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die am Körper der Tiere sich vollziehenden Entwicklungsvorgänge zu ergründen. Sie fragt vor allem nach den Ursachen der Entwicklungs- und anderer ihnen nahestehenden Lebenserscheinungen und zu deren Verfolgung bietet der sich entwickelnde Embryo die beste Gelegenheit, aber indem diese Forschungsrichtung auch zu Versuchen an späteren Stadien von Larven und ausgebildeten Tieren wie Pflanzen überging, wurde sie zur Experimentellen Morphologie. Die Entwicklung und der glänzende Aufschwung dieses besonders modernen, von W. Roux begründeten Zweiges unserer Wissenschaft fallen ziemlich genau mit dem hier zu behandelnden Zeitabschnitt zusammen. Es ist begreiflich, daß ein von vornherein so ungemein aussichtsreich erscheinendes Gebiet eine große Zahl zumal junger Forscher anlocken mußte und so sehen wir denn auch hier alsbald eine ausgebreitete Literatur entstehen, wie sich schon aus Roux’ und Driesch’ eigenen Schriften sowie denjenigen ihrer Mitarbeiter, Anhänger und Gegner ergibt. Roux’ Archiv für Entwicklungsmechanik ist seitdem bereits zu einer stattlichen Reihe von Bänden geworden; ihm schlossen sich andere Zeitschriften wie das Journal of Experimental Zoology und die allgemein zoologisch-physiologische Abteilung von Spengels Zoologischen Jahrbüchern an.

Die von Roux gewählte und im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Richtung festgehaltene Bezeichnung Entwicklungsmechanik will sagen, daß es sich bei den die Entwicklung bewirkenden Faktoren in letzter Linie um mechanische Ursachen handeln möchte, doch braucht kaum bemerkt zu werden, daß der Begriff Mechanik dann nicht zu eng gefaßt werden, sondern ihm ein gewisser Spielraum gelassen werden soll.

Determinationsproblem.

Versuchen wir auch hier kurz auf Arbeitsmethode und Ziele dieses Gebiets einzugehen, so möchten wir wegen des Zusammenhangs am besten an früher Besprochenes anknüpfen. Die moderne Befruchtungslehre hat gezeigt, wie bei den Reifungsteilungen im männlichen und weiblichen Geschlecht die (schon früher erwähnte) Reduktion der Kernschleifen (Chromosomen) in den Kernen der Keimzellen eintritt und zwar so, daß sie von der für jede Tierart geltenden Normalzahl (z. B. 4, 8, 12, 16, 24 usw.) auf die reduzierte halbe Zahl (2, 4, 6, 8, 12 usw.) gebracht werden. Beim Befruchtungsvorgang tritt dann bei der Verschmelzung des männlichen mit dem weiblichen Kern (Sperma und Eikern) eine Summierung der Chromosomen auf die Normalzahl der betreffenden Spezies ein, wodurch das frühere Verhältnis wiederhergestellt wird. Bei der ersten Teilung des befruchteten Eies erfolgt sodann eine Spaltung der Chromosomen, welche somit in die Kerne der beiden ersten Furchungszellen (ebenfalls wieder in der Normalzahl) übertragen werden und so fort bei den darauf folgenden Furchungsteilungen und den mit dem weiteren Verlauf der Entwicklung verbundenen Zellteilungen. Es findet also eine sehr regelmäßige Verteilung des Kernchromatins statt und da man in dieses die vererblichen Eigenschaften zu verlegen geneigt ist, so würde daraus für diese selbst Ähnliches zu erschließen sein.

Der Körper als Mosaik zahlreicher Anlagen.

Nach der von Nägeli und besonders von Weismann in seiner Determinantenlehre vertretenen Anschauung hat man sich die Übertragung der erblichen Eigenschaften

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/219&oldid=- (Version vom 20.8.2021)