Das Rätsel des Dschebel el Dachali

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Autor: W. Belka
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Titel: Das Rätsel des Dschebel el Dachali
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Abenteuerromanzyklus, welcher die Bändchen 89–96 umfaßt. Handlungsort ist Arabien.
Band 93 der Romanreihe Erlebnisse einsamer Menschen.
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[I]
93. Band. Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.
93. Band Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.


Das Rätsel des Dschebel el Dachali.
Vor der Steinhütte saßen ein gutes Dutzend Beduinen.


[1]
(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)


Die Rätsel des Dschebel el Dachali.[WS 1]
W. Belka.


1. Kapitel.
Im Dschebel Achdar.

Der einem Engpaß ähnliche Bergpfad erweiterte sich plötzlich zu einer großen Felsterrasse, von der aus man über den stufenartigen Nordabfall des Dschebel (Dschebel, Gebirge, Höhenzug) Achdar hinweg in der Ferne die von der Mittagssonne hell beschienene Fläche des Persischen Meerbusens überschauen konnte, während mehr zur Rechten die hellen Baulichkeiten und die Kuppeln der Moscheen von Maskat, der Hauptstadt des Sultanats Oman, deutlich zu sehen waren.

Drei Reiter machten auf dieser Felsterrasse, die völlig im Schatten lag, halt, stiegen von den Pferden und nahmen die mit Nackenschleiern versehenen Tropenhelme ab, um sich von dem kühlen Seewind die schweißbedeckten Stirnen trocknen zu lassen.

[2] „Schade, daß wir morgen wieder von hier fortmüssen. Dort im Hafen von Maskat liegt schon der Dampfer, der uns zunächst bis Basra bringen wird, von wo wir dann den Tigris flußaufwärts nach Bagdad gelangen werden.“ – Der, der dies im Tone leisen Bedauerns sagte, war ein eben erst dem Knabenalter entwachsener, schlanker Jüngling namens Heinz Brennert, ein Neffe des reichen Chemikers Doktor Wallner, der sich soeben behaglich eine Zigarre anzündete und dann seinem jungen Verwandten erwiderte:

„Wir kennen nun ein gut Stück Arabien, mein lieber Heinz. Geben wir uns damit zufrieden. Auch eine Vergnügungsreise muß mal ein Ende haben. Bedenke außerdem, daß wir auf der Fahrt von hier nach Bagdad und weiterhin auf dem Wege nach Konstantinopel noch genug zu sehen bekommen werden.“

Doktor Wallner war ein kleiner, hagerer Herr mit recht dünnem blonden Schnurrbart, trug eine Brille mit runden Gläsern und Horneinfassung vor den kurzsichtigen Augen und besaß nebenbei manche Eigentümlichkeit, die ihn daheim in Berlin in seinen Bekanntenkreisen längst zu einem Sonderling gestempelt hatten. Als wohlhabender Junggeselle war er zusammen mit seinem Neffen vor acht Wochen von Genua zunächst nach Kairo gereist, wo sich den beiden ein dritter Deutscher, der Bergingenieur Gustav Ring, angeschlossen hatte. Gemeinsam hatte man sich Ägypten, verschiedene Küstenplätze des Roten Meeres, dann auch Aden, die englische Felsenfeste an der Südecke Arabiens, angesehen, war weiter zu Schiff nach Maskat gelangt, wo längere Zeit Aufenthalt genommen wurde, da Ring hier das Küstengebirge auf das Vorhandensein wichtiger Erzgänge untersuchen wollte.

Das Ergebnis dieser in aller Heimlichkeit ausgeführten Streifzüge in die Berge war bisher recht unbefriedigend gewesen, und Ring hatte deshalb beschlossen, von allen weiteren Versuchen nach dieser Richtung hin Abstand zu nehmen. Er war ein kräftiger, unternehmender Mann in den besten Jahren, dabei weitgereist und eine von jenen vielseitigen Naturen, die, wenn es nottut, ebenso gut Kellner oder Hotelwart wie Leiter einer Jagdexpedition [3] oder einer großen Minengesellschaft spielen können. Sein bartloses, eckiges Gesicht spiegelte eine seltene Willensstärke in jedem seiner Bestandteile wider. Wortkarg wie immer, warf er jetzt Heinz Brennert die Zügel seines edlen Pferdes zu, schnallte die kurze Büchse vom Sattel ab, zog sie aus dem Futteral aus Segeltuch und schritt den Weg zurück, den die drei Reiter soeben gekommen waren.

Als er in dem Engpaß verschwunden war, meinte Doktor Wallner zu seinem Neffen:

„Ring wird den Verdacht nicht los, daß der englische Generalkonsul in Maskat uns dauernd mit Spionen umgibt. Mir wäre das gleichgültig. Wir verlassen ja morgen den Ort, und dann …“

Er schwieg plötzlich, hob lauschend den Kopf und fuhr nach kurzer Pause fort: „Heinz, – war das nicht eben ein Hilferuf …? Es klang wie ein schriller Schrei. Und wenn mich nicht alles täuscht, kam dieser Schrei dort über uns von jenem Felsvorsprung … Da – wieder der langgezogene Ruf …“

„Hast recht, Onkel, – es ist ein Mensch, der sich in Not befindet … – Ah, dort kommt auch Ring eilig zurück. – Was gibt’s, Herr Ring?“

„Haben Sie den Schrei gehört …, ja?! – Wir müssen doch mal feststellen, woher … Da – abermals …“

Die drei schauten suchend die steile Rückwand der Terrasse empor. Sie sahen jedoch nichts als das grauschwarze Gestein, das hier und da von Streifen einer anderen Steinart durchzogen war, die eine merkwürdig grüne Farbe hatte und daher den Eindruck machte, als ob schmale Moosbänder über die Felsen hinliefen. Es handelte sich hier um Gabbro, ein kristallinisches Gestein, das sich vielfach eingesprengt in den Granit, aus dem die Hauptmasse der Gebirge Omans besteht, vorfindet. Der Name Gabbro ist wenig bekannt. Und doch wird gerade dieser Stein, der auch in schöner brauner Farbe anzutreffen ist, seit dem Altertum von Bildhauern gern benutzt, besonders zu künstlerischen Vasen, wie man ihn auch heute noch von den Küsten Labradors nach Europa nur für kunstgewerbliche Zwecke einführt.

Nachdem die drei Gefährten eine ganze Weile umsonst [4] die Felswand mit den Augen abgesucht und ebenso angespannt gelauscht hatten, meinte Heinz Brennert enttäuscht:

„Schade, ich hoffte schon, daß wir hier jetzt vielleicht etwas erleben würden, was ich daheim meinen Klassenkameraden als nervenprickelndes Abenteuer berichten könnte. Bisher ist es ja auf unserer Reise nur allzu friedlich hergegangen, gerade als ob wir eine Tour durch Thüringen oder das Riesengebirge gemacht …“

„… hätten …“ wollte der schlanke Junge noch hinzufügen. Wollte …! Aber das Wort erstarb ihm im Munde.

Ein wahnwitziger, gellender Angstschrei ertönte plötzlich wieder …

Die drei Deutschen schauten sich mit seltsam starren Gesichtern an. Dann eilte der Ingenieur mit einem kurzen: „Jetzt weiß ich Bescheid …!“ in den Engpaß hinein, gefolgt von den beiden anderen, die sich durch sein Beispiel ebenfalls schnell aufgerafft und das lähmende Gefühl des Entsetzens abgeschüttelt hatten.

Kaum zehn Meter weit lief Ring den Hohlweg entlang, wandte sich dann nach rechts und begann hier in einer schmalen Felsspalte emporzuklimmen, wo offenbar von Menschenhand abwechselnd an jeder Seite stufenartige Vorsprünge ausgehauen waren.

Dieser Kamin, wie man auch wohl eine solche Bergspalte nennt, machte nach kurzem geraden Verlauf eine scharfe Biegung nach links und mündete hier auf einer zweiten Terrasse, die infolge der Lage der etwa fünfzehn Meter darunter befindlichen, wo die Deutschen ihre Pferde zurückgelassen hatten, von dieser aus nicht bemerkt werden konnte oder doch jedenfalls nur in Gestalt jenes Felsvorsprungs, auf den Doktor Wallner seinen Neffen schon vorhin aufmerksam gemacht hatte. Im Gegensatz zu der unteren Terrasse jedoch zeigte sich diese hier recht uneben und besät mit Steintrümmern, von denen einige spitz wie riesige Nadeln in die Luft ragten, andere wieder wirr übereinander lagen.

Der Ingenieur hatte sofort nach kurzem Blick über diesen großen Bergaltan seine Schritte nach einer Steinanhäufung [5] gelenkt, der jedes schärfere Auge sehr bald ansah, daß sie nicht dem Zufall ihre Entstehung verdankte. Es war vielmehr eine höchst primitive Steinhütte, deren Eingang nach Nordost hin zeigte, also nach dem blinkenden Spiegel des Persischen Meerbusens.

Jetzt hatten auch der Doktor und Heinz den Vorplatz des seltsamen Häuschens erreicht, jetzt standen sie ebenso starr da wie Gustav Ring, helles Grauen in den Augen … Denn der Anblick, der sich ihnen hier bot, war wirklich dazu angetan, auch eine nervenstarke Natur mit eisigem Schreck zu erfüllen.

Dicht vor dem Zugang zu der Felshütte lag ein älterer Mann am Boden, gefesselt an einen zentnerschweren Stein, so daß er sich nicht durch Fortwälzen der ihm drohenden Gefahr entziehen konnte. Und diese gräßliche Gefahr waren drei Hornvipern, völlig ausgewachsene Exemplare der in Arabien so sehr gefürchteten Giftschlangenart, – drei Reptilien, die durch ein vor dem Steine aufgestelltes flaches Gefäß mit Milch angelockt worden waren. – Die Vorliebe vieler Giftschlangen für Milch ist ja bekannt. Merkwürdig genug, daß gerade diese verabscheuten, den Tod mitsichführenden, giftigen Kriechtiere eine Flüssigkeit bevorzugen, die man allgemein als ein Getränk harmloser, sanfter Art schätzt.

Eine der Hornvipern, gerade die größte, hatte sich dicht vor dem angstvoll weitzurückgebogenen Kopf des Gefesselten zusammengeringelt und ließ nur den platten Schädel wie unschlüssig bin und her pendeln, als ob sie es sich noch überlegte, wo sie ihre Giftzähne in das Fleisch des wehrlosen Opfers eingraben sollte.

Da hob der Ingenieur ein flaches Felsstück auf, zielte kurz und … traf …

Das halb zermalmte Reptil wand sich in blitzschnellen Bewegungen hin und her, suchte ebenso zu entkommen wie die beiden anderen, die nun schleunigst davonschlüpften.

Ein Stoß mit dem Büchsenkolben zerschmetterte der Schlange den Kopf. Und der Ingenieur schleuderte sie dann weit fort über den Rand der Terrasse hinweg, bückte sich, durchschnitt die Stricke des bedauernswerten Alten und richtete ihn auf. Der Mann war so schwach, daß er [6] sich an den Stein lehnen mußte, um nicht matt wieder umzusinken. Sein braunes, von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht hatte eine graue Farbe, sah so aus, wie das Erbleichen bei farbigen Rassen sich bemerkbar macht. Seine Augen waren halb erloschen, blickten irr in die Runde, während die dünnen, rissigen Lippen, auf denen Sich die Spuren von Insektenstichen deutlich zeigten, in lautlosem Gemurmel sich bewegten.

Doktor Wallner holte aus der Innentasche seines gelblichgrauen Tropenanzugs – die drei Deutschen trugen genau dieselbe Kleidung, die sie sich in Kairo angeschafft hatten – ein Likörfläschchen hervor und hielt es dem Alten jetzt an die Lippen. Und der trank und trank, bis der Doktor ihm das Labsal mit einem halb belustigten, halb ärgerlichen: „Bescheiden sein, lieber Freund …!“ entzog.

Der Kognak übte eine belebende Wirkung auf den dem Tode so nahe Gewesenen aus. Seine Augen bekamen wieder Glanz, die Erdfarbe seines Gesichts verlor sich und ein tiefer, befreiender Seufzer drang über die gemarterten Lippen.

Der Ingenieur, der verschiedene arabische Dialekte leidlich beherrschte, da er seit langem in Mesopotamien und Persien den größten Teil des Jahres zugebracht hatte und zwar stets im Auftrage größerer Minengesellschaften, redete den Alten, der in einen zerrissenen Burnus gekleidet und mager wie ein Skelett war, jetzt in freundlichem Tone an und erreichte auch, daß der Araber – es war ein Rafri (die beiden Hauptstämme in Oman sind die Rafri und die von der Westküste (Jemen) zugewanderten Hinawi) – schnell Vertrauen zu seinen weißen Rettern faßte und seine seltsame Leidensgeschichte erzählte.




[7]
2. Kapitel.
Das Geheimnis des Wahhabiten.

Der größte Teil der Bewohner Arabiens sind Sunniten. An der Ostküste gibt es auch viele Schiiten (Sunniten und Schiiten, religiöse Sekten. – Wahhabiten, gleichfalls eine mohammedanische Sekte, wollen den Islam nur in seiner ursprünglichen Form gelehrt wissen), während das Wahhabitentum nur noch in Zentralarabien zahlreiche, von den wahren Bekennern Mohammeds bitter gehaßte Anhänger besitzt.

Der alte Kir Bali war in seiner Jugend Wahhabitenpriester gewesen, hatte mit einer kleinen Gemeinde in den Schluchten eines Ausläufers des Dschebel el Dachali gehaust, schließlich aber nach Ermordung des größten Teiles seiner Genossen als Pilger das Land durchziehen müssen, bis er sich vor acht Jahren auf dieser Terrasse niederließ, wo er den Einsiedler spielte und lediglich frommen Betrachtungen nachhing.

Wie alt er war, wußte er selbst nicht anzugeben. Im Orient wie in allen halbkultivierten Ländern findet man eine solche Unkenntnis über Alter und Herkunft nur zu häufig. Kir Bali mußte aber jedenfalls mindestens achtzig Sommer gesehen haben, da er sich recht gut darauf besann, daß der englische Forschungsreisende Palgrave im Jahre 1862 und vor diesem Burton die Schluchten der [8] Berge von Oman durchstreift hatte (1853), denen er als Führer gedient hatte. Noch besser als dieser beiden Engländer erinnerte er sich des Deutschen von Maltzahn, der gleichfalls Arabien, das bis 1830 in Europa so gut wie unbekannt war, mit einer kleinen Karawane durchzogen hatte.

Der alte Wahhabit war auf seinem Bergaltan bis vor vier Monaten ganz ungestört geblieben. Dann aber fügte es ein böser Zufall, daß er auf einer seiner Wanderungen, die er zuweilen unternahm, um sich Lebensmittel zusammenzubetteln, ein paar Engländern begegnete, die mit ihm fortan in enger Verbindung blieben. Besonders ein gewisser Shlook hatte – wie Kir Bali zögernd berichtete – sehr häufig die versteckte Terrasse besucht, bis er und einer seiner Freunde schließlich vorgestern den Alten überfallen, gebunden und geknebelt und auch die Schale mit Milch hingestellt hatten, um so auf unmenschliche Art sich selbst einen mit eigener Hand ausgeführten Mord zu ersparen. – –

Diese Erzählung, die der Ingenieur stückweise aus dem vorsichtigen Wahhabiten herausholte, machte auf die drei Deutschen sehr stark den Eindruck, als wenn Kir Bali dabei gerade die Hauptsache verschwieg, – den Grund nämlich, weshalb jener Shlook und die anderen Engländer den harmlosen Einsiedler hatten auf so heimtückische Weise ums Leben bringen wollen.

Als Heinz Brennert jetzt, neugierig, wie es wohl im Innern der Hütte aussähe, diese betrat, wurde der Alte sehr unruhig, versuchte aufzustehen, sank aber sofort wieder zurück. Dann schaute er seinen Retter, den Ingenieur, eine Weile mit merkwürdig insichgekehrtem Blick an, rang offenbar mit irgend einem Entschluß. Darauf sagte er plötzlich, sich an Ring wendend, indem er feierlich die dürre, schmutz starrende Hand gegen ihn ausstreckte, er wolle ihm ein großes Geheimnis aus Dankbarkeit anvertrauen, griff in den zerfetzten braunen Burnus und holte ein Stück dicht zusammengerolltes Leder hervor, das er dem Ingenieur mit den Worten übergab:

„Kir Bali weiß, wo das in der Erde liegt, wonach [9] alle Menschen trachten, – diese Toren, die nicht erkennen, daß alles Unheil von dem gleißenden Golde ausgeht.“

Kein Wunder, daß Ring in atemloser Spannung lauschte und daß auch Doktor Wallner, der sehr wohl ahnte, was hier vorging, wenn er auch das Gespräch nicht verstand (die Lebensgeschichte des Wahhabiten hatte der Ingenieur kurz auf Deutsch den Gefährten wiedergegeben) mit aufmerksamen Blicken diese Szene verfolgte.

Da, gerade als Kir Bali seine Rede fortsetzen wollte, ereignete sich etwas, das keiner der hier Anwesenden voraussehen konnte.

Der Alte schnellte plötzlich hoch und fiel vornüber auf das Gesicht. Fast gleichzeitig war der Knall eines Schusses an das Ohr der beiden Deutschen gedrungen, und deshalb packte auch der Ingenieur sofort schnell gefaßt den Doktor am Arm und zog ihn in die Hütte hinein.

Und dies keine Sekunde zu früh …

Zwei weitere Schüsse hatten jetzt den Deutschen gegolten, waren aber vorbeigegangen.

„Was … was heißt das?!“ meinte Doktor Wallner völlig sprachlos vor Schreck zu Ring, der mit einem ärgerlichen Auflachen erwiderte:

„Nichts anderes, werter Landsmann, als daß jener Shlook den armen Einsiedler jetzt für alte Zeit stumm gemacht und auch dasselbe bei uns versucht hat. Und Heinz Brennert leicht auf die Schulter klopfend fügte er hinzu: „Da hast Du jetzt das ersehnte Abenteuer, mein Junge! – Verlangst Du noch mehr?! Kugeln pfeifen, es hat einen Toten gegeben und wird vielleicht noch drei geben, wenn wir so unvorsichtig sind, diesen muffigen Raum zu verlassen, in dem ich mich jetzt sofort näher umtun will, da ich stark vermute, daß Kir Bali hier einige Proben des Goldes, von dem er sprach, aufbewahrt.“

Gustav Ring hatte recht. Hinter der Steinplatte des einfachen, offenen Herdes lag ein Lederbeutelchen, das mehrere Stücke reinen Goldes in Form rundlicher Kiesel enthielt. – –

Erst als die Dämmerung sich über die Berge herabsenkte wagten die drei Deutschen ihren sicheren Schlupfwinkel zu verlassen. Sie fanden ihre Pferde auf der [10] unteren Terrasse noch vor und beeilten sich nun, aus der Felsenwildnis herauszukommen und einen Weg zu erreichen, der durch die Täler des Dschebel Achdar nach Semed führte und die Hauptstraße zwischen dieser Stadt und dem Hafenplatz Maskat darstellte.

Es war gegen elf Uhr abends, als sie das englische Hotel am Hafen in Maskat erreichten, in dem sie abgestiegen waren. Liegt doch das ganze Geschäftsleben in Oman in den Händen der vielseitigen Herren Briten, die den Sultan des Landes völlig beherrschen und dafür sorgen, daß ja keine andere Nation hier Handelsbeziehungen anknüpft.

Während die Gefährten noch auf dem Zimmer des Ingenieurs ein verspätetes Nachtmahl einnahmen, erschienen bei ihnen drei farbige Polizisten der Hafenwache, zeigten einen regelrecht ausgefertigten Haftbefehl … wegen Ermordung eines Eingeborenen, des Einsiedlers Kir Bali vor, und nahmen die Opfer englischer Heimtücke auch sofort mit nach dem Polizeigefängnis, wo die drei angeblichen Mörder alsbald genau durchsucht wurden.

Zum Glück hatte aber Ring in Voraussicht ähnlicher Zwischenfälle das Gold und auch das Lederdokument des Wahhabiten, auf dem eine Zeichnung in roter und blauer Farbe deutlich sichtbar gewesen war, als der Ingenieur die Rolle geglättet hatte, auf dem Heimwege unweit der Stadt unter einer Dattelpalme eingescharrt, so daß dieser niederträchtige Anschlag Shlooks ganz erfolglos blieb. Das, was der Engländer wohl jetzt bei einem der Deutschen vermutet hatte und worauf sein ganzes Sinnen und Trachten stand, war nicht zu finden.

Nach vier Tagen erst ließ man die Deutschen wieder frei, indem man ihnen jedoch nahelegte, das Land ungesäumt zu verlassen.

Im Hafen von Maskat lag gerade ein kleiner Frachtdampfer, dessen Kapitän, einen Schweden, Ring sehr gut kannte. Der nahm die drei an Bord seines „Kung Christian“ auf und … setzte sie zwei Tage darauf bei anbrechender Dunkelheit westlich von Maskat bei einem kleinen Dorfe an der Küste wieder an das Land. Hier erhielt Ring von dem Dorfältesten für teures Geld noch [11] an demselben Abend drei gesattelte Pferde und ein Dromedar als Packtier. Die Gefährten beeilten sich nun recht sehr, die Küstenstraße nach Maskat zu gewinnen, holten dann gegen Morgen die vergrabene Lederzeichnung aus dem Versteck hervor und verschwanden nach Südwesten hin in den Bergen.

Als die Sonne aufging, fanden sie in einem versteckten Tal einen sicheren Lagerplatz und studierten hier nun erst einmal ganz sorgfältig die eigenartige Zeichnung, die Kir Bali ohne Zweifel mit eigener Hand angefertigt hatte.




3. Kapitel.
Die Lassoschlinge.

Diese Skizze war, wie schon erwähnt, auf ein viereckiges Stück pergamentähnlich zubereitetes Leder in zwei Farben, Rot und Blau, gezeichnet. So ungeschickt sich der Verfertiger dabei auch mangels Übung angestellt hatte, – was seine Skizze wiedergeben sollte, erkannte gerade der Ingenieur sofort. Immerhin merkte man ja doch an der ganzen Ausführung dieses fraglos wertvollen Dokuments, daß Kir Bali, der Wahhabit, zum mindesten einmal einen Atlas oder eine Karte in der Hand gehabt haben mußte.

An der einen Seite des Lederstücks war dicht am [12] Rande zunächst eine Sonne sichtbar – ein roter Kreis mit Strahlen, während gegenüber am anderen Rande ein solcher ohne Strahlen angedeutet war.

„Ohne Zweifel soll das die aufgehende und untergehende Sonne sein“, meinte Ring. „Also hier rechts ist Osten, hier Westen. – Diese blaue, dicke Linie mit dem roten, kleinen Viereck wieder stellt sicher die Südküste des Persischen Meerbusens dar, das Viereck aber die Hauptstadt von Oman, – Maskat. Die punktierte rote Schlangenlinie, die sich von Maskat durch die blaue und rote Schraffierung – den Dschebel Achdar, hindurchzieht, ist der Weg, den man einschlagen muß, um nach dem Orte zu gelangen, wo die goldenen Schätze lagern, von denen wir in des Einsiedlers Hütte genügend Proben gesehen haben. – So weit ist alles klar. Nun beginnen aber die Schwierigkeiten. Was diese zweite Anhäufung von Kreuz- und Querstrichen vorstellen soll, weiß ich nicht recht. Wahrscheinlich einen Ausläufer des Dschebel Achdar. Und in diesem Ausläufer muß es der Zeichnung nach ein Tal oder ein Bergplateau geben, wo vier besonders hohe Palmen stehen.“

„Gewiß – gewiß!“ bestätigte der Doktor eifrig. „Die Skizze will auf diese vier Bäume, die man trotz der ungeschickten Wiedergabe als solche erkennt, besonders aufmerksam machen. Die rote geschlängelte Linie endet ja auch gerade zwischen dem dritten und vierten Baum, von Norden gerechnet. Und dieser Endpunkt …“

„… ist der Zugang zu der Fundstelle des Goldes“, vollendete Heinz Brennert ganz atemlos, was ihm einen mißbilligenden Blick seines Oheims eintrug und von Ring die Warnung: „Mein lieber Junge, – denke daran, was der Wahhabit gesagt hat …! Alles Unheil geht von dem gleißenden Golde aus!“

Heinz errötete heftig, obwohl dies bei seinem sonnverbrannten Gesicht nur schwer noch möglich war.

Indessen hatte der Chemiker eine Karte Arabiens hervorgeholt und diese mit der Skizze verglichen.

„Halt – ich hab’s!“ rief er dann. „Dieser Gebirgsausläufer kann nur der Dschebel el Dachali sein, den die angeborenen Omans stets den Dschebel el Nock, Berge [13] des Todes, nennen und den sie mit allerlei abergläubischen Vorstellungen umgeben.“

„Famos!“ stieß der Ingenieur hervor. „Das haben Sie glänzend gemacht, Doktor! Natürlich soll’s der Dschebel el Dachali sein, den wir ja schon einmal bei dem weitesten unserer Ausflüge von ferne in seiner düsteren Wildheit angestaunt haben. – Gut, wir wissen jetzt mithin Bescheid. Als vorsichtige Goldsucher werden wir nun aber diese Skizze sofort verbrennen, da es ja zu leicht geschehen kann, daß wir nochmals mit unserem Freunde Shlook und Konsorten zusammengeraten.“

Gleich darauf hatte die Glut des Lagerfeuers das Lederstück für alle Zeiten vernichtet. – –

Der Ritt nach dem Dschebel el Dachali nahm doch mehrere Tage in Anspruch. Unsere drei Abenteurer gingen dabei allen Ansiedlungen ängstlich aus dem Wege, konnten es aber doch nicht verhindern, das, sie mit einer Karawane zusammentrafen, die verschiedene Landesprodukte – Datteln, Feigen, Reis, Kupfer und Zinn nach Maskat zum Weitertransport über See brachte. Bei dieser Karawane befanden sich noch zwei weiße Händler, und zwar ein aus Bukarest gebürtiges Brüderpaar, – Leute mit so schlimmen Verbrechergesichtern, daß Ring sofort, nachdem man die neugierigen Schwätzer endlich losgeworden war, sagte: „Die Kerle werden uns eine böse Suppe einbrocken …!“

Daß er mit dieser Befürchtung nur zu recht hatte, zeigte sich sehr bald.

Die Begegnung mit den Rumänen hatte abends stattgefunden, und am Mittag darauf waren die ersten Vorberge des Dschebel el Dachali erreicht.

Unheimlich in seiner kahlen Eintönigkeit lagerte hier, umgeben nach drei Seiten hin von der endlosen Wüste, das meilenlange Gebirgsmassiv des Dschebel el Nock. Nichts als kahles Gestein, so weit das Auge reichte, nichts als vereinzelte, armselige Ginsterbüsche, graugrüne Moose und Flechten und ganz winzige Gräser, – die ganze Flora so kümmerlich, daß die Unfruchtbarkeit des Bodens dadurch nur noch offensichtlicher wurde.

Nach der Skizze des Wahhabiten mußten die vier Palmen im südlichsten Teile des Berggebiets zu finden [14] sein. Es tauchte nun die Frage auf, ob es nicht ratsamer wäre, anstatt das Gebirge ohne Kenntnis von Weg und Steg zu durchziehen, lieber am Rande in der Wüste nach Süden zu entlangzureiten. Der Ingenieur entschied sich für das erstere trotz der größeren Anstrengungen, da, wie er erklärte, der Fels keine Spuren annähme, während der Wüstensand für Tage verraten würde, daß hier drei Reiter vorbeigekommen seien.

Der Doktor hielt diese Vorsicht für übertrieben. Doch Ring blieb dabei, daß den Rumänen nicht zu trauen wäre und daß man mit der Möglichkeit rechnen müßte, Shlook sehr bald hinter sich zu haben. –

Das erste Nachtlager inmitten der großartigen Szenerie der vom Lichte des Mondes übergossenen Berge und Schluchten, der abenteuerlichen Felsformationen und des großen Schweigens des Gebirges des Todes übte selbst auf das jugendliche Gemüt Heinz Brennerts eine weihevolle Wirkung aus. Während die beiden Gefährten bereits fest schliefen, eingehüllt in ihre braunen Beduinenmäntel, während der Doktor hin und wieder rasselnd schnarchte, das Feuer immer mehr verglomm und die ruhenden Reittiere träge wiederkauten, saß der Jüngling noch aufrecht, gelehnt an einen Steinblock, da und nahm mit einem Gemisch von Andacht und banger Scheu die starken Eindrücke dieser Nacht in sich auf.

Verträumt schaute er in die rote Glut des Feuers, dachte zurück an jene Zeit – sie lag noch nicht weit zurück! – als er mit brennenden Wangen die Reiseerlebnisse des phantasiebegabten Karl May verschlungen und sich sehnlichst gewünscht hatte, auch einmal etwas Ähnliches erleben zu dürfen. Nun hatte ihm das Schicksal wirklich dieses Abenteuer beschert, diese Suche nach dem Golde des alten Einsiedlers … Er fühlte sich jetzt ganz als Trapper, als Pfadfinder … Nur die Indianer oder aber verwegene Beduinen fehlten noch …

Unwillkürlich bildete er sich ein, heute nacht mit dem Wächteramt betraut worden zu sein, obwohl Ring vorhin gesagt hatte, es wäre überflüssig, daß etwa abwechselnd einer munter bliebe.

So erhob er sich denn, um einen Rundgang um das [15] kleine Tal zu machen, in dem man gerade lagerte. Er nahm seine Büchse zur Hand und schlich leise davon. Der Mond stand über dem engen Felsenkessel, und es war so hell wie zur Stunde der Dämmerung nach einem klaren Sommertage, während die scharfe Abgrenzung von Licht und Schatten die Felsen in noch seltsameren Umrisse erscheinen ließ.

Mondbeleuchtung hat ja stets etwas Geheimnisvolles an sich, besonders, wenn der, der ihre stillen Reize genießt, unter ungewöhnlichen Umständen, wie dies hier bei Heinz Brennert der Fall war, einsam dahinwandert. Der aufgeweckte Jüngling fühlte denn auch heute wieder wie schon so oft gerade hier im Orient, sozusagen auf der Schwelle des Märchenlandes Indien, einen leisen Schauer des Ergriffenseins über seinen Leib rieseln, wie er so über sich den blinkenden Sternenhimmel und dazu noch die glänzende Mondscheibe sinnend bewunderte, das Schweigen um ihn her die Luft mit allerlei überirdischen Lauten zu erfüllen schien und das gelegentliche Schnauben der Tiere fast wie eine Entweihung sich vernehmen ließ.

Befangen von einer gewissen Träumerei ging er langsam weiter und näherte sich so der einzigen Stelle, wo der Felskessel mit seinen zwar nicht sehr schroffen, aber doch ganz unwegsamen Abhängen sich zu einem Engpaß öffnete, der in das nächste größere Tal führte.

Der Jüngling war vielleicht noch fünf Meter von diesem Zugang entfernt, als er im schwarzen Schatten einiger Felsstücke, die sich eins in das andere eingekeilt zu haben schienen, etwas wie eine Bewegung eines helleren Gegenstandes zu bemerken glaubte. Sofort blieb er stehen, starrte scharf nach jenem Fleck hin und … erkannte nun etwas wie die Umrisse einer menschlichen Gestalt, die am Boden kauerte, jetzt aber völlig regungslos blieb.

Heinz wagte sich vorerst nicht näher heran, entsicherte vielmehr nur seine Büchse und versuchte, sich über die wahre Natur jenes helleren Dinges dort unter den Felsen völlig klar zu werden.

Ein paar Minuten verrannen so. Der junge Deutsche hätte am liebsten einen Schuß nach jener Richtung hin abgefeuert. Aber er fürchtete, der Ingenieur und der gute [16] Onkel Wallner würden dann entsetzt hochfahren und ihn nachher auslachen, wenn er vielleicht nur eine hellere Stelle im Gestein für ein lebendes Wesen angesehen hatte.

Nun wurde ihm dieses regungslose Abwarten aber doch zu langweilig. Er wollte es mal mit einem energischen Anruf und einer – zunächst nur mündlichen – Drohung versuchen …

Das Wort blieb ihm in der Kehle stecken, – konnte auch gar nicht über die Lippen hinweg, weil urplötzlich eine geschickt geworfene Lederschlinge seinen Hals zuschnürte und ihn nach hinten zu Boden riß.

Er wollte noch einen Warnungsruf ausstoßen.

Wollte …! – Zwischen Wollen und Vollbringen lag als trennendes Etwas der Lasso. Und dann flog auch schon über seinen Kopf eine häßlich riechende Decke, so daß er nichts mehr sah und hörte. Nur sein Empfindungsvermögen war noch wach. So fühlte er denn, wie seine Arme, Hand- und Fußgelenke von harten Fäusten festgehalten und mit Stricken gefesselt wurden, so merkte er weiter, daß man ihn aufhob und hinwegtrug. –

Wohin – – ja, wohin wohl?! – – Und diese Frage drängte sich ihm in den nächsten zwei Tagen, wo er die dicke Decke noch immer über Kopf und Schultern trug, stets aufs neue auf.

Gewiß, daß man ihn auf einem Reitkamel fortschaffte, daß zweimal gelagert wurde, daß sich viele Menschen um ihn her bewegten, – daß man ihm weder Speise noch Trank gab, – – dies alles war ihm sehr wohl bewußt.

Aber auch diese Qualen nahmen ein Ende. Ein Lasso wurde ihm unter den Armen durchgezogen, … und dann schwebte er plötzlich frei in der Luft …

Hunger, besonders aber brennender Durst hatten ihn nach diesem zweitägigen Eilritt jedoch schon so gleichgültig gegen alles gemacht, daß es ihn in keiner Weise anfocht, nun auch eine Luftreise als hängender Pendel zu machen.

Mit einem Male fühlte er festen Boden unter den Füßen, – harten Stein offenbar, und gleichzeitig wurde nun auch Decke und Lasso von oben her wieder eingeholt.

[17] Sein Kopf war die stinkende Tarnkappe los. Und sofort eilte nun sein neugieriger Blick, angeregt durch eine frisch aufflackernde Willenskraft, hierhin und dorthin …




4. Kapitel.
Das alte Bergwerk.

„Ah – bist Du auch da, mein Junge …?!“

– – Wahrhaftig, – das war ja Onkel Wallners Stimme …

Dort – wirklich – dort hockte er am Boden wie ein rechtes Häufchen Unglück – – und neben ihm saß der Ingenieur Ring. Beide gebunden an Armen und Beinen wie Heinz selbst …

Dieser Heinz, vorhin noch so gleichgültig und matt, war schnell der alte, lebendige Jüngling geworden. Die Last der letzten Tage – Überanstrengung, Hunger und Durst fielen von ihm ab wie ein Fremdes, das man ihm nur aufgedrängt hatte.

„Onkel – Onkel, welch ein Wiedersehen!“ rief er nun. „So sind wir also wirklich …“

„… auf dem Grunde eines meiner Schätzung nach acht Meter tiefen Schachtes angelangt, den ich als ein Überbleibsel eines sehr alten Bergwerks, also als Werk von Menschenhand, ansprechen möchte“, vollendete der [18] Chemiker in einem halb ironischen, halb lehrhaften Ton, um nach kurzer Pause fortzufahren:

„Ich werde die Wände dieses Schachtes sehr genau untersuchen. Im Altertum pflegten die Bergleute in Schachtwänden nur zu gern Inschriften einzugraben, aus denen die Wissenschaft schon vielen Gewinn hinsichtlich der Aufklärung über die Anlage, Art der Grubenarbeit und anderes geschöpft hat. Ich …“

„… ich muß nur erst meine Fesseln abstreifen, was nicht so ganz leicht gehen dürfte“, mengte sich hier der Ingenieur ein. „Lieber Doktor“, reihte er weiteres an, „Sie übersehen, daß wir vorläufig noch durch sehr dauerhafte Riemen zu hilflosen Bündeln zusammengeschnürt sind. Sprechen Sie also das Zauberwort, das uns befreit.“

Doktor Wallner zuckte die Achseln.

„Zauberwort – schön gesagt! Woher nehmen und nicht stehlen …?! He …?! Ich habe keine Ahnung, wie man diese Arm- und Beinbänder abschüttelt.“

Inzwischen hatte Heinz den Blick nach oben gerichtet und so ein rundes Stück lichtblauen, sonnerfüllten Himmel über sich gesehen. Aber – Himmel und Sonne waren so weit entfernt wie die persönliche Freiheit, die unsere drei kühnen Goldsucher durch jenen Überfall in der Schlucht, dessen erstes Opfer Heinz selbst geworden, verloren hatten.

Der Ingenieur Ring stand jetzt auf, reckte und streckte sich und meinte dann zu Heinz:

„Hier, mein braver Leidensgefährte, – hier – knote die Fesseln meiner Arme los und verschaffe mir so die Möglichkeit, auch Euch beide zu befreien, zunächst nur von den hartherzigen Riemen, die gewaltig in mein Fleisch einschneiden und mit der Zeit lästig werden.“

Die eiserne Ruhe des Ingenieurs entlockte Heinz ein halbes Lächeln. Ring war ja noch nie, seit er ihn kannte, auch nur ein einziges Mal ängstlich oder ratlos gewesen, mochte kommen, was da wollte. – –

Kaum zehn Minuten später waren die Gefesselten von den Riemen befreit – – „vorläufig!“ wie der Ingenieur einschaltete.

Man setzte sich nun wieder auf den harten Steinboden nieder und tauschte gegenseitig die Erlebnisse seit [19] jenem feindlichen Überfall aus, bei dem Wallner und Ring ebenso schnell überrumpelt worden waren, wie dies auch Heinz Brennert durchgemacht hatte, dessen sich daran anschließende Abenteuer freilich weit eintöniger als die seiner beiden älteren Gefährten waren.

Diesen hatte nämlich ein leidlich englisch sprechender Beduine dauernd auf dem Wege nach diesem seltsamen Gefängnis mit anscheinend wohlgemeintem Zureden zugesetzt, doch offen einzugestehen, was ihnen der alte Wahhabit damals auf der Felsterrasse ausgehändigt hätte.

Dieser Beduine war aber auch der einzige der Feinde gewesen, den Wallner und Ring zu Gesicht bekommen hatten, und daher hatten diese Unterredungen auch stets in der Nacht abseits des Lagerplatzes der übrigen Bande stattgefunden. Daß der Mann mit seinen plumpen Anzapfungen, die ganz offensichtlich auf ein Einverständnis mit Shlook hindeuteten, kein Glück hatte, braucht kaum erwähnt zu werden.

Diesem sanften Zureden folgten dann natürlich auch Drohungen, die darin gipfelten, daß der braune Bursche erklärte, man würde die Deutschen zur Strafe für ihr hartnäckiges Schweigen verhungern lassen. –

Nachdem der Ingenieur so weit bei der Schilderung der nächtlichen Aussprachen mit dem Vertrauten Shlooks gekommen war, fügte er hinzu: „Unsere Zukunftsaussichten sind also nicht gerade glänzend. Im Gegenteil: man konnte sie oberfaul nennen! – Doch – Mut verloren, alles verloren! Wir Deutsche fürchten Gott, und sonst nichts auf der Welt.“

Der Chemiker, der gerade seine Brillengläser putzte, nickte zu diesem letzten Ausspruch sehr energisch. Dann deutete er auf den gerade gegenüberliegenden dunklen Stolleneingang, der vom Grunde des Schachtes tiefer ins Erdinnere hineinführte. „Vielleicht ist das da der Weg in die Freiheit“, sagte er mit großer Hoffnungsfreudigkeit.

„Aber Doktor, – trauen Sie denn den Beduinen, die uns hier nach unten befördert haben, so wenig Grips zu, daß sie uns mit dem Hungertode gedroht haben würden, wenn diese Mausefalle nicht ganz dicht wäre?! – Ne, [20] Doktor, – der Stollen da wird kaum unser Heil werden. Außerdem – – möchten Sie mir mal erklären, wie wir ohne jedes Beleuchtungsmittel uns dort hineinwagen sollen?! Zwei Schritt vorwärts in dem horizontalen Felsengang, und auch dieses spärliche Zwielicht, das hier unten herrscht, hört auf. Dann gibt es nur rabenschwarze Finsternis – nichts weiter, – oder besser: es gibt Spalten und Abgründe, in die wir hineinpurzeln können auf Nimmerwiedersehn! – Nein – den Stollen liebe ich nicht. Aber ich liebe die List, wo mit Unerschrockenheit nichts auszurichten ist. – Meinen Sie denn, Shlook wird uns hier umkommen lassen?! Keine Rede davon! Er ahnt, daß wir jetzt im Besitze der wertvollen Geheimnisse Kir Balis sind. Und solche Hühner, die noch goldene Eier legen können, murkst man nicht ab. Kurz –: Shlook wird morgen oder übermorgen seinen braunen Unterhändler wieder auftreten lassen, da er dann hoffen wird, wir seien mürbe geworden. Und wir werden es auch sein – scheinbar! Wir müssen eben heraus aus diesem Loch. Ich werde also so tun, als ob ich nachgebe, werde von der Lederrolle erzählen und – nur den Ort anderswohin verlegen, als wo wir den Zugang zu den Goldschätzen vermuten, zum Beispiel sagen: in einem Tale, in dem eine einzelne Palme in der Mitte steht. – Sind wir erst heraus, so wird Gott schon weiterhelfen!“

„Dafür!“ meinte der Doktor, als ob er in einer Versammlung feierlich seine Stimme abgab. „Ebenso bin ich aber auch dafür, daß wir uns jetzt lang hinstrecken und erst einmal eine Weile uns ausschlafen.“

Das geschah denn auch.

Aber wie schon damals in jener Unglücksnacht der Überrumpelung fand auch heute Heinz Brennert keinen Schlummer. Ihn reizte es, das zu versuchen, was Ring so kurzer Hand abgelehnt hatte.

Ganz leise stand er auf und schritt auf den Eingang des Stollens zu. Der Schacht hatte an der Sohle einen Durchmesser von etwa fünf Meter, und der Felsengang verlief von hier aus anscheinend ganz gerade hinein in das Bergmassiv.

Sehr bald umgab den jungen Deutschen jene Dunkelheit, [21] die der Volksmund gern mit „pechrabenfinster“ bezeichnet. Vorsichtig fühlte Heinz erst mit dem Fuß jeden Zoll breit Boden vor sich ab, bevor er sich weiter vorwärts wagte. Aber auch dies erschien ihm zu unsicher. So kroch er denn auf allen Vieren in die schwarze Nacht hinein, wobei er sich ganz auf den Tastsinn seiner Hände verließ, denen hier mehr zu trauen war, als dem stiefelbezogenen Fuß.

Mit einem Male machte er halt.

Hatte er sich getäuscht …? – Nein, das kühle Gestein, auf dem die vorgestreckte rechte Hand jetzt ruhte, bewegte sich wirklich …

Sehr bald hatte er herausgefunden, daß hier fraglos in den Boden des Stollens eine Steinplatte von quadratischer Form eingelassen war, die aber nicht ganz fest auflag.

Nach längerem Umhertasten entdeckte er nun auch ein paar Vertiefungen in dieser Platte, die offenbar als Handgriffe dienen sollten. Und jetzt – faßte er mit vor Erwartung schneller klopfendem Herzen zu und … bekam den viereckigen, flachen Stein wirklich hoch, legte ihn beiseite und … sah sofort unter sich einen ganz schwachen Lichtschimmer.

Abermals dienten ihm die Hände als Tastwerkzeuge, stellten eine Art Treppe fest, die in die Tiefe führte. Und kühn trat er den Gang nach unten an. Kühn – aber nicht leichtsinnig, – nein, nur Fuß für Fuß bewegte er sich abwärts.

Je weiter er kam, desto mehr nahm die Helle zu. Es war dies ein ganz eigenartiges, schwach gelblich gefärbtes Licht, das einem recht umfangreichen Gegenstande zu entströmen schien. Woraus diese Lichtquelle eigentlich bestand, war noch nicht zu erkennen. Der Eindruck dieser leuchtenden Ausstrahlung war recht ungewöhnlich, beinahe sogar etwas unheimlich. Daher wurde der Abstieg die dunkle Steintreppe hinunter auch immer zögernder, denn das Gefühl völliger Einsamkeit lastete nun immer schwerer auf dem kecken Eindringling.

Jetzt hatte die Treppe ein Ende. Heinz Brennert wurde noch vorsichtiger. Er schätzte die Entfernung bis [22] zu dem leuchtenden Etwas nunmehr auf sechs bis sieben Meter. Genau ließ sich dies nicht sagen. Dazu war die ganze Art dieser gelblich-weißen Helle doch zu verschwommen, – so vielleicht, als ob in einiger Entfernung ein Scheinwerfer mit ovaler Linse hinter einer Milchglasscheibe brannte.

Nach einer Weile behutsamen Umhertastens hatte Heinz dann herausgefunden, daß am Fuße der Treppe Geröll lagerte und daß sich von hier ein ziemlich steiler Abhang nach unten senkte.

Polternd rollte ein Stein abwärts, den der Jüngling gegen seinen Willen ins Gleiten gebracht hatte. Deutlich war zu hören, daß er erst tief unter dem jetzigen Standort des jungen Deutschen irgendwo dumpf gegenschlug. Eine Spalte schien der Abhang also nicht zu haben, vielmehr eine glatte Fläche zu bilden.

Heinz setzte den gefahrvollen Weg fort, näherte sich immer mehr dem strahlenden Dinge da unten, dessen Umrisse bald so scharf hervortraten, daß man seine Form genau erkennen konnte. Und diese Form war merkwürdig genug – wie eine flach gewölbte Kuppel mit zwei kurzen Ausläufern an der Grundfläche.

Noch wenige Schritte … Nun stand Heinz dicht vor dem leuchtenden Etwas, nun verbreitete dieses genügend Helligkeit, um auch die Umgebung einigermaßen überschauen zu können.

Offenbar war dieser Platz hier der Anfang einer ausgedehnten Grotte, deren Boden mit Steintrümmern bedeckt war, während an der Deckenwölbung lange Zapfen in recht seltsamen Gebilden hingen. Die Luft mußte an diesem Orte stark mit Feuchtigkeit gesättigt sein, und Heinz glaubte auch das Geräusch zahlreicher irgendwo aufklatschender Wassertropfen zu hören.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem leuchtenden Gegenstande zu, der sich vor ihm wie ein mächtiger Haufe einer Licht ausstrahlenden Masse erhob und gut zwei Meter hoch und drei Meter lang war. Er stieß mit dem Fuße dagegen. Stein war es nicht, – nein, das klang eher, als schlüge man gegen Holz. Nun bückte er sich, fuhr mit der Hand über die Oberfläche hin. Und [23] - die Innenhand erstrahlte nun ebenfalls in demselben merkwürdigen Lichte …

Heinz hatte ja wohl mal etwas über Leuchtmikroben gehört, d. h., winzige Tierchen, die ähnlich wie Phosphor erstrahlen und sich in Kolonien zu Millionen und Abermillionen bei besonders günstigen Vorbedingungen ansiedeln und zwar zumeist auf einem Nährboden von bestimmter Beschaffenheit. Als er nun hier diesen seltsamen Vertretern der Tierwelt gegenüberstand, als er mit eigenen Augen sah, welche Leuchtkraft diese Kolonie entwickelte, stand er doch in Schier ehrfurchtsvollem Staunen da. Erst der Gedanke an die Lage, in der er und die Gefährten sich befanden, ließ ihn an das Wichtigere denken: daran, aus dem unterirdischen Gefängnis einen Ausgang zu finden.

Vor ihm nun die weite Höhle, von deren Ausdehnung er nichts ahnte … – Sollte er sich noch weiter hineinwagen in die Tiefen des Bergmassivs, sollte er nicht lieber umkehren, da es ihm vielleicht nachher unmöglich war, den Rückweg zu finden?! – – Nein – umkehren auf keinen Fall, – denn soeben war ihm ein Gedankt gekommen, wie man sich hier vielleicht etwas Ähnliches wie Fackeln herstellen könnte.

Neben der leuchtenden, so merkwürdig geformten Kuppel lagen verschiedene längliche Gegenstände von verschiedener Dicke und Länge. Erst bei genauerem Hinsehen stellte Heinz fest, daß es Knochen waren, – riesige Knochen vorsintflutlicher Tiere.

Er suchte Sich einen ihm geeignet erscheinenden davon heraus, rieb ihn mit den Leuchtmikroben tüchtig ein, ja, kratzte diese sogar von der Oberfläche des strahlenden Hügels ab und schmierte sie auf das obere Ende des Knochenstückes.

Der Gedanke war ganz praktisch gewesen. Hielt er diese eigenartige Fackel ganz tief, so vermochte er immerhin auf ein bis zwei Meter den Weg vor sich zu erkennen. Nur auf diese Weise gelangte er dann nach weiteren fünf Minuten an das andere Ende der Grotte, wo er plötzlich ganz deutlich einen frischen Luftzug verspürte und bald, indem er eine Schutthalde hinaufkletterte, [24] vor einem engen Felsenloche stand, das allmählich als niedriger Gang sich nach oben zu fortsetzte – – nach oben und zwar … an die Oberwelt.

Heinz hätte am liebsten einen lauten Jubelruf ausgestoßen, als er einen hellen Schimmer von Tageslicht vor sich sah und der Zufluß frischer Luft gleichzeitig immer stärker wurde. Dann – dann öffnete sich der Gang, mündete aus einer Felswand heraus auf ein ziemlich ebenes Plateau …




5. Kapitel.
Dicht vor der Pforte des Geheimnisses.

Doktor Ernst Wallner schnarchte und träumte.

Plötzlich wurde er unruhig, bewegte sich. Er glaubte die Stimme seines Neffen zu hören. Bald war er vollends munter.

Und mit ungläubigem Staunen lauschten dann Gustav Ring und der Doktor auf den seltsamen Bericht über das, was der Jüngling inzwischen ausgekundschaftet hatte.

Der Ingenieur meinte darauf: „Bevor wir uns von hier fortwagen, muß erst Shlooks Vertrauter eine neue Ablehnung seiner Vorschläge von unserer Seite erfahren haben. Tun wir so, als ob wir gewillt sind, nichts von den Geheimnissen Kir Balis preiszugeben, so wird man [25] uns fraglos mehrere Tage hier hungern und dürsten lassen, um durch diesen „sanften“ Zwang das Gewünschte zu erreichen. Und dann können wir ruhig von hier während dieser längeren Hungerkur verschwinden, dann erscheint es glaubhaft, daß Hunger und Durst uns ins Innere der Gesteinmassen hineingetrieben haben nach der Suche nach einem anderen Ausgang. Wohlverstanden – nicht nach dem Plateau hin, das Heinz entdeckt hat! Nein – von diesem dürften Shlooks Henkersknechte und Verbündete keine Ahnung haben. Davon bin ich ganz fest überzeugt. Die braune Bande wird eben annehmen, wir sind in das alte Bergwerk eingedrungen und dort in einer Spalte umgekommen. Wüßten sie etwas von der verborgenen, steinernen Falltür, so würden sie sich gehütet haben, uns hier einzusperren.“

Auch Doktor Wallner gab dem Ingenieur recht. Und alles geschah, wie dieser es vorgeschlagen hatte.

Nachdem der Beduine am Tage darauf mit höhnischen Redensarten, die seine Wut über den Starrsinn der Deutschen verheimlichen sollten, wieder verschwunden war, machten sich die drei alsbald auf den Weg.

Vor dem leuchtenden, kuppelförmigen Gegenstande wurde zuerst halt gemacht. Wallner und Ring untersuchten ihn gemeinsam, und der Doktor machte seinen Neffen dann auf die eigenartige Form dieser mit Leuchtmikroben bedeckten Kuppel aufmerksam, besonders auf verschiedene Eigentümlichkeiten, die den ganz zweifelsfreien Schluß zuließen, daß es sich hier um nichts anderes handelte als den mumifizierten, das heißt ohne Verwesung vertrockneten Körper eines vorsintflutlichen Riesengeschöpfs aus der Familie der Schildkröten, und zwar einer Schildkröte mit weichem, lederartigem Rückenpanzer, wie ja auch heute noch in den südlichen Meeren Abarten dieser Urahnen der Lederschildkröten vorkommen.

Nach dieser Unterbrechung, bei der Doktor Wallner einen längeren Vortrag über die Riesentiere längst vergangener Zeiten hielt, wurde der Weitermarsch angetreten. Bald standen die drei dann wirklich im Freien auf der ebenen Felskuppe, auf die der Gang mündete, – [26] standen, um es kurz zu sagen, auf dem flachen Gipfel eines mächtigen Berges der nach allen Seiten mindestens dreißig Meter tief fast senkrecht abfiel.

Diese Plattform, die höchste Erhebung im weiten Umkreis, hatte die Form eines Fünfecks, eine größte Breite von dreihundert Meter. An den Rändern standen mächtige Felsblöcke wie Zinnen eines Turmes, während gerade in der Mitte der mit Steintrümmern stellenweise dicht besäten Fläche sich eine kraterähnliche Vertiefung befand, in der ganz unten in einer Spalte ein leichter Glanz schimmerte … – Der Spiegel einer Wasseransammlung, die man der schüsselähnlichen Form des weiten Loches zu danken hatte, in dem sich der Regen der Gewitterwolkenbrüche ansammelte und wo er dank der Tiefe des Kraters auch nicht so leicht verdunstete.

Daß die drei Deutschen sofort die Trinkbarkeit des Wassers probierten, braucht nicht weiter gesagt zu werden. Es schmeckte etwas fade, aber dafür war es recht kühl.

Dann setzten sie den Rundgang um das Plateau fort. Dieses war durchaus nicht so unfruchtbar und vegetationslos, wie es auf den ersten Blick schien. Nein – stellenweise fanden sich hier neben Gräsern, Flechten und Moosen sogar Vertreter der Flora der Bergwelt der südlichen Gegenden vor, bescheidene Blumen, niedriges Gestrüpp verkrüppelte Bäumchen und mehrere Knollengewächse, die nicht einmal der orientkundige Ingenieur kannte.

Während Ring gerade eines dieser Knollengewächse aus der verwitterten, erdartigen Schicht des Gesteins herauszog, reinigte und die Knolle säuberte, begann der Doktor mit hochgerecktem Kopf in der Luft zu schnüffeln und sagte dann: „Ich kann mir nicht helfen, es riecht hier nach Gas – nach irgendeinem Naturgas. Der Wind kommt von dort her, von Norden, also muß es da wohl eine Naturgasquelle geben – ein Beweis dafür, daß diese Bergwelt hier einst unter der Einwirkung vulkanischer Gewalten gestanden hat. So nur ist es ja auch zu erklären, daß die Riesenschildkröte in jene Hohlräume dort wie in eine Falle eingeschlossen werden konnte und dann [27] einen guten Nährboden für die Leuchtmikroben abgab. – Wirklich – der Geruch ist höchst Unangenehm …! Mit einem Wort: es … stinkt hier – – verzeiht den unfeinen Ausdruck!“

Heinz lachte vergnügt. „Allerdings, Onkel, – es stinkt, und nicht zu knapp!“ – Und Ring, der gerade ein Stück der faustgroßen Knolle kaute, nickte dazu und sagte undeutlich: „Wollen zusehen, wo dieses Gas ausströmt.“

Nun – mit den Augen war hier nicht viel zu machen. Eher schon mit Geruch und Gehör, denn die stärker werdende Verpestung der Luft und ein leises Zischen führte die drei Deutschen zu der Stelle am Nordrande der Bergkuppe hin, wo in einer Vertiefung aus zwei kurzen, kaum ein Viertel Meter breiten Spalten tatsächlich mit zischendem Geräusch ein übelriechendes Gasgemenge austrat. Solche natürliche Gasquellen sind bekanntlich nicht nur in vulkanischen Gegenden, sondern auch auf großen Mooren und dort zu finden, wo Zersetzungsprozesse tierischer oder pflanzlicher Stoffe unter der Erdoberfläche vor sich gehen, zum Beispiel auf Petroleumfeldern, auf denen der Erdbohrer häufig genug anstatt auf das begehrte Erdöl auf Gase trifft, die unter starkem Druck dann sofort nach oben entweichen. –

Nach Besichtigung der Gasquellen ging es weiter der Ostseite des Plateaus zu. Diese war am steinigsten. Hier bildeten mächtige Blöcke geradezu einen Irrgarten, zwischen denen man sich schwer zurechtfand. Titanenfäuste schienen diese Felskolosse absichtlich hier aufgestellt zu haben, damit zwischen den Granitsteinen von mannigfachster Form Gassen frei blieben, die ein völliges Gewirr darstellten, nicht zu überschauen und deshalb in der Tat das, was in früherer Zeit die Fürsten in den Gärten ihrer Schlosser mit Hilfe dichter Hecken anlegten: eben Irrgärten!

Heinz war es, der in dieses Steinlabyrinth eindrang, der dann durch lautes Rufen die Gefährten herbeilockte und ihnen stolz seine neueste Entdeckung zeigte: einen kleinen, freien Platz inmitten des Irrgartens, wo eine [28] besondere Laune der Titanenfäuste aus mächtigen, flachen Steinplatten etwas wie ein vorn offenes Häuschen mit freilich recht windschiefem Dach geschaffen hatte.

Heinz war sehr stolz auf diesen Granitpalast, der dann auch sofort bezogen wurde.

„Wir müssen ja zunächst hier auf der Bergkuppe bleiben“, meinte Ring. „Einige Zeit halten wir es schon aus. Wasser haben wir, und die Erdknollen – es handelt sich um eine der Erdnuß verwandte Art! – geben immerhin ein Magenfüllmittel ab.“

So begannen die drei denn hier ihr merkwürdiges Robinsondasein, begannen es in der trügerischen Hoffnung, daß es ihnen glücken würde, diesen Ort zu verlassen, wenn nur erst die Beduinenschar aus der Nähe des Berges verschwunden war.

Wo die braunen Helfershelfer Shlooks lagerten, konnte man ja von dieser Höhe aus sehr leicht feststellen. Der Ingenieur hatte den Lagerplatz zuerst bemerkt, als er am Spätnachmittag dieses Tages am Südrande des Plateaus liegend vorsichtig die gegenüber befindlichen Täler und Berge gemustert hatte.

Zu seiner namenlosen Überraschung bemerkte er so, daß sich nach Süden zu ein Tal erstreckte, in dem … vier Dattelpalmen genau in einer Reihe hintereinander standen.

Dieses Tal konnte nur dasjenige sein, welches Kir Bali, der alte Wahhabit, auf seiner Skizze angedeutet hatte. Und dort – dort befand sich auch das Lager der Beduinen – gerade dort …!

Als der Ingenieur den Gefährten von dieser Entdeckung Mitteilung machte, meinte der Doktor kopfschüttelnd:

„Das Schicksal mischt doch zuweilen recht merkwürdig seine Karten! Wir zogen aus, um das Tal zu suchen. Und nun sind wir ganz in der Nähe, keine zweihundert Meter entfernt, und können doch nicht hin!“

„Vorläufig nicht!“ sagte da Heinz Brennert zuversichtlich. „Es muß uns doch gelingen, von hier fortzukommen! Muß …! – Freilich, diese Bergkuppe gleicht einem Turm, so steil sind die Wände, – einem Turm, [29] dessen Zinne keinen Ausgang nach unten hat – wenigstens keinen, der ins Freie führt.“ – –

Der Abend kam. Das Sonnenlicht verglühte im Westen. Die Höhen des Gebirges waren wie vergoldet, leuchteten förmlich, verblaßten aber schnell wieder und verkrochen sich in der heranschleichenden Dämmerung.

Unten in dem Tal im Süden, wo die schlanken Palmen sich hochreckten, loderten zwei Lagerfeuer auf. Die braunen Söhne der Wüste bereiteten sich ihr Abendessen – Reis und Hammelfleisch, die ständige Kost der Araber.

Auch oben auf dem Plateau in dem Steinhause mitten im Irrgarten knisterten die Flammen, gaben viel glühende Asche, die zum Rösten der Erdknollen benutzt wurde. – Dem Doktor hatte man es zu verdanken, daß der rote, flackernde Schein den kahlen Raum dieser Steinwohnung behaglich durchleuchtete. Der Chemiker besaß nämlich sämtliche Dinge, die ein erwachsener Mann in den Taschen zu trafen pflegt, doppelt. Und zwar trug er diese doppelten Gegenstände in ein paar Geheimtaschen verborgen, die in seinem Anzuge sehr geschickt angebracht waren.

Daher verfügte er als einziger jetzt auch noch über ein Feuerzeug, ein kleines Federmesser, eine zusammenklappbare Schere, eine Nagelfeile und einige andere Kleinigkeiten.

Aus Moos, Gräsern und Ginsterzweigen bereiteten die Gefährten dann ihre Lagerstätten. Das nötige Material hatten sie schon vorher gesammelt und vor ihrer Behausung zu einem Haufen aufgeschichtet. Bis in den hellen Morgen hinein schliefen sie in dem Gefühl vollkommener Sicherheit.

Heinz Brennert wurde als erster munter, erhob sich, trat ins Freie und … prallte zurück …

Mit Recht …! Denn dort vor der offenen Seite des Steinhüttchens saßen ein gutes Dutzend Beduinen, die Büchsen schußfertig in der Hand. – Es waren die, denen die drei Goldsucher glücklich entronnen zu sein glaubten. –

Übergehen wir die nächste halbe Stunde.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als es [30] Heinz Brennert, den die braunen Wüstensöhne gefesselt in eine der Gassen des Irrgartens gelegt hatten, endlich gelungen war, seine Bande an einer scharfen Felskante zu zerreiben.

Nun hatte er wieder die volle Beweglichkeit wiedererlangt, nun schlich er behutsam nach dem Hüttchen, um nach den Gefährten auszuspähen, die sich gerade so wie er ohne Widerstand vorhin in das Unvermeidliche gefügt hatten.

Doch – umsonst suchte er das ganze Plateau ab. Keine Menschenseele befand sich außer ihm hier …

Da dämmerte ihm langsam die Wahrheit auf: die Beduinen hatten seinen Onkel und den Ingenieur mitgenommen – vielleicht, um gewaltsam von ihnen das Geheimnis des Wahhabiten zu erpressen; er war also allein – ganz allein …! Und ob er die beiden anderen je wiedersehen würde, blieb sehr fraglich …

Dann ein neuer Gedanke …: Vielleicht hatten die Beduinen, die also doch die Steinfalltür im Boden des Felsenganges gekannt haben mußten, diese verrammelt, um ihm den Weg nach dem Schachte hin zu versperren.

Kaum gedacht, eilte er auch schon in die unterirdische Grotte hinab, nachdem er die zum Glück noch glimmende Asche frisch angefacht und einen dürren Gestrüppbuschen als Fackel hergerichtet hatte.

Die Steinfalltür regte sich nicht … Er stemmte sich mit aller Kraft darunter – es half nichts. Ganz mutlos und erschöpft setzte er sich da auf den kühlen Fels nieder und überlegte sich seine Lage. Die Fackel erlosch … Was kümmerte das den einsamen Jüngling, den die Beduinen hier allein zurückgelassen hatten …! Das Gefühl der Verlassenheit drückte ihn wie ein Bleimantel, der seine Brust beengte und ihn am freien Atmen hinderte.

Allein …! – Und dazu noch einem Schicksal ausgeliefert, das vielleicht … der Hungertod war!

Doch die anfängliche Verzweiflung schwand wieder ebenso schnell. Er raffte sich auf; dachte an das Wort: „Mut verloren, alles verloren!“ (Eigentlich heißt es ja: [31] „Ehre verloren, – alles verloren!“ Aber Ehre und Mut gehören zusammen wie zwei Zwillingsbrüder.)

Er kehrte nach der Felskuppe zurück. Der Hunger meldete sich. Erdnüsse stillten ihn. Dann schlich er auf allen Vieren nach der Südseite des Plateaus, blickte in das Tal mit den vier Palmen hinab.

Die Beduinen waren verschwunden. Und nichts deutete mehr darauf hin, daß noch vor kurzem dort unten ein reges Lagerleben geherrscht hatte. – –

Die jungen Leser der „Erlebnisse einsamer Menschen“ haben in unseren Heftchen schon wiederholt Schilderungen gefunden, wo ein einzelner Mensch ohne Hilfsmittel den Kampf ums Dasein an einer Stätte aufnimmt, die häufig genug keinerlei natürliche Erzeugnisse des Bodens besaß, um einem armen Robinson sein Dasein zu erleichtern.

Ähnlich nun war es auch hier. Und doch verzagte der kühne Jüngling nicht. Volle drei Wochen hauste er auf der Bergkuppe, ohne einen Menschen zu Gesicht zu bekommen.

Dann nahte endlich – – nein, nicht die Stunde der Befreiung, – zunächst noch nicht! Es nahte ein Zug Beduinen, und die Söhne der Wüste brachten die beiden Männer wieder zurück, denen Heinz Brennerts sehnsüchtige Gedanken so oft gegolten hatten.

Nun waren die drei wieder vereint.

Und vereint meisterten sie das Schicksal, sandten erst Botschaft aus, dem Winde anvertraut, daß in trauriger Gefangenschaft im Dschebel el Dachali Deutsche schmachteten … Die Botschaft erreichte drei andere Männer, – Leute mit ebenso abenteuerlüsternem Sinn und mit ebenso mitfühlendem Herzen … Dann, nach fast zwei vollen Jahren, schlug für die Bewohner der Bergkuppe, die sie das Schildkrötenplateau im Gedanken an das leuchtende Riesengeschöpf in den Tiefen der Felsmassen genannt hatten, die Stunde der endgültigen Befreiung.

Mit diesen Andeutungen müssen unsere lieben Leser sich heute hier schon begnügen. Wollen sie näheres wissen, [32] sowohl über die drei Retter als auch über die ferneren Erlebnisse der Helden dieser Erzählung, mögen sie in den vorhergehenden und den folgenden Heftchen einmal nachschaun.


Ende.


     Der nächste Band enthält:



Druck: P. Lehmann G.m.b.H., Berlin S. 14.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Einbandtitel: Das Rätsel des Dschebel el Dachali.