Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Zweites Kapitel
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Die Anfänge der Kolonie waren mühselig. Die Klärung des Urwalds schuf harte Arbeit. Dazu war das Eingewöhnen eine schwere Sache. Alles mutete den deutschen Ankömmling so fremdartig an: nicht nur die Menschen, ihre Sprache, ihre Lebensweise, sondern auch die Landschaft mit ihrem von deutschen Gegenden so gänzlich abweichenden Charakter. „Man kann – schrieb später ein Kolonist – sich in Deutschland gar keinen Begriff von dem Ansehen einer nordamerikanischen Landschaft machen. Der Anblick ist so armselig und traurig, daß die Leute, wenn sie hereinkommen, oft mit großen Erwartungen von dem herrlichen Lande, in Thränen ausbrechen und sich gar nicht zufrieden geben wollen. Da ist durch den Wald kein Weg, sondern über umgefallne Bäume, durch Dickicht und lange Sümpfe, durch die man nur mühsam auf hingestürzten Stämmen kommen kann, führt der Weg in die Ansiedlung. Eine öde Stille herrscht in diesen Wäldern, welche nur bisweilen durch das unheimliche Ächzen einer Eule oder das Pfuchzen der Eichhörnchen oder einen Wildruf unterbrochen wird. Singvögel giebt es gar nicht. Endlich nachdem man sich todmüde gewatet, geklettert und gestolpert hat, kommt man an eine Ansiedlung. Da sieht es auch traurig aus. Ein freier Platz, von einem Zaune von kreuzweise übereinander gelegten Riegeln eingefriedigt; in der Mitte eine elende Hütte, von unbeschlagenen Blöcken aufgeführt. Das elendeste Dorf in Deutschland hat Paläste dagegen.“
Doch nach den ersten Jahren harter Arbeit entwickelten sich in der neuen Kolonie gedeihlichere Zustände, ja es erblühte bald ein gewisser Wohlstand und Behaglichkeit des äußeren Lebens. Die Mehrzahl der Eingewanderten würde keine Lust mehr gehabt haben, die neue Heimat mit dem alten Vaterlande zu vertauschen, wenn auch in dem in Kolonistenbriefen häufig wiederkehrenden Urteil:| „Besser ist’s in Amerika, aber schöner ist’s in Deutschland“ ein gewisser elegischer Ton nicht zu verkennen ist.Die kirchlichen Verhältnisse der neuen Kolonie waren durch eine von Löhe verfaßte und von der Gemeinde angenommene Kirchenordnung geregelt. Einige der wichtigsten Bestimmungen derselben seien hier ausgehoben.
Schon im nächsten Jahr bekam die Kolonie ansehnlichen Zuwachs durch Zuzug von fast 100 neuen Ankömmlingen aus Deutschland, und nach sechs Jahren zählte sie schon über 80 Block- und Framehäuser, besaß eine eigene Säg- und Mahlmühle, einen Arzt, drei Kaufleute, durch welche alle Landesprodukte verwertet werden konnten, und eine eigene Post.
Auch ihres freiwillig übernommenen Missionsberufes blieb die Gemeinde eingedenk und suchte daher gleich von Anfang an Beziehungen mit den Indianern anzuknüpfen. Das erste, was in Frankenmut zum Heil der Heiden geschah, war die Errichtung einer Schule für Indianerkinder, in welcher P. Crämer und der Frankenmuter Lehrer Flessa mit Hilfe eines Dolmetschers den Unterricht erteilten. Bereits am Weihnachtsfest 1846 konnten die drei ersten Heiden getauft werden: ein Indianerjüngling von 17–18 Jahren, Namens Abuiquam, der in der Taufe den Namen Abraham nach seinem eigenen Wunsche bekam (er wünschte nämlich auch ein „Glaubensvater“ für viele seiner Volksgenossen zu werden), sowie seine beiden Schwestern, welche in der Taufe die Namen Magdalena und Anna erhielten. Die in der Nähe streifenden Banden der Häuptlinge Sanaban und Bemassiké wurden öfters besucht. Blieben auch die Alten für ihre Person zunächst dem Christentum abgeneigt, so überließen sie doch gern ihre Kinder dem Missionar zur Pflege und Erziehung. Wohl drängten sich auch hier die Methodisten ein| und suchten in den Herzen der Indianer Mißtrauen gegen ihre deutschen Freunde zu säen. Sie schämten sich nicht, Lügen zu verbreiten wie die, daß die Christen in Frankenmut Schlangenanbeter seien, weil sie in ihrer Kirche ein Kruzifix hatten, auf welchem zu Füßen des Kruzifixus eine Schlange mit zerknirschtem Kopfe dargestellt war. Auch später noch suchten sie die kaum dem Christentum gewonnenen Seelen durch die unwürdigsten Umtriebe ihren Lehrern abspenstig zu machen. Die Indianer fühlten aber doch bald den Unterschied zwischen den lutherischen und den methodistischen (englisch-redenden) Missionaren heraus. „Animah (die Deutschen) gut, Tshimokoman (die Englischen) nicht gut“ pflegten sie oft zu sagen. Das lärmende, aufgeregte Wesen der methodistischen Bekehrungsweise und Andachtsübungen, welches dem lebhaften und leidenschaftlichen Temperament des südamerikanischen Negers so sympathisch ist, stieß den würdevollen, mit dem Ausdruck seiner Empfindungen an sich haltenden Ernst des Indianers ab. Der Häuptling Bemassiké sagte einmal in Gegenwart des Missionars Baierlein zu seinen Stammesgenossen: „Es kommen zuweilen Vögel von unsrer Farbe hieher und bringen neue Dinge, die nicht gut sind. Wenn ihr diesen Weg einschlagen, so heulen und euch so gebärden solltet wie sie (er meinte damit das wilde Gebaren der Methodisten), so würde mir das sehr wehe thun. Hingegen würde es mich freuen, wenn ihr alle in der Weise unterrichtet würdet, wie mein Bruder hier (der Missionar) euch unterrichten will, und wie ich ihre Weise an ihrem Ort und ihre Gottesdienste in Frankenmut und auch in Detroit gesehen habe.“So schien sich denn für die Frankenmuter Missionsgemeinde eine Thür zu den Indianern zu öffnen. Freilich großen Hoffnungen durfte man sich nicht hingeben.
Es ist ja bekannt, mit welchen besonderen Schwierigkeiten die Mission unter den Indianern zu kämpfen hat. Da ist vor allem| der Stolz des natürlichen Menschen, der bei dem Indianer noch gesteigert ist durch das Bewußtsein von der vermeintlichen Überlegenheit seiner Rasse über alle andern, als ein großes Hindernis zu nennen. Der Indianer hält sich für den Liebling des großen Geistes.[6]Nun folgte eine längere Pause. Darauf sagte der Häuptling in tiefem Tone: „Entschließt euch und antwortet.“ Der Älteste unter ihnen, Asinis, der kleine Stein mit Namen, erwiderte: „Wir haben gar nichts zu antworten, wir warten darauf, was du sagen wirst.“ „Nun“ – sagte der Häuptling, – „ich für meine Person freue mich sehr, daß mein Bruder hier unter uns wohnen will, und daß wir Gelegenheit haben sollen, Kishemanitos Wort zu hören. Ich will mich gern dazu einstellen und will auch meine Kinder zum Unterricht schicken. Ich habe zwar wenig mehr zu sagen; ich bin ein alter Mann und werde bald meinen Vätern nachfolgen. Ich möchte aber diese Sache beendet wissen; ich möchte mein Volk auf einem guten Weg sehen, ehe ich sterbe. Ich möchte bald ein Schulhaus hier erbaut sehen. Ich wünsche, daß mein Bruder bald unter uns wohnete. Das ist’s, was ich sagen wollte.“ Nindikit. (Ich habe geredet). „Aouh“ grunzte es von allen Seiten.
Darauf redete der Missionar wieder, einige Männer sagten ihre Meinung, und zum Schluß gab es ein allgemeines Händeschütteln so kräftiger Art, daß es der Missionar bis in die Schulter hinauf fühlte. Damit war die Versammlung geschlossen.
Mit Hilfe etlicher Frankenmuter errichtete Baierlein nun ein Blockhaus, 30 Fuß lang und 20 Fuß breit, welches nicht bloß zum Wohnhaus für ihn und seine Familie, sondern auch als Schulhaus und Kirche dienen mußte. Er verfaßte ein Buchstabier- und Lesebuch in der Chippewaysprache; biblische Geschichten Alten und Neuen Testamentes bildeten die Lesestücke. Dieses Büchlein machte unendliche Freude. Die Kinder lernten mit Lust und hatten bald die edle Lesekunst erlangt. Daheim lasen sie ihren Eltern – oft noch mit vielem Stammeln – die wunderbaren Geschichten vor, die in dem Büchlein standen. Da| begann es sich auch unter den Alten zu regen, und vieler Herzen gingen auf.Sonntags hielt der Missionar Gottesdienst. Aber diese gottesdienstlichen Versammlungen waren fürs erste ziemlich urwäldlicher Art. Alt und jung saß durcheinander. Die Knaben unarteten, die Kinder spielten und schrieen laut dazu. Noch lauter schrieen die Mütter, daß die Kinder ruhig sein sollten. Die Weiber plauderten mit ihren Nachbarinnen, die Männer schmauchten ihre Friedenspfeifen. Von Wirkung des Worts war anfangs nichts zu spüren. In aller Gemütsruhe erklärte ein Indianer nach einer Predigt dem Missionar: er hasse ihn zwar nicht, aber er werde seinem Rate nicht folgen. Ein anderer, zu Bemerkungen über die Predigt aufgefordert, fragte den Missionar, was es mit dem Nordlicht für eine Bewandtnis habe. Doch nach und nach wurde es besser. Aus der Schule erwuchs die Gemeinde. Die Kinder verlangten zuerst nach der Taufe, die Alten folgten nach. Bald erhob sich auch ein Kirchlein mit Turm und Glocke. Über fünf englische Meilen weit hörte man die Glocke im stillen Walde; die Indianer freuten sich hoch und kamen auf ihren Schall von allen Seiten herbei. Mit Sonnenaufgang ward sie geläutet; gleich darauf versammelten sich der Missionar und seine Hausgenossen im Kirchlein, sangen ein deutsches Lied und hielten ihren Morgensegen. Inzwischen kamen die Indianer herbei, dann wurde ein indianisches Lied gesungen, ein Kapitel im indianischen Neuen Testament gelesen und gebetet. So ging es jeden Morgen das ganze Jahr hindurch. Auch abends kurz vor Sonnenuntergang erscholl die Glocke wieder und der Tag wurde beschlossen, wie er begonnen worden war.
Nachdem es durch Gottes Gnade in den Herzen der Indianer anders geworden war, versuchte der Missionar auch eine Änderung im äußern. Er versammelte die Männer und stellte ihnen vor, wie sie durchaus nicht nötig hätten, jedes Frühjahr mehrere Wochen| lang eine herbe Hungerkur durchzumachen, wenn sie neben dem Jagdvergnügen ein wenig mehr Fleiß auf den Landbau verwenden wollten. Die Männer sahen das ein, gingen alsbald an das Klären des Landes und hatten im nächsten Jahr fast den doppelten Ertrag ihrer bisherigen Ernten.Bald darauf wagte der Missionar einen zweiten Schritt. Er suchte die Indianer zur Errichtung von Blockhäusern zu bewegen, die ihnen doch einen viel menschenwürdigeren Aufenthalt bieten könnten als ihre niedrigen, verrauchten Rindenhütten. Um ihnen Mut zu machen, versprach er, demjenigen, der das erste Blockhaus bauen würde, die Fenster und sämtliche Nägel zur Annagelung der Schindeln zu schenken. Doch die Neuerung erschien zu groß, bis endlich nach mehreren Wochen ein Weib, die verwitwete Tochter des Häuptlings, den Mut zu dem kühnen Vorgang fand. Bald stand das Blockhaus, ca. 15 Fuß breit und 20 Fuß lang, fertig. Alle kamen es zu bewundern als etwas noch nicht Dagewesenes. Als nun vollends der leere Raum mit einem Tisch, zwei alten Stühlen, zwei Bänken und einer Bettstatt möbliert wurde, da war die Freude vollkommen. Nun hielten es aber auch die Bewohner der Rindenhütten nicht mehr länger aus, sie griffen zu den Äxten, fällten die nötigen Baumstämme und es entstand ein allgemeiner Wetteifer zu bauen. Bald erhob sich eine Reihe von Blockhäusern, wodurch der Ort (von Missionar Baierlein „Bethanien“ genannt) ein ganz anderes Aussehen bekam.
Bald hatte der Missionar mit seinen Indianern sich innig zusammengelebt und durfte manch rührenden Beweis ihrer Anhänglichkeit erfahren. Als im ersten Winter seines Aufenthalts in Bethanien die Kommunikation mit der civilisierten Welt unterbrochen und im Hause des Missionars, der sich auf diese völlige Abgeschlossenheit nicht gefaßt gemacht hatte, der kleine Vorrat an Lebensmitteln erschöpft war: da sah er sich samt seinem Weibe und| seinem neugebornen Kinde der Gefahr des Hungertodes preisgegeben. Allein die Wilden, von denen dazumal noch keiner ein Christ war, merkten die Not und teilten ihr Letztes mit der darbenden Familie. Es läßt sich denken, wie sehr diese Not und die von den Indianern erfahrene menschenfreundliche Teilnahme die Herzen der Indianer und der Missionarsfamilie einander näher brachte. Als im Lauf der Jahre ein Christengemeindlein sich gesammelt hatte, wurde das Band der Liebe ein noch innigeres und heiligeres. Tiefe Betrübnis erfüllte daher die Gemüter, als im Jahr 1853 ein an Missionar Baierlein ergangener Ruf nach Ostindien die Trennung von Bethanien notwendig machte. Einer der treusten Christen, der zugleich dem Hause des Missionars mit warmer Anhänglichkeit zugethan war, Pemagojin mit Namen, erklärte, er könne und werde die Abreise des Missionars nicht sehen. Zwei Tage vor der Abreise erschien er wieder, wie so oft, in Jagdrüstung im Missionshause. Wieder rauchte er still seine Pfeife, nur sein Haupt war tiefer gesenkt als sonst. Dann stand er rasch auf, und ohne ein Wort zu sagen, umarmte er stürmisch den Missionar, drückte ihn fest an seine Brust, küßte ihn, eilte zur Thür hinaus und war im Walde verschwunden.Beim letzten Gottesdienst hielten sich die Männer tapfer, sie saßen da mit tief gesenktem Haupt. Die Frauen schluchzten laut. Darauf ging es zum Fluß hin. Viele Indianer bestiegen ihre Kähne zur Begleitung der Reisenden. Unter dem Gesang des Liedes: „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ bestieg der Missionar den Kahn. Seinem Auge war Bethanien bald entschwunden, seinem Herzen blieb es unvergeßlich.
Baierleins Weggang von Bethanien war für die Indianer-Mission ein Verlust, für den, wie es scheint, kein völliger Ersatz beschafft werden konnte, wiewohl treue Männer (Mießler u. a.) noch eine Zeit lang seine dortige Thätigkeit fortsetzten. Äußerlich betrachtet| wuchs zwar anfangs die Arbeit. Nachdem der Missourisynode die beiden Missionsstationen Frankenmut und Bethanien übergeben worden waren, überließ auch P. Schmidt in Ann-Arbour die bis dahin von der Michigansynode gepflegte Missionsstation, Siboying, derselben Synode. Von Siboying aus wurde auch eine andere nahe gelegene Station Shebahyongk bedient, woselbst sich eine kleine christliche Indianergemeinde, die aus Canada eingewandert war, niedergelassen hatte. So war gleichzeitig an mehreren Orten die Missionsthätigkeit unter den Indianern in Angriff genommen und die Hand an den Pflug gelegt worden. Aber freilich, die Hoffnungen auf Erfolg minderten sich immer mehr herab.Im Jahre 1852 schrieb Missionar Diehlmann, der früher in Aden in Arabien gewirkt hatte, unter dem Eindruck eines mehrmonatlichen Aufenthalts in Michigan: „Eine recht hoffnungsvolle neue Missionsunternehmung ist in Michigan kaum mehr möglich. Die Indianer sind in diesem Staate so dünn gesät, daß sie durchschnittlich nur in kleinen Stammesüberresten von 10–20 Familien zusammenleben, die überdies noch mehr als durch die Verschiedenheit der Sprache durch gegenseitiges Mißtrauen getrennt sind. Dazu wird Michigan durch zahlreiche Einwanderung immer dichter besiedelt. Die rings um sie her erblühende Civilisation reizt die Indianer nicht zur Nacheiferung, sondern macht ihr Elend nur fühlbarer und in der That auch größer; selbst die getauften Indianer sind kaum zu ernster, regelmäßiger Arbeitsamkeit zu gewöhnen. Der Anblick ihres Zustandes hat mir den traurigen, aber unverwischlichen Eindruck gegeben, daß dieses Volk als solches untergehen werde. Die Mission unter ihnen mag, wie ein Missionar sich ausdrückte, ein christliches Grabgeläute für sie werden, ein freundliches Abendrot, dem für diese Zeit kein fröhlicher Morgen folgt.“
Löhe ließ sich dennoch durch solche Erfahrungen im Eifer für die Indianermission nicht entmutigen. Er meinte, es sei Zweck und| Lohn genug für eine solche Missionsthätigkeit, wenn es gelänge, „einem sterbenden Volke mit der Fackel des Evangeliums heimzuleuchten zum ewigen Leben.“ Aber auch dieses Hoffnungsziel war noch zu hoch gesteckt. Man mußte die Erwartungen noch niedriger spannen und mit der Beute einzelner Seelen sich begnügen nach dem Vorbild des großen Heidenapostels, der, obwohl er Garben erntete, doch auch zufrieden war, wenn er unter Juden und Heiden nur „ihrer etliche“ gewinnen sollte. Trauriger noch als dieser geringe Erfolg waren die Erfahrungen von Glaubensschwäche und Untreue solcher Seelen, die für Christum sicher gerettet schienen. Die betrübendste Erfahrung dieser Art war der Abfall einer ganzen Christengemeinde, der vordem so blühenden Indianergemeinde in Shebahyongk. Den teuflischen Einflüsterungen eines englischen Indianerhändlers, der den einfältigen Leuten einredete: ihre Pfaffen wollten sie in Knechtschaft und Sklaverei stürzen; die Bibel sei ein Lügenbuch etc., war es gelungen, die Herzen der Indianer in Shebahyongk mit unbesieglichem Mißtrauen gegen den von ihnen früher wie ein Vater verehrten Missionar zu erfüllen. Die Folge war der Abfall der ganzen Gemeinde vom christlichen Glauben. Nach Wochen vergeblichen Wartens und vergeblicher Versuche, die Bethörten eines Besseren zu belehren, mußte der Missionar Auch tiefbetrübt die Frucht jahrelanger Arbeit verloren geben und den Wanderstab ergreifen. Auch die Missionsstation in Bethanien hatte nicht mehr lange Bestand. Anfangs der sechziger Jahre ließ die Regierung zu Washington den Indianern Michigans die Weisung zugehen, sich sämtlich in einen bestimmten Bezirk von Michigan, Isabella County zurückzuziehen, wenn sie nicht anderswo rechtlich erworbenen Landbesitz nachweisen könnten. Trotzdem nun die Indianer in Bethanien von seiten der Mission mit dem schönsten Land versorgt worden waren, und der Missionar (Mießler) sie dringend zum Bleiben in Bethanien ermunterte, zogen sie doch sämtlich nach| Isabella County, wo sie von den dort bereits befindlichen Methodisten in Empfang genommen wurden. Von da an verliert sich in den uns vorliegenden Nachrichten ihre Spur.Trotz dieser niederschlagenden Erfahrungen gab Löhe die Hoffnung doch nicht auf, anderwärts eine offene Thür zu den Indianern zu finden. Die von ihm im Jahre 1854 gegründete Iowasynode sollte die in Michigan eingestellte Missionsthätigkeit unter den Indianern wieder aufnehmen.
Es schien, als wollte sich zu den Upsarokas, die in der Nähe der Felsengebirge schweiften, ein Weg ebnen. Es gelang, am Powder-River eine Station zu gründen. Der evangelisch-lutherische Missionsverein in Bayern bot hilfreiche Hand, indem er zur Unterstützung des Unternehmens nicht unbeträchtliche Geldmittel spendete. Allein schon am 23. Juli 1860 wurde Missionar Bräuninger, der Leiter der dortigen Mission, von Indianern ermordet. Bräuninger hatte, als er die Missionsanstalt in Neuendettelsau verließ, um sein Bild, welches er der Anstalt zum Andenken hinterließ, selbst einen Kranz von Kreuzdorn gewunden, nicht ahnend, daß ihm so bald die Blutzeugenkrone auf seinem Haupte erblühen sollte. Sechs Indianer, die er tags zuvor gastfreundlich bewirtet hatte, lauerten ihm in der Nähe der Station auf und einer von ihnen zerschmetterte ihm durch eine meuchlings von hinten abgeschossene Kugel das Rückgrat. Vergebens suchte sich der Todwunde aufzurichten, seine Mörder eilten herbei, töteten ihn vollends, zerschnitten ihm das Gesicht und warfen ihn an einer tiefen Stelle in den Fluß. So erzählten wenigstens befreundete Indianer den traurigen Hergang. Als Grund der Ermordung Bräuningers gaben sie den Entschluß der Hunkpapaindianer an, keine Ansiedlung von Weißen am Powder-River zu dulden.
So war die Indianermission mit Märtyrerblut eingeweiht und Löhe hoffte, daß auch dieses Blut ein Same der Kirche Gottes| unter den Indianern werden würde. Doch sollte diese Hoffnung sich nicht erfüllen. Die nächste Folge dieser Blutthat war, daß die übrigen Missionare, die nun auch ihr Leben für bedroht achten mußten, die Station am Powder-River räumten und nach Deercreek an dem gleichnamigen in den nördlichen Platte-River sich ergießenden Flüßchen an der Westgrenze Nebraskas sich zurückzogen und die anfänglich hoffnungsvolle Arbeit unter den Upsarokas aufgaben. Doch wurde dafür von der Station Deercreek aus eine missionierende Thätigkeit unter dem Indianerstamm der Cheyennes (oder „Zizistas“, wie sie sich selbst nennen) eröffnet, unter welchen die Missionare freundliche Aufnahme fanden. Mit großer Mühe war es den letzteren gelungen, die schwierige Cheyennessprache zu erlernen. Einer der Brüder hatte mit drei ihm übergebenen Cheyenneknaben, welche die poetischen Namen muchsianoé (brauner Mokasin), ékois (kleiner Knochen) und mistáhemik (Eulenkopf) führten, eine Indianerschule begonnen. Der Erstgenannte wurde am Christfest 1863 getauft. Auch an den Seelen der Erwachsenen begann das Wort zu arbeiten. Der von den Missionaren in Predigten und Einzelgesprächen reichlich ausgestreute Same schien keimen zu wollen. Da brach im Jahr 1864 ein großer Indianeraufstand in Nebraska und Idaho aus und vernichtete mit jäher Schnelle die Frucht so vieler Mühe und Arbeit. Die Indianer, durch die Habsucht und die tyrannische Bedrückung von seiten der sie umgebenden weißen Bevölkerung längst erbittert, sannen seit Jahren auf Rache. Gleich nach der Ankunft der Brüder in Deercreek hatte ihnen ein befreundeter Sioux gesagt: „Jetzt sind wir Freunde, aber im nächsten Frühjahr bin ich euer Todfeind. Wir werden einen Krieg durchs ganze Land führen.“ Wohl erfüllte sich die Drohung nicht alsobald, aber im Herbst des Jahres 1864, als infolge des unseligen amerikanischen Bürgerkriegs, der alle militärischen Kräfte nach dem Kriegsschauplatze zog, Nebraska von Truppen| ziemlich entblößt war, brach der Aufstand aus. Die geringe militärische Macht, die zum Schutze des westlichen Nebraska aufgeboten werden konnte, war bald niedergeworfen, und die Indianer, an ihrer Spitze die kriegerischen Sioux, verheerten das Land vor sich her mit Mord und Brand. So entstand denn eine allgemeine Flucht der weißen Bevölkerung aus den Indianergebieten Nebraskas. Die Missionare jedoch hielten unter augenscheinlicher Lebensgefahr fürs erste noch auf ihrer Station aus, zumal der Stamm der Zistas anfänglich sich sträubte, der aufrührerischen Bewegung der übrigen Stämme sich anzuschließen. Endlich aber, als bereits eine Horde feindlicher Sioux sich gegen Deercreek in Bewegung setzte, mußten sie, von der ihnen drohenden Todesgefahr durch befreundete Zistas insgeheim unterrichtet, sich zu eiliger Flucht entschließen. Mit ihnen zogen die genannten drei Indianerjünglinge – ihre ganze für Jesum gewonnene Beute; wohl eine kärgliche Frucht so vieler treuer Liebesarbeit.Es ist nicht zu leugnen, daß um wenige Heidenvölker von der Mission mit so warmer, andauernder Liebe geworben worden ist als um die Indianer Nordamerikas. Trotzdem war der Erfolg der Missionsarbeit überall nur ein geringer. Wer kann hier des HErrn Sinn, Seine Wege – vielleicht auch Seine Gerichte erkennen? Ob es über den Indianerresten vor völligem Einbruch der Nacht noch einmal Licht wird, Licht am Abend – wer weiß es?
- ↑ Wir können es uns nicht versagen, als Beweis für die christliche Gesinnung und Bildung dieser Auswanderer den selbstverfaßten Lebenslauf des oben erwähnten ersten Kolonisten mit unwesentlichen Abkürzungen mitzuteilen.
Ich, Lorenz, wurde geboren den 4. März 1817 und am darauf folgenden Tage durch die heilige Taufe wiedergeboren. Sieben Jahre verlebte ich bei meinen Eltern, dann starb mein Vater, und ich wurde ein Waise. So wuchs ich mit [40] meinen sieben Geschwistern unter manchem Leid heran, meine Mutter blieb Witwe. Im Jahre 1830 wurde ich konfirmiert, und empfing das heilige Abendmahl; der Unterricht machte leider keinen großen Eindruck auf mich, ich lernte nicht mehr, als wie Jakobi 2 steht. Dann verlebte ich mehrere Jahre, und genoß die Freuden dieser Welt, ja wenn ich sagen darf, die Leiden dieser Welt, bis zum Jahr 1839. Dann kam Unruhe in meine Seele durch einen Kameraden, ich besuchte mit ihm die Kirche in Neuendettelsau; dann entstand ein Krieg in mir, aber die Welt und der alte Mensch, das Fleisch, suchten den Sieg davon zu tragen; ich verlebte noch einige Jahre in der Unruhe meiner Seele, weil ich dem Ruf des guten Hirten nicht folgen wollte, aber der barmherzige Heiland läßt sein verlorenes Schäflein nicht, und da ich den Stab Sanft nicht fühlen wollte, so schwang er den Stab Wehe über mich, ich kam dann in große Anfechtung; ich erkannte meine Sünde, sahe aber keinen Helfer, ich heulte vor Unruhe meiner Seele Tag und Nacht, ich winselte wie ein Kranich. Die Angst meiner Seele war so groß, daß sie mich oft in Flur oder Haus jagte, wie ein Jäger das Wild. In meiner Not schrie ich zum HErrn, aber Er hörte mich nicht, und so mußte ich die Qualen der Hölle eine geraume Zeit fühlen. Kein Helfer war zu finden auf der ganzen Welt, ich glaubte verloren und verstoßen zu sein, aber der am Kreuz auch für mich hing und blutete, sagte: nein, sondern Er habe mich nur einen kleinen Augenblick verlassen. Der das Schreien der Raben hört, der hörte auch mich wieder, der barmherzige Samariter ergriff mich bei der Hand, und führte mich in die Herberge nach Neuendettelsau, und dieser Herbergsvater nahm sich meines Jammers und Elends herzlich an; er verband meine verwundete Seele und goß den Balsam des göttlichen Wortes darein. Er pflegte mein treulich und begoß mein von der Anfechtung verdorretes Herz immer und immer, daß mich die Hitze der Anfechtung nicht gar verzehrete. Er unterrichtete mich im Worte Gottes, und so kam der Friede Gottes auf mein verdorrtes Herz und erfrischte mich wie der Tau aus der Morgenröte, und so wuchs ich dann als ein neugeborenes Kind heran, und da nun die Zeit kam, wieder fort zu gehen, und ich noch schwach war im Glauben, so nahm sich dieser Herbergsvater abermals meiner an, und dingte mich zu seinem Knecht, so blieb ich denn 21/2 Jahre in dieser Herberge; Gottes Wort lernte ich da schätzen, daß ich wohl mit [41] David ausrufen darf: Dein Wort ist mir lieber denn viel tausend Stück Gold und Silber. Die Welt lernte ich immer mehr kennen, daß sie eine Betrügerin und Seelenmörderin ist. Gott sei Lob und Dank, daß Er mich errettet hat aus der Obrigkeit der Finsternis und hat mich versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes.
So will ich denn im Namen des dreieinigen Gottes gehen, meine Herberge verlassen und hinüber über das Meer. Gott sei Lob und Dank, daß Er mich in diese Herberge geführt hat. Gott segne ferner meinen Herbergsvater, und lasse ihn in jenem Leben leuchten wie die Sonne immer und ewiglich. - ↑ Die 1850 entworfene K.-O. von Frankenhilf läßt das Beichtgeld als Dankopfer der freien Liebe zu.
- ↑ Die Frankenhilfer K.-O. schaltet hier ein „mindestens durch den Mund des Pfarrers.“
- ↑ Die Frankenhilfer K.-O. schaltet hier den § ein: Wer eine Jungfrau zur Hurerei verführt, der soll sie zum Weibe haben.
- ↑ Die Frankenhilfer K.-O. läßt es jedem Beichtkinde frei, sich nach Bedürfnis seiner Seele der allgemeinen oder Privatbeichte zu bedienen.
- ↑ Charakteristisch ist in dieser Beziehung eine von Missionar Baierlein mitgeteilte, bei den Seminolen in Florida sich findende Sage über die Entstehung des Menschen:
„Der große Geist schuf die Menschen also. Er nahm etwas Staub in seine Hand, mischte und trocknete ihn. Hierauf blies er ihn an, warf ihn aus seiner Hand – und der große Geist war traurig. Der Mann, den er geschaffen, sah schwach und kränklich aus; er war weiß. – Der große Geist sah ihn an und sprach: Weißer Mann! ich habe dir das Leben gegeben; doch bist du nicht das, was ich eigentlich wollte. Doch will ich dir das Leben nicht nehmen. Tritt zur Seite! – Der große Geist mischte den Staub von neuem, trocknete ihn und blies ihn an – und war wieder bekümmert. Der Mann war schwarz und häßlich, und darum befahl er auch ihm, zur Seite zu treten. – Der große Geist mischte den Staub von neuem, blies ihn an und – lächelte, denn vor ihm stand ein roter Mann. Langsam sanken nun durch eine Öffnung drei Kisten herab. Der große Geist sprach: Diese drei Kisten enthalten die Werkzeuge, womit ihr euch euern Lebensunterhalt verschaffen sollt. – Weißer Mann, du bist nicht mein Liebling, doch habe ich dich zuerst geschaffen, darum öffne zuerst die Kisten und wähle! Der weiße Mann wählte die Kiste, welche Federn, Tinte, Papier und all die Dinge enthielt, die die weißen Leute zu gebrauchen Pflegen. Dann wandte sich der große Geist zum roten Mann und sagte lächelnd zu ihm: Komm, mein Liebling und wähle! Der rote Mann wählte eine Kiste voll von Biberfellen, Bogen, Pfeilen und allen den Dingen, welche die Indianer gebrauchen. Darauf sprach der große Geist zum schwarzen Mann, indem er auf die letzte Kiste zeigte: Du kannst diese nehmen! Sie war voller Hacken und Äxte und all der Dinge, welcher sich die schwarzen Männer bedienen, wenn sie für den roten und den weißen Mann arbeiten.“
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