Schenkung an seine Kirche können die Ritter einen Vergleich ermöglichen. Ihre Pfarrrechte werden anerkannt gegenüber den Bewohnern ihres äußern Bezirkes, sowie einiger Häuser in der Stadt und längs der Rheinstraße; überdies darf ihr Priester an gewissen Tagen in der innern Kapelle Pilgern und Reisenden Messe lesen und das Viatikum reichen. Diese Niklauskapelle wird später nicht mehr genannt; die Sondergemeinde zu St. Johann aber, die durch das Abkommen geschaffen worden, blieb seitdem bestehen.
Im übrigen ist vom Johanniterhause dieser frühern Zeit wenig zu sagen. Unter den Brüdern, die in Priester und Ritter sich gliederten, werden Angehörige der Basler Geschlechter Ramstein, Rauber, von Frick, Münzmeister gefunden. Ein Provisor oder Prokurator stand anfangs der Niederlassung vor, 1263 zum ersten Male erscheint ein Komthur als Leiter. Diesem beigeordnet war der Prior.
Von den Templern, deren nächstgelegene Konvente zu Breisach und Bergheim waren, ist in Basel kaum etwas zu sagen. 1220 kaufte St. Leonhard Güter in Basel, die diesem Orden gehörten. In der St. Johannskapelle auf Burg sah man das Grab eines Templers Konrad.
Auch die Anfänge des Deutschen Ordens in Basel sind dunkel. Vielleicht, daß sie auf jenen Konrad von Basel zurückgehen, der in den 1220er Jahren Präceptor des Deutschordenshauses zu Barletta war. Vielleicht, [177] daß die hiesige Niederlassung von Beuggen aus geschah. Denn dieses Haus war es, das im Jahre 1268, zusammen mit dem Subkustos des Domstifts Arnold (es ist der große Wohltäter des Steinenklosters Arnold von Blotzheim) die Hofstatt des Heinrich Brotmeister bei Kunos Thor kaufte. Dieselbe Liegenschaft, die dann Jahrhunderte hindurch das Haus des Ordens in Basel war; 1286 erweiterte sich dieser erste Besitz durch drei benachbarte Liegenschaften, die des Otto von Blotzheim Witwe Anna dem Orden schenkte.
Das Oratorium der Ordensbrüder, das auf einer dieser Liegenschaften stand, wird bei der Schenkung erwähnt; aber nähere Behandlung fand die Sache infolge einer Beschwerde der Mönche von St. Alban. Der neue Ordenshof war im Sprengel dieses Klosters gelegen, und es mochte besorgen, daß die Deutschritter hier nach dem Beispiel der Johanniter eine Sondergemeinde zu schaffen versuchten; seiner Klage antworteten die Ritter durch Berufung auf die Ordensprivilegien. Ein Schiedsgericht brachte 1287 die Sache in Ordnung; es sprach den Deutschherren das Recht zu, in ihrem Hofe zu bleiben, Kapelle, Oratorium und Glockenturm zu haben, auch Gottesdienst daselbst zu halten, Opfer von Gemeindeleuten von St. Alban anzunehmen und solchen auch Begräbnis bei der Kapelle zu gewähren, doch durchaus unter Wahrung aller Rechte der ordentlichen Pfarrkirche. Zu einer Absonderung vom Gemeindeverbande kam es somit nicht.
Soviel von den Ritterhäusern in Basel. Ihnen gemeinsam ist eine gewisse Unselbständigkeit, ein Zusammenhang mit der allgemeinen Ordensleitung, der zur Folge hat, daß in letzter Linie nicht die Vorsteher dieser Häuser hier Geltung und Verantwortung haben, sondern die auswärts amtenden Superioren. Bei den Johannitern ist dies der Präceptor durch Deutschland, bei den Deutschherren der Landkomthur der Ballei Elsaß.
Gemeinsam ist ihnen ferner, daß, obwohl es sich um Spitalorden handelte, doch bei keinem ein Spital nachzuweisen ist.
Was von Kirchen, Kapellen, Stiftern, Klöstern uns bezeugt wird, erschöpft die kirchlichen und namentlich die religiösen Zustände lange nicht. Nirgends mehr als auf diesem Gebiete werden wir der Unzulänglichkeit unsrer Quellen bewußt. Auch darüber hinaus, was christliches Leben im weitern Sinne heißt, bleibt noch eine reiche Welt von Erscheinungen, deren jede ihre bestimmte und der Zeit eigentümliche Form besitzt. Diese Welt, die in wunderbarer Flüssigkeit die festen Gestaltungen umwogt und vielleicht das Reifste und Edelste des damaligen Christentums birgt, kann in ihrer
[178] Größe uns freilich nur erscheinen, wenn wir die Geistes- und Kirchengeschichte jener Zeit so umfassend als möglich betrachten. Aber dies ist uns hier verwehrt, und wir müssen versuchen, dem in Basel uns Begegnenden gerecht zu werden.
Das Innerste der ganzen Bewegung, so knapp als möglich zusammengefaßt, ist die Sehnsucht nach alleiniger Betrachtung der höchsten Dinge, eine Gesinnung, die den Einzelnen dazu treibt, seine Gabe den Armen zugeben, sich ganz Gott zu widmen, für sich allein der Heiligung zu leben. So ist das Mönchtum entstanden. Aber Mönch oder Nonne werden ist nicht die einzig mögliche Form. Noch in der Zeit, der unsere Darstellung gilt, finden wir Solche, die dieses Leben zu führen wünschen und tatsächlich führen ohne den Schutz des Klosters, mitten in der Welt, umgeben vom Lärm der Stadt.
Jene „armen Schwestern“, jene „Weiblein“, die von den ersten nach Deutschland kommenden Mendikanten als stille Klausnerinnen neben Kapellen im Straßen- und Marktgewühl vorgefunden wurden, können Existenzen dieser Art gewesen sein. Die Mönche holten sie allerdings aus ihren Klausen heraus, vereinigten sie in Klöster, gaben ihnen Regel, Ordnung und Aufsicht. Aber das Bedürfnis und die Möglichkeit eines weltabgewandten Lebens auch ohne Kloster bestand weiter.
Dies zeigt vorerst das Beginentum, das aus seiner belgischen Heimat auch nach Basel kam und hier Wurzel trieb. Die Beginen wohnten, wie es scheint, meist in Gemeinschaften; aber sie konnten auch für sich allein wohnen. Der Gedanke, der sie leitete, war Verzicht auf die Welt; sie lebten in Enthaltsamkeit, Gebet und Fasten; das Wenige, dessen sie bedurften, erwarben sie durch Handarbeit. Aber kein Gelübde band sie; sie waren frei von äußerer Pflicht und Regel. Entsprechender Art waren Männergenossenschaften, die Begharden.
Sodann sind zu nennen die Tertiarier der Bettelorden, die Brüder und Schwestern des dritten Ordens, auch Brüder und Schwestern von der Buße genannt. Hier war das Charakteristische der Anschluß an die bestehenden Orden. Die Tertiarier erhielten eine Regel, die ihnen Pflichten der Demut, der Entsagung, des Gehorsams, des frommen Wandels auferlegte. Aber sie blieben in der Welt. Ehe und Beruf mußten nicht preisgegeben werden. Eine Form war erstrebt, bei der das völlige Leben mit Gott, der Geist des ursprünglichen Christentums in das Alltägliche, in Familie, Arbeit und Erwerb mitten hinein geführt wurde. Schon ein Schritt weiter war es, wenn den Tertiariern das Verlassen ihres bisherigen Lebens gestattet [179] wurde; sie konnten zur Befolgung der gemeinsamen Regel die gemeinsame Wohnung wählen, wenn sie wollten, und so Regelhäuser gründen, die den wirklichen Klöstern ähnlich waren.
Es ist sofort klar, wie weit auch noch innerhalb dieser Bildungen das Feld war für Möglichkeiten aller Art. Die mannigfaltigsten Abstufungen und Einzelerscheinungen sind denkbar, je nach Persönlichkeit, Zeit, Umgebung und Verhältnissen.
Breitern Einblick in diese ganze Welt und zugleich schärferes Erkennen von Verschiedenheiten gewähren in Basel erst die Zeugnisse des vierzehnten Jahrhunderts. Unsere Periode zeigt nur Weniges und zudem dies Wenige — der Natur der Quellen entsprechend, die ja nur vom äußerlichsten Leben, von Geschäft und Handel reden — nicht in reinen Formen. Wir haben es zum guten Teil mit Abart und Entartung zu tun.
Zunächst die an die Bettelordensklöster Angeschlossenen. Dieser Art waren die „Ordensweiblein genannt Beginen“, die in der Predigerkirche zu kommunizieren pflegten; für solche wird wohl auch der Prior Heinrich seine deutschen Lieder gedichtet haben. Einzelne dem Predigerkloster Zugetane sind die Begine Benigna, die Konversen Gisela von Weißenburg, Gisela von Wallis, Christina von Wattweiler usw. Aber es ist unmöglich zu sagen, ob es sich dabei um Schwestern des dritten Ordens oder um Beginen oder um eine noch freiere Form handle. Dasselbe ist der Fall bei den Minoriten. Auch hier begegnet uns ein weiblicher Anhang des Klosters; sie wohnen in seiner Nähe, am dichtesten beim Eseltörlein, wo 1276 ein Haus von Konversen genannt wird, wo wir eine Gerlin, eine Phisterin, die Frau von Kienberg, die Frau Beatrix von Neuchâtel finden.
Von einer Gemeinschaft, einer Sammlung ist da und dort einmal die Rede. In der sehr großen Zahl von Beginensammlungen und Regelhäusern, die das Basel des vierzehnten Jahrhunderts bevölkern, ist das Schwesternhaus am Rindermarkt in Vitztums Hof (später Schmiedenzunft) das älteste. Es wurde durch die Clarissen mit dem Gelde gekauft, das Konrad Probus, der Bischof von Toul, für Einrichtung solcher Schwesternhäuser gestiftet hatte, und armen Beginen zugewiesen, die dort nach der dritten Regel der Minoriten leben sollten. Aber Gemeinschaften solcher Art bestanden jedenfalls schon damals auch sonst. Die beim Eseltörlein wohnenden Weiber wurden erwähnt; die in einem Haus unter Krämern zusammen wohnenden Koserlinfrauen, die Peierin und die Kremerin in dem unsaubern Gäßlein bei St. Leonhard gehören vielleicht auch hieher.
[180] Die große Mehrzahl aber sind die einzeln Genannten. Von der frühesten Vertreterin dieser Menschenklasse an, jener andächtigen Begine, die sich im Jahre 1282 erhängte, nachdem sie dreißig Jahre lang zu Basel den Habit getragen, begegnen wir zahlreichen Frauen, die dazu gerechnet sein wollen; auch bei ihnen fließen die Bezeichnungen Schwester, Konverse, Begine völlig durcheinander. Sie haben sehr verschiedene Lebensstellungen; sie sind Witwen, oder ausgediente Köchinnen geistlicher Herren, oder Mägde in Bürgershäusern. Auch davon, daß sich ihre Handarbeit zu eigentlichem Gewerbebetrieb erhebt, ist bei Beginen die Rede; in dieser Beziehung mögen sie mit den die Wollweberei treibenden Humiliaten Oberitaliens verglichen werden; es ist namentlich an die Weberinnen und Schreiberinnen unserer Basler Urkunden zu erinnern, die vielleicht Beginen waren. Daß nun aber neben diesen dürftigen Formen nicht wenige Fälle genannt werden, wo die Begine als eigentliche Geschäftsfrau mit Geld und Gut auftritt, darf uns nicht überraschen; denn die Quellen zeigen uns auch hier eher Ausnahmen als die Regel. Ein armes Leben hinterläßt keine Urkunden und vergeht unbezeugt, während die Bela von Liestal, die Agnesa Bruperin, die Hemma von Altkirch, die Gerina Hirnapussin, vor allem aber die vielgenannte Anna Schachternellin, sämtliche Konversen oder Beginen, mit ihren Güterkäufen, mit ihrem Besitz von Häusern in der Stadt und von Weinbergen in Oetlingen, Haltingen, Binzen usw. vom Ideal der seligen Armut allerdings weit ab zu stehen scheinen.
Neben den Beginen schuf jene Zeit auch Begharden, neben den Beginensammlungen auch Männergenossenschaften. Der dritte Orden umschloß auch Brüder. Aber die Quellen sagen wenig von ihnen. Als die Prediger 1302 ein großes Provinzialkapitel zu Basel hielten, waren dabei auch achtzig anwesend, die der Annalist, über ihre Natur offenbar selbst im Unklaren, als Conversi oder als Begharden oder als Mönche ohne Kloster bezeichnet. Die Erwähnung des Schneiders Ludwig, eines Konversen in einem Häuslein bei St. Leonhard, läßt eine kleine stille Existenz vermuten.
Diese ganze Basler Kirchenwelt stand in den engsten Beziehungen zu einer verwandten Welt außerhalb der Stadtmauern.
Doch ist hier nicht von der Universalität der Kirche zu reden, von der Wirkung der einen zentralen Gewalt, die durch Alles hindurch ging bis zum niedersten Organ, nicht von den großen, jeder örtlichen Zugehörigkeit entgegentretenden Ordenszusammenhängen.
[181] Hier beschäftigen uns andere Erscheinungen: die einzelnen Kleriker, das einzelne Kirchengut, die von außen in das Bild der Basler Kirche eintreten.
Vor allem war Basel als Durchgangsstation auch in diesen Dingen bedeutend und schon sehr frühe von hin- und widerwogenden Kräften berührt. St. Gallen hatte ausgedehnten Besitz bei Basel, im Breisgau und im Sisgau, und daß ein häufiger Verkehr dieses Klosters mit Basel die Folge hievon war, versteht sich von selbst. Am Grabe St. Othmars findet eine blinde Frau aus Basel, die dorthin gepilgert ist, die erflehte Heilung; Bischof und Domherren haben ihre Memorientage im St. Galler Totenbuch. Aehnliches ist von Einsiedeln zu sagen. Auch diese Abtei war bei Basel begütert; sie hatte Besitzungen im Breisgau, im Sundgau; ihr großes Gut in Sierenz verdankte sie zum Teil dem Basler Bischof Adelbero. Hin und her gingen die Klosterleute zwischen der einsamen Zelle und der von Leben widerhallenden Rheinstadt; schon das älteste Reliquienverzeichnis des Basler Münsters nennt auch Heiltum von St. Meinrad. Zu den Elsässer Weinbergen der königlichen Abtei Payerne führte die alte Römerstraße über den Hauenstein und durch Basel. Beromünster hatte den Kirchensatz in Auggen und war durch die Habsburger mit Gut zu Schlierbach, Ottmarsheim usw. begabt worden. In Bellingen begütert waren die Propstei Luzern und, gleichfalls von der Ausstattung durch die Habsburger her, die alte Stiftung Muri, unter deren Mönchen ein Notker von Basel lebte.
Dies alles sind Rechtsverhältnisse, aber auch mehr als dies: Lebenszustände, Handlungen, Bewegung. Dieser begegnet von der andern Seite her die große Elsässer Einwirkung, die vielleicht in noch fernere Zeit zurückreicht. Auch sie berührt Basel unmittelbar, auch ihre Bahnen gehen hier durch: die Beziehungen des Hochstifts Straßburg zur Herrschaft Wartenberg und zu Muttenz, zu Schönenwerd, die Beziehungen von Pfirt zu Münchenstein, von Marbach zu Luzern, von St. Ottilien zu Arlesheim.
Wir spüren die Wirkungen ähnlichen Wesens in der spätern uns vornehmlich beschäftigenden Zeit.
Das Hospiz auf dem Großen St. Bernhard, dem Jovisberge, faßte Fuß in Basel. Wie es an den von seiner Höhe nach Süden und nach Norden führenden Straßen Filialhospize zu errichten pflegte, bis in weite Ferne, und hiefür allenthalben Grundstücke erwarb, so besaß es auch in Basel auf dem Leonhardsberge nahe der Kirche ein Haus. Die Nähe der Straße ins Elsaß, aber auch die Verwandtschaft mit dem Leonhardsstifte, das gleich dem Kloster auf dem St. Bernhard regulierten Chorherren gehörte, mögen [182] zur Wahl des Platzes veranlaßt haben. In diesem Hause wohnte und war zu einem Teil dessen Eigentümer der Chorherr Albert vom St. Bernhard, Prokurator seines Stiftes in deutschen Landen. Er war es, der nach Uebersiedelung der Barfüßer in die Stadt 1250 ihre Liegenschaft vor Spalen erwarb, ohne Zweifel zur Einrichtung eines Hospizes, sie dann aber rasch wieder an die Frauen von Tänikon veräußerte, um aus dem Erlös den Erwerb der Kirche Pfirt, auch eines Bernhardshospizes, zu bestreiten. Sein Haus, das den Namen des fernen heimatlichen Berges trug, Mont Jop, kam dann durch Kauf an den Konstanzer Thesaurar Heinrich Kücheli und 1288 als dessen Schenkung an das Leonhardsstift.
Es ist ein reizvolles Geschäft, den Motiven nachzugehen, die zu solchen Ansiedlungen in Basel drängen. Sie sind durchaus nicht in jedem Falle dieselben. Bei den Herren auf St. Bernhardsberg war das Basler Haus nichts als vereinzelte Station ihres in einer großartigen Organisierung von Liebestätigkeit entworfenen Straßensystems. Ganz anders lautet die Rechnung bei den übrigen Klostern. Hier sind es Lebensbedürfnisse sowohl äußerlicher als geistiger Art, die diese Mönche aus ihren Land- und Bergeinsamkeiten in die große Stadt treiben, zum Verkehr mit aller Welt, auf den Markt, in die Nähe ihrer Freunde, in den Bereich des Münsters, das nicht nur die stolze fürstliche Kathedrale, sondern auch die mütterliche Kirche für das ganze Bistum ist. Bei Häusern wie St. Urban, Wettingen, Beinwil mag als besonderer Anreiz dazu treten die Lage Basels an der Schwelle der schönen Wein- und Kornländer. Andre wiederum kommen hier zu Grundbesitz lediglich infolge des Vermächtnisses eines ihnen gewogenen Städters oder weil ein Stadtkind bei ihnen Profeß getan hat.
Wettingen erscheint zuerst 1243 als in Basel begütert. 1262 heißen sein Abt und Konvent „seit alters“ Bürger von Basel.
Das ehrwürdige Beinwil hatte schon frühe Beziehungen zu unserer Stadt. Die Dame Elisabeth, die ihm um die Mitte des zwölften Jahrhunderts ihr Allod zu Seewen schenkte, ist vielleicht die älteste mit Namen bezeugte Baslerin. Aber auch sonst war Beinwil in der Nähe unserer Stadt begütert, 1194 in Reinach, Gundeldingen usw. Wann es sich in Basel selbst festsetzte, ist nicht zu sagen. Aber 1252 redet sein Abt Otto von dem Klosterhof in Basel, bei dem die Weinfuhren aus den Müllheimer Rebbergen des Klosters abgeladen werden müssen. Dieser Hof lag an der dem Jura und dem Kloster zugewendeten Eingangspforte der Stadt, beim Aeschentor (Schwibogen), dem Hause der Klostervögte von Tierstein benachbart.
[183] Aehnliches ist zu berichten von der alten und mächtigen Abtei der Cisterzienser zu Lützel. Wenige Jahrzehnte nach ihrer Gründung schon hat diese ein Haus zu Basel. Zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ist es eine Mehrzahl von Häusern. Im größten derselben ist eine Kapelle eingerichtet. An der Sattelgasse besitzt das Kloster eine stattliche Scheune und Nebenhäuser. Dieses Eigentum mehrt sich auch später noch, hauptsächlich in den alten Stadtteilen, unter den Bulgen, am Petersberg, am Spalenberg. Aber die Bedeutung Lützels für Basel ruht in dem allgemeinen Ansehen der Abtei. Zahlreiche Beziehungen persönlicher Art bestanden; die Basler Werner Rebmann und Johann Pauler waren Mönche in Lützel; auch jener Konrad mit dem Klosterübernamen Prudencia, der zuerst Mönch und Schreiber, dann zur Zeit König Rudolfs Abt von Lützel war, soll ein Basler Kind gewesen sein; unter den Donatoren des Klosters fanden sich die Geschlechter vom Kornmarkt, von Straßburg, Apotheker, von Arguel, von Bottmingen usw. Wichtig vor allem aber und von dauerndem, in alle Kreise dringendem Einfluß begleitet war das Verhältnis Lützels zu seinen Tochterklöstern; solche waren hier die Bernhardinerinnen vor Spalen, dann die Schwestern von Michelfelden und Blotzheim. Auch die Benediktinerinnen von Michelbach waren in ihren letzten ausgelassenen Zeiten dem Lützler Abt anvertraut. Namentlich aber sind Olsberg und St. Urban, Häuser desselben „grauen Ordens“, zu nennen.
St. Urban erscheint erst 1241 als begütert zu Basel; bezeichnenderweise trägt sein Haus den Namen des dem Kloster benachbarten Schöftland. Es ist an der Freienstraße gelegen, an dem Straßenzug also, der das Kloster mit dem Sundgau verbindet. Vielleicht war diese Niederlassung veranlaßt worden durch die Oeffnung des Gotthardpasses. Auch in Liestal hat St. Urban einen Hof, und in denselben Zusammenhang gehören seine Besitzungen in Läufelfingen, Sissach, Muttenz, Habsheim. Daher auch das Kloster schon frühe im ganzen Froburger Territorium Freiheit von Zöllen und Fährgeldern genoß und einer seiner Brüder Wegebesserer an der Hauensteinstraße war. Daß dann das Kloster sich am untern Ende der Stadt, beim Kreuztor, festsetzte, wo es 1274 ein Haus besaß und dies durch Erwerb von Nachbarliegenschaften zu seiner Basler Hauptniederlassung ausgestaltete, weist wiederum auf die Bedeutung der dem Rhein entlang ins Elsaß führenden Straße.
Wie St. Urban treten auch die Cisterzienserinnen von Olsberg hier erst in der Zeit Heinrichs von Thun auf. Am frühesten mit der Verfügung über ein Mühlwasser, bei dem vielleicht an den Rümelinbach gedacht [184] werden darf. Dann ist es ein bestimmter Komplex von Liegenschaften, der unsre Aufmerksamkeit erregt: das Kloster besitzt das Haus zum neuen Keller am Spalenberg; Beziehungen zum Burgergeschlecht dieses Namens treten daneben; dann erwirbt das Kloster auch angrenzende Keller, sowie das gleichfalls am Spalenberg gelegene Haus zur Platte. Andre Olsberger Häuser liegen unter Krämern, in der Sattelgasse. Diesen Besitzungen entspricht die Gesellschaft, die den Olsberger Frauen zugetan ist: es sind Burgerfamilen, die Roth, Fuchs, Merschant, Iselin u. A. Die von Müsbach machen Vergabungen und Einer aus ihnen dient den Nonnen als Convers und Schaffner. Denselben Kreisen gehören die Baslerinnen im Kloster an, die Greda Bulin, die Margaretha Bottminger; dem Eintritt solcher Frauen verdankt Olsberg Häuser an der Gerbergasse, an der Freienstraße, in der Vorstadt zu Kreuz. Doch ist alles dies nur Besitz, nicht Niederlassung. Den Olsbergerhof finden wir in der Ulrichsgasse (Rittergasse), wo das Haus noch heute diesen Namen trägt; er war ursprünglich Eigen von St. Alban; die Olsberger Frauen reden von ihm schon 1267 als von ihrem Hause.
Dies waren die Klöster, die in Basel einen „Hof“ hatten d. h. feste und anerkannte Niederlassungen, zu Zeiten Wohnung von Abt oder Aebtissin, Sitz eines Schaffners, Fruchtspeicher und Keller, Absteigequartier für den Orden.
Auch der andern mit Basel verkehrenden Klöster wird gedacht. Vorab des Priorats Istein, dessen Mißwirtschaft hier fast beständig zu reden gab. Die Nonnen daselbst und die zu ihrer geistlichen Pflege bestellten Mönche hatten Wohnung in getrennten Häusern; aber es fand sich, daß sie zusammen saßen und gemeinsam die Mahlzeiten hielten. Im Jahre darauf hatten sich die Mönche davon gemacht, und der einzige von ihnen, der neben dem Prior zurückgeblieben, war taub und blind, sodaß der Gottesdienst nicht versehen werden konnte. Die Schwestern gaben Anstoß durch unzüchtiges Leben. Endlich verübte der Prior Guido selbst, 1289, das Aergste, indem er eines Nachts die vollen Fässer im Klosterkeller einschlug und dann das Haus anzündete; das ganze Gebäude brannte zusammen, und ein Priester sowie ein „clientulus“ kamen im Feuer um. Der Uebeltäter entwich noch in derselben Nacht „und kehrte nicht mehr zurück“, wie die Visitatoren zu betonen für gut fanden.
Außer Istein kommen noch einige Elsässer Klöster hier in Betracht. Basels Antlitz war dieser Seite zugewendet. Selbst das alte Jurakloster Schöntal tritt in der Basler Welt nur ganz vereinzelt auf. Aber Oelenberg, [185] das colmarische Unterlinden, Alspach bei Kaiserberg, die Herren von Marbach verkehren häufig, haben hier Häuser und Garten. Die großen Vergabungen des Baslers Johann Apotheker an Unterlinden füllen zahlreiche Urkunden.
Halten wir die Anschauung fest, daß das Verhältnis sich im Anwesendsein und Begütertsein keineswegs erschöpfte. Lebendiger als Geld und Gut und dabei stets wechselnd, in jeder Seele auf neue Art tätig, war die persönliche Zuneigung, die Hingabe. Wie der Städter ein Gefühl für das große Kirchenganze hatte, so blieb sein Interesse für die einzelne kirchliche Erscheinung nicht bei den Mauern stehen. Es gehörte auch auswärtigen Gotteshäusern, den genannten allen und außer ihnen noch manchen, von jeder Art, bis hinab zu kleinen Feldkirchen und Bethäusern wie St. Brictius, St. Pantaleon, St. Romey.
Das Vielgestaltige und Bewegliche kann überhaupt hier als Charakteristisches gelten. Welche Menge von Abstufungen in diesem auf engem Raum zusammengedrängten Kirchenwesen, vom fürstlichen Bischof bis hinunter zum Schwarm der Scholaren, der Kleriker ohne höhere Weihen und ohne Kirchendienst, der Hauspfaffen und Hauslehrer reicher Familien! Und jede Form hat ihre Eigenart, sodaß allenthalben Verschiedenheiten bestehen und Gegensätze, welche die Wellen oft hoch gehen lassen. Es genügt, an die Konflikte von Weltklerus und Kloster zu erinnern. Aber auch Orden steht gegen Orden, und in den Zänkereien von Salem und Unterlinden um den Nachlaß des Johann Apotheker, von Wettingen und Beinwil um den Nachlaß des Peter Senftelin offenbaren sich solche Antagonieen.
Das Ganze ein weites Gewühl, in dem nur wenige große Gestalten vor uns auftreten, alles Andre bei Seite schiebend. Von diesen die Mächtigsten zwei Bettelmönche, „der lantbredier bruder Bertholt der barfuße und der große phaffe bischof Albreht“, Berthold von Regensburg und Albertus Magnus. Sie wirkten hier beinahe gleichzeitig. Kurz nachdem die Barfüßer sich zu Basel innerhalb der Stadtmauern niedergelassen hatten, erschien am Oberrhein Bruder Berthold, „der große Prediger, der wie vom Geiste des Elias erfüllt mit brennenden Worten die verdunkelten Herzen der Sünder durchdrang und Unzählige aus der Verirrung zu einem gebesserten Leben führte.“ Vielleicht war er einer der Ersten, die in der neuen Kirche der Barfüßer predigten. Gleich ihm den eigenen Orden aufs Bestimmteste vertretend und gerade deswegen von ihm verschieden war sein Zeitgenosse, der Dominikaner Albert der Große. Er wirkte nicht wie Jener mit momentaner [186] Gewalt und auf Massen; als Denker, als Gelehrter diente er in unvergleichlicher Weise der Theologie, schuf er eine neue Naturwissenschaft; der Ruhm, den er hiebei gewann, lebte im nicht großen Kreise Derer, die ihn verstanden, aber auf Jahrhunderte. In Basel hat er sich nachweislich zweimal aufgehalten, 1263 und 1269; am 9. September des letztern Jahres weihte er den Chor der Predigerkirche.
Andre über die Menge ragende Figuren sind die Vertreter der päpstlichen Weltherrschaft, die Legaten: der Kardinalpriester von St. Sabina, Hugo, der im Frühjahr 1251, wenige Monate nach Friedrichs Tod, als Gesandter des frohlockenden Papstes und als Träger von Befehlen, die auf Vernichtung des staufischen Königtums gingen, von Lyon nach Deutschland zog und hiebei auch Basel berührte; dann nach drei Jahrzehnten der Kardinalbischof Johann von Tusculum, von Papst Honorius nach Deutschland gesandt, um wegen der Romfahrt König Rudolfs zu verhandeln und wohl auch um einen neuen Kreuzzugszehnten auszuschreiben; im September 1286 hielt er sich in Basel auf, erteilte dem neugewählten Bischof Peter die Konsekration, bestätigte dem Stift St. Leonhard den Besitz der Kirche Stetten. Aber sein Verhalten machte den übelsten Eindruck; in maßloser Weise forderte er Leistungen aller Art, und zornig berichtet von ihm der Chronist, daß er mit seiner Simonie das ganze Reich betrogen und vergiftet und sich so auch in Basel einen großen Schatz gesammelt habe.
Durch die Menge der Erscheinungen hindurch spüren wir ein beständiges Fluten. Das stete Bewegtsein dieses Lebens wird in der frühern Zeit nicht so sichtbar; jetzt erkennen wir auch das Einzelne. Das rege Getriebe der Verwaltung, der Aufsicht, des Verkehrs liegt offen vor uns. Den Eintritten in die Klöster antworten Austritte, in die Welt zurück. Es zeigen sich Ueberläufer von einem Orden zum andern. Der Pleban von St. Martin beugt sich unter eine Regel und wird Chorherr zu St. Leonhard. Auch das häufige Wandern ganzer Niederlassungen ist zu beachten. Die Bernhardinerinnen kommen von Tänikon nach Basel, dann nach Michelfelden, dann nach Blotzheim; die Clarissen ziehen von Großbasel nach Kleinbasel, die Klingentaler Frauen aus dem Wehratale in die Stadt. Die größte Beweglichkeit waltete jedenfalls bei den Mendikanten. Schon das tägliche Leben des Bruders war hier kein ruhiges Verweilen im Kloster, sondern ein Reisen. Denken wir an alle die Herbergen der Minoriten, der Prediger, der Augustiner rings um Basel, so wird uns eine Vorstellung von dem beständigen Umherwandern dieser Mönche im oberrheinischen Gebiet. Aber es bestand überhaupt keine Zugehörigkeit des Einzelnen zu [187] seinem Konvent. Er wird von Ort zu Ort versetzt. Daneben werden die Kapitel besucht, auswärtige Brüder rasten hier, die Inspektoren kommen und gehen.
Das Spiel dieser Bewegung ist um so lebendiger auf dem Hintergrund einer großen, ruhigen, zusammenfassenden Macht. Die einheitliche Kraft, von der Alles durchdrungen und sich gleich gemacht und aneinander gebunden erscheint, äußert sich in Unzähligem. Wie sie in der Parochie und in der Diözese wirksam ist, so wiederum in der Provinz und im Orden. Wenn sich Lützel und Olsberg, Salem und Wettingen immer wieder zusammenfinden, wenn die Mönche von St. Leonhard ihren Verkehr haben mit dem Großen St. Bernhard, mit Interlaken und dem Zürichberg, wenn der Abt von Cluny in der St. Albanvorstadt Ordnungen gibt, wenn beim Vertrag der Prediger mit den Petersherren sich der Provinzialprior von Deutschland, der Prior von Freiburg, die Lektoren von Freiburg und Bern einfinden, so gibt alles dies die Anschauung von festen Linien, die das Gewühl regeln, von unerschütterlichen Zusammenhängen. Denselben Eindruck gewährt das Ganze der Kirche. Daß Papst Nikolaus durch besondere Bulle die Schenkung bestätigt, die der Bürger Johann Teufel dem Leonhardsstifte gemacht hat, daß Clemens IV. dem Kloster Klingental den Besitz der Kirche Wehr bekräftigt, kann nicht als kleinlich erscheinen; wenn wir das Gefüge des Organismus überdenken, so liegt in solchen Verfügungen eine majestätische Größe. Und wie weit spannt sich der Horizont über jener kleinen Urkunde des Bischofs Peter vom 28. April 1290; es ist ein Rundschreiben, das in jeder, auch der entlegensten Kirche des Bistums die Gläubigen zusammenruft wegen einer Angelegenheit des von den Ungläubigen bedrängten Heiliggeistspitals von Accon. In den zu Basel stattfindenden Kreuzzugspredigten der Dominikaner, - 1245 des Ordensgenerals Johann von Bologna, wobei ein Wunder sich ereignete, in den 1260er und 1270er Jahren des Priors und der Brüder Achilles und Eberhard vom Basler Konvent — wie im Reisen und Sammeln der Kollektoren für den Kreuzzugszehnten lebte, bei aller Opposition Einzelner und ganzer Kreise, dieselbe Größe. Auch die Weihbischöfe mit den fremdländischen Namen — Albert von Marienwerder und Dietrich von Wierland, Incelerius von Budua, Ywan von Lacedaemon — zeigen, daß die Erde überall des Herrn ist. Und ihr Mittelpunkt ist Rom. Wer dorthin, zu den Schwellen der Apostel, zu pilgern sich anschickt, macht sein Testament, der Gefahren der Reise wegen und im Gefühl, vor seinem größten Erlebnis zu stehen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Wahrend