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schöne Magd in ihrem National-Negligee, bloßen, antik schönen Füßen, kurzen Röckchen, Hemdärmeln und buntem Kopftuche, empfing und mich zu ihrer schon schlafenden Gebieterin führte. Madame empfing mich sehr unfreundlich, und aus ihrem Betragen ging hervor, daß ich nicht dasjenige war, was sie erwartete, jedoch stand sie auf und gab sogleich einige Lebensmittel für mich heraus. Nachdem ich ihr die Ursache meiner späten Ankunft erklärt und sie mich allseitig in Augenschein genommen hatte, ging sie wieder zu Bette. Mir ward ein prachtvolles Zimmer angewiesen, ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten und einem luxuriösen Bett, durchweht von einer wahrhaft italienischen Temperatur. Ich gab mich mit allem Behagen dem Eindrucke hin, den diese Annehmlichkeiten nach einer beschwerlichen Reise auf mich machten, ohne mich wegen des kalten Empfanges zu beunruhigen.

Am andern Morgen um acht Uhr kam die polnische Dienerin, um mich in den Frühstück-Saal zu führen. Hier fand ich eine große Gesellschaft Herren und Damen von verschiedenen Altern, denen Madame S. mich vorstellte, und mir wieder jene, nämlich ihre Schwester, deren Töchter und Sohn, ihre Tante zwei Hauslehrer, und schließlich die Erzieherin ihrer Nichten, Fräulein G. aus L**, dieselbe, welche ich in London hatte kennen lernen, als ich bei Lady Maria W. und sie bei Lord C. war. Ich hatte ihre Malicen von damals längst vergessen und freute mich nur, eine alte Bekannte und Landsmännin zu treffen; auch sie begrüßte mich außerordentlich freundschaftlich und erzählte mir tausend interessante Dinge von England und Personen, welche ich gekannt hatte. Was meine Zöglinge betrifft, so machten sie augenblicklich den Eindruck boshafter Rangen auf mich, denn nie hatte ich verschmitztere und zugleich gehässigere Physiognomieen an Kindern gesehen. Sobald das Frühstück beendet war, beeilte sich Madame S., mich mit der Virtuosität ihrer Tochter bekannt zu machen, indem sie diese ihr zuletzt gelerntes Stück, le feu follet genannt, spielen ließ; und sie empfing mit sichtbarem Stolz das Lob, welches ich ihr gerechter Weise wiederfahren ließ. Franziska war begabt und für ihr Alter ziemlich weit vorgeschritten, aber ihr prätentiöses Wesen machte auch dem Kinderfreunde den Beifall schwer. Andererseits war ihr Bruder Adam in allem gar arg zurück, und zwar, wie die Mutter sagte, in Folge mehrerer schnell auf einander gefolgten Krankheiten.

Um zwölf Uhr versammelte sich die ganze Familie, welche eigentlich