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Sprachwurzel des virere und virtus, des Frisch- und Starkseins, noch das deutsche heilig, hillig, hell und heil kommt dem wundersamen Begriffe ganz nahe, von dem unsere Alten sagten, er beschließe eine coincidentia oppositorum „Zusammentreffen von Gegensätzen“ in sich, in seinem Wesen wie in seiner Wirkung; Zorn und Gnade verbinde, Liebe und Furcht erwecke es. Sanctum est, quidquid de deo cognoscitur et quidquid insuper de illo, si se uberius revelare velit, cognosci possit, adeo, ut hoc vocabulum vere sit inexhaustae significationis sagt Bengel mit Recht: „Heilig ist alles, was von Gott erkannt wird und was darüber hinaus, wenn er sich reichlicher offenbaren wollte, erkannt werden könnte, so sehr, daß dies Wort in Wahrheit von unerschöpflicher Bedeutung ist.“

 Gerne nehmen wir darum einen Querschnitt durch unsere Dogmatiker vor. Während Luther zu Jes. 57, 15 so feinsinnig sagt: „Er kann nicht über sich sehen, denn er hat keinen höheren, und nicht neben sich sehen, denn er hat keinen, der seinesgleichen ist. Darum muß er unter sich sehen, und je tiefer du stehest, desto mehr fällt sein Auge auf dich“, weist Calvin zu Joh. 17, 11 darauf hin, daß es Gottes Heiligkeit sei, den Jüngern ihres Jesus Gnadenwerk also zu erhalten, daß sie durch seinen Weggang nicht verarmten. Beide Reformatoren weisen also auf den Gnadencharakter der Heiligkeit hin, die Beck und Schlatter, letzterer auf Collenbusch zurückgehend, am meisten als die allem Geschöpflichen sich erzeigende vollkommene Liebe betonen, eine Liebe, die Ausfluß des in sich voll genugsamen Lebens ist. Wenn darum Rothe in der Heiligkeit nur die Reaktion des Absoluten gegen das Endliche und Sündliche findet, mit Anlehnung an Schleiermacher, der von Gottes Ursächlichkeit spricht, die in jedes Menschen Gewissen Übereinstimmung mit dem Sittengesetz als Forderung legt, muß er sich von Schlatter den Einwand machen lassen, ob er die erste Bitte nicht kenne.

 Ritschl hat, meine ich, darin recht, daß er die Heiligkeit nicht als Eigenschaft neben andere setzt, sondern als konstitutiv betrachtet, als Gottes Selbstbehauptung, dem Guten wie dem Bösen gegenüber, was Frank in etwas anerkennt, wenn er zwar die alte Katechismusdefiniton ablehnt, daß Gott, weil er das Böse hasse und das Gute liebe, heilig sei, weil sonst das Gute wie ein selbständiger Begriff neben Gott erstünde und das Böse wiederum als sein selbständiger Gegensatz, im übrigen aber die Absolutheit

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die Heiligkeit Gottes. Dörffling & Franke, Leipzig 1916, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_Heiligkeit_Gottes.pdf/11&oldid=- (Version vom 9.9.2016)