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Artikel „Alkuin“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 343–348, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Alkuin&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 15:00 Uhr UTC)
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Alkuin, Alchuine, (eigentlich Ahl-win, d. i. Freund des Tempels) oder Albinus, wie er sich häufig in mehr lateinischer Form nannte, ein vornehmer und begüterter Angelsachse, in dem Reiche Northumbrien um das J. 735 geboren, wurde in zarter Jugend der angesehenen und mit einer Bibliothek von classischen wie von christlichen Autoren reich ausgestatteten Schule zu York zur Ausbildung übergeben. Unter dem Erzbischofe Egbert von York (732–766), der selbst das neue Testament auslegte und unter dessen Verwandten Aelbehrt, dem die übrigen Fächer anvertraut waren, genoß er mit vielen andern Altersgenossen sorgfältigste Unterweisung in allen damaligen Wissenszweigen. In Aelbehrts, seines hochverehrten Lehrers, Begleitung reiste der Jüngling zum ersten Male nach Rom, dem heißersehnten Ziele zahlloser englischer Wallfahrer, besuchte unterwegs das elsässische Kloster Murbach und wohnte in Pavia einem Wortgefechte zwischen dem Grammatiker Petrus und einem Juden Lullus bei. Nachdem Aelbehrt 766 selbst den erzbischöflichen Stuhl bestiegen, übernahm A., zum Diaconus geweiht – eine höhere geistliche Weihe hat er nie empfangen – unter ihm die Leitung der Yorker Schule, deren Ruf selbst Ausländer, wie den edeln Friesen Liudger, anzog. In dieser Zeit scheint er zum zweiten Male das Festland besucht und die persönliche Bekanntschaft des großen Frankenkönigs Karl gemacht zu haben. Als auf Aelbehrt Eanbald I. (780–796), ein Freund Alkuins, in der erzbischöflichen Würde gefolgt war, zog dieser 781 abermals nach Rom – von wo er sich, sei es auf dieser, sei es auf der früheren Fahrt, ein öfter wiederkehrendes Fieber holte –, um für den neuen Metropoliten das Abzeichen seiner Würde, das Pallium, vom Papste zu erbitten. Auf dieser Reise traf er in Parma (vielleicht im März) mit dem Könige Karl zusammen und versprach ihm auf seine Einladung, wenn seine Oberen es erlaubten, zu ihm in das fränkische Reich zurückzukehren. Also geschah es, der Urlaub wurde gewährt und etwa zu Anfang 782 langte A. zu längerem Aufenthalte am Hofe Karls an. Zu seinem anständigen Unterhalte wurden ihm die Klöster Ferrieres und das des h. Lupus zu Troyes, eine Zeit lang auch das des h. Servatius zu Maestricht und die Celle St. Joffe an der Canche von seinem königlichen Gönner überwiesen. Einige jüngere Landsleute, namentlich Sigulf (Vetulus), Wizo (Candidus) und Fredegis (Nathanael) begleiteten ihn oder gesellten sich später als Schüler zu ihm. Obgleich gegen acht Jahre am fränkischen Hofe als Lehrer wirksam, betrachtete sich A. trotz aller Liebe und Verehrung, die ihn umgab, durchaus noch als Northumbrier und blieb mit dem Heimathlande, in das er stets zurückzukehren gedachte, im regsten Verkehre. Mit Aufträgen Karls an Ossa von Mercien, den mächtigsten der kleinen angelsächsischen Könige, betraut, mit dem eben damals Mißhelligkeiten ausgebrochen waren, zog er in der That gegen 790 wieder nach Britannien hinüber und entledigte sich seiner versöhnenden Sendung mit dem glücklichsten Erfolge. Innere Wirren, durch den gewaltsamen Sturz des northumbrischen Königs Osred im J. 790 hervorgerufen, [344] mußten aber seiner friedfertigen Natur bald die Heimath wieder verleiden, die nicht lange danach durch die Verwüstung des reichen Klosters Lindisfarne (auf Holy Island) 8. Juni 793 die erste schwere Heimsuchung von Seiten der wilden Nordmänner erfahren sollte. Dazu kamen die dringenden Aufforderungen Karls, der für die schwebenden dogmatischen Streitigkeiten seines Beirathes nicht entbehren mochte. A. sollte ihm nämlich beistehen gegen die soeben (792) in Regensburg verurtheilte Irrlehre des Adoptianismus, welche den Gottmenschen Jesus in einen wahren göttlichen und einen menschlichen Adoptivsohn Gottes spaltete. Ausgegangen von dem Bischofe Felix von (Seo de) Urgel in der spanischen Mark, hatte die neue Ketzerei in Spanien selbst, zumal durch den Erzbischof Elipand von Toledo, große Verbreitung gefunden und auch jener Felix, der selbst seinen Irrthum schon verdammt, bekannte ihn von neuem. Andererseits schickte Karl nach England seinem Vertrauten die Beschlüsse des nicänischen Concils vom J. 787 über die Bilderverehrung zu, deren Widerlegung zugleich im Namen der englischen Kirche A. demnächst übernahm. Im Frühling 793 muß er sich bereits wieder am fränkischen Hofe befunden haben, um bald darauf (794) an der wegen der schwebenden Lehrstreitigkeiten berufenen Synode in Frankfurt (am Main) theilzunehmen, der ersten Versammlung an diesem in der Geschichte früher nie erwähnten Orte. Außer der Verdammung der abwesenden Adoptianer, deren Haupt Felix A. vorher vergebens von seinem Irrthume zu bekehren versucht hatte, wurden auch die entschiedensten Beschlüsse gegen die falsche siebente Synode der Griechen gefaßt. Als der König dann dem mit dieser Verwerfung des Bilderdienstes nicht völlig einverstandenen Papste Adrian eine ausführliche, in seinem Namen verfaßte Schrift (libri Carolini) zur Begründung seines Standpunktes überreichen ließ, darf mit hoher Wahrscheinlichkeit A., den auf Geheiß des Königs die Frankfurter Synode in ihre besondere Fürbitte aufnahm, als deren Urheber bezeichnet werden. Hatte er diesmal dem Frankenreiche nur einen kürzeren Besuch zugedacht, veranlaßt durch die Bedürfnisse des Augenblickes, so traten doch bald Verhältnisse ein, welche ihn die für das J. 796 beschlossene und schon vorbereitete Heimkehr für immer aufgeben ließen. Der allgemeine Zustand der Unsicherheit und Verwirrung, in welchem A. die Wirkung der wachsenden Sünden des Volkes und seiner Großen erkannte, gesteigert durch den Tod des Königs Ossa und die Ermordung des Königs Aethelred von Northumbrien, schreckte ihn ab und bewog ihn zu dem Entschlusse, den Rest seines Lebens dem Frankenreiche zu widmen. Da eben (796) das Martinskloster zu Tours, eines der berühmtesten Heiligthümer des Abendlandes, erledigt war, übertrug ihm Karl dies nicht blos als Pfründe, sondern zur wirklichen Leitung, um sittliche und geistige Zucht dort zu begründen. Hier mit Stiftung einer Schule eifrig beschäftigt, für welche er sogar Bücher aus York kommen ließ, blieb A. doch mit dem Hofe und den Staatssachen in vielfacher und enger Berührung. Im Juni 800 namentlich bestand er in Aachen im Beisein des Königs und seiner Umgebung eine siebentägige Disputation gegen den Bischof Felix, den er durch die Zeugnisse der heiligen Schrift abermals zum Widerrufe drängte, während Elipand und andere seiner Anhänger hartnäckig an ihren Ueberzeugungen festhielten. Karl nach Rom zu begleiten auf jenem entscheidenden Zuge, der ihm die Kaiserkrone einbrachte, lehnte A. wegen zunehmender Kränklichkeit ab, sein Wunsch, sich von allen weltlichen Geschäften zu befreien, wurde immer dringender, und nachdem er eine Zeit lang an das ihm liebe Fulda als Ruhesitz gedacht hatte, zog er sich im J. 801, vom Kaiser beurlaubt, ganz nach Tours zurück. Wenige Jahre darauf schloß er, durch Alter und Siechthum erschöpft, die müden Augen 19. Mai 804.

[345] So die ziemlich einfachen äußeren Umrisse dieses Gelehrtenlebens, von dessen Entwickelungsgeschichte wir freilich ungemein wenig wissen. Der A., den wir an der Hand seiner Briefe und übrigen Schriften in die Werkstätte seines Geistes begleiten dürfen, ist der gereifte Mann und fast mehr noch der lebenssatte Greis, der ausschließlich der Vorbereitung für das Jenseits lebend, die heidnischen Dichter, an denen seine Jugend sich gefreut hatte, mit Herbe verwirft und Schauspiele als seelenschädlich verdammt. Suchen wir seiner Persönlichkeit näher zu treten, so erscheint er uns vor allem als ein Mann, dessen Beruf ganz und gar in geistig mittheilender Thätigkeit lag, dem daher die umfriedenden Klostermauern der natürlichste Aufenthalt waren. Zart und schwächlich von Natur, Jahre lang durch Kränklichkeit heimgesucht, scheute er den Lärm und die Gefahren des Feldlagers. Eine glückliche Fügung aber, der Scharfblick des größten aller mittelalterlichen Fürsten stellte ihn mitten in einen von hohen Zielen bewegten, mannigfaltigen und glänzenden Hof. Obgleich ohne eigentliches Amt, nur ein „demüthiger Levit“ (d. h. Diaconus), wie er sich stolzbescheiden zu nennen pflegte, erhob ihn das Vertrauen und die Freundschaft seines königlichen Herrn, dem er nur als Freier und nicht um Lohn diente, unter die ersten und vielen nützte seine Empfehlung. Mochten auch andere Gelehrte theils neben, theils nach ihm an derselben Stelle wirken, wie der Langobarde Paulus Diaconus, wie Petrus von Pisa, der Grammatiker, und die Iren Dungal und Dicuil, A. überragt sie alle weit durch Umfang und Erfolg seiner Lehrthätigkeit. Nicht von einer Akademie zur Fortbildung der Wissenschaften darf man sprechen – dieser Begriff paßt schlecht für jene rohe Zeiten, die blos nach Aneignung des überlieferten Stoffes strebten – sondern von einer Schule. A. hielt am Hofe Schule, wie er es vorher in York, nachher in Tours, gethan hat. Um dem Verkehre mit den hochgestellten Schülern und Schülerinnen eine zwanglosere Form zu geben, führte der Meister Beinamen ein, die der Bibel oder dem Alterthume entlehnt waren. Vater Albinus selbst hieß Flaccus (d. i. Horatius), sein Gebieter David oder auch Salomo, dessen Schwester, die fromme Aebtissin Gisla von Chelles, Lucia, Delia und Columba (Rotthrud) sind Königstöchter, die jungfräuliche Guntrada, Karls Geschwisterkind, heißt Eulalia. Zu den nächsten Freunden gehört Karls Eidam, Abt Angilbert von St. Ricquier, der Homer, dessen weltliche Neigungen A. öfter tadelt, ferner Guntradens Bruder Abt Adalhard von Corbie, Antonius genannt, die Erzbischöfe Rikulf von Mainz (Flavius Damoetas), der auch das Schwert zu führen weiß, Richbod von Trier (Macharius), ein allzu eifriger Verehrer des Vergil nach Alkuin’s Ansicht, der ehrwürdige Erzcaplan Hildebald von Köln (Aaron), der Patriarch Paulinus von Aquileja (Timotheus), als Theologe hochangesehen, ein Mitkämpfer gegen Felix, der schwarzhaarige Arno von Salzburg endlich, mit Uebersetzung seines namens Aquila, der Aar, von allen Alkuins Herzen am nächsten stehend. An diese, an Alter ihrem Lehrer meist nahe kommenden Männer schloß sich ein jüngeres Geschlecht, zu dem außer den Söhnen des Kaisers namentlich Pippin (Julius) und dem frommen Ludwig u. a. Einhard (Beseleel), der Künstler und Geschichtschreiber, Adalbert (Magus), später Abt von Ferrieres, und Rabanus (Maurus), der nachmals so berühmte Abt von Fulda und Mainzer Erzbischof, gehörte, letztere allerdings nicht mehr am Hofe selbst, sondern erst in Tours Alkuin’s Jünger. Ich übergehe den Oberküchenmeister Menalkas, den Kämmerer Thyrsis und so manche andere, die diesem gelehrten Kreise mit oder wider Willen sich einfügten und bemerke nur noch, daß A. auch manche seiner englischen Freunde mit ähnlichen Uebernamen zu belegen pflegte, so ist ihm König Ossa’s Tochter Edilburga Eugenia, Bischof Higbald von Lindisfarne Speratus, Erzbischof Eanbald II. von York Symeon etc. Neben der mündlichen Unterweisung, [346] für welche die Gesprächsform beliebt gewesen zu sein scheint, wurde auch die schriftliche gepflegt: selbst von den beschwerlichen sächsischen Feldzügen aus erbittet sich Karl Aufschlüsse über den Mondlauf und gern nimmt er Bücher als Geschenke entgegen. Der trockene Ernst der Belehrung ließ Raum zu freieren Uebungen des Geistes: Räthsel und dichterische Scherze und Spielereien flogen hin und her und es fehlte nicht an Spott und Sticheleien. So steht der Lehrer zugleich inmitten der heiteren und bisweilen ausgelassenen Geselligkeit des Hofes und er, den alle ob der Fülle und Gewandtheit seines Wissens preisen, verschmäht nicht die lehrhafte Brust durch den Trank des Bacchus oder der Ceres zu erfrischen.

Wie Alkuin’s persönliches Verhältniß zu Karl es schon beweist – ein durchaus offenes und würdiges Verhältniß, fern von niedriger Schmeichelei – so beweisen es auch seine zahlreich uns erhaltenen Briefe, daß er für die Freundschaft das wärmste Herz besaß. Sie, deren Werth er nicht müde wird zu rühmen, war ihm recht eigentlich Kern und Krone des Lebens, Verehrung und Anhänglichkeit von Genossen und Schülern aus der alten und neuen Heimath hat er bis an sein Lebensende in reichstem Maße besessen und verdient. Eine echt männliche Empfindung für die Freunde spricht aus vielen seiner Aeußerungen, mag er nun in zärtliche Klagen darüber ausbrechen, daß wieder einmal die erhoffte Zusammenkunft mit seinem geliebten Arno, dem vielbeschäftigten Diplomaten, gescheitert sei oder einem abtrünnigen Jünger väterliche Vorwürfe machen, daß er von ihm und dem Pfade der Tugend gewichen. Besonders dringend aber heischt er die Fürbitte der Freunde für sein Seelenheil, denn bei seinem etwas reizbaren und hitzigen Naturell ist er sich wohl bewußt, die Gebote christlicher Milde und Sanftmuth manchmal verletzt zu haben. Zog ihm doch sogar der Eifer, mit welchem er sich in einem seiner letzten Lebensjahre eines von dem Bischofe Theodulf von Orleans verurtheilten und schuldigen Geistlichen annahm, um das Asylrecht des heil. Martin aufrecht zu erhalten, eine nicht unverdiente Rüge des Kaisers selbst zu. Mit inniger Pietät hing A., auch nachdem er unter den „räuchrigen Dächern“ von Tours eine neue Heimath gefunden, an York, der Stätte seiner Jugendbildung, an Northumbrien und dem englischen Vaterlande überhaupt, das er nur verlassen, weil er im Frankenreiche größeren Nutzen für die Kirche stiften kann. Unablässig bleibt er sorgend und mahnend mit den dortigen Zuständen beschäftigt, die Ungerechtigkeit und Wollust der Seinen erinnert ihn nur zu sehr an die trüben Schilderungen, die Gildas der Weise von der Versunkenheit der alten Britten entworfen. Ein treuer und gehorsamer Sohn der römischen Kirche, hält A. die Reliquien, die er sich öfter aus Rom bestellte, hoch in Ehren und vertraut fest auf das Fürwort der Heiligen. Wenn er auch den Päpsten gegenüber persönlich wol eine freiere Stellung einnimmt, so bekennt er doch ausdrücklich, daß die päpstliche Gewalt die erste auf Erden und bei der Untersuchung gegen den schwer beschuldigten Leo III. hält er den Grundsatz aufrecht, daß über den Papst als obersten Richter niemand richten dürfe. Der Bekämpfung der adoptianischen Ketzerei widmete er mündlich, wie durch umfängliche Streitschriften gegen Felix und Elipand viel Zeit und Arbeit, auch die Mission lag ihm am Herzen und er empfiehlt dringend, Sachsen und Avaren durch sanfte Belehrung zu überzeugen, bevor man sie durch habgierige Eintreibung von Zehnten erbittere. In gleichem Sinne dringt er zum Besten des armen Volkes auf Unbestechlichkeit der Richter – ein für jene Zeit unerreichbares Ideal. Daß er in seinen späteren Lebensjahren, soweit körperliche Schwachheit es gestattete, sich einem strengeren ascetischen Wandel hingab, in Uebereinstimmung mit seinem Freunde, dem großen Klosterreformator Benedict von Aniane, ist nach Alkuin’s Denkweise nur zu natürlich. [347] War er doch von jeher ein begeisterter Lobredner des Mönchthums gewesen. Eine prophetische Gabe wurde ihm dann von seinen Verehrern zugeschrieben – so soll er Ludwigs Nachfolge bei Lebzeiten der älteren Brüder vorhergesagt haben –, ja sogar Heilwirkungen, aber unter ihre Heiligen hat die Kirche ihn nicht erhoben.

A., wenn man seine litterarische Thätigkeit in eins zusammenfaßt, war kein originaler Geist, der der Erkenntniß neue Bahnen eröffnet hätte, vielmehr steht er in der Reihe jener hochverdienten Männer, wie Isidorus und Beda, die das geistige Erbe des Alterthums in christlicher Umprägung, aber ohne wesentliche eigene Zuthaten dem Mittelalter überliefert und dasselbe so weiter fortgepflanzt haben. Lehrer auf den meisten Gebieten des damaligen Wissens, der Grammatik, Dialektik und Rhetorik, der Astronomie und Arithmetik, bezog er alles auf die Theologie. In dieser aber wog ihm die praktische und moralische Seite vor, wie er zumal gern die Werke Gregors des Großen zum Studium empfahl. Für nationale Litteratur hatte er keinen Sinn, auch wüßten wir nicht, daß er in seiner Muttersprache je eine Zeile geschrieben. In den Auslegungen zur Bibel, in denen die allegorische und mystische Deutung vorherrscht, schreibt er nach mittelalterlicher Weise den Augustinus, Hieronymus, Gregor, Beda und andere Kirchenväter wörtlich aus, ebenso in der Rhetorik den Cicero u. s. f., ohne daß er selbst oder andere an solchen Entlehnungen Anstoß genommen hätten. Höchst unbillig wäre es, an diese Arbeiten den Maßstab heutiger Gelehrsamkeit legen zu wollen: ihr Werth besteht darin, daß sie die Bedürfnisse ihrer Zeit, wie die der nächstfolgenden Jahrhunderte befriedigten. Von dogmatischen Gegenständen bearbeitete A. die Lehre von der h. Dreieinigkeit und vom Ausgehen des h. Geistes. Sehr geschätzt und viel gelesen blieben seine moralischen Schriften, wie die über die Tugenden und Laster an den Grafen Wido von der britischen Mark, über die Natur der menschlichen Seele an die Prinzessin Guntrada und über die Nothwendigkeit der Beichte an die Zöglinge seines Klosters. Lateinische Gedichte, deren Anfertigung ein nothwendiges Erforderniß damaliger Schulbildung war, namentlich Inschriften für Kirchen, wurden von A. zahlreich in heroischem und elegischem Versmaße, aber ohne höhere poetische Begabung verfaßt. Das ausführlichste unter ihnen verherrlicht die Bischöfe der Yorker Kirche bis auf seine Zeit herab. Von Heiligenleben arbeitete er zu erbaulichen Zwecken auf den Wunsch von Freunden das des h. Vedastus zu Arras und des h. Richarius stilistisch um, verfaßte dagegen selbständig das des h. Willibrord, des Friesenapostels und ersten Bischofs von Utrecht, den er seinen Verwandten rühmte. Das merkwürdigste Denkmal seines Geistes, das A. uns hinterlassen, sind vielleicht seine Briefe, die, wenn auch nicht ganz fehlerfrei geschrieben und bisweilen etwas überladen im Ausdrucke, sich doch durch lebendige und wirkungsvolle Sprache auszeichen. Ihr am häufigsten wiederkehrender Inhalt ist der der sittlichen Belehrung und Ermahnung, die Politik berühren sie fast nur im Bereiche der kirchlichen Verhältnisse. Es sei endlich noch daran erinnert, daß A. sich auch mit der Verbesserung des lateinischen Bibeltextes beschäftigte und daß er sich durch seine Fürsorge für Rechtschreibung und Interpunction ein hohes Verdienst um bessere Vervielfältigung von Handschriften erwarb.

Alkuin’s weltgeschichtliche Sendung ist in dem Anschlusse an seine Vorgänger, die angelsächsischen Glaubensboten zu suchen, deren Werk er weiterführte. Während England durch die Bekehrung von Rom aus frühzeitig mit den Resten der alten Cultur bekannt geworden und neben Italien und Irland denselben bald eifrige Pflege zuwandte, lag das fränkische Volk noch in tiefer Verfinsterung und Verwilderung und mußte erst von jenseits des Canales die Leuchten empfangen, die seiner Geistlichkeit zu sittlicher Strenge und sodann auch zu gelehrten [348] Studien den Weg zeigten. Wenn gerade A. unter den Männern, welche die Leistungen der Franken bald zu gleicher Höhe mit den übrigen erhoben, die erste Stelle einnimmt, so verdankt er dies nicht allein seiner großen persönlichen Lehrgabe, sondern vor allem dem Umstande, daß er Karls des Großen Freund und Rathgeber wurde und seinen Wirkungskreis in den Mittelpunkt der ganzen abendländischen Christenheit verlegte. Die Strahlen, die von Aachen, sowie später von Tours ausgingen, haben unmittelbar das romanisch-deutsche Frankenreich erhellt, mittelbar besonders das eigentliche Deutschland durchleuchtet, in dessen berühmtesten Lehrern, einem Rabanus, Walahfrid etc., sich nur ein Abglanz von Alkuin’s umfassenderer Thätigkeit offenbart. Hat er auch nicht, wie er wollte, ein „neues Athen“ unter seinen Händen erwachsen sehen, Grundsteine zu einem solchen hat er mindestens gelegt, auf welchen wir noch heute fortbauen. Karls Hofschule aber verfolgte darin zumal ein höheres Ziel, als die nachfolgende kleinere Zeit, daß sie die Wissenschaft nicht blos der Geistlichkeit, sondern auch den Laien mittheilen wollte, wovon man bald genug wieder abließ. –

Die erste Gesammtausgabe von Alkuin’s Werken veranstaltete André du Chesne: Alchuini abbatis … opera quae hactenus reperiri potuerunt omnia … studio … Andreae Quercetani. Lutetiae Paris. 1617 ss., die zweite erheblich vermehrte und verbesserte der Fürstabt Frobenius Forster zu St. Emmeran in Regensburg: B. Flacci Albini seu Alcuini … opera … de novo collecta … studio Frobenii, Ratisbonae 1777, 2 vol. fol. Eine bloße Wiederholung der letzteren ist der Abdruck bei Migne, Patrologiae cursus completus t. 100,101, Paris 1851, woselbst nur ein von Angelo Mai herausgegebener Commentar zur Offenbarung Johannis neu hinzugekommen ist. Die Briefe (sehr vermehrt) und einiges andere, namentlich auch die in beschränkt mönchischem Geiste unter Ludwig dem Frommen verfaßte „Vita Alchuini“ sind in dem sechsten Bande von Jaffe’s Bibliotheca rerum Germanicarum, 1873, herausgegeben durch Dümmler und Wattenbach. Ueber A. handeln: Friedr. Lorentz, Alcuin’s Leben, Halle 1829, und Francis Monnier, Alcuin et Charlemagne. 2. édit. Paris 1863, beide nicht ganz genügend.