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Tell, in dem der unsterbliche Freiheitskampf jener Landschaften eine hochberühmte Personification durch die Mythe gefunden hatte, wird vom Dichter zum Mittelpunkt seines Dramas gemacht, um uns den ganzen Weg, auf dem ein braves und frommes Volk Schritt für Schritt im Widerstand gegen wahnsinnige Willkür weiter getrieben wird bis zum Aeussersten, psychologisch am einzelnen nachzuweisen.

Tell ist ein Held, aber ein bäuerischer, er ist durchaus ein Mann der That, nicht des Nachdenkens, er handelt wie alle Helden nicht aus Reflexion, sondern aus seinem Naturell heraus: er ist aus Einem Stück. Es ist der physische Muth, die Herculesnatur, die stählernen Nerven, verbunden mit der männlichen Freude an der Aufopferung und dem Wagniss, die ihn zum Heroen in seinem Kreise stempeln. So wird er uns gleich vorgeführt, jeder kennt ihn als solchen und vertraut seiner Thatkraft unbedingt.

Wohl bessre Männer thun’s dem Tell nicht nach:
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge –

sagt Ruodi von ihm, als er Baumgarten rettet. Dieses Gefühl der Kraft, das ihn überall trägt. macht ihn auch aller Berathung und Verbindung abgeneigt; „der Starke ist am mächtigsten allein“, sagt er ganz richtig, „ein rechter Schütze hilft sich selbst“, und weiter, seinem Instincte vertrauend:

Ich kann nicht lange prüfen oder wählen:
Bedürft ihr meiner zur bestimmten That,
Dann ruft den Tell! Es soll an ihm nicht fehlen! –

denn wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.

Solch Kraftbewusstsein, verbunden mit wenig Neigung zu prüfender Ueberlegung, ist aber nicht wohl denkbar, ohne Lust und Freude an dem Kampfe, wie sie Tell ebenfalls ausspricht:

Dann erst geniess’ ich meines Lebens recht,
Wenn ich mir’s jeden Tag aufs neu’ erbeute.

Und so sagt er denn dem Landvogt mit Recht: „Wär’ ich besonnen, hiess ich nicht der Tell.“ Nicht minder sicher ist auch in solcher Natur

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/339&oldid=- (Version vom 1.8.2018)