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Menschen und Thiere in fortwährender Gefahr sind. Die besten Straßen haben breite Trottoirs an beiden Seiten, während die geringeren gar keine haben und darum bei Regen gar nicht zu begehen sind.

Am nördlichen Ende der Stadt fließt die Weichsel, über welche der Senatorenstraße gegenüber eine Schiffbrücke führt, welche Warschau mit Praga verbindet. Dieser mächtige Strom ist anderthalb Mal so breit wie die Themse bei London, sein weiter Wasserspiegel bringt einen imposanten Eindruck hervor. Dicht an demselben und zwar auf dem rechten Ufer stehen die letzten Häuserchen von Praga, auf dem linken liegt Warschau. Praga ist viel jünger als Warschau, hat aber weit bedeutendere Schicksale gehabt als jenes, unter anderen mehrmals zur Schutzmauer gegen die hereinbrechenden Kriegsstürme dienen müssen. Der schrecklichste derselben traf sie zu Ende des vorigen Jahrhunderts, als Kosciusko am 10. Oktober 1794 schwer verwundet in Gefangenschaft gerathen war. Hier sammelten sich die zersprengten und führerlosen Polen, um in dieser natürlichen Brustwehr Warschaus noch einen verzweifelten Versuch für Polens Freiheit zu wagen. Praga war wie alle Städte Polens unbefestigt, da warfen die Polen in Eile so viele Dämme und Schanzen auf, wie ihnen die Zeit erlaubte. Sie sahen ihren Untergang vor Augen, aber sie wollten lieber sterben als sich den Feinden ihres Vaterlandes ergeben. Greise, Weiber und Kinder bewaffneten sich, selbst die Juden bildeten ein Bataillon von 500 Mann, und die gesammte polnische Armee belief sich auf 25,000 Mann. Der General Suwarow, der mit seinen Russen noch eine Stunde von der Stadt entfernt war und die gewaltigsten Vorkehrungen zum Kampfe machte, ließ die Polen von dem Umfange derselben in Kenntniß setzen, um sie zu einer unverzüglichen Capitulation zu bewegen. Doch er hatte es mit einer Schaar zu thun, wie sie einst Leonidas anführte; die Polen antworteten mit einigen abgebrannten Raketen als Kampf-Signale. Suwarow griff die Stadt von sieben Seiten gleichzeitig an; die Russen erstürmten die Schanzen, wurden aber wieder hinaus getrieben, neue Truppen ersetzten die geschlagenen, Kanonen waren hinter ihnen aufgepflanzt, und so von immer neuen Streitern angegriffen, mußten die Polen endlich weichen. Sie warfen sich in die Hütten und Häuser, welche reihenweise in Flammen standen, vor sich das Element, hinter sich den wuthschnaubenden Feind; die Gebäude konnten zum Theil die Besatzung nicht tragen und stürzten krachend in sich selbst zusammen,