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Artikel „Magnentius Hrabanus Maurus“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 66–74, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hrabanus_Maurus&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 06:44 Uhr UTC)
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Raban von Helmstatt
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Rabanus: Magnentius Hrabanus Maurus, Abt von Fulda (822–842) und Erzbischof von Mainz (847–856). R., oder wie er sich selbst schreibt, Hraban, d. i. der Rabe, ein Franke aus vornehmer Familie, wurde um 776 in Mainz, schon damals einer lebhaften Handelsstadt, geboren [67] und vielleicht ist auch der Beiname Magnentius, den er sich nur in der Zueignung seines Buches vom heiligen Kreuze beilegt, als „der Mainzer“ zu fassen. Der Stiftung des heil. Bonifatius, dem Kloster Fulda, das aus einer bloßen Stätte frommer Zurückgezogenheit schon ein Sitz der Studien zu werden begann, wurde der zarte und schwächliche Knabe unter der Leitung des Abtes Baugolf (780–802) zur Erziehung übergeben. Unter ihm empfing er als Benedictinermönch im J. 801 die Weihe zum Diaconus, zu der ein Alter von 25 Jahren erforderlich war. Von Baugolf’s Nachfolger Ratgar (802–811) wurde er zugleich mit dem ihm innig befreundeten Mönche Hatto nach dem fernen Tours entsandt, um sich unter Alkuin, dem Altmeister der damaligen Wissenschaft, weiter auszubilden. Da dessen Tod bereits am 19. Mai 804 erfolgte, so konnte er seinen Umgang freilich höchstens noch ein Jahr genießen. Die innigen Beziehungen, die ihn gleichwohl mit seinem Lehrer verbanden – Alkuin bezeichnet ihn als seinen Gehilfen und nannte ihn Maurus, wie der heil. Benedict seinen Lieblingsjünger geheißen hatte – geben freilich der unsicheren Vermuthung Raum, daß R. vielleicht schon unter Baugolf nach Tours kam und sich länger daselbst aufhielt. Eingeweiht in das Studium der Theologie und der sieben freien Künste, kehrte er nach Fulda zurück, um dort alsbald eine eifrige Lehrthätigkeit im Sinne seines Meisters zu eröffnen.

Der eigentlich wissenschaftlichen Beschäftigung war die Leitung Ratgar’s nicht günstig, der, ein Mann von überlegener Geisteskraft, aber rücksichtslos, herrisch und gewaltsam, seiner Bauleidenschaft und Prachtliebe alles andere nachsetzte. Klagen der Brüder über ihn am Hofe Karl’s d. Gr. veranlaßten vergebliche Vermittelungsversuche (809 und 812), doch erst als die Brüderschaft 817 zu dem verzweifelten Mittel eines gemeinsamen Auszuges griff, wurde der verhaßte Abt durch Kaiser Ludwig endlich abgesetzt und verbannt. Auch R. mußte unter diesen Wirren leiden, der Abt beraubte ihn sogar eine zeitlang seiner schriftlichen Aufzeichnungen, dennoch blieb er mit einem Theile der Mönche im Kloster zurück. Auf Ratgar folgte durch die Wahl der Brüder der mildgesinnte, hochbejahrte Eigil, der dem Kloster Frieden und Eintracht zurückgab, ein Verwandter des ersten Abtes Sturmi und besonderer Gönner Raban’s. Die in seine Zeit fallende Einweihung der neuen Stiftskirche und der Michaeliskapelle auf dem Friedhofe (819 und 822) gab R. Gelegenheit, die einzelnen Altäre derselben durch poetische Inschriften zu feiern, wie er dies auch in der Folge noch öfter that. Nachdem R. am 23. December 814 durch den Erzbischof Heistolf von Mainz bereits die Priesterweihe empfangen hatte, wurde er nach dem Tode Eigil’s (15. Juni 822) einmüthig zu dessen Nachfolger erwählt. Ungern mag er dies schwere Amt übernommen haben, welches bei den weit ausgedehnten Besitzungen des Klosters ihm eine gewaltige Last von praktischen Geschäften auferlegte, ebenso ungern sah er sich in politische Händel verflochten, denen der Abt eines so angesehenen Stiftes nicht ganz ausweichen konnte, denn, wie sein Schüler Rudolf berichtet, suchte er sich stets von weltlichen Sorgen freizuhalten und wandte alle seine Zeit auf das Studium der heil. Schrift, die Erforschung der Wahrheit, den Dienst Gottes und auf den Unterricht seiner Zöglinge.

Unter seinen Schülern, und damit zugleich unter seinen Freunden, finden wir manche nachmals bedeutende Männer. Zu ihnen gehört der unglückliche König Bernhard von Italien († 818), für den die Brüderschaft nach seinem rasch scheiternden Aufstande ein Gnadengesuch an den Kaiser Ludwig richtete, der gelehrte Baier Baturich, bald Bischof von Regensburg (817–847) und Erzcaplan des jungen Bauernkönigs Ludwig, Lupus, ein hochbegabter Westfranke, nachmals Abt von Ferrieres (seit 842), der Mönch Rudolf, Ludwig’s [68] des Deutschen trefflicher Geschichtschreiber († 865), Otfrid von Weißenburg, der Dichter des Evangelienbuches, der feinsinnige Walahfrid Strabo, von allen wohl der hervorragendste, Lehrer Karl’s des Kahlen und später Abt von Reichenau (838, 842–849), von dem Meister durch eine Grabschrift verherrlicht, der Mönch Bruun oder Candidus († 845), der auf seine Anregung das Leben des ehrwürdigen Eigil der Nachwelt überlieferte, auch Raban’s eigener Bruderssohn Gundram, aus dem Kloster in die königliche Capelle berufen, befand sich unter seinen Zöglingen. Dieser großen und wohlverdienten Anhänglichkeit so vieler ausgezeichneter Schüler gegenüber mußte es ihn doppelt kränken, daß der Mönch Gotschalk, der Sohn des sächsischen Grafen Bern, der dem Kloster schon als Kind ohne sein Zuthun dargebracht war, gegen Raban’s Widerspruch von der zu St. Alban bei Mainz im J. 829 versammelten Synode, vor der er als Ankläger Raban’s auftrat, die Erlaubniß zum Austritt aus den verhaßten Mauern erhielt.

Neben den Schülern Raban’s lernen wir aus seinen Schriften noch einige andere Männer kennen, die als seine Altersgenossen mehr zu seinen Freunden, als zu seinen Jüngern gerechnet werden müssen. Dazu zählen namentlich die Bischöfe Friedrich von Utrecht († 838), dem er Gedichte, sowie die Auslegung zum Buche Josua widmete, Frechulf v. Lisieux († 852), vielleicht von Tours her befreundet, dessen Büchermangel er durch einen umfassenden Commentar zum Pentateuch abhalf, Samuel v. Worms, Abt von Lorsch (841–856), ebenfalls durch Verse begrüßt, Haimo von Halberstadt (840–853), dem er sein Werk über das Weltall zueignete. Mit Bischof Humbert von Würzburg (832 bis 841), in dessen Sprengel das Kloster die Cellen Bischofsheim, Holzkirchen und eine andere bei Hammelburg besaß, erörterte R. in freundschaftlicher Weise Fragen der Kirchenzucht und Buße, ebenso mit den Mainzer Landbischöfen Reginbald und Reginher († 853); Thiotmar († 857), dem Nachfolger des ersteren, wurde das Buch über die geistlichen Ordnungen gewidmet. Mit diesen Männern, ebenso wie mit dem Abte Brunward von Hersfeld (843–875), der in Versen von ihm gefeiert wurde, verknüpften R. mancherlei amtliche und geschäftliche Beziehungen. Obenan standen unter diesen Beziehungen die zu seinen Vorgesetzten, den Erzbischöfen Haistolf (813–825) und Otgar von Mainz (806–847), auch sie im allgemeinen freundschaftlicher Art, da er jenem schon 819 seine Anleitung für die Cleriker, ferner eine Sammlung von Predigten und einen Matthäuscommentar übersandte, diesem, den er auch bei seiner Weihe durch schwungvolle Verse begrüßte, die Auslegungen zur Weisheit Salomonis und zum Jesus Sirach. Bei dem Gegensatze, der zwischen Raban’s gemäßigter, Otgar’s leidenschaftlicher Haltung in politischen Dingen bestand und bei dem tiefer liegenden Widerstreite der bischöflichen und mönchischen Auffassung konnte es an Zwistigkeiten zwischen beiden bedeutenden Männern nicht ganz fehlen. Für die Gerechtsame seines Klosters mußte R. auch gegen Otgar auftreten, so kämpfte er u. a. für gewisse Zehntrechte gegen die ungerechte Bannung eines Mönches Suaring (vielleicht richtiger Snaring, † 862) durch eine Mainzer Synode.

Keineswegs vernachlässigte R. neben seinem gelehrten Wirkungskreise den ihm noch unmittelbarer obliegenden als geistlicher Vater der frommen Genossenschaft und Verwalter des klösterlichen Vermögens. Die Zahl der Mönche im Kloster, abgesehen von den auswärts lebenden, betrug nach einem Verzeichniß unter ihm 140. R. vollendete den Klosterbau seines Vorgängers, bei den auswärtigen Cellen und auf den Klostergütern ließ er neue Gotteshäuser erbauen, so daß durch ihn mehr als dreißig entstanden. Unter ihnen ragten besonders die reichverzierte Kirche zu Rasdorf (bei Geisa) hervor und die im J. 836 geweihte Capelle auf dem Petersberge bei Fulda. Bei der Grundsteinlegung der [69] neuen Klosterkirche zu Hersfeld 831 wirkte er mit. Unterstützt von den Mönchen Isambert († 856) und Rudolf, dem Maler und Geschichtschreiber, auch von Bruun, war der Abt eifrig für die künstlerische Ausschmückung der Kirche mit Metallarbeiten und Malereien bemüht. Unter den Reliquienschreinen befand sich eine nach dem Muster der mosaischen angefertigte vergoldete Lade, die am Palmsonntage in Procession einhergetragen wurde. Die Erwerbung von Reliquien ließ R. sich aufs eifrigste angelegen sein, denn bei der hohen Verehrung, welche die heil. Gebeine im ganzen Volke genossen, war ihr Besitz nicht blos ehrenvoll, sondern auch gewinnreich. Die Wunder, welche bei ihrer feierlichen Erhebung und Schaustellung zu geschehen pflegten, steigerten die religiöse Inbrunst und weckten damit vor allem die Opferwilligkeit der Menge für die Kirche. Da Italien und vorzüglich Rom die unerschöpfliche Fundgrube von Reliquien war, so vermittelten namentlich römische Händler des geistlichen oder Laienstandes (wie Deusbona, Sabbatinus, Felix) diesen Verkehr, der als einträgliches Geschäft von ihnen oft mit den unlautersten Mitteln betrieben wurde. Von Baturich empfing R. Reliquien des heil. Emmeram. – Die Stiftsbibliothek, welche unter Gerhoh stand, ward unter ihm erst recht begründet und sehr bereichert.

Die Vorrechte und den Besitzstand des Klosters ließ sich R. von Kaisern und Päpsten bestätigen. Von diesen nahm, wir wissen nicht aus welchen Gründen, Paschalis (817–824) sein Gesuch sehr ungnädig auf, er ließ die Ueberbringer verhaften und bedrohte R. sogar mit dem Banne. Der Besitz des rasch aufblühenden Stiftes wuchs durch zahlreiche Schenkungen von Privatleuten, von denen R. den Grafen Gundram und seine Gemahlin Odtruda wegen ihrer großartigen Freigebigkeit durch Grabschriften ehrte. Den Handelsleuten, welche die Bekleidung für die Brüderschaft herbeischafften, gewährte Kaiser Ludwig auf Raban’s Bitte Zollfreiheit im ganzen Reiche, auch versprach er demselben eine Oelpflanzung in Italien, doch bleibt ihre wirkliche Gewährung zweifelhaft. In Ludwig’s Auftrage nahm R. gelegentlich an der Visitation von Nonnenklöstern Theil. Kirchliche wie Reichsangelegenheiten zogen den Abt von Fulda öfter an den Hof, wo wir seine Anwesenheit bisweilen nachweisen können. So betheiligte er sich an der schon erwähnten Synode im Albanskloster 829 an einer anderen zu Quierzy 838, welche die Ansichten Amalar’s von Lyon als Irrlehren verdammte. Im J. 832 genoß er die Freude, den ehrwürdigen Kaiser in seinem Kloster selbst zu empfangen und ihm die Auslegung zu den Büchern der Könige persönlich zu überreichen, die er auf Veranlassung des vielvermögenden Abtes Hilduin von St. Denis verfaßt hatte. Die Kaiserin Judith dagegen ehrte er durch Zueignung seiner Auslegungen zu den Büchern Judith und Esther schon in der Zeit der inneren Kämpfe. Als der Kaiser durch Lothar und die anderen Söhne zweimal seiner Macht beraubt wurde, trauerte R. mit anderen seiner Verehrer über dies unerhörte Ereigniß und suchte im J. 834 jenen durch eine Schrift aufzurichten, in der er unter Anführung zahlreicher Bibelstellen die unkindlichen Söhne und die unfolgsamen Unterthanen an ihre Pflichten der Treue und des Gehorsams erinnerte, den Kaiser aber, wiewohl er die Unrechtmäßigkeit des gegen ihn beobachteten Verfahrens nachwies, doch zur Versöhnlichkeit gegen den unbotmäßigen Sohn Lothar aufforderte. Ludwig war hiervon so befriedigt, daß er ihn noch zu einer zweiten Schrift über denselben Gegenstand veranlaßte, an welche R. dann eine weitere Ausführung über die Tugenden und Laster knüpfte. Einen besonderen Beweis seines Vertrauens gab Ludwig der Fromme ihm noch dadurch, daß er 835 den abgesetzten Erzbischof Ebo von Reims, dem R. persönlich gewogen war, einen seiner schlimmsten Gegner, eine zeitlang seiner Obhut überließ. Daß der Abt von Fulda zu [70] dem Baiernkönige Ludwig in freundliche Beziehungen trat zu der Zeit, da derselbe sich als wackerer Helfer seines Vaters sich bewährte, entsprach seiner politischen Richtung. Er widmete ihm mit sehr anerkennenden Worten seine Auslegungen der Bücher der Chronica und der Maccabäer, sowie des Propheten Daniel und empfing in der Zeit, da Ludwig mit Genehmigung seines Vaters über die rechtsrheinischen Lande gebot, von ihm die Schenkung zweier Orte für sein Kloster, die der Kaiser nach Ludwig’s Absetzung als eine vorher unbefugte, ihm nochmals bestätigte. Als im Frühjahr 839 der alte Kaiser gegen den Sohn zu Felde zog, finden wir R. in seinem Gefolge, der im Lahngau mit dem Bischof Noting von Verona zusammentreffend über das Wirken des abtrünnigen Mönches Gotschalk von ihm unterrichtet wurde. Die unverbrüchliche Treue Raban’s für den Kaiser Ludwig hinderte nicht, daß er nach seinem Tode mit dem überwiegenden Theile der fränkischen Geistlichkeit auf die Seite Lothar’s, des ältesten Sohnes, trat, der sein ursprüngliches Recht auf die gesammte Erbfolge wieder geltend machen wollte. Bald traf er selbst mit dem jungen Kaiser, der ihm Salzungen schenkte, Ende August 841 in Mainz zusammen und auch seiner Gemahlin Irmingard suchte er sich gefällig zu erweisen, indem er ihr auf ihren Wunsch seine Auslegung des Buches Esther überreichte. Die Schlacht von Fontenoy, die gegen seinen Erwählten entschieden hatte, erschien ihm daher keineswegs wie ein Gottesgericht, sondern als ein grauses und strafbares Blutvergießen. Als die Sache Lothar’s dennoch hoffnungslos erschien und im Kloster selbst Spaltung eintrat, legte R. gleich anderen Parteigängern des jungen Kaisers im Frühling 842 nach fast zwanzigjähriger Amtsführung seine Würde freiwillig nieder und suchte auf dem schön gelegenen Petersberge in der von ihm gegründeten Niederlassung Muße und Zurückgezogenheit. Die Mönche aber wählten seinen alten Freund und Genossen Hatto, auch Bonosus genannt, der in seinem Geiste, doch unter Anerkennung Ludwig’s des Deutschen den Abtstab übernahm.

Dem Kaiser Lothar und seinem Hause bewährte R. bis an sein Ende treue Anhänglichkeit und jener verehrte ihn so hoch, daß er ihn an Gelehrsamkeit den alten Kirchenvätern, einem Hieronymus, Augustin, Gregor und Ambrosius gleichstellen wollte, er bestellte sich daher bei ihm die Auslegungen zum Jeremias und Ezechiel, ferner Homilien über die Lectionen des Kirchenjahres und pries die einsame Stille, in der der Freund lebte. An den Welthändeln nahm dieser in der That zunächst keinen Antheil: er übersandte wohl durch 2 fuldische Mönche, Askrich und Ruodbert, im Anfange des Jahres 844 dem Papste Sergius seine lange zuvor verfaßte Dichtung zum Lobe des Kreuzes Christi, allein schwerlich mit politischen Nebenzwecken, seine Muße widmete er vielmehr ausschließlich schriftstellerischen Arbeiten. Die alten freundlichen Beziehungen zu Ludwig dem Deutschen, der seit dem Vertrage von Verdun als Landesherr nicht länger bestritten werden konnte, stellten sich nun ebenfalls bald wieder her. Bei einer Begegnung auf der zu Fulda gehörigen Celle Rasdorf, die der König selbst (um 845) herbeiführte, pflogen beide eines Gespräches über die heilige Schrift und bald sandte R. auf den Wunsch seines Gebieters, der viel Verständniß für theologische Fragen hatte, ihm Auslegungen zu den bei dem Frühgottesdienste üblichen Gesängen und die schon länger verfaßte umfangreiche Schrift vom Weltall als Hilfsbuch für die Schrifterklärung. Zu dieser vollständigen Aussöhnung mögen auch Ludwig’s vertraute Rathgeber, sein Kanzler Ratleik, Abt von Seligenstadt, und sein Erzcaplan Grimald, Abt von St. Gallen, das ihrige beigetragen haben, da R. beiden, zumal dem ersteren, befreundet war und ihnen vielleicht um diese Zeit sein Martyrologium zueignete. Hiernach kann es nicht überraschen, daß nach dem Tode des gleichfalls mit Ludwig ausgesöhnten Erzbischof’s [71] Otgar (21. April 847) R. trotz seiner schon vorgerückten Jahre zu seinem Nachfolger auf dem Mainzer Erzstuhl von Geistlichkeit und Volk einmüthig gewählt, und von dem Könige ohne Zögern bestätigt, am Sonntag den 26. Juni widerstrebend zu seiner neuen Würde geweiht wurde. Hiermit begann der letzte und hervorragendste Abschnitt seiner öffentlichen Thätigkeit.

Auf Ludwigs Geheiß berief R. schon zum Anfang October eine Synode des ganzen ostfränkischen Reiches in das St. Albanskloster zu Mainz, deren 31 Satzungen von dem Könige ausdrücklich bestätigt wurden. Großentheils in Wiederholungen älterer Synodalschlüsse stehend, schärfen diese u. a. mit Bezug auf die Wirren des Bürgerkrieges den Schutz der Kirche und ihrer Güter durch den König ein, sodann die Predigt in der Volkssprache über die Grundlehren des Christenthums und Sicherung der Freiheit und des Eigenthums der Armen gegen den Druck der Mächtigen. Gerade ein Jahr später fand wiederum zu Mainz eine Synode in Verbindung mit einem Reichstage statt, auf der die Angelegenheit des Mönches Gotschalk den Hauptgegenstand der Berathung bildete. Dieser, vorzüglich auf Grund einer Schrift Raban’s über die Darbringung der Kinder zum Mönchsstande, in dem erzwungenen Gelübde festgehalten, und von Fulda nach Orbais im Sprengel von Soissons verpflanzt, wurde hier durch sein Studium der Schriften des heiligen Augustinus zu einem starren und schroffen Anhänger seiner Prädestinationslehre. Die Folgerichtigkeit, mit welcher er diese zu der kirchlichen Werthschätzung der guten Werke keineswegs stimmende Ansicht bekannte und vertheidigte, erweckte ihm neben einzelnen Anhängern noch heftigere Gegner, zu denen mit altem Grolle vor allen R. gehörte. Die Nachrichten, die er über eine erfolgreiche Wirksamkeit Gotschalk’s in Italien empfing, bewogen ihn, (840 und um 846) Sendschreiben an den Bischof Noting v. Verona und den Markgrafen Eberhard v. Friaul zu richten, durch welche er als Seelsorger nicht ganz ohne Grund auf das Schädliche des Glaubens an die unbedingt zwingende Gewalt der Vorherbestimmung hinwies und die Lehren Gotschalk’s in ihren Folgerungen bekämpfte. Aus Italien verwiesen kam dieser nun im J. 848 freiwillig nach Mainz, wo er in Gegenwart des Königs von den Bischöfen als Irrlehrer verdammt und nach einer öffentlichen Geiselung in das westfränkische Reich verwiesen wurde. Auf Veranlassung Hinkmar’s v. Reims, dem das Schicksal des unglücklichen sächsischen Mönches nunmehr übergeben war, betheiligte sich R. auch später noch im J. 850 an dem durch diesen veranlaßten theologischen Streit über die Prädestinationslehre, ließ aber weitere persönliche Angriffe unerwiedert. Dem in Hautvilliers eingekerkerten Gegner gegenüber hielt R. an der alten Verbitterung fest, denn er rieth, als er erkrankt war, ihm, sofern er beharre, das Abendmahl zu verweigern und ihm jede Möglichkeit eines litterarischen Verkehrs mit der Außenwelt abzuschneiden. Wiederum im October 852 trat eine Synode unter Raban’s Vorsitz in Mainz zusammen, die umfassender als die früheren fast alle deutschen Bischöfe vereinigte. Ihre Beschlüsse bezogen sich neben Wiederholung mancher früherer auf den sittlichen Wandel der Geistlichkeit wie der Laien und gewähren nach beiden Seiten hin den Einblick in eine sehr rohe Zeit. Jener wurden u. a. Jagd und Schauspiele verboten, diesen der Umgang mit einer Zuhälterin vor der Ehe gestattet. – Von der innern Verwaltung des Erzbisthums Mainz unter R. wissen wir leider, abgesehen von diesen Synoden, sehr wenig. Mehrere seiner Vassallen verschworen sich gegen ihn im J. 848 und wurden durch den König, nachdem er sie ihrer Schuld überführt, wieder mit ihm durch einen Vergleich ausgesöhnt. Eine gewaltige Hungersnoth im J. 850 gab ihm Veranlassung seine Wohlthätigkeit im glänzendsten Lichte zu zeigen: mehr als 300 Personen, soll er, der sich damals zu Winkel aufhielt, täglich gespeist haben. Auch als Erzbischof zeigte er den gleichen Eifer wie früher [72] als Abt für kirchliche Bauten und Weihen. So wurde durch ihn am 28. October 850 die Klosterkirche zu Hersfeld eingeweiht, am 1. October 852 eine mit der Pfalz verbundene Stiftskirche zu Frankfurt. Dem Kloster Klingenmünster im Speiergau, welches abgebrannt war, erwirkte er die Bestätigung seines Besitzes im J. 849 und stellte die Kirche wieder her. Eine sehr lebhafte Theilnahme widmete R. noch als Abt der nordischen Mission. Befreundet mit Ebo munterte er auch dessen Verwandten Gauzbert oder Simon in dem schwierigen Werke der schwedischen Bekehrung auf, seine Ermahnungen begleitet er mit Geschenken, einem Meßbuche, Psalter und Apostelgeschichte, Priesterkleidern, Altardecken und sogar Glocken. Freilich wurden die Hoffnungen, welche man auf die junge Pflanzung in Sigtuna gesetzt hatte, durch eine Erhebung der Heiden und die Verdrängung Gauzbert’s rasch geknickt. Den Mainzer Erzstuhl, den R. erst in höherem Alter bestiegen hatte, sollte er nicht allzu lange inne haben. Oefter durch Krankheit an das Lager gefesselt, starb er am 4. Februar 856, wahrscheinlich als ein Siebziger, und wurde in der St. Albanskirche zu Mainz beigesetzt, von wo der Erzbischof Albrecht die Gebeine nach Halle übertragen haben soll.

In der Richtung seiner litterarischen Thätigkeit wurde R. sehr stark durch Alkuin beeinflußt. Sein frühestes Werk, die in seinem 30. Lebensjahre begonnene Sammlung von Gedichten zum Lobe des heiligen Kreuzes geht auf die Anregung des Meisters zurück, wenn auch das unmittelbare Vorbild dieser unerträglichen Künsteleien Porfyrius Optatianus, der Lobredner Constantins des Großen war. Auch in seinen übrigen Dichtungen, die vielfach an einzelne Freunde gerichtet sind, oder als Inschriften für Altäre und Gräber dienen, zeigt R., daß es ihm an jeder poetischen Begabung fehlte und er eben nur nach der Sitte der Zeit seine Gewandtheit in der Beherrschung lateinischer Versmaße zeigen wollte. Er plünderte seine Vorgänger wie z. B. die lateinische Anthologie, Sedulius, Fortunatus, den Schotten Columba, besonders aber gerade Alkuin, so ungescheut, daß er oft ganze Verspaare aus ihnen sich aneignet. Während diese kleineren Gedichte sich nur unvollständig erhalten haben, wurde sein Werk zum Preise des heiligen Kreuzes, wie er selbst es schon mehrfach vervielfältigt hatte, bis in das späteste Mittelalter mit seinen 28 Figuren noch oft abgeschrieben und bewundert. Den größten Umfang nehmen unter Raban’s Schriften die Bibelcommentare ein, von denen der älteste, der zum Matthäusevangelium für den Erzbischof Haistolf verfaßte, den Otfrid und der Dichter des Heliand für sein großes Gedicht benutzt hat, in die Zeit vor Antritt seiner Amtswürde zurückreicht. Er erläuterte nach und nach, ohne eigentliche Kenntniß des Griechischen, den Pentateuch und alle historischen Bücher des alten Testamentes, (mit Ausnahme von Esra und Nehemia, aber mit Einschluß der Makkabäer), ferner die vier großen Propheten, die Weisheit Salomonis und Jesus Sirach, von dem neuen Testamente außer Matthäus noch Johannes und die Paulinischen Briefe, Vorwiegend huldigt R. wie seine Vorgänger der allegorischen und mystischen Auslegung, seltener der sprachlichen und historischen. Er schmückt sich niemals mit fremden Federn, sondern unterscheidet deutlich seine eigenen Erklärungen oder Zusätze von den aus den Vätern stammenden, die er oft nur im Auszuge wiedergibt. Vorurtheilsfrei genug verweist er sogar häufig auf einen jüdischen Ausleger. In den beiden Predigtsammlungen Raban’s, von denen die ältere noch in seine Abtszeit fällt, sind ebenfalls manche Entlehnungen aus älteren Vorbildern wahrzunehmen, doch finden sich daneben auch selbständige Stücke, die werthvoll für Aberglauben und Sittengeschichte sind. Zu den erbaulichen Schriften Raban’s gehört auch die über das Schauen Gottes, welche er seinem Nachfolger in der Abtei zueignete. Die auf Augustin und Cassiodor vornehmlich beruhende Unterweisung für Geistliche in 3 Büchern, die er neben Haistolf [73] auch den Brüdern von Fulda widmete, ist unter den Prosaschriften der Zeit nach die älteste, da sie bereits in das Jahr 819 fällt. Denselben Inhalt hat er später in besondern Schriften theilweise noch weiter ausgeführt. In den Kreis der Bibelerklärung fällt auch eine Zusammenstellung der in der heiligen Schrift allegorisch gebrauchten Begriffe. Das sehr umfangreiche, in 22 Bücher getheilte Werk Raban’s über das Weltall, das seinen Stoff zum größten Theile aus Isidor’s Etymologien schöpft, doch namentlich mystische Erklärungen hinzufügt, soll auch hauptsächlich dem Bibelstudium dienen. Das Martyrologium Raban’s, eine nach dem Kalender geordnete Zusammenstellung von Märtyrergeschichten beruht größtentheils auf gangbaren Quellen wie Beda, Gregor dem Gr., Gregor von Tours etc. mit wenigen Zusätzen. Unmittelbar mit Unterrichtszwecken hängte eine dem Mönch Marcharius zugeeignete Anweisung zur Zeitrechnung zusammen, ferner ein Auszug aus der Grammatik Priscian’s, der besonderes Interesse für die Verskunst verräth, die kleine merkwürdige Schrift über die Erfindung der Buchstaben und deutsche Glossen über die Theile des menschlichen Körpers, von seinem Schüler Walahfrid aufgeschrieben. Zu den auf Tagesfragen bezüglichen Werken Raban’s, die wir oben bereits gelegentlich erwähnten, zählt die an Bischof Drogo von Metz gerichtete über die und zu Gunsten der Landbischöfe, deren zur Aushilfe dienenden bischöflichen Befugnisse im westfränkischen Reiche damals sehr heftig angefochten wurden, nicht minder das Schreiben an den Abt Eigil von Prüm gegen die Abendmahlslehre Radberts. In ausführlichen Schriften an Otgar und an den bei Karl dem Kahlen sehr angesehenen Bischof Heribald von Auxerre (829–857) verbreitete sich R. über die Buße. Seine Erörterungen über Fragen der Kirchenzucht erwähnte ich schon oben, als durch Humbert und Reginbald veranlaßt. Die jüngste seiner zahlreichen Schriften ist wahrscheinlich die an den jungen König Lothar II. gesandte über die Seele, der der Verfasser mit Rücksicht auf die so häufigen Normanneneinfälle einen Auszug aus dem noch immer hochgeschätzten Kriegsschriftsteller Vegetius Renatus angehängt hat.

R. erscheint uns in seinen Handlungen wie in seinen Schriften als ein Mann von starkem Rechtsgefühle und aufrichtiger Gesinnungstreue, dem ohne politische Nebengedanken vor allem das Wohl der Kirche in ihrem eigenen Kreise am Herzen liegt. Er ist daher kein Staatsmann, kein Kirchenpolitiker nach der Art Hinkmar’s. Die Ueberspannung kirchlicher Ansprüche dem Staate gegenüber, wie sie in den gefälschten Capitularien Benedict’s und den Decreten Pseudoisidor’s hervortritt, lag ihm gänzlich fern, und diese Fälschungen selbst scheinen ihm unbekannt geblieben zu sein: an dem höheren göttlichen Ursprunge der priesterlichen Gewalt im Gegensatze zur königlichen hielt er darum doch fest, obgleich er mit der letzteren sich gut zu stellen wußte. An dogmatischen Streitigkeiten nahm er einen geringeren Antheil, als die gelehrten Amtsbrüder des westfränkischen Reiches, denn seine vorwiegenden Gesichtspunkte waren die praktischen des Seelsorgers und Lehrers unter einer rohen, noch stark an das Heidenthum streifenden Bevölkerung. R. besaß unzweifelhaft große persönliche Liebenswürdigkeit, Güte und Bescheidenheit, sowie ein warmes Herz für Freundschaft. Der hartnäckige Groll, mit welchem er den für ihn unverständlichen Mönch Gotschalk verfolgte, – mag er auch von diesem, der die Gegner der Prädestination spöttisch Rabaniker nannte, reichlich erwidert worden sein – bildet den einzigen Flecken in diesem sonst so lauteren Charakter. In weiten Kreisen verehrt, zeigte er sich wie Beda und Alkuin trotz seines gebrechlichen Leibes bis zum letzten Athemzuge thätig mit der Feder als einer der fleißigsten unter den gelehrten Zeitgenossen. Den Lehrer Deutschlands hat man ihn mit vollem Rechte genannt und dadurch auf die Krone seiner Leistungen hingewiesen, da seine gesamte [74] litterarische Thätigkeit ohne Anspruch auf Selbständigkeit vor Allen dem Unterricht dient und es durchweg nur auf die Fortpflanzung und Mittheilung überlieferten Stoffes absieht. Durch ihn ist Fulda unter den klösterlichen Lehranstalten die berühmteste geworden, wenn es sich auch nur wenige Jahrzehnte auf dieser Höhe behaupten konnte. Er selbst schrieb ein im Ganzen reines und flüssiges Latein und verschmähte die heidnischen Classiker nicht, so weit sie sich den theologischen Studien dienstbar machen ließen; daß sein gesammtes Wirken der lateinisch-kirchlichen Bildung galt, bedarf keiner besonderen Bemerkung, indessen scheint er, den man wohl den ersten deutschen Gelehrten geheißen hat, doch die Bedeutung der Muttersprache nicht verkannt zu haben. Er wiederholte gleich auf seiner ersten Synode die alte Verfügung Karl’s d. Gr. zu Gunsten der Predigten in der Volkssprache, er kannte die nordischen Runen und erläutert in seinen Gedichten bisweilen deutsche Namen, biblische Glossen, die wahrscheinlich, und andere, die sicher auf ihn zurückgehen, beweisen, daß er bei seinen Vorträgen sich theilweise der Muttersprache bedient haben muß, von seinen Schülern erwarb Otfrid den größten Namen in der althochdeutschen Dichtkunst, aus Fulda und aus seiner Zeit stammt die Verdeutschung der Evangelienharmonie des Totianus und auch Walahfrid zeigte ein gewisses Verständniß für die deutsche Zunge.

Die erste Gesammtausgabe der Werke Raban’s nach manchen Einzeldrucken besorgte Colvenerius zu Cöln 1626 in 6 Foliobänden. Sie ist mit einigen Ergänzungen wiederholt in Migne’s Patrologia latina Bd. 107–112. Eine zweite Gesammtausgabe, welche der Prior Enhuber von St. Emmeram vorbereitete, wurde durch seinen Tod im J. 1800 unterbrochen, seine Vorarbeiten dafür befinden sich jetzt auf der Münchener Bibliothek und boten Kunstmann einigen Stoff zu Nachträgen in seinem Buche Hrabanus Magnentius Maurus, Mainz 1841. Die Gedichte, welche Christ. Brower 1617 im Anhange zu Venantius Fortunatus zuerst abdrucken ließ, sind zuletzt von mir herausgegeben worden, in den Poetae latini aevi Carolini II, 154–258, 700, Berol. 1884. Andere Ergänzungen finden sich aus den Magdeburger Centurien zusammengestellt in den Epistolae Fuldenses (Forschungen zur deutschen Geschichte V, 369–394. XXIV, 421–425). Die Fuldischen Urkunden dieser Zeit stehen sämmtlich in Dronke, Codex diplomaticus Fuldensis.

Im Anschluß an die Forschungen Mabillon’s und der Histoire littér. de la France V handelte am eingehendsten Kunstmann a. a. O. über Raban, aber sehr unkritisch und durch Trithemius beeinflußt. Vgl. Wattenbach’s Geschichtsquellen, 5. Aufl. I, 216 ff. – Ebert, Geschichte der Litteratur des Mittelalters II, 120 ff. – Schrörs, Hinkmar von Reims, 1884. Es bleibt noch viel zu thun übrig.