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Raumes auch nur einigermaßen gerecht zu werden, ist bei der Eigenart des Stoffes, sowie bei der Fülle der zu behandelnden Tatsachen und den vielseitigen Deutungen, welche sie erfahren, ganz unmöglich; so kann nur kurz versucht werden, das Wesentliche anzudeuten.

Zellenlehre.

Die Grundlage der modernen Vererbungslehre bildet die im Lauf der letzt vergangenen Jahrzehnte außerordentlich geförderte Kenntnis des feinen Baus der Zelle und der sich in ihr abspielenden Vorgänge. Durch eine weitgehende Verbesserung der optischen Hilfsmittel wurde es ermöglicht, die Zellstrukturen während der verschiedenen Phasen des Zellenlebens bis ins kleinste hinein festzustellen, wobei sich besonders der Verlauf der Zellteilung als ein sehr komplizierter und bis in die feinsten Details geregelter Vorgang erwies. Die genaue Kenntnis der Zellstrukturen und der sich in den verschiedenen Phasen vollziehenden Veränderungen ist aber für die Beurteilung der Lebensvorgänge in der Zelle sehr bedeutungsvoll, schon deshalb, weil die Zellen die Elementarbestandteile der Organismen darstellen, an welche deren Lebensvorgänge selbst in letzter Instanz gebunden sind. Die Zellenlehre (Zytologie) ist daher ein außerordentlich wichtiges Gebiet und begreiflicherweise hat sich, wie schon vorher, so auch in dem hier zu behandelnden Zeitraum eine sehr große Zahl von Forschern damit beschäftigt, es sei nur an die Namen von Leydig, Bütschli, O. und R. Hertwig, Rabl, Boveri erinnert, denen sich viele andere neuere Forscher anschließen. Außer den Schriften Boveris und der übrigen genannten Forscher bieten die zusammenfassenden Werke von O. Hertwig (Allgemeine Biologie), sowie M. Heidenhain und Gurwitsch (Zellenlehre) gute Gelegenheit, sich über den derzeitigen Stand der Zellenforschung zu unterrichten.

Eireifung, Befruchtung und Vererbung.

Auf den von der Zellenforschung bis dahin erzielten Ergebnissen fußend, wandte man sich dem Studium derjenigen Vorgänge zu, welche sich vor, während und nach dem Befruchtungsvorgang am Ei abspielen. Hier war es besonders die Ei- und Samenreifung, welche das Interesse der Forscher erregten und nebst den Befruchtungserscheinungen während der letzten 20–30 Jahre eine enorme Literatur hervorriefen. Die Zahl der Objekte, für welche man diese merkwürdigen Vorgänge nachwies, vergrößerte sich immer mehr und es stellte sich dabei heraus, daß sie sich auch bei den einzelnen Tieren zwar in verschiedener Weise, aber stets in großer Regelmäßigkeit und nach bestimmten Gesetzen vollziehen. Wenn man diese Vorgänge immer wieder studierte und sozusagen bis zu den letzten Konsequenzen verfolgte, so geschah dies weniger deshalb, um sie selbst kennen zu lernen, sondern wegen ihrer nahen Beziehung zur Vererbungslehre. Wenn die Eigenschaften von den Eltern auf die Nachkommen vererbt werden, so kann das eben nur durch Vermittlung der Keimzellen geschehen. Diese sind aber an Umfang und Masse sehr verschieden; das Ei ist gewöhnlich außerordentlich viel größer als das Spermatozoon. So lag es nahe, die vererblichen Eigenschaften nur in einem Teil der beiden sich bei der Befruchtung verewigenden Keimzellen und zwar in ihren Kernen zu suchen. Diese zeigen sich beim Vollzug des Befruchtungsvorganges ungefähr von gleicher Größe und das gilt noch mehr für

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/214&oldid=- (Version vom 20.8.2021)