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Autor: W. Belka
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Titel: Die Schätze des Wahhabiten
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Abenteuerromanzyklus, welcher die Bändchen 89–96 umfaßt. Handlungsort ist Arabien.
Band 94 der Romanreihe Erlebnisse einsamer Menschen.
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[I]
94. Band. Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.
94. Band Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.


Die Schätze des Wahhabiten.
Der erste der Ballons wurde gefüllt und abgelassen.


[1]
(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)


Die Schätze des Wahhabiten.
W. Belka.


1. Kapitel.
Gold der Verführer …

Wie ein Zug Gespenster jagte der Trupp Beduinen mit ihren flatternden Mänteln und den leise klingenden Glöckchen der Reitdromedare durch die einsame, nächtliche Wüste nach Süden zu, immer zur Rechten die letzten Ausläufer des Dschebel el Dachali behaltend, der sich mit seinen kahlen Felsmassen dunkel und drohend in die Luft reckte, anzusehen bei diesem ungewissen Licht wie ein schwarzer, unregelmäßiger Strich am westlichen Horizont.

Vierzehn Reiter waren’s. Nicht alle jedoch Söhne der Wüste. Nein, zwei Europäer befanden sich darunter, – – zwei, denen die Füße mit Riemen unter dem Leibe ihrer Tiere zusammengebunden waren. Ihre verwilderten Bärte, ihre schadhafte Kleidung – gelbgraue Tropenanzüge – deuteten darauf hin, daß schon die beiden Männer, von denen der eine, der ältere, recht mager und [2] schmächtig war, bereits längere Zeit fernab von allen Stätten der Kultur ein abenteuerliches und entbehrungsreiches Leben geführt hatten.

Als jetzt der vorderste der Beduinen – sie gehörten zum Stamme der Iringi – sein prachtvolles Dromedar in Schritt fallen ließ, fand der eine der Weißen Gelegenheit, seinem Gefährten zuzuflüstern:

„Ich bin nur neugierig, wohin sie uns bringen?! Was soll diese Hetzjagd?! Die braune Bande wird doch nicht verfolgt …!“

Der Ingenieur Gustav Ring erwiderte nichts, da bereits einer der Beduinen sein Reittier dicht an sie herandrängte und drohend seine lange Lanze schwenkte, um jede weitere Verständigung zwischen den Gefangenen zu verhindern.

Abermals ging es dann im Eiltempo weiter. Als der Morgen graute, schwenkte der Führer nach Westen ab auf die Berge zu. Und die ersten Sonnenstrahlen fanden die Schar bereits in einem kleinen Felskessel inmitten des Gebirges.

Hier, wo mehrere Dattelpalmen, Ginsterbüsche und spärliches Gras wuchsen, schlugen die braunen Gesellen ihr Lager auf, indem sie Zelttücher um die Stämme der Palmen ausspannten, die Dromedare weiden ließen und Vorbereitungen für das Kochen ihrer Mahlzeit trafen.

Auch die Gefangenen, denen jetzt auch die Hände gefesselt waren, bekamen zu essen und mußten sich dann im Schatten eines Gebüsches niederlegen, wo sie vor Übermüdung bald einschliefen.

Lautes Rufen weckte sie nachher.

Die Beduinen hatten Zuzug bekommen. Unter den drei neuen Ankömmlingen gab es einen Mann, der sofort ins Auge fiel, eine hohe, stattliche Erscheinung mit dunklem Vollbart, gekleidet in einen Burnus von feinerem Stoff und bewaffnet mit einer modernen, trefflichen Büchse sowie zwei Revolvern, die im Gürtel steckten neben Dolch und einem … Fernglas im Futteral.

Als der Ingenieur Ring diesen Araber eine Weile [3] prüfend gemustert hatte, sagte er zu seinem Leidensgefährten Doktor Wallner:

„Den Kerl kenne ich. Nicht persönlich. Aber ich habe seine Photographie in einer Zeitschrift in Kairo vor kurzem gesehen. Der Kopf dieses Mannes ist etwas wert: die englische Polizei hat nämlich eine gute Belohnung dem zugesichert, der den berüchtigsten[1] aller Wegelagerer Arabiens lebendig oder tot einliefert. – Richtig: Ibrahim ben Garb heißt er. Und sein Ruf reicht von Suez bis Maskat, von Bagdad bis Aden.“

Der Chemiker Doktor Wallner erwiderte darauf: „Wahrscheinlich hat sich der Führer unserer Häscher mit diesem Ibrahim hier verabredet gehabt. – Na – angenehm ist dieser Zuwachs der braunen Banditen für uns gerade nicht. Wir …“

Ibrahim kam jetzt auf die beiden Weißen zu, so daß der Doktor es vorzog, den begonnenen Satz nicht zu Ende zu führen.

Der berüchtigte Pirat der Wüste ließ sich vor den beiden nieder, legte die Büchse über die Knie und begann nach einer Weile:

„Mein Freund Jussuf ben Hami hat mich von allem unterrichtet.“ – Er sprach ein leidlich gutes Englisch. „Ihr wollt also auf keinen Fall das Geheimnis preisgeben, das Ihr von dem alten Wahhabiten Kir Bali erfahren habt. Nun – jeder muß wissen, was er tut. Ich kann Euch Eures hartnäckigen Schweigens wegen nicht einmal verurteilen. Vielleicht würde ich ebenso handeln. – Ich bin nun ein Freund aller Deutschen, verehre Euren Kaiser und will daher versuchen, ob ich es nicht durchsetzen kann, daß Jussuf Euch freiläßt.“

Ring, den ein langer Aufenthalt im Orient mit der Heimtücke der Araber nur zu gut vertraut gemacht hatte, entgegnete gelassen:

„Es soll mich freuen, wenn es Dir gelingt, Ibrahim ben Garb.“

Der Räuber zuckte zusammen. Und heimlich traf den Ingenieur ein drohender Blick aus seinen dunklen Augen. Dennoch sagte er nun, sehr freundlich tuend: „Jussuf hat [4] mir erlaubt, Euch zunächst die Fesseln abzunehmen und Euch zu gestatten, daß Ihr Euch hier innerhalb des Talkessels ungehindert bewegen könnt.“ –

Als Ibrahim nach einer Weile wieder nach den Zelten zurückkehrte, schlenderten Ring und der Doktor, jetzt aller Bande los und ledig, dem Südrande des Tales zu, wo eine Gruppe mächtiger Felstrümmer sich erhob. Hier setzten sie sich zwischen den Granitblöcken, die an dieser Stelle eine Art Hofraum bildeten, auf den harten Steinboden und besprachen leise ihre wenig aussichtsvolle Lage.

„Natürlich hat der braune Halunke uns nur die Fesseln abgenommen“, erklärte der Ingenieur, „damit wir glauben sollen, Ibrahim meine es wirklich gut mit uns. Da das Geheimnis uns durch Gewalt nicht entlockt werden kann, versucht der listige Strauchdieb es mit einem anderen Rezept.“ –

Nachdem die beiden Gefangenen etwa eine halbe Stunde miteinander ungestört geplaudert hatten, erhob sich Ring, suchte aus den umherliegenden Trümmern der Felsen zwei Stücke heraus, die sich als Meißel und Hammer benutzen ließen, und begann lediglich aus Langerweile in eine glatte Stelle eines der mächtigen Blöcke die weicher als das übrige Gestein war, etwas in lateinischen Buchstaben einzumeißeln, und zwar einen seltsamen Vers, der aber doch nur zu gut auf die beiden Deutschen paßte:

Gold der Verführer,
Wir die Verlierer.

Darunter setzte er den Namen seines Gefährten und seinen eigenen.

Währenddessen hatte der Doktor, auch aus Langerweile, zwischen den Felsen umhergestöbert. Jetzt lockte er durch einen Zuruf den Ingenieur herbei und zeigte ihm eine in einer Vertiefung des Gesteins liegende breite Rolle stark von den Unbilden der Witterung mitgenommenen [5] Seidenstoffs von hellgrüner, mit dunklen Streifen durchzogener Farbe.

Wie sie an diesen Ort gelangt war, blieb ewig ein Rätsel. Aber die Annahme Rings, es handle sich hier sicher um gestohlenes, wahrscheinlich von einem Karawanenüberfall herrührendes Gut, mochte wohl zutreffen.

„Ein merkwürdiger Fund“, meinte der Doktor. „Aber – er kommt mir recht gelegen. Ich habe in den letzten Nächten gefroren wie ein Schneider, seit die braunen Herrschaften da drüben sich meinen Burnus zwangsweise entliehen haben. Dieser Seidenstoff reicht ganz sicher für zwei Umhänge aus. Wenn wir ihn doppelt legen, wärmt er tadellos und hat noch dazu den Vorzug des geringen Gewichts.“ –

Ring nickte nur. Er fürchtete, die Beduinen würden ihnen die Seide doch wieder abnehmen. Hierin täuschte er sich aber. Der Bandit Ibrahim sorgte dafür, daß man sie ihnen beließ.

Aus dem Benehmen dieses gefürchteten Wüstenräubers war überhaupt schwer klug zu werden. Er behandelte die beiden Deutschen auch weiter mit großer Zuvorkommenheit, verlor nie mehr ein Wort über Kir Balis Geheimnis, sondern spielte ganz den Mann von Welt, der trotz seiner Hautfarbe etwas gelernt hat und auch viel natürliche Vornehmheit besitzt. Jedenfalls war er kein gewöhnlicher Wegelagerer, sondern übte sein strafwürdiges Gewerbe fraglos mit einem gewissen verfeinerten Empfinden aus – wenigstens tat er so den beiden weißen Gefangenen gegenüber. –

Drei Tage darauf wurde plötzlich aufgebrochen. Es ging wieder durch die Wüste nach Norden zu. Jetzt durften der Doktor und der Ingenieur ungefesselt ihre Dromedare benutzen. Über das Ziel des Rittes erfuhren sie jedoch nichts. Wieder jagte die Schar im Eiltempo durch die Sanddünen, über felsige Strecken, durch steinige Wadis (Wadi, trockenes Flußbett), wieder hörten die beiden Gefährten nachts die Schakale und Hyänen heulen und bellen, erlebten auch einen ungefährlichen Samum[WS 1], wurden Zeugen einer ergebnislosen Löwenjagd, bei der Ibrahim ben Garb eine wilde Tollkühnheit bewies.

[6] Am vierten Tage sagte der Doktor dann zu dem Wüstenpiraten: „Wohin geht eigentlich die Reise? Ich wäre dankbar, wenn ich’s erfahren dürfte. Und gleichzeitig bitte ich auch, mir zu erklären, was eigentlich aus unserem jungen weißen Freunde geworden ist. Bisher bist Du mir, was dessen Person anbetrifft, stets ausgewichen, Ibrahim! Bedenke, daß er mein Verwandter ist, meiner Schwester einziges Kind, den ich ihr wohlbehalten nach Deutschland zurückzubringen versprach, als wir diese Vergnügungstour nach dem Orient antraten, die nun hier eine unliebsame Unterbrechung erfahren hat.“

„Oh – dem weißen jungen Herrn geht es gut“, erwiderte Ibrahim gleichmütig. „Sogar sehr gut. Davon könnt Ihr Euch bald selbst überzeugen!“ fügte er mit einem so heimtückischen Lächeln hinzu, daß der Doktor ihn mit einem Blicke maß, in dem all die eben erwachten Zweifel an des Wüstenräubers wahrer Gesinnung zu lesen waren.

Dann wandte sich der kraftvolle Beduine ab und schritt davon. – Ring meinte nun, es unterliege jetzt wohl keinem Zweifel mehr, daß Ibrahim ein falsches Spiel mit ihnen treibe.

Und er behielt recht. – Man näherte sich wieder dem Gebirge. Die Gegend kam Ring, der einen vortrefflichen Ortssinn besaß, bekannt vor. Sehr bald wußte er Bescheid: man nahm die Richtung nach jenem Berge, der mit seiner abgeplatteten Kuppe und seinen turmhohen, steilen Wänden ein ganz sicheres Gefängnis war, – demselben Plateau also, wo die Beduinen die beiden Deutschen überwältigt und darauf mitgenommen hatten in jenen Felskessel, in dem nun die Worte in eine Steinplatte eingemeißelt waren: „Gold der Verführer, wir die Verlierer!“

Als Ring den Doktor auf seine Wahrnehmung aufmerksam machte, schüttelte der ungläubig den Kopf.

„Ja – aber wozu denn dieser Ritt nach dem kleinen Tale, wo wir die Seide fanden?!“ meinte er.

„Ich denke, – das erfuhren wir noch“, entgegnete der Ingenieur.

[7] So war es auch. Vor einem tiefen Schacht, dem Zugang zu einem früheren, uralten Bergwerk, machte der Trupp halt. Und jetzt ließ Ibrahim die Maske fallen.

„Ungläubige Hunde!“ fuhr er die beiden Gefangenen an, „Ihr habt selbst meiner Schlauheit getrotzt! Ich sollte Euch das Geheimnis entlocken! Daher brachte man Euch zu mir. Auch mir gelang es nicht. Ich habe Euch jede Nacht beschlichen, suchte Euch zu belauschen, hoffte, daß Ihr Euch im Gespräch verraten würdet. – Nun – wenn Ibrahim ben Garb nicht weiß, wo des Wahhabiten Goldschätze liegen, dann sollt Ihr jedenfalls niemals etwas von diesen Reichtümern zu sehen bekommen – niemals! Ich werde Euch nicht töten! Ihr sollt leben, den sicheren Tod vor Augen, der auf Euch zuschleichen wird wie der Löwe auf das ahnungslose Wild an der Tränke! Wenn drei Jahre um sind, werde ich – vielleicht! – wieder nach Euch sehen kommen – nach Euren Gebeinen, die die Geier verschleppt haben werden.“

Ein höhnisches, grausames Lachen, ein Wink, – und die Beduinen griffen zu, ließen die Gefangenen an langen Seilen in den Schacht hinab.

Und doch glückte es Ring noch, vorher heimlich den Rest des Seidenballens in das breite Felsloch zu stoßen, auf dessen Grunde er ihn dann schnell unter seinem nur mit dem Messer zurechtgeschnittenen, ebenfalls aus derselben Seide bestehenden Burnus verbarg, da sofort noch vier Leute sich ebenfalls in die Tiefe hinabließen, um hier in dem in das Bergmassiv hineinführenden Stollen die auf einer Falltür aufgehäuften Felsstücke zu entfernen. – Diese aus einer Steinplatte gefertigte Falltür hatte vor nunmehr zwei Wochen der Neffe des Doktors, Heinz Brennert, entdeckt. Und in rohester Weise wurden jetzt Wallner und Ring durch die viereckige Öffnung in die Grotte hinabgestoßen, die sich von hier weit nach Norden zu in den Gesteinsmassen hinzog.

Tiefe Dunkelheit umgab die beiden Deutschen, die sich bei diesem Sturz recht böse Hautabschürfungen zugezogen hatten. Und doch leuchtete vor ihnen ein heller Fleck in der Ferne, – der Kadaver einer Riesenschildkröte, deren [8] Außenhaut völlig mit Leuchtmikroben bedeckt war. (Der liebe junge Leser wird die hier nur kurz angedeuteten Geschehnisse im vorigen Bändchen, „Die Rätsel des Dschebel el Dachali“ eingehender geschildert finden.)

Die Grotte, durch die die mit der Örtlichkeit gut vertrauten Deutschen sich hindurchtasteten, hatte einen zweiten Ausgang nach jener Bergkuppe, wo, wie bereits erwähnt, der Doktor, sein Neffe und der Ingenieur bereits kurze Zeit die Robinsons gespielt hatten.

Welch freudige Überraschung wartete ihrer aber auf dem weiten, hohen Plateau …!

Kaum hatten sich ihre Augen wieder an die blendende Helle dieser Vormittagsstunde gewöhnt, als ein lauter Jubelruf ihre Köpfe gleichzeitig herumschnellen ließ.

Der, der ihnen entgegenlief, war Heinz Brennert, den die Beduinen hier zurückgelassen hatten, als sie die beiden Männer dem verschlagenen Ibrahim zuführten.

Übergehen wir die freudig-stürmische Begrüßung, die hin und her fliegenden Fragen und Antworten! – Als sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, wollten die drei jene natürliche Steinhütte aufsuchen, die sich inmitten eines Labyrinths von Felsblöcken am Ostrande der Kuppe erhob und in der die Gefährten gemeinsam nur eine einzige Nacht, jene vor der Überrumpelung durch die Beduinen, verbracht hatten.

Doch nur wenige Schritte taten sie …

Dann drang aus den Tiefen des Bergmassivs plötzlich ein dumpfes Krachen an ihr Ohr, dem verschiedene starke Erschütterungen der Kuppe unmittelbar folgten.

Der Ingenieur, den die beiden anderen daraufhin fragend ansahen, erklärte auf diese stumme Aufforderung hin, daß Ibrahim vermutlich jenen Stollen, in dem sich die Falltür befand, hätte sprengen lassen. „Das nötige Dynamit wird ihm der Engländer Shlook geliefert haben“, setzte er hinzu. „Denn – wenn mich nicht alles täuscht, habe ich diesen elenden Wicht von Briten vorhin hinter einem Felsen kauern sehen, als wir gerade in den Schacht hinabgelassen wurden. Shlook ist es ja auch, der uns die [9] Beduinen auf den Hals gehetzt hat. Er war ebenso begierig nach dem Golde Kir Balis, wie Ibrahim es jetzt ist.“

Ring wollte sich dann sofort überzeugen, ob seine Annahme wirklich zutraf. – Auch dieses Mal behielt er recht: wo die Falltür sich befunden hatte, gab es jetzt nur eine weite Einsturzstelle. – Der Ausgang nach dem Schachte hin war den dreien für alle Zeit versperrt.

Als die Gefährten darauf vor ihrer Hütte in dem Felsenlabyrinth in bedrücktem Schweigen dasaßen, meinte der Ingenieur:

„Meine lieben Freunde, – laßt uns daran denken, daß keine Lage so verzweifelt ist, um sich nicht irgendwie helfen zu können. Mut, meine Freunde! Gott verläßt keinen wackern Deutschen! Vergeßt nicht, daß es hier oben auf diesem weiten Plateau, welches so gut wie eine Insel im endlosen Ozean ist, mancherlei Dinge gibt, die es uns ermöglichen werden, eine Weile unser Leben zu fristen! – Vorwärts – sitzen wir hier nicht da mit hängenden Mundwinkeln wie die alten Weiber, denen eine Kartenlegerin schlimme Dinge vorausgesagt hat! Nehmen wir uns ein Beispiel an Robinson Krusoe, der, ganz allein auf seiner Insel – und wir sind unser drei! – den Kampf mit dem Dasein begann und siegreich aus ihm hervorging.“

Diese Mahnung fruchtete. Wie – das werden wir sofort sehen.




[10]
2. Kapitel.
Fleißige Hände.

Die Bergkuppe, etwa vierhundert Meter lang und dreihundert Meter breit, hatte die Form eines unregelmäßigen Fünfecks und war nicht ganz unfruchtbar trotz des harten Felsbodens. Auch dieser verwittert mit der Zeit, und der Wind hatte selbst in diese Höhe keimfähigen Samen von Pflanzen hinaufgeweht aus den Tälern ringsum. Außerdem gab es in der Mitte der flachen Kuppe noch einen kleinen Teich trinkbaren Wassers, ferner am Nordrande eine Stelle, wo aus zwei Löchern ein sehr übelriechendes Gas mit leisem Zischen ausströmte, eine Erscheinung, die in vulkanischen Gegenden gar nicht so selten ist.

Vorerst hatten die Gefährten als Nahrung nichts anderes als eine Art von Erdnüssen, die recht dicke Knollen, ähnlich unseren Kartoffeln, ansetzte. Des tatkräftigen Ingenieurs erste Sorge war daher, diese Erdnüsse in Menge anzupflanzen. Dies geschah in der Weise, daß man an geeigneten Stellen den schlammigen Grund des Teiches in dicker Schicht auftrug, nachdem er mit Vogeldünger von den Randfelsen der Kuppe vermengt war, und dort kleine Knollen setzte, die in dieser warmen Luft schnell gediehen, neue Triebe hervorbrachten und eine gute Ernte versprachen.

[11] Neben dieser ersten Tätigkeit als Feldbesteller, die gute drei Wochen in Anspruch nahm, bis genügend Erdnußäcker angelegt waren, ließen die Gefährten aber auch andere dringende Dinge nicht außer acht, so zum Beispiel die Herrichtung ihrer Hütte, die Suche nach brauchbaren Erzen in den tiefen Spalten der Kuppe und die Anfertigung der notwendigsten Geräte und Werkzeuge.

Die Hütte wurde trotz der unzulänglichen Mittel ganz wohnlich ausgestattet, wobei den Robinsons die chemischen Kenntnisse des Doktors sehr zugute kamen. Wallner hatte nämlich in einer Kluft, die sich im Süden des Plateaus gut zehn Meter in den Berg schräg hineinerstreckte, eine Schicht von Kalkstein entdeckt, hatte diesen in sehr einfacher Weise zu einem Gemenge verarbeitet, das schnell trocknete und dann nach kurzem Brennen im Feuer hart und fest wie künstlicher Sandstein wurde. So schufen die Gefährten sich Platten von beliebiger Größe, Säulen, Ziegel und Behälter. Als „Ziegelei“, wenn man so sagen darf, wurde eine Stelle neben den Gasquellen eingerichtet, wo man sofort die in der Sonne getrockneten Gegenstände über einer der angezündeten Gasfontänen erhitzen, d. h. brennen konnte. –

Nach weiteren acht Wochen gab es jedoch für die Robinsons kaum noch etwas zu tun. Sie hatten die Arbeiten, die notwendig waren, erledigt. Doch der Ingenieur wollte nicht dulden, daß vielleicht die Langeweile die Gefährten zum nutzlosen Nachgrübeln über ihr trauriges Schicksal verleitete. Daher sann er stets auf neue Tätigkeit, durch die er Wallner und Heinz beschäftigen konnte. Noch mehr Felder wurden angelegt, und bei dieser Arbeit fiel es nun den dreien auf, daß die Randfelsen der Kuppe, die diese wie Zinnen umgaben, auffallend viel Vogeldünger bedeckte, obwohl bisher dem Plateau doch nur vereinzelte Geier, Adler und Raubvögel einen Besuch abgestattet hatten. Die Lösung dieser Frage: Woher der Vogelunrat? – erriet keiner der Gefährten, bis dann abermals vierzehn Tage später ganz von selbst die Erklärung … angeflogen kam …! –

Unseren jungen Freunden dürfte bekannt sein, daß [12] gewisse Vogelarten jedes Jahr ihre Wohnplätze verlassen und weite Wanderungen nach wärmeren Gegenden antreten, zumeist vereint zu großen Scharen. Man nennt sie Wandervögel, im Gegensatz zu den Standvögeln, die das ganze Jahr über ihren Aufenthaltsort beibehalten. (Strichvögel wieder sind solche, die nur wenig und unregelmäßig umherziehen). Die heutige Wissenschaft lehnt die Annahme eines „Wandertriebes“ bei den Vögeln ab, vielmehr sollen diese Wanderungen erst durch die Gewohnheit sich herausgebildet und durch bestimmte Umstände zu Luftreisen von hunderten von Meilen geführt haben, wobei zumeist auch weite Meeresstrecken überflogen werden. Daß dieses Überqueren ausgedehnter Wasserflächen früher für die Wandervögel nicht nötig war, um dem kalten Winter im Norden zu entgehen, mag hier besonders erwähnt werden. Die Wandervögel Nordeuropas und zum Teil auch Nordasiens streben stets dem heißen Afrika zu. Europa aber hing mit Afrika in einer früheren Epoche der Erdgeschichte an mehreren Stellen zusammen. Die Vögel brauchten also, soweit sie aus dem Norden unseres Kontinents kamen, kein Meer zu passieren. Als dann die Trennung der beiden Erdteile sich allmählich vollzog, gewöhnten sich auch die Wandervögel an den Streifen Wasser, der zu kreuzen war. (Ist es also ganz richtig, unsere menschlichen, fröhlichen Natur- und Liederfreunde gerade „Wander“vögel zu nennen?! Ziehen sie nicht bald hierhin, bald dorthin?! – Aber – Strichvögel – das klingt, obwohl richtiger, weit weniger schön!)

Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung zu unserer Felskuppe und unseren drei Abenteurern zurück! – Ja – die Erklärung für die Unmengen von Vogeldünger kam … angeflogen und zwar in Gestalt eines Zuges von Staren, die, offenbar in Nordrußland beheimatet, nach Abessinien hinüber wollten.

Es war gerade gegen Abend, als Heinz, der bei seinen fünfzehn Jahren sehr kräftig und groß war, eine von Norden sich nähernde dunkle Wolke bemerkte. Sehr bald sah er, daß es[2] sich um eine zahllose Vogelschar handelte, [13] die dann, auch hier einer alten Gewohnheit folgend, zum Teil die Randfelsen der Kuppe als Ruheplätze auswählte, so daß die Gefährten nicht nur in der Lage waren, viele der müden Tiere als hochwillkommene Fleischnahrung durch Steinwürfe zu erlegen, sondern die Felsen auch mit einer neuen Unratschicht bedeckt wurden.

Dieses Ereignis ließ in dem Ingenieur die Hoffnung aufkeimen, daß bald auch andere Vogelarten[3] folgen würden. Und hierin hatte er sich nicht getäuscht.

Drei Tage später erschienen, wieder bei Anbruch der Nacht, etwa vierzig Wildgänse. Unter lautem Flügelrauschen fielen sie in den kleinen Teich in der Mitte der Kuppe ein. Auch sie waren matt von der weiten Reise, und bei völliger Dunkelheit versuchten unsere drei Robinsons dann auch hier ihr Jagdglück – – ohne Erfolg, wie gleich gesagt sein mag. Die Wildgänse waren eben zu scheu und vorsichtig, entschwanden schnell mit schrillen Rufen nach Süden zu.

„Schade“, meinte der Doktor. „Ich freute mich schon so sehr auf eine Martinsgans, gefüllt mit Äpfeln …“

„Die wir leider nicht haben!“ vollendete Ring lachend.

Heinz nahm den Mißerfolg weit ernster.

„Wir müßten zusehen, ob wir nicht Vorkehrungen treffen könnten, um das nächste Mal nicht so als Blamierte dazustehen“, sagte er. „Wie wärs, wenn wir zum Beispiel versuchten, am Ufer des Teiches Schlingen zu legen. Diese könnte man ja aus dem Seidenstoffe anfertigen.“

Der Ingenieur schlug dem jungen Freunde derb auf die Schulter.

„Ein Gedanke von Schiller – wahrhaftig?“ rief er. „Gut – wir werden’s versuchen!“

Und gleich am nächsten Morgen ging man an die Arbeit. Als dann am Abend des dritten Tages abermals gegen fünfzig Wildgänse das Plateau als Zwischenstation sich erkoren, flog nachher nur noch ein Teil von ihnen gen Süd davon: genau ein Duzend hatte sich in den Schlingen gefangen.

Diese zwölf Wildgänse bildeten dann den Stamm des [14] großen Geflügelhofes, der allmählich auf der Felskuppe entstand. Nachdem man ihnen sofort die Schwungfedern ganz kurz beschnitten hatte, wurden sie zunächst in einer kleinen Höhle in der Nähe der Steinhütte untergebracht. Hier blieben sie aber nur eine einzige Nacht. Schon am folgenden Tage war ein Gehege für sie fertig, das Ring mit Hilfe des geschickten Knaben aus Zweigen geflochten hatte.

Die bisher so stille Bergkuppe hatte nun plötzlich ein ganz anderes Aussehen bekommen. Der zunächst noch recht bescheidene Geflügelhof, der dicht am Rande des Teiches stand und mit seinen anfänglich sehr ungebärdigen Insassen wie ein Zeichen beginnender Kultur wirkte, und die mit Erdnüssen bestellten kleinen Felder gaben der wilden Gebirgsszenerie etwas Versöhnlich-Friedliches, waren eben die Anfänge einer bescheidenen Bauernwirtschaft, wie der Doktor sich ausdrückte.

Dieser, der nicht allzu gern die Hände zu praktischer Tätigkeit rührte, dafür desto eifriger aber andere Studien trieb, war es dann, der auch aufs glücklichste die Frage der Ernährung der zwölf flügelgestutzten Gefangenen löste. Nachdem er nämlich die Kuppe selbst nach allen Seiten hin nach Erzen und anderen Mineralien abgesucht hatte, verlegte er das Feld seiner Tätigkeit hinab in die große Grotte, zu der es ja von hier oben einen recht bequemen Zugang gab.

Drei Tage nach dem Fang der Wildgänse kehrte er von einem dieser Ausflüge in die Unterwelt mit einer ganzen Menge jener augenlosen Höhlenmolche zurück, wie man sie in vielen unterirdischen Grotten findet. – Die Höhlenmolche und -salamander, ebenso wie einige Arten von Höhlenfischen, sämtlich also Tiere, die ihr Leben in tiefster Dunkelheit verbringen und daher die Sehorgane ganz entbehren können, bilden den besten Beweis für die sog. Anpassungsfähigkeit vieler lebender Wesen. Man nennt dies in der Wissenschaft kurz Anpassung und versteht darunter hauptsächlich körperliche, also äußere Veränderungen infolge veränderter Lebensbedingungen, Ernährung, Klima und Bodenbeschaffenheit. Daß unbenutzte [15] Organe bei Tieren endlich nach vielen Generationen ganz verkümmern und zu Grunde gehen, kann man nicht nur bei den Höhlentieren beobachten, bei denen die Augen sich durch ein feines Häutchen völlig bedeckt zeigen. Hier sei nur noch ein Beispiel von Anpassung genannt: Hunde, die nach dem hohen Norden von Polarfahrern mitgenommen wurden, bekamen schon im zweiten Jahre einen Pelz, der ganz anders geartet war als der bisherige. (Während umgekehrt nach Deutschland eingeführte Polarhunde nach den Beobachtungen verschiedener Hundezüchter jedoch erst nach sechs bis acht Jahren einen dünneren Pelz erhielten).

Die Molche, die der Doktor in einem unterirdischen Wasserlauf in der Grotte gefangen hatte, bildeten fortan einen wesentlichen Bestandteil der Nahrung der bald recht zahmen Wildgänse.

Aber noch weiteres hatte der gelehrte Chemiker dort unten entdeckt, und zwar in einem nicht allzu steilen Abgrund, dessen größte Tiefe sich nur durch das Aufschlagen hinabgeworfener Steine vermuten ließ. Dort war er nämlich auf einen Gang erzhaltigen Gesteins gestoßen, während er dicht daneben eine freiliegende Steinkohlenader entdeckte.

Diese überaus wichtigen Funde sollten das Leben der Einsiedler von Grund auf umgestalten. Dem Doktor war es ein leichtes, nunmehr Eisen herzustellen, das bald zu vortrefflichen Werkzeugen verarbeitet wurde. Immerhin vergingen hierüber wieder sechs Monate. Inzwischen hatte sich der Geflügelhof um das dreifache vermehrt. Nahrungssorgen kannten die drei Deutschen nicht. Alles, was sie anfaßten, gelang ihnen. So hatten sie für ihre Felder eine künstliche Bewässerungsanlage hergestellt, ein ganzes Röhrensystem mit einem Pumpwerk; und noch vieles andere schufen sie zu ihrer Bequemlichkeit, was mancher Bauerngutsbesitzer entbehren muß. Jetzt ging der Doktor sogar mit dem Gedanken um, eine kleine Gasanstalt zu erbauen, um die Gasquelle für künstliche Beleuchtung auszunutzen.

Daß sie nebenbei stets den Gedanken im Auge behielten, ihr hochgelegenes Gefängnis verlassen zu können, [16] braucht wohl kaum besonders betont zu werden. Aber gerade diese Versuche, die Freiheit wiederzugewinnen, schlugen sämtlich fehl. Die Kuppe war zu hoch und zu steil, um auf irgend eine Weise an ihren Außenwänden hinabsteigen zu können. Und – hätte man vielleicht begonnen, Stufen in das Gestein zu hauen, so wären hierüber nach Rings Berechnung etwa vier Monate hingegangen, ganz abgesehen von der Gefahr, die darin bestand, daß die Beduinen plötzlich wieder auftauchten, diese Vorbereitungen zur Flucht bemerkten und den dreien dann einen anderen Ort als Gefängnis anwiesen.

Der ungeduldigste von den Gefährten war Heinz Brennert, denn jeden Tag fast hatte er eine neue Idee in Bereitschaft, wie man von hier fort könnte. Leider erwiesen sich all diese Vorschläge als undurchführbar, und Heinz machte stets ein recht längliches Gesicht, wenn Ring ihm zeigte, wie verschieden Theorie und Praxis auch in diesem Falle wären.




[17]
3. Kapitel.
Die Boten an jedermann.

Dann aber kam der Tag an dem Heinz geschwollen vor Stolz umhergehen durfte. Er hatte wieder eine Idee ausgebrütet gehabt, und sie war von dem Ingenieur diesmal gutgeheißen worden.

Freilich: es handelte sich nicht um einen Fluchtplan, sondern mehr um einen Hilferuf in die weite Ferne …

Diese Idee war folgende: Aus dem Seidenstoff sollte ein Ballon hergestellt werden, der auf der Außenseite eine zweckentsprechende Aufschrift erhalten und dann bei scharfem Westwind den Flügeln der wehenden Lüfte anvertraut werden sollte.

Ring meinte dazu, daß ein einzelner diesen schwebenden Sendboten wenig Aussicht auf Erfolg böte, – wohl kaum von Leuten gefunden werden würde, die mitleidig genug wären, etwas zur Befreiung der Gefangenen beizutragen. Da müßte man wenigstens ein halbes Dutzend aufsteigen lassen und zwar an verschiedenen Tagen. –

Nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Seide nur gerade zu fünf Ballonhüllen reichte, ging man sofort frischen Mutes ans Werk. Zunächst stellte der Doktor ein Gemenge her, das geeignet war, die Seide gasdicht zu machen, dann aber einen Klebstoff, um die einzelnen Teile aneinander zu leimen. Das Gas wieder mußte die eine Gasquelle liefern.

[18] An einem stürmischen Morgen wurde dann der erste der Ballons gefüllt.

Wie ein Pfeil schoß er hoch, entschwand schnell den Blicken der drei Deutschen, die an seinen Flug so viel Hoffnungen knüpften. Vielleicht wurde er gefunden, – vielleicht nahte dann Hilfe, – – vielleicht …!

Innerhalb dreier Wochen folgten die vier anderen, gasgefüllten Sendboten an Jedermann, wie Ring sich ausdrückte. Dann nahm das Leben auf der Kuppe wieder seinen gewohnten Gang an. – –

Von der Regenzeit, die sich in den Randgebieten Arabiens recht bemerkbar macht, hatten auch die drei Einsiedler ihren Vorteil. Besonders deswegen, weil die Erdnußfelder dann geradezu üppig ins Kraut schossen und die herabstürzenden Wassermassen reichlich Schlamm von den Felsen wuschen, der sich hier und dort ablagerte und als Untergrund für neue Äcker benutzt werden konnte.

So vergingen abermals Monate. Der Doktor, der den Kalender führte, hatte ausgerechnet, daß man sich jetzt bereits ein Jahr und sieben Monate auf der Kuppe befand.

Langsam war nun auch der gefährlichste Feind menschlichen Frohsinns, die Langeweile herbeigeschlichen gekommen. Nachdem die Einsiedler jetzt kaum noch wußten, wie sie sich jeden der ihnen endlos dünkenden Tage beschäftigen sollten, wurden sie verdrießlich, reizbar und zanksüchtig. Am meisten vermochte sich noch der Ingenieur zu beherrschen. Über Unliebenswürdigkeiten vonseiten seiner Gefährten ging er mit einem Scherzwort hinweg. Grobe Anrempeleien des nervösen, früher so gutmütigen Doktors parierte er mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit guten Einvernehmens.

Als ein Glück war es unter diesen Umständen zu betrachten, daß plötzlich eines Morgens Heinz Brennert mit dem Alarmruf nach der Hütte geeilt kam, in dem Tale mit den vier Palmen wären über Nacht Beduinen eingetroffen und hätten ein Lager aufgeschlagen.

Die Gefährten kamen überein, sich nicht sehen zu lassen, beobachteten stets gut verborgen vom Rande der [19] Kuppe die braunen Ankömmlinge und hatten bald festgestellt, daß es sich hier ohne Zweifel wieder um dieselben Helfershelfer des goldgierigen Engländers Shlook handelte, die die Deutschen seiner Zeit überfallen und nachher hier gefangengesetzt hatten.

Ring war begierig, was sich nun wohl weiter ereignen würde. Zunächst schickten die Beduinen zwei der Ihrigen auf einen benachbarten Berg, wohl in der Hoffnung, daß jene von der Anhöhe einen Überblick über die Kuppe gewinnen würden. Nachdem die zwei sich jedoch bald davon überzeugt hatten, wie zwecklos diese Kletterpartie gewesen war, stiegen vier andere in den Schacht des alten Bergwerks hinab und sollten hier wohl die Stelle untersuchen, wo der Stollen früher gesprengt worden war. Daß es unmöglich war, etwa durch Fortschaffen der Gesteintrümmer wieder einen Zugang zu der Kuppe zu schaffen, wußten die drei Deutschen längst. Und auch die Beduinen sahen es sehr bald ein. Sie, die offenbar mit der Absicht hergekommen waren herauszubringen, ob die Gefangenen oben auf dem Plateau noch lebten, zogen dann nach fünftägiger Anwesenheit wieder – – mit langer Nase ab.

Und Heinz machte auch wirklich eine lange Nase hinter ihnen her. –

Dieser Zwischenfall brachte wieder Eintracht und Frieden für die Gefährten. Der Doktor besonders hatte in dieser Zeit eingesehen, daß man ganz aufeinander angewiesen war und daß Zwietracht und Gereiztheit das einsame Leben völlig unerträglich machen mußten. Er nahm sich recht zusammen, und um Ring zu zeigen, wie gern er sich für das Gemeinwohl aufopfern wolle, rüstete er sich in aller Heimlichkeit zu einem Abstieg in jenen Abgrund, in dessen höheren Teilen er das Erz und die Steinkohle gefunden hatte.

Ganz früh brach er dann eines Morgens auf und stieg in die Grotte hinab, wandte sich unten nach Osten und erreichte beim Lichte seiner Laterne ureigenster Erfindung bald den Rand des breiten Absturzes, der ein riesiges Loch im Boden der Höhle darstellte und mit seiner [20] unebenen Wand eine Kletterpartie nicht allzu schwierig machte.

Heute zum ersten Male wagte der Doktor sich so tief hinab, daß er unter sich ganz deutlich ein Rauschen vernahm, das ohne Zweifel nur einem unterirdischen Flusse, der einen Wasserfall bildete, seine Entstehung verdankte. Je weiter der Chemiker abwärtsstieg, desto lauter wurde das Brausen. Aber es war immer noch gut hundert Meter entfernt, so daß der Doktor sich unwillkürlich die Frage vorlegte, ob der Abgrund wirklich diese Tiefe hatte.

Dann merkte er, wie der Steilhang allmählich flacher und flacher wurde, wie die gegenüberliegende Wand dieser riesigen Spalte zurückwich und sich zur Höhlendecke wölbte.

Ein Felsendom von gewaltigen Abmessungen nahm ihn jetzt auf. Und quer durch diese unterirdische Halle brandete schäumend ein Wasserlauf von etwa sechs Meter Breite über Felsen und Steine dahin, verschwand nach Norden zu in einem natürlichen Kanal und schoß dort weiter einem unbekannten Ziel entgegen.

Woher kam dieser Fluß, wohin eilte er …?! – In beinahe ehrfurchtsvollem Staunen stand Doktor Wallner am Ufer und sann über diese Fragen nach, die wahrscheinlich kein Sterblicher je lösen würde. Dann bückte er sich, schöpfte etwas von dem klaren Naß mit der hohlen Hand und kostete es.

Es schmeckte salzig – – wie Meerwasser. Nein – der Salzgehalt war sogar noch größer, konnte kaum geringer sein als der des berüchtigten Toten Meeres, in dem nur Lebewesen niedrigster Art gedeihen, – kein Fisch, keine Schnecke, keine Muschel … –

Darauf versuchte der Chemiker den Fluß mit Hilfe der über die Stromschnellen hinausragenden Felsblöcke zu passieren, was ihm auch gelang. – Der fernere Weg ging ganz ins Ungewisse hinein.

Hier in dieser Riesengrotte, deren Breite der Doktor auf gut tausend Meter schätzte, war die Luft stark mit Feuchtigkeit gesättigt. An tieferen Stellen des unregelmäßigen Felsbodens hatten sich weißliche Salze abgelagert, die wie kleine Schneehalden aussahen. Anderwärts [21] wieder gab es eine sehr kräftig entwickelte Höhenflora, – Flechten und Moose aller Art, darunter viele Exemplare der sog. Riesenflechte, die einem niedrigen Strauche gleichen.

Der rötliche Lichtschein der Laterne reichte leider nicht uns, um dem einsamen Wanderer einen Gesamteindruck dieser eigenartigen Unterwelt zu vermitteln. Der Chemiker sah stets nur das, was eine kurze Strecke vor ihm lag.

Daher war er auch sehr überrascht, als er nun feststellen konnte, daß der Boden der Höhle allmählich in flachen Terrassen anzusteigen begann und daß sehr bald auch hier aus der Grotte eine gewaltige Felsspalte wurde, in der man bei ihrer schrägen Lage gefahrlos aufwärts klettern konnte. Dieser Aufstieg war trotzdem recht anstrengend, zumal sich dem kühnen Kletterer wiederholt Hindernisse in Gestalt von mächtigen Steinbarrieren in den Weg stellten, die er umgehen mußte und die ihn gleichzeitig immer mehr nach Nordost hin abdrängten.

Dann wurde die Spalte schmaler und enger und verwandelte sich in einen horizontalen Stollen, der plötzlich durch eine Schuttmasse versperrt war, so daß der Doktor bereits umkehren wollte, als sein Blick auf die eine Wand des vielfach gekrümmten Felsenganges fiel, wo er zu seiner Überraschung verschiedene in den Stein eingemeißelte Schriftzeichen bemerkte.

Diese waren zweifellos sehr alt und gehörten in eine Zeitepoche hinein, als noch die Nachfolger der Kalifen über ganz Arabien mit geherrscht hatten.

Noch mehr sah der Doktor jetzt. Da gab es wenige Schritte rückwärts einen ganz engen Seitengang, der gerade einen Menschen durchließ. Und hier führte eine sauber in den Fels gehauene Treppe steil aufwärts, endete unter einem quadratischen, glatten Stein, der sehr genau in eine ebensolche Öffnung eingepaßt war.

Der Chemiker drückte mit hochgereckten Händen gegen die Platte. Aber sie lüftete sich kaum merklich. Er ruhte eine Weile aus, sammelte neue Kräfte. Drückte nochmals …

[22] Da … blendende Helle schoß in das Dunkel hinein, leuchtende Sonnenstrahlen, die sich mit dem rötlichen Licht der Laterne vermischten.

Polternd fiel die Platte nach außen um. Noch ein paar Stufen, und Wallner hob den Kopf über den Rand des viereckigen Loches.

Das erste, was er sah, war der Stamm einer großen Dattelpalme …

Sollte etwa …?! – Seine Gedanken eilten blitzschnell in die jüngste Vergangenheit zurück, – zu Kir Bali, jenem alten Wahhabiten, der den drei Deutschen eine Zeichnung auf einem Lederstückchen hinterlassen hatte, nach der der Engländer Shlook so begierig war.

Ja – kein Zweifel – – es war das Tal, – dasselbe Tal mit den vier Palmen, in dem die Beduinen gelagert hatten und auf das man von der Höhe der Bergkuppe drüben herabblicken konnte …

Ein neuer Gedanke belebte da des Doktors schweißfeuchtes Gesicht …: Das, was er soeben entdeckt hatte, war ja der Weg in die Freiheit, – der lang ersehnte Weg …!

Er konnte nicht anders: aus voller Kehle stieß er einen lauten Jodler aus, schaute dann nach dem Plateau hinauf, das dort drüben wie ein enormer Turm emporragte.

Doch nichts regte sich auf der Kuppe. Ring und Heinz hatten den Juchschrei nicht vernommen. –

Der Doktor stieg nun ganz aus dem Felsloche heraus und beaugenscheinigte erst mal den Steindeckel, der so trefflich in die Öffnung sich einschmiegte und auf der Oberseite so natürlich der Bodengestaltung sich anpaßte, daß nur ein Eingeweihter hier einen verborgenen Zugang vermuten konnte.




[23]
4. Kapitel.
Im Tale der vier Palmen.

„Ich möchte nur wissen, wo Wallner steckt …?! Wahrscheinlich ist er wieder unten in der Grotte. Aber er hätte uns doch wenigstens mitteilen sollen, daß er so früh schon in die Unterwelt hinabzusteigen gedenke.“

Ring war recht ungehalten. Er sorgte sich um den Doktor. Mittlerweile war ja die Sonne immer höher gestiegen. Und Wallner erschien nicht …! Vielleicht war ihm wirklich etwas zugestoßen …

Der Ingenieur und Heinz Brennert standen in der Nähe des Geflügelhofes, in dem gerade eine Gänsemutter stolz ihre knallgelbe junge Brut spazieren führte.

Heinz erwiderte jetzt, indem er eifrig mit dem Kopfe nickte:

„Ganz sicher ist der Onkel in der Grotte. Ich möchte wirklich mal …“

Plötzlich schnitt ein lautes „Guten Morgen!“ ihm das Wort ab. Der Doktor hatte sich leise genähert. Seine Augen strahlten. Seine Gestalt war straffer als sonst. Sein Gesicht leuchtete förmlich …

Und dann … dann platzte er mit der wichtigen Neuigkeit heraus …

Zunächst stieß er noch auf leichten Unglauben. Dann aber waren Ring und Heinz sehr bald überzeugt, daß [24] Wallner nicht scherzte. Und eine Stunde später finden wir die drei bereits unten im Tale der vier Palmen, – denn so bald als möglich hatten auch Ring und Heinz selbst jenen seltsamen Weg zurücklegen wollen, der in die Freiheit führte.

„Diese Steinplatte“, sagte der Ingenieur froh bewegt und deutete auf den zurückgeklappten Steindeckel, „ist natürlich die Stelle, die Kir Bali auf seiner Zeichnung mit einem Kreuz angedeutet hat. Nur eins verstehe ich nicht: wo mögen nur die Reichtümer sein, von denen der Wahhabit uns gegenüber sprach?!“

„Sicherlich unten in der Riesengrotte“, erwiderte der Doktor. „Ich habe auch bereits eine Vermutung in dieser Beziehung. Vielleicht ist …“

Soeben hatte Heinz den Steindeckel, um seine Kräfte zu erproben, in die Öffnung eingefügt. Als er sich nun aufrichtete, fiel sein Blick – ein glücklicher Zufall also! – nach vorwärts auf die Anhöhe, die den südöstlichen Hintergrund des Tales bildete. Dort erregte ein helles Blinken seine Aufmerksamkeit. Er schaute schärfer hin … Er war nun bereits lange genug mit Beduinen in Berührung gekommen, um zu erkennen, daß dort das Sonnenlicht sich in blanken Lanzenspitzen widerspiegelte.

„… Vielleicht ist …“, hatte der Doktor den neuen Satz begonnen.

Da … Heinz stieß ein paar Worte hervor, und in wilder Hast rannten die drei nun auf einige Felsen in der Nähe zu, wo sie, gedeckt gegen Sicht nach Südost hin, schnell an der Talwand emporkletterten, bis ein dichtes Ginstergestrüpp sie schützend aufnahm.

Gleich darauf bog auch schon eine Schar Beduinen, etwa dreißig Reiter, die meisten auf vortrefflichen Dromedaren sitzend, in das Tal ein. Ihr Anführer aber war kein anderer als Ibrahim ben Garb, der berüchtigte Pirat der Wüste. Und neben ihm, gleichfalls in Beduinentracht, hielt sich der Engländer Shlook, jener Mann, der über den Sultan von Oman vielleicht mehr Macht besaß als der britische Konsul in Maskat, der sowohl stets seinen persönlichen Vorteil suchte, nebenbei aber auch dafür [25] sorgte, daß der englische Einfluß in jeder Beziehung in Oman einzig und allein vorherrschend blieb. Schon so manchem Nichtbriten, der nach Maskat gekommen war, um Handelsverbindungen anzuknüpfen, war er gefährlich geworden. Und Ring und Doktor Wallner teilten das Los, von Shlook ohne Gewissensbisse beiseite geschoben zu sein, mit so manchem anderen deutschen Landsmann, den frischer Unternehmungsgeist nach Maskat geführt hatte. Eines dieser Opfer der heimtückischen Ränkesucht Shlooks werden wir im Laufe dieser Erzählung noch kennen lernen. –

Daß die drei in dem Ginstergestrüpp verborgenen Gefährten mit gespannter Aufmerksamkeit die Vorgänge im Tale verfolgten, daß sie sich leichtsinnig schalten, durch eigene Unvorsichtigkeit abermals in eine so gefährliche Lage geraten zu sein, wird der Leser wohl begreifen. Doch – zu Selbstvorwürfen war es jetzt zu spät. Es galt, die begangenen Fehler nach Möglichkeit wieder gut zu machen.

Die Beduinen, mit der Örtlichkeit wohlvertraut, schlugen die mitgebrachten Leinenzelte im südlichen Teile des langgestreckten Tales auf. Ihr Lager war somit von dem verborgenen Eingang in die Grottenwelt etwa hundert Meter entfernt.

Die Stunden schlichen für die drei im Ginster versteckten Deutschen nur so hin. Endlich nahte der Abend, und mit ihm kam auch die ersehnte Dunkelheit. Doch es dauerte noch eine schier endlose Zeit, bis es zwischen den braunen Zelten ruhiger wurde, die Feuer immer tiefer brannten und nur ein Posten das Lager langsam umkreiste.

Vor dem äußersten Zelte nach Norden zu, das dicht an die östliche Talwand gerückt war, saßen als die einzigen, die außer dem Wächter noch nicht zur Ruhe gegangen waren, der Engländer und Ibrahim ben Garb. Jeder rauchte eine Zigarre, die Shlook gespendet hatte. Sie sprachen sehr lebhaft miteinander, und das, was sie verhandelten, schien sie stark zu erregen, worauf ihre häufigen kurzen Handbewegungen mit Sicherheit hindeuteten.

Heinz Brennert hatte trotz des Widerspruchs seines [26] Onkels und der unwilligen Ablehnung vonseiten des Ingenieurs auf allen Vieren kriechend sich dem Zelte genähert, um die Unterhaltung der beiden Männer zu belauschen. Hoffte er doch, auf diese Weise nützlichen Aufschluß über deren Absichten zu erhalten.

Nachdem er den Schatten des Zeltes glücklich erreicht hatte, hob er etwas das Zeltleinen an und drängte sich unter diesem hindurch. – Nein – besser gesagt: er wollte sich hindurchdrängen …!

Es blieb bei der Absicht. Eine Faust packte ihn plötzlich am Genick, und eine zweite Hand spannte sich mit der Kraft einer Eisenklammer um seine Kehle, so daß er vor Schreck ganz steif wurde.

Dann raunte ihm dieser Gegner, der ihn von rückwärts beschlichen hatte und den er auch jetzt nicht zu Gesicht bekam, auf Englisch zu:

„Keinen Laut – verstanden …! – Was treibst Du hier Bursche …?! Wolltest Du die beiden dort am Feuer belauschen?“

Heinz hatte sich schon gefaßt. Und so war es ihm nicht entgangen, daß der, der ihm die Kehle halb zudrückte, das Englische mit fremdem Akzent sprach.

Er nickte daher eifrig mit dem Kopf, in der Annahme, daß sein Überwältiger sich auf ähnlichem Pfade befand wie er selbst.

Abermals fragte nun der offenbar riesenstarke Unbekannte: „Die beiden Männer sind also nicht Deine Freunde?“

Heinz schüttelte den Kopf mit größtem Nachdruck, worauf die Hände um seinen Hals sich lockerten.

„Wie heißt Du?“ wollte der Unsichtbare nun wissen.

„Heinz Brennert“, flüsterte der Überfallene ganz leise.

Da lösten sich die Hände vollständig.

„Etwa ein Deutscher?“ fragte der andere auf Deutsch.

„Ja …! Und Sie …, sind Sie …“

„Still – nachher – nachher!“

Nun konnte Heinz auch das Gesicht sehen, soweit dies [27] in der nächtlichen Dämmerung, hervorgerufen durch den Schein der Sterne, möglich war. – Der Mann trug einen offenbar recht mitgenommenen Tropenanzug, der vielleicht einmal grau gewesen sein mochte, dazu einen zerfetzten Tropenhelm, hatte einen verwilderten, dunkelblonden Vollbart und als Waffe ein langes, dolchartiges Messer zwischen die Knöpfe seiner Jacke geschoben. –

Nachdem die beiden Landsleute sich so gegenseitig scharf gemustert hatten, kroch der Blondbärtige, ein wahrer Riese von Gestalt, in das Zelt hinein und reichte Heinz nacheinander vier Gewehre, drei Revolver und zwei schwere Ledertaschen hinaus. – – –

Auch die in dem Ginsterversteck Zurückgebliebenen erlebten zu derselben Zeit eine ungeahnte Überraschung.

Der Ingenieur Ring hatte gerade zu Doktor Wallner abermals geäußert, daß dieser Kundschaftergang des abenteuerlichen Jünglings ein recht böses Ende nehmen könne, als von oben, vom Rande der Talwand, ein wenig Geröll herabrieselte, ohne gerade viel Geräusch zu verursachen.

Trotzdem wurde Ring sofort argwöhnisch, hob vorsichtig den Kopf, sank aber sogleich wieder in die vorige Lage zurück …

Ein einziger Blick hatte ihm eine Reihe von Gestalten gezeigt, die lautlos wie Gespenster keine zwanzig Schritt entfernt in das Tal hinabstiegen.

Erst nach einer Weile wagte er sich abermals aufzurichten, konnte nun feststellen, daß die Fremden, deren europäische Tracht trotz des schwachen Sternenlichtes zu erkennen war, sich im Tale nach allen Seiten verteilten und schnell in den Schatten der Felsen untertauchten.

Als er dem Doktor seine Beobachtungen mitgeteilt hatte, meinte dieser sofort:

„Ganz recht, – es kann sich hier nur um Leute handeln, die den Beduinen nicht „grün“ sind. Wie wär’s, wenn wir uns ihnen anschlössen …?“ – –

Der Beduine, der das Lager als Wächter umkreiste, kam an Ibrahims Zelt vorüber, wurde hier von Shlook angerufen und erhielt einen Schluck aus dessen Feldflasche [28] zugebilligt, da die Nacht empfindlich kühl war. Dann machte er weiter seine Runde, wobei er ganz dicht an einer der Dattelpalmen vorbei mußte.

Es schien, als ob der Beduine hier plötzlich von einer unsichtbaren Gewalt zu Boden gerissen wurde, sich aber gleich darauf wieder aufrichtete und seinen Weg fortsetzte. – Seltsam: der Wächter, der doch soeben noch von mittelgroßer Statur gewesen war, schien mit einemmal[4] um einen vollen Kopf gewachsen zu sein … Und unter der Kapuze des braunen Burnus verbarg sich jetzt ein blondbärtiges Gesicht, das die heiße Sonne Arabiens freilich braunrot gebrannt hatte.

Diese Szene, die Überwältigung des Postens, hatten Ring und Wallner aus ziemlicher Nähe mit angesehen. Wenn sie überhaupt noch im Zweifel gewesen waren, ob die Fremden Gegner der Beduinen seien, hatten sie nun volle Gewißheit erhalten. Immerhin hielten sie es aber doch für ratsam, zunächst sich nicht in diese Dinge einzumischen, sondern abzuwarten, was weiter geschah.

Doch – eigentlich geschah nichts. Und das war recht seltsam. Links von der Stelle, wo Ring und der Doktor zwischen ein paar Felsbrocken versteckt lagen, glühte das Feuer vor dem Zelte Ibrahims. Vor ihnen befanden sich die übrigen Zelte, acht an der Zahl.

Eine halbe Stunde verging. Da stand der Engländer auf, reckte sich und deutete dann auf die Mondscheibe, die soeben hinter einem der kahlen Berge auftauchte und das Tal mit einem seltsam geisterhaften Licht erfüllte. Im Gegensatz zu der bisherigen halben Dunkelheit herrschte nun eine Beleuchtung, die an die kurz vor einem Gewitter erinnerte.

Dann kam urplötzlich mit einem Schlage wild bewegtes Leben in das Tal.

Ein gellender Warnungsruf aus einer Beduinenkehle ertönte. Um das Lager herum huschten Gestalten, erkletterten die Talwände. Die grasenden Dromedare jagten dem Ausgang zu, plötzlich durch irgend etwas in tollen Schrecken versetzt … Die braunen Söhne der Wüste rannten zwischen den Zelten hin und her, bis eine helle, schmetternde Stimme ertönte, die von einem sicheren Platze [29] der Talsohle her in fließendem Dialekt der Stämme des südlichen Omans rief:

„In die Zelte zurück, Männer der Iringi! Laßt Euch warnen. Ihr seid umstellt! Wir haben uns unsere Waffen zurückgeholt, die wir nicht mitnehmen konnten, als wir Euch entflohen! Jeder, der nicht sofort gehorcht, wird als Feind behandelt …!“

Und zum Nachdruck dieser Worte knallten ein paar Schüsse von verschiedenen Seiten, die freilich nur in die Luft abgefeuert wurden. Trotzdem verfehlten sie ihre Wirkung nicht. Die Iringi, dieser mit Ibrahim und Shlook verbündete Stamm, zogen es vor, im Innern der Zelte zu verschwinden, obgleich der Engländer voller Wut brüllte:

„Vorwärts – greift an, Iringi! Ihr seid in der Übermacht!“

Doch auch diese Aufforderung fruchtete nichts. Und eine Kugel, die jetzt unangenehm dicht an Shlooks Ohr vorbeizischte, trieb auch ihn nun in das Zelt hinein, in dem Ibrahim bereits Schutz gesucht hatte.

Ring und Wallner hielten die Zeit jetzt für gekommen, sich ebenfalls bemerkbar zu machen. Bald standen sie dann oben auf dem östlichen Talrande demselben Manne gegenüber, mit dessen nervigen Fäusten Heinz zuerst Bekanntschaft gemacht hatte.

Dieser Mann, seines Zeichens Kaufmann, war einer von drei Deutschen, die einen der grünen Ballons aufgefangen und darauf versucht hatten, den gefangen gehaltenen Landsleuten Rettung zu bringen. Vielerlei Abenteuer lagen hinter ihnen, und erst nach Monaten waren sie jetzt mehr durch einen glücklichen Zufall als einer bestimmten Absicht folgend gerade hier auf die gestoßen, um deretwillen sie sich den größten Strapazen und Gefahren ausgesetzt hatten. In ihrer Begleitung befanden sich noch zwei andere Deutsche, ein sehr kleiner, aber sehr mutiger Forschungsreisender und ein kräftiger Knabe, ferner ein ungarischer Mausfallenhändler und ein Somali-Neger, ein Halbblut, der den Deutschen von Aden aus als Führer gedient hatte. (Wie der Ballon aus dem [30] Meere aufgefischt wurde und was die Retter der drei auf der Felskuppe von aller Welt abgeschlossen Gewesenen durchzumachen hatten, bevor sie hier in dem Tale der vier Palmen erschienen, ist in einem der vorhergehenden Hefte unter dem Titel „Die Schlucht in der Wüste“ geschildert worden, während die auf dieses folgenden Bändchen die weiteren Erlebnisse der Befreier enthalten). –

Als der Morgen nach dieser ereignisreichen Nacht zu grauen begann, wurde mit den rings umstellten Beduinen, die keine Möglichkeit des Entrinnens fanden, eine Art Vertrag abgeschlossen, nach dem sie sich bereit erklärten, ohne Waffen die Gegend zu verlassen und nicht weiter feindlich gegen die Deutschen aufzutreten. Auch Shlook und Ibrahim waren in diese Abmachung miteingeschlossen.

Zu Fuß mußten die Iringi dann das Tal verlassen, begleitet von Ring und zwei anderen Deutschen, die sich mit Hilfe der eingefangenen Dromedare beritten gemacht hatten. Erst am Abend verließen diese drei die Schar der entwaffneten Feinde und kehrten in das Tal zurück. –

Die gemeinsame Reise durch die Wüsten Ostarabiens nach einem Hafenort der Küste brachte der deutschen Schar noch mancherlei Abenteuer, auf die hier nicht näher mehr eingegangen werden kann, die aber in dem nächsten Bändchen „Der versteinerte Wald“ mitgeteilt werden sollen. –

Für heute verabschieden sich unsere Helden von dem freundlichen Leser mit einem herzlichen Auf Wiedersehn … im versteinerten Walde …!


Ende.


     Der nächste Band enthält:



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.


[Verlagswerbung]
Urteile maßgebender Personen über die „Erlebnisse einsamer Menschen“.

Herr Prof. Dr. V. in M. schreibt:

„… Ich halte sie für durchaus geeignet, den weitesten Kreisen des Volkes, besonders auch der Jugend, in die Hand gegeben zu werden … Die Erzählungen sind auch sehr geeignet, die Charakterbildung der Kinder günstig zu beeinflussen …“

Herr Pfarrer und Ortsschulinspektor H. in B.:

„… Der Inhalt, völlig einwandfrei, ist geeignet, die Persönlichkeit namentlich der jugendlichen Leser zu selbständiger, ernster Betätigung anzuregen und die Lebensanschauung sittlich zu heben und zu fördern. Ich würde daher die Hefte ohne Bedenken der hiesigen Jugend- und Volksbibliothek einverleiben.“

Herr Rechtsanwalt H. in F.:

„… Die von mir gelesenen Robinsonaden stellen meines Erachtens eine durchaus einwandfreie Lektüre dar, die man getrost der Jugend in die Hand geben kann. Sie haben noch den Vorteil, reichlich belehrenden Stoff zu bringen …“

Herr Direktor G. in W.:

„… Sie sind unterhaltend und belehrend. Der richtige Lesestoff in der Hand der ernstgerichteten Jugend.“

Herr Lehrer B. in B.:

„Die mir zur Beurteilung übersandten Bändchen sind eine einwandfreie Unterhaltungslektüre für Knaben von 12 Jahren an.“

Herr Landrichter V. in B., früher Untersuchungsrichter in S.:

„… Die Erzählungen habe ich mit großem Interesse gelesen. Als Unterhaltungsschriften für die Heimat sowohl als auch für das Feld würde ich die billigen und dabei guten Heftchen empfehlen können …“



Korrigierte Druckfehler der Vorlage (Wikisource)

  1. Vorlage: berüchtigten
  2. Vorlage: es fehlt.
  3. Vorlage: Voegelarten
  4. Vorlage: einmmal

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Samum bezeichnet einen Sandsturm im nordafrikanisch-arabischen Raum.