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Autor: W. Belka
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Titel: Die Schlucht in der Wüste
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Abenteuerromanzyklus, welcher die Bändchen 89–96 umfaßt. Handlungsort ist Arabien.
Band 89 der Romanreihe Erlebnisse einsamer Menschen.
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[I]
89. Band. Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.
96. Band Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.


Die Schlucht in der Wüste.
Das Feuer beleuchtete einen mächtigen Löwen.


[1]
(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)


Die Schlucht in der Wüste.
W. Belka.


1. Kapitel.
Das merkwürdige Meerungeheuer.

Der Frachtdampfer „Dresden“ kam von[1] Bombay und hielt den gewöhnlichen Kurs auf die englische Felsenfeste Aden, wo er noch für seinen Heimathafen Hamburg eine beträchtliche Ladung arabischer Datteln an Bord nehmen sollte.

Die „Dresden“, der Reederei Opmann u. Komp., Hamburg, gehörig, war ein neues, eisernes Schiff mit vorzüglichen Maschinen. In seinen Deckaufbauten befanden sich auch eine Anzahl von Passagierkabinen, die zumeist sämtlich besetzt waren und einen guten Nebenverdienst abwarfen.

Jetzt auf der Heimreise hatte der Dampfer achtzehn Fahrgäste, darunter viele Engländer, einige Franzosen und auch drei Deutsche. Da letztere mit zu den Helden unserer Geschichte gehören, müssen wir sie uns etwas genauer ansehen.

Am 4. Mai 1904, gerade als die „Dresden“ um die Mittagsstunde einem englischen Tourdampfer begegnete, der regelmäßig alle vierzehn Tage zwischen Bombay und [2] Aden verkehrte, standen die drei, an Bord nur „das Kleeblatt“ genannt, im Schutze des Sonnensegels auf dem Hinterdeck und schauten mit ihren Ferngläsern nach dem Engländer hinüber, der langsam durch die träge Dünung dahinkroch wie ein matter, schmutziger Schwimmvogel.

Fritz Tümmler, seines Zeichens Ingenieur, ließ jetzt das Glas sinken und sagte kopfschüttelnd zu seinen beiden Freunden:

„Die Hitze erzeugt geradezu Visionen, wenn man längere Zeit auf einen Punkt hinstarrt. Soeben glaubte ich da in der Richtung des alten dreckigen Kastens von Tourdampfer etwas auf dem Wasser schwimmen zu sehen, – etwas wie eine riesige Kugel oder dergleichen.“

Der lange Tümmler, dürr wie eine Latte und sonnverbrannt wie ein Neger, schob sein Fernglas in das Futteral. Bevor er dessen Deckel aber schließen konnte, rief schon Karl Bolz, der noch vor vierzehn Tagen auf einem Kontorschemel in Bombay gehockt hatte, mit seinem dröhnenden Baß:

„Ich wette meine ganzen indischen Ersparnisse gegen ein faules Hühnerei: dort schwimmt wahrhaftig etwas! Sie haben keine Vision gehabt, lieber Tümmler. Im Gegenteil! Nur – das Ding da ist keine Kugel, sondern von eiförmiger Gestalt, also wohl irgendein Meeresmonstrum, ein Riesenfisch, wie sie im Indischen Ozean vorkommen sollen.“

„Knirps, Du hast recht“, bestätigte Emil Kurz die Behauptung seines kleinen, dicken Kollegen, dem unter der weißen Schirmmütze eine wirre Masse feuerroter Haare hervorquoll, weshalb man ihn im deutschen Klubhause in Bombay nur unter der Bezeichnung „der rote Knirps“ gekannt hatte, als ob Karl Bolz gar kein ehrlicher Name wäre.

Jetzt schauten alle drei wieder nach dem seltsamen Etwas hinüber, das da keine 2000 Meter in Lee (windfreie Seite des Schiffes) dahintrieb. Dann öffnete der Knirps abermals seinen recht ansehnlichen Mund, dessen Breite er durch einen traurig herabhängenden Schnurrbart zu verringern suchte, und erklärte: „Ich wette dreitausend Pfennig – –: es ist kein Tier! Es ist ein Ballon …!“

[3] In demselben Augenblick trat Kapitän Jörgen zu den dreien.

„Ne komische Chose, meine Herren, – wie?!“ meinte er. „Wofür halten Sie das da …?“ Und er wies mit der Hand dorthin, wo das rätselhafte Ding faul auf und ab mit der Dünung schaukelte.

Emil Kurz, der nicht viel kleiner als Tümmler, dafür aber desto breiter und kräftiger war, liebte keine „Salonredereien“, wie er sich stets ausdrückte. – „Ich heiße Kurz, und Kürze ist die Würze“, erklärte er jedem, der ihm gegenüber unnötige Redensarten machte. – Daher sagte er jetzt auch:

„Knirps – angenommen – – dreitausend Pfennig!“

Knirps strahlte über sein ganzes, feistes, schweißglänzendes Gesicht, wandte sich sofort an den Kapitän und rief:

„Lassen Sie auf das treibende Ding da zuhalten, Jörgen! Tun Sie es nicht, kündige ich Ihnen die Freundschaft. – Wie wär’s, – wollen Sie auch gegen mich wetten?“ fügte er eifrig hinzu. „Ich behaupte, der merkwürdige Gegenstand da ist ein Ballon.“

Fritz Tümmler lachte dröhnend. „Ballon! Wie soll der wohl bis hierher gelangen?! – Knirps, Sie werden sich schön reinlegen!“

Jörgen rief schon dem Steuermann auf der Kommandobrücke einen Befehl zu, worauf die „Dresden“ sofort den Kurs änderte und im Bogen auf das seltsame Ding zulief. Dann erklärte der Kapitän, er wolle gleichfalls „3000 Pfennig“ riskieren. „Es ist nie im Leben ein Ballon, sondern ein Fisch, und zwar ein Exemplar der sogenannten Rochen, allerdings ein Riesenexemplar.“

Fünf Minuten später kicherte der rote Knirps vergnügt in sich hinein. Das merkwürdige Etwas, das ein paar Matrosen jetzt mit Hilfe einer Leine an Deck holten, war tatsächlich ein Ballon, – freilich keiner, der in einer Fabrik angefertigt worden war, sondern ein Notbehelf, bestehend aus hellgrüner, mit dunkleren Streifen durchzogener Seide, deren Nähte mit einer harzigen Masse abgedichtet waren, während der Seidenstoff selbst durch ein wahrscheinlich sehr kunstloses Verfahren die nötige Undurchlässigkeit [4] erhalten hatte. Jedenfalls sah man dem Ballon, der an einer Stelle mit Bastfäden zusammengebunden war, keinerlei Gondel oder dergleichen besaß und bei plumper, eiförmiger Gestalt etwa einen Höchstdurchmesser von drei Meter hatte, auf den ersten Blick an, daß zu seiner Herstellung ganz primitive Werkzeuge benutzt worden waren.

Zu welchem Zweck er mit Gas gefüllt worden und dann aufgestiegen war, ließ sich schwer enträtseln. Und wie er bis an diese Stelle des Indischen Ozeans, gut achtzig Meilen von dem nächsten Punkte der Küste Arabiens entfernt, hingeraten, war noch schwerer zu sagen.

Im Kreise standen jetzt die Passagiere und die Besatzung der „Dresden“ um die große Seidenblase herum und tauschten allerlei Vermutungen aus, kehrten den Ballon hin und her und lachten schallend, als der Knirps erklärte. „Ich habe also meine Wetten gewonnen, und außerdem gehört mir auch diese Seide, da ich die Veranlassung dazu gab, daß sie eingeholt wurde. Ich wette, sie ist noch ihre zehn Mark wert, wenn man sie chemisch reinigen läßt.“

„Das nenne ich Geschäftsmann sein!“ meinte der dürre Tümmler. Und einer der Engländer wieder äußerte darauf, er biete zwanzig Mark für die Ballonhülle. – „Könnte Ihnen so passen, oller britischer Gauner!“ brummte der Knirps grinsend. Was zur Folge hatte, daß der „Gauner“, der kein Wort deutsch verstand, höflich fragte: „Master Bolz, wie sagten Sie eben?“

Aber der kleine Dicke hatte schon sein Taschenmesser hervorgeholt und schnitt in die Hülle ein langes Loch. Sofort sank die Seidenblase, der nun ein übelriechendes Gas entströmte, in sich zusammen. Die Umstehenden wichen zurück, indem sie sich entsetzt die Nasen zuhielten. Der Knirps jedoch blieb mutig stehen, packte nachher die ziemlich harte Seidenhülle zusammen und verschwand damit in seiner Kabine, gefolgt von seinen beiden Freunden, denen er verstohlen einen Wink gegeben hatte.




[5]
2. Kapitel.
Das Geheimnis des Ballons.

„Ich schätze, daß etwa dreißig Augenpaare auf meiner gefüllten Seidenblase geruht haben, nicht wahr?“ sagte Knirps in der Kabine und warf die Hülle auf den blaugrünen Teppich. „Also dreißig Augen – und doch alle blind! Auch Ihr beide, die Ihr sonst so schlau und weitsichtig sein wollt …! – – He – nun reißt Ihr die Lider auf! – Wetten, daß mein Ballon … „es in sich hat“, – nein, „auf sich hat“ …?! Wer wettet …? – – Feiglinge seid Ihr! - Na – auch gut! – Also, verehrte Landsleute von so erhebender Kurzsichtigkeit – bei Dir kein Wunder, lieber Kurz! – wenn Ihr mir mal helfen wollt die Hülle etwas auszubreiten … So, danke! Nun beugt Eure geistreichen Köpfe ein wenig tiefer … Na – was ist das hier – und dies, und dies …? – – Aha – Buchstaben, deutsche fingerlange Buchstaben, offenbar mit einem Faserpinsel gemalt, wobei flüssiges Harz als Farbe benutzt wurde, – eine Farbe, die sich allerdings nur wenig von dem Stoff abzeichnet. – – Jetzt staunt Ihr! Unter meinem roten Haarwuchs sitzt also doch mehr Grips als unter Ihrer kahlen Schädeldecke, lieber Tümmler, und unter Deinem pomadisierten, dunkelblonden Scheitel, verehrter „Kürze-Würze“!“

Dann mußte Kurz Bleistift und Papier zur Hand nehmen, um das niederzuschreiben, was die beiden anderen [6] mühsam auf der grünen Seidenhülle entzifferten. So kamen schließlich folgende Sätze zustande:

Landsleute oder Ihr, die Ihr Mitgefühl besitzt: Helft zwei Unglücklichen! Seit fünf Jahren schmachten wir in einem Kerker, den Ihr östlich der Wüste Dachna suchen müßt. Wenn Ihr von Maskat nach Südwesten reitet, werdet Ihr nach fünfzehn Tagereisen etwa einen flachen Bergrücken bemerken. Dort sucht! Euer Lohn soll ein fürstlicher sein! Schweigt jedoch dem Sultan von Oman und jedem Engländer gegenüber. – Bergingenieur Gustav Ring, Chemiker Doktor Ernst Wallner. – –

Als der rote Knirps den letzten Namen diktiert hatte, war Kurz mit einem Male hochgeschnellt und hatte gerufen:

„Ernst Wallner – – wirklich, Ernst Wallner?! Oh, ich kenne ihn! Wir haben zusammen dieselbe Schulbank gedrückt, nur waren zwischen uns so einige sechs Jahre Altersunterschied, das heißt, er machte mit siebzehn sein Abitur, während ich mit zwanzig „das Einjährige“ schaffte. – Ein heller Kopf war’s, wirklich!“

Kurz hatte seit Monaten keine so lange Rede vom Stapel gelassen, ein Beweis dafür, daß ihn dieser seltsame Hilferuf zweier Landsleute stark erregte.

Knirps zupfte an seinem roten Mundvorhang herum.

„Ob dieser Ballon womöglich nur ein schlechter Scherz ist?“ meinte er nachdenklich. „Wenn nicht, dann müßte man doch … Hm, ja, – – fürstlicher Lohn …! Fürstlicher Lohn …!“

„Krämerseele!“ schalt der Dürre, den Wütenden spielend. „Elende Krämerseele, angekränkelt durch zweijährigen Aufenthalt in Indien von britischer Profitsucht!“

Der breitschultrige Hüne Kurz aber erklärte: „Ich werde diesem Geheimnis nachgehen!“

Worauf eine lebhafte Aussprache anhob, deren Endergebnis war, daß die drei Freunde in Aden den Dampfer zu verlassen und die Landsleute zu befreien beschlossen, – denn daß es sich bei dieser Ballonnachricht nicht etwa [7] um einen Dummenjungenstreich handelte, war bei näherer Untersuchung der Seidenblase und bei kühler Würdigung aller Begleitumstände kaum anzuzweifeln. In den letzten Tagen hatte ein stetiger Nordwestwind geherrscht, der den Ballon ganz gut bis in den Indischen Ozean getrieben haben konnte. – Die drei Freunde waren Junggesellen, hatten in Indien jeder etwas vorsichgebracht und besaßen außer reichlichen Geldmitteln auch noch jenen Unternehmungsgeist, der vor nichts zurückschreckt, auch jene Zähigkeit, durch die der deutsche Kaufmann sich in allen Weltteilen seinen „Platz an der Sonne“ neben dem neidischen britischen Konkurrenten erkämpft hat. – – –

Unter einem Vorwand unterbrachen die drei also in Aden ihre Reise und trafen alle Vorbereitungen zu einer Reise ins Innere Arabiens, wobei sie jedoch wohlweislich ihre wahren Absichten verschwiegen und so taten, als ob sie nur einen Ritt durch die Wüste nach den heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina, unternehmen wollten.

Trotz aller Vorsicht erregten sie aber doch den Argwohn der englischen Behörden in Aden, die wohl vermuteten, daß die drei nichts als Vertreter einer deutschen Firma seien und den Zweck verfolgten, hier an der Südwestküste Arabiens neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Ein sehr harmlos tuender, aalglatter Brite namens Beestkrat hatte sich an sie herangeschlängelt, suchte sie auszuhorchen und spielte dabei den allzeit Gefälligen, wurde aber von den Freunden bald durchschaut und von dem roten Knirps, der ihm in Gerissenheit weit über war, so schön „eingewickelt“, daß Master Beestkrat eines Tages zu seinem Ärger feststellen mußte, daß die drei aus Aden spurlos verschwunden waren. Erst nach langem Herumfragen konnte er herausbringen, wohin die Karawane der Deutschen sich gewandt hatte.




[8]
3. Kapitel.
In den Sandwüsten Arabiens.

„Ich bin zur Schlange geworden …!“ stöhnte der rote Knirps, indem er verzweifelt nach dem Stand der Sonne blickte, denn nicht eher sollte halt gemacht werden, als bis das Tagesgestirn mit seinen sengenden Strahlen die tote, endlose Wüste in einen Backofen verwandelt hatte. „Zur Schlange …!“ fügte er mit Betonung hinzu. „Ich häute mich nämlich, wenn auch nur an einer Stelle, genannt „die Kehrseite der Medaille“ …! Gegen das Reiten auf einem dieser stelzbeinigen Ungeheuer, alias Reitkamel, ist eine Rutschpartie auf einem Rasiermesser ein Vergnügen …!“

Die drei Freunde befanden sich an der Spitze ihrer kleinen Karawane, die aus insgesamt sechs Menschen und zehn Tieren bestand. – Auf den Stoßseufzer des kleinen Dicken hin hatte Ingenieur Tümmler hell aufgelacht und tröstend, gemeint: „Sobald wir lagern, werde ich Ihre Kehrseite in Behandlung nehmen, lieber Knirps. Gedulden Sie sich nur noch eine Stunde. Unser Führer, der vielgereiste Herr Ali Mompo, behauptet ja, vor uns liege eine tiefe, steinige Schlucht, die sich zum Lagerplatz vorzüglich eigne.“

Die Töne der Glöckchen der zehn Kamele, das Knarren der Sättel, das leise Keuchen der in schlankem Trab [9] dahineilenden Tiere und die schnatternde Unterhaltung der braunen Diener gaben hier in der endlosen Einsamkeit der Sandwüste eine eigenartige Musik ab. Wenigstens hatte Tümmler diese Symphonie von künstlichen und natürlichen Lauten gelegentlich als Musik bezeichnet. – „In dieser drückenden Stille empfindet man jeden Ton wie eine Wohltat“, hatte er gesagt.

Weiter und weiter trabte der kleine Zug. Zehn Tage war man nun bereits unterwegs, nachdem man, um etwaige Verfolger aus Aden irrezuführen, erst zwei Tage lang die Richtung nach Nordwest eingehalten hatte und dann erst nach Nordost abgeschwenkt war, wie „Herr Ali Mompo“ es vorgeschlagen hatte.

Ali Mompo war eine Perle. Als Mischling zwischen Somali-Neger und Araber hatte er von beiden Völkern nur die guten Eigenschaften geerbt, hatte lange Jahre in Ostafrika auf deutschen Plantagen gearbeitet und war dann erst Fremden-, und zwar Wüstenführer in Aden geworden. Er liebte die Deutschen, behauptete sogar „sehr gute Deutsch zu spreche“ und hatte sich mit Freuden bereiterklärt, den drei Gefährten nach besten Kräften behilflich zu sein, das mit dem seltsamen Ballon verknüpfte Geheimnis aufzuklären. –

Kaum hatte Fritz Tümmler dem kleinen Rothaarigen Hilfe für den „Sitzteil“ zugesichert, als Mompo sein Reittier geschickt neben das des Ingenieurs lenkte, mit der Hand nach vorwärts deutete und sagte:

„Sehr gnädiger Herr Inigör, – dort Menschen kommen. Nicht gut das sein für uns. Gewehre in Hand nehmen. Besser sein so, als zu spät.“

Dann ließ er sein Dromedar in Schritt fallen und holte aus dem starken Leinenfutteral, das am Sattel befestigt war, einen Karabiner hervor, ein französisches Modell, das er in Aden heimlich angekauft hatte. Auch die Schußwaffen für die drei Freunde waren von ihm besorgt worden, – keine ganz einfache Sache, da England den Waffenhandel in Aden sehr scharf überwacht.

Der Ingenieur, der stillschweigend als Anführer der Karawane allseits betrachtet wurde, griff nach seinem Fernglas. – „Es sind fünf Reiter zu Pferde“, erklärte er [10] nach einer Weile. „Aber offenbar keine Beduinen. Ich halte die Leute für Europäer ihrer Kleidung nach.“

„Noch schlechter das“, sagte Ali Mompo ernst. „Was hier weiße Herren machen, so tief in Wüste …?!“

Der Hüne Kurz entsicherte seinen Karabiner und brummte: „Wozu gleich den Teufel an die Wand malen …?! Es können auch ganz harmlose Sterbliche sein!“

Zehn Minuten später war die Frage gelöst, mit wem man es zu tun hatte. Es waren Händler, die einen Beduinenstamm besucht hatten und nun mit vier schwer beladenen Packpferden auf dem Rückwege nach Mirbat sich befanden. (Mirbat ist ein Küstenplatz an der Ostküste Arabiens).

Die Leute machten einen ganz vertrauenerweckenden Eindruck, waren sehr höflich und freuten sich offenbar, in dieser gottverlassenen Einöde Europäern zu begegnen. Drei von ihnen waren Engländer, zwei aber angeblich Italiener. Etwas auffallend war nur, daß sie sich bereit erklärten, bis zu der von Ali Mompo angekündigten Schlucht mit zurückzureiten, um die heiße Tageszeit in Gesellschaft der drei Deutschen verbringen zu können, die sich ebenfalls als Kaufleute ausgegeben hatten und zwar als Aufkäufer von Schaffellen.

Ali Mompo hielt sich von den Fremden geflissentlich fern und hatte sein Gesichtstuch jetzt so hoch geschlungen, daß von seinen braunen, edelgeschnittenen Zügen (die Somali sind ja dafür bekannt!) nicht viel zu sehen war. Er ritt dann ein Stück voraus, angeblich zu dem Zweck, um vorher einen Lagerplatz auszusuchen.

Nachher, als die beiden jetzt vereinten Karawanen die felsige Bodensenkung erreicht hatten, die sich wie eine tiefe, gut eine viertel Meile lange Falte von Nord nach Süd hinzog, nahm er jedoch den Ingenieur beiseite und flüsterte ihm zu:

„Sehr vorsichtig sein müssen, gnädiger Herr Tümmler, – sehr viel vorsichtig. Fremde auf Zungen Lügen haben. Keine Kaufleute sein. Packpferde ganz leichte Lasten. Laufen viel zu gut.“

Er hatte den Platz für das Lager im übrigen sehr günstig gewählt, und zwar zwischen hohen Felsblöcken, [11] die an dieser Stelle eine Art von kleinem Hof auf der Talsohle bildeten.

Nachdem die Tiere etwas abseits unter der Obhut der beiden Diener, die einst einem weit westlich hausenden Araberstamm angehört hatten, aber – wahrscheinlich wegen Feigheit – ausgestoßen worden waren, einen gleichfalls schattigen Ruheplatz gefunden hatten, ließen die acht Europäer sich auf ihre auf dem Boden ausgebreiteten Decken nieder und begannen eine etwas erzwungene Unterhaltung, der man deutlich anmerkte, wie sehr man sich gegenseitig mißtraute.

Die fünf Händler waren vorzüglich verproviantiert, und einer von ihnen holte bald aus seinem Packsattel eine Flasche Rotwein herbei, die er als Begrüßungstrank spenden wollte.

Arglos ließen der rote Knirps und der Hüne Kurz sich ihre Becher füllen. Nur der Ingenieur dankte, indem er erklärte, er wolle Alkohol vermeiden, da er zusammen mit Mompo ein wenig auf die Pirsch zu gehen gedenke. Worauf der eine Engländer sofort ziemlich erregt wurde und etwas von Unhöflichkeit und ähnliches äußerte.

Der dicke Bolz und der Hüne Kurz tranken. Kaum hatten sie aber ihre Becher geleert, als derselbe Engländer den sich entfernenden Ingenieur barschen Tones zurückrief. – Tümmler fühlte geradezu, daß hier etwas nicht stimmte, nahm sein Gewehr schußfertig unter den Arm und kam langsam herbeigeschlendert, indem er jede Bewegung der verdächtigen Händler genau beobachtete.

Was dann folgte, spielte sich so schnell ab, daß hieraus deutlich zu ersehen war, wie gut dieser Überfall von den Fremden vorher bis ins einzelne verabredet gewesen sein mußte. – Zwei der angeblichen Kaufleute waren urplötzlich auf den Ingenieur eingedrungen und hatten ihn zu Boden geworfen, bevor er noch von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht hatte. Der rote Knirps und der riesenstarke Kurz wieder waren gänzlich wehrlos, da der Wein ein sehr schnell wirkendes Betäubungsmittel enthalten haben mußte, das ihnen jede Gegenwehr unmöglich machte.

Als die drei Deutschen nun gebunden dalagen, sagte der Wortführer der fremden höhnisch: „Und solch’ dumme [12] Kerle wie Ihr wagt Euch in die Wüste …! In eine Anstalt für geistig Zurückgebliebene gehört Ihr! Damit Ihr wißt, wer wir sind: Polizeibeamte aus Mirbat, die von Aden telegrafisch beordert wurden, Euch aufzulauern. Eure Freiheit erhaltet Ihr nur zurück, wenn Ihr ehrlich angebt, was Ihr hier in Arabien wollt. Lügt Ihr weiter, so überlassen wir Euch an dieser Stelle Eurem Schicksal. Das ist ebenso sicher wie eine Kugel vor den Kopf! – Also: Was hat Euch dazu veranlaßt, so plötzlich von Bord des Dampfers „Dresden“ zu gehen, obwohl Ihr die Überfahrt bis Genua bezahlt hattet …?“

Tümmler schwieg und ließ seine Augen heimlich immer wieder in die Runde schweifen. Er hoffte, daß Ali Mompo ihnen mit den beiden Dienern zu Hilfe kommen würde. Der tapfere, schlang Mischling war ja vorhin vor dem Überfall zu den Reittieren vorausgegangen, um seinen Karabiner noch etwas zu ölen.

Kein Mompo ließ sich blicken. Fritz Tümmler verzagte trotzdem nicht, wurde bald aber selbst von allerlei Besorgnissen gequält, als drei der Engländer nun mit ihren Gewehren den Lagerplatz verließen und davonschlichen. Zwei Stunden vergingen. Dann kehrten die Leute zurück – ohne Mompo.

„Er hat sein Reitkamel bestiegen und ist geflüchtet“, erklärte der eine von ihnen. „Der braune Schuft hat sicherlich ein sehr schlechtes Gewissen. Die beiden anderen farbigen Halunken sind harmloses Gelichter und wollen freiwillig mit nach Mirbat kommen.“

Als die Sonne hinter dunstigen Massen am Spätnachmittag im Westen verschwand, brachen die Engländer auf. Ihre Gefangenen ließen sie gefesselt liegen, riefen ihnen noch höhnische Bemerkungen zu, durch die sie doch nur ihre wütende Enttäuschung darüber verbergen wollten, daß es ihnen nicht geglückt war, aus den Deutschen etwas über den Zweck ihrer Reise herauszupressen.

Der rote Knirps tat zuerst den Mund auf, nachdem gut eine halbe Stunde verstrichen war, ohne daß einer der Engländer sich wieder gezeigt hätte.

„Der Ballon ist an allem Schuld“, knurrte er ingrimmig. [13] „Meine naturgepolsterte Sitzgelegenheit brennt mir wie Feuer, und dazu habe ich nun noch wohlbegründete Aussicht, hier verhungern und verdursten zu müssen …“




4. Kapitel.
Eine unheimliche Begegnung.

Dem Ingenieur war es dann nach einer Stunde wirklich geglückt, seine Handfesseln an einer scharfen Felskante durchzureiben und auch die Gefährten loszubinden.

Bald war die Nacht da. Der sternenklare, südliche Himmel spannte sich über der stillen Schlucht aus, in deren Tiefen im Gegensatz zu der in ein seltsames Zwielicht getauchten Umgebung tiefe Schatten der Dunkelheit lagerten.

Die Engländer hatten alles mitgenommen, was nur einigen Wert besaß. Die Deutschen waren völlig ausgeplündert worden, und nur Fritz Tümmler hatte sein Dolchmesser, bevor man ihn ganz überwältigte, seitwärts zwischen die Felsen geschleudert, wo er es dann auch schnell wiedergefunden hatte.

Die Nacht war empfindlich kühl. Der rote Knirps meinte, so schlecht wie jetzt sei es ihm noch nie im Leben [14] ergangen. „Die Zukunftsaussichten bewerte ich auf Null Komma Null!“ fügte er hinzu.

Emil Kurz erwiderte achselzuckend: „Blech …! Drei Deutsche, jung, kräftig, und so schnell verzagen …! Noch besser!“

„Ganz recht!“ nickte der Ingenieur, der eben dabei war, seine geleerten Taschen nochmals abzufühlen. „Mut verloren, alles verloren! – Ah – – da haben wir’s! Etwas ist den diebischen Fingern der edlen Briten doch noch entgangen! Seht her – mein Feuerzeug …!“

„Sehen – gut gesagt …! Bei der Finsternis!“ brummte der Dicke. „Immerhin – wir können uns jetzt ein Feuer anzünden! Wenn nur der knurrende Magen nicht wäre …!“

Dürres Steppengras und Disteln wucherten hier und da in bescheidenen Pflänzchen zwischen den Felsen. Eifrig sammelten Tümmler und Bolz dieses Brennmaterial zusammen, während der Hüne Kurz sich nach dem Platz der Reittiere hintastete und dort auch genügend trockenen Kamelmist fand. Als die ersten Flammen hochzüngelten, ließ der rote Knirps ein zufriedenes Grunzen hören. Dann hockten die[2] drei Freunde an der wärmenden Glut und besprachen ihre mißliche Lage, wobei Tümmler betonte, daß Ali Mompo fraglos sich nach ihnen umtun würde. „Er ist ein braver Kerl, der uns sicher nicht im Stich läßt!“ sagte er überzeugten Tones.

Kurz wollte etwas erwidern. Aber das Wort blieb ihm im Munde stecken. Irgend woher aus ziemlicher Nähe drang deutlich bis in diesen natürlichen Felsenhof ein merkwürdiger Ton hinein. Vielleicht war’s das Brüllen eines Raubtieres. Vielleicht auch ein Schrei aus menschlicher Kehle. Genau ließ sich das nicht unterscheiden.

Die Gefährten schauten sich unsicher an. Und Karl Bolz lüftete mit zitternder Hand seine weiße – besser – einst weiß gewesene Schirmmütze. Ihm stand plötzlich der Schweiß auf der Stirn, und seine roten Borsten sträubten sich förmlich in die Höhe. – „Was war das?“ stotterte er dann leise.

Tümmler zuckte die Achseln, holte seinen Dolch hervor und erhob sich.

[15] „Es kann ein Raubtier gewesen sein“, meinte er. „Löwen gibt es ja in Arabien noch genug, wenn man Ali Mompo glauben will.“

„Löwen …!“ entfuhr es dem roten Knirps. „Das fehlt noch gerade …!“

Der Ingenieur bewies jetzt wieder seine schnelle Entschlußfähigkeit.

„Verlegen wir unser Lagerfeuer dorthin nach dem Eingang zu unserem Schlupfwinkel!“ schlug er vor. „Dann sind wir vor vierbeinigen Gästen sicher.“

Der Schein der Flammen reichte gerade bis zu der gut zwei Meter breiten Lücke zwischen den Felsen, genügte auch, um Tümmler jetzt den mähnenumwallten Kopf eines Löwen erkennen zu lassen, der soeben in dem natürlichen Hoftor auftauchte, stehen blieb und regungslos zu seinen wehrlosen Opfern hinüberschaute.

Der Ingenieur war gewiß ein mutiger Mann. Aber dieser Anblick ließ auch ihm das Blut in den Adern gerinnen.

Da stieß der Knirps einen markerschütternden Schrei aus. Auch er hatte die riesige Bestie bemerkt, faßte in halber Verstörtheit sofort in die Glut, riß ein ganzes Bündel glimmender Distelzweige heraus und schleuderte es nach dem Löwen hin, der – merkwürdigerweise! – schnell einen Satz nach rückwärts machte und verschwand, obwohl ihn die Feuerbrände gar nicht getroffen hatten.

Jetzt zeigte sich „Kürze-Würze“ als Herr der Situation. „Schnell – schnell – das Feuer vor den Eingang!“ rief er. „Mag’s auch einige Brandwunden abgeben …! Los denn – los! Und Du, Knirps, reiße dort jene starke Distelstaude aus. Da – da drüben stehen noch ein paar …“

Bald war das Hoftor auf diese Weise wirklich versperrt. Die Gefährten atmeten auf. Aber Tümmler hatte schon einen neuen Gedanken. – „Sammeln wir große Felsbrocken als Wurfgeschosse“, meinte er. „Vielleicht kommt die Bestie wieder … Und ein gut gezielter halber Zentner ist nicht zu verachten …!“

Doch – der „Herr mit dem dicken Kopf“ zeigte sich nicht mehr. Eine halbe Stunde verging. Nichts ereignete sich, nichts. Der Schein des Feuers fiel jetzt durch den [16] Felseneingang eine weite Strecke in die Schlucht hinein. Tümmler spielte Wachtposten und beobachtete das Vorgelände, während die beiden anderen Disteln und Gräser suchten. Um diese zu erreichen, mußten sie manche recht gefährliche Kletterpartie wagen, um an höher gelegene Stellen der Felswände heranzukommen.

Soeben brachte der Knirps wieder drei kräftige Distelbüsche herbei und warf sie in die Glut, fragte dabei den Ingenieur: „Na – was bemerkt?“

Tümmler brauchte nicht zu antworten. Im Lichtkreise des Feuers tauchte draußen in der Schlucht die Gestalt eines Mannes in braunem Beduinenmantel auf …

„Ali Mompo!“ rief Tümmler hocherfreut.

Der Mischung setzte mit kurzem Anlauf über die Flammen hinweg, nickte den Deutschen kurz zu, kreuzte die Beine und ließ sich auf den Boden nieder. Sein bartloses, braunes, edelgeschnittenes Gesicht, in dem nur die etwas dicke Nase auf das halbe Negerblut hinwies, war von derselben stolzen Ausdruckslosigkeit wie immer.

„Engländer sehr dumm“, sagte er. „Wollten mich fangen. Mein Kamel schneller. Schossen viele Kugeln - alle vorbei!“ Er lachte verächtlich auf. „Waren Inglishmann, die in Mirbat Opium schmuggeln; selbst auch Opium rauchen. Alle davon wie die Weiber. Werden in Mirbat erzählen, deutsche Herren erschossen, tot. Lüge auf Zunge stets.“

Er holte aus seinem faltige Gewand eine Schachtel Zigaretten hervor und reichte sie Tümmler.

„Erst Zigarette für Magen, dann Fleisch von Antilope, die dort draußen liegen“, sagte er mit seinen gurgelnden Kehllauten. „Antilope hat Kugel auf Blatt bekommen. Ganz frisch geschossen. Wer bringen bis hier dicht vor Eingang? He – wer?!“

Auch der Hüne Kurz war jetzt hinzugetreten.

„Eine Antilope – frisch geschossen …?“ meinte er zweifelnd. „Das muß wohl ein Irrtum sein, guter Mompo …!“

„Kein Irrtum! Kommen und sehen“, erklärte der Mischling würdevoll, sprang auf die Füße und wollte wieder über das Feuer hinübersetzen.

[17] Doch Tümmler packte ihn schnell am Arm. „Halt, – da draußen treibt sich ein Löwe umher, Freund Mompo“, warnte er ernst.

Ali Mompo scheute den Ingenieur ungläubig an. „Löwe? Löwe …?“ Er dehnte das Wort über Gebühr und lächelte. „Hier keine Löwen geben. Ich schon viermal hier wilde Maulesel jagen mit Herren aus Schweden, zwei hohen Grafen. Nie Spuren finden, nie.“

„Na – wir haben die Bestie nur zu deutlich gesehen, auch vorher das Gebrüll gehört“, versicherte der rote Knirps, dem nun wieder der Mut zurückgekehrt war, nachdem der Mischling sich eingefunden hatte.

Mompo schüttelt den Kopf. „Ich auch Brüllen gehört, einmal. War nicht Löwe!“ behauptete er.

Dann sprang er durch die Flammen, verschwand draußen und führte sein Reitdromedar herbei, während er sich über die Schulter die Antilope gelegt hatte.

Schnell wurde der Eingang freigemacht, das wertvolle Reittier in den Felsenhof gebracht und dann das Feuer wieder zusammengeschoben.

Tümmler prüfte die Schußwunde der Antilope mit kundigem Blick und wandte sich nun an Emil Kurz mit den Worten: „Tatsächlich – das Tier ist weidgerecht erlegt. Das verstehe ein anderer! Mit dem Blattschuß kann es kaum noch einige Sätze gemacht haben. Es muß also den Umständen nach bis dicht vor den Eingang unseres Schlupfwinkels geschleppt worden sein.“

Der Hühne Kurz lachte leise vor sich hin. „Natürlich hat Mompo uns den Braten beschert. Damit ist die Sache am einfachsten aufgeklärt“, meinte er, den Mischling freundschaftlich auf die Achsel klopfend.

Doch der Somali-Abkömmling erwiderte sofort:

„Deutscher Herr denken falsch. Mompo heute keine Antilope geschossen haben.“

„Seltsame Geschichte“, sagte Tümmler grübelnd. „Ich finde mich da nicht zurecht.“

Der Mischling legte seinen Karabiner auf den Boden und warf den Beduinenmantel ab.

„Morgen alles wir wissen“, erklärte er. „Jetzt Antilope zerlegen und Fleisch rösten. Hunger haben …“

[18] „Allerdings!“ bestätigte der rote Knirps. „Sogar tüchtigen Hunger!“

„Eine höchst eigentümliche Begegnung mit einem Löwen!“ meinte der dürre, sonngebräunte Ingenieur. „Meine erste Begegnung nebenbei bemerkt mit dem Herrn der Tiere … Sehr mutig hat die Bestie sich nicht gerade gezeigt …!“ – –

Die Nacht verging dann ohne jede weitere Störung. Die vier Bewohner des Felsenhofes wachten abwechselnd. Aber sie hätten sich die Mühe sparen können. Nur Hyänen und Schakale ließen hin und wieder in der nahen Wüste ihre häßlichen Stimmen erschallen. Vielleicht hatten sie das Blut der erlegten Antilope gewittert.




5. Kapitel.
Das Ende einer Jagd auf wilde Maulesel.

Die weiten Einöden des inneren Arabiens besitzen keine eigene Tier- und Pflanzenwelt, vielmehr findet man dort sowohl eine ausgesprochen zur äthiopischen Region gehörige als auch daneben eine andere Flora und Fauna, die Palästina und Kleinasien zuzurechnen ist. Bemerkenswert ist jedoch das Vorkommen des wilden Maulesels, der in allen Farbenschattierungen von Schwarz bis buntscheckig [19] herdenweise anzutreffen, dabei sehr scheu, kräftig und schnell ist. Vergessen darf nicht werden, daß Arabien auch die Heimat zahlreicher Giftschlangen ist, unter denen die Hornviper und die Kleopatraotter die gefährlichsten sind. –

Wenn der brave Ali Mompo versprochen hatte, daß der nächste Tag den seltsamen Besuch des Löwen und den Fund der Antilope aufklären würde, war er etwas voreilig gewesen. Drei Tage gingen hin, und das nächtliche Erlebnis war noch genau so dunkel und unergründlich wie vordem.

Die vier Gefährten hatten sich inzwischen in ihrem Schlupfwinkel ganz häuslich eingerichtet. Ein kleines Haus aus Felstrümmern in Form eines Bienenkorbes bildete ihr schmuckloses Heim. Ali Mompo war auch so glücklich gewesen, weiter nach Süden zu in der Schlucht zwischen den Felsen eine natürliche Zisterne zu finden, so daß selbst die Trinkwasserfrage zu aller Zufriedenheit gelöst war.

Der Mischling hatte dann bei einer neuen Beratung als Landeskundiger erklärt, daß man vorläufig hier bleiben und abwarten müsse, bis entweder eine Karawane oder ein auf der Wanderung begriffener Beduinenstamm erschienen, da man ohne Reittiere es nicht wagen dürfe, diesen Ort zu verlassen.

„Nette Aussichten!“ hatte der rote Knirps daraufhin gemurrt. „Wir müssen also hier sozusagen Robinson spielen mitten in der Wüste! Wirklich sehr, sehr angenehm …!“

„Brumme nicht! Du selbst hast uns ja durch Deinem Ballon hierher gelockt“, lachte Tümmler, der jetzt ebenfalls mit dem dicken Bolz und mit Kurz Duzbrüderschaft geschlossen hatte.

Da hatte der Knirps selbst mitlachen müssen.

„Der verd… grüne Ballon …! – Aber Du hast recht, lieber Tümmler! Ich ließ das Ding auffischen. Gut – ich schweige! Nur noch eine Frage an Mompo: Wann kann denn so eine Karawane oder ein Beduinenstamm hier eintreffen?“

„Morgen – nach halb Jahr – wer kann das sagen [20] vorher“, erklärte Mompo. – Knirps wollte schon wieder dem Gehege seiner tadellosen Zähne eine Verwünschung entschlüpfen lassen, beherrschte sich aber. –

Am Abend des dritten Tages brachte der Mischling von einem Jagdausflug, den er auf seinem vorzüglichen Reitkamel nach einer fruchtbaren Talsenkung im Westen unternommen hatte, zweierlei: eine feiste Antilope und die Nachricht, daß in jenem mit gutem Grase bestandenen Tale sich eine Herde von wilden Mauleseln eingefunden habe.

Nachher am Lagerfeuer meinte Ali Mompo dann, man könnte vielleicht versuchen, ein paar der Maulesel einzufangen. – „Sich lassen leicht zähmen und gut reiten“, fügte er hinzu.

Der Knirps seufzte laut und rieb sich „die Kehrseite der Medaille“ in Erinnerung an den Ritt durch die Wüste, der ihn „zur Schlange an einem gewissen Körperteil“ gemacht hatte. Doch Tümmler und Kurz dachten anders über Mompos Vorschlag und gingen voller Eifer darauf ein.

„Die Sache wird nur recht schwierig sein, da wir nur ein Reittier haben“, meinte der Ingenieur. „Mit unseren Menschenbeinen dürften wir gegen die schnellen Tiere nicht viel ausrichten.“

„Oh, Herr Inigör denken an Jagd mit Schlingen!“ sagte der Mischling mit überlegenem Achselzucken. „Das nicht gehen, nicht sein möglich. Anders machen. Sollen Beduinen auch so machen – mit Bir al schark – mit Gras des Schlafes.“

Bolz und Kurz zeigten recht verständnislose Gesichter. Nur dem mitgereisten Ingenieur ging sofort ein Licht auf. Ihm fiel ein, daß es auf den Hochebenen Mexikos eine allerdings selten vorkommende Grasart gibt, die kurz nach dem Abblühen einen Stoff enthält, der auf Tiere, die diese Gräser fressen, betäubend wirkt. Das Gras wird daher auch Schlafgras genannt. Ob es in einer Abart auch in Arabien vorkam, wußte er freilich nicht.

Mompo berichtete dann jedoch auf Befragen, daß tatsächlich ein ähnlich wirkendes Gras hier stellenweise gedeihe [21] und daß die Beduinen sich dessen zur Bändigung besonders wilder Pferde und gelegentlich auch als Arznei bedienten. – Weiter setzte er dann ganz eingehend seinen Plan auseinander, wie man in Besitz mehrerer Maulesel gelangen könnte, wenn man nur etwas Glück hätte.

„Die Geschichte ist recht einleuchtend“, meinte der rote Knirps geradezu begeistert. „Ich mache mit Freuden mit.“

Über des Mischlings dunkelbronzenes, stolzes Gesicht glitt wie so oft, wenn der kleine Dicke seinen „Keller-Baß“ ertönen ließ, der Anflug eines heiteren Lächelns. Ali Mompo dachte daran, daß diese Jagd an die Beine des deutschen „Massa“ recht hohe Anforderungen stellen würde. Und das Laufen war nicht gerade Knirpsens starke Seite. Immerhin zog er es aber einem Kamelritt doch noch vor … –

Die nächsten Tage waren die Gefährten eifrig damit beschäftigt, Schlafgras zu sammeln, das dann in einem schüsselförmigen Stein, der als Kochtopf diente, ausgekocht wurde. Den Abguß sammelte man in Schläuchen, die der Somali aus den Fellen der erlegten Tiere sehr geschickt hergestellt hatte. Dann wurde eines Morgens recht früh nach jener Talsenkung aufgebrochen, in der, wie Ali Mompo festgestellt hatte, die Maulesel sich jetzt regelmäßig jeden Abend von weither einfanden, um das kräftige Gras abzuweiden. Die scheuen Tiere hatten ihre Gewohnheiten also inzwischen insoweit geändert, als sie die weite Mulde nicht mehr als festen Standort benutzten. Vielleicht fürchteten sie, daß durch ihre stete Anwesenheit der Beherrscher der Wüste, der Herr mit dem dicken Kopf, angelockt werden könnte.

Der Weg durch das Sandmeer der arabischen Einöde, deren schreckliche Eintönigkeit nur hier und dort durch vereinzelte kahle Felsgruppen und spärliche, dürre Flächen von Steppenkräutern unterbrochen wurde, beanspruchte volle drei Stunden. Die Männer gingen zu Fuß. Das Reitkamel Mompos trug die Schläuche. Der rote Knirps hielt sich zunächst ganz vorn. Als aber erst die Sonne hochkam und es ungemütlich warm wurde, „verschwachte“ er schnell, begann zu stöhnen, wischte sich [22] immer häufiger den rinnenden Schweiß und warf sich dann mit einemmal im Schatten einiger Felstrümmer nieder, die gerade hier wie ein phantastisches Gebilde, ähnlich einer Burgruine, aus den Sandmassen sich herausreckten. – „Ich kann nicht mehr weiter“, stöhnte er kläglich. „Wirklich – ich kann nicht mehr. Ich wette tausend Mark: noch hundert Schritt zu Fuß, und mich trifft der Schlag!“

So ließ man ihn denn an dieser Stelle zurück, wo er vor jeder Gefahr sicher war, da er sich hier bequem verbergen konnte. – Die drei anderen setzten ihren Weg fort, schlugen sogar eine raschere Gangart ein. Der Knirps war für sie nur ein Hemmschuh gewesen.

In der Talsenkung angelangt, führte der Mischling die beiden weißen „gnädig Herr“ zu einem zwischen Steingeröll halb verborgenen, winzigen Wassertümpel, der dem Wilde als Tränke diente und auch von anderen Tieren, nicht nur den Mauleseln, aufgesucht wurde, wie die zahlreichen Spuren ringsum bewiesen. Durch flache Steine deckte man diese für die Wüste und ihre vierbeinigen Bewohner so überaus wertvolle Pfütze, die sicherlich aus den tiefen der Erde durch einen kleinen Quell gespeist wurde, völlig zu, nachdem in der Nähe ein schon vorher von dem Somali ausgesuchter großer, niedriger Felsblock, der in der Mitte eine Vertiefung hatte, durch Abstützen mit Steinen horizontal gelegt worden war, damit das in die Vertiefung gegossene Wasser aus den Schläuchen nicht seitwärts abfloß.

Erst um die Mittagsstunde waren die drei Gefährten mit diesen Vorarbeiten fertig und traten den Rückmarsch an. Die gefüllten Schläuche waren vorher recht tief im Sande vergraben worden, damit der Inhalt nicht verdunstete, denn erst nachmittags sollte der Mischling den natürlichen Wassertrog füllen.

Der rote Knirps lag und schnarchte wie ein Sägewerk, als die Heimkehrenden ihn in der Felsruine fanden. Merkwürdigerweise behauptete er dann mit aller Bestimmtheit, daß er vor etwa zwei Stunden in der Ferne ein Tier beobachtet habe, in dem er einen Löwen erkannt zu haben glaubte. – Seine Erzählung stieß bei [23] dem Ingenieur und bei Emil Kurz auf starken Zweifel. Mompo, von diesen beiden um seine Meinung befragt, erwiderte, er wolle einmal nach jener Richtung, wo das Tier sich gezeigt haben sollte, hinüberreiten und sich die Fährte des angeblichen Löwen ansehen. Er bestieg denn auch sofort sein prächtiges Dromedar, nachdem er dem Ingenieur seinen Karabiner übergeben hatte, und jagte davon.

Fritz Tümmler schaute ihm besorgt nach und meinte nach einer Weile: „Ich hätte ihm die Schußwaffe lassen sollen. Wenn er nun wirklich einem Löwen begegnet, dann …“

„Er hat ja noch seinen Revolver“, sagte der Knirps. „Und dann: sein Kamel gleicht dem Winde, der über die Wüste hinfegt!“

„Knirps ergeht sich in poetischen Vergleichen – Dunner noch eins!“ lachte der Hüne Kurz.

Aber Tümmler blieb ernst. Und wieder nach einer Weile erklärte er: „Habt Ihr nicht auch den Eindruck gewonnen, als wenn Ali Mompo vor uns irgendein Geheimnis hat? – Vorgestern nacht verließ er wieder heimlich unser Steinhäuschen und kehrte erst nach drei Stunden zurück. Ich glaube – ich glaube, – in unserer Schlucht dort drüben gibt es irgendein Geheimnis, dem er in aller Stille nachspürt.“

„Unsinn!“ brummte der kleine Dicke unhöflich. „Geheimnis …?! Wo soll dort ein Geheimnis wohl verborgen sein, – etwa zwischen den Steinblöcken und Disteln …?!“

Der Ingenieur schwieg und kletterte auf die Spitze der Naturruine, um von dort aus den Mischling besser mit den Augen verfolgen zu können. Doch Reiter und Tier waren soeben hinter einer Bodenwelle verschwunden und kamen nicht mehr zum Vorschein.

Minute reihte sich an Minute. Die Zeit verstrich. Stunden war es nun bereits her, seit Mompo die Gefährten verlassen hatte. Tümmler wurde immer unruhiger.

„Es ist fraglos etwas Schlimmes passiert“, sagte er dann. „Wir wollen doch mal …“

[24] Er schwieg, – denn der Hüne Kurz hatte plötzlich gerufen: „Dort – dort – das reiterlose Kamel unseres braunen Freundes …!“

Wirklich, das Dromedar war soeben aufgetaucht und hielt in langem Trab, die Stelzbeine tüchtig auswerfend, auf die Gefährten zu. Diese blickten sich stumm und vielsagend an. Sie kannten ja die Anhänglichkeit des Reittiers an seinen Herrn. Ohne besonderen Grund hatte das Reitdromedar Mompo sicherlich nicht im Stiche gelassen.

„Maulesel wollten wir fangen und einen braven Kameraden haben wir vielleicht für immer verloren!“ meinte Emil Kurz dumpf und ehrlich betrübt.

Als nun aber der Ingenieur das Dromedar besteigen und sich von Mompos Schicksal überzeugen wollte, widersprachen die beiden anderen aufs energischste.

„Du hast keine Ahnung von Löwenjagd!“ ereiferte sich der rote Knirps. „Kannst Du wissen, ob nicht ein ganzes Dutzend dieser Bestien dort drüben herumstrolcht …?! Ich wette 3000 Pfennig daß …“

„… daß Fritz Tümmler tut, was er für richtig hält!“ vollende der Ingenieur den Satz, schwang sich in den Sattel, schnalzte mit der Zunge und ritt davon. – –

Am Abend dieses Tages saßen zwei Einsame in bedrücktem Schweigen am lodernden Feuer vor ihrer Steinhütte. Es waren der Hüne und der rote Knirps.

Tümmler war von seinem Erkundungsritt ebenfalls nicht zurückgekehrt …




[25]
6. Kapitel.
Hinter dem Löwen her.

Auch diese Nacht verging. Die beiden Freunde und Kollegen hatten sich nicht zur Ruhe gelegt, sondern bis zum Morgengrauen gewacht, dabei mannhaft die Schlafsucht bekämpft und nur gelegentlich ein paar Worte gewechselt. Ihre Lage war verzweifelt. Sie besaßen als Waffe nur Tümmlers Dolch. Damit konnte man aber kein Wild erlegen. Also drohte ihnen der Hungertod. Nirgends gab es sonst etwas Eßbares, nirgends hier in dieser schauerlichen Einöde, die nur dann ihre Reize hatte, wenn man satt war und sich nicht mit Nahrungssorgen zu quälen brauchte.

Am Himmel erschien der erste helle Schimmer des heraufziehenden Tages. Das Feuer vor dem Eingang des Felsenhofes brannte nur noch ganz niedrig. Der rote Knirps war jetzt doch eingeschlafen und träumte wohl von der guten Verpflegung an Bord der „Dresden“; er lächelte im Traum … – Emil Kurz beneidete den Freund. Und er grübelte darüber nach, wie lange er wohl noch zu leben hätte … Menschen halten es ohne nahrhafte Kost vielleicht drei Wochen aus. Man konnte ja Gras kauen und damit den Magen füllen. Auch waren noch ein paar Stücke geröstetes Antilopenfleisch vorhanden … – Dann nickte auch der Hüne ein …

Die Sonne kletterte höher. Ihre Strahlen trafen bald [26] des roten Knirpses rundes Gesicht. Da erwachte er, rieb sich die Augen, seufzte bekümmert auf, erhob sich und ging leise in die Schlucht hinaus, wo er sich traurig nach allen Seiten umschaute. Er hatte gehofft, wenigstens das Reitkamel Mompos würde sich im Laufe der Nacht wieder eingefunden haben.

Nach einer Weile faßte er sich ein Herz und erstieg den Ostrand der Schlucht, um von dort einen Blick über die Wüste zu werfen. Mit einemmal, gerade als er den Kopf in der Richtung nach jener Felsenecke gedreht hatte, wo man die wilden Maulesel hatte überlisten wollen, stutzte er, beschattete mit der Hand die Augen und eilte nun hastig zurück nach dem Felsenhof. Hier weckte er den Hünen mit dem Alarmruf. „Sie kommen – sie kommen! Und sie haben fünf Maulesel, auch des braven Mompo Reitkamel bei sich …!“

Der lange, breitschultrige Kurz schnellte verschlafen empor, starrte den Knirps nun so verwirrt an, daß dieser laut auflachte.

„Mach’ ein anderes Gesicht, Kürze-Würze“, rief er. „Tatsächlich – ich habe sie gesehen! Ein Irrtum ist ausgeschlossen.“

Da rannte der Hüne spornstreichs davon. Der dicke keuchte hinter ihm drein. Nun war der Rand der Schlucht erklommen, nun erblickte auch Kurz die Gefährten und die Tiere.

Die merkwürdige Kavalkade war schon recht nahe gekommen. Ein sonderbares Bild bot sie dar. Die fünf wilden Maulesel waren mit Lassos von Antilopenhaut aneinander gebunden und stolperten mit hängenden Köpfen wie Schlaftrunkene vorwärts. Hinter ihnen schritten Tümmler und der Mischling drein und trieben sie mit Schlägen vorwärts, schwangen unaufhörlich ihre Lederleinen, die rücksichtslos die Beine der ungezähmten, kräftigen Maulesel trafen.

Der Hüne eilte den Gefährten entgegen. Aus der Nähe bemerkte er nun erst, daß den vierbeinigen, noch halb betäubten Steppenbewohnern auch die Vorderfüße kurz gefesselt waren und daß Ali Mompos Reitkamel gravitätisch einherschreitend den Zug beschloß.

[27] Was gab es jetzt nur für ein eifriges Hin und Her von Fragen und Antworten …! – Jedenfalls waren Tümmler und der Mischling bei bester Laune. – Das Rätsel von Mompos und Fritz Tümmlers Verschwinden fand folgende Aufklärung.

Der Somali hatte sehr bald eine seltsame Fährte im Sande entdeckt, die allerdings mit einer Löwenspur nur eine entfernte Ähnlichkeit hatte. Er war gerade abgestiegen, um die Eindrücke im Sande näher zu untersuchen, als zwischen zwei Hügeln plötzlich ein männlicher Löwe erschien, bei dessen Anblick das Reitkamel sofort in toller Angst kehrt gemacht hatte und geflohen war. Mompo, nur mit dem Revolver bewaffnet, glaubte sein letztes Stündlein nahe. Doch die mähnenumwallte Bestie schien keinen Appetit auf Mischlingsfleisch zu haben und verschwand langsam hinter den Sandhügeln. Etwas an den Bewegungen des Raubtieres fiel dem erfahrenen Mompo so sehr auf, daß er ihm ohne Furcht nachschlich, wenn auch in sehr respektvoller Entfernung. Die Bestie hielt sich stets in flachen Mulden, entzog sich so häufig Mompos Blicken und strebte in weitem Bogen nach Norden der Schlucht zu, in der die vier Opfer englischer Grausamkeit ein vorläufiges Heim gefunden hatten. Der Somali blieb dem Löwen auf den Fersen. Ihm war ein merkwürdiger Gedanke gekommen. Und darüber wollte er sich Klarheit verschaffen. So ging es denn Meile um Meile weiter in die Wüste hinein, stets in Bodensenkungen entlang. Deshalb hatten die drei anderen auch nichts mehr von dem Somali bemerkt. Schließlich war die Bestie dann auf felsigem Boden unweit des nördlichen Teiles der Schlucht dem hartnäckigen Verfolger ganz aus den Augen gekommen. Alles Suchen half Mompo nichts. Der Fels nahm keine Spuren auf. Und außerdem mußte der Somali auch recht vorsichtig sein, damit das Raubtier ihn nicht unvermutet hier zwischen Steinblöcken angriff.

Mittlerweile war die Dämmerung angebrochen. Da hatte Fritz Tümmler, der seinerseits wieder Mompos Spuren gefolgt war, diesen endlich erreicht. Sie hätten nun eigentlich die beiden bei der Naturruine Zurückgeblieben, um sie nicht in Angst und Sorge zu versetzen, [28] schleunigst aufsuchen müssen. Tümmler war es, der diese Rücksicht den Gefährten schuldig zu sein glaubte und zur Eile mahnte, zumal, wie er betonte, es ja nicht ausgeschlossen war, daß der Löwe auf einem abendlichen Streifzuge mit Bolz und Kurz zusammentraf und daß diese Begegnung für die beiden dann recht verhängnisvoll wurde.

Doch der Mischling schüttelte zu alledem mit einem rätselhaften Lächeln den Kopf und erklärte schließlich, der Löwe sei fraglos einst viel mit Menschen in Berührung gekommen und daher kaum als wildes Tier anzusehen.

Der Ingenieur hatte nach einer Weile, der Beweisführung Mompos zugestimmt und eingesehen, daß es sich um ein recht harmloses Geschöpf handele. – So waren sie denn nach der fernen Talsenke gewandert, um sofort alles für die Ankunft der Maulesel-Herde vorzubereiten, hatten dort die gefüllten Schläuche in den flachen Stein entleert, der als Wasserbehälter dienen sollte, sich nachher in genügender Entfernung versteckt und den Erfolg abgewartet, der auch ganz nach Wunsch eintrat, das heißt, fünf besonders durstige Maulesel sanken sehr bald durch den Absud des Schlafgrases betäubt zu Boden und kamen erst nach Stunden wieder zu sich. Ihr Transport gestaltete sich dann weniger schwierig, als Tümmler gefürchtet hatte. Auch jetzt waren die Tiere noch wie berauscht und boten ein halb klägliches, halb komisches Bild dar.




[29]
7. Kapitel.
Wie Ali Mompo den Löwen fing.

Die wilden Maulesel blieben gefesselt. Der Somali hoffte sie durch Hunger und Durst bald vollständig zu zähmen. – Während die Gefährten ihre vierbeinigen Gefangenen, die man in den Felsenhof geführt hatte, noch kritisch betrachteten, fragte der rote Knirps plötzlich den Somali folgendes, wodurch er wieder einmal bewies, daß in seinem wohlgenährten Körper zwar die Seele eines Angsthasen, gleichzeitig aber auch der Verstand eines listigen Fuchses wohnte:

„Über den Löwen weiß ich noch immer nicht genügend Bescheid, und Du, Freund Mompo, sollst mir nun ganz genau erklären: Was hat es mit diesem Tiere eigentlich auf sich? – Das, was ich bisher darüber erfahren, scheint mir absichtlich so geschildert zu sein, daß Kurz und ich nicht daraus klug werden sollen.“

Der Somali nickte. „Antwort wird Mompo heute abend geben. Auch gnädig Herr Inigör noch nichts wissen. Sehr zu lachende Sache mit diesem Löwen sein.“

Da Mompo und auch Tümmler sehr müde von der schlaflos verbrachten Nacht waren, hielten sie nun erst einmal ergiebige Mittagsruhe. Gegen 5 Uhr wurde der Mischling munter, sprang auf, weckte Tümmler durch einen lauten Zuruf und bedeutete dann den drei „gnädig Herrn“, daß er nichts anderes beabsichtige, als den Löwen lebendig zu fangen. Darob allseitiges Staunen. Der Knirps brummte etwas von „glatt übergeschnappt“ und fügte laut hinzu:

„Sie sind größenwahnsinnig, Herr Ali Mompo … Löwen lebendig fangen …! Lächerlich!“

Doch der Somali nickte ganz ernsthaft. „Löwe sein Lager hat im Süden der Schlucht. Ali Mompo nachts ihm heimlich nachspüren und alles auskundschaften. Jetzt gleich gehen wir; gleich! Löwe guten Abend sagen. Wird sagen zu Ali Mompo dann: „Guten Abend!“

Knirps lachte auf. „Unser brauner Freund ist vollständig [30] mente captus, wie man zu sagen pflegt. Na – ich trage meine Haut nicht so leichtsinnig zu Markte. Denke gar nicht daran mitzukommen. Geht nur allein und laßt Euch fressen!“ – Nachher, als die anderen aufbrachen, überlegte er sich’s jedoch und schloß sich, wenn auch schimpfend und brummend, dem Zuge an.

Mompo führte die weißen Gefährten in halbstündigem Marsch bis beinahe an die letzten Felsen, die den Übergang der Schlucht in die offene Wüste bildeten. Gerade diese Felsgruppe aber zeichnete sich durch eine überaus wildromantische Gestaltung aus. Vor einem schroffen, senkrecht stehenden Geröllstück, das wie die Giebelwand eines Hauses wirkte und oben in zwei Meter Höhe vom Erdboden eine fensterartige Öffnung hatte, machte der Somali halt, legte die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte mit seiner beneidenswert kräftigen Stimme:

„He – Sie, Herr Löwe, – herauskommen! Hier Gäste sein, die für Antilope danken wollen, die Sie geschossen.“

Nichts ereignete sich. – Der rote Knirps hielt sich vorsichtig ganz im Hintergrunde. Als Mompo etwa dieselben Worte nochmals, jetzt auf englisch, wiederholte, begann er zu murren. „Wenn die Bestie wirklich dort oben haust, so ist es …“

Weiter kam er nicht, denn in miserablem Englisch ließ sich jetzt von oben herab eine Stimme vernehmen:

„Wer hier bei mir ohne meine Erlaubnis eindringt, erhält eine Kugel!“

Die drei Deutschen waren starr vor Staunen. Zuerst faßte sich Tümmler, schaute den verstohlen lächelnden Mompo fragend an und rief dann zu der Felsöffnung nach oben:

„Zeigen Sie sich bitte! Vor Ihrem Schlupfwinkel stehen drei Europäer und ein Farbiger, die ein widriges Geschick hier festgehalten hat. Es wird Ihnen daher nichts geschehen. Wir sind keine Räuber, sondern ehrliche Deutsche!“

Eine Weile nichts. Dann im Tone ungläubigsten sich Wunderns: „Deutsche – wahrhaftig – Deutsche?“

Und nun erschien droben in der Öffnung eine [31] schlanke Gestalt, ein noch sehr jugendliches Gesicht. Der Fremde mochte vielleicht siebzehn Jahre alt sein, war ganz in Felle gehüllt und trug in der Rechten einen kurzen Stutzen. Seine hellen, blauen Augen glitten blitzschnell über die Gruppe unten hin. Der Blick war argwöhnisch, bewies, daß der junge Mensch sehr auf seiner Hut war. Dann öffnete er den Mund, und in tadellosem Deutsch mit leichtem Anklang an den bayerischen Dialekt sagte er:

„Erzählen Sie mir, was Sie hier in die Wüste geführt hat.“

Da wurde der Knirps lebendig, drängte sich vor und erwiderte mit seines Basses tiefsten Tönen:

„Ein Ballon lockte uns in dieses verwünschte Sandmeer … Wir befanden uns gerade …“

So berichtete er alles haarklein, was den drei Passagieren der „Dresden“ bisher begegnet war.

Als er damit zu Ende gekommen war, meinte der Jüngling droben mit strahlendem Gesicht. „Wie freue ich mich, hier Landsleute begrüßen zu können! Wenn ich dies alles nur früher gewußt hätte, dann hätte ich Ihnen gegenüber nicht so hartnäckig den Löwen gespielt. – Ja, staunen Sie nur! Ich selbst war der Löwe, der Ihnen zuerst den Besuch vor Ihrem Felsenhofe abgestattet und Ihnen die Antilope hingelegt hat, damit Sie nicht verhungerten. Ich hielt Sie für Verbrecher, denen die englische Polizei nachgesetzt hatte und die zur Strafe hier zurückgelassen waren. Trotzdem sollten Sie nicht Hungers sterben! Das wollte ich als unmenschlich nicht dulden.“

Mit gewandtem Satz sprang er nun auf den Boden herab und verbeugte sich mit großer Bescheidenheit vor den drei Landsleuten, die ihn sofort freudig umringten, ihm die Hand schüttelten und mit einer Unmenge Fragen bestürmten.

Der Jüngling hieß Paul Loring und war erst sechzehn Jahre alt, dabei aber körperlich und geistig weit über sein Alter hinaus entwickelt.

Was er hier in der einsamen Schlucht inmitten der Wüste fernab von allen Niederlassungen der Zivilisation trieb und warum er das Fell eines erlegten Löwen zu [32] dieser seltsamen Maskerade benutzt hatte, – das alles läßt sich im Rahmen dieser Erzählung nicht mehr schildern. Wir müssen unsere Leser auf das nächste Bändchen unserer Sammlung verweisen, in dem Paul Lorings merkwürdige Erlebnisse eingehend berichtet sind und zwar unter dem Titel: „Der Gespensterlöwe.“

Was aber unsere vier anderen Freunde, die Haupthelden dieser Geschichte, anbetrifft, so kann jeder wohl leicht erraten, daß sie in Gestalt der auf so eigentümliche Art und Weise gefangenen Maulesel Reittiere gefunden hatten, die sich später aufs beste bewährten und die es ihnen ermöglichten, ihren ursprünglichen Plan, die Befreiung des Bergingenieurs Ring und des Chemikers Wallner, wiederaufzunehmen. Kühnheit, Ausdauer und List führten auch hier zum Ziel. Und das, was die Aufschrift auf dem Ballon versprochen hatte, reichen Lohn für die Befreiung, traf wirklich ein. Der rote Knirps hatte jedenfalls alle Ursache, mit „dem“ Geschäft zufrieden zu sein.

Unsere lieben Leser werden in den nächsten Heften mit unseren Haupthelden Knirps, Kürze-Würze, Tümmler und Ali Mompo noch manch freudiges Wiedersehen feiern und noch reichlich Gelegenheit haben, sich über Knirpsens „Vorsicht ist der bessere Teil der Tapferkeit“ zu belustigen. – Auf vergnügte Begegnung also, Ihr lieben Freunde der „Einsamen Menschen“, – demnächst …!


Ende.


     Der nächste Band enthält:



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin S. 14.



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