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TURANDOT.
(Turandot.)


Turandot’s stolze Gestalt ist wol eine Zwillingsschwester unserer nordischen Brunhilde, nur mit dem Unterschied, dass sie den Kampf aufs Feld des Geistes verlegt, welchen diese hünenhaft der körperlichen Kraft zumuthet. Beide sind sie nur Personificationen jenes jungfräulichen Stolzes, der sich gegen die Vorstellung empört, einem Mann anzugehören, Seele und Leib ihm zu eigen zu geben. Beide Frauen sind starke Naturen, voll vom Gefühl der eigenen Kraft, jene Vorstellung revoltirt sie daher hauptsächlich, weil sie bis dahin noch keinen Mann kennen gelernt haben, der ihnen den Eindruck der Ueberlegenheit gemacht hätte.

Bei Turandot insbesondere sehen wir alsbald, wie weder der gegen sie so schwache Vater noch die Schar unterwürfiger Höflinge es vermögen konnten, ihr das Gefühl der Unterordnung ihres Geschlechts, und damit das der Hingebung einzuflössen, ihr irgendwie zu imponiren, da der Dichter Sorge trug, uns alle Personen ihrer Umgebung lächerlich oder verächtlich erscheinen zu lassen. Wenn man boshaft sein wollte, so liesse sich vielleicht gerade aus ihrer Kampflust deduciren, dass bei beiden Frauen im Hintergrunde der Seele nichtsdestoweniger der Wunsch schlummert – besiegt zu werden.

Dass die Schar theils von ihrer Schönheit toll gewordener, theils nach ihrer Mitgift lüsterner Liebhaber speciell Turandot’s Achtung vor dem Männergeschlecht ebenfalls nicht vermehren kann, liegt auf der Hand. Sie will keinen Herrn haben, der nicht auch würdig sei sie zu beherrschen, dessen Ueberlegenheit sie nicht anzuerkennen gezwungen

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/386&oldid=- (Version vom 1.8.2018)