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Freundin und Eheprocuratorin. Später ward sie so gut gelaunt, daß selbst der Geschmack des Seinewassers das Lächeln von ihren Lippen nicht verwischen konnte.

Die Seinereise begann. So kurze Zeit dieselbe dauerte, so gab sie doch Stoff zu wenigstens einem der ergötzlichsten Romane von der Welt und St. Simon sah und hörte hier genug, um bis an sein seliges Ende die pikantesten Anekdoten zu erzählen. Diese Tour bis Pont de l’Arche ward von ihm „die Geschäftsreise“ genannt, und gelangte unter diesem Titel zu einer sehr zweideutigen Berühmtheit. Es gelang weder dem Herzoge noch der kleinen Herzogin, noch weniger der Gräfin de Noailles, die bisher so glänzenden Wappenschilder ihres Rufs von den auf diese Tour bezüglichen boshaften Anekdoten rein zu waschen. St. Simon nahm überreichliche Rache für die lächerliche Rolle, welche die beiden Liebenden und ihre hohen Verbündeten ihn spielen ließen. Gherardi ließ dafür den Herrn von Rouvroy St. Simon später als Arlequin, le Menteur et Misanthrope, unter ungeheurem Scandal über die Bretter des italienischen Theaters schreiten. Daß St. Simon nicht gelinde behandelt wurde, darf kaum erwähnt werden, wenn gesagt wird, daß St. Simon Veranlassung fand, den Tag nach der Aufführung des Stücks sich als Gesandter nach Madrid schicken zu lassen.

Nach einer für die Bootsleute äußerst beschwerlichen Fahrt, welche außer ihnen und St. Simon Jeden und Jede am Bord der Amphitrite entzückte, langte das Fahrzeug am andern Tage vor der Terrasse des Schlosses der Gräfin an. Es wurde Quartier in dem einfachen, aber glänzend im Innern eingerichteten, ländlichen Palaste genommen, dessen Ausstattung St. Simon mit der impertinenten Frage an Louison de Noailles bewunderte:

– Reizend, Madame? Jetzt bin ich selbst überzeugt, daß diejenigen Recht haben, welche behaupten, diese Schäferhütte habe die ganze Brautausstattung verschlungen, welche Ihnen von Sr. Majestät ausbezahlt wurde.

– Ihre Ueberzeugung ist sehr erklärlich; erwiderte die Herzogin von Maine. Sie leben in der Welt der Dichtungen und Fabeln, welche wohl nur von Uneingeweihten Lügen genannt werden. Ist’s wunderbar, wenn Ihnen die Wahrheit als Dichtung, und nur die Dichtung als Wahrheit erscheint?

Es ward Toilette gemacht und der ganze Schwarm der glänzenden Fremden strömte in den Park hinaus, welchen Louison de Noailles nach einem reizenden Entwurfe Antoine Watteau’s aus einem dichten Walde durch Art und Gartenscheere hatte bilden lassen. Der interessanteste Punkt dieses Gartens, welcher zum Aerger der Bewunderer von Lenôtre’s Geschmack weder die steifen Hecken, noch die geometrisch angelegten breiten Wege zeigte, der interessanteste Punkt dieses Gartens war die große Terrasse, an deren Grundmauern die Seine stolz vorüberrauschte. Rings um diese, oben eine breite Stufe und einen Sitz zeigende, lange Terrasse war duftiges Grün; herrliche Bäume, welche im Mittelgrunde auf einige ländliche Hütten und ein altes verfallenes Kloster, weiterhin auf schön geformte Berge eine unvergleichliche Aussicht frei ließen, umschlossen die Terrasse und ließen dicht hinter derselben einen sanft emporsteigenden Rasenplatz sehen, der von Natur wie zu einer Bühne eingerichtet schien. Unter der Terrasse war, von Außen nicht sichtbar, ein Werk angebracht, wodurch die Wasserkünste im Park ins Spiel gesetzt wurden. Unmittelbar neben der Terrasse thronte das steinerne Bild der Seine, auf einer umgestürzten Urne liegend, ringsum das steinerne, epheuumrankte Postament reichlich mit schneeweißen

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/661&oldid=- (Version vom 1.8.2018)