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BERTHA VON BRUNECK.
(Wilhelm Tell.)


Die frische, kräftige Gestalt der reichen Erbin, deren Liebesepisode mit Rudenz im „Tell“ schon mancherlei kritische Anfechtungen erlitten hat, scheint uns denn doch nicht so ganz überflüssig im Stück zu stehen, als man bisweilen hat behaupten wollen. Wenn Rudenz uns ganz unerlässlich vorkommt, als der Repräsentant jenes Theils des Adels, welcher sich, verblendet vom Glanz der Herrschaft, der fremden Unterjochung angeschlossen hatte, so ist das ein nur gar zu wahr erfundener Zug, der zu allen Zeiten und bei den Deutschen ganz insbesondere vorgekommen ist, den sie in der Wirthschaft des kurz nachher auftauchenden westfälischen Hofs und anderwärts für die Ehre unserer Nation leider viel zu unmittelbar vor Augen hatten. Wie Rudenz zu Attinghausen sagt: „Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause“, und ihm sein Ohm die ganze Leere der Gründe, die zu solchem Abfall treiben, treffend schildernd, erwidert:

Ja, leider bist du’s! Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern;
Den Landmann blickst du mit Verachtung an
Und schämst dich seiner traulichen Begrüssung. . . .
 Dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz – dich siehet man,
Abtrünnig von den Deinen, auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth
Hohnsprechend, nach der leichten Freude jagen
Und buhlen um die Fürstengunst, indess
Dein Vaterland von schwerer Geisel blutet –

so lässt sich die Beziehung dieser Schilderungen auf das, was der Dichter selber noch theilweise mit ansah, so wenig als die noch so vieler andern im „Tell“ schwerlich verkennen.

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/370&oldid=- (Version vom 1.8.2018)