Wilhelm Tell (Schiller-Galerie)

Textdaten
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Autor: Friedrich Pecht
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Titel: Wilhelm Tell
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aus: Schiller-Galerie. Charaktere aus Schiller’s Werken, gezeichnet von Friedrich Pecht und Arthur von Ramberg. Funfzig Blätter in Stahlstich mit erläuterndem Text von Friedrich Pecht
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wilhelm Tell.

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WILHELM TELL.
(Wilhelm Tell.)


Wol nie hat das Recht des einzelnen freien Mannes wie eines ganzen Volkes sich gegen tyrannische Unterdrückung nicht nur in jedem Falle zu wehren, sondern sie auch bis zur Vernichtung zu bekämpfen, eine so glänzende Vertheidigung gefunden, als im „Tell“. So wenig Spuren der Einwirkung der Zeitverhältnisse in den übrigen spätern Stücken Schiller’s zu finden sind, hier ist sie wol unverkennbar; oder sollte der damals schwer auf Deutschland lastende Druck der Fremdherrschaft, mit ihrem Uebermuth und ihrer Willkür, wirklich ohne Einfluss auf den Gedanken wie die Ausführung des „Tell“ geblieben sein? Ist im „Wallenstein“ schon die Verwandtschaft in der Erscheinung des Helden und seiner Soldatenherrschaft mit dem aufgehenden Gestirn Napoleon’s unverkennbar, so hat diese Beziehung zu den Verhältnissen der Gegenwart beim „Tell“ doch wol in noch viel stärkerm Masse stattgefunden. Jene herrlichen Worte:

Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden.
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Muthes in den Himmel
Und holt herunter seine ew’gen Rechte....
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –

sind seitdem die Losung aller derer geblieben, die noch Mannessinn genug haben, um sich und ihr Recht nicht muthlos unter die Füsse treten zu lassen, sie enthalten die vollständige Apologie der Anschauung, nach der die rohe Gewalt zuletzt, wenn alle friedlichen Mittel erschöpft sind, wieder mit Gewalt zu vertreiben nicht nur erlaubt, sondern auch von der eigenen Menschenwürde entschieden geboten ist.

[Ξ] Tell, in dem der unsterbliche Freiheitskampf jener Landschaften eine hochberühmte Personification durch die Mythe gefunden hatte, wird vom Dichter zum Mittelpunkt seines Dramas gemacht, um uns den ganzen Weg, auf dem ein braves und frommes Volk Schritt für Schritt im Widerstand gegen wahnsinnige Willkür weiter getrieben wird bis zum Aeussersten, psychologisch am einzelnen nachzuweisen.

Tell ist ein Held, aber ein bäuerischer, er ist durchaus ein Mann der That, nicht des Nachdenkens, er handelt wie alle Helden nicht aus Reflexion, sondern aus seinem Naturell heraus: er ist aus Einem Stück. Es ist der physische Muth, die Herculesnatur, die stählernen Nerven, verbunden mit der männlichen Freude an der Aufopferung und dem Wagniss, die ihn zum Heroen in seinem Kreise stempeln. So wird er uns gleich vorgeführt, jeder kennt ihn als solchen und vertraut seiner Thatkraft unbedingt.

Wohl bessre Männer thun’s dem Tell nicht nach:
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge –

sagt Ruodi von ihm, als er Baumgarten rettet. Dieses Gefühl der Kraft, das ihn überall trägt. macht ihn auch aller Berathung und Verbindung abgeneigt; „der Starke ist am mächtigsten allein“, sagt er ganz richtig, „ein rechter Schütze hilft sich selbst“, und weiter, seinem Instincte vertrauend:

Ich kann nicht lange prüfen oder wählen:
Bedürft ihr meiner zur bestimmten That,
Dann ruft den Tell! Es soll an ihm nicht fehlen! –

denn wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.

Solch Kraftbewusstsein, verbunden mit wenig Neigung zu prüfender Ueberlegung, ist aber nicht wohl denkbar, ohne Lust und Freude an dem Kampfe, wie sie Tell ebenfalls ausspricht:

Dann erst geniess’ ich meines Lebens recht,
Wenn ich mir’s jeden Tag aufs neu’ erbeute.

Und so sagt er denn dem Landvogt mit Recht: „Wär’ ich besonnen, hiess ich nicht der Tell.“ Nicht minder sicher ist auch in solcher Natur [Ξ] der Trieb vorhanden, jede Herausforderung anzunehmen. Gessler beurtheilt ihn daher ganz richtig, wenn er, um ihn zu dem Ungeheuersten zu treiben, ihn erst höhnt und ihm sagt:

Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer; der ist mir der Meister,
Der seiner Kunst gewiss ist überall,
Dem’s Herz nicht in die Hand tritt, noch ins Auge. . . . .
Du kannst ja alles, Tell! An nichts verzagst du;
Das Steuerruder führst du wie den Bogen;
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt:
Jetzt, Retter, hilf dir selbst –

gerade so, wie ihn sein eigener Knabe richtig erräth:

Frisch, Vater, zeig’s, dass du ein Schütze bist!
Er glaubt dir’s nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wüthrich zum Verdrusse schiess und triff!

Ebenso beurtheilt ihn seine Frau, wenn sie von der That äussert:

O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr;
Sie setzen in der blinden Wuth des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!

Sie fühlt dies scharf heraus, so sehr sie ihn auch liebt. Feigen kommt der Schreck vor dem Wagen, den Beherzten nachher; Tell sinkt daher erst zusammen, als er den Schuss gethan. Diese, langen Vorsätzen und weitaussehenden Projecten so abholde Natur hält aber einen Gedanken, zu dem man sie einmal genöthigt hat, um so zäher fest, wie es Tell thut, da er den Vorsatz zu Gessler’s Mord hier sofort unwiderruflich fasst, von dem ihn selbst die Schiffsscene, wo ein zahmerer Charakter wahrscheinlich auf die Gnade des Gegners gerechnet hätte, nicht abbringt. Die Argumentation, mit der er sich sein Vorhaben während des langen Lauerns in der hohlen Gasse zu rechtfertigen sucht, ist oft angegriffen worden, und doch enthält sie, wenn man sie des rhetorischen Prunks entkleidet, nur Motive, die in der Seele eines kühnen, verwegenen, aufs schwerste gereizten, neues Unheil fürchtenden Mannes, dessen Streit ein ganz [Ξ] persönlicher ist, vollkommen Platz haben. Er fühlt, dass sein Gegner dadurch, dass er ihn das erste mal in die Möglichkeit eines Mordes durch physischen und moralischen Zwang brachte, ihn mit Gewalt zum zweiten nöthigt, denn:

Die armen Kindlein, die unschuldigen,
Das treue Weib muss ich vor deiner Wuth
Beschützen, Landvogt! – Da, als ich den Bogenstrang
Anzog – als mir die Hand erzitterte –
Als du mit grausam teufelischer Lust
Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen –
Als ich unmächtig flehend rang vor dir:
Damals gelobt’ ich mir in meinem Innern
Mit furchtbarem Eidschwur, den nur Gott gehört,
Dass meines nächsten Schusses erstes Ziel
Dein Herz sein sollte!

Tell ist zu sehr Heldennatur, als dass ihm seine Phantasie den Gedanken an Flucht, an Versteck, an andere Mittel als den Kampf, um sich der Rache zu entziehen, auch nur in den Sinn kommen liesse. Dieser Auffassung als einer Nothwehr bleibt er daher ganz consequent, wenn er dem Parricida entgegenhält:

Darfst du der Ehrsucht blut’ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt vertheidigt?
Des Herdes Heiligthum beschützt? . . . .
Nichts theil’ ich mit dir. – Gemordet
Hast du, ich hab’ mein Theuerstes vertheidigt.

Wenn man die That Tell’s richtig beurtheilen will, so hat man immer die Zeit zu betrachten, in der sie geschah, die des rohen Faustrechts, wo jedermann mit dem Gedanken vertraut war, Gewalt mit Gewalt abzutreiben; die persönlichen Motive, so durchaus vorherrschend in seinem Mord, sind doch unter diesen Umständen ausreichend, und er sagt mit gerechtem Stolz:

 Diese Hand –
Hat euch vertheidigt und das Land gerettet:
Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben.



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Hedwig.

[Ξ]
HEDWIG, TELL’S FRAU.
(Wilhelm Tell.)


Ohne Zweifel ist der „Tell“ dasjenige der Schiller’schen Stücke, das dem „Wallenstein“ am ehesten den Rang streitig machen kann; steht es ihm in der geschlossenen Composition nach, so hat dagegen vielleicht keins so mächtig und erhebend auf die Zeitgenossen gewirkt, als dieser erhabenste Schwanengesang unsers Dichters. Diese Höhe dankt es aber nicht zum wenigsten der wunderbaren Wahrheit des Lokaltons, mit dem er sein Gemälde auszustatten gewusst hat, die ihm einen ganz eigenthümlichen Reiz verleiht, der um so mehr zu bewundern ist, als Schiller bekanntlich nie in der Schweiz war, weder Gegend noch Volk aus eigener Anschauung kannte. – Aber nicht nur ist die landschaftliche Scenerie mit einer unübertrefflichen Treue geschildert, sondern auch die ganze Denk- und Empfindungsweise des frommen und kräftigen, männlich stolzen Gebirgsvolks ist mit merkwürdiger Sicherheit getroffen, und ebenso hat Schiller den schlichten Ton desselben mit grosser Geschicklichkeit der Pracht seiner Sprache zu vermählen gewusst, sodass uns viele Stellen des Stücks anmuthen wie ein Gesang des Homer, wo denn freilich noch die weitere Aehnlichkeit auffällt, dass der Stoff des „Tell“ nicht minder als dieser schon als ein Erzeugniss der echtesten von allen, der Volkspoesie, vorlag und bei beiden der Dichter nur noch die künstlerische Form dazuzuthun hatte, sodass wir den „Tell“ neben den „Nibelungen“ und dem „Faust“ als das dritte unserer grossen nationalen Gedichte betrachten dürfen.

In dieser Natürlichkeit von Ton und Haltung mit am allergelungensten von allen Figuren des Stücks ist Hedwig, Tell’s Frau, die unsere Aufmerksamkeit zwar nur in drei kurzen Scenen in Anspruch nimmt, aber doch uns hier schon in jedem Stück die Denkungsart der echten Bäuerin [Ξ] zeigt. Höhere, aufs Allgemeine gerichtete Ideen, wie sie der mehr zum Heroischen, Unternehmenden neigende Charakter der feiner gebildeten Frau des Stauffacher hegt, liegen ihr fern, ihre Welt ist ganz allein in ihrem Hause, in ihrem Mann und ihren Kindern. Für diese besitzt sie aber eine um so rührendere Liebeskraft, die sich wie bei so vielen sanftern weiblichen Geschöpfen besonders immer in ewiger Furcht um sie äussert: eine Form die Zärtlichkeit zu verstecken, deren ungekünstelter und naiver Ausdruck uns tief bewegt, wenn der Tell ihr sagt, dass ihn die Natur nicht zum Hirten gemacht habe, und sie dann seines Jägerhandwerks gedenkend, in die Worte ausbricht:

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt.
Denn mich erfüllt’s mit Grausen, was die Knechte
Von euern Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Dass du mir nimmer werdest wiederkehren.

Wenn sie der Künstler daher so dargestellt hat, wie sie den Gatten erwartet und ihm nachsinnt, so hat er ihr diese Stellung gegeben, weil sie die ihren Charakter am meisten bezeichnende Passivität und Innerlichkeit am entschiedensten auszusprechen schien. Zu den derben kräftigen Formen der Hausfrau, die überall selbst zugreift, und von früh bis spät an der Arbeit ist, war hier der schier kindliche sinnende Ausdruck eines Gesichts zuzugesellen, das Sanftmuth und tiefe starke Empfindung zugleich ausspräche, die sich aber für den geliebten Mann, die theuern Kleinen zur höchsten Leidenschaft zu steigern doch vermag. Am liebenswürdigsten ist sie vielleicht, wie sie, immer in Angst um ihn, sein muthiges Wagen für andere, die ihn nichts angehen, nicht versteht, und doch der Stolz auf ihn überall durchblickt, wenn sie ihm vorwirft:

Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist;
Das Schwerste wird dein Antheil sein, wie immer. . . .
Den Unterwaldner hast du auch im Sturme
Ueber den See geschafft. – Ein Wunder war’s,
Dass ihr entkommen. – Dachtest du denn gar nicht
An Kind und Weib?. . . .

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Zu schiffen in dem wüth’gen See! Das heisst
Nicht Gott vertrauen! Das heisst Gott versuchen! . . . .
Ja, du hist gut und hülfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Noth kommst, hilft dir keiner.

Ist das nicht echt hausfraulich gedacht? Der weiblichen Natur wird alles Allgemeine nur begreiflich, wenn sie sich es persönlich zu machen vermag; die Liebe erst macht ihr die Aufopferung verständlich und so sieht sie dieselbe auch blos bei ihrem Mann, während ihr die andern neben ihm egoistisch und beschränkt vorkommen. Wenn die Furcht die Lust am Wagniss nicht begreift, so hat sie dagegen desto schärfere Augen für die Gefahr. Mit welchem Scharfsinn erräth sie den Zorn des Landvogts, als ihr Tell erzählt, wie ihm derselbe im Gebirge begegnet sei und sich vor ihm gefürchtet habe:

Er hat vor dir gezittert? – Wehe dir!
Dass du ihn schwach gesehn, vergibt er nie.

Ganz Frauenart ist es auch, dass sie wol sich erlaubt, über den geliebten Mann zu schmählen, sein Thun zu schelten:

Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind! –
O, hätt’ er eines Vaters Herz, eh’ er’s
Gethan, er wäre tausendmal gestorben! . . . .
Und lebt’ ich achtzig Jahr – ich seh’ den Knaben ewig
Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

und doch, sowie ihr jemand den Mangel an Mitgefühl für ihn vorwirft, rasend auffährt und mit vernichtendem Hohn dem Baumgarten und den andern entgegen wirft:

Hast du nur Thränen für des Freundes Unglück?
– Wo waret ihr, da man den Trefflichen
In Bande schlug? Wo war da eure Hülfe? . . . .
 Hat der Tell
Auch so an euch gehandelt?

Jetzt erst kommt sie ganz zum Bewusstsein ihres Verlustes und Schmerzes, die Leidenschaft macht sie beredt und schärft ihr den Blick, während sie eben noch über ihn gescholten, zeigt sie fortfahrend auf einmal, dass sie wohl weiss, was sie und alle an ihm hatten:

[Ξ]

Was könnt ihr schaffen ohne ihn? – Solang’
Der Tell noch frei war, ja, da war noch Hoffnung,
Da hatte noch die Unschuld einen Freund,
Da hatte einen Helfer der Verfolgte,
Euch alle rettete der Tell – ihr alle
Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!

Aber lange, todesbange Tage müssen noch vergehen, bis die Ketten gesprengt sind; hat sie erst die Nachricht von seiner That mit schaudernder Furcht erfüllt, die sich erst in Hoffen und Freude allmählich auflösen konnte, als sie sah, wie die That des Tell das Signal zur Befreiung des ganzen Landes geworden, wie der, den sie als flüchtigen Mörder anfangs verfolgt glauben musste, jetzt als Erretter des Vaterlandes zu ihr zurückkehren soll, welchen Kreislauf erschütterndster Empfindungen hatte da die Arme zu durchlaufen! Wie hinreissend wird uns dieses Wiedersehen geschildert, wenn die von Schmerz und Freude gleich gehobene Frau den Kindern den Vater erst ankündigt:

Heut’ kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!
Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!
Und euer Vater ist’s, der’s Land gerettet.

dann gegen Walti, der sein Theil des Ruhms in Anspruch nimmt, in die Worte ausbricht:

 Ja, du bist mir wieder
Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!
Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!
Es ist vorbei – ich hab euch beide, beide!
Und heute kommt der liebe Vater wieder!

dann ihr aber, da sie den geliebten Mann kommen hört, die Stimme versagt, die Knie wanken und sie sich zitternd an der Thür festhalten muss, vor Entzücken ihm nur weinend in die Arme sinken kann!

Wer sollte hier, bei der Darstellung dieses schönen echt menschlichen Verhältnisses nicht ahnen, um wieviel enger und beseligender das Band ist, das glückliche Gatten umschlingt, als das, welches blos Liebende verbindet?



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Tell’s Knabe.

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TELL’S KNABE.
(Wilhelm Tell.)


Wie wir den „Tell“ als das unsterbliche Hohelied der Freiheit zu betrachten haben, als das schönste und vollendetste Vermächtniss, das der scheidende Genius seiner Nation hinterlassen, so kann man die ungeheuere Macht und Wirkung desselben aus der Art ermessen, wie diese Nation dasselbe aufgenommen, wie sie diese Erbschaft ihres herrlichsten Sohnes angetreten hat. Man weiss die Antwort aus dem grossartigen Kampfe gegen die Fremdherrschaft, der Abschüttelung der schmachvollen Ketten, in die sie durch die Schuld ihrer Führer und die eigene Schwäche geschlagen worden war. Wohl hat sich kein Dichter der Welt einer ähnlichen ungeheuern unmittelbaren Wirkung auf sein Volk zu rühmen als hier Schiller. Er zeigt uns wie kein anderer, dass es das Vorrecht der genialen Naturen ist, die Denkungsart, ja selbst den Charakter ihrer Nation zu formen, und so mittelbar selbst ihre Geschichte zu bilden. Oder welchen Deutschen erfüllte es nicht mit gerechtem Stolze auf den Dichter wie auf das Volk, das ihn geboren, wenn er Deutschland betrachtet, wie es Schiller fand, und dann das Jahr 1813 selbst als das Echo der Gesänge unsers grossen Barden, als das schönste Denkmal sieht, das wir ihm errichten konnten!

So alles durchdringend ist aber auch der männliche Geist der Freiheit, des kühnen Muthes, des Widerstandes gegen die Gewalt in dem Drama, dass er uns aus allem entgegenspricht, selbst aus dem Knaben Wälty athmet uns schon der verwegene Sinn der Löwenbrut entgegen. Die erste Lehre, die wir den Vater dem Buben geben hören: „Ein rechter Schütze hilft sich selbst!“ ist freilich nicht danach, Muttersöhnchen zu erziehen, sowenig als die Maxime:

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Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben
Sich frisch will schlagen, muss zu Schutz und Trutz
Gerüstet sein.

Der Muth ist zur guten Hälfte Folge der Erziehung, und Tell weiss ihn, wie man sieht, zu pflegen, er muss aber zur andern Hälfte wie der Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit schon angeboren sein; bei Wälty ist letzteres der Fall wie jenes, denn die erste Frage, die er bei Erweiterung seiner geographischen Kenntnisse durch den Vater und seinen Berichten von den Segnungen der Ebene und ihren Bewohnern thut, ist die:

 Wohnen sie
Nicht frei, wie da, auf ihrem eignen Erbe? –

und als das verneint wird, schwankt er nicht in seiner Wahl:

Vater, es wird mir eng im weiten Land:
Da wohn’ ich lieber unter den Lavinen.

Noch rascher ist der Junge aber mit dem Gedanken des Widerstandes bei der Hand; als der Vater verhaftet wird, begnügt er sich nicht mit Klagen, sondern ruft:

Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft!
Gewalt! Gewalt! Sie führen ihn gefangen.

Der Trotz gegen die Gefahr ist seine stärkste Empfindung; selbst als er alles um sich zittern sieht:

Grossvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll. Ich fürcht’ mich nicht.

Er will vor allen Dingen nicht gebunden sein:

 Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will
Still halten, wie ein Lamm, und auch nicht athmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ich’s nicht,
So werd’ ich toben gegen meine Bande!

[Ξ] Ebenso wenig will er sich die Augen verbinden lassen. Das kleine Herz ist fest wie Stahl, und es entzückt uns, wenn er sagt:

Frisch, Vater, zeig’s, dass du ein Schütze bist!
Er glaubt dir’s nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wüthrich zum Verdrusse schiess und triff!

Dass er nicht den Schein von Furcht gehabt hat, zeigt er uns nachher, wo die Angst um das geliebte Kind selbst seinen Vater übermannt, da ruft er blos triumphirend:

Vater, hier ist der Apfel. – Wusst’ ich’s ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.

Es war natürlich, dass der Künstler den Jungen in diesem Moment auffasste, um den kleinen, blonden, freudestrahlenden Teufelskerl wiederzugeben, in dem die Gutmüthigkeit und die Verwegenheit sich beständig so liebenswürdig streiten.

Der nimmer endende Kampf mit der Natur, in dem sich der Gebirgsbewohner fast unaufhörlich befindet, bildet denn freilich die Eigenschaften auch von früh an aus, die ihn zum Kampfe mit den Menschen am meisten befähigen: den kaltblütigen Muth, die Geistesgegenwart und den stolzen, unbeugsamen Trotz auf die eigene Kraft; immer auf sich gestellt fast in jedem Momente seines Lebens, sei es auf der steilen Alm als Hirt oder in den Felsen und Abgründen des Gebirgs als Jäger, sei es unter den Gewitterfluten des Sommers oder dem Donnern der Lavinen, dem Brausen der Schneestürme des schauerlichen Winters, – immer ist er im Angesicht der Gefahr. Da wächst denn freilich jener Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit nicht nur, sondern auch jene Schnelligkeit des Blicks, jene scharfe Intelligenz, die allen Gebirgsbewohnern gemeinsam sind, und deren keimende Züge aus unserm Wälty schon ein so lebendiges Bild machen. Rasch bekommt der kleine Republikaner auch das stolze Bewusstsein seiner That, denn da die Mutter sagt: „Euer Vater ist’s, der’s Land gerettet“, so nimmt er sofort seinen Theil der Verdienste auch in Anspruch:

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Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!
Mich muss man auch mit nennen. Vaters Pfeil
Ging mir am Leben hart vorbei, und ich
Hab’ nicht gezittert.

Gewiss ist das Bild des kernigen Jungen, wie es Schiller zeichnet, von einer Frische und Echtheit, er ist ein so naturwüchsiges Kind seiner rauhen und doch so poetischen Heimat, dass durch seine Schilderung derselbe Hauch kräftiger, würziger Alpenluft zieht, den der Dichter durch das ganze Stück mit so unübertrefflicher Meisterschaft zu verbreiten gewusst hat. Diese starke lokale Färbung, die alles im „Tell“ trägt, die mit gleichem Glanz das Gemälde der Natur, das in so wunderbarer Pracht vor uns aufgerollt wird, wie die Menschen belebt, die sich von ihrem grossartigen Hintergrund abheben, und sie so wahr, so energisch und glaubwürdig erscheinen und zugleich so eng miteinander verbunden, so durchaus voneinander bedingt sein lässt: sie ist wol der höchste Reiz des Stücks, und der Dichter entfaltet in ihr eine Gabe realistischer Darstellung, die das idealisirende Pathos früherer Stücke an poetischem Werth weit übertreffen möchte. Die Macht, mit der er hier oft durch ein paar Striche ein Bild zu skizziren und unsere Phantasie zur Vervollständigung desselben anzuregen weiss, ist so wunderbar, dass die deutsche Literatur schwerlich der Anschaulichkeit, der plastischen Kraft jener Naturschilderungen etwas Aehnliches von gleichem Werthe an die Seite zu setzen oder Figuren von grösserer Frische und Liebenswürdigkeit als die unsers Wälty aufzuweisen haben wird.



[Ξ]

Arnold vom Melchthal.

[Ξ]
ARNOLD VOM MELCHTHAL.
(Wilhelm Tell.)


Hat im Tell das ganze damalige schweizerische Volksthum seinen Vertreter, wie es schlicht und mannhaft, mehr durch die Noth des Augenblicks zu seinen letzten Zielen hingedrängt wird, als ihnen mit voller Erkenntniss nachstrebt, so ist dagegen Arnold der Vertreter der neuanbrechenden Zeit und ihrer Anschauungen; was sich in den andern allen von republikanischer Gesinnung, von freiem Bürgerstolz nur im Keime unbewusst vorfindet, tritt bei ihm bereits als fertiger Anspruch mit vollem Bewusstsein auf. Er ist der entschiedenste Repräsentant der Zukunft, jener grossen demokratischen Bewegung, die ziemlich gleichzeitig auch durch alle deutschen Gemeinwesen ging und in den meisten Reichsstädten mit dem Sturz des patricischen Regiments endigte.

Der heissblütige Jüngling ist am schnellsten von allen fertig mit Entschluss und That, er ist recht eigentlich die Seele des Angriffs, ein Achilles im Bauerkittel; das Schlagfertige in der Natur bricht überall hervor, ob er nun zeige, wie er gereizt worden, und uns dabei den trostlosen Zustand des ganzen Volks unter dem Druck der Willkürherrschaft wie seine eigene kochende Erbitterung plastisch male, wenn er die Veranlassung seiner Flucht erzählt:

Ertragen sollt’ ich die leichtfert’ge Rede
Des Unverschämten: „Wenn der Bauer Brot
Wollt’ essen, mög’ er selbst am Pfluge ziehn!“ . . . .
Da übernahm mich der gerechte Zorn
Und, meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten –

und dann weiter des Vaters erwähnt:

[Ξ]

Mich jammert nur der Vater. – Er bedarf
So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern.
Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets
Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten,
Drum werden sie den alten Mann bedrängen –

oder ob er auf des ältern Freundes Warnung, der ihm sagt, dass die Tyrannen sich die Hände reichen, gleich erwidert:

Sie lehren uns, was wir thun sollten.

Sofort, nachdem er des Vaters Unglück erfahren, bricht er aus:

– Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir
Die Armbrust spannen und die schwere Wucht
Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward
Ein Nothgewehr in der Verzweiflung Angst.

Ebenso fährt er zuerst auf, als Tell gefangen wird:

Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wir’s?

Kurz, überall ist er mit der raschen That bei der Hand.

Dass er aber eine edle und bedeutende Natur nicht nur, sondern auch ein geborener Parteiführer ist, zeigt sich schon dadurch, dass ihn sein besonderes Unglück gleich zum allgemeinen hinüberleitet, dass er die Befriedigung nicht in einer persönlichen Genugthuung, wie sie durch den Mord des Gegners zu erlangen wäre, denn Mittel, welches Tell ergreift, sondern nur im Sturz des ganzen Systems sucht, – wenn er die Hand zum Himmel hebt und schwört:

 Blinder, alter Vater,
Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen;
Du sollst ihn hören!

In diesem Augenblick hat ihn der Künstler aufgefasst, und glaubte in ihm nicht nur den jungen Helden, sondern auch den Bauern charakterisiren zu müssen, da der eine wie der andere hier im Melchthal gleich wichtig sind, der eben der Vertreter des plebejischen Elements im Gegensatz zu Rudenz ist, den Bruch mit der alten Zeit zuerst anfängt. Dies erweist er am deutlichsten, da Walther Fürst die, welche bisjetzt [Ξ] immer vorangeschritten, die adelichen Geschlechter des Landes, berathen will, vor dem zu schliessenden Bunde, der ihnen die Freiheit wiedergewinnen soll:

Wir wollen hören, was die edeln Herrn
Von Sillinen, von Attinghausen rathen.

Er entgegnet sofort und setzt es durch:

 – Was braucht’s
Des Edelmanns? Lasst’s uns allein vollenden!
Waren wir doch allein im Land! Ich meine,
Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen.

Rudenz, der, ebenfalls jung, die Jugend am besten versteht, sagt, die demokratische Tendenz herausfühlend, ganz richtig von ihr:

Wohl thut es ihnen, auf der Herrenbank
Zu sitzen mit dem Edelmann – den Kaiser
Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben.

Das Ziel wenigstens, zu dem ihre Anschauungen mit Sicherheit hinführen müssen, ist kein anderes als das der vollständigen Unabhängigkeit, während die ältere Partei höchstens so weit in ihrem Raisonnement geht als Attinghausen, der die reichsunmittelbare Stellung der Lande vertheidigt und nichts weiter als das Ideal einer Communal- oder Provinzialfreiheit im Auge hat.

Melchthal befindet sich diesen Conservativen gegenüber in vollständigstem Gegensatz der Ansichten über die Zukunft, wenn sie auch für das Nächste Eines Sinnes sind. Wenn daher Staufacher lehrt:

Denn dieses ist der Freien einz’ge Pflicht,
Das Reich zu schirmen, das sie selbst beschirmt –

so erwidert Melchthal:

Was drüber ist, ist Merkmal eines Knechts.

Der politisch gebildete Attinghausen begreift die Richtung am ersten, deren jugendlichen Vertreter wir im Melchthal sehen, wenn er ahnend prophezeit:

Hat sich der Landmann solcher That verwogen,
Aus eignem Mittel ohne Hülf’ der Edeln,

[Ξ]

Hat er der eignen Kraft so viel vertraut –
Ja, dann bedarf es unserer nicht mehr:
Getröstet können wir zu Grabe steigen,
Es lebt nach uns – durch andre Kräfte will
Das Herrliche der Menschheit sich erhalten . . . .
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.

Am deutlichsten spricht Arnold die Eifersucht, mit welcher er allein von den Häuptern des Bundes auf den Adel blickt, aus, da er zum Rudenz spricht:

Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch
Ein Manneswort! Was ist der Ritter ohne uns?
Und unser Stand ist älter, als der eure –

und wenn er den Hergang bei Einnahme des Schlosses Sarnen erzählt:

– Wär’ er nur unser Edelmann gewesen,
Wir hätten unser Leben wohl geliebt;
Doch er war unser Eidgenoss, und Bertha
Ehrte das Volk.

So ist es auch echt republikanisch, wenn er am Ende triumphirend ausruft:

So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern
Der Tyrannei, und herrlich ist’s erfüllt,
Was wir im Rütli schworen, Eidgenossen!

  Walther Fürst.
Das Werk ist angefangen, nicht vollendet.
Jetzt ist uns Muth und feste Eintracht noth:
Denn, seid gewiss, nicht säumen wird der König,
Den Tod zu rächen seines Vogts und den
Vertriebnen mit Gewalt zurückzuführen!

  Melchthal.
Er zieh’ heran mit seiner Heeresmacht!
Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt;
Dem Feind von aussen wollen wir begegnen –

und damit den Gedanken der unbedingten Freiheit schon fertig ausspricht.



[Ξ]

Bertha von Bruneck.

[Ξ]
BERTHA VON BRUNECK.
(Wilhelm Tell.)


Die frische, kräftige Gestalt der reichen Erbin, deren Liebesepisode mit Rudenz im „Tell“ schon mancherlei kritische Anfechtungen erlitten hat, scheint uns denn doch nicht so ganz überflüssig im Stück zu stehen, als man bisweilen hat behaupten wollen. Wenn Rudenz uns ganz unerlässlich vorkommt, als der Repräsentant jenes Theils des Adels, welcher sich, verblendet vom Glanz der Herrschaft, der fremden Unterjochung angeschlossen hatte, so ist das ein nur gar zu wahr erfundener Zug, der zu allen Zeiten und bei den Deutschen ganz insbesondere vorgekommen ist, den sie in der Wirthschaft des kurz nachher auftauchenden westfälischen Hofs und anderwärts für die Ehre unserer Nation leider viel zu unmittelbar vor Augen hatten. Wie Rudenz zu Attinghausen sagt: „Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause“, und ihm sein Ohm die ganze Leere der Gründe, die zu solchem Abfall treiben, treffend schildernd, erwidert:

Ja, leider bist du’s! Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern;
Den Landmann blickst du mit Verachtung an
Und schämst dich seiner traulichen Begrüssung. . . .
 Dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz – dich siehet man,
Abtrünnig von den Deinen, auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth
Hohnsprechend, nach der leichten Freude jagen
Und buhlen um die Fürstengunst, indess
Dein Vaterland von schwerer Geisel blutet –

so lässt sich die Beziehung dieser Schilderungen auf das, was der Dichter selber noch theilweise mit ansah, so wenig als die noch so vieler andern im „Tell“ schwerlich verkennen.

[Ξ] So armselig die Gründe sind, welche Rudenz angibt für sein frivoles und treuloses Thun:

Ja, ich verberg’ es nicht – in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns
Den Bauernadel schelten. . . .
Vergebens widerstreben wir dem König.
Die Welt gehört ihm: wollen wir allein
Uns eigensinnig steifen und verstocken,
Die Länderkette ihm zu unterbrechen,
Die er gewaltig rings um uns gezogen? –

so sind sie doch nicht minder in der Regel die bestimmenden gewesen, auch in unserer Periode, man hörte sie in der Napoleonischen Zeit von allen Anhängern des Rheinbundes mit grösster Schamlosigkeit vorbringen und es half lange Zeit wenig, dass die echten Conservativen, die Heroengestalten, an denen der deutsche Adel auch damals keineswegs arm war, gleich Attinghausen den Ueberläufern entgegenhielten:

Nein, wenn wir unser Blut dran setzen sollen,
So sei’s für uns – wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtschaft ein! . . . .
Ans Vaterland, ans theure, schliess dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.

Die Jugend, deren beide Richtungen wir in Rudenz und Melchthal repräsentirt sehen, die die neue Zeit heranführt, muss ihre eigenen Bildungsprocesse durchmachen. Bei Rudenz führt er zu einem glücklichen Ende durch die kerngesunde, echte Gesinnung des Fräuleins, die ihn an sich gefesselt, die die Schweizerin in jedem Zug ausspricht, obwol sie nicht speciell den Waldstätten angehört. Der kühnen Jägerin ganzes Herz schlägt mit jener liebenswürdigen Treue der Frauen für die geliebte Heimat, und was die Gründe des Onkels nicht vermochten, gelingt ihrer zornigen Zärtlichkeit mit leichter Mühe, denn beschämt vor einem geliebten Weib zu stehen, erträgt kein Mann, der noch einen Funken von Ehre hat. Er kann aber durch falsche Schlussfolgerungen, irrige Systeme verführt werden, während die Frau den ersten grossen Forderungen der Natur immer nahe bleibt, immer [Ξ] leichter zu ihnen zurückkehrt. Wenn sie dem Irregeleiteten daher mit der vernichtenden Kraft der Wahrheit bei seinen Liebesbetheuerungen das einfache Dilemma entgegenhält:

Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten? . . . .
Mich denkt Ihr auf der Seite des Verraths
Zu finden? Eher wollt’ ich meine Hand
Dem Gessler selbst, dem Unterdrücker schenken,
Als dem naturvergessnen Sohn der Schweiz,
Der sich zu seinem Werkzeug machen kann! . . . .
Gibt’s schönre Pflichten für ein edles Herz
Als ein Vertheidiger der Unschuld sein,
Das Recht der Unterdrückten zu beschirmen? . . . .
Ihr aber, den Natur und Ritterpflicht
Ihm zum geborenen Beschützer gaben,
Und der’s verlässt, der treulos übertritt
Zum Feind und Ketten schmiedet seinem Land,
Ihr seid’s, der mich verletzt und kränkt –

so ist die Logik ihrer Gründe derart, dass ihr kaum ein Jünglingsgemüth widerstehen kann. Der gerade edle Sinn des Mädchens zerreisst wie ein Spinnengewebe die schwächlichen Gründe, die er ihr entgegenhält, wenn er einwendet, wie so viele es auch zur Napoleonischen Zeit ähnlich sagten:

Will ich denn nicht das Beste meines Volks?
Ihm unter Oestreichs mächt’gem Scepter nicht
Den Frieden –?

Bertha ist eine echte, frische Alpenrose, sie ziert sich nicht mit dem Bekenntniss ihrer Neigung, sie wirft es dreist in die Wagschale, um den Jüngling hinüberzuziehen:

 Rudenz.
Bertha! Ihr hasst mich, Ihr verachtet mich!
 Bertha.
Thät’ ich’s, mir wäre besser. – Aber den
Verachtet sehen und verachtungswerth,
Den man gern lieben möchte! –

Und dass sie ihn wirklich liebt, dafür bürgt uns die Ungeduld, mit der sie es erträgt, ihn verachten zu sollen. Nichts aber wirkt [Ξ] zwingender für uns, als wenn man eine gute Meinung von unserm Charakter ausspricht, wenn man die Voraussetzung sehen lässt, dass wir etwas Schlechtes zu thun nicht im Stande sind. Selten werden wir dann noch wagen zu widerstehen, sie nicht zu rechtfertigen. Wenn ihm Bertha daher weiter sagt:

Nein, nein! Das Edle ist nicht ganz erstickt
In Euch! Es schlummert nur, ich will es wecken –

so ist ihr Sieg entschieden; denn welcher Liebende vermöchte es, der Geliebten gegenüber eine Gelegenheit zu versäumen, sich edel zu zeigen?

Eine von Natur kühne Frau wird herrschsüchtig, mischt sich in die Geschäfte des Mannes nur dann, sobald sie sieht, dass er seiner Pflicht fehle und schwach wird; sie tritt aber um so lieber augenblicklich in ihre Sphäre zurück, sobald er seiner Pflicht genügt, Muth und Entschlossenheit zeigt. Dann erscheint bald nur wieder das liebende Weib, das blos um sein Wohl besorgt ist. Haben wir also Bertha in der ersten Scene ihn mit stolzem Hohn übergiessen sehen, ist sie nicht nur als kernhafte, derbe, deutsche Maid, sondern auch als ein Glied der heimischen Opposition erschienen, so lässt sie das alles fallen, als der Geliebte, zu seiner Pflicht zurückkehrend, mit furchtloser Entschiedenheit dem Landvogt entgegentritt:

 Ich hab’ still geschwiegen
Zu allen schweren Thaten, die ich sah . . . .
Doch länger schweigen wär’ Verrath zugleich
An meinem Vaterland und an dem Kaiser. . . .
Das Beste aller glaubt’ ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht befestigte –
Die Binde fällt von meinen Augen –

da denkt sie nur noch an ihn und sucht ihn zurückzuhalten; die Heldenjungfrau verschwindet, weicht dem liebenden Weib, das schliesslich am Herzen des durch sie zu seinem Volk zurückgeführten Geliebten seine neue Heimat findet.



[Ξ]

Gessler.

[Ξ]
GESSLER.
(Wilhelm Tell.)


Nichts ist mehr geeignet unser Gefühl, den einem jeden angeborenen Sinn für Gerechtigkeit zu empören, als wenn diejenigen, denen ihre Handhabung aufgetragen ist, dieselbe in ihr Gegentheil verkehren, wenn sie die Herrschaft, in deren Namen Recht und Gesetz gesprochen und vollstreckt werden, die ein Segen sein sollte, zum Fluch umwandeln, und damit ihre Grundlage aufs tiefste erschüttern. Denn alle Herrschaft wurde gegeben, um das Recht heilig zu halten; in dem Augenblick, wo sie dies ihr Lebensprincip verleugnet, stellt sich auch sofort ihre eigene Berechtigung unwiderruflich in Frage; das göttlichste Recht hört auf eins zu sein, wenn es durch seine Vollstrecker zur Satire auf seinem eigenen Titel gemacht wird.

Gelingt es aber einer von Haus aus zur Willkür geneigten Natur, sich in die Rechte und Befugnisse einer Gesetz und Verordnung gebenden Macht einzudrängen, unter ihrem Schutz den eigenen egoistischen Trieben und Gelüsten zu fröhnen, so wird sie Schritt für Schritt immer umgreifender und übermüthiger werden, und es dadurch unausbleiblich nach irgendeiner Seite hin zum Bruch treiben.

Das Bild eines solchen willkürlichen Richters und tyrannischen Vertreters der obersten Macht, das uns mit einer so grossen Meisterschaft im Gessler vorgeführt wird, hat solchen Eindruck gemacht, dass es zeither dem Namen eines Landvogts einen sprichwörtlichen unangenehmen Beigeschmack verlieh. Treu dem System seiner besten Werke, das Menschliche weder ins Göttliche noch ins Teuflische zu übertreiben, sondern menschlich zu motiviren, hat der Dichter uns selbst diesen tückischen und boshaften Charakter in einer Weise gemalt, die ihn uns wenigstens verständlich macht.

[Ξ] Sich und andere betrügend, sucht er die innerliche Neigung zur Grausamkeit und Härte durch politische Motive zu rechtfertigen, durch jene Staatsraison, die man von jeher als Deckmantel für alles Schlechte gebraucht hat und deren Anrufung ihm selbst noch den Genuss einer gewissen höhern staatsmännischen Ueberlegenheit, die Möglichkeit, sich Beifall zuzuklatschen, übrig lässt. Er hat also auch ein Princip, einen leitenden Gedanken aufgefunden, um seine Grausamkeit zu beschönigen; es ist die alte, immer wieder aufs neue aufgetischte Lehre aller Despoten, dass der Zweck die Mittel heilige, wenn Gessler zum Harras sagt:

Sagt, was ihr wollt, ich bin des Kaisers Diener
Und muss drauf denken, wie ich ihm gefalle.
Er hat mich nicht ins Land geschickt, dem Volk
Zu schmeicheln und ihm sanft zu thun – Gehorsam
Erwartet er; der Streit ist, ob der Bauer
Soll Herr sein in dem Lande oder der Kaiser.

und als dieser an die Rechte des Volks erinnert, echt nach Despotenart motivirt:

Ich hab’ den Hut nicht aufgesteckt zu Altdorf
Des Scherzes wegen, oder um die Herzen
Des Volks zu prüfen; diese kenn’ ich längst.
Ich hab’ ihn aufgesteckt, dass sie den Nacken
Mir lernen beugen, den sie aufrecht tragen –
Das Unbequeme hab’ ich hingepflanzt
Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn müssen,
Dass sie drauf stossen mit dem Aug’, und sich
Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen.

Erinnert ihn dann Armgart an seine Pflicht:

Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter
Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes.
Thu’ deine Pflicht! So du Gerechtigkeit
Vom Himmel hoffest, so erzeig’ sie uns!

so erwidert er natürlich ganz consequent:

Fort! Schafft das freche Volk mir aus den Augen!

Der Landvogt schreit, wie alle, die hinter der Majestät der Herrschaft ihre Niedrigkeit verstecken, über Frechheit, und schliesst dann, wie der Uebermuth der Tyrannen es zu allen Zeiten gethan:

[Ξ]

Ein allzu milder Herrscher bin ich noch
Gegen dies Volk – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob’ es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.

Diese Lehre des unbedingten Gehorsams, das Mittel der Unbequemlichkeit um ihn zu prüfen, der Frechheit auf der Seite der Unterdrückten und der zu grossen Milde auf der der Unterdrücker: sind es nicht die Maximen und die Dialektik des Despotismus von je gewesen? Wir werden schwerlich irren, wenn wir annehmen, dass der Landvogt ein Mensch ist, der, lange in untergeordneten Stellen lebend, erst selber mishandelt und mit Hochmuth über die Schultern angesehen worden ist, bis es ihm gelang sich auf seinen jetzigen Posten zu schwingen und sich für die Misachtung, die dem immerhin fähigen und intelligenten Mann früher in reichlichem Theile von den Höherstehenden zu Theil geworden, durch ein verdoppeltes Gefühl seiner Wichtigkeit und durch das dreifache Mass von Hohn gegen die jetzt unter ihm Stehenden auszugleichen. Niemals wird unser Selbstgefühl beleidigt, ohne dass wir es rächen und uns eine Genugthuung verschaffen könnten, wie dies bei subalternen Beamten, ja bei Soldaten so oft der Fall ist, ohne dass es nicht eine fressende Wunde in dem Verletzten zurückliesse, die allmählich sein ganzes Inneres vergiftet und tückisch macht. Ebenso richtig durfte daher auch der psychologische Hergang in der Seele dieses Wütherichs motivirt erscheinen, wenn uns gezeigt wird, wie, als das schlechte Gewissen den Landvogt dazu bringt sich vor Tell erst einmal zu fürchten – etwas, was ohnehin kein Mann dem Gegenstand dieser Furcht verzeiht, um so weniger ein rachsüchtiger Tyrann –, der Weg zu der unerhörten Willkür und Grausamkeit, mit der er ihn nachher behandelt, um sich für den Schreck schadlos zu halten, vollkommen gebahnt ist.

Besonders eigenthümlich und echt mittelalterlich fällt noch der humoristische Zug Gessler’s in die Augen: er fühlt sich behaglich und zum Scherzen geneigt in seiner Rolle als Tyrann, ein sicherer Beweis, dass er es aus Naturell, nicht blos aus Reflexion ist. Das Ziel, das [Ξ] er dem Tell setzt, entspricht mehr oder weniger dem wilden und rohen, aber auch abenteuerlichen Charakter der Zeit; es bezeichnet den Hohn, mit dem die Aristokratie auf den Plebejer niederzuschauen pflegte. Der despotische Instinct ist ebenfalls vortrefflich gekennzeichnet, wenn der Landvogt das uralte germanische Recht der Freien aus dem Bauern- und Bürgerstande, Waffen zu tragen, bestreitet, was alle Despoten von jeher thaten:

Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,
Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.
Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.

Die immer grössere Steigerung des Uebermuths und des Despotismus, welche mit Naturnothwendigkeit durch die Opposition herbeigeführt wird, die seine Gebote zuerst nur bei einzelnen furchtlosen Naturen finden, die dann gewöhnlich als Opfer der Uebermacht fallen und nun erst nach und nach die Masse mit dem Gedanken des Widerstandes vertraut machen und durch ihr opfermuthiges Vorangehen denselben zuletzt allemal mit Sicherheit bei einem noch gesunden und kräftigen Volk zum allgemeinen, zum Kampf auf Leben und Tod steigern, muss so entweder die Tyrannei zu ihrem eigenen Todtengräber machen, oder das besiegte Volksthum in ein gefühlloses Helotenthum herunterwürdigen, dessen selbständiges Leben geknickt ist. Dass einem solchen nichts Gesundes mehr entspriessen kann, dass in ihm keine der Blüten des menschlichen Geistes in Poesie und Kunst mehr fortkommt, kein Fortschritt selbst der Wissenschaft mehr denkbar sei, dass daher für jeden, der nicht auf die Hoffnung der Erreichung des schönen Ziels der Menschheit verzichten wolle, der Widerstand gegen Willkür die erste Mannespflicht sei, – das hat uns der Dichter in seiner Schilderung des einfachen Lebens und der ursprünglichen unentwickelten Zustände eines Hirtenvolks mit hinreissender unsterblicher Wahrheit für alle Zeiten gepredigt.