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etwa in der Weise vorgestellt, daß für jede von ihnen eine „Erbeinheit“ (Determinante) im Keimplasma vorhanden sei, und daß diese entsprechend den vielen verschiedenen Eigenschaften des Körpers mit dem (vielleicht dieses Keimplasma repräsentierenden) Chromatin der Keimzellen bei der fortschreitenden Entwicklung auf die einzelnen Körperregionen verteilt würden. Deren weitere Ausbildung und diejenige ihrer Teile würde also durch die in ihren Anlagen niedergelegten Determinanten bestimmt. Diesen Anschauungen entsprechend hat man den Körper sozusagen als ein Mosaik zahlreicher Anlagen und Anlagekomplexe betrachtet. Die Anlagen zeigen bereits in den frühesten Entwicklungsständen eine bestimmte, zu der späteren Verteilung und Beziehung stehende Orientierung.

Ausschaltung von Anlagekomplexen, Teilembryonen.

Wenn sich dies so verhält, dann müßte es vielleicht möglich sein, auf experimentellem Wege einzelne Anlagekomplexe auszuschalten und dadurch die Ausbildung derjenigen Körperteile zu verhindern, die aus ihnen hervorgehen sollten. Dies ist nun tatsächlich und zwar bei recht verschiedenartigen Tieren gelungen. Durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln erzielte man z. B. beim Froschei halbseitig ausgebildete (sogenannte Hemi-) Embryonen aus der unberührt gebliebenen Furchungskugel, die sich in ungefähr normaler Weise entwickelte. Da die Anlagekomplexe der anderen Hälfte zerstört waren, gelangte diese nicht zur Ausbildung. Allerdings kann durch die von Roux als Postgeneration bezeichnete Erscheinung von der zur Entwicklung gelangten Hälfte aus das Fehlende nachträglich ergänzt werden.

Präformation und Epigenesis.

Das am Verhalten des Froscheies erläuterte Ergebnis beanspruchte auch insofern allgemeineres Interesse, als es sozusagen den alten Gegensatz zwischen den beiden Entwicklungstheorien des vorvergangenen Jahrhunderts, der Präformations- und Epigenesistheorie wieder aufleben ließ. Nach jener sollten die einzelnen Teile des späteren Embryos und ausgebildeten Tieres bereits vorgebildet vorhanden sein, um sich später nur zu entfalten (Evolution), während nach der Epigenesistheorie eine wirkliche Neubildung vorher nicht in der Anlage vorhanden gewesener Teile stattfände. Es ist von großem Interesse, wie die mit den Eiern verschiedener Tiere vorgenommenen Versuche nach der einen wie nach der anderen Richtung eine Entscheidung zu bringen scheinen oder doch in diesem oder jenem Sinne gedeutet werden können. So wie es vorher vom Froschei angegeben wurde, verhalten sich nämlich nicht die Eier aller Tiere, ja selbst beim Froschei kann bei geeigneter Behandlung aus jeder der beiden ersten Furchungskugeln nicht wie vorher ein halber, sondern ein ganzer, vollständiger Embryo hervorgerufen werden. Ähnliches gilt für die Eier von Molchen, bei denen die beiden ersten Furchungskugeln durch Zerschnüren voneinander getrennt wurden und jede einen vollständigen Embryo lieferte. Auch an den Eiern von Echinodermen, Medusen, Amphioxus und anderen Tieren ließen sich solche Versuche mit Erfolg ausführen. Nicht nur aus einer Furchungskugel des zweizeiligen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/220&oldid=- (Version vom 20.8.2021)