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Warschau’s hatte früher 12,000 Einwohner, seit der letzten Revolution liegt sie großenteils in Trümmern, denn nur wenig Eigenthümer haben es gewagt, bei ihrer so sehr gefährdeten Lage wieder aufzubauen. Rechts vor der Brücke liegt ein weiter Platz, der sich in’s unendliche verläuft; hier steht ein schlechter Gasthof, der meistens nur von Bauern besucht wird. Diesem Gasthofe ebenfalls zur Rechten läuft eine Straße, theils aus alten, theils aus neuen, zumeist stattlichen Gebäuden bestehend, vor welchen man nette Gärtchen erblickt, was in Polen zu den Seltenheiten gehört. Große Flächen, wo sonst ganze Straßen standen, liegen öde, Ruinen ragen hier und da hervor, und das Vieh graset harmlos auf dem Schütte, der das Blut und die Gebeine so vieler Helden deckt. Hier und da sieht man einzelne Höfe von weiten Brandstätten umgeben, die bereits als Wüsteneien rechtlich anerkannt sind, aber noch 1830 blühende Wirthschaften bildeten. Stellenweise zeigt sich eine einzelne Reihe von Häusern und Hütten, vollständige Straßen giebt es nur noch sechs, und zwar an verschiedenen Enden der Stadt. Zu den schönsten Häusern von Praga gehört die Hauptwache am Ausgange der Brücke, ein langes Parterregebäude mit einer schönen Säulenhalle, sowie das neu erbaute Haus der Feuerwehr. Zwei Kirchen, deren eine sich auf einem wüsten Sandhügel erhebt, sind noch gut erhalten. Die zerstreuten Häusergruppen zwischen den vielen Wüstungen geben Praga ein trauriges Ansehen, es sieht nicht sowohl wie eine Stadt, als vielmehr wie eine Anzahl jüngst entstandener Ansiedelungen aus. Da Praga nach allen Seiten offen ist, so haben alle Waaren steuerfreien Einlaß; ganz anders ist es, wenn man sich Warschau nähert, da fallen einem gleich die Zollwächter in die Wagen- oder Schlittentaschen. Praga hat seine eigenen Gerechtsame und Munizipalität, es steht mit Warschau in keiner städtischen Verbindung, obwohl es in geographischer Hinsicht immer als eine Vorstadt davon bezeichnet wird. Da es in aller Art ein weit billigerer Wohnort ist als Warschau, so besteht seine Bewohnerschaft meist aus Pensionären, Beamten, die nach der Revolution abgesetzt wurden, und einigen Gelehrten, welche insgesammt mit den activen Beamten die vornehme Welt der verunglückten Stadt bilden. Außer diesen giebt es eine Menge Oekonomen und Viehzüchter, die sich die unumschränkte Weidefreiheit und den großen Milchbedarf von Warschau zu Nutzen machen.

Schon auf der Brücke hatten wir gegen eine fahrende und gehende