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Louise de Noailles hatte ihren Schützling zum Könige geführt, im festen Vertrauen, die Maintenon habe ihr Versprechen gehalten und der König werde seine Schuldigkeit thun, das heißt der Maintenon gehorchen. Höchst wahrscheinlich hätte es bei Ludwig nichts weniger als großer Künste bedurft, um ihn zu veranlassen, die arme kleine Gefangene freizugeben. Als die Gräfin de Noailles daher mit Donna Josita durch die prachtvolle Gallerie des Schlosses ging, wo die Hofleute ihre unvergleichlichen Ebenbilder in den ungeheuren Spiegeln bewunderten, welche, siebenzehn an der Zahl, den Bogenfenstern gerade gegenüber angebracht sind, nahm die Dame eine triumphirende Siegermiene an und verkündigte: daß sie, Louise de Noailles, die Spanierin „dem gebrochenen Herzen ihres tapfern Vaters“ zurückgeben werde.

Donna Josita stand dicht an die Edeldame geschmiegt, ihren großen Fächer von schwarzer Seide und Elfenbeinstäben in der Hand und ließ sich nur selten bewegen, den vielen Herren, welche sich um sie drängten, auf ihre Fragen eine Antwort zu geben oder gar ihre unvergleichlichen braunen Augen aufzuschlagen. Sie war reizend, diese Siebenzehnjährige, Unglückliche, und die Herzen der jungen und vielleicht noch mehr der alten Hofcavaliere schlugen ihr entgegen. Man beeilte sich, ihr von allen Seiten die zarten, kleinen Hände zu drücken, nachdem der Herzog de St. Simon, welcher längere Zeit in Madrid war, mit dieser Freundschaftsbezeugung unter der Entschuldigung den Anfang gemacht hatte, ein Händedruck sei in Spanien Mode; woran er freilich so sehr log, als er zu lügen gewohnt war. Gleichviel aber, dieser Mode wurde von den Hofleuten in Bezug auf Donna Josita sofort gehuldigt, und als einer der Offiziere von den königlichen Mousquetaires, der junge Marquis de la Feuillade, Neffe des berühmten Marschalls dieses Namens, der Spanierin die Hand zu küssen wagte, erhielten ihre Hände im Nu wenigstens ein Dutzend Küsse von glühenden Lippen, bis die Gräfin de Noailles, welche sich mit St. Simon über seine Lüge zankte, den Schwarm der jungen Cavaliere zurücktrieb.

Unglücklich genug war die Theilnahme der Herzogin von Maine an dieser Expedition. Sie war sehr nachlässig angekleidet, hatte um ihren magern Hals aber schon ein Diamanten-Collier von ungeheurem Werthe geknüpft. Sie trug keine Schleppe, sondern nur ihr kurzes Morgenkleid, wahrscheinlich um ihre äußerst winzigen Füße zu zeigen, sammt ihrer Kunst, sich auf so spitzigen, hohen Schubabsätzen zu balanciren, wie sie gewiß, aus Rücksicht für die gefährdeten Fußknöchel, Niemand anzuziehen wagte. Die Herzogin war bereits frisirt und trug ein colossales Kissen auf dem Kopfe, über welches man das Toupée gespannt hatte. Ihr Seitenhaar war nicht stark genug, um das Kissen vollständig zu bedecken. Man sah, es war von rother Seide. Damit Jeder jedoch unzweifelhaft überzeugt wurde, es sei allerdings die Absicht der Herzogin, die innern Geheimnisse ihres Kopfputzes sehen zu lassen, hatte das Kissen an jeder Seite eine goldene Troddel, welche über den Ohren hin und her baumelte, sowie sie den Kopf bewegte; und sie war gewohnt, ihn keine Secunde still zu halten. Die Herren sahen sich bei dem Anblicke dieser kleinen Person mit großen Augen an; bei ihrer Boshaftigkeit wagte aber Niemand eine weitere Miene, um zu bezeugen, wie sehr er die Herzogin auffallend und absurd finde. Nur der Herzog St. Simon, den Madame de Charolais-Maine wegen seiner ungeheuren Fertigkeit in der Erfindung von den wahrscheinlichsten, unwiderstehlichsten Lügen fürchtete, konnte sich nicht enthalten, gutmüthig zu bemerken: wie glücklich einer oder der andere der armen Gardeofficiere sich fühlen würde, wenn ihm die Herzogin ihre Kissentroddeln als Epaulettes zu schenken

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Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/639&oldid=- (Version vom 1.8.2018)