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die darauf befindlichen Seligen übernatürliche Hör- und Sehorgane besitzen, wenn sie die auf der Bühne gegebenen Darstellungen zu begreifen wünschen. Die Bühne entspricht dem Raume der Zuschauer, denn sie bietet zweihundert agirenden Personen hinreichenden Platz. Das in der linken Hälfte des Gebäudes befindliche Teater Rozmaitosà ist beinahe nur halb so groß, die Bühne desselben ist mit schönen Decorationen ausgestattet und der Saal hinreichend ausgeschmückt, doch tadelt man die Einrichtung der Plätze. – Durch diese beiden Theater hat die russische Regierung die Stadt zehnfach für die Aufhebung ihres alten häßlichen Schauspielhauses am krasinskischen Platze entschädigt; aber was sie Warschau unablässig entzieht, das ist die Darstellung guter dramatischer Werke. Die russische Censur, welche so streng ist, daß keine Zeitung, keine Kinderfibel ohne geschwärzte und ausgeschnittene Stellen in’s Land und unter das Publikum gelassen wird, hat eine gänzliche Umgestaltung aller Dramen vor der Aufführung angeordnet, so daß selbst die harmlosesten Stücke ganz verstümmelt auf die Bühne kommen. Da das Theater Staatsanstalt ist, so sind auch die dabei angestellten Künstler und Künstlerinnen kaiserliche Beamte und Staatsdienerinnen. Jedoch ist ihr Gehalt durchaus nicht glänzend, indem ein erstes Talent mit 15,000 Gulden polnisch oder 2500 Thalern bezahlt wird, worin 6000 Gulden Garderobegelder einbegriffen sind. Die ersten Schauspieler erhalten davon monatlich 50 bis 70, die ersten Sängerinnen und Tänzerinnen 30 bis 50 Thaler. Die Niedrigkeit der Gehalte verliert sich aber aus den Augen, wenn man bedenkt, daß die Bühnenkünstler wirkliche Staatsdiener sind, die ihre Stellung nur durch Uebertretung der Gesetze verlieren können. Nach 25 Jahren Dienstleistung können sie das Theater verlassen, und beziehen solchen Falles ihren vollen Gehalt als Pension bis zum Tode. – Außer diesem Theater giebt es in Warschau noch ein offenes Amphitheater beim Lustschloß Lazienki, und ein kleines altkönigliches Privattheater in einem schönen Gebäude zwischen dem botanischen Garten und dem Park von Lazienki. Auf sämmtlichen vier Bühnen spielt dasselbe Personal. Außer diesem giebt es in Warschau selbst nicht Liebhaber-Theater, da die russische Behörde alle geselligen Zusammenkünfte streng überwacht und unter Umständen ganz verbietet.

Wir bestiegen jetzt einen Schlitten und fuhren die lange Senatoren-Straße entlang und über die Weichsel nach Praga. Diese Vorstadt