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ihrer Lebensvorgänge wurde durch diese Studien in bewundernswerter Weise gefördert, sondern die moderne Protozoenforschung erzielte außerdem glänzende Resultate auf praktischem Gebiet, indem sie als die Ursache einiger geradezu verheerend auftretender Krankheiten Protozoen erkannte und infolgedessen Maßregeln für die Verhinderung oder doch Einschränkung dieser Krankheiten getroffen werden konnten. Wir nennen von ihnen vor allen Dingen die durch Hämosporidien hervorgerufene Malaria und die für ihre Bekämpfung unschätzbare Erkenntnis der Übertragung ihrer Blutparasiten durch Mücken. Wie außerordentlich die Entdeckung des Entwicklungsgangs der Malariaparasiten das Zurückdrängen dieser für viele Gegenden verhängnisvollen Krankheit erleichtert hat, braucht kaum noch besonders erwähnt zu werden. Wenn man auch bei der ebenfalls durch Blutparasiten (Trypanosomen) hervorgerufenen und durch Fliegen übertragenen Schlafkrankheit infolge der in den betreffenden Ländern bestehenden großen Schwierigkeiten noch nicht soweit gekommen ist, so dürfen ähnliche günstige Ergebnisse doch mit Sicherheit in absehbarer Zeit erwartet werden. Zu den durch Protisten hervorgerufenen Erkrankungen gehören außer verschiedenen anderen der Rückfalltyphus und die Syphilis, und auch bei ihnen hat die Erkenntnis ihrer Ursachen auf die Förderung ihrer Bekämpfungs- und Heilungsmethoden äußerst günstig eingewirkt. So erwies sich das Zusammenwirken der modernen Zoologie mit der Medizin auf diesen Gebieten als ungemein segensreich.




Deszendenztheorie.

Wenn vorher davon die Rede war, daß gewisse Zweige unserer Wissenschaft, obwohl sie an und für sich von großer Bedeutung sind, zurzeit weniger im Vordergrunde stehen, so erlangten doch andererseits gerade diese Gebiete seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine besondere Wichtigkeit durch die Probleme, welche ihnen die Deszendenztheorie stellte, um eine Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere herbeizuführen und ihre Abstammung nach Möglichkeit festzulegen. Phylogenetische Spekulationen mehr oder weniger begründeter Natur spielten damals eine wichtige Rolle und wirkten höchst anregend auf die vergleichend-anatomische und entwicklungsgeschichtliche Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis auf unsere Tage ein. Auch darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß sie die wichtige Frage nach dem Ursprung des Menschengeschlechtes stark beeinflußten und die aufsehenerregenden Funde vorgeschichtlicher Menschenreste den von ihr angeregten Bestrebungen mit zu verdanken waren. Wir denken an die Auffindung fossiler Hominiden, wie sie in der neueren Zeit in recht verschiedenen Gebieten gemacht wurden und zu weitgehendsten Schlüssen Veranlassung gaben, den Pithecanthropus erectus von Java, den Homo heidelbergensis von Mauer bei Heidelberg, die menschlichen Reste aus den Höhlen von Spy, Krapina, Le Moustier und La Chapelle-aux-Saints, zu denen noch andere mannigfache und viel umstrittene Funde menschlicher Skeletteile aus prähistorischer Zeit hinzukommen. An der Auffindung, Beschreibung und Deutung dieser Funde haben deutsche Forscher in hervorragender Weise teilgenommen und dürften nichts dagegen einzuwenden haben, wenn unter etwas weiterer Fassung des zoologischen Wissensgebietes dieser Tatsachen auch hier Erwähnung getan wird.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/211&oldid=- (Version vom 20.8.2021)