Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Heiligkeit Gottes
Untertitel: Vortrag gehalten auf der Konferenz von Paulinzella
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Dörffling & Franke
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
Die Heiligkeit Gottes.


Vortrag
gehalten auf der Konferenz von Paulinzella
von
D. Dr. von Bezzel
Präsident des protestantischen Oberkonsistoriums
in München.


Leipzig 1916
Verlag von Dörffling & Franke.


|
Sonderabdruck
aus der „Allg.-Evang. Luth. Kirchenzeitung“
Nr. 6 bis 8, 1916.


|  Raum und Zeit haben an sich und in sich knechtende und einengende Wirkung. Denn der Raum drängt in den Kreis der Sichtbarkeit all das, was von unsichtbaren Kräften und verborgenen Regungen zur Wirklichkeit gelangt und hinter ihr steht: sowohl das Gute und Wahre, dies mehr in andeutender und ahnen lassender Form, als das Ungute, das, weil es des Raumes bedarf, ihn auch ganz durchwalten will. Räumlichkeit ist für alles Gottgeborene Schranke, so gewiß auch das Endliche fähig ist, das Unendliche in sich ein- und durch sich aufzunehmen. Dem Göttlichen gefällt es, im Raume zu erscheinen so viel und so weit, daß dieser über sich hinauszuwachsen strebt und die Rastlosigkeit einsetzt, die erst in der Sabbatruhe eines Vollendungstages zum Frieden kommt. Während aber das Göttliche vom Raum, in den es sich ergibt, geknechtet wird, obgleich freien Willens, will das Ungöttliche mit dem Raume frei und herrisch schalten und aus den Grenzen des Irdischen zur Materialisierung des Geistigen und zur Entwertung des Geistlichen vorschreiten. Dem Bösen ist der Raum Lebensbedingung und darum die Erklärung und Erhebung des Raumes in das Bleibende – Leben. Je mehr das Böse Raum gewinnt, desto mehr gewinnt es feste Formen, während es in sich selbst Zersetzung und Vergänglichkeit haben müßte. Wenn der Feind als Herr des Raumes dem, der sich dem Erdenraum in Dienstbarkeit ergab, alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit (Matth. 4, 8) zeigte, so wollte er in dem Herzen dessen, der auf eine enge, arme Welt, die ihn um ihrer Beschränktheit willen ängstete, gesandt war, den Neid wecken, daß geräumige Weiten dem Bösen offenstehen, das sie beglänzt und verklärt, während das Kreuz des Gehorsams in Nacht und Einsamkeit steht, auf Eines gebaut und für Eines errichtet.
.
|  Was aber der Raum in Ausdehnung der Quantität wirkt, das Göttliche knechtend, das Widergöttliche zur Tyrannin erhebend, das will und schafft die Zeit in der scheinbaren Eile an sich gleichgültiger Momente, die Gottes heiliger Geist mühsam auskauft, um in ihrer Fülle das von Jahrhunderten Vorbereitete zur Erscheinung zu bringen, um aus der Saat die Ernte und aus dieser jene reifen und erstehen zu lassen, während der Feind, der weiß, daß er wenig Zeit hat (Offb. 12, 12), sie mit dem Scheine des Ewigen, Bleibenden antut, um das Verlangen nach Gütern zu erwecken, die nie sättigen, wohl aber enttäuschen, die träumen lassen, man habe genossen, damit man beim Erwachen traurig merke, wie leer die Seele ist. Von Ewigkeit her in die Zeit geboren arbeitet Jesus Christus, solange die Ewigkeit es der Zeit gestattet, Gefäß und Zeugin seiner Arbeit zu sein; der Herr der Über- und Unzeitlichkeit bindet sich an die Stunde, während sein Feind die Zeit zwingt, die Ewigkeit zu verdrängen, um in die enteilende Stunde den Genuß zu versetzen, den er der Ewigkeit entwendet hat. Darum hat die Arbeit des Widersachers der Ewigkeit, deren Unermeßlichkeit ihn auf sich beschränken und mit sich zu bleibender Qual leben heißt, die Schreckhaftigkeit der Aufgeregtheit an sich, die Spiel scheint und Mühe ist, die Genuß vortäuscht und Not schafft. Die Stetigkeit im Bösen wäre seine Vernichtung, der Prozeß der Selbstauflösung, während der buntfarbige Wechsel Neues auf alte, Altes auf neue Weise anbringt mit dem prickelnden Weh einer Melancholie, die gesunder Trauer nur darin ungleich ist, daß diese arbeitet, während sie in den tatenlosen Schmerz um der in ihm ruhenden Lust willen sich verliert. Darum wagt die Schrift das Schlechte nur „mühereich“ (πονηρός) zu nennen, während die rechten Werke dahin nachfolgen, wo Mühe und Trauer weg müssen (Offb. 14, 13).
.
 Nichts ist dem Zerstörer des Lebens wertvoller, als wenn ein Mensch Raum und Zeit für Größen hält, die in ihrem Wechsel und Wandel das in und auf ihnen Geschehene verdrängen und vergessen machen, als ob nicht beide Kategorien, wie sie aus der Ewigkeit geboren sind, zu ihr zurückkehren müßten, verwertet oder entwertet, entweiht oder geweiht. Die Scholle, ein Atom der Welt, die mein Ich zu bebauen hat, wird das ihr, wenn auch nicht mir entsprechende Gegenstück in der Ewigkeit finden, und die kurze Spanne Zeit, Menschenleben geheißen, wird in den ewigen Hütten Freunde oder Feinde finden. Man erlebt sich immer zweimal. Entweder wird das Leben am Standort des Gewordenseins die| Vollendetheit seiner Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte oder deren Karikatur sein. Der Mensch stirbt an seinen Göttern oder lebt von und in seinem Gott. Was die Kirche ewiges Leben nennt und was sie als ewigen Tod lehrt, ist einmal Leben, das, in sich beglückt, immer weitere Kreise zieht und immer größere Geschichte erfährt und bewirkt, oder Leben, das unter Berge und Hügel vor sich flüchten möchte und in unablässigem Selbstreflex verlangend zum Sterben sich anschickt, das immer wieder in Leben umbiegt. Es ist gut, seine Tage in der Gewißheit, daß sie uns erwarten, Stunde um Stunde zu zählen und so ein kluges Herz zu bekommen, das reich genug ist, um arm werden zu können, und arm genug sein will, um reich werden zu dürfen. Und es ist rätlich und heilsam, jedweden Ort – in quovis angulo habe respectum tui angeli „in jedem Winkel habe Ehrfurcht vor deinem Engel“, meint Bernhard von Clairvaux – mit Schritt und Spur zu zeichnen, die ins ewige Leben weisen.

 Was aber in Zeit und Raum geschieht, um das Vergängliche seines vorbereitenden und gleichnishaften Charakters zu berauben und die geringe Welt zum bleibenden Wohnsitz der Menschheit zu erheben, was mit dem Dienst an das Enteilende und Unwesentliche anhebt und in der Sklaverei der Sünde endet, das erweckt in der auf Unermeßlichkeit und Ewigkeit angelegten Seele, die ihrer Anlage unter Entartung und durch sie eingedenk wird, das große, tiefe, schweigsame Heimweh nicht eines müßigen Weltschmerzes, der den Tod als Erlösung und die traumlose Ruhe des Grabes oder die im Äther verschwimmende Wolke, in die das Irdische verloht, als Verklärung feiert, sondern das Heimweh, von dem übermächtigt der scheidende Herr nicht frommen Wunsch und treue Fürbitte, sondern ernsten Willen aussprach (Joh. 17, 24), daß, wo er sein werde, die Seinen bleiben sollen. Hineingestellt in eine Welt des Stückwerks, das den Ruhm des Vollendetseins begehrt, umtost von dem Lärm des Marktes, der das Eitle liebt und das Richtige anpreist, umdroht von der Gewalt der Verführung, die sich an die mit der Schönheit des in Gnade gefestigten Charakters Angetanen wagt, von der Lüge verspottet, die den Thron der Wirklichkeit ersteigt, um auf ihm als Wahrheit zu erscheinen, hebt der Christ, dessen Füße schier straucheln und dessen Augen übergehen, von dem „Standfest des Glaubens“, wie Luther so gerne sagt, Herz und Hände empor: „Heilige uns in deiner Wahrheit!“ (Joh. 17, 17), „Heiliger Vater, erhalte uns in deinem Namen!“ (Joh. 17, 11).


|
II.

 Die Geschichte der christlichen Kirche, die nie Wiederholungen, wohl aber Wellenbewegungen kennt, welche das Untere zur Höhe und Höhen zu Tal bringen, Bewegungen, die in scheinbarer Regelmäßigkeit zeitlicher, in wirklicher der logischen Folge aneinander grenzen, lebt immer zwischen Aufgang und Niedergang, der die Strafe für die Unterschätzung des Gegebenen ist, das man nicht ausgekauft und nutzbar gemacht hat, aber auch das Verlangen nach besseren Zeiten und das Gelübde größerer Treue gegen sie erweckt. Der letzte Tag der Kirche auf Erden wird herankommen, wenn alle Reformationsgaben und -möglichkeiten in der gläubigen Gemeinde auf- und ausgebraucht sein, und die Knechte sich bereiten werden, das wohlbewucherte Pfund in die Hände des heiligen Gläubigers zurückzugeben. Da und so hast du das deine, und als solches erkenne es! Gegenüber den apokalyptischen Träumereien einer neuen Geistesausgießung betet die Kirche, daß der Heilige Geist nicht von ihr genommen werden möge. Und nicht um neue Wege bittet sie, sondern um neuen Willen.

 Wir aber stehen zurzeit nicht an einem „Wendepunkte“, der vor dem Eintritt der Ewigkeit in die Zeit bis zum Eintritt der Zeit in die Ewigkeit überhaupt nicht eintreten wird, sondern in den geringen Tagen, welche die stille gehenden Wasser des Kirchenlebens aus Wort und Sakrament, des geordneten Wesens und Wirkens verachten und Geistesströme herbeisehnen, die nicht befruchten, sondern das gute Land entführen und Schlamm und Geröll zurücklassen. Wir lassen uns von der Versöhnung der Kultur mit der Religion etwa nach der Weisung des Dichters predigen, daß, wer Wissenschaft und Kunst besitzt, auch Religion habe, und verwechseln Ästhetik mit Ethik, religiöse Anschauung mit Glaubensbesitz, religiöses Interesse mit dem an Gottes Wort gebundenen Gehorsam. Weigel und Schwenkfeld sind die genuinen Reformatoren, und die Schwärmerei, welche von der Offenbarung sich löst und ihren eigenen Eingebungen lauscht, ist das Normativ für diejenigen, welche Christi, Pauli, Luthers und das eigene Wort aus eine Linie stellen, weil der Geist wehe, wie und wo er will. Unsere kritischen Theologen gehen in die Schule der Mystiker, und unsere Mystiker finden sogar die Kritik erwärmend und belebend. Über die theologischen Differenzen breitet die große Losung des Gesamtprotestantismus, der gegen alles, nur nicht gegen sich protestiert, die Fahne des Burgfriedens hin, während| dessen man die 92. Lutherthese vergessen kann, daß alle jene Propheten dahinfahren mögen, die zum Volke Christi sprechen: Friede, Friede – und ist doch kein Friede. Wenn die Bibelkritik in rückläufiger Bewegung ist, da so ziemlich alle Unmöglichkeiten an dem vile corpus der Schrift versucht und erwiesen waren, so ist doch die Autorität der Schrift in der Kirche und bei den Dienern des Wortes weithin erschüttert. Die Zukunft der Kirche ist die Zukunft ihrer Irrtümer oder die erneute Gegenwärtigkeit ihres Besitzes. Ob noch einmal, ehe der Welttag sich neigt, wie etliche hoffen, eine die Vollendungsherrlichkeit vordeutende Zeit seliger Ruhe für die Kirche kommen wird, in der sie ihres Besitzes froh und den Anläufen des Satans entnommen sein darf, weiß ich nicht. Die Jetztzeit ist keinesfalls eine Zeit des Hochgangs für bekenntnistreues Leben, das die Weitschaft der Hoffnung mit der sorgsamen Behütung des Kirchenschatzes verbindet – aber so still und unbemerkt die Wasser zum seligen Meere hin sich bewegen, sie bewegen sich doch. Die Kirche schreitet doch, ob auch unter viel Mühe und Beschwerden, ihrem hohen Ziele zu. Und derer, die um das apostolische Wort als um eine unverrückbare Grundlage sich scharen, sind immer so viel, daß der Herr, der auf das Kleine sieht, sie nicht übersehen will.

 Wir vergessen inmitten aller Größenbegriffe und angesichts der nach Majoritäten gewerteten Erfolge, bei der grobsinnlichen Gegenwart, die eine Idee nicht auf ihre Richtigkeit und Berechtigung, sondern auf den ihr werdenden Beifall ansieht, daß der Artikel der heiligen christlichen Kirche wie der ganze Umfang der Realitäten, dem er entnommen ist, ein Glaubensartikel ist, dessen Tragkraft ebensowenig von unserem Willen abhängt als seine Tragweite von unserem Wirken, der aber schon das Festhalten lohnt, weil er den Willen der Geduld, dieser geheimen Kraft der Heiligen, stärkt und durch ihn immer mehr an die Sichtbarkeit heranrückt.

 Es ist mir wenigstens kein Zweifel, daß aus der beharrlichen Geduld, dieser Werbekraft der gerechten Sache, langsam, von keinem der Zeitgenossen zu erleben, aber von ihrer vielen freudig begrüßt, die Einheit der Gläubigen erwächst, welche nicht Marksteine und Grenzlinien verwischt und verrückt und das geschichtlich Gewordene, in das der Einschlag göttlicher Weisheit – nicht einer, genau besehen, unfaßlichen und unbegrifflichen Zulassung Gottes – eingewirkt ist, mit einem Machtwort beseitigt, sondern in den vielen Wohnungen des Erdenlebens und Kirchenwesens| gemeinsam aus Entscheidungen sich rüstet. Und darum steht mir auch das in alle Wege fest: die beharrliche Kraft wird die bösen Tage zwar nicht vertreiben, aber überdauern. Denn sie redet sich nicht ein, das Unsichtbare und Unfaßbare im Kreuze Christi als Tatsache, die durch Ohnmacht die Weltmacht und durch Torheit ihre Weisheit überwindet, festzuhalten etwa aus dem ungesunden Wege der Selbstbetäubung oder der Verzückung, dieses Enthusiasmus, den Luther bekanntlich nicht nur bei den Sektierern fand; auch bequemt sie sich nicht, diese Tatsache mit Hinopferung des sichtenden und prüfenden Verstandes unbesehen hinzunehmen. Sondern sie will sie festhalten, weil sie soll, und muß es tun, weil sie darf. Kaum ist seit den Tagen der Reformation mit ihrer die Einzelpersönlichkeit lösenden und betonenden Arbeit so der Einzelne in seiner Bedeutung und dem Ertrag für das Ganze eingeschätzt worden wie jetzt. Es ist die göttliche Antwort auf die Atomistik der falschen Philosophie, welche den Menschen das Maß aller Dinge sein läßt, daß die Weltkämpfe im Herzen des einzelnen Menschen sich abspielen und ausgetragen werden müssen, damit der verschwiegene Sieg des Einzelnen dem Ganzen zugute komme. Das Zeitalter des Individualismus ist in Gottes Hand voll von universalistischen Tendenzen, die erobern, um zu behaupten, und bewahren, um zu erobern. Dann werden die Abende heller als der Morgen, und das Ende der Kirche besser als ihr Anfang, dessen keimartige Gaben bis zum Ende sich entfaltet und es gekrönt haben. Paulus ermahnt nicht umsonst, anstatt daß er neue Gaben in Aussicht nehmen sollte: ἀναζῳπυρεῖν (2 Tim. 1, 6) τὸ χάρισμα „Erwecke die Gabe, die in dir ist“. Die Gabe muß erweckt werden, die der scheidende Herr, der, aus Raum und Zeit genommen, beides erfüllen will, seiner Gemeinde in Darbietung des ganzen Pleromas des Seins und Soseins, der leibhaftigen Wesensfülle gewährt hat. Sie muß erweckt werden durch die Energie des Glaubenwollens, durch die Standhaftigkeit der die einzelnen Willensregungen zu bewußt willentlicher Erfassung bringenden Treue; und diese Gabe ist täglich neu und doch nie erst zu erproben. Das ist genug, um eine Gemeinde heranwachsen zu lassen, die in männlicher Treue das Alte bewahrt und in ewiger Jugend sich selbst erhält.

 Darum wollen wir zu Grundtatsachen zurückkehren, ehe die Neuerungen uns das Feuerbeständige anzweifeln und das ewige Licht dunkel werden lassen, das Ewige erfassen, damit die Zeit keine Macht an uns finde.

 Zwar müssen wir gestehen, daß alle Begrifflichkeiten die Tatsachen| nicht fassen und alle noch so hoch gewählten Worte sie nicht entsprechend ausdrücken können, müssen es vielmehr zu den demütigenden Erfahrungen, die zugleich das Heimweh nach dem Zureichenden erwecken, zählen, daß wir mit Sinn und Wort das Übersinnliche und Unaussagliche nicht treffen, weil zwar das Endliche das Unendliche fassen, aber nicht ausschöpfen kann. Dennoch ist es das Größte, in das Heiligtum einzugehen, ob es nicht noch mehr dem Sinne der Anbetung sich erschließen und das Wort bereichern wolle, damit es in Wechselwirkung auch vollkommener ausdrücke.
.
 Über alle Zeit erhaben. so sehr ihrer mächtig, daß er in sie eingehen kann, ohne etwas von sich zu gefährden, und allen ihren Wirkungen und Gewaltsamkeiten sich anheimgebend, ohne daß sie ihm etwas anhaben können, steht die Persönlichkeit Gottes, die, um sie auf diskursivem Wege dem Gedanken, auf reflektierendem der Andacht näher zu bringen, der Mensch nach ihren Eigenschaften betrachten möchte, nach Eigenschaften, die nur am Menschenbilde gemessen werden können und so aus der unmeßbaren Absolutheit in Beziehung zu dem Unselbständigen gesetzt werden müssen, um eben als absolut erkannt zu werden. Ein wunderbares Spiel des Gedankens, dem in göttlicher Herablassung die von Ewigkeit her beschlossene Menschwerdung Gottes ein Recht verleiht. Gottes Persönlichkeit in einer über alle Zeit und Räumlichkeit erhabenen Selbständigkeit, sich in sich auf dem Wege der Selbstmitteilung erfassend, sich als Quell des Guten in der Gabe des Guten erkennend und behauptend, fernab von dem starren Henotheismus, der letztlich die Ersterbung Gottes in dem Eigenen zur Folge haben müßte, vielmehr als ewiges Sein durch den Prozeß des in sich zurückkehrenden Werdens sich selbst zur Erkenntnis gekommen, in dem trinitarischen Prozeß des Sichdenkens und des den Denkenden und den Gedachten zu wahrer Einheit zusammenschließenden Geistes, Gottes Persönlichkeit mit dem absoluten Ich vorweltlich, überweltlich und innerweltlich zumal, in dem selbstreflektierten Ich des Sohnes teilhaftig wie des Heiligen Geistes gewiß, wird von uns in Beziehung zur Zeit gesetzt, um ewig genannt zu werden, dem die Zeit immanent ist, weil sie für ihn ein Vorübergehen aus dem Willen ins Werden und eine Rückkehr von diesem in jenen wird. Der „Alte der Tage“, der in ewiger Jugendfrische seinen Knechten erscheint, dessen Kraft von alldem erhöht wird, was die Kraft des Gewordenen eben als solchen, von dem sündigen Moment abgesehen, mindert und einschränkt,| weist den Jahrhunderten ihre Bahn auf die Augenblicke und die Zeiten auf die Erfüllung, nennt das Gestern wie das Morgen sein Heute, von dem und zu dem alles geht, schließt, um mit Luther zu reden, implenda wie impleta zusammen und erhebt das Seine zur stetigen Identität mit sich selbst.

 Von den Räumlichkeiten der weitesten Fernen und der entlegensten Weiten ungehemmt, alle durchwaltend, alle bewegend, in keine Form gebannt und doch, ja eben deshalb mächtig genug, im Menschenherzen Wohnung zu machen, im Menschenleben Gestalt zu gewinnen, kann er allenthalben alles erfüllen und bleibt von allem verschieden. Wie er über den Wechsel der Zeiten gebietet, so über die Grenzen des Raumes, die ihn nicht zu halten noch zu hemmen vermögen. Und darum hat er zum Heute der Ewigkeit die Weite gesellt, daß eine Leiblichkeit seine Weltwege ende, die des Raumes nicht bedarf, aber ihn schafft, von ihm nicht gehalten, aber in ihm geheiligt wird. „Die Räumlichkeit und Zeitlichkeit hienieden ist nur die Träne oder der Winter der Ewigkeit“, sagt Saint Martin († 1805). Was aber in den dem irdischen Geschehnisse, damit es werde und sei und als Form vergehe, im Ertrag bleibe, gegönnten Kategorien sich vollzieht, kann ihn weder bereichern noch ärmer machen, weder umgestalten noch verklären. Denn nicht in schlichter Unveränderlichkeit, die das Gebet ebenso nutzlos als das Wunder unmöglich erscheinen ließe, sondern in seliger Allgenugsamkeit besitzt er sich selbst, der bereichert, nicht um reicher zu werden, und gibt, nicht um zu empfangen.

 Der göttlichen Absolutheit entspricht, ja ist nötig die Aseität, welche nichts bedarf, begehrt und will, um unausgeführte Möglichkeiten in ihr zu Wirklichkeiten zu erheben und Natur mit Inhalt und Wesen zu erfüllen, sondern Leben und volles Genüge hat.


III.
 In dieser leuchtenden Abgeschlossenheit ruht die Heiligkeit beschlossen, deren ganze Größe, wie es gerade hier deutlich zutage tritt, das Wort nie aussagen kann. Deo gratias, quia id, quod competenter non potest dici, potest fideliter credi „Dank sei Gott, weil das, was nicht zureichend gesagt werden mag, geglaubt werden kann“ (Augustin). Weder das hebräische „Heilig“ kadosch, ob es von kadesch (schneiden) oder von kada (hellsein) abgeleitet wird, noch das griechische ἅγιος in seiner Ableitung von ἅζομαι (des Verehrungswürdigen), noch ἱερὸς mit der| Sprachwurzel des virere und virtus, des Frisch- und Starkseins, noch das deutsche heilig, hillig, hell und heil kommt dem wundersamen Begriffe ganz nahe, von dem unsere Alten sagten, er beschließe eine coincidentia oppositorum „Zusammentreffen von Gegensätzen“ in sich, in seinem Wesen wie in seiner Wirkung; Zorn und Gnade verbinde, Liebe und Furcht erwecke es. Sanctum est, quidquid de deo cognoscitur et quidquid insuper de illo, si se uberius revelare velit, cognosci possit, adeo, ut hoc vocabulum vere sit inexhaustae significationis sagt Bengel mit Recht: „Heilig ist alles, was von Gott erkannt wird und was darüber hinaus, wenn er sich reichlicher offenbaren wollte, erkannt werden könnte, so sehr, daß dies Wort in Wahrheit von unerschöpflicher Bedeutung ist.“

 Gerne nehmen wir darum einen Querschnitt durch unsere Dogmatiker vor. Während Luther zu Jes. 57, 15 so feinsinnig sagt: „Er kann nicht über sich sehen, denn er hat keinen höheren, und nicht neben sich sehen, denn er hat keinen, der seinesgleichen ist. Darum muß er unter sich sehen, und je tiefer du stehest, desto mehr fällt sein Auge auf dich“, weist Calvin zu Joh. 17, 11 darauf hin, daß es Gottes Heiligkeit sei, den Jüngern ihres Jesus Gnadenwerk also zu erhalten, daß sie durch seinen Weggang nicht verarmten. Beide Reformatoren weisen also auf den Gnadencharakter der Heiligkeit hin, die Beck und Schlatter, letzterer auf Collenbusch zurückgehend, am meisten als die allem Geschöpflichen sich erzeigende vollkommene Liebe betonen, eine Liebe, die Ausfluß des in sich voll genugsamen Lebens ist. Wenn darum Rothe in der Heiligkeit nur die Reaktion des Absoluten gegen das Endliche und Sündliche findet, mit Anlehnung an Schleiermacher, der von Gottes Ursächlichkeit spricht, die in jedes Menschen Gewissen Übereinstimmung mit dem Sittengesetz als Forderung legt, muß er sich von Schlatter den Einwand machen lassen, ob er die erste Bitte nicht kenne.

 Ritschl hat, meine ich, darin recht, daß er die Heiligkeit nicht als Eigenschaft neben andere setzt, sondern als konstitutiv betrachtet, als Gottes Selbstbehauptung, dem Guten wie dem Bösen gegenüber, was Frank in etwas anerkennt, wenn er zwar die alte Katechismusdefiniton ablehnt, daß Gott, weil er das Böse hasse und das Gute liebe, heilig sei, weil sonst das Gute wie ein selbständiger Begriff neben Gott erstünde und das Böse wiederum als sein selbständiger Gegensatz, im übrigen aber die Absolutheit| Gottes in Zorn und Gnade betont, die schließlich ein und derselben Wesentlichkeit Ausdruck, nur nach verschiedenen Seiten gewendet ist.
.
 Man wird also wohl betonen dürfen, erstlich, daß die Heiligkeit Gottes, auch abgesehen vom Kreatürlichen, als Selbsterfassung und Selbstbehauptung besteht, sodann, daß sie in der Reaktion gegen die Sünde sich durchsetzt, die drittens zur Rettung des Sünders gereichen will. Der göttliche Liebeszorn spricht doch: „Fürchte dich nicht“ zu dem einen, um dem anderen zuzurufen: „Ja, vor dem fürchte dich!“ So zeigt Gott Seinen Willen als den das Geschaffene für den Schöpfer bestimmenden, weil es nur in ihm leben kann, als den, der behauptet und geltend macht und nicht rastet, bis er die Werke, seines Wesens Abbild in ihm wieder aufgenommen sieht, und darum ist er heilig. Nicht eine Allmacht, die willkürlich schafft und aus Laune das Geschaffene vernichtet und schonungslos zerstört, um an den Tränen der Kreatur sich zu erquicken, ist Gottes Art, sondern in der sich durchsetzenden Allmacht liegt letztlich die Liebe verborgen, die sucht und wirbt, wo sie nötigen und zwingen könnte, eine Allmacht, die ihre höchste Größe in der Beachtung der selbstgewollten und selbstgezogenen Schranke des Menschenwillens bewährt, daß sie sich vor seinem Entscheid beugt, gnädig auch in der Verwerfung, die der Mensch sich erwählt und in deren Vollstreckung er seine Wahl gefunden hat. Heiligkeit ist die Sittlichkeit der Allmacht, die zielsetzliche Beharrung Gottes auf seinem Willen, nach dessen Bewertung der Mensch sein Los entscheidet. Wenn er willentlich in Gottes Meinung eingeht, die er sich so zueignet, daß er in ihr die seine und in der seinigen sie wiederfinden mag, ist auch der Mensch heilig, und nicht sowohl auf einem physischen Prozesse der Rückkehr in die Urkraft, aus der er hervorging, sondern durch den materiell freien Akt der Selbstbestimmung für eine ewige Bestimmung wird er dem Heiligen nahe gebracht, in ihn eingehend, aber nicht in ihm aufgehend (Lev. 11, 44. 45). Heiligkeit auf Gott gesehen ist Selbstbehauptung, auf den Menschen gewendet Mahnung zur Entscheidung, deren Ergebnis jeweils und immer zu Gott führt, entweder weil sie will oder obgleich sie nicht will, einmal zum Leben in ihm, das anderemal zum Leben wider ihn, das schließlich auch seine Ehre ist. Denn Selbstvernichtung oder Hinzehrung des Gottwidrigen, wie seit Origenes die Endlichkeit des Bösen gehofft wird, wäre eine Verselbständigung des Todes als Nichtseins, während der Tod doch Leben der Abhängigkeit| wider Willen, die Negative, nicht die Negation des ewigen Lebens ist. Je mehr Israel in die Greuel der Götterlehren mit ihrer Glorifikation der Sinnlichkeit, des Hedonismus und der Verwischung des Guten und Bösen hineinsah, daß vor den Göttern die in dem unbekannten Gotte Weilenden zu den Mysterien flohen, während das Volk an seinen Göttern starb, deren potenzierte Sündhaftigkeit durch die Straflosigkeit als Gutsein sich ausgab, desto mehr erkannte es in dem Gott der Väter, vor dem die Frommen im Staube sich demütigen, weil er in sich die Reinheit darstellt und nach ihr alles Menschenwerk auf Echtheit und Unrecht wägen und messen läßt, in dem Gott der Geschichte, der in Wort und Werk der Menschheit nahe ist, den Heiligen, vor dem Schein, Spiel und Tand der Geschichte zerstieben und die menschlichen Werke und Wertungen zerrinnen und das Blendwerk der Menschensprache zerfällt und versinkt. Der Prediger Salomonis, dieses tiefsinnige und doch so tiefgründige Buch, das wir auch auf dem Boden heidnischer Weisheit hätten verstehen können, wahrlich nicht ein Hoheslied der Skepsis, sondern ein ernstes Trauerlied von der Erde für die Erde, ist wohlbesehen ein Preis auf den heiligen Gott, der in der gewaltigen Reaktion seines allen Dingen Weise, Wert und Zahl bestimmenden Willens Großes mit dem Fluch der Eitelkeit belegt, weil es in sich und von ihm gelöst etwas sein will, so es doch nichts ist, und das Kleine machtvoll hervorhebt, damit es als Sein Gedanke bleibe und leuchte (Pred. 7, 30).
.
 Wenn das Stäublein seinem Schöpfer sich naht, so bleibt es angesichts des Riesenbaues der Weltreiche, die, weil ohne Gott, in sich versinken. Heiligkeit ist es, die den Jüngling seiner Jugend froh sein läßt als eines Geschenks von Gott zu seiner Selbstoffenbarung und zur Erweckung des Verlangens nach ihm; aber es ist auch Heiligkeit, die um der vergeudeten Jugend willen zu Gericht fordert. Heiligkeit ist es, daß er auf den Lobgesängen Israels wohnt (Ps. 22, 4) und in jeder einzelnen Seele sich widerspiegeln will, die ihm stille hält, da nicht im Sturme die heilige Ruhe ihr Angesicht erscheinen läßt. Aber wiederum ist es Heiligkeit, die Völker und Menschen wie Fische im Meere gehen läßt, wie Gewürm, das keinen Herrn hat (Hab. 1, 14). Heiligkeit ist das Leben, welches um Leben wirbt, das ihm sich frei ergab, aber auch das Leben fordert, das ihm sich entzieht. Und so gewiß Gottes Egoismus das Leben der Welt ist, so gewiß ist die Selbstbehauptung Gottes Zorn und Liebe zumal, weil nur| im Affekt der Zugetanheit das Weh der Enttäuschung und in dem sorgenden Leben die Reaktion des verschmähten bedingt ist.
.
 Als der Prophet in trüber Zeit den Herrn sieht, der um sein Volk in der Rätselhaftigkeit einer durch nichts in und an Ihm veranlaßten Wahl wirbt, gewahrt er ihn in seinem heiligen Tempel, umringt von den Feuergeistern, denen die Liebe zu ihrem Gott das Herz brennend und die Zunge feurig gemacht hat. Dreimal heben sie den Lobgesang an, dessen Widerhall Himmel, Erde und Meer in brausendem Chor geben. Und wie sie auch nach Worten suchen, die ihrer innerlichen Gottesscheu Ausdruck sein möchten, finden sie nur das eine Wort in der Dreiheit der Selbstbejahung und der an ihr gewachsenen Erkenntnis: Heilig ist der Herr, dessen lichtes Gewand Sterne umsäumen und dessen reines Leben die Chöre aller Gotteskinder umjauchzen. Vor der alles Kreatürliche überstrahlenden Reinheit der Ursprünglichkeit, die den Gegensatz nicht nur im Unreinen, sondern in der abgeleiteten Reinheit hat, bedecken die Boten Gottes Antlitz und Füße, Wort und Weg, Gebet und Leben. Es ist die Ratlosigkeit dem Unaussprechlichen und Unauskündbaren gegenüber, die eine Ewigkeit zum Danke bedürfende Endlichkeit, die sie schweigen heißt. Aber der Prophet, der das Leben vor dem Ideal des Lebens verwirkt sieht, je weiter entfernt es von ihm ist, soll entsühnt und entsündet, gestärkt und gerüstet werden. Der nicht einmal vor dem Herrn zu stehen wußte und wagte, soll fortan sein Bote sein, und dessen Augen von der heiligen Majestät geblendet waren, der soll fürderhin in Gottes Herz Einblick tun, wie es über dem Volke, dem ungetreuen, über dem leidenden Gerechten, dem Getreuen, bricht. Darum kann der Prophet Habakuk beten: Du Herr, mein Gott, mein Heiliger, der du von Ewigkeit bist, laß uns nicht sterben! Denn sobald die Seele in der inneren Überzeugtheit von verschuldetem Verderben zu dem sich wendet, der das wider ihn sein Wollende vernichten muß, wenn er nicht seine eigene Persönlichkeit gefährden und der Karikatur des Gottesgedankens dessen Recht preisgeben will, sobald ruft sie die göttliche Selbstbehauptung zur Behauptung ihres Rechtes an dem Geschaffenen auf, die Liebe, die dem Zorn nicht widerspricht, sondern aus ihm redet, der gegen die Sünde sich wendet, damit die Sünder bleiben. Heiligkeit ist sohin nicht nur Reaktion gegen das Böse, sondern auch Anspruch auf dessen Beute, sofern und soweit sie sich der Tyrannei bewußt ihr entziehen will. Jesajas kennt seine Not, und deren Straffolge ist ihm nicht verborgen.| Aber weil er nicht von Gott zu sich, sondern von sich zu Gott flüchtet, darum ruft er in ihm das Erbarmen wach, das aus dem Zorn sich ablöst, um ihn zu besiegen, und zu ihm zurückkehrt, um nicht schwach zu werden. Es ist im Herzen Gottes das „Erbarmen, das sich wider das Gericht rühmt“: ἔλεος τῆς κρίσεως κατακαυχώμενον (Jak. 2, 13). Biegen wir hier von dem großen furchtbaren Ernste des Gotteszornes ab? So gewiß das Neue Testament, die urkundliche Bezeugung von der Gnadenwirklichkeit in Christo Jesu (Joh. 1, 17), von einem Gott weiß, der ein „verzehrendes Feuer“ (Hebr. 12, 29) ist, so gewiß kennt das Alte Testament in vorahnender Gewißheit die Liebe, die auf einen Schuld und Strafe lädt, damit wir dieser entgehen und jener frei werden möchten.

 Der weitere Ausdruck, der neunundzwanzigmal bei Jesaia, im ersten Teil zwölfmal, im zweiten siebenzehnmal vorkommt, sonst nur fünfmal im ganzen Alten Testament, ist der vom Kadosch, vom „Heiligen“ Israel. Und zwar gedenken wir dabei eines feinen Wortes des Rabbiners Luzzatto: „Der Prophet wie in Voraussicht, daß man ihm den zweiten Teil seines Buches absprechen würde, hat den Gottesnamen: Der Heilige in Israel wie ein Petschaft beiden Teilen aufgedrückt.“

 In den verschiedenartigsten Wechselgängen und Bedeutungen, die alle von dem Grundbegriff der sittlichen Allmacht und schlechthinigen Selbstbestimmung zu sich selbst ausgehen, wird dieser Ehrenname gebraucht, nicht als ob, wie etliche wähnen, der Völkergott erst durch seine ausschließliche Bezogenheit auf Israel heilig bzw. durch dessen Auswahl der Auserwählte würde. Vielmehr ist es Gott in seiner Grundkraft, die sich aber dem Volke Israel so darbietet, daß alle, denen er weiterhin sich lebensvoll kundtut, eben dadurch dem geistlichen Israel eingegliedert werden, in dessen Mitte die Offenbarungsfülle immanent ist (Jes. 10, 17). Gott ist, während das Wesen aller Kreaturen und der gesamte Kosmos die trübe Mischung von Licht und Finsternis ist, absolutes Licht, so machtvoll, daß eine einzige Abschottung, die über ihn hinzöge, sein Wesen aufheben müßte. Weil er sich und was er in sich behauptet, das ist wandelloses, wesen- und wahrhaftes Licht, klar in sich und als Liebe sich erweisend. Denn wenn das Licht nicht communicativum sui, „Mitteilung seiner selbst“ wäre, würde es ersterben. Und als Licht hat er sich Israel erwählt, es zu durchwalten und zu durchklären, mitten in der die Völker bedeckenden Finsternis; wie einst zu Gosen (2 Mos. 10, 23) soll es unter ihm| licht sein und durch seinen Dienst Licht werden. Wenn es aber von diesem durch Gnade verpflichtenden Vorzug abirrt, so wird Gott die Finsternis hereinbrechen und die Heidenwelt gleich einem Katarakt über das Heilige Land hereinströmen lassen und nur einen kleinen Rest durchretten, groß genug, um seines Lichtes Träger, und demütig genug, um es aus Gnaden zu sein (12, 5. 6). In Erlösung eines Volkes will er allen Völkern das Heil verkünden und aus der sinaitischen Thora die zionistische aufrichten, aus dem Gesetz die Gnade werden lassen, die soviel größer ist, als sie universalistisch alle umfaßt.

 Zwischen den beiden Polen, dem Zorneseifer, der zur Furcht vernichtet, und dem Gnadeneifer, der zur Beschämung befreit, zwischen den verfluchenden Gedanken des Sinai und den ewig rettenden von Zion geht der Name durch die Prophetie des Evangelisten unter den Propheten, bis die Höhe in dem Worte Jes. 57, 15 erreicht ist. Das ist Gottes Heiligkeit, daß sie zu dem Verlassenen sich niederläßt und des Verstoßenen sich erbarmt. In minimis Deus maximus; „in dem Kleinsten ist Gott am größten“. Wie im Wortspiel der Heilige in den Heilenden übergeht, hinwiederum das Heil zur Heiligkeit wird, so ist es Gottes Selbstbewahrung, die denen, welche ihn wollen und nach ihm sich sehnen, zum Frieden erscheint. Es sind Rätsel der Geschichtsentwickelung, die der auf der Warte, da man Zeichen und Zeiten prüft, stehende Prophet erschaut. Fremde Völker treten in Gottes Erbe, von ihm gerufen, weil sein Hans voll werden soll, aber in ihrer Mitte hebt das Sehnen der Heimat an, welches über Volks- und Landesgrenzen alle Mühseligen zu heiliger Verständigung zusammenführt. Es sind Zorneswetter, die über Gräbern hinziehen, aber aus ihnen leuchtet der Gnadenbogen eines ewigen Treu- und Kindesbundes hervor. Wo man ihn verwirft, bringt man sich selbst ins Unglück; wer aber sich verwirft, der wird errettet.

 Unbekümmert vom Toben der Völker und den drohenden Katastrophen, die Weltwenden heraufführen, seines Weges, der hoch über Menschenwege geht, allzeit gewiß schreitet er durch tiefe Wasser, und ob man seinen Fuß nicht kennt, so ist er doch strenge und machtvoll gegen alle Widersacher, während er das arme Gras am Wege linde verschont. Im Neuen Testament ist Jesus, der Herr, in dem die göttliche Heiligkeit mit aufgedecktem Angesicht erschienen ist, der Heilige Gottes, aus ihm geboren und von ihm erkoren, allzeit angelaufen und doch gelassen, allerorts| versucht und doch nie auf seiten der Sünde, mit den Möglichkeiten der Sünde vertraut und eben darum ihnen siegreich widerstehend, zur Sünde und zum Fluche gemacht, weil er beides nicht war noch es kannte, in sich ganz geeint, weil mit dem Vater eins und darum ein Zeichen, dem widersprochen wird, weil Ansehen und Wirklichkeit so sehr von der Wahrheit des Fürgottseins entfernt schien. Liebe gab ihm die Geißel in die Hand, und Zorn über die Verführung ließ ihn über die Verführten weinen. Auf seinem Antlitz thronte die richterliche Majestät, vor der die Häscher und Verräter erbebten, aber auch die Leutseligkeit und Lindigkeit, die den Kindern das Herz auftat. Sündlos war er, nicht in eisiger Selbstgenugsamkeit den Sündern fern, sondern voll Mitleids mit den Schwachen. Und wo Sünder ihn suchten, da nahm er sie auf. In die Wahl gestellt, ob er Gott oder die Menschheit lassen sollte, opfert er sich beiden auf, dem Zürnenden zur eigenen Genugtuung, dem Zornbelasteten zu bleibendem Frieden. Heiligkeit ließ ihn eine kleine Zeit von Gott verlassen sein, und Heiligkeit ließ ihn viele Kinder zur Herrlichkeit führen. Eingetreten zwischen Gottes Rechtsanspruch und der Menschen Unvermögen, ihn zu erfüllen, angerufen durch die Sehnsucht nach dem geöffneten Himmel, den heiliger Zorn verschloß, hat er dieses getragen und jenen bezahlt. Was in Gottes Heiligkeit als Gedanke lebte, dem Zorn entzogen und doch aus Zorn geboren, das ist in Jesu Tat und Werk geworden. Und die Gemeinde singt im großen Gloria allsonntäglich: Du allein bist heilig, du bist allein der Herr.
.
 In dem Gebete, dem der alte Rostocker Lutheraner Chyträus den Namen des hohenpriesterlichen gegeben hat (Joh. 17, 11 u. 17, 25), nennt Jesus seinen Vater „heilig“ und „gerecht“. Er schickt sich an, die überwundene Welt zu verlassen und die gewonnenen Jünger mitten in ihr zur Arbeit auszusenden. An einem offenen Grabe, aus dem die todesmächtige Größe des Lebensfürsten emporgestiegen ist, soll der Weg der Wanderer immer wieder vorübergehen, der sie den Lebendigen nimmer bei den Toten suchen lassen wird. Sie sollen wissen, daß die göttliche Heiligkeit, die Absolutheit des Lebens das letzte Wort allezeit behalten wird, auch wenn alles ihm widersprechen und widerstehen wollte. Und wenn sie trauern, daß ihr Meister der Sichtbarkeit entnommen ist, mögen sie daran denken, daß wir sichtbar, zeitlich, er aber, der Überzeitliche, zum Beweis seines Sieges in die Unsichtbarkeit heimkehren mußte, heimkehrte, nicht um sich zu fernen, sondern um| den Jüngern immer näherzukommen, die in der Nähe des sichtbaren Heilandes zagten und zweifelten, in seiner räumlichen Geschiedenheit mit Freuden ihr Werk ausrichteten, die sich fürchteten, wenn er ihnen nahe war, um getrost zu werden, als er ihnen ferne trat. Denn die Unsichtbarkeit weckt den Willen zum Glauben und erhebt den Glauben zum Willen, der Jesu nach die Welt überwindet, wie er sie überwunden hat. So, der Rechenschaft über seine Erdenarbeit und der Gewißheit über das Werk der Jünger für die Welt ein letztes Wort und Gebet gönnend, bittet Jesus, der, nicht mehr in der Welt, die Seinen in der Welt weiß, den Vater aller Lebensausgeschlossenheit, als der die ihm vermeinten Anfänge kraft seiner Allmacht zu Ziel und Ende führen muß, daß er die Jünger in dem Lebensverhältnisse zu seinem ihnen geoffenbarten Wesen erhalte und also in dem einigenden, Unterschiede zu höherer Harmonie erhebenden Lebensgedanken zusammenbringe. Wahrlich hier, in dem Glanze neutestamentlicher Erfüllung der gesamten Gottessatzung und des durch Gott gesetzten Wesens, versteht der Christ, was heilig ist, nämlich Obmacht über alle dem Endgedanken Gottes sich entgegensetzenden Hemmungen und Hindernisse und Verwirklichung der Wahrheit auf Grund der ewigen Wahrhaftigkeit. Vor dem Auge des Herrn dehnt sich, so gar anders wie in den Tagen der Versuchung, die aus Liebe geschaffene, durch Liebe verneute, zur Liebe bestimmte Gotteswelt mit den gottgestifteten Realitäten hin, in der alles Große, Reiche, Reine und Echte zur Vollgestalt sich erheben muß. An diese Wunderwelt wagt sich die Verneinung und der Zerstörungswille vergebens heran. Die Heiligkeit vollführt, was sie verlangt, daß alles neu werde, wie es in ihr neu ist, und neu bleibe, wie es durch sie neu ward. In die Siegeslieder dringt der Ruf der Ohnmacht nicht störend und verstimmend, sondern als Unterton der Überwundenen herein. Nun sind alle Reiche der Welt Gottes und seines Christus geworden (Offb. 11, 15). Das „Nun“, welches Raum und Zeit abschließt und ausschließt, ist der Markstein der Heiligkeit, die das „Es ist vollbracht“ vom Kreuze zu dem „Es ist geschehen“ vom Thron (Offb. 21, 6), die Wahrheit zur Wirklichkeit erhoben und verklärt hat. Wenn dann Jesus weiter an die „Gerechtigkeit“ des Vaters appelliert (Joh. 17, 25), so ist eben in seinen Augen die Heiligkeit des Vaters in ihrer praktischen Folgerung und tätigen Auswirkung die zu seinem Worte stehende Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit, auf die hin der Herr die Bitte um Verklärung der Jünger wagen darf.
.
|  Und wie in den Abschiedsreden immer wieder das große Wort von der Verklärung der Trauer durchklingt, auf die er nicht um ihrer selbst, sondern um Gottes willen wartet, so will der Herr die heilige Wahrheit des Wortes und die Geradheit des Sinnes durch die Auswirkung des Vorhabens zu Ehren kommen sehen. Der treue und wahrhaftige Zeuge, das Amen Gottes, verlangt, weil mit Gott eins, dessen zielwillige und zielsetzliche Tat.

 Wer sich dem heiligen Gott völlig ergibt und seine Lebensabsichten an sich geschehen läßt, der ist heilig, thetisch zunächst, und heiligt sich, prinzipiell und praktisch, um Gott in sich zur Erscheinung zu bringen; er reinigt sich, gleichwie er selbst rein ist (1 Joh. 3, 3). So ist der im Neuen Testament nicht seltener gewordene Ausdruck der bedeutsame Hinweis aus Recht und Pflicht der Christen, die keine andere Aufgabe haben, als zu werden, was sie sind, bis sie geworden sein werden, was sie sein dürfen. Man mag wohl zugeben, daß die Behauptung, heilig sei zunächst ein physischer Begriff, der weiterhin sich vertieft und ethisiert habe, nicht zum Ziele trifft, und mehr ein evolutionistisches Theorem religions-geschichtlicher Willkür als Wiedergabe der Tatsache ist.

 Gottes uranfängliches Selbstgenügen in der alles vermögenden und aus sich beziehenden Machtfülle gibt sich der Menschheit in dem Ernste kund, der ihr Wohl sucht und es liebend vollendet, aber die um seiner selbst willen von sich weist, die außer ihm ihr Heil suchen und gefunden zu haben meinen.

 Was aber das erste Wort, das A der Schöpfung ist, muß auch ihr letztes Wort sein, weil zwischen Anfang und Ende, wie zwischen Alpha und Omega das Alphabet und alle aus ihm sich bildenden Wortformen ruhen, so alle Geschehnisse und Geschichte sich vollziehen. Licht war das erste Wort, Licht soll der göttlichen Worte und Werke verklärendes Ende sein, in dessen Glanze wir das Licht sehen.


IV.
 Omnia vanitati sunt obiecta: in his, quae propter homines facta sunt, vanitas est mutabilitatis, in his, quae ab hominibus facta sunt, vanitas curiositatis; in his, quae in hominibus facta sunt, vanitas mortalitatis – „Alles ist der Eitelkeit Unterworfen: in dem, was wegen den Menschen gemacht wird, ist die Eitelkeit des Wandelbaren; in dem, was von den Menschen gemacht wird, die Eitelkeit der Neuerungssucht; in dem, was in dem Menschen gemacht wird, die Eitelkeit der Sterblichkeit“, sagt Hugo von| St. Viktor († 1140). Von diesem Worte des mittelalterlichen Mystikers, des „zweiten Augustinus“ aus seiner Schrift De vanitate mundi soll endlich die praktische Betrachtung ausgehen, welche das gewaltige Werden der göttlichen Heiligkeit uns nahe legt. In einer Zeit, da alles zur Stille gedrängt wird, weil der Herr in seinem heiligen Tempel redet, unwidersprochen, übermächtig und unwiderlegbar, da die Völker wie der Staub in der Wage durcheinandergewirbelt und die Völkermeere wie der am Eimer schwebende Tropfen bewegt und zitternd gemacht werden, mögen andere unter die eisernen Räder eines erbarmungslosen Geschickes in stumpfer Resignation sich werfen, die Bitterkeit des Todes verachten und vertreiben wie jener Amalekiterfürst (1 Sam. 15, 32), wir wollen, um unser Wächter- und Hirtenamt recht auszurichten, auf die Zeichen achten, die der Herr gibt, und in solcher Achtsamkeit uns vor dem Zorn Gottes fürchten, in welcher Furcht der rechte ernste Anfang zur Heiligung liegt. Denn es ist die Furcht der Gotteskinder, die ohne Gott sich ganz verlassen wissen und unter allen schweren Stunden die für die schwerste halten, wo er für lange sich ihnen entzieht, nicht die verhärtende Furcht der Knechte, die zwischen das Kommen des Herrn und sich die Zeit stellen, als ob Geschaffenes vor der Gewalt des Schöpfers schützen könnte.
.
 Die Furcht Gottes ist alt- wie neutestamentlich das tiefinnerliche Wissen um die Bezogenheit auf ein Ich, ohne welches das eigene Last und Strafe, durch das allein mein Ich mir zur Freude wird. Die Furcht Gottes ist, wie bei ihm die Heiligkeit, so bei den Menschen die alles beherrschende und bestimmende Grundkraft, aus der alle reine und echte Willensregung entsteht. Gleichmäßig beherrscht sie die Gedankenwelt, in der alles, was Schluß und Überlegung, Kombination und Mutmaßung empfinden und ergründen, durch den Drang der Wahrheit vor dem einen zurücktritt, was unerfindlich ist. Alle Gedanken kehren wieder zurück, weil sie an Rätseln sich zerquälen und das, was allein sie heilen soll, das größte Rätsel ist. Gott wird der einzige Gedanke der Seele, weil sie ein Gedanke Gottes ist: in dieser Gewißheit berührt sich Denkender und Gedachtes beim Denken. Und ohne daß die Rechenschaft, die das Gefühl, wenn es nicht sinnlos quälen oder nutzlos täuschen soll, dem Verstand schuldet, ganz geleistet werden kann, spürt die Intuition des gefühlsmäßigen Lebens heilige Scheu vor dem Unnahbaren, die zugleich die Empfindung stiller Geborgenheit gewährt. Das innere Erlebnis der hilflosen und wehrlosen Abhängigkeit von Gott ist zugleich die innerliche| Getrostheit der Seele, die im Willen die unsichtbare Hand der Treue mit der Gewißheit faßt, daß sie aufgeben sich aufgeben hieße und er selbst sich nicht leugnen könne (2 Tim. 2, 13).

 1. Alles, was um der Menschen willen geschaffen wird, ist der Veränderlichkeit unterworfen. Zeiten und Länder, Verhältnisse und Verbindungen ändern sich, denn durch sie zieht die Unruhe der Menschen, und an ihnen arbeitet die Rastlosigkeit des Bösen. Werte und Worte, für Zeiten geprägt und gesprochen, verlieren Bedeutung und Klang. Wie hoch dachte man von Bündnissen und Verbrüderungen, von Schutzversprechen und Treuversicherungen. Der erste Anlaß zur Bewährung sah sie fallen. Die Zeiten haben sich geändert, weil die ethischen Voraussetzungen, die für die Vergangenheit galten, für die Gegenwart nimmer bindend, geschweige denn für die Zukunft verpflichtend sind. Der lange genährte Irrtum, als ob die germanische Rasse in ihr selbst Hüterin des reformatorischen Gutes sei, erwies sich bald als töricht. Gott hat nicht den Gegenden und Stämmen die Bewahrung des Gemeingutes anvertrauen wollen, das, von einem Orte ausgegangen, durch diesen nimmer geschützt wird. Wie bald werden die germanischen Völker durch ihre Schuld aus dem Erbe verstoßen sein und dem Raum geben, was einst in ihren Grenzen bestritten ward! Es ist ein Unrecht, wenn man von „zeitgemäßen“ Maßregeln Heil erwartet, von Beschlüssen, die aus der Zeit für sie gefaßt sind, und bleibt verhängnisvoll, wenn man von Konzessionen an das Zeitbewußtsein Hilfe erwartet und das Ewige und Wahre durch Pakt mit der Veränderlichkeit der Tagesmeinung zu retten sucht. Zeitbewußtsein ist nicht der Niederschlag von der gemeinsamen Erfahrung des Ewigen, sondern der jeweilige Versuch, Selbsterfassung an seine Stelle zu setzen. Was heute groß ist, das kennt der nächste Morgen nicht mehr, der mit Leidenschaft das gestern als klein Gegoltene emporhebt.

 „Du aber bleibst, wie du bist!“ Der hehre Gottesgedanke, der Fleisch ward, um der Menschen und um ihrer Seligkeit willen Gestalt annahm, bleibt, ob sie ihn umdeuten und mißdeuten, erklären und erläutern, mit Menschenmaß ihn messen, um ihn nach Menschenart zu verurteilen, geht durch die Jahrhunderte, wie er einst war. Und etliche, denen diese gelassene Bestimmtheit, die nicht starre Verschlossenheit ist, das Herz gewonnen hat, wollen bei dem Heiligen Gottes verharren, nicht weil energische Gewalt aus heißer Fieberglut, die Unklarheit und Angst erzeugten, an ihn sie weist, noch weil mechanischer Zwang| des Traditionalismus an ihn sie gewöhnt hat, also daß sie Trägheit Treue und Mangel an Mut zu Neuem Beständigkeit nennen, sondern weil sie so viel an und von dem Heiligen zu lernen haben, daß sie für ihn Zeit und Ewigkeit brauchen. An ihm sehen sie Zeiten niedergehen und aufstehen, Völker vorbeiziehen und herankommen, Reiche und Länder verworfen und erwählt werden. An ihm erstarben hochgeschätzte Werte wie nutzlose Schemen und Schatten, und Schatten und Ahnungen standen an ihm zur Klarheit auf. Unsere Aufgabe bleibt es, dem Einen, was um der Menschen willen geschah, ohne Menschenlos und -leid schließlich und endgültig zu erfahren, die ganze Treue zu halten, μή ποτε παραρυῶμεν „daß wir nicht daran vorbeikommen“ (Hebr. 2, 1). Wer der Scheinweisheit traut, weil sie neu ist und darum weise, obgleich sie Schein ist, sehe wohl zu, daß nicht die enteilende Welle das Lebensschiff, dessen Insasse träumt und für die Welt arbeitet und sinnt, die ihm alles ist, in das Meer an dem ewig rettenden, einzig bergenden Felsen des Heils vorbeitrage.

 Unsere Theologie, unsere Amtsführung ist nicht aus Angst vor dem Zeitgeist, dessen Wehen uns zu stark wäre, rückständig, sondern aus der Angst um unsere und der Unseren Seelen. Sie macht uns nicht zu Sklaven des Buchstabens, aber läßt uns auch nicht zu Herren des Gottesgeistes werden, sondern Diener Christi bleiben, Diener, Haushalter, Verwalter in allen Stücken, aber eben Diener Christi! Ist das Treue, wenn man den schlimmen, wandelbaren, irrenden Menschengeist zu Gericht sitzen heißt, ob Sein Werk und Wort noch gelten oder wie weit sie gelten dürfen? Ist das Seelsorge, wenn wir den teuer erkauften Seelen das Höchste vorenthalten, das Größte kürzen?

 Was aber von Menschen gemacht ist, fährt der alte Lehrer weiter, ist der Eitelkeit, der Sorglichkeit unterworfen, der Vielgeschäftigkeit, die viele Fragen bewegt, die eine vergißt. Curiositas, das ist jetzt Grundübel des evangelischen Kirchenwesens. Tausend Rezepte werden gegeben, viele zerteilende Geschäfte unternommen, Not und Sorge drängen auf Ungewöhnliches: die Wasser, die stille gehen, werden verachtet. Der Pfarrer des 20. Jahrhunderts soll überall zu Hause sein, aber im Worte Gottes wird er fremd, soll mit allem vertraut sein, aber die alten Tröstungen ergötzen seine Seele nimmer. „Sie bringen stets was Neues her.“ Wer die Kriegsliteratur durchmustert, über die bereits wieder eine Literatur erwachsen ist, wird es bezeugen, wie man betont, daß nur der| moderne Mensch gebildet erscheint; daß er nicht den Vorwurf der Rückständigkeit verschulde, stets mit den neuesten Entdeckungen und Erfindungen einer wild wachsenden Theologie vertraut sei, ist erforderlich. Nach hundert Jahren wird man aus den Erzeugnissen des jetzigen Kirchtums viel Geist und Geistesblüten, aber wenig gesundes Bibelleben ersehen. Und doch werden die andringenden Fluten des Abfalls nicht von den neuen Schutzwehren abgehalten, sondern allein von dem Worte Gottes, das ewig bleibt.

 In diese hastende, tastende, neue Wege und Weisen suchende und darüber ermattete Kirche ruft ihr Herr: Das ist der Weg, denselbigen wandelt sonst weder zur Rechten noch zur Linken. Und die in der Kirche Wächter und Hüter, Kirchenbeamte im Vollsinn des Wortes, Diener und Hirten sind, hören aus ihren Amtsgängen, in ihren Amtsstuben, bei ihren Maßnahmen den Heiligen rufen: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele.

 Man lasse das Wort eines Mannes, der an etlichen hundert Sterbebetten gestanden ist, etwas gelten. Wo der Pfarrer Gelegenheit hat, und wenn er sie sucht, erbietet sie sich ihm bald, an Sterbebetten zu treten, da nehme er dieser schola interna. mit heiligem Eifer wahr. Hier zerfallen die Systeme der Meister und die Kirchenbaupläne und die Gesinnungsgemeinschaften zerstieben, auch kennt man hier nimmer Religionsgeschichte und Textkritik, sondern nur die eine Bitte: erhalte mein Herz jetzt bei dem Einigen, daß ich deinen Namen fürchte. Wie ärmlich und jämmerlich, so daß man ihrer sich schämt, kommen und fallen alle großen Gedanken vor dem Einen: Ins Licht – und vor dein Angesicht. Die Frömmigkeit wird ja nicht gelernt, sondern geübt. Aber an Sterbebetten ist es doch wie ein Klugwerden, das verachtet und verläßt, was groß dünkt, um zu bewahren, was groß ist.

 Wo aber die Eitelkeit der Sterblichkeit ungeschminkt und ungeschmückt vor die Seele tritt, der Sterblichkeit in allem Menschenwerk, wo über Gräber von Kirchenmännern und Ruinen von Kirchengedanken der Wind wie spielend weht, Namen und Titel, Weisheit und Kirchenpolitik entführt, daß ihrer so wenig geworden sind, da steigt aus der Tiefe des gemeinsamen Schweigens langsam und deutlich, schreckhaft zutage, weil ein Zeugnis von der Gewalt der Sünde und des göttlichen Widerspruchs, dann immer trostreicher, in seiner armen Gestalt reich machend das Kreuz empor, dieses signum ac testimonium sanctitatis „Zeichen und Zeugnis der Heiligkeit“.

|  So hat Gott die Welt geliebt, daß er sein eigenes Ich an sich und um sie gab; so sehr hat Gott die Sünde gehaßt, daß er den verwerfen konnte, der sie büßte.

 Die Knechte Jesu Christi scharen sich, wo immer sie sich treffen, nicht zu Klagen zusammen, deren Lautheit die Anklagen und Schrecken des Gewissens übertäuben soll, sondern zum Gelöbnis, zu bauen, was ihnen vertraut ist, und im Bau zu erhalten, was ihnen gegeben ward. Aber sie verschweigen auch nicht, daß sie sich fürchten, sie möchten aus dem Einen Grunde Holz, Heu und Stoppeln weiter führen und das „Seelen, Seelen, Seelen gilt es zu retten“, das der alte Christian Scriver uns ins Gewissen gelegt hat, treibt uns ins Gebet, das, je einsamer es um uns wird, desto festere Brücken zum Hort und Herrn unseres Lebens schlagen soll. „Nahe dich zu meiner Seele, wenn ich dich anrufe, und sprich: Fürchte dich nicht.“ So beten wir zu Gottes Heiligkeit, voll Furcht, sie zu betrüben, in der Gewißheit, daß sie uns in sich schütze und erwecke: denn sie ist das begründende und gestaltende Prinzip, die Heilsoffenbarung in allen ihren Momenten.

 Mit einer persönlichen Erinnerung darf ich schließen. Heute vor 13 Jahren hatte unser seliger Freund Brauer, der Eisenacher Stiftsprediger, mich auch hierher zu kommen aufgefordert. Es war Abend, und wir gingen durch die schöne Klosterkirche, auf die acht Jahrhunderte niedersehen, und sprachen vom Wandel und Wechsel der Dinge: da drang an unsere Ohren der volle, starke Gesang: „Brich herein, süßer Schein, sel’ge Ewigkeit, leucht’ in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben, unsern Seelen Freud.“ Der das Lied gedichtet hat und der es sang, sind von Gott schwer heimgesucht und doch getröstet worden. Auch wir flüchten in die ewigen Arme, daß sie uns halten und heben, tragen und erretten. Heilig und hehr ist dein Name: geheiligt werde er an uns, von uns, in uns!




Druck von Ackermann & Glaser in Leipzig.