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fällen. Dies gilt in ähnlicher Weise und aus denselben Gründen auch für die sehr bemerkenswerten Versuche, bei denen es sich um eine erst in spätere Entwicklungs- oder Lebenszeit fallende Beeinflussung der Geschlechtsdifferenzierung handelt. Bei diesen Versuchen dürfte vor allen Dingen die Art ihrer Ausführung interessieren, die zum Teil in einer Übertragung der Keimdrüsen von dem einen auf das andere Geschlechtstier, d. h. etwa vom Weibchen auf das Männchen bestand und umgekehrt. Derartige Experimente sind mit sehr verschiedenartigen Tieren, z. B. Insekten (besonders Schmetterlingsraupen), Amphibien, Vögeln und Säugetieren ausgeführt worden. Bei den erstgenannten Tieren hatten sie außer dem von vornherein durchaus nicht sicheren Ergebnis völligen Gelingens die bemerkenswerte Erscheinung zur Folge, daß die in den Körper des anderen Geschlechtstiers übertragenen Keimdrüsenanlagen sich dort in einer Weise weiter entwickelten, als wenn sie sich unter normalen Verhältnissen, d. h. im Körper des zugehörigen Geschlechtstiers befänden, wie sich dies besonders aus den höchst erfolgreichen Versuchen Meisenheimers ergab. Machte sich bei diesen Versuchen kein Einfluß der im Körper des betreffenden Individuums enthaltenen andersartigen Keimdrüsen auf die äußeren Geschlechtsmerkmale und den ganzen Habitus des betreffenden Tiers geltend, so war dies hingegen bei den an Amphibien, Vögeln und Säugetieren ausgeführten Experimenten der Fall und es ergab sich hier die bemerkenswerte Tatsache einer weitgehenden Beeinflussung der sekundären Geschlechtscharaktere infolge der Keimdrüsenübertragung. Dies zeigte sich in sehr überzeugender Weise bei den von Steinach an kastrierten jungen Meerschweinchen und Rattenmännchen ausgeführten Operationen, indem bei ihnen nach Einpflanzung von Ovarien die weiblichen Merkmale in der Beschaffenheit des ganzen Körpers, des Haarkleides, des Skeletts sogar und besonders der Milchdrüsen hervortraten, welche letzteren wie bei normalen weiblichen Tieren eine strotzende Fülle erkennen ließen. Es war also durch diese Versuche eine weitgehende Beeinflussung der Geschlechtscharaktere wie des ganzen Körpers in der entgegengesetzten Richtung erzielt worden.

Innere Sekretion.

Zur Erklärung dieser letzteren, sich erst in einem schon sehr weit fortgeschrittenen Stadium vollziehenden Veränderungen des Körpers hat man, da der Einfluß des Nervensystems für das Verständnis dieser Erscheinungen nicht hinreicht, einen Faktor herangezogen, der sich bei den Untersuchungen auf anderen Gebieten als recht fruchtbar erwies, nämlich eine Einflußnahme der übertragenen Organe auf den Stoffwechsel des betreffenden Tieres, die man sich durch das Stattfinden einer von den Keimdrüsen ausgehenden „inneren Sekretion“ erklärt. Es möchten von ihnen Stoffe abgegeben werden, welche in das Blut und die sonstigen Körpersäfte gelangt imstande wären, jene oben gekennzeichneten Änderungen in der Entwicklungsrichtung des Organismus herbeizuführen. Eine Reihe von Tatsachen, welche über das Verhalten der Keimdrüsen selbst, wie anderer drüsiger Organe, besonders der Schilddrüse, Thymus, Nebennieren usw. bekannt geworden sind, berechtigen zu der Annahme einer weitgehenden Beeinflussung des Gesamtorganismus durch die von den betreffenden Organen ausgehende innere Sekretion.




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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/217&oldid=- (Version vom 20.8.2021)