Turandot (Schiller-Galerie)
Turandot’s stolze Gestalt ist wol eine Zwillingsschwester unserer nordischen Brunhilde, nur mit dem Unterschied, dass sie den Kampf aufs Feld des Geistes verlegt, welchen diese hünenhaft der körperlichen Kraft zumuthet. Beide sind sie nur Personificationen jenes jungfräulichen Stolzes, der sich gegen die Vorstellung empört, einem Mann anzugehören, Seele und Leib ihm zu eigen zu geben. Beide Frauen sind starke Naturen, voll vom Gefühl der eigenen Kraft, jene Vorstellung revoltirt sie daher hauptsächlich, weil sie bis dahin noch keinen Mann kennen gelernt haben, der ihnen den Eindruck der Ueberlegenheit gemacht hätte.
Bei Turandot insbesondere sehen wir alsbald, wie weder der gegen sie so schwache Vater noch die Schar unterwürfiger Höflinge es vermögen konnten, ihr das Gefühl der Unterordnung ihres Geschlechts, und damit das der Hingebung einzuflössen, ihr irgendwie zu imponiren, da der Dichter Sorge trug, uns alle Personen ihrer Umgebung lächerlich oder verächtlich erscheinen zu lassen. Wenn man boshaft sein wollte, so liesse sich vielleicht gerade aus ihrer Kampflust deduciren, dass bei beiden Frauen im Hintergrunde der Seele nichtsdestoweniger der Wunsch schlummert – besiegt zu werden.
Dass die Schar theils von ihrer Schönheit toll gewordener, theils nach ihrer Mitgift lüsterner Liebhaber speciell Turandot’s Achtung vor dem Männergeschlecht ebenfalls nicht vermehren kann, liegt auf der Hand. Sie will keinen Herrn haben, der nicht auch würdig sei sie zu beherrschen, dessen Ueberlegenheit sie nicht anzuerkennen gezwungen [Ξ] sei, indem er Geist und Muth zumal in gleich hohem Grade bethätige. Aus dieser Empfindung ist ihr Verlangen, den Freiern Räthsel aufzugeben, sowie die Schrecken, mit denen sie den Rather bedroht, hervorgegangen. Ist es doch billig, dass der, welcher nach so hohem Preise strebt, desselben auch würdig sei, dass er also Schärfe des Geistes genug besitze, um in jeder Umhüllung ihre Gedanken herauszufinden, Geistesgegenwart und Muth genug, um allen Schrecken des Todes wie der verwirrenden Macht der Schönheit gegenüber, ja selbst mit der mächtigsten Leidenschaft im eigenen Busen, nicht die Herrschaft über sich, keinen Augenblick die vollendetste Fassung zu verlieren. Wenn man dies grausam finden will, so erwidert Ehren Truffaldin mit allem Fug:
Es heisst kein Mensch die Prinzen ihren Hals
Nach Pekin tragen, niemand ruft sie her. . . .
Wir nehmen keinem
Den Kopf, der einen mitgebracht. Der hat
Ihn schon verloren, längst, der hier ihn setzt! . . . .
Werben kann ein jeder:
Es ist nichts leichter, als aufs Freien reisen.
Man lebt auf fremde Kosten, thut sich gütlich,
Legt sich dem künft’gen Schwäher in das Haus,
Und mancher jüngre Sohn und Krippenreiter,
Der alle seine Staaten mit sich führt
Im Mantelsack, lebt blos vom Körbeholen.
Es war nicht anders hier, als wie ein grosses
Wirthshaus von Prinzen und von Abenteurern,
Die um die reiche Kaisertochter freiten:
Denn auch der Schlechtste dünkt sich gut genug
Die Hände nach der Schönsten auszustrecken. . . .
Da siehst du, Kamerad, wie gut und ehrlich
Es die Prinzess mit ihrem Freier meint,
Dass sie die Räthsel vor der Hochzeit aufgibt.
Nachher war’s noch viel schlimmer. . . .
Doch, wer die stacheligen Räthsel nicht
Auflöst, die seine Frau ihm in der Eh’
Aufgibt, der ist verlesen und verloren!. . . .
Brigella.
So mögen’s denn meintwegen Räthsel sein,
Wenn sie einmal die Wuth hat, ihren Witz
[Ξ]
Zu zeigen. – Aber muss sie denn die Prinzen
Just köpfen lassen, die nicht sinnreich gnug
Für ihre Räthsel sind? – Das ist ja ganz
Barbarisch, rasend, toll und unvernünftig.
Wo hat man je gehört, dass man den Leuten
Den Hals abschneidet, weil sie schwer begreifen?
Truffaldin.
Und wie, du Schafskopf, will sie sich der Narren
Erwehren, die sich klug zu sein bedünken,
Wenn weiter nichts dabei zu wagen ist,
Als einmal sich im Divan zu beschimpfen?
Auf die Gefahr hin, sich zu prostituiren
Mit heiler Haut, läuft jeder auf dem Eis.
Wer fürchtet sich vor Räthseln? Räthsel sind’s
Gerad’, was man fürs Leben gern mag hören.
Das hiess’ den Köder statt des Popanz’s brauchen.
Und, wäre man auch wegen der Prinzessin
Und ihres vielen Gelds daheim geblieben,
So würde man der Räthsel wegen kommen.
Denn jedem ist sein Scharfsinn und sein Witz
Am Ende lieber als die schönste Frau!
Können nun die Eigenschaften, die zur Lösung der gestellten Aufgabe führen, wohl für den Besitz eines Throns würdig machen, so reichen sie doch offenbar nicht aus, ihrem Herzen zu genügen, da ja wol ein kluger und muthiger, aber nichtsdestoweniger liebloser, lediglich ehrgeiziger Mann sie auf diese Weise gewinnen könnte. Es ist die jähe Ahnung dieses Fehlers in ihrem Calcul, welche sie mit solchem Entsetzen erfüllt, als Kalaf erscheint und ihrer Weisheit spielend Meister wird; diese Ungewissheit, ob ihr denn auch der höchste und einzige Preis, der für Liebe gezahlt werden kann: die Gegenliebe, sicher sei, sie ist es, welche sie zum Aeussersten, zur Raserei treibt.
Diese Angst wird noch gesteigert, da sie in sich selber eine Stimme vernimmt, die lebhaft für ihn spricht, die Macht fühlt, welche dieser Fremdling sofort über sie ausübt; sagt sie doch bei seinem Erscheinen gleich:
Noch keiner trat
Im Divan auf, der dieses Herz zu rühren
Verstanden hätte. Dieser weiss die Kunst.
[Ξ] Stolze und kräftige Naturen empören sich aber zunächst immer gegen das, was sie beherrschen will: es ist die Reaction der unberührten gesunden Natur gegen das süsse berauschende Gift der Liebe. Ein jeder hat das Recht seinen Preis selbst zu bestimmen schon im gewöhnlichen Leben, es kommt eben nur darauf an ob er auch einen Käufer findet, daher zeugt es von richtiger Selbsterkenntniss, wenn er überall gern bezahlt wird. Turandot’s Stolz hat sie den höchsten Einsatz verlangen lassen: die Wagniss des eigenen Lebens, und sie hat recht schon darum, weil man überhaupt kein anderes Leben an sich fesseln darf, wenn man nicht bereit ist das seinige dagegen zu setzen; jeder Mann muss entschlossen sein, für den Besitz einer Frau diesen Preis zu wagen, es liegt daher keine Grausamkeit in der Prinzessin Verlangen, in so barocke und erschwerende Formen das Märchen es auch eingekleidet hat.
Hat ihr Kalaf nun bewiesen, dass er durch seine Gaben ihrer würdig ist, so fehlt noch viel, dass sie auch seiner Liebe sicher sei, sie gesteht ihm ihre Neigung daher auch erst dann ein, als sie ihn alle Proben bestehen lassen, als sie durch Lösung seines Räthsels ihn ihrerseits bezwungen hat, indem es ihr dadurch möglich geworden ist sich ihm als dem Würdigsten frei zu schenken, nachdem sie durch sein edles Verhalten in jeder Prüfung seiner Liebe sicher geworden.
Der Künstler hat uns die reizende Sphinx dargestellt, wie sie eben den Schleier wegzieht, nachdem sie Kalaf das dritte Räthsel aufgegeben, in der vergeblichen Hoffnung, ihn durch den blendenden Glanz ihrer Schönheit zu verwirren und so über ihn jenen doppelten Triumph davonzutragen, den sie doch im innersten Grund ihres Herzens bereits um so mehr fürchtet, je weniger sie sich diese Furcht eingestehen will. Wir können ihr in diesem innern Streit um so weniger gram werden, als wir ja wissen, wie tief ihre Demüthigung sei, wenn sie sich nach dem, was geschehen, doch bezwungen sehe, wie die Glut um so grösser sein muss, je spröder und edler das Metall ist, das sie schmelzen soll, und endlich auch siegreich in Fluss bringt.
[Ξ]
Kunstwerke sind Organismen wie der Mensch selber, haben alle eine Seele wie er. Sie ist keine andere als die Empfindung, Anschauung, der innerste Gedanke, aus dem sie entstanden. Beide, Menschen und Kunstwerke, können von ihrem Schöpfer nicht nach Belieben geformt werden, er weiss nichts von dieser Seele, sie ist unabhängig von ihm und gehorcht ihren eigenen Gesetzen; wenn sie gleich meist sein Bild zeigt, der seinigen ähnlich ist, so versteht sie doch oft ein anderer viel besser als er. So zeigt uns auch Schiller die Seele des Gozzi’schen Märchens, das er zu „Turandot“ umarbeitete, viel besser als Gozzi selber; durch Brigella’s und Truffaldin’s prosaische Sancho-Pansa-Weisheit schält er uns jenen Grundgedanken in ihrem burlesken Dialog am reinsten heraus.
Zu den charakteristischen Zügen unsers Dichters gehört allerdings die Abwesenheit fast aller Naivetät: er ist durchaus bewusst, daher hat er auch wenig Sinn für das Spiel, für das phantastische Sichgehenlassen; die geniale Willkür des Märchens ist eigentlich nicht für ihn. Er versetzt es unwillkürlich auf einen zu realen Boden durch die gediegene Pracht seiner Sprache, die Bestimmtheit seiner Zeichnung; er erfüllt seine Gestalten mit einer Wahrheit und Consequenz, neben welcher das Märchenhafte als blosse Willkürlichkeit stehen bleibt, als Theaterputz neben echten kostbaren Gewändern. Des Italieners Schöpfung war naiv und begnügte sich damit, uns eine seltsame Geschichte zu erzählen, aus heller Freude am Wunderbaren, nicht an dem tiefern Sinn, der darin verborgen liegt. Bei Schiller ist’s umgekehrt: als [Ξ] philosophischem Kopf ist es ihm Bedürfniss, aus allem Thatsächlichen den Gedanken zu erforschen und gerade dem Wunderbarsten und Fremdartigsten seinen geheimen Sinn abzulauschen, dem flüchtigen Spiel einer üppigen Phantasie nachzuspüren, aus welcher Ahnung oder Empfindung es hervorgequollen, und diese seine Seele erst ans volle Licht zu ziehen, sie im Sonnenschein seines Geistes wachsen zu lassen. So ist er wenigstens mit der Kinderseele des Gozzi’schen Märchens verfahren, er hat sie erst recht verstanden, zur Reife und vollen Bedeutung, deren sie fähig war, entwickelt.
Sein tieferes Verständniss zeigt uns der Dichter schon gleich durch die Art, wie er die beiden Hauptpersonen, Turandot und Kalaf, sich gegenüberstellt und ihr Verhalten bis ins einzelnste motivirt, besonders dem letztern alle die Bedingungen verleiht, die ihm allein das Herz eines stolzen und hochsinnigen Weibes vollkommen fesseln können.
Kalaf hat die Schule des Lebens im unermesslichsten Grade genossen, ihre härtesten Prüfungen siegreich bestanden mit ungebrochener, starker Seele. Vom Gipfel des Glücks ins äusserste Elend gestürzt trotz des mannhaftesten Kampfes, hat selbst die tiefste Niedrigkeit nicht vermocht sein Herz zu beugen, seine hochsinnige königliche Denkungsart zu verändern. Er hat immer dem Unglück mit Muth, der Erniedrigung mit Stolz begegnet und sie keine Macht über sich gewinnen lassen; sie konnten ihn stürzen, nicht aber beflecken, er ist in ihrer bittern Schule nur erfahrener und entschlossener geworden. So allein kann er einer Frau von Turandot’s Art gefährlich werden, die keinen verliebten Knaben brauchen kann, sondern einen gereiften Mann haben muss, der die Lösung hat für alle Fragen, die sich ihrem Geiste aufdrängen.
Mit grosser Weisheit hat ihm aber der Dichter noch eine andere Bedingung verliehen, die ihn einem Naturell theuer machen muss, das, nicht ohne eine starke Beimischung von Gefallsucht, als den höchsten Triumph gerade die Eroberung dessen empfinden wird, der bisher jeder Versuchung unzugänglich geblieben. Er hat noch nie geliebt, er hat bisjetzt das Geschlecht verachtet, er verabscheut [Ξ] Turandot’s Verlangen, das ihm zunächst als Caprice erscheint, bis ihm die Liebe das Verständniss dafür öffnet:
Und lebt ein solcher Thor, der seinen Kopf
Wagt, um ein Ungeheuer zu besitzen! . . . .
Was konnte die Natur ein weibliches
Geschöpf wie diese Turandot erzeugen,
So ganz an Liebe leer und Menschlichkeit?! . . . .
Zur Hölle, in den tiefsten Schlund hinab
Mit diesen Ungeheuern der Natur,
Die kalt und herzlos nur sich selber lieben!
Er lacht über die Möglichkeit, sich in sie zu verlieben, als ihn Barak von Betrachtung ihres Bildnisses abhalten will:
Du bist nicht klug. Wenn du so schwach dich fühlst,
Ich bin es nicht. Des Weibes Reiz hat nie
Mein Aug’ gerührt, auch nur auf Augenblicke,
Viel weniger mein Herz besiegt. Und, was
Lebend’ge Schönheit nie bei mir vermocht,
Das sollten todte Pinselstriche wirken?
Unnütze Sorgfalt, Barak. – Mir liegt andres
Am Herzen, als der Liebe Narrenspiel.
Es gibt ganze grosse Bezirke des Empfindens wie des Denkens, die lange, lange unsern Herzen oder unserer Fassungskraft fern liegen, deren Verständniss uns ganz verschlossen bleiben und uns durch irgendeine besondere Veranlassung doch auf einmal aufgehen kann, und die dann, indem sie uns den Einblick in eine ungeahnte Welt eröffnen, nur eine um so überraschendere Wirkung auf uns ausüben.
So geht es Kalaf mit der Liebe und den Frauen. Er verachtete sie, weil er die himmlische Macht der Vereinigung der Schönheit und des Geistes in einzelnen von ihnen noch nicht kennen gelernt, diese Eigenschaften bei ihnen immer nur getrennt gefunden hat. Hätte er aber Turandot nicht eben noch verabscheut, so würde ihr Bild keinen so bezaubernden Eindruck auf ihn machen. Gerade weil er über sie so hart urtheilt, weil er noch keine Ahnung von dem Glücke hat, welches der Besitz eines edeln Frauenherzens dem Manne gewähren kann, so ergreift es ihn jetzt um so heftiger, da ihn der erste Schauer dieser Seligkeit durchrieselt.
[Ξ] Noch mischt sich aber der Egoismus in diese Empfindung, die – Mitgift der Braut kommt ebenfalls in Betracht, da er sich entschliesst alles an ihre Eroberung zu setzen:
Barak! verrath’ mich nicht. – Jetzt oder nie!
Dies ist der Augenblick, mein Glück zu wagen.
Wozu dies Leben sparen, das ich hasse?
– Ich muss auf einen Zug die schönste Frau
Der Erde und ein Kaiserthum mit ihr
Gewinnen oder dies verhasste Leben
Auf einen Zug verlieren.
Wie Turandot, muss auch ihn die Liebe erst schmelzen und läutern, ehe ein wirkliches echtes Bündniss möglich ist. Diesen Process nun der allmählichen Reinigung und Erhebung der Leidenschaft zum Edelmuth und zur Aufopferung hat uns der Dichter mit unnachahmlicher Meisterschaft dargestellt; er gehört ganz ihm, denn Gozzi’s sinnliche Natur hat kaum eine Ahnung von dieser gegenseitigen Erziehung, die zur echten Liebe nöthig ist.
Der Künstler hat uns den Prinzen dargestellt, wie er eben das erste Räthsel löst und sich noch im vollen Gefühl seiner geistigen Ueberlegenheit befindet, sodass ein ironischer Uebermuth seine Lippen kräuselt, ihn das Abenteuer reizt und herausfordert, weil er seine Kräfte demselben so überflüssig gewachsen findet. Die raschen Schicksalswechsel, die im Orient in den Regionen der Höfe so alltäglich sind, motiviren aber nur um so mehr diese Lust am Verwegenen und Abenteuerlichen bei bedeutenden Charakteren, und es war daher unumgänglich nothwendig, auch dieses orientalische Element im Prinzen zur Erscheinung zu bringen.