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KALAF.
(Turandot.)


Kunstwerke sind Organismen wie der Mensch selber, haben alle eine Seele wie er. Sie ist keine andere als die Empfindung, Anschauung, der innerste Gedanke, aus dem sie entstanden. Beide, Menschen und Kunstwerke, können von ihrem Schöpfer nicht nach Belieben geformt werden, er weiss nichts von dieser Seele, sie ist unabhängig von ihm und gehorcht ihren eigenen Gesetzen; wenn sie gleich meist sein Bild zeigt, der seinigen ähnlich ist, so versteht sie doch oft ein anderer viel besser als er. So zeigt uns auch Schiller die Seele des Gozzi’schen Märchens, das er zu „Turandot“ umarbeitete, viel besser als Gozzi selber; durch Brigella’s und Truffaldin’s prosaische Sancho-Pansa-Weisheit schält er uns jenen Grundgedanken in ihrem burlesken Dialog am reinsten heraus.

Zu den charakteristischen Zügen unsers Dichters gehört allerdings die Abwesenheit fast aller Naivetät: er ist durchaus bewusst, daher hat er auch wenig Sinn für das Spiel, für das phantastische Sichgehenlassen; die geniale Willkür des Märchens ist eigentlich nicht für ihn. Er versetzt es unwillkürlich auf einen zu realen Boden durch die gediegene Pracht seiner Sprache, die Bestimmtheit seiner Zeichnung; er erfüllt seine Gestalten mit einer Wahrheit und Consequenz, neben welcher das Märchenhafte als blosse Willkürlichkeit stehen bleibt, als Theaterputz neben echten kostbaren Gewändern. Des Italieners Schöpfung war naiv und begnügte sich damit, uns eine seltsame Geschichte zu erzählen, aus heller Freude am Wunderbaren, nicht an dem tiefern Sinn, der darin verborgen liegt. Bei Schiller ist’s umgekehrt: als

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/394&oldid=- (Version vom 1.8.2018)