Seite:Schiller-Galerie.pdf/389

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Stolze und kräftige Naturen empören sich aber zunächst immer gegen das, was sie beherrschen will: es ist die Reaction der unberührten gesunden Natur gegen das süsse berauschende Gift der Liebe. Ein jeder hat das Recht seinen Preis selbst zu bestimmen schon im gewöhnlichen Leben, es kommt eben nur darauf an ob er auch einen Käufer findet, daher zeugt es von richtiger Selbsterkenntniss, wenn er überall gern bezahlt wird. Turandot’s Stolz hat sie den höchsten Einsatz verlangen lassen: die Wagniss des eigenen Lebens, und sie hat recht schon darum, weil man überhaupt kein anderes Leben an sich fesseln darf, wenn man nicht bereit ist das seinige dagegen zu setzen; jeder Mann muss entschlossen sein, für den Besitz einer Frau diesen Preis zu wagen, es liegt daher keine Grausamkeit in der Prinzessin Verlangen, in so barocke und erschwerende Formen das Märchen es auch eingekleidet hat.

Hat ihr Kalaf nun bewiesen, dass er durch seine Gaben ihrer würdig ist, so fehlt noch viel, dass sie auch seiner Liebe sicher sei, sie gesteht ihm ihre Neigung daher auch erst dann ein, als sie ihn alle Proben bestehen lassen, als sie durch Lösung seines Räthsels ihn ihrerseits bezwungen hat, indem es ihr dadurch möglich geworden ist sich ihm als dem Würdigsten frei zu schenken, nachdem sie durch sein edles Verhalten in jeder Prüfung seiner Liebe sicher geworden.

Der Künstler hat uns die reizende Sphinx dargestellt, wie sie eben den Schleier wegzieht, nachdem sie Kalaf das dritte Räthsel aufgegeben, in der vergeblichen Hoffnung, ihn durch den blendenden Glanz ihrer Schönheit zu verwirren und so über ihn jenen doppelten Triumph davonzutragen, den sie doch im innersten Grund ihres Herzens bereits um so mehr fürchtet, je weniger sie sich diese Furcht eingestehen will. Wir können ihr in diesem innern Streit um so weniger gram werden, als wir ja wissen, wie tief ihre Demüthigung sei, wenn sie sich nach dem, was geschehen, doch bezwungen sehe, wie die Glut um so grösser sein muss, je spröder und edler das Metall ist, das sie schmelzen soll, und endlich auch siegreich in Fluss bringt.



Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/389&oldid=- (Version vom 1.8.2018)