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geruhen wollte. Die Herzogin von Maine sah den Erzlügner mit einem wüthenden Blicke an und machte auf ihren spitzen Absätzen mit Heftigkeit rechts um, so daß die Troddeln lustig ihr um die Ohren flogen, als freuten sie sich der von St. Simon gewünschten Veränderung ihrer Bestimmung.

Kaum hatte die Dame de Maine erklärt, daß sie die Donna Josita Minas dem Könige vorstellen und um ihre Freilassung nachsuchen wolle, so reichte die kleine Herzogin dem Mädchen die Hand und betheuerte, daß sie entschlossen sei, den König zu forciren.

– Aber, meine Liebe . . . . bemerkte die Noailles mit einem bedeutsamen Blicke auf den Anzug ihrer Freundin.

– Ah bah; als wenn das für diesen kindischen König nicht genügte, der kaum seine eigenen Schuhschnallen zu erkennen vermag! erwiderte die Herzogin halblaut, aber laut genug, um verstanden zu werden.

Triumphirend blickte sie im Kreise. Alle hatten sich bestürzt abgewandt und führten eine soeben in der Secunde erst entstandene Unterhaltung mit großem Eifer. Nur St. Simon war furchtlos genug, um es nicht zu verbergen, daß er die Lästerung der schönen Zwergin gehört habe.

– Madame, sagte er mit vollkommenster Kaltblütigkeit, Sie haben Recht, der König leidet an den Augen. Gestatten Sie mir indeß, Sie davon auf das Bestimmteste zu versichern, daß Seine Majestät, wenn es gerade das Wetter erlaubt, von Versailles aus nicht allein die Bastille, sondern sogar Pignerol sehen kann.

– So sehr strengt also der König sich an, um diese miserablen Oerter zu sehen? fragte die Herzogin unerschrocken vor der Drohung St. Simon’s. Das ist in der That überflüssig, denn für ihn ist Versailles mehr als Bastille und Pignerol.

– Hüten Sie sich, Madame! sagte Simon, indeß er sich verbeugte, um in den königlichen Vorzimmern zu verschwinden.

– Ja, so steht geschrieben, rief ihm diese nach, hütet Euch vor den falschen Lügenpropheten!

Von diesem Augenblicke an hieß St. Simon nur der Lügenprophet. Der neu ernannte Würdenträger beeiferte sich indeß bei Ludwig XIV., nicht etwa die Herzogin ihrer boshaften Ausdrücke zu bezüchtigen, denn dazu war Niemand weniger der Mann als er; sondern ihr einen Empfang beim Lever zu bereiten, der geeignet war, die Herzogin für ihre Lästerungen sofort genügend zu bestrafen.

St. Simon beschrieb auf’s Burleskeste den Aufzug der Herzogin, namentlich ihren kurzen Rock und das Troddelkissen, so daß der König auf seine noch immer sehr reizende Weise lachte.

– Die kleine Dame spielt zu leidenschaftlich groteske Komödie, bemerkte der König; man muß ihr daher verzeihen, wenn sie sich in ihrem Eifer auch einmal so auf der Bühne zeigt, wie sie nur hinter den Coulissen angekleidet sein sollte.

Bon, Sire! antwortete der Herzog de St. Simon; Sie werden sofort Gelegenheit haben, Ihre nachsichtigen Grundsätze in Anwendung zu bringen; denn irre ich nicht gänzlich, so beabsichtigt

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/640&oldid=- (Version vom 1.8.2018)