8) C. Memmius ist der bekannteste und am meisten behandelte Vertreter seines Geschlechts; er verdankt das aber weniger seiner eigenen Persönlichkeit als der Verbindung mit anderen Zeitgenossen. Er wird von Cic. Brut. 247 als L. f. eingeführt und soll dadurch von anderen Gentilen mit demselben Praenomen unterschieden werden, gewiß nicht so sehr von älteren, wie dem
[610] Volkstribunen von 643 = 111 (ebd. 136. Nr. 5), sondern von gleichzeitigen, wie vor allem von dem ebenfalls als Redner tätigen Volkstribunen von 700 = 54 (Nr. 9). Da dieser nach dem von Mommsen (Münzw. 597) entworfenen Stammbaum ebenso L. f. gewesen wäre, nach dem hier aufgestellten aber C. f., so wird dadurch die Richtigkeit des letzteren wieder bestätigt. Der Vater des M. wird L. Memmius (Nr. 14) gewesen sein, der 663 = 91 und wieder 667 = 87 Münzmeister und 664 = 90 Volkstribun war und selbst einen L. zum Vater hatte. Der Sohn, der ein anderes Praenomen als sein Vater und Großvater empfing, ist vermutlich nicht der älteste gewesen; daher ist es auch nicht befremdlich, daß er eine schon im J. 664 = 90 verheiratete, also um mehrere Jahre ältere Schwester (Nr. 38) gehabt haben muß. Die Vermählung dieser Schwester mit einem Amtsgenossen des Vaters im Tribunat, mit C. Scribonius Curio, begründete die Verwandtschaft des M. mit Curio und dessen gegen 670 = 84 geborenen Sohne gleichen Namens (s. u.). Für M. selbst ergibt die Bekleidung der Praetur 696 = 58 als Geburtsjahr ungefähr 656 = 98, und diesem Ansatz fügen sich die bereits erwähnten Daten für seinen Vater und seine Schwester, wie die folgenden für seine Frau und einen Sohn. Er heiratete nämlich Fausta Cornelia, die Tochter des Dictators Sulla, die kurz vor 668 = 86 geboren war (o. Bd. IV S. 1599; vgl. 1515), und hatte von ihr einen Sohn, der im J. 700 = 54 unter den fürbittenden Verwandten des M. Scaurus vor Gericht erschien; die Ehe wird demnach um 682 = 72 geschlossen worden sein, als M. über 25 und seine Braut rund 15 Jahre alt war; der Sohn hat mit 16 bis 17 Jahren die Männertoga empfangen und erschien kurz danach in jenem Prozesse. M. selbst ließ sich in seiner öffentlichen Tätigkeit immer nur durch seinen eigenen Vorteil leiten und nahm auf Verwandte und Freunde keinerlei Rücksicht. Darum bekämpfte er im Anfang seiner Laufbahn besonders die Brüder L. und M. Lucullus, obgleich er mit seiner Vorliebe für die griechische Bildung (Cic. Brut. 247: perfectus litteris, sed Graecis, fastidiosus sane Latinarum) gerade die Tradition des Sulla und des L. Lucullus (vgl. Plut. Luc. 1, 4. 8 u. a.) fortsetzte und die Tochter Sullas wahrscheinlich mit Zustimmung des L. Lucullus als ihres Vormunds (ebd. 4, 5) heiratete. In seinem Volkstribunat 688 = 66 (oder 689 = 65) klagte er zunächst den M. Lucullus wegen der Dienste an, die er vor anderthalb Jahrzehnten im Bürgerkriege als Quaestor dem Sulla geleistet hatte (ebd. 37, 1; s. o. Bd. XIII S. 416f.). Dann reizte er nach der Freisprechung des M. Lucullus das Volk gegen L. Lucullus auf, um diesem im Interesse seines Nebenbuhlers Pompeius den Triumph über Mithradates und Tigranes zu entziehen (Plut. Luc. 37, 2; Cato min. 29, 3). Der Streit zog sich bis 691 = 63 hin und brachte M. auch in Gegensatz zu dem mit Lucullus verschwägerten M. Cato (Plut. Cato min. 29, 3, chronologisch ungenau s. Gelzer o. Bd. XIII S. 405f.); daher wird die boshafte Bemerkung Μεμμίου τινὸς ἐν συλλόγῳ φήσαντος ὅλας τὸν Κάτωνα μεθύσκεσθαι τὰς νύκτας (ebd. 6, 1) in diesen Zusammenhang gehören. Drei kleinere Brocken aus einer Rede des M. gegen [611] den Triumph des Lucullus, die noch später gelesen wurde, bekunden eine Kenntnis der Verhältnisse, die vielleicht durch eigene Anschauung in Asien erworben ist (Serv. Aen. I 161: C. Memmius de triumpho Luculli Asiatico: ,inque luxuriosissimis Asiae oppidis consedisse‘ et mox: ,inque Gallograeciam redierunt‘. IV 261: C. Memmius de triumpho Luculli: ,Syriaci calceoli gemmarum stellati coloribus‘), wie auch seine Vertrautheit mit griechischer Sprache und Bildung (Cic. Brut. 247 s. o.) aus längerem Aufenthalt im Osten stammen mag. 691 = 63 wurde M. von seinem Schwager Faustus Sulla, der damals mit Pompeius in Syrien und Palästina war, brieflich gebeten, ihm für seine geplanten Festspiele Gladiatoren zu besorgen (Cic. Sulla 55). Anfang 694 = 60 erregte er durch sein Verhältnis zu der ihrem Namen nach nicht bekannten Gattin des M. Lucullus Ärgernis und verursachte die Scheidung dieser Ehe; Ciceros Spott über den neuen Paris, der tum Menelaum quam Agamemnonem liberum non putavit (ad Att. I 18, 3), wird von den Neueren dahin verstanden, daß er auch die Frau des berühmteren Bruders L. Lucullus eine Servilia (u. Bd. II A S. 1821 Nr. 102f.) verführte (Marx Bonner Stud. f. Kekulé 118; Ilbergs Jahrb. III 538. Gelzer o. Bd. XIII S. 407, 13ff.). Im Frühjahr 695 = 59 versicherte sein Schwestersohn, der jüngere Curio, dem Cicero, daß M. mit ihm und anderen einig wäre im Haß gegen Caesar und gegen Clodius (Cic. ad Att. II 12, 2). Daher erfüllte es Cicero mit guter Hoffnung, daß M. mit dem gleichgesinnten L. Domitius Ahenobarbus (o. Bd. V S. 1135) und weiteren Parteigenossen für das folgende Jahr zum Praetor gewählt wurde (Cic. ad Q. fr. I 2, 16, vom November). Im J. 696 = 58 eröffneten die neuen Praetoren M. und Domitius den Kampf gegen Caesar, indem sie dem Senat einen Bericht über seine Geschäftsführung in dem soeben abgelaufenen Consulat erstatteten und beantragten, verschiedene seiner Amtshandlungen, besonders sein Ackergesetz, für ungültig zu erklären. Caesar antwortete auf die heftigen Angriffe, in denen M. u. a. seine angeblichen Jugendsünden beim Aufenthalt am bithynischen Königshofe hervorzerrte (Suet. Caes. 49, 2; dasselbe Thema bei seinem Schwager Curio ebd. 49, 1), an drei Tagen mit Reden von ähnlicher Schärfe (ebd. 23, 1: triduoque per inritas altercationes absumpto. 73: Gai Memmi … asperrimis orationibus non minore acerbitate rescripserat. Schol. Bob. Sest. 297 Or. = 130 St.: adversus eum egerant in senatu C. Memmius et L. Domitius praetores, et ipsius Caesaris orationes contra hos exstant ⟨tres, quibus⟩ et sua acta defendit et illos insectatur; Vat. 317 Or. = 146 St.: tres illae orationes contra Domitium et Memmium) und bot dem Senat die Entscheidung an, die zu treffen sich dieser weislich hütete (Cic. Sest. 40 und Vat. 15 ohne Nennung des M. Schol. Bob. zu beiden Stellen [a. O.] Suet. Vgl. Ed. Meyer Caesars Monarchie 93f.). Gleichzeitig zog M. als Praetor den P. Vatinius vor seinen Richterstuhl, den C. Licinius Calvus (o. Bd. XIII S. 430, 40ff.) wegen seines vorjährigen, im Dienste Caesars geführten Volkstribunats anklagte; aber die Gerichtsverhandlung wurde gewaltsam verhindert (Cic. Vat. 33f. Schol. Bob.
[612] z. d. St. 323 Or. = 150 St.). Im J. 697 = 57 verwaltete M. als Propraetor die Provinz Bithynien; in seinem Gefolge waren die mit Calvus und untereinander befreundeten jungen Dichter C. Helvius Cinna (Catull. 10, 29ff. s. Skutsch o. Bd. VIII S. 226) und C. Valerius Catullus; der letztere war von dem Statthalter bitter enttäuscht und gab seinem Mißvergnügen in den Gedichten 10 (mit Nennung der Provinz v. 7) und 28 (mit Nennung des M. v. 9) kräftigen Ausdruck. Auf Grund irgendwelcher, gewiß ziemlich geringfügiger Waffentaten in der Provinz nahm M. den Imperatortitel an (Münzen seines Sohnes Nr. 10) mit C. Memmius imperator und entsprechender Darstellung; s. auch Marx Bonner Stud. f. Kekulé 119). Bei der Zuweisung der Provinzen wurde häufiger, als man gewöhnlich glaubt und sieht, eine Bekanntschaft des Statthalters mit seinem künftigen Verwaltungsgebiet berücksichtigt; deswegen ist es gewiß kein Zufall, daß aus den Schmähreden des M. gegen Caesar gerade die Behauptungen über dessen Erlebnisse im Bithynien Eindruck machten (Suet. Caes. 49, 2; s. o.), und daß er nun als Propraetor eben nach Bithynien geschickt wurde; vermutlich ist er schon früher hier gewesen, etwa als Quaestor während der asiatischen Feldzüge des Lucullus, was sich mit anderen Anzeichen eines früheren Aufenthalts im griechischen Osten bestens verträgt (s. o.). Dagegen spricht nichts Ähnliches für die verbreitete Ansicht, daß er vielmehr im Westen, in Spanien, seine ersten, längeren und rühmlichen Kriegsdienste geleistet habe (s. Nr. 7). Wenn zu deren Gunsten die im J. 698 = 56 öffentlich getane Äußerung über einen C. Memmius bei Cic. Balb. 5 angeführt wird, so ist es ein nicht ganz belangloses Argumentum ex silentio gegen die Beziehung dieses Zeugnisses auf M., daß nichts darauf hinweist, daß es sich um einen Lebenden handelt, um einen bekannten, angesehenen Mann, einen als Imperator Heimkehrenden und bald das Consulat Erstrebenden. Unter der Voraussetzung, daß der Senatsbeschluß über Aphrodisias in Karien demselben J. 698 = 56 angehört, hat Willems (Le sénat de la rép. rom. I 252f.; danach Viereck Sermo Graecus 40 Nr. 19) den Rest des Namens eines Urkundszeugen in Z. 7: Γάϊος Μ … zu dem des damaligen Praetoriers M. ergänzt; die ohnehin bei der Häufigkeit des Vornamens und der Menge der mit M beginnenden Gentilnamen sehr gewagte Ergänzung fällt dahin, weil das SC de Aphrodis. wahrscheinlich erst ins J. 719 = 35 zu setzen ist (s. Viereck Add. p. VII). Dagegen gehört wirklich in die J. 698 = 56 und 699 = 55 das, was dem M. ohne sein Verdienst den meisten Ruhm eingetragen hat, die Widmung des großen philosophischen Lehrgedichts des T. Lucretius Carus (I 1f.): Aeneadum genetrix … alma Venus … (24–27) te sociam studeo scribendis versibus esse, quos ego de rerum natura pangere conor Memmiadae nostro, quem tu, dea, tempore in omni omnibus ornatum voluisti excellere rebus (vgl. 42: Memmi clara propago. V 8: inclute Memmi [dazu Marx Ilbergs Jahrb. III 536); einfache Anrede: Memmi I 411. 1052. II 143. 182. V 93. 164. 867. 1282; s. Mewaldt o. Bd. XIII S. 1659f. 1662. 1665). Das Verhältnis
[613] zwischen dem aus niederem Stande entsprossenen Dichter und dem vornehmen Gönner ist neuerdings besonders von Marx eingehend behandelt worden, mit Ausdehnung der Untersuchung auf Leben und Persönlichkeit des M., seine Familie und seine Schutzgöttin (Bonn. Stud. f. Kekulé [Berlin 1890] 115–125; Ilbergs Jahrb. III 536–545), aber mit Zugrundelegung der Datierung der Memmiermünzen und der Genealogie des Geschlechts, die Mommsen (Münzw. 597f.) gegeben hat; da diese Grundlagen teilweise unhaltbar geworden sind (s. Nr. 7. 14), bedürfen auch die darauf aufgebauten Darstellungen mancher Berichtigung. Obgleich die Memmier noch nicht zum Consulat emporgestiegen waren, konnte M. nach der Heimkehr aus Bithynien seinen Ehrgeiz auf dieses Ziel richten; seine Begabung, seine Erfolge, seine politischen und gesellschaftlichen Beziehungen berechtigten ihn dazu. Nach dem Gesetz konnte er sich frühestens für 699 = 55 bewerben, scheint es aber weder für dieses noch für das folgende Jahr versucht zu haben, weil es aussichtslos gewesen wäre. Denn 699 = 55 übernahmen die Triumvirn Pompeius und Crassus selbst das Amt, und 700 = 54 infolge eines Kompromisses der von ihnen unterstützte Ap. Claudius Pulcher (o. Bd. III S. 2850f.) und der Amts- und Kampfgenosse des M. aus der Praetur, L. Domitius Ahenobarbus. Mit deren Hilfe hoffte er nunmehr sein Ziel zu erreichen. Schon im J. 699 = 55 hatte er sich von Fausta geschieden, die bald darauf, im November (vgl. Cic. ad Att. IV 13, 1) eine neue Ehe mit T. Annius Milo einging (Ascon. Scaur. 25 K.-S. = 28f. St.); beide Gatten waren trotz der langen Dauer ihrer Vereinigung einander niemals treu gewesen; vielleicht war daher für M. der Anlaß zur Scheidung, daß er Fausta mit einem ihrer Liebhaber, L. Octavius, ertappte (Val. Max. VI 1, 13); aber möglicherweise war die davon berichtende Skandalgeschichte nur eine Variante des über Fausta umlaufenden Stadtklatschs (vgl. Varro bei Gell. XVII 18. Hor. sat. I 2, 645), und gewiß spielte bei der Ehescheidung auch die Politik hinein. Denn M. vollzog einen so entschiedenen Parteiwechsel, daß seine Bewerbung um das Consulat im J. 700 = 54 die kräftige materielle und ideelle Unterstützung Caesars fand (Cic. ad Att. IV 15, 7 Ende Juni: Memmium Caesaris omnes opes confirmant. 16, 6 Anf. Juli: ut Memmius Caesaris commendetur militibus. Suet. Caes. 73: Gai Memmi etiam suffragator mox in petitione consulatus fuit). Seine Mitbewerber waren die Patricier M. Aemilius Scaurus und M. Valerius Messala und der Plebeier Cn. Domitius Calvinus. Dem Scaurus waren durch seine Anklage wegen Erpressungen die Hände einigermaßen gebunden (o. Bd. I S. 589); gegen Messala einigten sich M. und Calvinus (o. Bd. V S. 1420) miteinander und mit den im Amte befindlichen Consuln. Durch die Geldmittel und den Kredit Caesars wurden sie in den Stand gesetzt, für die Wahlbestechungen unerhörte Summen aufzuwenden. Am 15. Juli stieg infolge der riesigen Anleihen der monatliche Zinsfuß von ⅓ auf ⅔ % (Cic. ad Q. fr. II 14, 4; s. o. Bd. VI S. 2195f); der vorstimmenden Centurie wurden 10 Millionen Sesterzen in Aussicht gestellt (ebd.); mit
[614] den beiden Consuln wurde ein förmlicher Vertrag schriftlich aufgesetzt, durch den sich die beiden Kandidaten verpflichteten, ihnen 40 Millionen Sesterzen zu zahlen, falls es ihnen nach ihrer eigenen Wahl nicht gelingen sollte, jenen die von ihnen gewünschten Provinzen durch Fälschung eines Curiatgesetzes zu verschaffen (Cic. ad Q. fr. II 14, 4. III 1, 161; vor allem ad Att. IV 17, 2; s. Appian. bell. civ. II 69. Gelzer Nobilität der röm. Rep. 99f. Ed. Meyer Caesars Monarchie 193ff. Rice Holmes The roman republic II 153f). Nach lebhaften Erörterungen im Senat (Cic. ad Q. fr. II 15, 2) enthüllte M. auf Betreiben des Pompeius in einer Sitzung im September das ganze Abkommen, das den Gipfel der Korruption bezeichnete (Cic. ad Att. IV 17, 2f.; vgl. ad Q. fr. III 1, 16). Infolgedessen wurden sämtliche Kandidaten mit Anklagen wegen Ambitus bedroht. Dem M. suchte sein Verwandter, der Volkstribun gleichen Namens (Nr. 9) zu Hilfe zu kommen, indem er rascher als andere zuerst den Calvinus zur Verantwortung ziehen wollte; doch auch M. wurde belangt a Q. Acutio, bono et erudito adulescente (Cic. ad Q. fr. III 2, 3; schlechtere Lesart: a Q. Curtio s. o. Bd. IV S. 1866 Nr. 13), wohl dem Acutius Rufus, der noch im Lager von Pharsalos 706 = 48 sich als Ankläger betätigen wollte (Caes. bell. civ. III 83, 2). Er hoffte noch auf Caesars Unterstützung, aber dieser mißbilligte sein Verhalten durchaus und ließ ihn fallen (Cic. ad Att. IV 17, 3 u. a.: Memmius … plane refrixerat et … nunc totus iacet; ad Q. fr. III 2, 3 u. a.: mirum in modum iacet. 8, 3 u. a.: hic quidem friget). Als nach einem monatelangen Interregnum im Juli 701 = 53 die Wahlen für den Rest des Jahres endlich zustande kamen, wurden Messala und Calvinus gewählt, und als im folgenden J. 702 = 52 Pompeius als alleiniger Consul scharf durchgriff und ein neues Gesetz mit rückwirkender Kraft gegen den Ambitus erließ, wurden auf Grund dessen von den Kandidaten des J. 700 = 54 sowohl Scaurus wie M. verurteilt (Appian. II 90). M. hatte damals den Pompeius ganz besonders schwer beleidigt, indem er seiner neuvermählten jungen Gattin Cornelia durch einen beiden Männern nahestehenden griechischen Literaten, Curtius Nicias, ein Liebesbriefchen zustecken ließ; Pompeius verbot dem dienstfertigen Vermittler sein Haus (Suet. gramm. 14; vgl. Herzog Histor. Ztschr. CXXV 193) und gab den gefährlichen Verführer der Strenge des Gerichtshofs preis. Das neue Gesetz gewährte dem Verurteilten Straferlaß, wenn er einen andern desselben Vergehens überführte; daher klagte nunmehr M. den Vater der Cornelia, Metellus Scipio, wegen Ambitus an (Appian. II 93; vgl. Mommsen Strafr. 509, 4). Indes Pompeius nahm sich seines jetzigen Schwiegervaters nachdrücklich an, und M. mußte unter Protest gegen seine Herrschaft im Staate die Klage zurückziehen (Appian. II 94: ὀλοφυράμενος … τὴν πολιτείαν διέλυσε τὴν δίκην), während Metellus Scipio in den letzten Monaten des Jahres sogar dem Pompeius als Mitconsul zur Seite trat (s. o. Bd. III S. 1225). M. ging nach Athen, trug die Verbannung ziemlich leicht (Cic. fam. XIII 1, 1) und richtete sich am neuen Wohnort auf großem Fuße
[615] ein. Am 24. Juni 703 = 51, einen Tag vor Ciceros Ankunft in Athen, trat er eine Reise nach Mitylene an (Cic. ad Att. V 11, 6). Er plante in Athen die Errichtung eines prächtigen Palastes an der Stelle, wo das Haus Epikurs stand, und hatte nicht die geringste Pietät für den Wohnsitz des Mannes, der in dem ihm selbst zugeeigneten Gedicht des Lucrez wie ein Gott gepriesen wurde. Das derzeitige Schulhaupt Patron wandte sich an T. Pomponius Atticus und mit diesem und durch diesen an Cicero mit der Bitte, das allen Jüngern Epikurs heilige Bauwerk vor der Zerstörungslust des M. zu retten; da Cicero während der zwölf Tage, die er auf dem Wege nach Kilikien in Athen verbrachte, keine Gelegenheit hatte, mit M. persönlich zu sprechen, so richtete er von dort an ihn den Brief fam. XIII 1 (vgl. ad Att. V 11, 6), der sich für die Erhaltung des Hauses verwendet und als höchst charakteristisch für den Schreiber und für den Empfänger, für griechische und für römische Geistesart Beachtung verdient. M. rechnete ohne Zweifel mit baldiger Heimberufung aus dem Exil, um so mehr als sein Verwandter, der tatkräftige junge Curio, beim Antritt des Volkstribunats Ende 703 = 51 sie zu betreiben in Aussicht stellte; schon am 20. Februar 704 = 50 schrieb Cicero aus Laodikeia (ad Att. VI 1, 23): De Memmio restituendo ut Curio cogitet te audisse puto (s. u. Bd. II A S. 870); eine andere Anspielung auf M. in demselben Schreiben scheint nicht verständlich zu sein (10: Correcta vero epistula Memmiana nihil negoti fuit). Die Entwicklung der politischen Lage im Laufe dieses Jahres vereitelte die Hoffnung des M. auf baldige Rückkehr. Nach Mitte Oktober war Cicero auf der Rückreise wieder mehrere Tage in Athen, scheint aber auch diesmal wieder den M. nicht getroffen zu haben. Nicht sehr lange nach seiner Rückkehr, gegen Mitte April 705 = 49, bat er ihn in dem kurzen Briefe fam. XIII 2, dem Bildhauer C. Avianius Euander die zum 1. Juli gekündigte Wohnung und Werkstatt zu lassen (vgl. Marx Festschr. für Benndorf [Wien 1898] 38–48; danach Robert o. Bd. VI S. 843 Nr. 10 in Ergänzung von II S. 2372 Nr. 5), und wohl um dieselbe Zeit empfahl er ihm in zwei Sätzen einen A. Futius (fam. XIII 3). Über den Ausgang des M. ist nichts bekannt; in den Stürmen des Bürgerkriegs blieb das Schicksal des einzelnen unbeachtet. Er war tot als Cicero im J. 708 = 46 seine Bildung (s. o.) und seine Beredsamkeit charakterisierte (Brut. 247): Argutus orator verbisque dulcis, sed fugiens non modo dicendi, verum etiam cogitandi laborem, tantum sibi de facultate detraxit, quantum imminuit industriae. Eine Äußerung Ciceros (inc. or. frg. 16 Schoell aus Aquila 28 [Halm Rhet. Lat. min. 31, 8] = Mart. Capella V 532): Sed tamen ad illum diem Memmius erat Memmius ist aus dem Zusammenhang gerissen und kaum recht zu verwerten. M. war nicht nur Redner, sondern auch Dichter, offenbar einer der Neoteriker. Plin. ep. V 3, 5 nennt ihn in der langen Reihe der vornehmen Dilettanten seiner Zeit, Gell. XIX 9, 7 (Cinna inlepida et Memmius dura … fecerunt) rückt ihn nahe an C. Helvius Cinna, einen seiner Begleiter in Bithynien (s. o.), und Ovid. trist. II 433f. stellt
[616] ihn wegen seiner Frivolität mit L. Ticida zusammen: apud quos rebus adest nomen nominibusque pudor. Erhalten ist von seinen prosaischen und poetischen Erzeugnissen so gut wie nichts; außer bereits angeführten Bruchstücken finden sich nur einige eigenwillige Abweichungen vom gewöhnlichen Sprachgebrauch notiert: Aus einer Rede Priscian. VIII 19 (GL II 386, 4): Gaius Memmius: Quam stulte conficta, quam aperte sunt ementita (passivisch); aus einer Dichtung Non. 194, 30: Clivus generis masculini, ut plerumque, neutri apud Memmium, invenimus, cuius auctoritas dubia est (!): Ne ardua nitens fortunae escendere cliva; ungewisser Herkunft Caper de orthogr. GL VII 101, 17: Memmius: Ista macella (Plural! nach Morel Frg. poet. Rom.² 91 poetisch). M. stand in Verbindung mit den ersten politischen und geistigen Größen seiner Zeit und zeigt manche Züge, die dieser Zeit eigen sind, gerade auch die der Korruption und Dekadenz, in ausgeprägtem Maße. Er hat deswegen wiederholt zur monographischen Behandlung verlockt. Zumal von Lucrez ausgehend, hat früher Fr(iedrich) B(ockemüller; s. über ihn o. Bd. XIII S. 1679f.) Grenzboten 1869. XXVIII 2, 2. 129–143, später Marx (s. o.) dem spärlichen Material mit Liebe und Geist möglichst viel abzugewinnen gesucht und ein wenig zu viel abgewonnen. Andere wie die Numismatiker, die Kommentatoren (z. B. Tyrrell und Purser Correspondence of Cicero III p. LXXVIf.), die Literarhistoriker (z. B. Schanz-Hosius I4 310f.) wiederholen nur das Bekannte ohne selbständige Nachprüfung.