Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/215

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die in ihnen enthaltenen Kernschleifen (Chromosomen). In letzteren die Vererbungsträger zu suchen, erschien daher als das Gegebene und deshalb erregten die Umwandlungen, welche sie vor, während und nach dem Befruchtungsvorgang erfuhren, so außerordentlich weitgehendes Interesse. Der Nachdruck lag dabei auf der Reduktionsfrage, d. h. darauf, wie bei der Ei- und Samenreifung, bei welcher eine Reduktion der Kernschleifen an Zahl und Masse erfolgt, die Abgabe vererblicher Eigenschaften und ihre Verteilung auf die Nachkommen vor sich geht. Hier hat die Determinantenlehre Weismanns und seiner Mitarbeiter eine besonders wichtige Rolle gespielt. Nach seiner in der Theorie des Keimplasmas bis ins Einzelne ausgearbeiteten und mit großer Energie verfochtenen Anschauung wären die Vererblichkeitsträger in den Chromosomen niedergelegt und durch die Art des Reduktionsverlaufs würde ihre Verteilung auf die Nachkommen bewerkstelligt. Ungemein feine nur durch die hohe Vervollkommnung der mikroskopischen (Konservierungs- und Färbungs)-Methoden ermöglichte Untersuchungen übertrugen jene Spekulationen auf die einzelnen Tierformen und je nach ihren Resultaten ergab sich ein Für und Wider hinsichtlich der Übertragungsweise der vererblichen Eigenschaften oder der Gültigkeit jener Theorien überhaupt.

Besonders interessant gestaltete sich der Widerstreit der Meinungen, als mit dem Wiederaufleben des Mendelschen Vererbungsgesetzes ein neues, besonders fruchtbares Moment in den Kreis der Beobachtungen, Versuche und Spekulationen über das Vererbungsproblem eintrat. Nach Mendels an Pflanzen gewonnenem und später an einer größeren Zahl von Pflanzen und Tierarten bestätigtem Vererbungsgesetz erfolgt die Übertragung des Merkmals von den Eltern auf die Nachkommen in einer ganz bestimmten, zahlenmäßig festzustellenden Weise. Bei einem Vergleich der durch Züchtung erhaltenen Ergebnisse mit den bei der Eireifung und Befruchtung aufgefundenen Tatsachen ergab sich nun eine gewisse Übereinstimmung und die schon früher auf theoretischem Weg gewonnene Überzeugung der Übertragung der vererblichen Eigenschaften durch die Chromosomen der Keimzellterne erhielt dadurch einen größeren Nachdruck.

Bastardierung.

Die äußerst vielseitigen und zum Teil geradezu glänzenden Erfolge der modernen Vererbungslehre sind hauptsächlich durch das Studium der Bastardierungserscheinungen möglich geworden. Die Bastardierung ist zwar durchaus kein neues Problem, im Gegenteil hat man sich seitens der Botaniker, Zoologen und Tierzüchter schon sehr lange damit beschäftigt, aber erst durch das Bekanntwerden des Mendelschen Gesetzes und der mit ihm in Verbindung stehenden Tatsachen ist die Bastardforschung so außerordentlich fruchtbar und für die Vererbungslehre bedeutungsvoll geworden, wie sie sich zurzeit darstellt. – Hier sei schließlich erwähnt, daß die ungemein große Fülle der durch mikroskopische Beobachtung wie der auf dem Weg der Pflanzen- und Tierzüchtung gewonnenen Resultate, sowie auch die Schwierigkeit des weit verzweigten und auf die verschiedensten Gebiete übergreifenden Vererbungsproblems, wie schon vorher bemerkt wurde, es als völlige Unmöglichkeit erschien läßt, ihnen auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Deshalb soll nur nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Zahl der Forscher, welche sich in dem

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/215&oldid=- (Version vom 20.8.2021)