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förmliche Bekehrungsversuche mit mir anzustellen und versicherte mich eines Tages, daß ich ohne des römischen Vice-Peters Erlaubniß nicht in den Himmel kommen könne; ich versicherte sie spöttisch, daß ich vor Antritt meiner Himmelsreise mir den römischen Paßport für einige Gulden verschaffen würde.

Die Hausordnung bei Minister W., die für alle bindend war, wurde streng inne gehalten und glich ganz der eines Hofes. Um 5 Uhr wurde dinirt, die Herren erschienen im Frack, die Damen in voller Toilette. In der Regel bestand die Gesellschaft aus vierzehn Personen, sechs Herren und acht Damen, häufig aber waren noch Freunde geladen, und oft gab es Diners von dreißig bis vierzig Personen. Die Tafel war stets kostbar servirt, drei und vier Bedienten präsentirten unaufhörlich die kostbarsten Speisen in tranchirter Form, wie auch die feinsten Weine; aber wahrhaft königlich ging es bei größeren Diners her. Leider bin ich nicht im Besitz eines derartigen Küchenzettels, ich kann aber versichern, daß es dabei wohl dreißig verschiedene Speisen und ebenso viele Sorten Weine gab, nebst den köstlichsten Früchten aller Welttheile. Um neun Uhr versammelten sich die Familienglieder beim Thee, wobei Massen vom leckersten Zuckergebäck mit Arak herum gereicht wurden. So lebte ich in materieller Beziehung wie eine Fürstin und in nie geahnter Weise, denn die englischen Häuser, selbst die der Aristokratie, sind kalte nackte Baracken gegen diesen Palast in Warschau, ihre Tische spartanische Hunger-Anstalten im Vergleiche mit dem mährchenhaften Luxus Sr. Excellenz des Herrn Minister W. An diesem wahren Grandseigneur des Volkes Israel habe ich kein Stäubchen jüdischen Schmutzes gesehen, ich hätte in seinem Hause glücklich sein können, wäre der Neid der Weiber nicht gewesen. Die Herren erzeigten mir zuviel Aufmerksamkeit, sprachen lieber mit mir als mit ihnen, denn ich wußte mehr als sie. Ich hatte Deutschland, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal gesehen, sie waren kaum aus dem „Ghetto“ gekrochen, ich sprach mit gleicher Fertigkeit französisch, englisch, italienisch, spanisch, portugiesisch und deutsch, während sie sich mit einem geräderten französisch und polnisch-deutsch behelfen mußten, ich war in so vielen Wissenschaften und Künsten zu Hause, und sie wußten nur unsaubere Liebeleien zu treiben, wenn ich sang, war alles Ohr, sie durften nicht wagen, den Mund aufzuthun, ohne ein schallendes Gelächter zu erregen. Da mußte wohl Neid und Mißgunst entstehen. Ich, die Untergebene,