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gegen ein Uhr kamen wir nach Mislowitz, wo das Gepäck und die Pässe der vielen Reisenden untersucht wurden, was ein Paar Stunden dauerte. Um zehn Uhr Abends gelangten wir nach der alten Polenstadt, wo ich mich sogleich von Kofferträgern und Judenjungen umringt sah, die mir sämmtlich in gutem Deutsch ihre Dienste anboten. Hier ging das Examiniren der Pässe und Koffer von neuem los, wobei man meine ganzen Bücher in Beschlag nahm. Nachdem ich so mein bischen Intelligenz los war, rief ich einen intelligent aussehenden Sohn Abrahams herbei, der mich auch sogleich auf eine intelligente Weise prellte. Ich fragte ihn nämlich, ob er das Ministerium wisse? – „Ja, ganz gut,“ erwiederte er. Ich drückte ihm hierauf einen polnischen Gulden in die Hand und bat ihn, mir einen von den vor dem Bahnhöfe haltenden Schlitten zu miethen und mit dem Fuhrmann zu accordiren. Die Sache war bald abgemacht, der Junge setzte sich aber auf die Pritsche und fuhr mit. Pfeilschnell flog der Schlitten durch die breiten, schneebedeckten Straßen, deren Paläste, Kirchen und Monumente hehr und feierlich im magischen Lichte des Mondes erglänzten. Die Spitzbuben fuhren mich wahrscheinlich spazieren, um mir, der hier Wildfremden, eine doppelte und dreifache Rechnung machen zu können, denn diese dampfschnelle Fahrt dauerte eine volle Stunde! Wir hätten London ebensogut durchschneiden können. – Endlich kamen wir vor einem großen Palast an, dessen Fronte die ganze Seite eines großen viereckigen Platzes einnahm und mit einem herrlichen Säulengang umgeben war. Donnernd fuhr der Schlitten durch das hohe offene Thor hinein, mein Cicerone sprang herunter und fragte den erscheinenden Schweizer nach dem Minister. Ich machte ihm begreiflich, daß ich zu dessen Tochter, Madame S., wollte. Der Portier, hier Schweizer genannt, obgleich echter Polake, ein großer Mann in einem scharlachrothen Rocke mit goldenen Tressen und dreieckigem Hute, ging hinan und ließ uns lange warten, endlich kam er wieder und sagte, ich solle hinauf kommen und meine Koffer eben dahin schaffen lassen, was sogleich geschah. Als ich den Fuhrmann bezahlen wollte, verlangte er das Dreifache der accordirten Summe und auch der unberufene Begleiter verlangte einen abermaligen enormen Lohn. Ich sah wohl, daß ich mit ihnen nicht fertig wurde und bestellte sie daher auf den folgenden Tag wieder in’s Hotel. Der Portier führte mich eine breite, mit Teppichen belegte, schön erleuchtete Treppe hinauf in einen großen Saal, wo mich eine polnische, sehr