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und erwiesen mir sowohl bei Tische, wo sie mir gegenüber saßen, wie bei jeder Gelegenheit die auszeichnendsten Artigkeiten und Galanterieen, was schon wieder zu meinem höchsten Verdrusse die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf mich lenkte und die Eifersucht der Damen zu wecken begann. Man stelle sich meine Pein vor! Aber wer kann die Menschen ändern?

Da ich einen Empfehlungsbrief an eine in Warschau verheiratete Deutsche Namens D. hatte, benutzte ich die erste Gelegenheit, dieselbe aufzusuchen. Sie empfing mich mit deutscher Herzlichkeit und erbot sich, mich mit Warschau und seinen Eigenthümlichkeiten bekannt zu machen. Ein paar Damen, die ich hier traf, kannten Madame S. persönlich und prophezeiten mir einen traurigen und kurzen Aufenthalt bei ihr, weil sie ihre Erzieherinnen schlecht zu behandeln und häufig zu wechseln pflegte. Auch erzählten sie mir, daß Herr W. getaufter Jude und von großem Vermögen, seine einstige Gemahlin aber von solchem Hochmuthe gewesen sei, daß sie aus Verdruß über ihre Zurücksetzung unter dem Adel geisteskrank geworden und endlich vor Gram gestorben sei. Ich war an schlimme Berichte allzusehr gewöhnt, um nicht die Sache philosophisch zu nehmen und zu denken: es ist gut, daß wir nicht an einander gebunden sind.

Die freundliche Einladung meiner neuen Freunde benutzend, schloß ich mich ihnen eines Tages an, um einige Sehenswürdigkeiten Warschau’s zu betrachten.

Dem Finanz-Ministerium gegenüber liegt die schöne, obgleich etwas enge Senatoren-Straße mit ihren großartigen Gebäuden und Kaufläden. Unzählige Fuhrwerke, Reiter und Fußgänger wimmelten hier beständig durch einander, so daß man oft viele Minuten warten muß, ehe man von einer Seite zur andern gelangen kann. Wir begegneten hier einer Compagnie Perser in bunten Kaftanen auf silberbedeckten Rossen reitend, riesigen Tscherkessen mit breiten Pelzmützen, silberbesetzten blauen Röcken und einer Menge Feuergewehre auf der Brust, langbärtigen Kosacken auf kleinen Pferden, Uhlanen, Husaren, Infanterie, deutschen Kutschen, französischen Staatswagen, polnischen zwei- und dreispännigen Bryczken, englischen zweiräderigen Gigs, russischen zweispännigen Czworken und Troyken mit drei Pferden in Frontgespann, jüdischen Kibitken-Kutschen, den elegantesten Spaziergängern, zerlumpten