Die Terrasse (Gemälde der Dresdener Gallerie)

Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Terrasse
Untertitel: Von Antoine Watteau
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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The Terrace.     Die Terrasse.

[241]
Die Terrasse.
Von Antoine Watteau.

Die beiden Levers, welche regelmäßig den Beginn des Tages im Versailler Schlosse bezeichneten, waren soeben eröffnet. Die Elite der Höflinge glitt lautlos nach den Gemächern Ludwigs XIV. Voran schritten neun oder zehn Personen, meistens in reiferem Alter, mit ungeheuren Perrücken versehen. Ihr Anzug dagegen war absichtlich vernachlässigt und machte Ansprüche auf die Bezeichnung Negligé-Toilette. Diese „Unangekleideten“, welche nur durch ihre Wolken-Perrücken zu verstehen gaben, daß sie bei dem Könige ihre Aufwartung machten, hatten das beneidenswerthe Privilegium, bei dem Aufstehen Ludwigs gegenwärtig zu sein, mit dem Allmächtigen über das Wetter, über die Jagd, das Theater, über die Neuigkeiten der Chronique scandaleuse zu sprechen, oder genauer, da eine regelmäßige Unterhaltung durchaus nicht gestattet war, kleine, geistreiche oder fade, witzige, gutmüthige oder boshafte Bemerkungen zu wechseln. Daneben war es ihnen vergönnt, Zeuge davon zu sein, wie die bereits sehr gebrechliche, neunundsechzigjährige Majestät von Frankreich sich allerhöchst eigenhändig mit schweren, langen Seidenstrümpfen versah und sich rasiren ließ. Frisirt war der alte König vielleicht schon lange bevor irgend einer seiner Hofleute erwachte. Die Geheimnisse dieses Levers avant la lettre kamen keinem Sterblichen als dem Signor Pompeo Francese, dem ersten Kammerfriseur, nicht einmal der Frau von Maintenon zu Gesichte, denn Ludwig hatte eine sehr stark ausgeprägte Abneigung, in kahlem Schädel zu erscheinen, obschon er in Anderweitem nichts weniger als eitel, oder gegen seine zunehmende Altersschwäche blind war.

Nach den Auserwählten folgten die Personen des großen Levers, die glücklichen Zeugen davon, wie Ludwig XIV. frühstückte. Während sie eintraten, wurde die kleine Unterhaltung des kleinen Levers erweitert; es durfte ordentlich menschlich gesprochen werden. Der König hörte in der Regel zu, ohne zu antworten. Doch hatten nur die zum kleinen Lever Berechtigten die Erlaubniß zu sprechen und irgend etwas vorzutragen, ohne von dem Könige angeredet zu sein. Zum großen Lever kamen oft Fremde von Distinction, und war Ludwig nicht, wie er es gewöhnlich zu sein pflegte, zu apathisch, um sich zusammenhängend zu unterhalten, brach noch ein Mal wie die sinkende Sonne durch nebliges, schweres Gewölk seine noch stets unvergleichliche, majestätische Liebenswürdigkeit hervor, dann pflegten diese Minuten zu den interessantesten zu gehören, die man auf dem weiten Boden des interessanten Frankreichs irgendwie verleben konnte. Wen der König anredete, durfte so lange frei reden, bis es ihm gefiel, eine andere Person dadurch auszuzeichnen, daß er sich an dieselbe wandte. Entstand eine Pause, so fingen die privilegirten Sprechmaschinen vom kleinen Lever auf eigene Hand an zu spielen. Mit einem Worte, diese Levers strebten ernstlich dahin, das feine, geistreiche, unvergleichliche China an den Strand der Seine zu verpflanzen und die Franzosen zu europäischen Chinesen zu bilden. Die Höflinge waren zu gelehrig, als daß sie nicht ihre chinesische Metamorphose hätten vollständig bewerkstelligen sollen.

[242] Zum großen Lever wurden nicht selten Damen zugelassen, obwohl es Ludwig eigentlich nicht liebte. So war’s auch an dem Morgen, welchen wir im Auge haben. Die Herzogin von Maine, die dem Könige im Grunde seines Herzens beinahe so unangenehm war, als er ihren Gemahl, den Herzog, seinen legitimirten Sohn von der Montespan, liebte, war zum Lever gekommen. Sie war eine Prinzessin von Charolais-Condé, sah sehr gut aus, war klein, aber sehr graziös gewachsen, trug sich dabei phantastisch und glaubte wegen dieser Albernheit das begründete Recht zu haben, Jeden mit ihren geschraubten Reden, die sie ungemein witzig fand, anzufallen und zu langweilen. Auch der König entging ihr selten. Wandte er sich von der eitlen Zwergin mürrisch und schweigend ab, so ward die Herzogin nur noch aufgeräumter, als sie es gewöhnlich war, und hatte wiederum die glänzendste Gelegenheit, ein schon in Bereitschaft gehaltenes boshaftes Bonmot über die Schwachsinnigkeit des Monarchen und den beispiellosen Erfolg seiner Erziehung durch Madame de Maintenon anzubringen. Bat daher die Herzogin um eine Gunst des Königs, so durfte man ungefähr schon überzeugt sein, er werde sie abschlagen oder erklären, sich darüber zu besinnen. In letzterem Falle kam diese Bitte in das mit Crucifixen gezierte Boudoir der Maintenon, und vor dem furchtbaren Richterstuhle, welcher hier die Gestalt eines schwarzbehangenen Fauteuils hatte, ward dann unfehlbar die Schwiegertochter der Montespan abgewiesen.

Außer der Herzogin von Maine war auch die Gräfin de Noailles zum Lever. Ihr Gemahl war der Sohn des berühmten Herzogs von Noailles, ein ziemlich unbedeutender Mensch, welcher sehr der Aussteuer seiner Frau, 150,000 Francs, bedürftig gewesen war. Dies Geld hatte der König der Gräfin geschenkt und zwar auf Vermittelung der Madame de Maintenon, welche, um den Ruf ihrer unerhörten Uneigennützigkeit zu bewahren, sich sehr selten mit solchen Angelegenheiten einließ. Dasmal aber hatte sie ihrer Nichte nicht widerstehen können und das war die Gräfin Noailles, früher Mademoiselle de Vilette genannt.

Die Gräfin Louise de Noailles, zweiundzwanzig Jahre alt, war gewiß damals, das heißt im Jahre 1707, eine der schönsten Damen am Hofe. Sie war schlank und besaß dennoch eine graziöse Fülle der Formen. Ihr reiches Haar trug sie so einfach als möglich à la chinois, indeß die Herzogin von Maine eine wahre thurmhohe Frisur auf dem Kopfe zu balanciren pflegte. Der duftende, wie zarter Reif auf dem Haar der Gräfin zitternde Puder ließ ihre von Natur zarte und blühende Gesichtsfarbe nur noch reizender erscheinen, und überraschend wirkten ihre glänzenden blauen Augen unter den hochgeschwungenen, schwarzen Augenbrauen auf Jeden, der die Gräfin noch nicht oft gesehen hatte.

Louise de Noailles konnte, gleich der Herzogin von Maine, die Maintenon nicht leiden. Sie ergriff jede Gelegenheit, um sich namentlich über den pedantischen Geist der Wittwe des alten „Bajazzo Scarron“ lustig zu machen; ja sie ging sogar so weit, höchst verdächtige Abenteuer zum Besten zu geben, in denen ihre Tante, Madame de „Maintenant“, in Gesellschaft der zwei Jahre vorher gestorbenen französischen Aspasia, der Ninon de l’Enclos, der Madame de Pommereuil und der noch schlimmer berüchtigten Madame de Montchevreuil eine Rolle gespielt haben sollte. Hauptsächlich mochte aber diese Bosheit der Nichte gegen die Unentbehrliche des Königs daher kommen, daß sie prinzipiell so sehr wenig für ihre Verwandten that. Als die Maintenon ihr das königliche Hochzeitsgeschenk vermittelt hatte, ließ der Groll der Gräfin nur [243] in so weit nach, daß sie die erstere, mit nicht viel abgestumpfterer Bosheit, meine „neue Tante“ nannte.

Dennoch war Louise der Liebling der Maintenon, vielleicht deshalb, weil sie ganz rücksichtslos die Wahrheit sagte, wodurch sie in den Abendzirkeln des Königs die Gesellschaft schon oft in so große Verlegenheit gesetzt hatte, daß der Monarch auf einen Augenblick seine wundervolle Haltung vergessen, in helles Lachen ausbrechen und den beiden gefährlichen Witzbolden, dem alten Hofmeister des Dauphin, Herrn von Montausier, dem Misanthropen, und dem Herzog St. Simon, dem großartigen Lügenmeister auf Kosten der Thorheiten Anderer, das Signal geben konnte, unbarmherzig über die durch die Offenheit der Dame Compromittirten herzufallen. Ebenfalls liebte die Maintenon den gutmüthigen Gemahl ihrer Nichte herzlich und bekümmerte sich sehr um das Glück dieser Ehe, vermuthlich weil sie dieselbe angestiftet hatte. Das Höchste, was Louise von ihrer Tante für ihre bitteren Aeußerungen – die einer Andern den Besuch von Pignerol oder gar der Bastille zugezogen hätten – zu erdulden brauchte, war, daß Madame Maintenon sie, die Gräfin, eine Zinngießerin schimpfte. Hatte die Gräfin ihre Tante bis zum Aussprechen dieses Wortes gereizt, so blieb die letztere unbestritten Siegerin und Louise fing an zu weinen. Der Vater ihrer Mutter war nämlich ein Kupferschmied oder etwas Aehnliches gewesen. Die Versöhnung der beiden Verwandtinnen pflegte dann dadurch wieder eingeleitet zu werden, daß Louise de Noailles ihre Tante um irgend etwas bat, was diese zu gewähren sich beeilte.

Diese Aussöhnung war nicht vor langer Zeit erfolgt. Die Gräfin stand also mit der Madame de Maintenon, folglich auch mit dem von ihr gänzlich unumschränkt beherrschten Monarchen im ausgezeichnetsten Vernehmen. Die gewöhnliche Bitte um eine Gnade, welche dem heftigen Finale der Differenzen zwischen beiden Damen zu folgen pflegte, war dasmal eine ziemlich ungewöhnliche.

Es war, wie bemerkt, im Jahr 1707, und zwar im Frühling, der diesmal in Frankreich in reizendster Gestalt erschienen war. In Spanien spielten die letzten Acte des dreizehnjährigen spanischen Erbfolgekrieges, in welchem bekanntlich Oesterreich, England und die Niederlande für den Sohn des römischen Kaisers Leopold I., Karl von Oesterreich gegen den von der französischen Macht vertheidigten Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, rastlos kämpften, indeß Spanien sich bald dem einen, bald dem andern Prätendenten zuneigte. Die Sympathien der Spanier jedoch fingen seit längerer Zeit an, sich Philipp von Anjou entschieden zuzuwenden. Vielleicht war sein letztes Misgeschick davon die Ursache. Die alliirten Armeen eroberten fast ganz Spanien, trotz des verzweifelten Widerstandes der Franzosen und namentlich der Castilier, und die englischen Kriegsflotten eroberten alle Hafenstädte Spaniens, die nur irgend Bedeutung hatten, ohne Ausnahme und besetzten einige Hauptpunkte der Inseln im Mittelmeere. Den Anmaßungen der Sieger gegenüber wandten sich die Herzen der Spanier dem unerschrocken sich haltenden Philipp und namentlich der Seele aller seiner Unternehmungen, seiner geistreichen Gemahlin, zu. Der Herzog von Berwick, als französischer Oberbefehlshaber, strengte alle seine Gewandtheit an, um neben seinem ziemlich unbedeutenden Heere von Franzosen die unregelmäßigen spanischen Zuzüge zu organisiren, und er konnte es, nach ungeheurer Mühe, wagen, dem englischen General Lord Ralway und dem erbittert für Karl von Oesterreich fechtenden, die feindlichen spanischen Streitkräfte befehligenden General Las Minas die Schlacht bei Almanza [244] anzubieten. Berwick siegte für Philipp von Anjou, Galway und Minas wurden schwer blessirt und ließen 5000 Todte und wenigstens doppelt so viele Gefangene auf Almanza’s Wahlplatze.

Unter den Gefangenen waren hundertachtzehn Offiziere, entweder, und das war durchschnittlich der Fall, von hohem militärischem Range, oder aus einer der höchsten Familien Spaniens. Diese vornehmen Herren wurden, während Berwick Arragonien unterwarf, nach Frankreich geführt. Einige dieser spanischen Offiziere, deren Familien in ihrer Heimath einen bedeutenden Einfluß ausübten, brachte man nach Paris und Versailles, nahm ihnen das Ehrenwort ab, daß sie keine Flucht versuchen wollten, und zog sie dann an den Hof und in den Kreis der ungeachtet des Alters der Königin und der Bigotterie der Maintenon noch immer höchst brillanten Vergnügungen desselben, indeß man sie mit Zuvorkommenheiten überhäufte, um sie den französischen Prinzen in Spanien geneigt zu machen. Es ist gewiß, daß nur bei wenigen dieser so liebenswürdig gefangengehaltenen Männern der beabsichtigte Zweck des Hofes nicht erreicht wurde.

Nicht allein Officiere, auch eine Dame war den Siegern bei Almanza in die Hände gefallen. Es war die Tochter des eben so umsichtig tapfern als höchst einflußreichen Generals Las Minas y Huesco. Auch der Donna Josita hatte man sich versichern zu müssen geglaubt und sie war mit den Gefangenen nach Versailles geführt. Wie die Officiere hatte die junge Spanierin ihr Wort gegeben, nicht zu fliehen, und sofort war sie von den vornehmsten Damen des Hofes feierlich als Schützling erklärt und mit solcher liebevollen Aufmerksamkeit behandelt, daß Donna Josita gewiß keine Ursache hatte, ihre unfreiwillige Reise nach Frankreich zu bereuen.

Wer sich aber der Spanierin vollständig bemächtigt und alle andern Protectricen derselben verdrängt hatte, das war die Herzogin von Maine und die Gräfin de Noailles. Donna Josita war, des Glanzes, der sie umgab, ungeachtet, nicht glücklich. Sie hätte sich lieber unter dem Zelte ihres Vaters im Getümmel des Feldlagers zur Ruhe gelegt, als hier im Versailler Schlosse in ihrem prächtigen Zimmer mit Malereien von Philipp von Champagne an den Wänden und mit ungeheuren Spiegeln und venetianischen Fensterteppichen geziert. Der General Minas bedurfte ihrer Pflege und sie war fern von ihm gefangen. Ihr einziger Trost war, daß sie in der Sprache ihrer Heimath sich mit ihren Beschützerinnen unterhalten und ihre Klagen aussprechen konnte; denn die Herzogin von Maine schnatterte die Lengua castellana gleich einer beredten Duenna von Manzanares, und wenn Louise de Noailles auch die außerordentliche Zungenfertigkeit der kleinen Herzogin nicht besaß, so hatte sie dagegen die Eigenschaft, mit ausgezeichnetem Wohlklange aus dem Gedächtniß eine Menge der schönsten spanischen Gedichte vortragen zu können.

In der ersten Zeit, nachdem die Spanierin in Versailles angekommen war, hatten die beiden Damen dieselbe aus wahrem Egoismus zurückzuhalten gestrebt, denn sie liebten das eigenthümlich bezaubernde Mädchen aus Valencia viel zu sehr, um sich sobald wieder von ihr zu trennen. Kaum aber hatte ihnen Josita ihr Herz, ihre heftige Sehnsucht nach der Heimath und den Schmerz um das Geschick ihres verwundeten Vaters gezeigt, da beeiferten sich die Französinnen um die Wette, es möglich zu machen, daß Josita’s Wunsch erfüllt werde.

Es war nach einer vorübergegangenen, stürmischen Scene zwischen Madame de Maintenon und ihrer Nichte die erste Bitte der letzteren gewesen, man möge, wie der General Minas in einem eigenhändigen Schreiben an den König vorgeschlagen, einen besonders von Ludwig XIV. begünstigten jungen Marquis d’Uxelles, der sich in der Gewalt der Engländer befand, gegen [245] Josita auswechseln. Madame de Maintenon konnte unmöglich widerstehen; aber sie bemerkte sehr ängstlich, daß der Herzog von Berwick hinsichtlich der kleinen Spanierin ausdrücklich an den König geschrieben habe, daß man durch sie die bedeutendsten Resultate in Bezug auf die gegen Philipp von Anjou noch in Waffen stehenden Spanier erzielen könne.

– Die Verbindung mit dem General Minas ist angeknüpft, schloß die Maintenon, sie muß bis zum Ende geführt werden . . .

– Aber, gnädige Tante, hatte Louise mit großer Lebhaftigkeit erwidert, es wird doch Niemand so ganz und gar barbarisch sein, zu beabsichtigen, diesen spanischen General dadurch für Frankreich gewinnen zu wollen, daß man seine einzige Tochter zum Preise seines Uebertrittes macht?

– Wer redet denn davon? Nein, der König besitzt in Donna Josita blos einen gewissen Punkt . . . .

– Josita wäre ein Punkt? Wenn Sie so von der Armen zu reden im Stande sind, so ist sie sicher verloren!

Die Maintenon, keineswegs eine Freundin von empfindsamen Scenen, die sie nicht selbst angestiftet hatte, erhob sich im höchsten Grade erzürnt über die Komödie ihrer Nichte, die sich niederwarf, als wenn sie nie mehr aufstehen wollte, weinte, und in dieser angreifenden Situation ihre Tante „bei den Göttern“ beschwor, die kleine Spanierin ihrem Vater zurückzusenden.

Madame de Maintenon beugte sich jetzt zu Louise hinab, beide Hände wie eine ächte „Dame der Hallen“ auf die Hüften stemmend.

– Ich wünschte, sagte sie, vor Aerger bebend, daß Sie mit Noailles diese unausstehliche Posse aufführten und nicht mit mir; Sie würden dann wenigstens die sichere Hoffnung haben, für Ihre Anstrengung die angemessene Belohnung, das heißt eine derbe Ohrfeige zu empfangen.

In einem Augenblicke stand Louise aufrecht da.

– Noailles? rief sie. Er mir Ohrfeigen appliciren?

– Meinetwegen, sagte die Maintenon, sehr kaltblütig sich niedersetzend. Das wird ganz Eure Sache sein, wie Ihr Euch unterhalten wollt. Ich sehe übrigens, daß Du nach dem kalten Bade soeben nüchtern und vernünftig genug geworden bist, um mit mir ferner von Deinem Schützlinge, der Josita, reden zu können.

Die Gräfin schmollte noch einen Augenblick, nahm aber ein Tabouret, setzte sich und nahm sich ernsthaft vor, ihre Tante gewähren zu lassen.

– Es ist nothwendig, sagte die alte Dame, daß wir Las Minas gewinnen, denn sein Einfluß auf seine Landsleute, namentlich auf die Truppen, welche noch gegen „Uns“ im Felde stehen, ist von größter Bedeutung. Der Vater Deiner Josita ist schon seit langer Zeit in Frankreichs Interesse zu bearbeiten versucht; unerschütterlich hat er alle ihm gebotenen Vortheile ausgeschlagen. So lange aber seine Tochter hier ist, hat er sich uns auffallend genähert und es ist unzweifelhaft, daß er sich nach einiger Zeit für den Prinzen von Anjou erklären wird. Um aber des Erfolges unserer Schritte gewiß zu sein, müssen wir zuverlässig den General bewegen können, die Unterhandlungen fortzusetzen. Die Anwesenheit Josita’s in Versailles ist die Bürgschaft dafür, daß er nicht mit uns abbricht. Uebrigens werden wir ihm Vortheile genug zu bieten haben, sollte ich glauben, um von dem Umstande, daß wir seine Tochter gefangenhalten, gegen ihn [246] Nutzen zu ziehen. Bewege also Josita, daß sie, wenn sie abermals an ihren Vater schreibt, von Uns ein so einnehmendes Bild als möglich entwirft, ihren Entschluß kund giebt, wo möglich immer in Versailles zu bleiben und dem stolzen Spanier Hoffnung macht, daß für ihn, wenn er der Krone Frankreichs huldige, bereits eine Gouverneurstelle in der Gascogne oder in Guyenne und der Marschalls- oder Admiralstitel in Bereitschaft gehalten würde . . .

Aber Louise de Noailles wollte nichts Derartiges hören. Der Refrain ihrer Reden war, daß die Spanierin sobald als möglich ihrem „sterbenden, seufzenden Vater“ wiedergegeben werden müsse. Nach vielen andern minder wichtigen Ausflüchten bequemte sich die Maintenon, nachzugeben.

– Nun gut, sie mag also reisen! sagte sie endlich. Ich zweifle aber, ob dieser Act französischer Großmuth im Stande ist, den General, ihren Vater, für uns zu gewinnen . . .

– Der Herzog von Berwick wird auch ohne ihn Spanien zu erobern wissen.

– Oh, oh! Du weißt also nicht, welchen entschlossenen Widerstand Murcia und Catalonien ihm entgegenstellt . . . . . . Ich versichere Dich, es bleibt uns noch ungeheuer viel zu thun übrig, bis die Krone fest auf Philipp’s Haupte sitzt. Aber immerhin. Mag die Spanierin reisen . . . das heißt, wenn Seine Majestät der König es genehmigt . . .

– Ah, Madame, Sie werden ihn bitten und er wird nicht widerstehen . . .

– Sehr wohl, ich will Euch unterstützen, aber Eure Bitte müßt Ihr selbst anbringen. Es wäre gut, wenn der König Josita selbst sähe . . .

– Mein Gott, sie ist ja fast jeden Abend im kleinen Zirkel gewesen und der König hat sie mehr als ein Mal angeredet! rief die Gräfin.

– Hat er sie angeredet, so mußte die Spanierin so antworten, daß sie bemerkt wurde. Als ich gestern jedoch von ihr sprach, äußerte der König, er erinnere sich der Fremden nicht, als einer stummen, vom Kopfe bis zu den Füßen in einen schwarzen Trauermantel gehüllten Gestalt.

– Ich werde schon dafür sorgen, daß Josita heute Abend bei der Lotterie des Königs von ihm genauer betrachtet werden soll! sprach Louise sehr lebhaft.

– Aber habt Ihr denn für heute Abend Karten? Außer den Gesandten sind nur Personen von Geblüt eingeladen, meine ich . . .

Die Gräfin machte ein ziemlich unschönes Gesicht und zuckte die Achsel.

– Außerdem ist der König Abends immer sehr zerstreut, Nichte! Benutze lieber das zweite Lever, um Josita Minas und ihre Bitte zu empfehlen. Ich werde Seine Majestät heute Abend aufmerksam machen, daß Du etwas bei ihm nachzusuchen hast . . .

Wir haben bemerkt, daß Louise de Noailles und die Herzogin von Maine zum Lever gingen. Sie führten Beide mit großer Prätension ihren Schützling, die in schwarze Seide gekleidete Spanierin. Donna Josita’s Schönheit strahlte aus der düstern Capa wie ein Stern aus den Wolken der Nacht.

Desdichada de mi! Ich Unglückliche! seufzte Josita, sich schwach auf den Arm der Gräfin stützend, welche ihr Muth einsprach, während die Dame de Maine Jedem, der es hören wollte, mit lauter Stimme insinuirte, diese Spanierin sei ein Schlachtopfer und zwar ein Schlachtopfer der unverzeihlichsten königlichen Tirannei.

[247] Louise de Noailles hatte ihren Schützling zum Könige geführt, im festen Vertrauen, die Maintenon habe ihr Versprechen gehalten und der König werde seine Schuldigkeit thun, das heißt der Maintenon gehorchen. Höchst wahrscheinlich hätte es bei Ludwig nichts weniger als großer Künste bedurft, um ihn zu veranlassen, die arme kleine Gefangene freizugeben. Als die Gräfin de Noailles daher mit Donna Josita durch die prachtvolle Gallerie des Schlosses ging, wo die Hofleute ihre unvergleichlichen Ebenbilder in den ungeheuren Spiegeln bewunderten, welche, siebenzehn an der Zahl, den Bogenfenstern gerade gegenüber angebracht sind, nahm die Dame eine triumphirende Siegermiene an und verkündigte: daß sie, Louise de Noailles, die Spanierin „dem gebrochenen Herzen ihres tapfern Vaters“ zurückgeben werde.

Donna Josita stand dicht an die Edeldame geschmiegt, ihren großen Fächer von schwarzer Seide und Elfenbeinstäben in der Hand und ließ sich nur selten bewegen, den vielen Herren, welche sich um sie drängten, auf ihre Fragen eine Antwort zu geben oder gar ihre unvergleichlichen braunen Augen aufzuschlagen. Sie war reizend, diese Siebenzehnjährige, Unglückliche, und die Herzen der jungen und vielleicht noch mehr der alten Hofcavaliere schlugen ihr entgegen. Man beeilte sich, ihr von allen Seiten die zarten, kleinen Hände zu drücken, nachdem der Herzog de St. Simon, welcher längere Zeit in Madrid war, mit dieser Freundschaftsbezeugung unter der Entschuldigung den Anfang gemacht hatte, ein Händedruck sei in Spanien Mode; woran er freilich so sehr log, als er zu lügen gewohnt war. Gleichviel aber, dieser Mode wurde von den Hofleuten in Bezug auf Donna Josita sofort gehuldigt, und als einer der Offiziere von den königlichen Mousquetaires, der junge Marquis de la Feuillade, Neffe des berühmten Marschalls dieses Namens, der Spanierin die Hand zu küssen wagte, erhielten ihre Hände im Nu wenigstens ein Dutzend Küsse von glühenden Lippen, bis die Gräfin de Noailles, welche sich mit St. Simon über seine Lüge zankte, den Schwarm der jungen Cavaliere zurücktrieb.

Unglücklich genug war die Theilnahme der Herzogin von Maine an dieser Expedition. Sie war sehr nachlässig angekleidet, hatte um ihren magern Hals aber schon ein Diamanten-Collier von ungeheurem Werthe geknüpft. Sie trug keine Schleppe, sondern nur ihr kurzes Morgenkleid, wahrscheinlich um ihre äußerst winzigen Füße zu zeigen, sammt ihrer Kunst, sich auf so spitzigen, hohen Schubabsätzen zu balanciren, wie sie gewiß, aus Rücksicht für die gefährdeten Fußknöchel, Niemand anzuziehen wagte. Die Herzogin war bereits frisirt und trug ein colossales Kissen auf dem Kopfe, über welches man das Toupée gespannt hatte. Ihr Seitenhaar war nicht stark genug, um das Kissen vollständig zu bedecken. Man sah, es war von rother Seide. Damit Jeder jedoch unzweifelhaft überzeugt wurde, es sei allerdings die Absicht der Herzogin, die innern Geheimnisse ihres Kopfputzes sehen zu lassen, hatte das Kissen an jeder Seite eine goldene Troddel, welche über den Ohren hin und her baumelte, sowie sie den Kopf bewegte; und sie war gewohnt, ihn keine Secunde still zu halten. Die Herren sahen sich bei dem Anblicke dieser kleinen Person mit großen Augen an; bei ihrer Boshaftigkeit wagte aber Niemand eine weitere Miene, um zu bezeugen, wie sehr er die Herzogin auffallend und absurd finde. Nur der Herzog St. Simon, den Madame de Charolais-Maine wegen seiner ungeheuren Fertigkeit in der Erfindung von den wahrscheinlichsten, unwiderstehlichsten Lügen fürchtete, konnte sich nicht enthalten, gutmüthig zu bemerken: wie glücklich einer oder der andere der armen Gardeofficiere sich fühlen würde, wenn ihm die Herzogin ihre Kissentroddeln als Epaulettes zu schenken [248] geruhen wollte. Die Herzogin von Maine sah den Erzlügner mit einem wüthenden Blicke an und machte auf ihren spitzen Absätzen mit Heftigkeit rechts um, so daß die Troddeln lustig ihr um die Ohren flogen, als freuten sie sich der von St. Simon gewünschten Veränderung ihrer Bestimmung.

Kaum hatte die Dame de Maine erklärt, daß sie die Donna Josita Minas dem Könige vorstellen und um ihre Freilassung nachsuchen wolle, so reichte die kleine Herzogin dem Mädchen die Hand und betheuerte, daß sie entschlossen sei, den König zu forciren.

– Aber, meine Liebe . . . . bemerkte die Noailles mit einem bedeutsamen Blicke auf den Anzug ihrer Freundin.

– Ah bah; als wenn das für diesen kindischen König nicht genügte, der kaum seine eigenen Schuhschnallen zu erkennen vermag! erwiderte die Herzogin halblaut, aber laut genug, um verstanden zu werden.

Triumphirend blickte sie im Kreise. Alle hatten sich bestürzt abgewandt und führten eine soeben in der Secunde erst entstandene Unterhaltung mit großem Eifer. Nur St. Simon war furchtlos genug, um es nicht zu verbergen, daß er die Lästerung der schönen Zwergin gehört habe.

– Madame, sagte er mit vollkommenster Kaltblütigkeit, Sie haben Recht, der König leidet an den Augen. Gestatten Sie mir indeß, Sie davon auf das Bestimmteste zu versichern, daß Seine Majestät, wenn es gerade das Wetter erlaubt, von Versailles aus nicht allein die Bastille, sondern sogar Pignerol sehen kann.

– So sehr strengt also der König sich an, um diese miserablen Oerter zu sehen? fragte die Herzogin unerschrocken vor der Drohung St. Simon’s. Das ist in der That überflüssig, denn für ihn ist Versailles mehr als Bastille und Pignerol.

– Hüten Sie sich, Madame! sagte Simon, indeß er sich verbeugte, um in den königlichen Vorzimmern zu verschwinden.

– Ja, so steht geschrieben, rief ihm diese nach, hütet Euch vor den falschen Lügenpropheten!

Von diesem Augenblicke an hieß St. Simon nur der Lügenprophet. Der neu ernannte Würdenträger beeiferte sich indeß bei Ludwig XIV., nicht etwa die Herzogin ihrer boshaften Ausdrücke zu bezüchtigen, denn dazu war Niemand weniger der Mann als er; sondern ihr einen Empfang beim Lever zu bereiten, der geeignet war, die Herzogin für ihre Lästerungen sofort genügend zu bestrafen.

St. Simon beschrieb auf’s Burleskeste den Aufzug der Herzogin, namentlich ihren kurzen Rock und das Troddelkissen, so daß der König auf seine noch immer sehr reizende Weise lachte.

– Die kleine Dame spielt zu leidenschaftlich groteske Komödie, bemerkte der König; man muß ihr daher verzeihen, wenn sie sich in ihrem Eifer auch einmal so auf der Bühne zeigt, wie sie nur hinter den Coulissen angekleidet sein sollte.

Bon, Sire! antwortete der Herzog de St. Simon; Sie werden sofort Gelegenheit haben, Ihre nachsichtigen Grundsätze in Anwendung zu bringen; denn irre ich nicht gänzlich, so beabsichtigt [249] die Herzogin, hier beim zweiten Lever Eurer königlichen Majestät eine Probe ihrer heitern Kunstfertigkeit zu geben.

Der König sah den Grafen groß an, dann ward er sehr mürrisch und sagte mit schnarrender, lauter Stimme:

– Marquis Laurence – der dienstthuende Kammerherr – machen Sie den Damen, namentlich der Frau Herzogin von Maine, bemerklich, daß ich heute darauf verzichte, sie zu sehen.

St. Simon lächelte ironisch.

In diesem Augenblicke aber standen die Herzogin von Maine und die Gräfin von Noailles, zwischen sich die Spanierin an der Hand führend, bereits auf der Thürschwelle. Louise hörte die letzten Worte des Königs und war in Begriff, sich stolz zurückzuziehen.

Die Herzogin aber faßte ihren Schützling fester und drang, trotz aller Laurence’s, mit Donna Josita in das Audienzzimmer. Louise de Noailles konnte, wollte sie nicht feig erscheinen, nichts weiter, als der Prinzessin, welche ihr Condé’sches Blut in den Adern zu fühlen schien und sich dem Könige wie zu einem Angriffe näherte, folgen.

– Gerechtigkeit, Sire! rief die Herzogin mit ihrer bewunderten Aussprache. Gnade! Dies ist die gefangene Tochter des tapfern spanischen Generals Las Minas . . .

Der König stand von seinem Fauteuil auf, warf Messer und Gabel klirrend auf den silbernen Teller und betrachtete mit dem Ausdrucke unzugänglicher Majestät im Antlitze die kühne Herzogin vom Kopf bis zu dem Fuße.

– Genug, genug! unterbrach er sie entschieden und winkte ihr mit der Hand die Entlassung, ohne die arme Donna Josita auch nur anzusehen.

– So laß mich doch nicht allein, Louise! wandte sich die Herzogin sehr aufgebracht an die Freundin, welche sich im Hintergrunde hielt.

Die Gräfin stellte sich neben ihr auf.

– Ah, ich ahnte! sagte St. Simon sehr aufgeräumt; da ist eine zwar sehr alberne, doch höchst ergötzliche Scene fertig.

Die Herzogin von Maine riskirte, ohne St. Simon zu antworten, einen regelmäßigen Fußfall vor dem Könige; Donna Josita sank weinend neben ihrer Beschützerin nieder, und Louise de Noailles sah sich, edelmüthig genug, genöthigt, sich ebenfalls auf die Knie zu legen, damit die Dame von Maine später nicht allein das Gewicht dieser Scene zu tragen hatte. Louise kniete mit einem solchen Ernste nieder, daß die Anwesenden sich dadurch imponirt fühlten und ihren satirischen Mienen einen edleren, fast feierlichen Ausdruck gaben. Dennoch, betrachtete man die Herzogin in ihrer unordentlichen Kleidung, mit ihrer etwas in Verwirrung gekommenen Frisur und hauptsächlich mit den unglücklichen Troddeln, welche in einer Art convulsivischer Bewegung schienen, so wurde die ganze Scene unwiderstehlich komisch. Noch immer hielten sich die Hofleute. Aber als jetzt die knieende Herzogin gegen den auf’s Höchste durch diesen Knalleffect überraschten König rednerisch die Hand ausstreckte und, als sie unbewußt dazu den einen Fuß bewegte, ihren Schuh verlor, so daß sie erschrocken aufsprang und nach demselben suchte, da brach ringsum ein helles Gelächter aus. Das Spiel der Damen war um so mehr unwiederbringlich verloren, als die Herzogin, anstatt geistreich und den König verbindend, über den Auftritt zu scherzen, alle Fassung verlor und eine so aufgebrachte Miene annahm, wie sie dieselbe noch nie gezeigt hatte. Es blieb [250] der Herzogin nur Eins übrig, und das brachte sie denn auch zur Ausführung: ihre Truppen sammeln, wie sich St. Simon später ausdrückte, und ohne einen Kanonenschuß den Rückzug antreten. Die kleine Dame nahm Louise de Noailles an die eine, Donna Josita an die andere Hand und verließ eiligst den kleinen Saal, nachdem sie, ohne noch ein Wort zu sprechen, dem Könige einen wüthenden Blick zugeschleudert hatte.

Fast erschöpft und ersichtlich außer Fassung, ließ sich der König in seinen Lehnstuhl nieder.

– Mein Gott! flüsterte er, sich den Schweiß von der Stirne wischend, wie hat mich diese Person alterirt! Das ist mir geradezu noch nie, nein, noch nie vorgekommen.

– Eure Majestät haben also heute Morgen die Frau Herzogin zum ersten Male in ihrer ganzen Stärke gesehen? murmelte Fabien de Narbonne. In der That, dann ist es noch möglich, sich über den Trouble zu trösten, welchen sie verursacht.

Im Ganzen genommen aber war Ludwig über die aus Anlaß der Donna Josita geschehene Verletzung aller Etiquette so nachhaltig verdrießlich, daß er Laurence andeutete, die Spanierin sei zu beschränken, damit sie sammt ihren Freundinnen nicht abermals dergleichen Angriffe unternehme. Nachdem dies geschehen war, empfahl sich St. Simon fast augenblicklich.

– O, ich wette, sagte der Prinz von Condé, daß dieser Würdige den Befehl Sr. Majestät augenblicklich an die Herzogin überbringt; denn ich müßte mich sehr täuschen, wenn ich nicht vorhin bemerkte, daß das Gerücht, dieser alte Lügenherzog habe sich in dies Kind, die Spanierin, verliebt, gegründet ist.

Dies war geschehen, als die drei Damen wieder in die große Gallerie traten. Sie wurden abermals von einem Kreise von Neugierigen umgeben, dem sich Louise de Noailles vergebens zu entziehen suchte. Der junge Lieutenant de Feuillade kam athemlos heran. Er schien der verweinten Josita Muth einsprechen zu wollen, wagte es aber nicht, sich ihr zu nähern, sondern blieb, wie eine Bildsäule, mit herabhängenden Armen, stehen und betrachtete die Schöne, ohne ein Wort zu sagen.

St. Simon trat näher. Er legte der Spanierin die eine seiner schneeweißen Hände auf die zitternde Schulter und sah die Herzogin sehr gutmüthig, fast bewegt an.

– Donna Josita, beschweren Sie sich bei der Frau Herzogin, sagte er; man muß mit Dingen, wie es die Bastille und die „Sommerwohnungen“ in Pignerol sind, nie scherzen. Erschrecken Sie nicht; Sie werden von heute an wirklich eine Gefangene sein. Verlassen Sie sich darauf, der König hat Laurence gesagt, Sie sollten beschränkt werden, damit sich ein tragikomischer Vorfall, wie vorhin, nicht wiederhole. Laurence wird Ihnen den ausgezeichnetsten Stubenarrest geben, den Sie sich denken können.

Ganz wider Erwarten schien die Fassungslosigkeit der beiden französischen Edeldamen bei dieser Eröffnung gänzlich zu verschwinden.

– Was sagst Du, Louison? flüsterte die Herzogin von Maine mit blitzenden Augen. Ist das eine Herausforderung?

– Ja, und eine, die ich wenigstens auf der Stelle anzunehmen entschlossen bin, erwiderte die Gräfin Noailles.

– Mesdames, ich denke doch, sagte St. Simon, daß Sie mich ebenfalls von der Partie sein lassen?

[251] – O ja, lieber Freund, erwiderte die Herzogin; denn ich setze voraus, Sie werden sich, dieser hilflosen Fremden zu Liebe, Ihrer unerträglichen Schwatzhaftigkeit wenigstens auf einige Zeit enthalten . . .

– Sicherlich, Madame, wenn Sie hinsichtlich Ihrer liebenswürdigen Extravaganzen dasselbe versprechen.

– So folgen Sie uns!

Die drei Menschen gingen, ihre kleine Spanierin wie im Triumphe zwischen sich führend, durch die Hofleute und zu den Gemächern der Herzogin, welche mit denen Louisens de Noailles auf demselben Corridor lagen. Josita begriff nicht, was sich aus den Stürmen dieses Morgens entwickeln werde.

Als man im Gesellschaftszimmer der Herzogin angekommen war, erschien Laurence und bat Josita, ihm zu folgen.

– Sie wollen die Dame verhaften, Unmensch! rief die Herzogin.

– Ich werde zuvor sehen, fügte die Gräfin hinzu, ob meine Tante hier nicht so viel gilt, um schreiende Ungerechtigkeiten verhüten zu können . . .

– Ereifern Sie sich nicht, sagte Laurence hämisch, mit einem Zettel spielend, der augenscheinlich seine Vollmacht enthielt. Ich habe Befehl, diese Donna zu beschränken, das heißt in ihrer Freiheit zu beschränken, und dieser Befehl wird ausgeführt werden. Das Fräulein wird von dieser Minute an Stubenarrest erhalten. Sie würde also ihre Zimmer auf diesem Corridor verlassen und mir nach dem „schwarzen Flügel“ folgen müssen.

– Nimmermehr! antwortete die Maine.

– Gut, der Hofmarschall ist der Meinung, daß Mademoiselle de Minas ganz nach Belieben in dieser Beziehung verfügen kann. Sie bleibt also in ihrer Nähe.

Josita ward von St. Simon und ihren Freundinnen nach ihren bisherigen beiden Zimmern begleitet, welche dicht an diejenigen der Herzogin stießen. Der Kammerherr konnte kaum eine boshafte Freude in seinen Mienen unterdrücken.

– Was lachen Sie denn, Herr! fuhr ihn der Herzog hochmüthig an.

Mille pardons, mein Herzog! Wenn ich Sie sehe, fallen mir nothwendig immer einige Ihrer ausgezeichneten Geschichten ein und da denke ich, ist’s eine Ehre für sie, wenn ich nach Herzenslust meine Lachmuskeln in Bewegung setze.

St. Simon sah den klapperdürren Kämmerling vernichtend an, aber es war gewiß, der „Lügenprophet“ war dasmal unerhört geschlagen. Alles, was er thun konnte, beschränkte sich darauf, die dürren Schenkel des Würdigen stechend zu betrachten und zu erwidern:

– Ihre Lachmuskeln? Als ob Sie überhaupt noch einen Muskel besäßen!

Josita ward in ihre Zimmer gesperrt. Dieser Gewalt gegenüber schien sie ihren ganzen Muth wieder zu finden; dann auch las sie in den Augen ihrer Beschützerinnen die Gewißheit, sie werde, da man sie durch den Arrest ihres gegebenen Wortes, nicht zu entfliehen, entbinde, weder lange in diesem Zimmer, noch in Versailles, noch in Frankreich überhaupt bleiben.

Laurence schloß hinter der Spanierin die Thüre, steckte den Schlüssel in die Tasche und empfahl sich mit unendlichen Bücklingen. Die Damen zogen sich mit St. Simon wieder in der Herzogin Zimmer zurück, um einen Kriegsplan zu berathen. Der Herzog von Maine erschien [252] jetzt ebenfalls, im tiefsten Negligée, eben glücklich durch eine Gewaltanstrengung dem Bette entronnen, wo er dem Schlafgotte wahrhaft übermäßige Opfer zu bringen pflegte.

Der Herzog von Maine hatte die ungemein lieblichen Züge der stolzen Montespan und schönes, halblanges, schwarzes Lockenhaar, das er, außer bei den feierlichsten Gelegenheiten, ohne Perrücke trug und nie puderte, da er behauptete, der Puder fiele ihm Nachts in die Augen und störe ihn im Schlafe. Seine fortwährende Schläfrigkeit abgerechnet, war der Herzog sehr liebenswürdig, sehr sanftmüthig und eben so sehr in seine kleine extravagante Herzogin verliebt, wie diese in ihn, was ihm bei Hofe als Dummheit und Trägheit und ihr als eine ihrer überspannten Marotten angerechnet wurde. Der Herzog pflegte sich sehr selten mit jemand Anderes als mit seiner Gemahlin zu unterhalten, da er aus Bequemlichkeit sich nicht die Mühe gab, beim Sprechen die Zähne von einander zu bringen, so daß er Jedem ziemlich unverständlich wurde, welcher nicht so einexercirt war, ihn zu verstehen, als die Herzogin. Daß diese mit einer so ungeheuren Schnelligkeit sprach, daß das Ohr ihren Worten kaum folgen konnte, denken wir, haben wir oben bei ihrem Bildniß zu bemerken vergessen.

Dieser Schläfrigkeit des vortrefflichen Herzogs war es zuzuschreiben, daß er von den Entführungsplänen der Anwesenden in Bezug auf Josita nichts wissen wollte. Plötzlich scheint er jedoch vollständig wach zu werden, läuft nach der Thüre und blickt auf den Corridor. Die Andern eilen ihm nach und machen einen Ausruf des Unwillens: ein riesenhafter Mousquetaire in voller Uniform marschirte als Wache vor der Thüre Josita’s auf und ab.

– Dieser schändliche Laurence! schrie der Herzog und machte augenblicklich Vorbereitungen, um sich zum Könige zu begeben und Genugthuung für die Schmach zu fordern, daß man in seiner Wohnung eine Schildwache aufzustellen wage.

Die Damen hielten ihn zurück. Jetzt aber widerstrebte der Herzog nicht länger, sich dem Complot anzuschließen, ja seine Erbitterung überstieg die Aufgebrachtheit seiner Verbündeten noch um Vieles.

– Ich werde diesen Coquin von einem Söldlinge eigenhändig niederstechen! rief Maine.

– Bestechen wir ihn vielmehr! entgegnete St. Simon, welcher ziemlich blaß geworden war.

– Nein, entschied die Gräfin, wir lassen den Hauptmann Donaldson, den schönen Schotten, kommen. Es bedarf nur eines Wortes, und er stellt uns hier einen Mousquetaire, der weder sehen noch hören kann.

– Sehr wohl, Cousine; aber ich versichere Sie, daß dieser schöne Schotte mir nicht in meine Behausung kommen soll, und daß ich meiner Frau verbiete, sich an der ganzen Geschichte nur mit einem Worte zu betheiligen, sobald dieser schottische Flegel nur noch einmal in dieser Beziehung erwähnt wird.

Diese Entscheidung gab der Herzog in großer Aufregung.

– Du bist eifersüchtig? rief die Herzogin, mit unverhehltem Entzücken auf ihren Gemahl zueilend und ihn sehr theatralisch, wir glauben aber dennoch, mit sehr herzlicher Empfindung in die Arme schließend. Wie glücklich bin ich doch!

Der Herzog brummte noch etwas zwischen den Zähnen, was selbst seine Gattin nicht verstand, ließ sich aber nach und nach wieder besänftigen und wurde heiter.

[253] – Ich werde einen Vorschlag machen! rief er. Wir werden George de la Feuillade rufen lassen; nicht wahr, theurer St. Simon? Er ist ohnehin der Liebling unserer Damen hier.

– Wie es scheint, auch derjenige der Donna Josita! bemerkte St. Simon, der sich eben so sehr über den kleinen Lieutenant ärgerte, wie sich der Herzog von Maine über den schönen Schotten geärgert hatte.

– Desto besser, mein Lieber, desto besser! rief Maine, eifrig die Hände reibend. Feuillade wird uns eine Schildwache ermitteln, wie wir sie gebrauchen, und dann – fort mit ihr.

– Ich erbiete mich, die Dame mit einigen zuverlässigen Cavalieren zu escortiren, und wir werden eher mit dem Degen in der Faust sterben, als unsere Prinzessin uns rauben lassen.

St. Simon richtete seine schlanke Gestalt höher auf, indeß sein Auge gleich demjenigen eines Zwanzigjährigen blitzte.

– Sehr gut! schrie der Herzog; aber es kommt hauptsächlich darauf an, daß wir Alle hier uns an der eigentlichen Entführung betheiligen, um Revanche an dem Könige und an seinen Satelliten zu nehmen; glänzend, heißt das. Ich biete mein Schloß zu Pau als das vorläufige Ziel der Reise an . . .

– Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, aber Schloß Rouvroy dürfte sich noch mehr als Pau dazu eignen, die junge Dame sicher zu verbergen . . .

Dies bemerkte Simon mit einer Verlegenheit, die ihm nichts weniger als gewöhnlich war. Alle sahen den Herzog an und wechselten dann einen einzigen, vielsagenden Blick. Dieser war aber so wirksam, daß alle Drei dem Lügenpropheten gegenüber auf’s Herzlichste und Munterste zu lachen anstimmten.

Parbleu, mein Freund! Es würde sich da nahezu für die arme Josita um eine neue Gefangenschaft handeln! sagte die Herzogin.

St. Simon ward offenbar übler Laune. Man kehrte sich jedoch nicht daran. Louison de Noailles setzte es durch, daß ein in einer einsamen Gegend an der Seine, einige Meilen aufwärts von Pont de l’Arche liegendes Landgut als die erste Station der Flucht der Spanierin angenommen wurde. Man wollte die Seine hinabfahren, worüber Niemand mehr als der Herzog von Maine entzückt war, der sich etwas darauf einbildete, vom Seewesen Kenntnisse zu haben, und der mit großen Kosten nach einer freilich sehr unpraktischen, von ihm selbst erfundenen Construction ein ziemlich großes Schiff hatte erbauen lassen, auf welchem er zuweilen diejenigen seiner Freunde bewirthete, die es über sich gewinnen konnten, den Wein des Herzogs mit seinen endlosen nautischen Vorträgen hinabzuspülen. Die Abfahrt sollte so glänzend als möglich sein: mit Musik und Gesang, und als deshalb die Noailles bemerkte, ob man nicht den Italiener Gherardi vom Theater an der Porte Saint Martin mit seiner Gesellschaft zu miethen gedenke, um sich im Parke des Schlosses Schäferspiele und Lustspiele geben zu lassen, da stimmte das herzogliche Paar entzückt bei. Der Herzog nahm in einem Schreiben an den König sofort Urlaub, St. Simon und die Gräfin nicht minder. Als dies Geschäft beendigt war, entfernte sich St. Simon seufzend, um, wie er sagte, einige nothwendige Angelegenheiten vor seiner Abreise zu erledigen.

St. Simon ging direct zu Le Tellier, einem zwar jungen, aber sehr häßlichen Lieutenant [254] von den Mousquetaires des Königs. Beide gingen auf dem Kasernenhofe spazieren, bis endlich Simon sagte:

– Hört, wißt Ihr etwas von der Spanierin, mein Freund?

– Wieder die Spanierin? Diable! Eben hört Feuillade auf, mich von ihr zu unterhalten.

– Ach! Kann ich auf Eure Freundschaft rechnen?

– Rouvroy, ich denke, ich habe eine solche Frage nicht verdient. Wort und Handschlag, habt Ihr einen Ehrenhandel etwa?

Sehr gepreßt rückte St. Simon mit seinem Geheimnisse hervor. Er hatte, von heftiger Liebe zu Josita ergriffen, den Entschluß gefaßt, sich ihrer jedenfalls zu bemächtigen, um sie in bester Form zu seiner Gemahlin zu machen. Bis so weit stand ihm nichts im Wege; Josita mußte entfliehen; aber wie später? St. Simon instruirte den Offizier, sich, sobald die Flucht der Spanierin bekannt werde, bei Laurence zu deren Einholung zu melden, und er gab dem Herrn von Tellier einige Zeilen an seinen Freund, den Kämmerer, damit etwa kein Anderer den Auftrag erhalte, die Flüchtige zu verfolgen.

– Habt Ihr sie gefangen und bringt sie wieder auf den Weg von Paris rückwärts, dann, Herzensfreund, ist es Eure Sache, sie entwischen zu lassen, damit ich sie von dannen bringen kann, wohin ich will. Es versteht sich von selbst, daß Ihr sie zum zweiten Male nicht findet . . . sagte St. Simon.

– Was? rief der Officier.

– Und damit Ihr nicht etwa sagt: ich vergäße gegen Euch gefällig zu sein, fuhr St. Simon unerschütterlich fort, als wenn er die aufsteigende Entrüstung Le Tellier’s gar nicht bemerkte, so schenke ich Euch hiermit meinen Young Abbas nicht nur, sondern auch meine Schimmelstute Semiramis. Und nun gebt mir Eure Hand, daß Ihr als Freund handeln und schweigen wollt!

Vor Entzücken konnte der Eitle kaum antworten.

– Die beiden besten Pferde in ganz Paris, das heißt in ganz Frankreich! Ihr sagt, Rouvroy, daß sie mein sind?

– Ja!

– Und ich kann sie auf der Stelle in meinen Stall bringen lassen?

– Ja, mein Liebenswürdigster!

Bon! Hier ist meine Hand. Ich werde thun, wie Ihr wollt. Aber jetzt erlaubt, ich hole mir die Pferde.

St. Simon sandte seinen beiden Rossen einen Seufzer nach, war aber ruhig, da er sicher wußte, sein angelegter Plan könne nicht fehlschlagen, indem er Tellier gewonnen hatte.

Zu derselben Zeit fast war der hübsche, junge George La Feuillade, einer der geistreichsten jungen Edelleute, am Hofe bei dem Herzoge von Maine. Er war so bewegt, daß die drei Verbündeten ihm Trost einzusprechen suchten.

– Du liebst sie also sehr, mein Bester? fragte Maine.

Statt der Antwort öffnete der Lieutenant sein Collet, wo er eine verwelkte Blume trug, welche die Spanierin für den schönen Offizier fallen gelassen hatte.

– Ach, le pauvre! flüsterte Louison mitleidig.

[255] Es ward beschlossen, daß Feuillade sich vom Capitain Donaldson ebenfalls Urlaub erwirken und mit nach Chateau Noailles reisen sollte. Das Entzücken des armen Georges kann kaum beschrieben werden. Er küßte den Damen mit Ungestüm die Hände, umarmte den Herzog aus aller Macht, und würde auch die Damen in der Freude seines Herzens umarmt haben, wenn diese nicht geflohen wären und ihn durch ihr Lachen einigermaßen zur Besinnung zurückgeführt hätten. Zugleich versprach er dafür zu sorgen, daß die Schildwache im Augenblicke der Flucht der Spanierin, welche auf den folgenden Morgen festgesetzt wurde, ein gefälliger Mensch sei, auf dessen Treue man rechnen könne.

Früh am andern Morgen, nachdem sämmtliche Betheiligten der Intrigue in angenehmer Unruhe und Sorge die Nacht zugebracht hatten, war Alles bereit. Der Herzog hatte gearbeitet wie ein Bootsknecht, um sein Schiff zu verproviantiren, auf welchem sich die italienischen Schauspieler, zehn Personen, Herren und Damen, und der Signor Poëta, ein Abbé Montucci, berühmt wegen seiner herrlichen Tenorstimme, schon befanden. Jetzt meldete der schwarze Lockenkopf schweißtriefend:

– Die „Amphitrite“ ist segelfertig!

La Feuillade befand sich im Zimmer des Herzogs, wie die Herzogin und Louison de Noailles. Der Graf de Noailles war viel zu sehr besorgt, sich am Hofe in eine falsche Stellung zu bringen, als daß er sich hätte bewegen lassen, sich dem eleganten Occupationsheere anzuschließen. St. Simon erschien ebenfalls und nahm sofort das unausstehlichste Wesen von der Welt an, als er den Marquis La Feuillade bemerkte.

– Schweigen Sie, George! lispelte ihm die in ihrem Reisenegligée unvergleichlich reizende Louison de Noailles in heiterster Laune zu. Sie haben an dem Lügenpropheten Jemand, der nur zu sehr geneigt scheint, Ihre Pläne zu durchkreuzen.

Feuillade war in der damals so beliebten Tracht eines Abbé. Er sah in seinem glänzenden, schwarzen Tuchwamms, mit seinen Spitzenmanschetten und der aufgesteiften, gefältelten Halskrause, mit seinem schwarzen Seidenmantel und Baret wo möglich noch frischer und liebenswürdiger aus, als in Uniform. Die entscheidende Minute kam. Der Herzog fragte nach den Weinflaschen, die Herzogin nach ihren Büchern, Feuillade nach der Spanierin, St. Simon schwieg hartnäckig und Louison erkundigte sich mit dringendem Tone, ob der Italiener Montucci wirklich an Bord der „Amphitrite“ sei, worauf der Herzog lachend erwiderte, daß er dem Grafen de Noailles darüber eine beglaubigte Bescheinigung ausstellen werde.

Die Herzogin von Maine ging auf den Corridor. Der Soldat blickte aus dem großen Bogenfenster am Ende desselben und, die Ohren durch Dukaten verstopft, hörte es nicht, daß die Dame die Thüren Josita’s eilfertig aufschloß, um die blässer gewordene Gefangene, welche sich tief in ihre Capa gehüllt und den malerischen Rebozzo um den Kopf geschlungen hatte, zu befreien. Die Herzogin zog ihren Mantel über den Kopf, die Gräfin de Noailles nicht weniger, und sofort eilten sie die Treppen hinab zu zwei Kutschen, welche genau nach dem Muster der Arche des alten Noah erbaut schienen.

Die Herzogin stieg mit der vor Freuden Thränen vergießenden Josita in den ersten Wagen; der Marquis La Feuillade folgte ihr augenblicklich, so daß St. Simon so unglücklich war, neben dem heute ungeachtet der frühen Stunde unaufhörlich Witze reißenden Herzog und der wenig [256] lächelnden Louison im zweiten Wagen Platz zu nehmen. Nach einer ziemlich uninteressanten Fahrt erreichte man die Seine.

In einer Bucht derselben lag die Amphitrite des Herzogs, ein Fahrzeug, welches große Aehnlichkeit mit einer chinesischen Yonque hatte, aber so klein war, daß Louison, welche das Wunderwerk zum ersten Male erblickte, ihre großen Besorgnisse äußerte, wie die zehn Schauspieler sammt dem Abbate Montucci, die vier Bootsleute und die ankommenden sechs Personen mit zwei Kammermädchen und zwei Bedienten Platz in dieser Nußschale finden sollten. Der Herzog ärgerte sich hierüber und bemerkte:

– Es ist so viel Platz vorhanden, Madonna, daß Sie keineswegs „hoffen“ dürfen, mit dem Signor Poëta vielleicht eine Matratze zur Nacht theilen zu müssen.

Hierauf nannte die Gräfin den Herzog ein Ungeheuer, wodurch dieser so entzückt wurde, daß er sich auf eigene Hand ausgelassen lustig bezeigte, und nun eine Masse von Geschichten erzählte, wie sie die Lieblingsunterhaltung der Pagen und der jüngsten Gardeoffiziere bildeten. Die genialsten, lächerlichsten, ausschweifendsten, gefährlichsten und verführerischesten Liebesgeschichten wurden aus Rache für das Schimpfwort der unverbrüchlich schweigenden Dame mit einer bei dem Herzoge ungewöhnlichen Zungenfertigkeit vorgetragen, so daß selbst St. Simon, bekanntlich der Meister nicht allein im Erzählen, sondern auch im Erfinden solcher Geschichten, ganz verwundert verstummte. Der Herzog war so boshaft, der Gräfin zu bemerken: sie schweige nur deshalb so trappistenartig, damit sie besser zuhören könne und nicht das Unglück habe, daß ihr irgend ein besonders anziehender Umstand entschlüpfe.

Ein rascher, italienischer, von kunstfertigen Kehlen ausgeführter Gesang unterbrach den Unermüdlichen. Die Gesellschaft stieg aus; rechts und links breiteten sich von Gehölz umgebene Wiesenmatten aus, zwischen denen die stolze Seine ihre breiten, raschen Wellen dahintrieb.

– O, meine Amphitrite! schrie der Herzog, plötzlich seiner Natur gemäß wieder Seemann werdend, als er das kleine flaggende Fahrzeug bemerkte, auf dessen Verdeck Signor Gherardi als Pantaleon und Signor Montucci als Arlequino gekleidet durch einen schwülstigen Dialog die Reisenden empfingen, indeß sie von Meergöttern und Nixen und andern Wassergeschöpfen tanzend umschlungen wurden. Jetzt schon war das Schiff ganz voll von Menschen.

Unerschrocken aber schiffte sich der Herzog ein, nachdem er vorher seine Frau, sowie die tiefsinnige Josita gezwungen hatte, ein ganzes Glas voll des gelben Seinewassers als Präservativ gegen die Seekrankheit zu trinken.

Die Herzogin von Maine hatte unterwegs schon im Vereine mit ihrem schönen Günstlinge, dem Marquis La Feuillade, Alles angewandt, um Josita zu bewegen, daß sie sich von Letzterem nach seinem väterlichen Schlosse führen lassen möchte. Die Spanierin liebte diesen jungen Edelmann ohne Zweifel; sie hatte dies nie heftiger gefühlt, als eben jetzt, da sie sich von ihm und von Frankreich für immer zu trennen im Begriff stand. Sie gestand ihm unter einer Thränenfluth ihre Liebe und erklärte endlich, daß sie ihm folgen werde, wenn er ihr verspreche, sie gleich nach seiner Ankunft bei seinen Aeltern zu heirathen. Die Herzogin erbot sich, die Liebenden zu begleiten, um den etwaigen Widerstand der Aeltern des Liebhabers zu beseitigen, und ertheilte den vor ihr in der Kutsche Knieenden in höchst bewegter Stimmung ihren Segen als [257] Freundin und Eheprocuratorin. Später ward sie so gut gelaunt, daß selbst der Geschmack des Seinewassers das Lächeln von ihren Lippen nicht verwischen konnte.

Die Seinereise begann. So kurze Zeit dieselbe dauerte, so gab sie doch Stoff zu wenigstens einem der ergötzlichsten Romane von der Welt und St. Simon sah und hörte hier genug, um bis an sein seliges Ende die pikantesten Anekdoten zu erzählen. Diese Tour bis Pont de l’Arche ward von ihm „die Geschäftsreise“ genannt, und gelangte unter diesem Titel zu einer sehr zweideutigen Berühmtheit. Es gelang weder dem Herzoge noch der kleinen Herzogin, noch weniger der Gräfin de Noailles, die bisher so glänzenden Wappenschilder ihres Rufs von den auf diese Tour bezüglichen boshaften Anekdoten rein zu waschen. St. Simon nahm überreichliche Rache für die lächerliche Rolle, welche die beiden Liebenden und ihre hohen Verbündeten ihn spielen ließen. Gherardi ließ dafür den Herrn von Rouvroy St. Simon später als Arlequin, le Menteur et Misanthrope, unter ungeheurem Scandal über die Bretter des italienischen Theaters schreiten. Daß St. Simon nicht gelinde behandelt wurde, darf kaum erwähnt werden, wenn gesagt wird, daß St. Simon Veranlassung fand, den Tag nach der Aufführung des Stücks sich als Gesandter nach Madrid schicken zu lassen.

Nach einer für die Bootsleute äußerst beschwerlichen Fahrt, welche außer ihnen und St. Simon Jeden und Jede am Bord der Amphitrite entzückte, langte das Fahrzeug am andern Tage vor der Terrasse des Schlosses der Gräfin an. Es wurde Quartier in dem einfachen, aber glänzend im Innern eingerichteten, ländlichen Palaste genommen, dessen Ausstattung St. Simon mit der impertinenten Frage an Louison de Noailles bewunderte:

– Reizend, Madame? Jetzt bin ich selbst überzeugt, daß diejenigen Recht haben, welche behaupten, diese Schäferhütte habe die ganze Brautausstattung verschlungen, welche Ihnen von Sr. Majestät ausbezahlt wurde.

– Ihre Ueberzeugung ist sehr erklärlich; erwiderte die Herzogin von Maine. Sie leben in der Welt der Dichtungen und Fabeln, welche wohl nur von Uneingeweihten Lügen genannt werden. Ist’s wunderbar, wenn Ihnen die Wahrheit als Dichtung, und nur die Dichtung als Wahrheit erscheint?

Es ward Toilette gemacht und der ganze Schwarm der glänzenden Fremden strömte in den Park hinaus, welchen Louison de Noailles nach einem reizenden Entwurfe Antoine Watteau’s aus einem dichten Walde durch Art und Gartenscheere hatte bilden lassen. Der interessanteste Punkt dieses Gartens, welcher zum Aerger der Bewunderer von Lenôtre’s Geschmack weder die steifen Hecken, noch die geometrisch angelegten breiten Wege zeigte, der interessanteste Punkt dieses Gartens war die große Terrasse, an deren Grundmauern die Seine stolz vorüberrauschte. Rings um diese, oben eine breite Stufe und einen Sitz zeigende, lange Terrasse war duftiges Grün; herrliche Bäume, welche im Mittelgrunde auf einige ländliche Hütten und ein altes verfallenes Kloster, weiterhin auf schön geformte Berge eine unvergleichliche Aussicht frei ließen, umschlossen die Terrasse und ließen dicht hinter derselben einen sanft emporsteigenden Rasenplatz sehen, der von Natur wie zu einer Bühne eingerichtet schien. Unter der Terrasse war, von Außen nicht sichtbar, ein Werk angebracht, wodurch die Wasserkünste im Park ins Spiel gesetzt wurden. Unmittelbar neben der Terrasse thronte das steinerne Bild der Seine, auf einer umgestürzten Urne liegend, ringsum das steinerne, epheuumrankte Postament reichlich mit schneeweißen [258] Fluthen netzend, deren kühlender Hauch dem Sitz auf der Terrasse einen neuen Genuß hinzufügte. Berceau’s von Rosen winkten allenthalben; sie hingen bis auf die Terrasse ihre duftenden Blüthen herab.

Gherardi, der stets Bewegliche, fing sofort, mit dem Antlitz gegen die Terrasse gekehrt: Galatea im Olymp! zu spielen an, nachdem Signor Montucci ganz einfach den Gang des unter den Augen der Zuschauer erstehenden Schäferspieles angegeben und die Rollen vertheilt hatte. Und wirklich fiel die Improvisation der gewandten Acteurs lieblich genug aus, um die Gesellschaft in die heiterste Stimmung zu versetzen. Die Schauspieler machten eine Pause und lagerten sich unter den Bäumen. Der Signor Dichter trat mit seiner Guitarre, womit er den Gesang der eingelegten Couplets begleitet hatte, auf die Terrasse und ließ sich in seinem Negligée neben Louison de Noailles nieder, sein Instrument zu einer Barcarole stimmend. Die kleine Herzogin von Maine saß auf der Fußstufe der Terrasse und blätterte neugierig in einem Rollenhefte der Schauspieler, während sie mit dem Herzoge so verliebt plauderte, als hätte ihr nie Signor Gherardi, und ihm nie Signora Colombina gefallen. Josita in ihrer schwarzen Capa saß neben La Feuillade und ihr Blick zeigte, daß sie im Herzen nicht wenig von dem Glücke empfand, welches das jugendliche Gesicht ihres Bräutigams verklärte. Nur St. Simon war der einzige Misanthrop. Mit einer höchst ennuyirten Miene stand er ganz am Ende der Terrasse, den satyrischen Blick auf den Körpertheil der steinernen Mademoiselle Seine richtend, wovon die Venus Kallipygos den Namen führt. Er hörte nicht auf den Gesang des Signor Montucci, auf das Geplauder der Zofen, welche Blumen von den Büschen pflückten, auf das Geplärr einer kleinen vierjährigen Schauspielerin, welche eben unvergleichlich eine Elfin dargestellt hatte. Er hatte nur ein Ohr für das Liebesgeflüster seines Nebenbuhlers und der Spanierin, die er dennoch nicht aufzugeben beschlossen hatte, obgleich sie ihn, durch die Kunstgriffe der Herzogin von Maine, wie er glaubte, bewogen, offenbar verschmähte. Er wartete mit einer solchen Sehnsucht auf Le Tellier und seine Mousquetaires, daß sein Herz stärker klopfte und seine sonst so sehr farblosen Wangen sich stark rötheten.

Ein Trompetenstoß kündigte endlich die Ankunft der Verfolger an. Man kann die Verwirrung der Gesellschaft und die hämische Freude St. Simons kaum beschreiben, als Tellier mit seinem blatternarbigen Gesichte, St. Simons „Semiramis“ reitend, an der Spitze von fünfzehn Mousquetaires geradezu in den offenen Park sprengte und bis zwischen die Bäume kam. St. Simon war zwar sehr betroffen, als er seinen Zeugen, das Pferd erblickte, war aber unverschämt genug, ruhig zu scheinen.

– Ist das Ihr Pferd, Rouvroy? schrie der Herzog von Maine. Der Teufel hole Sie, verstehen Sie mich . . . Ich werde Sie augenblicklich in den Fluß werfen, damit Sie wenigstens nicht den Erfolg Ihrer abscheulichen Verrätherei erleben . . .

Tellier ritt bis dicht an die Terrasse und begann, nachdem er die Gesellschaft höflichst begrüßt hatte, mit lauter Stimme zu verkündigen, daß er Befehl habe, die Dame Josita Minas mit Güte oder mit Gewalt zu verhaften und nach dem Gefängnisse in Grand-Commun – leichtes Gefängniß im Palaste der Hofadeligen in Versailles – abzuführen.

Jetzt erfolgte eine sehr lebhafte Scene. Der Herzog, die Herzogin, die Gräfin boten dem Offizier große Geschenke und immerwährende Freundschaft, wenn er seinen Befehl nicht [259] ausführe, sondern einige Monate Bastille riskire. Vergebens! Er blickte St. Simon zwar mit einem kläglichen Gesichte an, als hätte er sagen wollen: Siehst Du, ich hätte können doch mehr verdienen? blieb aber fest.

La Feuillade stürzte auf ihn zu.

– Camerad! Willst Du mir meine Braut rauben? fragte er leise.

Tellier strich seine braunröthlichen Locken zurück und kratzte sich am Kopfe.

– Eine verdammte Geschichte, George! Warum sagtest Du mir das nicht früher, so hätte ich wenigstens den Befehl nicht übernommen, sondern hätte mich krank gemacht.

– Krank gemacht? Siehst Du, das kannst Du ja noch diesen Augenblick . . .

– Wie? fragte Tellier erstaunt.

– Du wirst gleich in dieser Secunde tödtlich krank; ich bin zufällig hier, ein Offizier der Garde gleich Dir, und weil Du es nicht riskiren willst, einem der Mousquetaires Deine Gefangene anzuvertrauen, so übergiebst Du mir die Ausführung dieses Befehls. Das Andere ist meine Sache und Verantwortlichkeit.

– Gut! Das geht, George! Und Niemand kann mir an’s Collet kommen, wenn ich heimkehre. Aber . . . parbleu . . . Eine so große Gefälligkeit . . . Siehst Du? Und Du hast es immer hartnäckig verweigert, Deinen damascirten deutschen Degen an mich zu verkaufen . . .

– Ich schenke ihn Dir! Nun aber rasch!

Tellier schnitt eine entzückte Grimasse und versicherte, der Degen sei ihm lieber, als eine Garde-Compagnie.

Plötzlich zog Tellier mit großer Würde sein Schnupftuch und brachte es an die Nase.

– Mein Gott! rief er mit hallender Stimme. Ich glaube, ich werde krank!

– Was, Herr von Tellier! schrie St. Simon.

– Hören Sie zu, wenn Sie mich verstehen wollen! rief Tellier, mit wahrhaft lederner Stirn den Grafen anfahrend. Es ist ein Blutsturz, oder etwas Aehnliches im Anzuge . . . Meine Herren und Damen . . . Kommen Sie einem sterbenden Soldaten zu Hülfe . . .

Die Gesellschaft eilte hinzu und hob, indeß die Herzogin selbst Hand anlegte, den Kranken vom Pferde und legte ihn sammt seinem Taschentuche auf das Gras nieder.

– George! rief Tellier dann. Herr Lieutenant Marquis La Feuillade. Treten Sie zu mir. Sie sind hier der einzige Offizier von Sr. Majestät Mousquetaires. Ich rufe die Gegenwärtigen zum Zeugen meiner plötzlichen, schrecklichen Krankheit, die mich verhindert, die Dame Minas befohlenermaßen zu verhaften. Marquis La Feuillade, ich übergebe Ihnen daher hiermit das Commando über meine Soldaten und diese Ordre, mit dem Befehle, dieselbe statt meiner auszuführen. Habt Ihr verstanden?

– Ja, Lieutenant Chevalier Le Tellier.

– Und Ihr auch, Ihr Mohren? fragte er die Mousquetaires.

– Ja! brummten diese.

– Nun so bringt mich an einen Platz, wo ich in Ruhe sterben kann . . . Aber Herzog, sagte er dringend, eine Flasche Wein für mich und eine für jeden der Reiter . . .

Das innere Ergötzen der Gesellschaft braucht nicht beschrieben zu werden. Auf den Wunsch ihres kranken Offiziers saßen einige Mousquetaires ab und trugen Le Tellier in das [260] Dickicht des Parks. Hier nahm La Feuillade die Kleidung und Bewaffnung seines Cameraden und dieser kam in La Feuillade’s schwarzer Abbé-Kleidung, sorgfältig unterstützt, wieder daher geschwankt.

St. Simon sagte kein Wort mehr. Er hatte gründlich verloren. Mit Zähneknirschen sah er, wie sein Nebenbuhler sich auf seine geliebte Semiramis schwang, die Geliebte auf den Schloßhof geleitete, hier sie eine Kutsche besteigen ließ und mit den Soldaten, dem Fuhrwerke folgend, unter den Segenswünschen seiner Freunde den Schloßhof verließ und sofort den Weg nach seinem ritterlichen Schlosse einschlug. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Herzogin von Maine kühn genug war, ihre kleine Spanierin zu begleiten.

St. Simon trat an demselben Abende, da er nicht so viel Geld bei sich führte, um ein Pferd zu kaufen, welches ihm der Herzog verweigerte, zu Fuß den Weg nach Versailles an, ewige Rache seinen Feinden schwörend. Als er dort endlich anlangte, war La Feuillade bereits mit Donna Josita verheirathet und auf der Flucht nach Spanien.

La Feuillade, der Marschall, war bekanntlich Ludwigs besonderer Liebling gewesen. Auch seinem Neffen hatte er eine glänzende Carrière bestimmt. Desto zorniger war er über diese ausgezeichnete Intrigue. Es fehlte wenig, so hätte er dem Herzog von Maine eine Ohrfeige gegeben, als dieser wieder vor ihm zu erscheinen wagte. Die Herzogin durfte ebensowenig am Hofe erscheinen, als die Gräfin de Noailles, und St. Simon arbeitete eifrig, um seine Feinde vollends zu verderben, wie denn Tellier in die Bastille gesteckt wurde.

Aber Louison drang dennoch zur Maintenon bei Nachtzeit und wußte der Geschichte ihre wahre Gestalt zu geben, vielleicht nur mit Ausnahme der Seine-Reise. Madame Maintenon, keineswegs eine Freundin St. Simons, lachte herzlich . . . und am andern Morgen kam Le Tellier, auf St. Simon fürchterlich schimpfend und fluchend, wieder auf dem Schloßhofe zu Versailles an, um sogleich die Wache als commandirender Offizier zu beziehen. Louison erhielt Verzeihung, die Herzogin von Maine kam wieder an den Hof und La Feuillade ward zurückgerufen. Nur St. Simon ging ab, als Gherard sein furchtbares dramatisches Pasquill gegen ihn losgelassen hatte.