Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Dreißigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Einunddreißigstes Kapitel
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Dreißigstes Kapitel.




In D** wurde ich zufällig mit Madame D. bekannt, von welcher mir Madame V. immer so viel erzählte und die ich außerdem sowohl in England wie in Polen als eine ausgezeichnete Gesanglehrerin, Schauspielerin und humoristische Gesellschafterin hatte rühmen hören. Wie ich diesen Namen höre, freue ich mich unendlich und nenne ihr jene Personen, die mich von ihr unterhalten hatten, und unter diesen auch Madame W., welchen Namen Madame V. wider Willen hatte entschlüpfen lassen. – „W., W., sagte Madame D. nachdenkend: ach, das [304] ist ja die Schauspielerin M., die mit dem Polen-Flüchtling W. durchging, der weder Graf noch ihr Mann war, denn ihr Gatte lebte noch. – Hierauf erzählte sie mir, daß Madame M. lange in D** als Hofschauspielerin engagirt gewesen und viel Glück gemacht hatte, daß sie reinstes mosaisch-polnisches Vollblut und mit einem alttestamentarischen Sohne Poloniä verheirathet gewesen war. Madame D. war im höchsten Grade erstaunt, zu hören, daß Madame M. die Rosenbahn des Gouvernanten-Faches eingeschlagen hatte und meinte, es sei wahrscheinlich geschehen, um den Himmel wegen ihrer Jugendsünden zu versöhnen. Und in der That, eine strengere Büßung und Selbstkasteiung konnte sie nicht erwählt haben.

Nachdem ich meine Geschäfte abgemacht hatte, wählte ich unter den angebotenen Stellen eine in Warschau, weil ich mich in vieler Beziehung in Polen recht wohl befunden und der dortige National-Charakter im Ganzen auf mein Gemüth einen günstigen Eindruck zurück gelassen hatte. Herr S. kam selbst nach D**, hörte mich Piano spielen, prüfte mich und meine Papiere, forschte bei der Gräfin P. genau nach mir, engagirte mich als Erzieherin seiner beiden Kinder von zehn und sieben Jahren, mit Namen Franziska und Adam. Nach polnischer Sitte händigte er mir sogleich das Reisegeld ein. An einem klaren, milden December-Abend nach Weihnachten reiste ich abermals von D** auf der Eisenbahn ab, nachdem ich die Schwierigkeiten, die mir die russische Gesandtschaft gemacht, glücklich überwunden, und zwar durch Hülfe des Fürsten-Statthalters selbst. Alle Mittel, einen Paß nach Rußland zu erhalten, waren vergeblich geblieben, bis Herr S. durch seinen Schwiegervater, den Minister W., sich eine spezielle Erlaubniß von P. für mich ausgewirkt und an die Gesandtschaft geschickt hatte. Ich ruhete jetzt eine kurze Zeit von meinen Beschwerden in den weichen Polstern des Coupes aus. Tiefes Schweigen ruhte auf den schneebedeckten Fluren, über mir breitete sich der blaue Himmel wie ein diamantengestickter Königsmantel aus. Da tauchten unzählige Erinnerungen in meiner Seele auf, alle Erlebnisse, alle Menschen, mit denen ich verkehrt, zogen wie Geisterschatten an meinem inneren Auge vorüber. In meiner Brust herrschte ein himmlischer Friede und unwillkührlich floß ein heißes Dankgebet über meine Lippen.

Die Reise war ziemlich langweilig, gegen Morgen kam der Zug in Breslau an, wo ich ein Billet bis an die polnische Grenze nahm, [305] gegen ein Uhr kamen wir nach Mislowitz, wo das Gepäck und die Pässe der vielen Reisenden untersucht wurden, was ein Paar Stunden dauerte. Um zehn Uhr Abends gelangten wir nach der alten Polenstadt, wo ich mich sogleich von Kofferträgern und Judenjungen umringt sah, die mir sämmtlich in gutem Deutsch ihre Dienste anboten. Hier ging das Examiniren der Pässe und Koffer von neuem los, wobei man meine ganzen Bücher in Beschlag nahm. Nachdem ich so mein bischen Intelligenz los war, rief ich einen intelligent aussehenden Sohn Abrahams herbei, der mich auch sogleich auf eine intelligente Weise prellte. Ich fragte ihn nämlich, ob er das Ministerium wisse? – „Ja, ganz gut,“ erwiederte er. Ich drückte ihm hierauf einen polnischen Gulden in die Hand und bat ihn, mir einen von den vor dem Bahnhöfe haltenden Schlitten zu miethen und mit dem Fuhrmann zu accordiren. Die Sache war bald abgemacht, der Junge setzte sich aber auf die Pritsche und fuhr mit. Pfeilschnell flog der Schlitten durch die breiten, schneebedeckten Straßen, deren Paläste, Kirchen und Monumente hehr und feierlich im magischen Lichte des Mondes erglänzten. Die Spitzbuben fuhren mich wahrscheinlich spazieren, um mir, der hier Wildfremden, eine doppelte und dreifache Rechnung machen zu können, denn diese dampfschnelle Fahrt dauerte eine volle Stunde! Wir hätten London ebensogut durchschneiden können. – Endlich kamen wir vor einem großen Palast an, dessen Fronte die ganze Seite eines großen viereckigen Platzes einnahm und mit einem herrlichen Säulengang umgeben war. Donnernd fuhr der Schlitten durch das hohe offene Thor hinein, mein Cicerone sprang herunter und fragte den erscheinenden Schweizer nach dem Minister. Ich machte ihm begreiflich, daß ich zu dessen Tochter, Madame S., wollte. Der Portier, hier Schweizer genannt, obgleich echter Polake, ein großer Mann in einem scharlachrothen Rocke mit goldenen Tressen und dreieckigem Hute, ging hinan und ließ uns lange warten, endlich kam er wieder und sagte, ich solle hinauf kommen und meine Koffer eben dahin schaffen lassen, was sogleich geschah. Als ich den Fuhrmann bezahlen wollte, verlangte er das Dreifache der accordirten Summe und auch der unberufene Begleiter verlangte einen abermaligen enormen Lohn. Ich sah wohl, daß ich mit ihnen nicht fertig wurde und bestellte sie daher auf den folgenden Tag wieder in’s Hotel. Der Portier führte mich eine breite, mit Teppichen belegte, schön erleuchtete Treppe hinauf in einen großen Saal, wo mich eine polnische, sehr [306] schöne Magd in ihrem National-Negligee, bloßen, antik schönen Füßen, kurzen Röckchen, Hemdärmeln und buntem Kopftuche, empfing und mich zu ihrer schon schlafenden Gebieterin führte. Madame empfing mich sehr unfreundlich, und aus ihrem Betragen ging hervor, daß ich nicht dasjenige war, was sie erwartete, jedoch stand sie auf und gab sogleich einige Lebensmittel für mich heraus. Nachdem ich ihr die Ursache meiner späten Ankunft erklärt und sie mich allseitig in Augenschein genommen hatte, ging sie wieder zu Bette. Mir ward ein prachtvolles Zimmer angewiesen, ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten und einem luxuriösen Bett, durchweht von einer wahrhaft italienischen Temperatur. Ich gab mich mit allem Behagen dem Eindrucke hin, den diese Annehmlichkeiten nach einer beschwerlichen Reise auf mich machten, ohne mich wegen des kalten Empfanges zu beunruhigen.

Am andern Morgen um acht Uhr kam die polnische Dienerin, um mich in den Frühstück-Saal zu führen. Hier fand ich eine große Gesellschaft Herren und Damen von verschiedenen Altern, denen Madame S. mich vorstellte, und mir wieder jene, nämlich ihre Schwester, deren Töchter und Sohn, ihre Tante zwei Hauslehrer, und schließlich die Erzieherin ihrer Nichten, Fräulein G. aus L**, dieselbe, welche ich in London hatte kennen lernen, als ich bei Lady Maria W. und sie bei Lord C. war. Ich hatte ihre Malicen von damals längst vergessen und freute mich nur, eine alte Bekannte und Landsmännin zu treffen; auch sie begrüßte mich außerordentlich freundschaftlich und erzählte mir tausend interessante Dinge von England und Personen, welche ich gekannt hatte. Was meine Zöglinge betrifft, so machten sie augenblicklich den Eindruck boshafter Rangen auf mich, denn nie hatte ich verschmitztere und zugleich gehässigere Physiognomieen an Kindern gesehen. Sobald das Frühstück beendet war, beeilte sich Madame S., mich mit der Virtuosität ihrer Tochter bekannt zu machen, indem sie diese ihr zuletzt gelerntes Stück, le feu follet genannt, spielen ließ; und sie empfing mit sichtbarem Stolz das Lob, welches ich ihr gerechter Weise wiederfahren ließ. Franziska war begabt und für ihr Alter ziemlich weit vorgeschritten, aber ihr prätentiöses Wesen machte auch dem Kinderfreunde den Beifall schwer. Andererseits war ihr Bruder Adam in allem gar arg zurück, und zwar, wie die Mutter sagte, in Folge mehrerer schnell auf einander gefolgten Krankheiten.

Um zwölf Uhr versammelte sich die ganze Familie, welche eigentlich [307] aus dreien bestand, nämlich aus dem Minister und seiner Schwester, seiner ältesten Tochter mit ihrem Manne und ihrer Familie, und seiner jüngeren Tochter mit der ihrigen, wieder im Frühstück-Saale, wo man jetzt ein Gabelfrühstück genoß. Dieses bestand aus mehreren Schüsseln Fleisch mit Gemüsen, und einer Menge Appetit erregender Delicatessen. Bei günstigem Wetter gingen wir spazieren, bei ungünstigem machten wir uns in den vielen prachtvollen Sälen und Zimmern des Palastes Bewegung, denn diese waren alle durch treffliche Luftheizung erwärmt. Das herrliche Lokal war so vertheilt: Im Erdgeschosse wohnte die älteste Tochter des Ministers, im ersten Stocke dieser mit seiner Schwester und wir. Der Palast ist kaiserlich, und die ganze Schaar der Dienerschaft ward von der Regierung besoldet. In jedem Zimmer stand eine Büste des Kaisers Nicolaus, und in einem der Prunksäle hing sein kolossales, unübertrefflich schönes Bild in Lebensgröße. Ein Zimmer hieß das türkische und war ganz mit seidenen Draperieen austapeziert, welche an der kuppelartigen Decke zusammenliefen. Einige Säle waren mit schönen Fresken, andere mit lieblichen Reliefs verziert; prachtvolle Kron- und Arm-Leuchter, Consolen, Spiegel, kostbare Möbel, Porzellane, Vermeil und künstliche Nippsachen, seidene Gardinen, welche überall im verschwenderischen Maaße prangten, bekundeten einen fürstlichen Reichthum, zugleich aber auch die Verdorbenheit des slavischen Geschmackes, welcher der Ueberladung mit Luxus entschieden huldigt. Denkt man nun zu dieser Herrlichkeit hinzu, daß in den fünfundzwanzig Gemächern jedes Stockwerkes eine immer gleiche Frühlings-Temperatur herrschte, so wird man die Versicherung gewiß glauben, daß ich mich in Italien zu befinden wähnte. – Unter dem Palast befindet sich die Münze und daneben die Bank, so daß ich oft Gelegenheit hatte, die großen Karren voll Gold aus der ersteren in die letztere schaffen zu sehen.

Einen höchst unangenehmen Eindruck machte die Erscheinung der beiden Schwestern, zweier zwergartigen, grundhäßlichen Personen von sehr gewöhnlichem Aussehen, die trotz ihrer Ueberfülle von Putz den jüdischen Trödlerinnen glichen. Dasselbe gilt von ihrer Tante. Häßlich mag nun meinetwegen der Mensch sein, so viel er will, wenn er die Häßlichkeit des Körpers nur durch Schönheit des Geistes aufwiegt, dann kann er sogar in hohem Grade liebenswürdig sein; aber Gemeinheit der Erscheinung stößt immer ab. Herr S. und sein Schwager hingegen waren stattliche Männer, welche seltsam mit ihren Ehehälften contrastirten, [308] und erwiesen mir sowohl bei Tische, wo sie mir gegenüber saßen, wie bei jeder Gelegenheit die auszeichnendsten Artigkeiten und Galanterieen, was schon wieder zu meinem höchsten Verdrusse die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf mich lenkte und die Eifersucht der Damen zu wecken begann. Man stelle sich meine Pein vor! Aber wer kann die Menschen ändern?

Da ich einen Empfehlungsbrief an eine in Warschau verheiratete Deutsche Namens D. hatte, benutzte ich die erste Gelegenheit, dieselbe aufzusuchen. Sie empfing mich mit deutscher Herzlichkeit und erbot sich, mich mit Warschau und seinen Eigenthümlichkeiten bekannt zu machen. Ein paar Damen, die ich hier traf, kannten Madame S. persönlich und prophezeiten mir einen traurigen und kurzen Aufenthalt bei ihr, weil sie ihre Erzieherinnen schlecht zu behandeln und häufig zu wechseln pflegte. Auch erzählten sie mir, daß Herr W. getaufter Jude und von großem Vermögen, seine einstige Gemahlin aber von solchem Hochmuthe gewesen sei, daß sie aus Verdruß über ihre Zurücksetzung unter dem Adel geisteskrank geworden und endlich vor Gram gestorben sei. Ich war an schlimme Berichte allzusehr gewöhnt, um nicht die Sache philosophisch zu nehmen und zu denken: es ist gut, daß wir nicht an einander gebunden sind.

Die freundliche Einladung meiner neuen Freunde benutzend, schloß ich mich ihnen eines Tages an, um einige Sehenswürdigkeiten Warschau’s zu betrachten.

Dem Finanz-Ministerium gegenüber liegt die schöne, obgleich etwas enge Senatoren-Straße mit ihren großartigen Gebäuden und Kaufläden. Unzählige Fuhrwerke, Reiter und Fußgänger wimmelten hier beständig durch einander, so daß man oft viele Minuten warten muß, ehe man von einer Seite zur andern gelangen kann. Wir begegneten hier einer Compagnie Perser in bunten Kaftanen auf silberbedeckten Rossen reitend, riesigen Tscherkessen mit breiten Pelzmützen, silberbesetzten blauen Röcken und einer Menge Feuergewehre auf der Brust, langbärtigen Kosacken auf kleinen Pferden, Uhlanen, Husaren, Infanterie, deutschen Kutschen, französischen Staatswagen, polnischen zwei- und dreispännigen Bryczken, englischen zweiräderigen Gigs, russischen zweispännigen Czworken und Troyken mit drei Pferden in Frontgespann, jüdischen Kibitken-Kutschen, den elegantesten Spaziergängern, zerlumpten [309] Bettlern, jüdischen Hausirern und Trödlern in Unzahl. Ein buntscheckigeres Durcheinander hat glaube ich keine Stadt aufzuweisen.

Um mir den umfassendsten Ueberblick von Warschau zu verschaffen, führten mich meine Freunde auf den Wartthurm des Rathhauses, welches unweit dem Eingange der Senatoren-Straße auf der linken Seite derselben steht und welchem sie ihren Namen verdankt. Ich erinnere mich nicht, eine Stadt gesehen zu haben, welche grellere Contraste präsentirte als Warschau. In dieser ungeheueren Agglomeration von 8500 Gebäuden, in welchen 156,000 Menschen leben, sieht man häufig die prunkendsten Paläste, deren Bewohner an gold- und silberstrahlenden Tafeln schwelgen, dicht bei den elendesten Lehmhütten, deren Insassen ein Gericht Grütze oder Sauerkraut auf dem bloßen Fußboden in grausiger Unsauberkeit verschlingen. In diesem Gewebe der 300 zum Theil stundenlangen Straßen, welche meist auf große Plätze auslaufen, treten die Hauptstraßen, z. B. die neue Welt und die Krakauer-Vorstadt, durch die Regelmäßigkeit ihrer Gebäude, ihre Breite und Länge sehr glänzend hervor. Hier und da erhebt eine der vierzig Kirchen ihr hohes Wölbdach mit seiner umfangreichen Kuppel. In einem Kreise von ungefähr einer Stunde Durchmesser lag unter uns die eigentliche Residenz, die schöne Stadt; auch sie ist nicht frei von schlechten Gebäuden, aber reich an den prächtigsten Palästen. Hier präsentirt sich das königliche Schloß und die zahlreichen Regierungs-Hotels, ferner an 150 wahrhaft majestätische Paläste, welche theilweise dem reichsten polnischen Adel gehören. Eine drei Meilen lange, mit beiden Endpunkten an die Weichsel stoßende Linie umgiebt das eigentliche Warschau; sonderbar genug sind auch viele Gärten, Alleen, Felder und wüste Flächen mit eingeschlossen. Die äußersten östlichen und westlichen Theile der Stadt enthalten jedoch wenig gute Gebäude, aber elende Nester in Menge. Von den 8500 Häusern Warschaus sind 2000 theils schöne, theils prachtvolle, theils sogar majestätische Gebäude, meist mit Balkonen und Säulenhallen versehen, die übrigen sind sämmtlich elende, schmutzige Lehm- und Holz-Boutiken. Das Pflaster der Warschauer Straßen ist verschiedener Art. Das Pflaster des neuesten und schönsten Stadttheils, in dessen Mitte sich das Rathhaus befindet, sind chaussirt, was bei nasser Witterung einen Morast zum Versinken, bei trocknem windigen Wetter einen erstickenden Staub verursacht. Einige Straßen sind mit Quarz gepflastert, aber dermaßen voll Löcher, Höcker und wahre Schluchten, daß [310] Menschen und Thiere in fortwährender Gefahr sind. Die besten Straßen haben breite Trottoirs an beiden Seiten, während die geringeren gar keine haben und darum bei Regen gar nicht zu begehen sind.

Am nördlichen Ende der Stadt fließt die Weichsel, über welche der Senatorenstraße gegenüber eine Schiffbrücke führt, welche Warschau mit Praga verbindet. Dieser mächtige Strom ist anderthalb Mal so breit wie die Themse bei London, sein weiter Wasserspiegel bringt einen imposanten Eindruck hervor. Dicht an demselben und zwar auf dem rechten Ufer stehen die letzten Häuserchen von Praga, auf dem linken liegt Warschau. Praga ist viel jünger als Warschau, hat aber weit bedeutendere Schicksale gehabt als jenes, unter anderen mehrmals zur Schutzmauer gegen die hereinbrechenden Kriegsstürme dienen müssen. Der schrecklichste derselben traf sie zu Ende des vorigen Jahrhunderts, als Kosciusko am 10. Oktober 1794 schwer verwundet in Gefangenschaft gerathen war. Hier sammelten sich die zersprengten und führerlosen Polen, um in dieser natürlichen Brustwehr Warschaus noch einen verzweifelten Versuch für Polens Freiheit zu wagen. Praga war wie alle Städte Polens unbefestigt, da warfen die Polen in Eile so viele Dämme und Schanzen auf, wie ihnen die Zeit erlaubte. Sie sahen ihren Untergang vor Augen, aber sie wollten lieber sterben als sich den Feinden ihres Vaterlandes ergeben. Greise, Weiber und Kinder bewaffneten sich, selbst die Juden bildeten ein Bataillon von 500 Mann, und die gesammte polnische Armee belief sich auf 25,000 Mann. Der General Suwarow, der mit seinen Russen noch eine Stunde von der Stadt entfernt war und die gewaltigsten Vorkehrungen zum Kampfe machte, ließ die Polen von dem Umfange derselben in Kenntniß setzen, um sie zu einer unverzüglichen Capitulation zu bewegen. Doch er hatte es mit einer Schaar zu thun, wie sie einst Leonidas anführte; die Polen antworteten mit einigen abgebrannten Raketen als Kampf-Signale. Suwarow griff die Stadt von sieben Seiten gleichzeitig an; die Russen erstürmten die Schanzen, wurden aber wieder hinaus getrieben, neue Truppen ersetzten die geschlagenen, Kanonen waren hinter ihnen aufgepflanzt, und so von immer neuen Streitern angegriffen, mußten die Polen endlich weichen. Sie warfen sich in die Hütten und Häuser, welche reihenweise in Flammen standen, vor sich das Element, hinter sich den wuthschnaubenden Feind; die Gebäude konnten zum Theil die Besatzung nicht tragen und stürzten krachend in sich selbst zusammen, [311] Vertheidiger wie Angreifer unter Trümmern und Flammen begrabend. Dazu lagerte sich über dem Schlachtfeld eine undurchdringliche Wolke von Rauch und Pulverdampf, in dickem Qualme stieg der Staub aus den einstürzenden Häuserreihen und ließ kaum Freund und Feind unterscheiden. Jetzt wollten die Polen sich über die Weichsel zurückziehn, aber die Russen hatten die Schiffbrücke besetzt und nahmen sie nun zwischen zwei Feuer, denn von vorn und hinten wurden sie jetzt mit gleicher Heftigkeit angegriffen, sie wurden zerdrückt, es blieb ihnen weder Raum noch Kraft zum Kämpfen. Da faßten mehrere tausend den Entschluß, die Weichsel zu durchschwimmen, andere tausende wurden von den Russen mit Bajonetten und Kartätschen hinein getrieben, der Strom bot das grauenhafte Bild eines blutigen Menschenbreies, kaum tausend Mann gewannen das rettende Ufer, alle übrigen ertranken mit den Waffen in der Hand; Vierzehntausend Polen kostete dieser Tag allein durch Kugel und Bajonett das Leben, darunter auch das jüdische Bataillon. Die Russen hatten noch größeren Verlust, die Leichen lagen berghoch aufgestapelt, man darf annehmen, daß am Abend jenes Tages dreißigtausend Männer aufgehört hatten zu athmen.

Als wir aus dem Rathhause heraustraten, fielen meine Blicke auf das gegenüber stehende Theater. Dieses gehört zu den vielen Verschönerungen, die Warschau der russischen Regierung verdankt. Seine Höhe überragt die höchsten Paläste, und seine Länge beträgt über dreihundert Fuß. Zwei auf einander ruhende Säulenhallen ziehen sich der Länge nach hin und geben dem kolossalen Steinhaufen ein großartiges Ansehen. Aus der Mitte des Daches steigt ein zweites Gebäude empor, das an sich selbst ein sehr ansehnliches Haus abgeben würde; in ihm befinden sich die Maschinen für die Bühne. In diesem mächtigen Kunsttempel sind außer einer Menge zu öffentlichen Vergnügungen bestimmter Säle eine große Anzahl Schenk-, Kauf- und Geschäftslokale, gegen anderthalb hundert Familien-Wohnungen, mehrere Durchfahrten und zwei Theater enthalten, das Teater Wielki (das große Theater) und das Teater Rozmaitosà (Theater für Verschiedenheit). Diese beiden letzteren unterscheiden sich wesentlich von einander, sowohl durch ihre Größe als Ausstattung.

Das Teater wielki, welches die rechte Seite des Hauses einnimmt, besteht aus vier Stockwerken und faßt gegen sechstausend Menschen. Der höchste und billigste Raum heißt das Paradies, und gewiß müssen [312] die darauf befindlichen Seligen übernatürliche Hör- und Sehorgane besitzen, wenn sie die auf der Bühne gegebenen Darstellungen zu begreifen wünschen. Die Bühne entspricht dem Raume der Zuschauer, denn sie bietet zweihundert agirenden Personen hinreichenden Platz. Das in der linken Hälfte des Gebäudes befindliche Teater Rozmaitosà ist beinahe nur halb so groß, die Bühne desselben ist mit schönen Decorationen ausgestattet und der Saal hinreichend ausgeschmückt, doch tadelt man die Einrichtung der Plätze. – Durch diese beiden Theater hat die russische Regierung die Stadt zehnfach für die Aufhebung ihres alten häßlichen Schauspielhauses am krasinskischen Platze entschädigt; aber was sie Warschau unablässig entzieht, das ist die Darstellung guter dramatischer Werke. Die russische Censur, welche so streng ist, daß keine Zeitung, keine Kinderfibel ohne geschwärzte und ausgeschnittene Stellen in’s Land und unter das Publikum gelassen wird, hat eine gänzliche Umgestaltung aller Dramen vor der Aufführung angeordnet, so daß selbst die harmlosesten Stücke ganz verstümmelt auf die Bühne kommen. Da das Theater Staatsanstalt ist, so sind auch die dabei angestellten Künstler und Künstlerinnen kaiserliche Beamte und Staatsdienerinnen. Jedoch ist ihr Gehalt durchaus nicht glänzend, indem ein erstes Talent mit 15,000 Gulden polnisch oder 2500 Thalern bezahlt wird, worin 6000 Gulden Garderobegelder einbegriffen sind. Die ersten Schauspieler erhalten davon monatlich 50 bis 70, die ersten Sängerinnen und Tänzerinnen 30 bis 50 Thaler. Die Niedrigkeit der Gehalte verliert sich aber aus den Augen, wenn man bedenkt, daß die Bühnenkünstler wirkliche Staatsdiener sind, die ihre Stellung nur durch Uebertretung der Gesetze verlieren können. Nach 25 Jahren Dienstleistung können sie das Theater verlassen, und beziehen solchen Falles ihren vollen Gehalt als Pension bis zum Tode. – Außer diesem Theater giebt es in Warschau noch ein offenes Amphitheater beim Lustschloß Lazienki, und ein kleines altkönigliches Privattheater in einem schönen Gebäude zwischen dem botanischen Garten und dem Park von Lazienki. Auf sämmtlichen vier Bühnen spielt dasselbe Personal. Außer diesem giebt es in Warschau selbst nicht Liebhaber-Theater, da die russische Behörde alle geselligen Zusammenkünfte streng überwacht und unter Umständen ganz verbietet.

Wir bestiegen jetzt einen Schlitten und fuhren die lange Senatoren-Straße entlang und über die Weichsel nach Praga. Diese Vorstadt [313] Warschau’s hatte früher 12,000 Einwohner, seit der letzten Revolution liegt sie großenteils in Trümmern, denn nur wenig Eigenthümer haben es gewagt, bei ihrer so sehr gefährdeten Lage wieder aufzubauen. Rechts vor der Brücke liegt ein weiter Platz, der sich in’s unendliche verläuft; hier steht ein schlechter Gasthof, der meistens nur von Bauern besucht wird. Diesem Gasthofe ebenfalls zur Rechten läuft eine Straße, theils aus alten, theils aus neuen, zumeist stattlichen Gebäuden bestehend, vor welchen man nette Gärtchen erblickt, was in Polen zu den Seltenheiten gehört. Große Flächen, wo sonst ganze Straßen standen, liegen öde, Ruinen ragen hier und da hervor, und das Vieh graset harmlos auf dem Schütte, der das Blut und die Gebeine so vieler Helden deckt. Hier und da sieht man einzelne Höfe von weiten Brandstätten umgeben, die bereits als Wüsteneien rechtlich anerkannt sind, aber noch 1830 blühende Wirthschaften bildeten. Stellenweise zeigt sich eine einzelne Reihe von Häusern und Hütten, vollständige Straßen giebt es nur noch sechs, und zwar an verschiedenen Enden der Stadt. Zu den schönsten Häusern von Praga gehört die Hauptwache am Ausgange der Brücke, ein langes Parterregebäude mit einer schönen Säulenhalle, sowie das neu erbaute Haus der Feuerwehr. Zwei Kirchen, deren eine sich auf einem wüsten Sandhügel erhebt, sind noch gut erhalten. Die zerstreuten Häusergruppen zwischen den vielen Wüstungen geben Praga ein trauriges Ansehen, es sieht nicht sowohl wie eine Stadt, als vielmehr wie eine Anzahl jüngst entstandener Ansiedelungen aus. Da Praga nach allen Seiten offen ist, so haben alle Waaren steuerfreien Einlaß; ganz anders ist es, wenn man sich Warschau nähert, da fallen einem gleich die Zollwächter in die Wagen- oder Schlittentaschen. Praga hat seine eigenen Gerechtsame und Munizipalität, es steht mit Warschau in keiner städtischen Verbindung, obwohl es in geographischer Hinsicht immer als eine Vorstadt davon bezeichnet wird. Da es in aller Art ein weit billigerer Wohnort ist als Warschau, so besteht seine Bewohnerschaft meist aus Pensionären, Beamten, die nach der Revolution abgesetzt wurden, und einigen Gelehrten, welche insgesammt mit den activen Beamten die vornehme Welt der verunglückten Stadt bilden. Außer diesen giebt es eine Menge Oekonomen und Viehzüchter, die sich die unumschränkte Weidefreiheit und den großen Milchbedarf von Warschau zu Nutzen machen.

Schon auf der Brücke hatten wir gegen eine fahrende und gehende [314] Menschenfluth zu kämpfen gehabt, aber in Praga war’s fast nicht zum Fortkommen. Es war nämlich gerade Freitag, wo allwöchentlich hier ein großer Markt gehalten wird. Mit Mühe erreichten wir den Marktplatz, eine viertelstundenlange, fünfzig Schritt breite, mit beiden Enden auf das offene Land führende, in der größten Häusergruppe liegende Straße, mit unzähligen Lücken und Brandstellen zerrissen. Hier waren zahllose Fässer mit Weichselfischen von der Größe eines erwachsenen Menschen bis zu den kleinsten Backfischen herab, Heringstonnen, mächtige Käse- und Butterfässer, große Gemüsekörbe, Schaaren lebendiger Gänse und Enten nebst tausend anderen Nahrungsmitteln ausgestellt. Wahrhaft possierlich war das Treiben und Gewühl der Verkäufer, Käufer und Zuschauer. Als wir zurück fuhren, war die Brücke durch hunderte von Wagen verstopft. Wie nun in Rußland alles durch die Knute erzwungen wird, so auch hier, die Polizeidiener sprangen wie toll, mit Knuten und Bakeln bewaffnet, zwischen den Geschirren herum und hieben auf’s Unverschämteste auf die Rücken der kleinen Bauerpferde und ihrer Fahrer hinein, bis die Verstopfung weggeprügelt war, worauf wir uns wieder nach Warschau zu bewegten.

Der Einladung von Madame D. zufolge begab ich mich mit nach ihrer Wohnung zurück, wo wir echt deutsch dinirten und uns in das Teater wielki begaben. Man führte die Oper „Lucia di Lammermoor“ auf, und ließ der Gesang allerdings viel zu wünschen übrig; hingegen war der decorative Theil der Vorstellung und die Instrumentalmusik höchst vorzüglich, ja sie hielten recht gut einen Vergleich mit der italienischen Oper in Paris und London aus. Nach der Oper folgte ein Ballet, Marsi Flora. Eine riesige Wolke ließ sich mit fast hundert Amorinen herab, welche alles, was ich bis dahin gesehen, durch ihre Leistungen übertrafen. Eine Menge Nymphen, Hirten und andere idyllische Wesen gesellten sich zu ihnen, das Publikum entzückend durch die Schönheit ihrer Formen, die rückhaltlose Preisgebung derselben, ihre durchsichtigen glänzenden Costüme und üppigen Bewegungen. – Ueberhaupt bildet das Ballet das Haupt-Interesse des hiesigen Theaters, auch unterscheiden sich die Polen durch Talent und Vorliebe dafür von allen Nationen. Dies mag darin seinen Grund haben, daß die Polen unstreitig das sinnlich-üppigste Volk Europa’s sind, für geistige Genüsse fast durchweg gleichgiltig, alles in äußerem Schimmer suchend und findend, mag es innerlich auch noch so miserabel bestellt sein. Gegen Mitternacht war [315] das Schauspiel zu Ende, ich nahm daher von meinen Freundinnen Abschied, setzte mich in einen Schlitten und fuhr nach Hause.

Ich sollte hier eine ganz besondere Phase von Heuchelei kennen lernen. Nämlich ungeachtet Madame S. gewußt hatte, daß ich protestantischer Confession war und sie nicht mehr Religion im Herzen hatte als ein Perückenstock, so meinte sie doch, es sei von der größten Wichtigkeit, daß ihre Kinder nichts davon erführen, und forderte, daß ich mich bei jeder Gelegenheit bekreuzen sollte wie sie. Die getaufte Jüdin machte also der alten Christin religiöse Vorschriften. Auch nicht übel, dachte ich, und warum nicht? Läßt doch oft der große Sünder den kleinen hängen! Dennoch sprach ich der Dame unverholen meine Mißbilligung über solche Täuschung aus, bemerkte ihr auch, daß ihre eigene Schwester auch eine protestantische Gouvernante hätte, von der sie diese lügenhafte Affectation keineswegs verlange. Darauf erwiederte „Schickselche“: weder ihre Schwester noch deren Kinder seien so fromm wie sie und die ihrigen, und daß ohne Conformität der Religon keine Möglichkeit zu unserem Zusammenleben vorhanden sei. Es hätte also Noth gethan, daß ich mich wegen dieses verwetterten „Schickselche“ hätte umtaufen lassen; ich drehte ihr aber die stumme Seite meines Ich’s zu und ließ die Närrin stehen, aber „Schickselche“ blieb keineswegs bei seinem ersten Versuche stehen. Eines Tages stellte sie mich über meinen Besuch der protestantischen Kirche zur Rede und ging in der Arroganz so weit, mir directe Einwendungen dagegen zu machen. Ich fragte diesen Menschen in Paviangestalt, ob sie sich vorgesetzt habe, den Religionszwang Ferdinands II. gegen mich zu üben? ich sagte ferner der hoffnungsreichen Nachfolgerin der Herren Loyola und Torquemada, daß man sich dergleichen Ketzergerichte selbst in Rußland nicht mehr gefallen lasse, und setzte den Besuch fort. – Die deutschlutherische Kirche Warschau’s ist ein kreisförmiges Gebäude mit einer schön gewölbten Kuppel, sie steht auf einem regelmäßigen Platze dem sächsischen Garten gegenüber und besaß damals in ihrem Pfarrer, Namens Otto, einen der besten Kanzelredner, die ich jemals gehört. Mit der Kraft der Ueberzeugung verband er eine ganz eigenthümliche Beredsamkeit, einfach, herzergreifend, voll tiefer Bildung, durchsichtig. Seine Reden entbehrten phantasiereiche Bilder und blumenreiche Sprache, aber sie waren lauter Nerv und Kern, Niemand konnte ihnen widerstehen. Und diese sollte ich fortan nicht mehr hören! Madame S. begann jetzt, [316] förmliche Bekehrungsversuche mit mir anzustellen und versicherte mich eines Tages, daß ich ohne des römischen Vice-Peters Erlaubniß nicht in den Himmel kommen könne; ich versicherte sie spöttisch, daß ich vor Antritt meiner Himmelsreise mir den römischen Paßport für einige Gulden verschaffen würde.

Die Hausordnung bei Minister W., die für alle bindend war, wurde streng inne gehalten und glich ganz der eines Hofes. Um 5 Uhr wurde dinirt, die Herren erschienen im Frack, die Damen in voller Toilette. In der Regel bestand die Gesellschaft aus vierzehn Personen, sechs Herren und acht Damen, häufig aber waren noch Freunde geladen, und oft gab es Diners von dreißig bis vierzig Personen. Die Tafel war stets kostbar servirt, drei und vier Bedienten präsentirten unaufhörlich die kostbarsten Speisen in tranchirter Form, wie auch die feinsten Weine; aber wahrhaft königlich ging es bei größeren Diners her. Leider bin ich nicht im Besitz eines derartigen Küchenzettels, ich kann aber versichern, daß es dabei wohl dreißig verschiedene Speisen und ebenso viele Sorten Weine gab, nebst den köstlichsten Früchten aller Welttheile. Um neun Uhr versammelten sich die Familienglieder beim Thee, wobei Massen vom leckersten Zuckergebäck mit Arak herum gereicht wurden. So lebte ich in materieller Beziehung wie eine Fürstin und in nie geahnter Weise, denn die englischen Häuser, selbst die der Aristokratie, sind kalte nackte Baracken gegen diesen Palast in Warschau, ihre Tische spartanische Hunger-Anstalten im Vergleiche mit dem mährchenhaften Luxus Sr. Excellenz des Herrn Minister W. An diesem wahren Grandseigneur des Volkes Israel habe ich kein Stäubchen jüdischen Schmutzes gesehen, ich hätte in seinem Hause glücklich sein können, wäre der Neid der Weiber nicht gewesen. Die Herren erzeigten mir zuviel Aufmerksamkeit, sprachen lieber mit mir als mit ihnen, denn ich wußte mehr als sie. Ich hatte Deutschland, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal gesehen, sie waren kaum aus dem „Ghetto“ gekrochen, ich sprach mit gleicher Fertigkeit französisch, englisch, italienisch, spanisch, portugiesisch und deutsch, während sie sich mit einem geräderten französisch und polnisch-deutsch behelfen mußten, ich war in so vielen Wissenschaften und Künsten zu Hause, und sie wußten nur unsaubere Liebeleien zu treiben, wenn ich sang, war alles Ohr, sie durften nicht wagen, den Mund aufzuthun, ohne ein schallendes Gelächter zu erregen. Da mußte wohl Neid und Mißgunst entstehen. Ich, die Untergebene, [317] so reich, und sie, die Oberen, so arm! Dazu kamen die Ränke der alten Gouvernante G. aus L… Sie war seit den zehn Jahren, welche seit unserem Zusammentreffen in London verstrichen waren, zur Mumie zusammen getrocknet, aber ich habe nun erfahren, daß selbst Mumien noch lieben, und die Allmacht Amors ist mir damals erst klar geworden. Dieses prasselnde Gerippe intriguirte aus Eifersucht gegen mich mit der ganzen List einer ergrimmten Nebenbuhlerin. Sie hatte sich bedauerlicher Weise in den Musiklehrer ihrer Zöglinge, Herrn Z., einen Tzschechen, verliebt; ich sage bedauerlicher Weise, denn dieser erwiederte natürlich die zärtlichen Blicke ihrer rothen Augen nicht. Sie schob jedoch diese Mißwirkung einer Neigung für mich zu, weil Herr Z. sich eines Tages erbot, mir Warschau vollständig zu zeigen. Von diesem Augenblicke fing sie an, mich bald direct bald indirect zu verfolgen und zu beleidigen; aber während sich diese alte Harpie in Neid und Aerger über mich vollends aufrieb, wurde ich täglich blühender, so daß sie den Spruch Salomons an mir buchstäblich erklärt sah: Ein fröhliches Herz ist ein beständiges Fest.