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des Traditionalismus an ihn sie gewöhnt hat, also daß sie Trägheit Treue und Mangel an Mut zu Neuem Beständigkeit nennen, sondern weil sie so viel an und von dem Heiligen zu lernen haben, daß sie für ihn Zeit und Ewigkeit brauchen. An ihm sehen sie Zeiten niedergehen und aufstehen, Völker vorbeiziehen und herankommen, Reiche und Länder verworfen und erwählt werden. An ihm erstarben hochgeschätzte Werte wie nutzlose Schemen und Schatten, und Schatten und Ahnungen standen an ihm zur Klarheit auf. Unsere Aufgabe bleibt es, dem Einen, was um der Menschen willen geschah, ohne Menschenlos und -leid schließlich und endgültig zu erfahren, die ganze Treue zu halten, μή ποτε παραρυῶμεν „daß wir nicht daran vorbeikommen“ (Hebr. 2, 1). Wer der Scheinweisheit traut, weil sie neu ist und darum weise, obgleich sie Schein ist, sehe wohl zu, daß nicht die enteilende Welle das Lebensschiff, dessen Insasse träumt und für die Welt arbeitet und sinnt, die ihm alles ist, in das Meer an dem ewig rettenden, einzig bergenden Felsen des Heils vorbeitrage.

 Unsere Theologie, unsere Amtsführung ist nicht aus Angst vor dem Zeitgeist, dessen Wehen uns zu stark wäre, rückständig, sondern aus der Angst um unsere und der Unseren Seelen. Sie macht uns nicht zu Sklaven des Buchstabens, aber läßt uns auch nicht zu Herren des Gottesgeistes werden, sondern Diener Christi bleiben, Diener, Haushalter, Verwalter in allen Stücken, aber eben Diener Christi! Ist das Treue, wenn man den schlimmen, wandelbaren, irrenden Menschengeist zu Gericht sitzen heißt, ob Sein Werk und Wort noch gelten oder wie weit sie gelten dürfen? Ist das Seelsorge, wenn wir den teuer erkauften Seelen das Höchste vorenthalten, das Größte kürzen?

 Was aber von Menschen gemacht ist, fährt der alte Lehrer weiter, ist der Eitelkeit, der Sorglichkeit unterworfen, der Vielgeschäftigkeit, die viele Fragen bewegt, die eine vergißt. Curiositas, das ist jetzt Grundübel des evangelischen Kirchenwesens. Tausend Rezepte werden gegeben, viele zerteilende Geschäfte unternommen, Not und Sorge drängen auf Ungewöhnliches: die Wasser, die stille gehen, werden verachtet. Der Pfarrer des 20. Jahrhunderts soll überall zu Hause sein, aber im Worte Gottes wird er fremd, soll mit allem vertraut sein, aber die alten Tröstungen ergötzen seine Seele nimmer. „Sie bringen stets was Neues her.“ Wer die Kriegsliteratur durchmustert, über die bereits wieder eine Literatur erwachsen ist, wird es bezeugen, wie man betont, daß nur der

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Hermann von Bezzel: Die Heiligkeit Gottes. Dörffling & Franke, Leipzig 1916, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_Heiligkeit_Gottes.pdf/22&oldid=- (Version vom 9.9.2016)