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ist ja die Schauspielerin M., die mit dem Polen-Flüchtling W. durchging, der weder Graf noch ihr Mann war, denn ihr Gatte lebte noch. – Hierauf erzählte sie mir, daß Madame M. lange in D** als Hofschauspielerin engagirt gewesen und viel Glück gemacht hatte, daß sie reinstes mosaisch-polnisches Vollblut und mit einem alttestamentarischen Sohne Poloniä verheirathet gewesen war. Madame D. war im höchsten Grade erstaunt, zu hören, daß Madame M. die Rosenbahn des Gouvernanten-Faches eingeschlagen hatte und meinte, es sei wahrscheinlich geschehen, um den Himmel wegen ihrer Jugendsünden zu versöhnen. Und in der That, eine strengere Büßung und Selbstkasteiung konnte sie nicht erwählt haben.

Nachdem ich meine Geschäfte abgemacht hatte, wählte ich unter den angebotenen Stellen eine in Warschau, weil ich mich in vieler Beziehung in Polen recht wohl befunden und der dortige National-Charakter im Ganzen auf mein Gemüth einen günstigen Eindruck zurück gelassen hatte. Herr S. kam selbst nach D**, hörte mich Piano spielen, prüfte mich und meine Papiere, forschte bei der Gräfin P. genau nach mir, engagirte mich als Erzieherin seiner beiden Kinder von zehn und sieben Jahren, mit Namen Franziska und Adam. Nach polnischer Sitte händigte er mir sogleich das Reisegeld ein. An einem klaren, milden December-Abend nach Weihnachten reiste ich abermals von D** auf der Eisenbahn ab, nachdem ich die Schwierigkeiten, die mir die russische Gesandtschaft gemacht, glücklich überwunden, und zwar durch Hülfe des Fürsten-Statthalters selbst. Alle Mittel, einen Paß nach Rußland zu erhalten, waren vergeblich geblieben, bis Herr S. durch seinen Schwiegervater, den Minister W., sich eine spezielle Erlaubniß von P. für mich ausgewirkt und an die Gesandtschaft geschickt hatte. Ich ruhete jetzt eine kurze Zeit von meinen Beschwerden in den weichen Polstern des Coupes aus. Tiefes Schweigen ruhte auf den schneebedeckten Fluren, über mir breitete sich der blaue Himmel wie ein diamantengestickter Königsmantel aus. Da tauchten unzählige Erinnerungen in meiner Seele auf, alle Erlebnisse, alle Menschen, mit denen ich verkehrt, zogen wie Geisterschatten an meinem inneren Auge vorüber. In meiner Brust herrschte ein himmlischer Friede und unwillkührlich floß ein heißes Dankgebet über meine Lippen.

Die Reise war ziemlich langweilig, gegen Morgen kam der Zug in Breslau an, wo ich ein Billet bis an die polnische Grenze nahm,