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Autor: Eugen Korschelt
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Titel: Zoologie
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 186–208
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1330]
Zoologie
Von Dr. E. Korschelt, Geh. Reg. Rat, Professor der Zoologie u. Vergl. Anatomie an der Universität Marburg


Für die Bedeutung des Fortschrittes einer naturwissenschaftlichen Disziplin innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bieten sich mehr als in anderen Wissenschaften äußere Merkmale dar, die zwar nicht unbedingt, aber immerhin mit einer gewissen Sicherheit als Kennzeichen der fortschreitenden Entwicklung gelten können. Es liegt in der Natur der Sache, daß in den Naturwissenschaften die Methodik eine besonders wichtige Rolle spielt. Diese aber fordert die Verwendung mehr oder weniger komplizierter Instrumente, Apparate und sonstiger technischer Hilfsmittel, für deren sachgemäße Anwendung geeignete Räume zur Verfügung stehen müssen. So läßt sich der Fortschritt, welchen unsere Wissenschaft in den letzten 25 Jahren machte, bis zu einem gewissen Grade nach der Beschaffenheit der ihrem Forschungs- und Lehrbetrieb gewidmeten Anstalten beurteilen. In Betracht kommen dabei hauptsächlich die zoologischen Institute, Museen und Stationen mancherlei Art, sei es, daß sie rein wissenschaftlichen Zwecken und der Belehrung dienen, oder mehr praktische Aufgaben verfolgen, nebenbei wohl auch der Aufklärung weiterer Kreise gewidmet sind, in welcher Hinsicht diejenigen Anstalten bei denen dies in erster Linie der Fall ist, wie die zoologischen Gärten und Aquarien, nicht vergessen werden dürfen.

Zoologische Institute.

Zoologische Institute mit der Aufgabe, die wissenschaftliche Zoologie in Lehre und Forschung zu behandeln, bestanden schon seit vielen Jahren an den deutschen Universitäten. Vergleicht man aber diejenigen vor etwa 25 Jahren mit den heutigen, so macht sich fast ausnahmslos ein gewaltiger Unterschied geltend. Zumeist ist er schon äußerlich daran zu erkennen, daß die Institute aus kümmerlichen und beschränkten Räumen, die hauptsächlich der Aufbewahrung der Sammlungsobjekte, nicht selten mit starkem Überwiegen der ausgestopften Säugetiere und Vögel dienten, in stattliche Gebäude übersiedelten, deren weite und lichte Räume für die Abhaltung zoologisch-zootomischer, biologischer, mikroskopischer und embryologischer Lehrkurse, sowie für die Ausführung wissenschaftlicher Untersuchungen auf rein morphologischem, vergleichend anatomischem, entwicklungsgeschichtlichem, experimentellem, zytologischem, vererbungstheoretischem und biologischem Gebiet in geeigneter Weise hergerichtet wurden. Solcher nach der einen oder anderen Richtung mehr differenzierten und besser versorgten Institute erfreuen sich jetzt glücklicherweise die meisten preußischen und deutschen Universitäten, wie sie auch an einzelnen [1331] technischen Hochschulen außerhalb Preußens unter stärkerer Betonung der praktischen Bedürfnisse eingerichtet wurden. Entsprechend den höheren Anforderungen, welche die stetig fortschreitende Wissenschaft unter ständiger Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden und technischen Hilfsmittel an diese Institute stellte, wurde auch ihre Ausrüstung mit Instrumenten verschiedenster Art, allen möglichen für die Ausführung der betreffenden Arbeiten nötigen Apparaten und Nebenanlagen sowie literarischen Hilfsmitteln bedeutend vervollkommnet, ihre Dotation stark vergrößert und das Personal entsprechend der immer steigenden Benützung der Institute beträchtlich vermehrt. So sehen sich manche dieser Institute zu Beginn und am Ende des genannten Zeitraumes äußerlich wie innerlich kaum mehr ähnlich; ihre meist recht einfach, aber zweckentsprechend ausgestatteten Arbeitssäle sind dort, wo sich früher nur einzelne Jünger unserer zwar stets interessanten und daher allezeit anziehend wirkenden, aber bezüglich des weiteren Fortkommens nicht recht empfehlenswerten Wissenschaft einfanden, von Scharen wissensdurstiger und eifrig strebender Praktikanten belebt.

Wenn neben diesen zugleich der wissenschaftlichen Forschung und Lehrtätigkeit gewidmeten Instituten solche geschaffen werden sollen, welche wie das neu zu gründende biologische Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ausschließlich der Forschung bestimmt sind, so ist dies mit großer Freude zu begrüßen. Von den an ihnen wirkenden Gelehrten wird man erwarten dürfen, daß sie befreit von den häufig recht drückenden Fesseln amtlicher Verpflichtungen, welche zumal von den Leitern der Universitätsinstitute schmerzlich empfunden werden und sie bedauerlicherweise durch lange Zeiträume an zusammenhängender wissenschaftlicher Betätigung hindern, die biologische Forschung in besonders hervorragender Weise fördern und unsere Wissenschaft einer neuen Blütezeit in Deutschland entgegenführen werden.

Zoologische Museen.

Die zoologischen Museen stellen ihrer ganzen Bestimmung nach ein konstantes Element dar. Ihre Aufgaben sind keinem so starken Wechsel unterworfen, wie er sich für die Institute infolge ihrer bereits kurz gekennzeichneten Aufgaben aus dem Fortschreiten der Wissenschaft und ihren damit wechselnden Problemen ergibt. Nichtsdestoweniger sahen wir auch sie sich innerhalb jenes Zeitraumes bedeutend erweitern und ausbreiten. Abgesehen von ihrer wichtigen, nach außen aber weniger hervortretenden Betätigung auf systematischem, biologischem und tiergeographischem Gebiet, fanden die zoologischen Museen neuerdings noch weit mehr als früher eine nicht zu unterschätzende Aufgabe darin, weiteren Kreisen dadurch Belehrung zu schaffen, daß sie ihnen die Vertreter der Tierwelt in besonders anschaulicher und lehrreicher Weise darbieten. Unserer ganzen Zeitrichtung entsprechend überwiegt dabei das biologische Moment und wenn wir durch eines der größtenteils nach modernen Grundsätzen eingerichteten Museen von Berlin, Hamburg, Bremen, Frankfurt, Altona usw. wandern, so freuen wir uns der großen Wandlungen, die sich hier während der letzten Jahrzehnte in der Art der Darbietung und Aufstellung der Objekte nach der Richtung ergaben, die Tiere in ihrer Organisation und Entwicklung nicht nur, sondern auch besonders in ihrer Lebensweise, in dem Verhalten zu ihrer Umgebung, [1332] ihrer Verbreitung über die Erde, ihren Beziehungen unter sich und ihrer stammesgeschichtlichen Entstehung dem Beschauer verständlich zu machen. Alles dies sieht man in einer zuweilen fast überreichen Art der Aufstellung dargeboten und das immer mehr steigende Interesse, dem gewiß das Verständnis folgt, belohnt die sich hiermit beschäftigenden Zoologen für ihre aufopfernde Mühewaltung.

Zoologische Gärten und Tierparke.

Wenn von einem mit dem wachsenden Luxus unserer Zeit sich ebenfalls steigernden Glanz in der Darbietung und Ausstellung wissenschaftlicher Objekte die Rede ist, muß auch der zoologischen Gärten gedacht werden. Freilich sind sie gleichzeitig Veranstaltungen zur gesellschaftlichen Unterhaltung ihrer Besucher, aber man wird ihren belehrenden und erzieherischen Wert nicht unterschätzen dürfen. Bei dem auch in dieser Beziehung vorzüglich geleiteten Berliner Zoologischen Garten ist neuerdings unter Aufwendung großer Kosten ein Aquarium eingerichtet worden, welches bestimmt ist, das alte eingegangene Aquarium zu ersetzen, aber durch den Reichtum des Gebotenen offenbar weit über jenes hinausgeht. – Über den Wert, welchen eine Anlage wie der berühmte Hagenbecksche Tierpark in Stellingen bei Hamburg für die Tierbeobachtung hat, wird man sich zu einer Zeit, wo nicht wenigen dieser Tiere immer weiteres Zurückdrängen und allmähliche Vernichtung bevorsteht, nicht im Zweifel sein. In Verbindung damit seien auch die Naturschutzbestrebungen erwähnt, welche besonders im vergangenen Jahrzehnt auch bei uns in Deutschland großen Umfang angenommen haben und sich neben dem Schutz der Flora vor allem auch der Erhaltung der vom Untergang bedrohten Tierarten widmen. Naturschutzparke, wie das unter wohlwollender kaiserlicher Förderung und tatkräftiger Hilfe eingerichtete Schutzgebiet der Lüneburger Heide, werden diesem Zweck mit großem Nutzen dienen.

Zoologische Stationen.

Von besonders wichtiger Bedeutung für die zoologische Forschung haben sich die zoologischen Stationen erwiesen, deren erste deutsche zwar nicht innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches gelegen, aber von einem Deutschen gegründet und unter der Beihilfe hauptsächlich deutscher Gelehrter zu dem Weltruhm gelangt ist, welchen sich die Zoologische Station in Neapel, diese hervorragende Schöpfung Anton Dohrns, in den letzten Jahrzehnten mit Recht erwarb. Für die Beschaffung marinen Tiermaterials ausgezeichnet gelegen und zur Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten vorzüglich ausgestattet, ist sie die hohe Schule deutscher wie ausländischer Zoologen und sendet ihr wundervoll konserviertes Tiermaterial nach allen Weltgegenden, wo es nicht nur eine Hauptzierde der zoologischen Sammlungen in Museen und Instituten bildet, sondern vor allen Dingen auch den in der größeren heimatlichen Ruhe auszuführenden Untersuchungen dient.

Die während der Regierungszeit unseres Kaisers gelungene Erwerbung der Insel Helgoland brachte auch für die zoologische Wissenschaft eine höchst erfreuliche Bereicherung mit sich, nämlich die schon bald erfolgende Gründung der dortigen Biologischen [1333] Station. Nicht nur dadurch, daß auch sie Gelegenheit zur Beschäftigung mit den gerade an den Meerestieren in reicher Fülle sich darbietenden wissenschaftlichen Problemen bietet und den im Binnenland lebenden Zoologen Material für derartige Untersuchungen, sowie zur Bearbeitung beim zoologischen Unterricht liefert, sondern auch durch die Beschäftigung ihres verdienten Leiters und der übrigen ihr angehörigen Gelehrten mit jenen Problemen und ihrer Ausbeutung nach der mehr praktischen (auf Fischzucht und Fischfang bezüglichen) Seite, hat sie eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung der Zoologie in Deutschland erlangt.

Diesen beiden marinen Stationen hat sich neuerdings eine dritte biologische Meeresstation an die Seite gestellt, die aus bescheidenen Anfängen hervorgegangene, nämlich als Fangstation des Berliner Aquariums entstandene Zoologische Station in Rovigno (Istrien). Da sie jetzt unter die Obhut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft genommen ist und mit deren reichen Mitteln neu ausgestattet wird, haben wir damit schon ein drittes, seit der Regierungszeit unseres Kaisers begründetes, besonders wichtiges biologisches Institut zu nennen, welchem wie den anderen mittelbar oder unmittelbar die Pflege wissenschaftlicher Bestrebungen obliegt und welches sich gewiß als sehr bedeutungsvoll für unsere Wissenschaft erweisen wird, soweit dies nicht bereits geschah.

Während die genannten Meeresstationen in der Hauptsache wissenschaftliche Zwecke verfolgen, ist die Aufgabe einer Reihe anderer, ebenfalls im Lauf der letzten 2½ Jahrzehnte gegründeten Stationen an Landseen und im Binnenlande großenteils praktischen Zwecken gewidmet. Diese entweder selbständig bestehenden oder anderen Anstalten angegliederten Institute wollen die Verbreitung und Lebensweise der Süßwasser- und Landtiere im Hinblick auf ihre praktische Bedeutung für die Volkswirtschaft (Fischerei, Wein-und Obstbau, Forst- und Landwirtschaft, Bienenzucht u. a.) studieren. Es handelt sich darum, die Lebensbedingungen und die Entwicklung nützlicher und schädlicher Tiere kennen zu lernen, um je nachdem ihre Ausbreitung zu befördern oder einzuschränken. Besonders weit ist man damit, zumal im Vergleich mit anderen Ländern, besonders den Vereinigten Staaten von Nordamerika, bei uns noch nicht gekommen, aber wir dürfen von diesen Bestrebungen in Zukunft gewiß noch viel erwarten, um so mehr, je bessere Unterstützung sie von seiten der Regierungen erfahren. Um sie in systematische Bahnen zu leiten und nach Möglichkeit zu fördern, hat sich gerade jetzt eine größere Zahl deutscher Zoologen zur Gründung einer Gesellschaft für praktische Entomologie zusammengetan.

Deutsche Zoologische Gesellschaft.

Der Pflege der Zoologie und ihrer einzelnen Zweige gewidmete Gesellschaften hat es schon lange gegeben, zumeist handelt es sich bei ihnen um die Beschäftigung mit solchen Tiergruppen, die sich wie die Vögel, Insekten und Weichtiere von jeher allgemeiner Beliebtheit erfreuten, also um ornithologische, entomologische und konchyologische Gesellschaften. Wenn diese Gesellschaften eine weite Verbreitung erlangten und eine für die Förderung der Liebe zur Natur recht segensreiche Tätigkeit entfalten, aber auch in wissenschaftlicher Hinsicht innerhalb ihres beschränkteren Gebietes tüchtige Leistungen aufzuweisen haben, so setzte sich die im Jahr 1890 gegründete Deutsche [1334] Zoologische Gesellschaft vor allen Dingen zur Aufgabe, die wissenschaftliche Zoologie zu fördern. Dazu fand sie sofort nach ihrer Gründung Gelegenheit, indem sie in einer an den Kaiser gerichteten Immediateingabe unter eingehender Begründung um Errichtung einer zoologischen Station auf der vom Reich kurz vorher erworbenen Insel Helgoland nachsuchte. Daß dieser wohl von allen deutschen Zoologen geteilte Wunsch glücklicherweise schon bald Erfüllung fand, ergab sich bereits aus dem oben Mitgeteilten. Dem verheißungsvollen Anfang entsprach die weitere Entwicklung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, welcher bald die meisten deutschen Zoologen beitraten, um auf ihren alljährlich stattfindenden Versammlungen reiche wissenschaftliche Anregung zu empfangen. Wo es darauf ankam, zoologische Bestrebungen zu fördern, sei es durch die Klärung allgemein wichtiger Fragen, die Begründung von Stationen und anderen wissenschaftlichen Anstalten, durch die Unterstützung geplanter Expeditionen, von Naturschutzbestrebungen, Herausgabe größerer Werke usw. hat sich die Deutsche Zoologische Gesellschaft als solche wie durch ihre einzelnen Mitglieder stets auf das eifrigste beteiligt und diese Unternehmungen nach Möglichkeit gefördert.

Einfluß der Erwerbung von Kolonien.

Wenn wir im Vorstehenden an den sozusagen äußerlich wahrnehmbaren Merkmalen einen weitgehenden Aufschwung unserer Wissenschaft feststellen konnten, so wird man sich nicht verhehlen dürfen, daß eine derartige glänzende Fortentwicklung nur im Zusammenhang mit dem allgemeinen Aufstieg der Verhältnisse seit der Reichsgründung denkbar ist. Wie für die Pflege und Unterstützung der Wissenschaft im allgemeinen, ergaben sich für die Zoologie in verschiedener Hinsicht noch besondere Vorteile, wie z. B. aus der Erwerbung der Kolonien und der durch sie gebotenen Möglichkeiten der genaueren Durchforschung der Tierwelt größerer Gebiete in fernen Erdteilen. Nicht nur, daß die systematische Zoologie und Zoogeographie davon großen Gewinn hatten und ein reicher Zufluß neuer oder noch nicht vorhandener Tierformen in die Museen die Folge war, auch die Biologie zog großen Vorteil daraus. Konnte doch, nachdem einzelne Forscher in den verschiedenen Kolonien tätig gewesen waren, in Deutsch-Ostafrika schon vor einer Reihe von Jahren die Biologische Station Amani gegründet werden, an welcher stets eine Anzahl Forscher dauernd und vorübergehend mit Erfolg tätig ist. Andere solche Gründungen sind noch geplant und werden gewiß nicht auf sich warten lassen. Auch dann, wenn sie mehr nach der praktischen Seite und hauptsächlich auf die Förderung der einheimischen Kulturen gerichtet sind, bringen sie der Zoologie Nutzen genug. Dieser steht in enger Beziehung zu demjenigen für die betreffende Kolonie selbst. Denken wir nur an die Erforschung der Ursachen von Malaria und Schlafkrankheit, welche sich zum nicht geringen Teil unter tatkräftiger Mitwirkung deutscher Forscher innerhalb und außerhalb unserer eigenen Kolonien vollzogen hat; es sei nur an die Expedition Robert Kochs und seiner Mitarbeiter erinnert. Die Lösung der Frage nach den Erregern der Malaria, der Schlafkrankheit, des Rückfallfiebers und anderer besonders tropischer oder doch in wärmeren Klimaten grassierender Krankheiten, gehört ebenfalls zu den Triumphen der Zoologie in den letzten 25 Jahren, doch ist ihrer besser bei Erwähnung der großen Erfolge zu [1335] gedenken, welcher sich die Protozoologie innerhalb der genannten Zeitraums zu erfreuen hatte.

Zoologische Expeditionen.

Ebenfalls nur durch den großartigen Aufschwung aller Verhältnisse und den sich daraus ergebenden günstigen Stand der Finanzen wurden die vielerlei zoologischen Expeditionen ermöglicht, welche in den letzten Jahrzehnten von einzelnen Zoologen oder Gruppen von Gelehrten mit oder ohne Unterstützung der Regierungen unternommen wurden. Auf sie alle und auf die verschiedenartigen Forschungen einzugehen, welche die Zoologie durch sie erfuhr, kann hier nicht unsere Aufgabe sein, doch dürfen immerhin einige dieser mit größeren Mitteln ausgeführten, weit ausgedehnten Expeditionen nicht unerwähnt bleiben, da sie in besonders augenfälliger Weise den in der modernen Zoologie herrschenden Unternehmungsgeist erkennen lassen. Genannt sei die von Kieler Gelehrten, besonders von V. Hensen angeregte und geleitete Plankton-Expedition (1889), welche sich zum Studium der an der Meeresoberfläche verbreiteten Organismen quer über den Atlantischen Ozean erstreckte und deren reiche Ausbeute seither in einer Reihe stattlicher Bände niedergelegt wurde. Solche auch in praktischer Hinsicht, besonders für die Verbreitung der Fische und den Fischfang wichtige Expeditionen sind seitdem wiederholt ausgeführt worden und werden von der Helgoländer Station, wie von der Kieler Kommission für die Meeresuntersuchung regelmäßig in gewissen Zwischenräumen wiederholt. Diesen deutschen Unternehmungen gehen diejenigen anderer Länder parallel, welches internationale Zusammenwirken sich für die Behandlung dieser Probleme als ungemein förderlich erwiesen hat.

Einschaltend sei hier bemerkt, daß ähnliche erfolgreiche Bestrebungen auch bezüglich der Verbreitung der Süßwassertiere schon vor Jahren eingesetzt haben und in wissenschaftlicher wie praktischer Hinsicht mit zu den Hauptaufgaben der schon früher erwähnten biologischen Stationen des Binnenlandes gehören.

Als eine nach Plan, Ausführung und Ergebnis glänzende wissenschaftliche Expedition ist die in den Jahren 1898/99 von deutschen Forschern unter Leitung von Carl Chun (Leipzig) unternommene Deutsche Tiefsee-Expedition (Valdivia) zu bezeichnen. Sie ging zunächst in den Nordatlantischen Ozean, von da nach den Canaren und an die Westafrikanische Küste, durch den Südatlantischen Ozean nach Kapstadt, von hier zu den Bouvet-Inseln, ins Antarktische Meer, nach den Kerguelen, in den Südindischen Ozean, Sumatra, über die Nikobaren, Malediven und Seychellen nach Ostafrika, von da durch das Rote und Mittelländische Meer heimwärts. Eine reiche Fülle neuer Tierformen wurde auf diesem Wege zutage gefördert und durch ausgezeichnete Konservierung der wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich gemacht. Das an eine große Zahl bewährter Zoologen verteilte Material fand schon verhältnismäßig rasch seine Bearbeitung und zahlreiche bis jetzt erschienene, prachtvoll ausgestattete Bände des Tiefseewerks bezeugen die rastlose und erfolgreiche Arbeit der Expeditionsteilnehmer wie diejenige der Bearbeiter. Einzelheiten können hier nicht besprochen werden, doch sind die durch das Leben in der Tiefe stark beeinflußten, höchst abenteuerlich erscheinenden Formen der Tiefseefische und [1336] Cephalopoden mit ihren ebenfalls infolge dieser Lebensweise stark veränderten, merkwürdigen Sinnes- und Leuchtorganen durch allgemein verständliche Berichte allenthalben bekannt geworden. Überhaupt erfreute sich diese Expedition mit Recht einer weitgehenden Teilnahme, wie dies der große Leserkreis der lebendig geschriebenen und brillant ausgestatteten Reisebeschreibung Chun’s erkennen läßt. Man wird also sagen dürfen, daß die einstimmige Bewilligung dieser Expedition von seiten des Bundesrats und Reichstags nicht nur der Stimmung weiter Kreise Ausdruck gab, sondern vor allem auch ein Unternehmen förderte, welches der Wissenschaft im allgemeinen und der Zoologie im besondern zu großem Nutzen gereichte.

Die genannten und eine Reihe anderer Expeditionen haben sich besonders auch um die Kenntnis von der Verbreitung der Tierformen auf der Erde (Zoogeographie) verdient gemacht, die dadurch zumal hinsichtlich der Verteilung der Tiere im Meer, aber auch in bezug auf die Tierprovinzen des Landes neue Gesichtspunkte erlangte. Für die Beurteilung der Verbreitung der Meerestiere und ihr Vordringen in die Tiefe erwiesen sich besonders die im Lauf der letzten Jahrzehnte konstruierten Fangapparate äußerst vorteilhaft, da sie die Tiere nicht nur in verhältnismäßig gutem Erhaltungszustand zu fangen gestatten, sondern auch die Region, in der dies geschah, mit ziemlicher Sicherheit erkennen lassen.




Zoologische Literatur.

Versucht man, wie es vorher geschah, den Fortschritt einer Wissenschaft zunächst nach mehr äußeren Merkmalen zu beurteilen, so zeigt sich in dieser Hinsicht auch die in ihrem Gebiet produzierte Literatur als ein zwar längst nicht ausreichender, aber immerhin in betracht zu ziehender Gradmesser. Es ist nun allerdings ganz unmöglich, die in den letztvergangenen Jahrzehnten fast unheimlich angewachsene zoologische Literatur bei dem hier zur Verfügung stehenden beschränkten Raum auch nur einigermaßen zu charakterisieren und den Einzelerscheinungen oder gar der in den äußerst zahlreichen Gesellschaftsschriften und Fachzeitschriften der allgemeinen, systematischen und experimentellen Zoologie, Anatomie, mikroskopischen Anatomie, Physiologie, Biologie, Zytologie, Entwicklungsgeschichte, Ornithologie, Entomologie, Konchyologie, Protozoologie usw. auch nur im entferntesten gerecht zu werden. Den Überblick über den ungeheuren Stoff dessen, was innerhalb der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und praktischen Zoologie geleistet wurde, erleichtern die in diesem Zeitraum erschienenen Sammelwerke, Hand- und Lehrbücher; aber auch ihre Zahl ist viel zu groß, um sie einzeln aufzuführen, nur einige besonders in die Augen fallende und bewährte seien genannt. Neben den in den letzten Jahrzehnten erschienenen und stark verbreiteten Lehrbüchern der Zoologie von Claus-Grobben und R. Hertwig, sind die der vergleichenden Anatomie von Gegenbaur und Wiedersheim (Wirbeltiere) und diejenigen von O. Bütschli und A. Lang (Wirbellose) zu nennen. Für die systematische Zoologie ist das bekannte Lehrbuch von Leunis-Ludwig mit Vorteil zu benützen und erfreut sich daher großer Beliebtheit, für die praktischen Bedürfnisse sorgen das sehr verbreitete kleinere Praktikum von Kükenthal, sowie die umfangreicheren Werte von Vogt und Yung, C. C. Schneider, [1337] Schuberg, Lee und Mayer, Krause, dem die kürzer gefaßten Bücher von Hatschek-Cori und Stöhr anzufügen wären; von anderen anatomischen, mikroskopisch anatomischen und histologischen Lehrbüchern wie Atlanten kann hier nicht gesprochen werden. Von Lehrbüchern der Entwicklungsgeschichte hat sich das von O. Hertwig eine große Verbreitung zu verschaffen gewußt und ist in den Händen sehr vieler Studierender, was auch für die Bücher von O. Schultze (Kölliker) und Bonnet gilt. Diese Bücher wie das von H. E. Ziegler behandeln fast ausschließlich die Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere, während das umfangreiche Werk von Korschelt und Heider hauptsächlich (zumal in seinem speziellen Teil) der Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Tiere gewidmet ist. Von neueren Lehr- und Handbüchern seien die über Allgemeine Biologie und Zellenlehre von O. Hertwig und M. Heidenhain, das der Protozoenkunde von Doflein, Verworns Lehrbuch der allgemeinen und vergleichenden Physiologie, Przibrams Experimental-Zoologie, Tierbau und Tierleben von R. Hesse, das von C. Schröder herausgegebene Handbuch der Entomologie sowie das Handbuch der Physiologie von Winterstein erwähnt. Die letztgenannten sind Sammelwerke wie dasjenige der Entwicklungsgeschichte von O. Hertwig, an welchem eine ganze Reihe namhafter Gelehrter beteiligt ist. Das gleiche gilt für das Handbuch der pathogenen Protozoen von Prowazek, wie für die Handbücher der pathogenen Mikroorganismen von Kolle-Wassermann und der Tropenkrankheiten von Mense. Von verschiedenen Gelehrten wird auch die im Erscheinen begriffene neue Auflage von Brehms Tierleben bearbeitet, die sich wie die früheren Auflagen durch ebenso große Vollständigkeit und Allgemeinverständlichkeit des Textes, wie lebendige Darstellung und ganz vorzügliche Ausstattung mit Bildern auszeichnet.

Als monumentale Werke der deutschen Zoologie sind vor allen Dingen Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, sowie die unter Leitung von F. E. Schulze hauptsächlich mit Unterstützung der Berliner Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Werke: das Tierreich und der Nomenclator animalium generum et subgenerum zu nennen, beide dafür bestimmt, in die große Menge der allmählich bekannt gewordenen Tierarten und ihre Namengebung Ordnung zu bringen.

Übersichtliche Bearbeitungen von der Hand namhafter Gelehrter enthalten auch die großen im Erscheinen begriffenen vielbändigen Werke: Kultur der Gegenwart und das Handwörterbuch der Naturwissenschaften, von denen das erstere ein schon aus dem Titel ersichtliches weitergehendes Programm hat, während das andere außer der Zoologie noch die anderen Zweige der Naturwissenschaften umfaßt.

Für die Charakterisierung des hier zu behandelnden Zeitabschnittes nicht unwesentlich dürfte auch die Neugründung einer ganzen Anzahl zoologischer oder ihnen nahestehender Zeitschriften sein. Dem nicht lange vorher begründeten Zoologischen Anzeiger (1877) und Biologischem Zentralblatt (1881) folgte bald die Gründung des Anatomischen Anzeigers (1886), der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie (1884), des Physiologischen Zentralblatts (1887), der Zoologischen Jahrbücher (gegründet von W. Spengel 1886), Zentralblatts für Bakteriologie und Parasitenkunde (1887), der Verhandlungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (1891), des Archivs für Entwicklungmechanik [1338] (gegründet von W. Roux 1894), des Zoologischen Zentralblatts (gegründet von Bütschli, Hatschek und Schuberg 1894), des Archivs für Protistenkunde (gegründet von Schaudinn 1902), der Merkel-Bonnetschen Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte (1892), der Zeitschrift für allgemeine Physiologie (gegründet von Verworn 1902), der Zoologischen Ergebnisse Spengels (1909) und anderer Zeit- und Gesellschaftsschriften mehr, die hier nicht alle namhaft gemacht werden können. Überhaupt kann diese Aufzählung von Erscheinungen der zoologischen Literatur schon deshalb keinen Anspruch darauf machen, irgendwie Erschöpfendes zu bieten, weil manches einzeln erschienene Buch die zoologische Wissenschaft unter Umständen mehr gefördert und vorwärtsgebracht hat, als manches der vorstehend genannten Sammelwerke.

Mißlich ist es auch, die Wissenschaft oder einen Wissenschaftszweig innerhalb eines Landes für sich und unabhängig von den entsprechenden wissenschaftlichen Bestrebungen anderer Länder zu betrachten, denn sie lassen sich kaum voneinander trennen, sondern greifen mit tausend Fäden ineinander über. Die Wissenschaft ist international und die Verdienste, welche sich die Vertreter der Wissenschaft eines bestimmten Landes um diese erwarben, werden zwar unter gewissen Umständen klar zutage liegen können, im allgemeinen aber wird dies nicht der Fall sein, sondern der Anteil der Forscher verschiedener Länder an der Fortentwicklung der Wissenschaft wird sich häufig nur unter großen Schwierigkeiten oder überhaupt nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Dies gilt wie für die vorstehenden so in noch höherem Maße für die nachfolgenden Darlegungen.




Hervortreten einzelner Wissenszweige.

Will man den Fortschritt einer Wissenschaft innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes festzustellen suchen, so wird sich dies kaum auf die Weise durchführen lassen, daß man sie in ihrer Gesamtheit überblickt, sondern man wird entsprechend dem Gang, welchen die Wissenschaft genommen hat, einzelne ihrer Zweige herausgreifen müssen. Es liegt in der Natur der Sache, daß je nach dem Stand der gewonnenen Kenntnisse gewisse Probleme und Problemgruppen in den Vordergrund, andere aber mehr zurücktreten, oder daß die Fragestellungen auf Grund des angehäuften Tatsachenmaterials nach bestimmten Richtungen schärfere werden und allgemeineres Interesse erregen, als dies auf anderen Gebieten der betreffenden Wissenschaft der Fall ist. Nach Beispielen für ein derartiges, recht verschiedene Gebiete bevorzugendes Fortschreiten der Wissenschaft brauchen wir auch in der Zoologie nicht lange zu suchen.

Systematik, Morphologie, Vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte.

Längere Zeit bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts und noch weiter hinaus bestand unter den zoologischen Forschern ein großes Interesse für systematische Zoologie. Es galt die Fülle neu aufgefundener Tierformen zu beschreiben und in das System einzuordnen, wobei sich begreiflicherweise für die Zusammengehörigkeit und Verwandtschaftsverhältnisse dieser und der Tiere im allgemeinen viele neue und bemerkenswerte [1339] Tatsachen ergeben. Gewiß wird ein solches durch die Morphologie, Vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte unterstütztes Studium der Tiere dauernd stattfinden müssen und stets notwendig sein, um so mehr als unsere Kenntnis der Tierformen durch die Tätigkeit in den genannten Wissenszweigen einem steten Wechsel und einer steigenden Vervollkommnung unterworfen ist. Untersuchungen auf systematischem Gebiet sind also ganz unentbehrlich und ungemein schätzenswert, was aber nicht verhindert, daß man ihnen zu unserer Zeit längst nicht mehr das gleiche Interesse wie früher entgegenbringt, wenn dieses auch durch Funde eigenartiger Tierformen, wie sie uns durch Expeditionen nach unerforschten Ländern oder aus der Tiefe des Weltmeers zugänglich wurden, gelegentlich wieder auflebt; es sei nur an das im Jahre 1900 am Kongo entdeckte giraffenähnliche Okapi oder an die höchst abenteuerlich gestalteten Tiefseefische und andere Tiefseetiere erinnert, wie sie die marinen Expeditionen in größerer Zahl und verschiedener Form kennen lehrten.

Derartige besonders in die Augen fallende Entdeckungen wie die Tatsache des Eierlegens bei Säugetieren (Monotremen-Kloakentieren), das Auftreten einer Plazenta bei Beuteltieren oder andere hier nicht besonders namhaft zu machende Funde auf dem Gebiet der Vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte rufen gelegentlich das Interesse in etwas höherem Maße wieder wach, als es für diese Wissenszweige augenblicklich vorhanden ist. Freilich möchten wir in dieser Beziehung nicht falsch verstanden und etwa einer Geringschätzung der systematisch-morphologischen und entwicklungsgeschichtlichen Richtung schuldig befunden werden. Im Gegenteil liegt uns daran, zu betonen, daß gerade auch in dieser Hinsicht die moderne Zoologie durch fortgesetzte, unermüdliche Arbeit Ausgezeichnetes geleistet und die Kenntnis der tierischen Organisation andauernd gefördert hat. Ohne diese Arbeitsleistung würden übrigens viele der im folgenden zu charakterisierenden Erkenntnisse kaum erreichbar gewesen sein.

Wie es hier ganz unmöglich ist, den Errungenschaften der Systematik, Vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte auch nur einigermaßen gerecht zu werden, so gilt dies in ähnlicher Weise für die mehr oder weniger mit jenen zusammenfallenden Ergebnisse in den einzelnen Abteilungen des Tierreichs.

Protozoologie.

Eines dieser Gebiete muß jedoch herausgegriffen werden, weil die auf ihm gemachten Fortschritte besonders große sind und die gewonnenen Resultate sich als von sehr weittragender Bedeutung erwiesen. Das ist die allmählich zu einem eigenen Zweig unserer Wissenschaft gewordene Protozoologie, die Lehre von den einzelligen Tieren. Für sie war begreiflicherweise der noch zu erwähnende Aufschwung der Zellenforschung von sehr eingreifender und fördernder Bedeutung. Nicht nur ihr Bau im allgemeinen, sondern auch derjenige ihrer Kerne und vor allem deren Verhalten bei der Fortpflanzung konnte jetzt genauer studiert und einem besseren Verständnis entgegengeführt werden; es sei nur an die hervorragenden Untersuchungen von Bütschli, R. Hertwig und Schaudinn erinnert, um die Namen einiger besonders hervorgetretener moderner deutscher Zoologen zu nennen. Aber nicht nur die Kenntnis der Protozoen selbst und damit diejenige der Zellorganisation und [1340] ihrer Lebensvorgänge wurde durch diese Studien in bewundernswerter Weise gefördert, sondern die moderne Protozoenforschung erzielte außerdem glänzende Resultate auf praktischem Gebiet, indem sie als die Ursache einiger geradezu verheerend auftretender Krankheiten Protozoen erkannte und infolgedessen Maßregeln für die Verhinderung oder doch Einschränkung dieser Krankheiten getroffen werden konnten. Wir nennen von ihnen vor allen Dingen die durch Hämosporidien hervorgerufene Malaria und die für ihre Bekämpfung unschätzbare Erkenntnis der Übertragung ihrer Blutparasiten durch Mücken. Wie außerordentlich die Entdeckung des Entwicklungsgangs der Malariaparasiten das Zurückdrängen dieser für viele Gegenden verhängnisvollen Krankheit erleichtert hat, braucht kaum noch besonders erwähnt zu werden. Wenn man auch bei der ebenfalls durch Blutparasiten (Trypanosomen) hervorgerufenen und durch Fliegen übertragenen Schlafkrankheit infolge der in den betreffenden Ländern bestehenden großen Schwierigkeiten noch nicht soweit gekommen ist, so dürfen ähnliche günstige Ergebnisse doch mit Sicherheit in absehbarer Zeit erwartet werden. Zu den durch Protisten hervorgerufenen Erkrankungen gehören außer verschiedenen anderen der Rückfalltyphus und die Syphilis, und auch bei ihnen hat die Erkenntnis ihrer Ursachen auf die Förderung ihrer Bekämpfungs- und Heilungsmethoden äußerst günstig eingewirkt. So erwies sich das Zusammenwirken der modernen Zoologie mit der Medizin auf diesen Gebieten als ungemein segensreich.




Deszendenztheorie.

Wenn vorher davon die Rede war, daß gewisse Zweige unserer Wissenschaft, obwohl sie an und für sich von großer Bedeutung sind, zurzeit weniger im Vordergrunde stehen, so erlangten doch andererseits gerade diese Gebiete seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine besondere Wichtigkeit durch die Probleme, welche ihnen die Deszendenztheorie stellte, um eine Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere herbeizuführen und ihre Abstammung nach Möglichkeit festzulegen. Phylogenetische Spekulationen mehr oder weniger begründeter Natur spielten damals eine wichtige Rolle und wirkten höchst anregend auf die vergleichend-anatomische und entwicklungsgeschichtliche Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis auf unsere Tage ein. Auch darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß sie die wichtige Frage nach dem Ursprung des Menschengeschlechtes stark beeinflußten und die aufsehenerregenden Funde vorgeschichtlicher Menschenreste den von ihr angeregten Bestrebungen mit zu verdanken waren. Wir denken an die Auffindung fossiler Hominiden, wie sie in der neueren Zeit in recht verschiedenen Gebieten gemacht wurden und zu weitgehendsten Schlüssen Veranlassung gaben, den Pithecanthropus erectus von Java, den Homo heidelbergensis von Mauer bei Heidelberg, die menschlichen Reste aus den Höhlen von Spy, Krapina, Le Moustier und La Chapelle-aux-Saints, zu denen noch andere mannigfache und viel umstrittene Funde menschlicher Skeletteile aus prähistorischer Zeit hinzukommen. An der Auffindung, Beschreibung und Deutung dieser Funde haben deutsche Forscher in hervorragender Weise teilgenommen und dürften nichts dagegen einzuwenden haben, wenn unter etwas weiterer Fassung des zoologischen Wissensgebietes dieser Tatsachen auch hier Erwähnung getan wird.

[1341] Wenn auch die Deszendenztheorie zu unserer Zeit nicht mehr die gleiche beherrschende Stellung in der Zoologie einnimmt wie vor einigen Jahrzehnten, so braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß eine Lehre, die wie selten eine andere in hohem Maße befruchtend und fördernd auf die Entwicklung weiter Wissenskreise eingewirkt hat, alsbald versagen würde, auch wenn sie in einzelnen ihrer Lehrsätze stark angefochten und in ihren Fundamenten zu erschüttern gesucht wird, wie dies in letzter Zeit von mancher Seite geschah. Die Abstammungs- und Entwicklungslehre selbst ist jedenfalls viel zu fest begründet, als daß sie darunter einen wesentlichen Schaden leiden sollte.

Veränderlichkeit der Art, Variation, Mutation.

Von großem allgemeinen Interesse sind gewisse mit diesen Fragen im Zusammenhang stehende Bestrebungen der letzten Jahrzehnte. In der Selektionstheorie spielt die Veränderlichkeit der Art eine wichtige Rolle und bei den Versuchen, die Ursachen zu ergründen, auf denen sie beruht, kam man dazu, gewisse Beobachtungen, die auch Darwin bereits bekannt waren, weiter zu verfolgen und eingehender zu untersuchen. Im allgemeinen scheint die Veränderlichkeit einer Tier- oder Pflanzenart auf unbedeutenden Verschiedenheiten ihrer Merkmale zu beruhen, welche aber durch die fortgesetzte Vererbung verstärkt zu einer allmählichen Abänderung der Art führen können. Demgegenüber legte man neuerdings auf die auch schon von Darwin und anderen behandelte sogenannte sprungweise Variation ein größeres Gewicht, bei welcher unvermittelt starke Verschiedenheiten auftreten und weiter vererbt werden. Derartige plötzlich erscheinende, nicht die unbedeutenden („oszillierenden“ oder „fluktuierenden“) Variationen sollten zur Bildung neuer Arten führen. Diese in besonders energischer Weise von De Vries vertretene, in seiner „Mutationstheorie“ ausgebaute und eingehend begründete Anschauung hat viel Anklang, aber auch manchen Widerspruch gefunden.

Die Frage, ob Mutation oder fluktuierende Variation bei der Artbildung die Hauptrolle spielt, tritt bei den durch längere Zeiträume an verschiedenen Pflanzen und Tierarten fortgeführten Variations- und Vererbungsversuchen immer wieder hervor. Diese interessanten und wichtigen Versuche wurden unter genauer Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der betreffenden Organismen ausgeführt und bei ihrer Beurteilung gelangten die variationsstatistischen Methoden zur Verwendung, was ihnen einen besonderen Wert verleiht. Die Forscher, welche sich nach dieser Richtung besondere Verdienste erwarben, können ebensowenig wie bei den vorhergehenden Ausführungen namhaft gemacht werden, doch sei hier wie in Beziehung auf das Folgende immerhin an die Namen von Galton, Quetelet, Pearson, Johannsen, Bateson, Davenport erinnert.

Abändern der Art auf experimentellem Wege.

Wenn von Variabilität die Rede ist, dürfen auch die wichtigen Versuche nicht unerwähnt bleiben, welche nach dieser Richtung ebenfalls an verschiedenen Tierarten angestellt wurden. Aus Weismanns Studien zur Deszendenztheorie ist schon längst bekannt, daß man gewisse Schmetterlingsarten (z. B. das sogenannte Landkärtchen, Vanessa [1342] levana) durch Einwirkung niederer Temperatur auf ihr Puppenstadium in eine anders gefärbte Variation (Vanessa prorsa) umwandeln kann, was in diesem Fall allerdings einem Rückschlag auf die Stammform entsprechen dürfte. Ähnliche Versuche, durch Einwirken veränderter Lebensbedingungen (Erniedern oder Erhöhen der Temperatur) die Ausbildung der Art zu beeinflussen, sind auch an anderen Tagschmetterlingen, Spinnern und Spannern, mit Erfolg vorgenommen worden und führten sogar zur Vererbung der auf diese Weise hervorgerufenen Eigenschaften (Standfuß, A. Fischer, C. Schröder). Daß die Tiere und besonders die Insekten derartigen Beeinflussungen zugänglich sind, zeigt das (nach den Versuchen von W. Tower) recht bekannt gewordene Verhalten des Koloradokäfers, dessen Puppen in früherem Entwicklungsstand ebenfalls durch Temperaturerhöhung und Erniedrigung, sowie durch Regulieren des Feuchtigkeitsgehaltes der umgebenden Luft zum Ändern der Färbung des Käfers veranlaßt werden können.

In dieses Gebiet gehören auch die an Daphniden angestellten Versuche Wolterecks, bei denen diese kleinen sogenannten „Wasserflöhe“ durch das Übertragen in andere Umgebung, also durch Einwirken der äußeren Lebensbedingungen nicht nur ihre Gestalt in gewissen Merkmalen änderten, sondern auch diese veränderten Merkmale beibehielten, wenn sie in die frühere Umgebung zurückgebracht wurden.

In ähnlicher und besonders sinnreicher Weise konnte man bei Amphibien gewisse Änderungen der Arteigentümlichkeiten hervorrufen, wie dies besonders die neueren Versuche von P. Kammerer gelehrt haben. Der im wasserarmen Hochgebirge zur Viviparität genötigte schwarze Alpensalamander, Salamandra atra, kann durch geeignete Behandlung in feuchter Atmosphäre veranlaßt werden, anstatt der beiden ganz ausgebildeten Jungen eine größere Zahl gefleckter mit Kiemen und Ruderschwanz versehener Larven hervorzubringen. Umgekehrt wurde der gewöhnlich in feuchter Umgebung lebende gefleckte Feuersalamander (Salamandra maculosa) durch Wasserentziehung dazu gebracht, anstatt der großen Zahl kiementragender Larven nur wenige, bei längerem Gewöhnen nur bis zwei Larven hervorzubringen, die als ganz ausgebildete (Vollmolche) geboren werden. Die beiden Molcharten werden also auf experimentellem Wege einander in ihren Eigenschaften näher gebracht; es wird eine Änderung gewisser Artmerkmale erzielt, die in den folgenden Generationen einer Steigerung fähig, also vererblich ist und erhalten bleibt.

Ähnliche Ergebnisse wurden durch Kammerers Versuche an der Geburtshelferkröte erzielt, die durch Einwirkung höherer Temperatur in der Art ihrer Eiablage wesentlich beeinflußt werden konnte, wie dies auch bei der Bergeidechse der Fall war, welche durch Anwendung erhöhter Temperatur zum Eierlegen genötigt werden kann, während sie für gewöhnlich lebendige Junge hervorbringt.

Vererbungslehre.

Damit gelangten wir schon längst in das Gebiet der Vererbungslehre, die zurzeit wie in den vergangenen Jahrzehnten eifrigst gepflegt wird und nach verschiedenen Richtungen zu sehr bemerkenswerten Resultaten führte. Diesen Ergebnissen innerhalb des hier zur Verfügung stehenden [1343] Raumes auch nur einigermaßen gerecht zu werden, ist bei der Eigenart des Stoffes, sowie bei der Fülle der zu behandelnden Tatsachen und den vielseitigen Deutungen, welche sie erfahren, ganz unmöglich; so kann nur kurz versucht werden, das Wesentliche anzudeuten.

Zellenlehre.

Die Grundlage der modernen Vererbungslehre bildet die im Lauf der letzt vergangenen Jahrzehnte außerordentlich geförderte Kenntnis des feinen Baus der Zelle und der sich in ihr abspielenden Vorgänge. Durch eine weitgehende Verbesserung der optischen Hilfsmittel wurde es ermöglicht, die Zellstrukturen während der verschiedenen Phasen des Zellenlebens bis ins kleinste hinein festzustellen, wobei sich besonders der Verlauf der Zellteilung als ein sehr komplizierter und bis in die feinsten Details geregelter Vorgang erwies. Die genaue Kenntnis der Zellstrukturen und der sich in den verschiedenen Phasen vollziehenden Veränderungen ist aber für die Beurteilung der Lebensvorgänge in der Zelle sehr bedeutungsvoll, schon deshalb, weil die Zellen die Elementarbestandteile der Organismen darstellen, an welche deren Lebensvorgänge selbst in letzter Instanz gebunden sind. Die Zellenlehre (Zytologie) ist daher ein außerordentlich wichtiges Gebiet und begreiflicherweise hat sich, wie schon vorher, so auch in dem hier zu behandelnden Zeitraum eine sehr große Zahl von Forschern damit beschäftigt, es sei nur an die Namen von Leydig, Bütschli, O. und R. Hertwig, Rabl, Boveri erinnert, denen sich viele andere neuere Forscher anschließen. Außer den Schriften Boveris und der übrigen genannten Forscher bieten die zusammenfassenden Werke von O. Hertwig (Allgemeine Biologie), sowie M. Heidenhain und Gurwitsch (Zellenlehre) gute Gelegenheit, sich über den derzeitigen Stand der Zellenforschung zu unterrichten.

Eireifung, Befruchtung und Vererbung.

Auf den von der Zellenforschung bis dahin erzielten Ergebnissen fußend, wandte man sich dem Studium derjenigen Vorgänge zu, welche sich vor, während und nach dem Befruchtungsvorgang am Ei abspielen. Hier war es besonders die Ei- und Samenreifung, welche das Interesse der Forscher erregten und nebst den Befruchtungserscheinungen während der letzten 20–30 Jahre eine enorme Literatur hervorriefen. Die Zahl der Objekte, für welche man diese merkwürdigen Vorgänge nachwies, vergrößerte sich immer mehr und es stellte sich dabei heraus, daß sie sich auch bei den einzelnen Tieren zwar in verschiedener Weise, aber stets in großer Regelmäßigkeit und nach bestimmten Gesetzen vollziehen. Wenn man diese Vorgänge immer wieder studierte und sozusagen bis zu den letzten Konsequenzen verfolgte, so geschah dies weniger deshalb, um sie selbst kennen zu lernen, sondern wegen ihrer nahen Beziehung zur Vererbungslehre. Wenn die Eigenschaften von den Eltern auf die Nachkommen vererbt werden, so kann das eben nur durch Vermittlung der Keimzellen geschehen. Diese sind aber an Umfang und Masse sehr verschieden; das Ei ist gewöhnlich außerordentlich viel größer als das Spermatozoon. So lag es nahe, die vererblichen Eigenschaften nur in einem Teil der beiden sich bei der Befruchtung verewigenden Keimzellen und zwar in ihren Kernen zu suchen. Diese zeigen sich beim Vollzug des Befruchtungsvorganges ungefähr von gleicher Größe und das gilt noch mehr für [1344] die in ihnen enthaltenen Kernschleifen (Chromosomen). In letzteren die Vererbungsträger zu suchen, erschien daher als das Gegebene und deshalb erregten die Umwandlungen, welche sie vor, während und nach dem Befruchtungsvorgang erfuhren, so außerordentlich weitgehendes Interesse. Der Nachdruck lag dabei auf der Reduktionsfrage, d. h. darauf, wie bei der Ei- und Samenreifung, bei welcher eine Reduktion der Kernschleifen an Zahl und Masse erfolgt, die Abgabe vererblicher Eigenschaften und ihre Verteilung auf die Nachkommen vor sich geht. Hier hat die Determinantenlehre Weismanns und seiner Mitarbeiter eine besonders wichtige Rolle gespielt. Nach seiner in der Theorie des Keimplasmas bis ins Einzelne ausgearbeiteten und mit großer Energie verfochtenen Anschauung wären die Vererblichkeitsträger in den Chromosomen niedergelegt und durch die Art des Reduktionsverlaufs würde ihre Verteilung auf die Nachkommen bewerkstelligt. Ungemein feine nur durch die hohe Vervollkommnung der mikroskopischen (Konservierungs- und Färbungs)-Methoden ermöglichte Untersuchungen übertrugen jene Spekulationen auf die einzelnen Tierformen und je nach ihren Resultaten ergab sich ein Für und Wider hinsichtlich der Übertragungsweise der vererblichen Eigenschaften oder der Gültigkeit jener Theorien überhaupt.

Besonders interessant gestaltete sich der Widerstreit der Meinungen, als mit dem Wiederaufleben des Mendelschen Vererbungsgesetzes ein neues, besonders fruchtbares Moment in den Kreis der Beobachtungen, Versuche und Spekulationen über das Vererbungsproblem eintrat. Nach Mendels an Pflanzen gewonnenem und später an einer größeren Zahl von Pflanzen und Tierarten bestätigtem Vererbungsgesetz erfolgt die Übertragung des Merkmals von den Eltern auf die Nachkommen in einer ganz bestimmten, zahlenmäßig festzustellenden Weise. Bei einem Vergleich der durch Züchtung erhaltenen Ergebnisse mit den bei der Eireifung und Befruchtung aufgefundenen Tatsachen ergab sich nun eine gewisse Übereinstimmung und die schon früher auf theoretischem Weg gewonnene Überzeugung der Übertragung der vererblichen Eigenschaften durch die Chromosomen der Keimzellterne erhielt dadurch einen größeren Nachdruck.

Bastardierung.

Die äußerst vielseitigen und zum Teil geradezu glänzenden Erfolge der modernen Vererbungslehre sind hauptsächlich durch das Studium der Bastardierungserscheinungen möglich geworden. Die Bastardierung ist zwar durchaus kein neues Problem, im Gegenteil hat man sich seitens der Botaniker, Zoologen und Tierzüchter schon sehr lange damit beschäftigt, aber erst durch das Bekanntwerden des Mendelschen Gesetzes und der mit ihm in Verbindung stehenden Tatsachen ist die Bastardforschung so außerordentlich fruchtbar und für die Vererbungslehre bedeutungsvoll geworden, wie sie sich zurzeit darstellt. – Hier sei schließlich erwähnt, daß die ungemein große Fülle der durch mikroskopische Beobachtung wie der auf dem Weg der Pflanzen- und Tierzüchtung gewonnenen Resultate, sowie auch die Schwierigkeit des weit verzweigten und auf die verschiedensten Gebiete übergreifenden Vererbungsproblems, wie schon vorher bemerkt wurde, es als völlige Unmöglichkeit erschien läßt, ihnen auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Deshalb soll nur nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Zahl der Forscher, welche sich in dem [1345] hier zu behandelnden Zeitraum innerhalb und außerhalb Deutschlands damit beschäftigten, eine außerordentlich große ist. Die Ergebnisse findet man in den beiden kürzlich erschienenen Büchern von V. Haecker (Allgemeine Vererbungslehre, 2. Aufl., Braunschweig 1912) und R. Goldtschmidt (Einführung in die Vererbungswissenschaft, Leipzig 1911) niedergelegt.

Geschlechtsbestimmung.

Dem soeben besprochenen Kreis der Erscheinungen steht ein anderes in der letzten Zeit ebenfalls mit Eifer und Erfolg bearbeitetes Problem, nämlich das der Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsdifferenzierung sehr nahe, welches sich ähnlich wie die Vererbungsfrage, wenn auch nicht in so hohem Maße der Teilnahme weiterer Kreise erfreut. Auch bei ihm greifen mikroskopische Beobachtung (der Keimzellen) und Züchtungsversuche ineinander, doch kommt noch eine andere Untersuchungsmethode, nämlich die Übertragung der Keimdrüsen von dem einen auf das andere Individuum, hinzu, um diese Frage ihrer Lösung entgegenzuführen. Was die schon seit langem und leider nicht mit besonderem Erfolg behandelte Frage der Geschlechtsbestimmung anbetrifft, so hat man dafür neuerdings einzelne Kernschleifen der Geschlechtszellen verantwortlich gemacht, welche sich möglicherweise durch ihre Beschaffenheit vor den anderen Chromosomen der betreffenden Kerne auszeichnen (Heterochromosomen) oder jedenfalls in der Überzahl vorhanden sind. Das überzählige Chromosoma, dessen Teilung unterbleibt und das also vollständig auf die Tochterzelle übertragen wird, dürfte die Veranlassung sein, daß zweierlei Spermatozoen gebildet werden, die für die Geschlechtsbestimmung von Bedeutung sind. Es ist nämlich mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß je nach dem Fehlen oder Vorhandensein des betreffenden Chromosoma bei dem die Befruchtung vollziehenden Samenfäden die aus den betreffenden Eiern hervorgehenden Tiere männlichen oder weiblichen Geschlechts sind. Es liegt aber kein Grund dafür vor, daß die Geschlechtsbestimmung gerade von den Spermatozoen ausgehen muß, sondern es ist ebensowohl denkbar, daß ähnliche Verhältnisse bei den weiblichen Keimzellen vorliegen und bei deren Reifung zu einer entsprechenden, für die Geschlechtsbestimmung maßgebenden Verteilung der Chromosomen führen. Sogenannte weibliche und männliche Eier, d. h. solche, aus denen nur Weibchen entstehen und andere, die sich zu Männchen entwickeln, sind außerdem von verschiedenen Tieren bekannt.

Prüfung auf experimentellem Wege.

Zur Prüfung des Problems der Geschlechtsbestimmung ist man wie schon früher auch neuerdings wieder auf experimentellem Wege vorgegangen und hat durch Ausführung der Befruchtung in verschiedenem Zustand der Eier, durch Beeinflussung der Keimzellen auf dem Wege schlechterer oder besserer Ernährung, sowie durch Erniedrigung oder Erhöhung der Temperatur das Geschlecht der aus diesen Eiern hervorgehenden Tiere zu modifizieren gesucht. Die auf den verschiedenen Wegen erzielten zweifellosen Erfolge sind freilich mannigfachen Deutungen unterworfen gewesen und ein abschließendes Urteil läßt sich zur Zeit, wo wir noch mitten in diesen Forschungen stehen, zunächst nicht [1346] fällen. Dies gilt in ähnlicher Weise und aus denselben Gründen auch für die sehr bemerkenswerten Versuche, bei denen es sich um eine erst in spätere Entwicklungs- oder Lebenszeit fallende Beeinflussung der Geschlechtsdifferenzierung handelt. Bei diesen Versuchen dürfte vor allen Dingen die Art ihrer Ausführung interessieren, die zum Teil in einer Übertragung der Keimdrüsen von dem einen auf das andere Geschlechtstier, d. h. etwa vom Weibchen auf das Männchen bestand und umgekehrt. Derartige Experimente sind mit sehr verschiedenartigen Tieren, z. B. Insekten (besonders Schmetterlingsraupen), Amphibien, Vögeln und Säugetieren ausgeführt worden. Bei den erstgenannten Tieren hatten sie außer dem von vornherein durchaus nicht sicheren Ergebnis völligen Gelingens die bemerkenswerte Erscheinung zur Folge, daß die in den Körper des anderen Geschlechtstiers übertragenen Keimdrüsenanlagen sich dort in einer Weise weiter entwickelten, als wenn sie sich unter normalen Verhältnissen, d. h. im Körper des zugehörigen Geschlechtstiers befänden, wie sich dies besonders aus den höchst erfolgreichen Versuchen Meisenheimers ergab. Machte sich bei diesen Versuchen kein Einfluß der im Körper des betreffenden Individuums enthaltenen andersartigen Keimdrüsen auf die äußeren Geschlechtsmerkmale und den ganzen Habitus des betreffenden Tiers geltend, so war dies hingegen bei den an Amphibien, Vögeln und Säugetieren ausgeführten Experimenten der Fall und es ergab sich hier die bemerkenswerte Tatsache einer weitgehenden Beeinflussung der sekundären Geschlechtscharaktere infolge der Keimdrüsenübertragung. Dies zeigte sich in sehr überzeugender Weise bei den von Steinach an kastrierten jungen Meerschweinchen und Rattenmännchen ausgeführten Operationen, indem bei ihnen nach Einpflanzung von Ovarien die weiblichen Merkmale in der Beschaffenheit des ganzen Körpers, des Haarkleides, des Skeletts sogar und besonders der Milchdrüsen hervortraten, welche letzteren wie bei normalen weiblichen Tieren eine strotzende Fülle erkennen ließen. Es war also durch diese Versuche eine weitgehende Beeinflussung der Geschlechtscharaktere wie des ganzen Körpers in der entgegengesetzten Richtung erzielt worden.

Innere Sekretion.

Zur Erklärung dieser letzteren, sich erst in einem schon sehr weit fortgeschrittenen Stadium vollziehenden Veränderungen des Körpers hat man, da der Einfluß des Nervensystems für das Verständnis dieser Erscheinungen nicht hinreicht, einen Faktor herangezogen, der sich bei den Untersuchungen auf anderen Gebieten als recht fruchtbar erwies, nämlich eine Einflußnahme der übertragenen Organe auf den Stoffwechsel des betreffenden Tieres, die man sich durch das Stattfinden einer von den Keimdrüsen ausgehenden „inneren Sekretion“ erklärt. Es möchten von ihnen Stoffe abgegeben werden, welche in das Blut und die sonstigen Körpersäfte gelangt imstande wären, jene oben gekennzeichneten Änderungen in der Entwicklungsrichtung des Organismus herbeizuführen. Eine Reihe von Tatsachen, welche über das Verhalten der Keimdrüsen selbst, wie anderer drüsiger Organe, besonders der Schilddrüse, Thymus, Nebennieren usw. bekannt geworden sind, berechtigen zu der Annahme einer weitgehenden Beeinflussung des Gesamtorganismus durch die von den betreffenden Organen ausgehende innere Sekretion.




[1347]

Experimentelle Forschung.

Die letzteren Auseinandersetzungen führten uns schon wiederholt auf das Gebiet der experimentellen Forschung, welche in verschiedenen Zweigen unserer Wissenschaft innerhalb der letzten Jahrzehnte so außerordentlich wichtige und zum Teil geradezu Aufsehen erregende Erfolge gezeitigt hat. Wenn wir auch hier einen Versuch machen, sie in kurzem zu charakterisieren, so gehen wir wie vorher am besten wieder von der Zelle und ihrer experimentellen Behandlung aus.

Künstliche Parthenogenesis.

Wohl die überraschendsten und unerwartetsten Befunde sind diejenigen, welche bei Ausführung der sogenannten künstlichen Parthenogenese gewonnen wurden. Die im Gegensatz zu der natürlichen Jungfernzeugung auf experimentellem Wege herbeigeführte „künstliche Parthenogenesis“ besteht darin, daß die Eier von Stachelhäutern (Seeigeln, Seesternen), Würmern, Mollusken und Insekten durch Anwendung geeigneter Salzlösungen oder auf mechanischem Wege (durch Schütteln oder Reiben) veranlaßt werden können, sich ohne Hinzutreten von Samenfäden zu entwickeln. Nach diesen, vor allem den glänzenden Versuchen von J. Loeb zu dankenden Beobachtungen gelingt es, die betreffenden Tiere bis zur Erlangung der ausgebildeten Larvenform aufzuziehen, so daß an ihrer Entwicklung bis zum vollständigen, geschlechtsreifen Tier nicht zu zweifeln ist. Von vornherein würde man es kaum für möglich gehalten haben, daß Tiere, deren Eier normalerweise die Befruchtung nötig haben, ohne diese, d. h. mit Ausschaltung des männlichen Elements zur Entwicklung gelangen könnten.

Merogonie.

Haben wir hier eine der überraschendsten Tatsachen von dem Gebiet der Experimentellen Entwicklungsgeschichte vor uns, deren Besonderheit auch dem Nichtfachmann ohne weiteres einleuchten dürfte, so war für diesen eine andere Entdeckung aus demselben Forschungsgebiet kaum weniger überraschend, nämlich die jetzt als Merogonie bezeichnete Fähigkeit kernloser Eistücke, sich nach Eintritt eines Spermatozoons entwickeln zu können. In dem kernlosen Eistück steht nur die Kernsubstanz der männlichen Zelle zur Verfügung; der für die Befruchtung wesentliche Vorgang der Kernverschmelzung fällt also weg und doch entwickelt sich aus dem Eistück mit dem väterlichen Kern ein vollständiger, nur kleinerer Organismus. Da man die vererblichen Eigenschaften in die Kerne der Keimzellen verlegte und mit diesen übertragen werden ließ, fand man in den auf so eigenartige Weise erzeugten Larven nur die Merkmale des Vaters wieder und Boveri, dem wir die Kenntnis dieser für die Vererbungsfrage sehr wichtigen Erscheinungen verdanken, sprach daher von „Organismen ohne mütterliche Eigenschaften“.

Entwicklungsmechanik. Experimentelle Morphologie.

Mit der Besprechung dieser Vorgänge gelangen wir immer mehr in das Bereich der Entwicklungsmechanik oder Entwicklungsphysiologie, dieses so ungemein bedeutungsvoll gewordenen Zweiges der wissenschaftlichen Zoologie. Auch bei ihr steht das Experiment stark im Vordergrund und mit seiner Hilfe sucht sie [1348] die am Körper der Tiere sich vollziehenden Entwicklungsvorgänge zu ergründen. Sie fragt vor allem nach den Ursachen der Entwicklungs- und anderer ihnen nahestehenden Lebenserscheinungen und zu deren Verfolgung bietet der sich entwickelnde Embryo die beste Gelegenheit, aber indem diese Forschungsrichtung auch zu Versuchen an späteren Stadien von Larven und ausgebildeten Tieren wie Pflanzen überging, wurde sie zur Experimentellen Morphologie. Die Entwicklung und der glänzende Aufschwung dieses besonders modernen, von W. Roux begründeten Zweiges unserer Wissenschaft fallen ziemlich genau mit dem hier zu behandelnden Zeitabschnitt zusammen. Es ist begreiflich, daß ein von vornherein so ungemein aussichtsreich erscheinendes Gebiet eine große Zahl zumal junger Forscher anlocken mußte und so sehen wir denn auch hier alsbald eine ausgebreitete Literatur entstehen, wie sich schon aus Roux’ und Driesch’ eigenen Schriften sowie denjenigen ihrer Mitarbeiter, Anhänger und Gegner ergibt. Roux’ Archiv für Entwicklungsmechanik ist seitdem bereits zu einer stattlichen Reihe von Bänden geworden; ihm schlossen sich andere Zeitschriften wie das Journal of Experimental Zoology und die allgemein zoologisch-physiologische Abteilung von Spengels Zoologischen Jahrbüchern an.

Die von Roux gewählte und im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Richtung festgehaltene Bezeichnung Entwicklungsmechanik will sagen, daß es sich bei den die Entwicklung bewirkenden Faktoren in letzter Linie um mechanische Ursachen handeln möchte, doch braucht kaum bemerkt zu werden, daß der Begriff Mechanik dann nicht zu eng gefaßt werden, sondern ihm ein gewisser Spielraum gelassen werden soll.

Determinationsproblem.

Versuchen wir auch hier kurz auf Arbeitsmethode und Ziele dieses Gebiets einzugehen, so möchten wir wegen des Zusammenhangs am besten an früher Besprochenes anknüpfen. Die moderne Befruchtungslehre hat gezeigt, wie bei den Reifungsteilungen im männlichen und weiblichen Geschlecht die (schon früher erwähnte) Reduktion der Kernschleifen (Chromosomen) in den Kernen der Keimzellen eintritt und zwar so, daß sie von der für jede Tierart geltenden Normalzahl (z. B. 4, 8, 12, 16, 24 usw.) auf die reduzierte halbe Zahl (2, 4, 6, 8, 12 usw.) gebracht werden. Beim Befruchtungsvorgang tritt dann bei der Verschmelzung des männlichen mit dem weiblichen Kern (Sperma und Eikern) eine Summierung der Chromosomen auf die Normalzahl der betreffenden Spezies ein, wodurch das frühere Verhältnis wiederhergestellt wird. Bei der ersten Teilung des befruchteten Eies erfolgt sodann eine Spaltung der Chromosomen, welche somit in die Kerne der beiden ersten Furchungszellen (ebenfalls wieder in der Normalzahl) übertragen werden und so fort bei den darauf folgenden Furchungsteilungen und den mit dem weiteren Verlauf der Entwicklung verbundenen Zellteilungen. Es findet also eine sehr regelmäßige Verteilung des Kernchromatins statt und da man in dieses die vererblichen Eigenschaften zu verlegen geneigt ist, so würde daraus für diese selbst Ähnliches zu erschließen sein.

Der Körper als Mosaik zahlreicher Anlagen.

Nach der von Nägeli und besonders von Weismann in seiner Determinantenlehre vertretenen Anschauung hat man sich die Übertragung der erblichen Eigenschaften [1349] etwa in der Weise vorgestellt, daß für jede von ihnen eine „Erbeinheit“ (Determinante) im Keimplasma vorhanden sei, und daß diese entsprechend den vielen verschiedenen Eigenschaften des Körpers mit dem (vielleicht dieses Keimplasma repräsentierenden) Chromatin der Keimzellen bei der fortschreitenden Entwicklung auf die einzelnen Körperregionen verteilt würden. Deren weitere Ausbildung und diejenige ihrer Teile würde also durch die in ihren Anlagen niedergelegten Determinanten bestimmt. Diesen Anschauungen entsprechend hat man den Körper sozusagen als ein Mosaik zahlreicher Anlagen und Anlagekomplexe betrachtet. Die Anlagen zeigen bereits in den frühesten Entwicklungsständen eine bestimmte, zu der späteren Verteilung und Beziehung stehende Orientierung.

Ausschaltung von Anlagekomplexen, Teilembryonen.

Wenn sich dies so verhält, dann müßte es vielleicht möglich sein, auf experimentellem Wege einzelne Anlagekomplexe auszuschalten und dadurch die Ausbildung derjenigen Körperteile zu verhindern, die aus ihnen hervorgehen sollten. Dies ist nun tatsächlich und zwar bei recht verschiedenartigen Tieren gelungen. Durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln erzielte man z. B. beim Froschei halbseitig ausgebildete (sogenannte Hemi-) Embryonen aus der unberührt gebliebenen Furchungskugel, die sich in ungefähr normaler Weise entwickelte. Da die Anlagekomplexe der anderen Hälfte zerstört waren, gelangte diese nicht zur Ausbildung. Allerdings kann durch die von Roux als Postgeneration bezeichnete Erscheinung von der zur Entwicklung gelangten Hälfte aus das Fehlende nachträglich ergänzt werden.

Präformation und Epigenesis.

Das am Verhalten des Froscheies erläuterte Ergebnis beanspruchte auch insofern allgemeineres Interesse, als es sozusagen den alten Gegensatz zwischen den beiden Entwicklungstheorien des vorvergangenen Jahrhunderts, der Präformations- und Epigenesistheorie wieder aufleben ließ. Nach jener sollten die einzelnen Teile des späteren Embryos und ausgebildeten Tieres bereits vorgebildet vorhanden sein, um sich später nur zu entfalten (Evolution), während nach der Epigenesistheorie eine wirkliche Neubildung vorher nicht in der Anlage vorhanden gewesener Teile stattfände. Es ist von großem Interesse, wie die mit den Eiern verschiedener Tiere vorgenommenen Versuche nach der einen wie nach der anderen Richtung eine Entscheidung zu bringen scheinen oder doch in diesem oder jenem Sinne gedeutet werden können. So wie es vorher vom Froschei angegeben wurde, verhalten sich nämlich nicht die Eier aller Tiere, ja selbst beim Froschei kann bei geeigneter Behandlung aus jeder der beiden ersten Furchungskugeln nicht wie vorher ein halber, sondern ein ganzer, vollständiger Embryo hervorgerufen werden. Ähnliches gilt für die Eier von Molchen, bei denen die beiden ersten Furchungskugeln durch Zerschnüren voneinander getrennt wurden und jede einen vollständigen Embryo lieferte. Auch an den Eiern von Echinodermen, Medusen, Amphioxus und anderen Tieren ließen sich solche Versuche mit Erfolg ausführen. Nicht nur aus einer Furchungskugel des zweizeiligen [1350] Stadiums, sondern auch des vierzelligen, achtzelligen und sogar des sechzehnzelligen Stadiums konnten bei manchen dieser Tiere noch vollständige Larvenformen erzogen werden, während bei anderen Tieren, z. B. Ascidien und Rippenquallen aus solchen Teilstücken nur Halb- und Viertelembryonen, also entsprechend dem Prinzip der organbildenden Keimbezirke nur diejenigen Körperpartien geliefert werden, die in jenen Teilen als Anlage vorhanden waren. Nach den Ergebnissen dieser Versuche dokumentiert sich die Entwicklung entweder als eine solche, bei welcher ihr Verlauf schon von den frühesten Stadien an vorgezeichnet schien, die ins Moderne übersetzte Präformation oder aber als eine solche, bei der sich aus isolierten Teilen Körperpartien anderer Art entwickeln konnten, als diejenigen, welche eigentlich aus ihnen hervorgehen sollten. Im letzteren Fall findet also recht eigentlich eine Neubildung statt und die Entwicklung verläuft unter dem Bild der Epigenesis. Diese Gegensätze stehen sich also gegenüber und man hat versucht, sie nach Möglichkeit zu überbrücken. Wie das geschah, kann an dieser Stelle nicht verfolgt werden, dagegen dürfte hier vor allem die Fähigkeit des in Entwicklung begriffenen Organismus interessieren, auch bei so tiefgehenden Eingriffen nach Verlust beträchtlicher Teile und aus verhältnismäßig geringen Resten unter Umständen das Ganze zur Ausbildung bringen zu können. Es sind dies, ähnlich wie die früher besprochenen Erscheinungen, höchst überraschende Resultate dieser experimentellen Forschung, die man früher für völlig unmöglich gehalten haben würde.

Was hier zur Darstellung gelangte, sind nur einige wenige Versuche aus der großen Anzahl der zur Ausführung gelangten das Determinationsproblem betreffenden Experimente; sie sollen nur ein Bild davon geben, wie und nach welchen Gesichtspunkten man dabei verfuhr. Von der Art und Weise, wie sie unternommen wurden und von den dazu nötigen sinnreich ausgedachten feinen Methoden kann hier leider nicht die Rede sein, ebensowenig von den sehr verschiedenartigen, häufig das Wesen der Entwicklungs- und Lebensvorgänge an ihren Wurzeln berührenden Fragstellungen. Außer mit den wichtigsten Fragen, welche das Determinationsproblem stellte, beschäftigen sich diese Untersuchungen mit den übrigen Fragen nach den Ursachen der Entwicklungsvorgänge, z. B. den von außen kommenden Einwirkungen (Einfluß der Schwerkraft, der Temperatur, des Lichtes usw.), ferner den bei der Entwicklung wirkenden inneren Faktoren (Zellteilung, Wachstum, Verlagerung der Elemente usw.). Darüber geben außer den speziellen Untersuchungen die zusammenfassenden Schriften von Roux und Driesch am besten Auskunft. Auch K. Heider, O. Maas und Przibram gaben übersichtliche Darstellungen dieses Gebiets und ganz neuerdings (1913) hat dies C. Herbst als ein berufener Vertreter im Handwörterbuch der Naturwissenschaften getan.

Regeneration und Transplantation.

Als ein besonderer Zweig der experimentellen Morphologie, mit der Entwicklungsmechanik in engem Zusammenhang stehend, hat sich neuerdings eine Richtung ausgebildet, die zwar schon recht alt ist und ihre Wurzeln im vorvergangenen Jahrhundert hat, aber doch erst unter dem Einfluß der modernen experimentellen Forschungsmethode zur Blüte gelangen konnte, nämlich die Lehre von der Regeneration und der mit ihr auf das engste [1351] verbundenen Transplantation. Ähnlich wie auf rein entwicklungsmechanischem Gebiet hat die Experimentalzoologie hier ganz besonders wertvolle Ergebnisse zu verzeichnen. Von der Entwicklungsphysiologie unterscheidet sie sich hauptsächlich dadurch, daß ihre Objekte nicht in Entwicklung begriffene, sondern mehr oder weniger ausgebildete Tiere sind. Wie die Experimente auf entwicklungsphysiologischem Gebiet ließen auch die Regenerationsversuche an erwachsenen Tieren ein bei ihnen noch vorhandenes ungemein weitgehendes Umbildungsvermögen der Teile erkennen. Es stellte sich nicht nur heraus, daß außerordentlich kleine Teile des Körpers (bei Planarien und Polypen bis zu 1/100 oder sogar 1/200 seines Volumens) noch in der Lage sind, die verloren gegangenen Partien neu zu bilden und das ganze Tier wiederherzustellen, sondern daß selbst kleinste isolierte Teile und sogar einzelne Zellen sich wieder vereinigen und den ganzen Körper von neuem aufbauen können. Von größerem Interesse sind bisher durchaus nicht nur die Neubildungsvorgänge, sondern ganz besonders auch die Rückbildungs-, Einschmelzungs- und Umbildungsprozesse, die sich dabei im Körperinnern des regenerierenden Stückes abspielen. Das Studium der Regenerationsvorgänge hat sich für die Beurteilung vieler Fragen der allgemeinen Morphologie als außerordentlich fruchtbar erwiesen und ihnen trat hilfreich dasjenige der Transplantation zur Seite, welches mit jenem zusammen nicht nur zahlreiche auch für die Entwicklungsmechanik bedeutungsvolle Tatfachen zutage förderte, sondern auch praktisch wichtige, besonders für die Chirurgie sehr nützliche Ergebnisse zeitigte (man vgl. die zusammenfassenden Darstellungen von Th. Morgan: Regeneration 1900, E. Korschelt: Regeneration und Transplantation 1907, G. Schöne: Transplantation 1912).




Philosophische Spekulationen.

Die Frage nach den Ursachen der Entwicklungsvorgänge bringt es mit sich, daß dabei auch diejenige nach dem Zustandekommen der Lebensvorgänge im allgemeinen aufgeworfen und mancherlei Dinge behandelt werden, welche der direkten Beobachtung nicht zugänglich sind. Sowohl die Fragestellungen, wie auch ihre Beantwortungen sind in dem Bereich der Entwicklungsphysiologie zum Teil mehr allgemeiner und spekulativer Natur. Wie auf anderen Gebieten der Zoologie, zumal auf dem der Abstammungs- und Vererbungslehre, der Frage nach der Entstehung des Lebens, der Urzeugung usf., theoretische Spekulationen mehr oder weniger weitgehender Natur die durch die Beobachtung gefundenen Tatsachen in Verbindung zu bringen und der Forschung neue Bahnen zu eröffnen suchten, so haben sich derartige Bestrebungen begreiflicherweise von vornherein auch in der Entwicklungsphysiologie geltend gemacht. Wenn hier eine mehr mechanistische Erklärung im Wesen der ganzen Richtung zu liegen schien und sich in dem zuerst für sie gewählten Namen aussprach, so wandten sich doch einzelne ihrer namhaften Vertreter ganz anderen, mehr vitalistischen Erklärungsversuchen und damit rein philosophischen Spekulationen zu. Am deutlichsten kommt dies bei Driesch zum Ausdruck, der von experimentellen Studien an tierischen Objekten ausgehend, in seinen Publikationen allmählich immer mehr auf rein theoretisches Gebiet gelangte, um bei der jetzt [1352] als Neovitalismus in Blüte stehenden Naturphilosophie zu enden. Auf die einzugehen, ist hier nicht der Ort, jedoch seien Interessenten auf einige van Driesch’s Schriften verwiesen (Philosophie des Organischen 1908, Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft 1911, Ordnungslehre 1912).

Tierpsychologie.

Im Anschluß hieran sei noch mit kurzen Worten eines ebenfalls nach der Seite der Philosophie hinneigenden Zweiges unserer Wissenschaft gedacht, nämlich der Tierpsychologie, welche neuerdings wieder weitergehendes Interesse erregt und eine Reihe bemerkenswerter Ergebnisse zu verzeichnen hat. Bei der großen Schwierigkeit der Beurteilung der verschiedenen hierbei in Betracht kommenden Faktoren ist es begreiflich, daß die auf diesem Gebiet erzielten Fortschritte bisher noch keine allzu großen waren, immerhin ist man auch hier durch Verbesserung der Untersuchungsmethoden und auf experimentellem Wege in der Beurteilung der kurz als geistige Fähigkeiten zusammenzufassenden Eigenschaften der Tiere weiter gekommen, wenn auch gerade auf diesem Gebiet noch sehr viel zu tun übrigbleibt. Ob die mehr sprungweise auftretenden, anscheinenden Fortschritte in der Erkenntnis, welche wie bei den denkenden Pferden einen hohen Grad in der Entwicklung der geistigen Fähigkeiten bei Tieren anzuzeigen scheinen, in Wirklichkeit so anzusehen sind und objektivster Prüfung standhalten, wird noch zu erweisen sein. Das große Aufsehen, das die sich steigernden Nachrichten über jene Versuche und Beobachtungen erregten, zeigen jedenfalls, welches weitgehende Interesse diesem Gebiete mit Recht entgegengebracht wird. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß das Auftreten und die allmähliche Entwicklung der geistigen Fähigkeiten bis zu der Höhe, wie wir sie vom Menschen kennen, mit zu den interessantesten und wichtigsten Fragen der naturwissenschaftlichen Forschung gehören.




Schlußwort.

Wenn im vorstehenden versucht wurde, von dem jetzigen Zustand der zoologischen Wissenschaft und ihrer Entwicklung im letztvergangenen Vierteljahrhundert ein Bild zu geben, so bittet der Verfasser zum Schluß nochmals um Nachsicht dafür, daß es kein ganz vollständiges und gleichmäßiges werden konnte. Entsprechend dem verschiedenartigen Fortschreiten einzelner Gebiete und der größeren Bedeutung, welche manche von ihnen zeitweise erlangten, mußten gewisse Partien hervorgehoben, andere dagegen mehr zurückgedrängt werden. Bei der Behandlung eines bestimmten Zeitabschnittes wird dies jedoch nicht anders möglich sein und die große Verschiedenartigkeit der in unserer Wissenschaft vereinigten Gebiete vergrößert die Schwierigkeit der Darstellung innerhalb eines recht beschränkten Rahmens, wie er hier durch den Umfang des Artikels gegeben war. Dieser erlaubte es leider auch nicht, die Namen selbst der um unsere Wissenschaft besonders verdienten Männer anzuführen und ihrer Verdienste im einzelnen gerecht zu werden. Trotz dieser dem Verfasser am besten bewußten, aber kaum vermeidbaren Mängel gibt er sich der Hoffnung hin, ein in den wesentlichen Zügen richtiges Bild des Ganzen geliefert zu haben.