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Bettlern, jüdischen Hausirern und Trödlern in Unzahl. Ein buntscheckigeres Durcheinander hat glaube ich keine Stadt aufzuweisen.

Um mir den umfassendsten Ueberblick von Warschau zu verschaffen, führten mich meine Freunde auf den Wartthurm des Rathhauses, welches unweit dem Eingange der Senatoren-Straße auf der linken Seite derselben steht und welchem sie ihren Namen verdankt. Ich erinnere mich nicht, eine Stadt gesehen zu haben, welche grellere Contraste präsentirte als Warschau. In dieser ungeheueren Agglomeration von 8500 Gebäuden, in welchen 156,000 Menschen leben, sieht man häufig die prunkendsten Paläste, deren Bewohner an gold- und silberstrahlenden Tafeln schwelgen, dicht bei den elendesten Lehmhütten, deren Insassen ein Gericht Grütze oder Sauerkraut auf dem bloßen Fußboden in grausiger Unsauberkeit verschlingen. In diesem Gewebe der 300 zum Theil stundenlangen Straßen, welche meist auf große Plätze auslaufen, treten die Hauptstraßen, z. B. die neue Welt und die Krakauer-Vorstadt, durch die Regelmäßigkeit ihrer Gebäude, ihre Breite und Länge sehr glänzend hervor. Hier und da erhebt eine der vierzig Kirchen ihr hohes Wölbdach mit seiner umfangreichen Kuppel. In einem Kreise von ungefähr einer Stunde Durchmesser lag unter uns die eigentliche Residenz, die schöne Stadt; auch sie ist nicht frei von schlechten Gebäuden, aber reich an den prächtigsten Palästen. Hier präsentirt sich das königliche Schloß und die zahlreichen Regierungs-Hotels, ferner an 150 wahrhaft majestätische Paläste, welche theilweise dem reichsten polnischen Adel gehören. Eine drei Meilen lange, mit beiden Endpunkten an die Weichsel stoßende Linie umgiebt das eigentliche Warschau; sonderbar genug sind auch viele Gärten, Alleen, Felder und wüste Flächen mit eingeschlossen. Die äußersten östlichen und westlichen Theile der Stadt enthalten jedoch wenig gute Gebäude, aber elende Nester in Menge. Von den 8500 Häusern Warschaus sind 2000 theils schöne, theils prachtvolle, theils sogar majestätische Gebäude, meist mit Balkonen und Säulenhallen versehen, die übrigen sind sämmtlich elende, schmutzige Lehm- und Holz-Boutiken. Das Pflaster der Warschauer Straßen ist verschiedener Art. Das Pflaster des neuesten und schönsten Stadttheils, in dessen Mitte sich das Rathhaus befindet, sind chaussirt, was bei nasser Witterung einen Morast zum Versinken, bei trocknem windigen Wetter einen erstickenden Staub verursacht. Einige Straßen sind mit Quarz gepflastert, aber dermaßen voll Löcher, Höcker und wahre Schluchten, daß