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Artikel „Ebert, Adolf“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 230–241, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ebert,_Adolf&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:09 Uhr UTC)
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Ebert, Karl
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Ebert: Georg Karl Wilh. Adolf E., Romanist und Litterarhistoriker, wurde am 1. Juni 1820 zu Kassel geboren. Die Vermögenslage der Familie verhieß ihm keine glänzende Zukunft. Er durchlief seit Mai 1835 mit gutem Gewinn für seine späteren Interessen und Arbeiten das dortige (jetzt kgl. Friedrichs-)Gymnasium, das am 14. August 1835 als Lyceum Fridericianum neu organisirt wurde. Am 13. April 1836 trat an der Anstalt Franz Dingelstedt als Hülfslehrer für neuere Sprachen und Litteratur ein (s. A. D. B. XLVII, 708), dem der litteraturbegeisterte Gymnasiast E. näher kam; jedenfalls ward E. Mitarbeiter, zeitweise Redactionssecretär der „Wochenschrift für Heimath und Fremde“ ‚Der Salon‘, die der im September 1838 strafweise nach Fulda versetzte Dingelstedt 1840–42 theils herausgab, theils durch Frdr. Oetker redigiren ließ. Zweifellos empfing E. auf dem Gymnasium eine anreizende Einführung ins Verständniß von Litteratur und Geschichte. Aus Vergnügen an den Gebilden classischer Poesie sowie aus früher Einsicht in ihren Geist kam ihm Anlaß, deutsche und fremde Muster nachzuahmen, indem er sich an eigene Schöpfungen wagte, die ihm bald in der Heimath einen gewissen Namen als Dichter machten. Weder Sucht sich auszutoben noch eine Anwandlung der dazumal blühenden Romantik zogen ihn in den Dienst der Muse; vielmehr neigte der Jüngling mit dem schwächlichen Körperbau und der schier nüchternen Denkweise zu nichts weniger als unklarer Stimmungssimulation oder revolutionärem Gepolter, wie sie vor und kurz nach 1840 üppig in die Halme schossen. Darum fesselten ihn auch beim Antritte des dritten Lebensjahrzehnts mehr als die Poesie Entwicklung und Bedingungen der geschichtlichen und culturellen Verhältnisse bei den Völkern des Mittelalters. So bezog er April 1840 die Hochschule willens, sich [231] der Geschichte und Litteratur, vornehmlich der romanischen Völker, in ernstem Studium zu widmen, gab freilich als Abiturient „Philosophie“ an.

Zuerst studirte E. trotz des unerquicklichen Drucks, der unter Wilhelm II. (bis 1847) und dem Kurprinzen und -fürsten Friedrich Wilhelm in Hessen-Kassel jede freiere geistige Regung hemmte, zu Marburg, obwol ihn dies Provinzialstädtchen stets unsympathisch anmuthete, damals auch keine seinen Zwecken gelegenen Vorlesungen darbot. Emanuel Geibel, dessen „Zeitstimmen“ E. 1842 im genannten „Salon“ II. Jahrg. S. 27 fg. sehr anerkennend besprach und der nach Pfingsten 1841 fast ein Jahr auf Schloß Escheberg bei Kassel der, vor allem an spanischen Schätzen reichen Bibliothek Karl’s von der Malsburg widmete, kann E., der sich noch 1856 auf die Geibel unvergessene Bekanntschaft des „noch unbekannten Dichters mit dem Studenten Berufende, nur in einer der nächsten Ferienzeiten kennen gelernt haben. Denn zu Ostern 1841 ließ sich E. als Studiosus der Philosophie und Geschichte in Leipzig immatriculiren, wo er, bezeichnend für seine dünne Börse, in einer der „Studentenbuden“ des „Kleinen Fürstencollegiums“ (in Universitätsbesitz) campirte; im Herbst in Göttingen, dann in Berlin. Er promovirte 1844 zu Göttingen glänzend Mit „Historia Ioannis Secundi Castellae regis, usque ad pugnam apud Olmedum commissam enarrata“ (VI u. 27 S.). Diese lateinische Dissertation über den ersten Theil der Regierung des Mäcenas Johann II. von Castilien – 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts – verdeutlicht Ebert’s Art, Geschichte und Litteratur im Zusammenhange zu treiben, und kündigt seine fernere Richtung schon im Eingange (S. III) an.

Wie die Promotionsschrift erweist, fühlte sich E. zunächst mehr zum Historiker berufen. Als solcher trat Herbst 1845 der junge Privatdocent in den Göttinger akademischen Lehrkörper. Er las daselbst über die Geschichte Spaniens, die Aera Ludwig’s XIV., Geschichte des Mittelalters und der romanischen Nationen, ohne Anklang. E. hatte sich in die Aufstandsbewegungen in Spanien nach Karl’s V. Thronbesteigung versenkt, als die Ereignisse von 1848 daherstürmten. Zufolge der Vorrede seiner „Quellenforschungen aus der Geschichte Spaniens“ (1849) beabsichtigte E., in der Gesammtheit jener Freiheitsregungen die Wurzel für den jähen Sturz des mächtig emporgeblühten Staatswesens bloßzulegen. Da aber die spanischen Archive dafür noch unzugänglich waren, beschränkte er sich auf die Germania, die republikanisch angelegte Verbrüderung der Gewerke Valencias in Karl’s V. Anfängen, die mittelalterliche Verfassung dieser Stadt und Barcelonas vorher darlegend. Fülle und Verwerthung der Materialien sind trotzdem bewundernswerth. Auch der Mensch Ebert nahm Antheil an dieser dramatischen Episode von der Gründung des „heiligen Bundes“ 1519 bis zum unseligen Zusammenbruche 1524, da dessen Anhänger wegen übermäßiger Belastung der hölzernen an steinernen Galgen endeten. Wir begreifen nach dem Wohlwollen, das er den Helden jener Empörung und der Tendenz ihrer Parteigänger schenkt, die Aeußerung der Vorrede: des lange durchforschten Stoffs künstlerische Gestaltung sei besonders durch die Niederschrift während einer Zeit beeinträchtigt worden, „wo kaum die Wissenschaft einen Trost für das hereinbrechende Unglück des Vaterlands zu geben vermag!“ Nun erzählt 18 Jahre später der über eigene Motive sonst wortkarge E. im Nekrolog auf Ferd. Wolf, letzterer habe, schon lange mit einer „Geschichte des [erwähnten] Städteaufstande in Spanien“ schwanger, laut seinem ersten Briefe an E. vom 2. Februar 1850, aus dem Jahre 1848/49 die lebhafteste Aufforderung zur Durchführung gesogen, mit der Absicht, „der Gegenwart, wenn sie wieder der Besinnung fähig geworden, ein Spiegelbild der Vergangenheit, ein historisches Medusenhaupt vorzuhalten“ [232] u. s. w,; andererseits habe Wolf damals und danach ihm mehrfach nahegelegt, den Plan, den er (wie E. von sich sagt) „früher gehegt hatte (obschon in einer andern Absicht)“, aufzunehmen, da ihm selbst zu dem Werke, das „so recht an der Zeit“ sei, die Muße fehle: „die Zeitverhältnisse aber, die Wolf zur politischen Geschichte hinzogen, hatten mich gerade ihr abtrünnig gemacht“. Hier sehen wir die so überaus folgenreiche Verbindung dieser beiden Mitväter der neuen romanistischen Litteraturgeschichte sich anknüpfen, dazu den psychologisch seltsamen Fall, wie ein deutscher Gelehrter wegen jener, von ihm gar nicht einmal activ begleiteten Begebenheiten als Historiker resignirt und sich auf die Dauer objectiver zu treibenden Studien ergibt. Daß E. einmal an Robert Blum, den November 1848 standrechtlich Erschossenen, einen Brief geschrieben, war der einzige, auf Thatsachen fußende Vorwurf, als er an amtlich maßgeblicher Stelle im Heimathlande die ganzen nächsten Jahre im fatalen Geruche eines Demokraten stand.

E. hat sich nämlich, nachdem er schon für Sommer 1849 und Winter 1849/50 statt historischer Collegien eines über italienische Litteratur angekündigt, direct von einem zeitweiligen Aufenthalte in der Geburtsstadt, ohne sich in Göttingen zu verabschieden, nach Marburg umhabilitirt, wo er nicht nur als Einheimischer persönlich und in der Laufbahn eher befriedigt zu sein hoffte, sondern man ihm „goldene Berge versprach“. Winter 1850/51 las er nun noch über „Allgemeine Geschichte von der Eroberung Konstantinopels bis zum Tode Karls V., verbunden mit Kritik der wichtigsten Quellen“. Im übrigen sattelte er aber völlig um und schrieb auch 28. September 1851 an Wolf, er wolle in Vorlesungen und Studien künftig die politische Geschichte vollständig liegen lassen und sich ganz der Litteraturgeschichte sammt dem Unterrichte der neueren Sprachen zuwenden. Neben „Geschichte der deutschen Litteratur seit Opitz bis auf unsere Zeit, mit besonderer Rücksicht auf die sociale und politische Entwicklung der Nation“ und „Ueber Schiller und Goethe, vom kulturgeschichtlichen Standpunkte“ – beide, öfters wiederholt, zeigen seine immer festgehaltenen Beziehungen zum vaterländischen Schriftthum sowie seine bis zuletzt unverrückbare Anschauung, die Culturverhältnisse als Parallelmoment der Litteratur nie zu vernachlässigen – treten allmählich im Laufe des Jahrzehnts Spanisch, Italienisch, Französisch, Provenzalisch sowie Englisch, und zwar mit Vorzug des Sprachlichen inbegriffen erklärender Lectüre (häufig auch Shakespeare’s), während die Litteraturgeschichte nur die italienische und französische öfters heranzog. Dazu kamen eine Vorlesung über das Drama im allgemeinen, eine über das mittelalterliche Theater bei den Germanen und Romanen, dessen Geschichte er damals schreiben wollte, endlich im Sommer 1862, dem letzten Marburger Semester „Einleitung in das Studium der romanischen Sprachen und Litteraturen“ und Erklärung von Crestien’s von Troies „Chevalier au lyon“. Der für damals recht umfängliche Kreis der Themata bot viel mehr als jede andere Universität außer Bonn, wo längst Fr. Diez und auch N. Delius wirkten, auf neuphilologischem Felde; freilich kamen wegen der geringen Zahl der Studirenden des Fachs (z. B. Sommer 1857 nur 5) manche Vorlesungen nicht zu Stande, und E. klagt in vielen Briefen über das Unbefriedigende seiner Thätigkeit. Dazu wirkten allerdings noch gewichtigere Umstände mit. In erster Linie die Aussichtslosigkeit, in Marburg oder anderwärts trotz nachdrücklicher Vertretung seines Fachs zu einer Professur dafür zu gelangen, dann der, eindringlichere wissenschaftliche Forschungen erschwerende Mangel litterarischer Hülfsmittel ebendaselbst; dabei allerlei „Kläglichkeiten“ in „diesem elenden Neste“, „die erbärmliche kleinliche Klatschsucht“ in dieser „erbärmlichsten Misère des Philisterthums“, wo E. den Unterricht einer jungen [233] geistreichen Dame im Italienischen – für die er auf Wunsch eine romanische Metrik in Briefform mit vielen Uebersetzungsproben verfassen wollte – „unter solchen Schildbürgern“ aufgeben mußte und „kein Kunstgenuß, kein Theater, kein Concert, kein Gemälde u. s. w.“ den schönheitsfreudigen Mann etwas entschädigten. Obwol er „niemals irgend welche politische Thätigkeit entwickelt“, „bloß aus meiner liberalen Gesinnung kein Geheimniß gemacht“ hatte, verhinderte der Ruf eines „Demokraten“, in dem E. bei dem allmächtigen Minister Kurhessens, Hassenpflug, und dessen Referenten für Gelehrtenschulen und Landesuniversität, Prof. Vilmar, dauernd stand, die Beförderung. Und so erzielten der warme Vorschlag des akademischen Senats auf eine dotirte außerordentliche Professur für E. Ende 1853 und die entschiedene Wiederholung dieses Antrags Ostern 1854 keinen Erfolg. Ebert’s zäher, aber wenig robuster Körper litt ebenso unter dieser Unsicherheit wie sie seine geistige Fähigkeit lähmte. Endlich nach Hassenpflug’s Abgang nochmals im März 1856 vom Senat unter Beistimmung des insgeheim gegen E. intriguirenden Vilmar vorgeschlagen, wurde E. am 5. Juli 1856 mit 300 Thalern Gehalt zum außerordentlichen Professor ernannt, obwol ein, schon lange unbesetztes Ordinariat für „abendländische Sprachen und Litteraturen“ (dies füllten auch Ebert’s nächste Nachfolger L. Lemcke und B. ten Brinck ebenfalls noch aus) bestand. Von all diesen amtlichen und privaten Widrigkeiten entwirft der private Briefwechsel, den E. während jener ganzen Periode mit dem befreundeten Wiener Fachgenossen Ferd. Wolf führte, ein lebhaftes und für jene Zeitverhältnisse lehrreiches Bild. Mehrmals sehnt sich da E. ins „Ausland“ d. h. aus Kurhessen oder sogar Deutschland heraus in einen Bibliotheks- oder ähnlichen Posten, wenn ihm als Reformirten Baiern oder Oesterreich verschlossen sein sollten. Von den Regierungen dieser Staaten erhoffte er Unterkommen und Stützung seines Fachjournal-Unternehmens; 1856 wünscht er „in Bayern irgend eine meinen Studien entsprechende Stellung“ und schreibt, der Bibliothek und ihrer Manuscripte gedenkend: „in München selbst möchte ich vor allem am liebsten sein“, und noch 6. December 1861 nennt er sich „Austrophile“ und äußert: „Ich schätze überhaupt die Süddeutschen höher als die Norddeutschen, und nichts ist mir mehr zuwider als das wahrhaft sterile Preußenthum. Einen Wunsch habe ich nur, daß es Oesterreich gelingt, von dem Concordat sich zu befreien, dann wird das deutsche Element mit Leichtigkeit alle anderen niederhalten, und wenn sie nicht anders wollen, seine Herrschaft fühlen lassen“(!).

Das Handbuch der italienischen Litteratur, Ende 1853, und das Werk über die französische Tragödie, Sommer 1856 erschienen, raubten ihrem öfters kränklichen Verfasser endlose Mühe und Zeit, ohne ihn finanziell zu sichern, und so war seine Lage fortwährend prekär: nothgedrungen gab er mehrfach Privatunterricht in Sprachen und dachte wiederholt an Uebersetzen etwa spanischer Novellen mit Einleitungen und Anmerkungen, wie er 1860 eine Bibliothek der Litteratur des Auslands d. h. gute Verdeutschungen von Romanen, Dramen u. s. w. mit Wolf, Frdr. Halm (Münch-Bellinghausen), Liebrecht, P. Heyse unternehmen wollte. Zu Namen, und anstrengender Arbeit, nicht so lohnendem pecuniären Zuschuß verhalf besonders das „Jahrbuch für romanische und englische Literatur“, dessen Ursprung und Herausgabe das Haupt-, theilweise sogar das einzige Thema in der ausgedehnten Correspondenz Ebert’s mit Wolf bildet. Seit 1853 hatte ihn der Mangel eines Centralorgans für die sich fester concentrirenden Forschungen im Gebiete der neueren fremdsprachlichen, insbesondere der romanischen Philologie nicht locker gelassen, „da das [ Herrig’sche] „Archiv für neuere Sprachen“ im [234] allgemeinen doch auf einem gar niedern Standpunkte steht“. Ueber drei Jahre, mehrfach fallen gelassen und nach den verschiedensten Seiten hin Fühlung suchend, zogen sich die Verhandlungen mit F. Wolf und verschiedenen Verlegern bis in den Mai 1858 hin. Im October erschien das erste Heft dieses neuphilologischen Fachorgans, „dont l’apparition fait date dans l’histoire de la philologie romane“ (Th. Ruyssen) und das, wennschon mit Pause, bis 1876, also bis zum Aufkommen specieller Zeitschriften für Romanisch und Englisch aus dem Schoße einer neuen Generation – die übrigens zum größten Theil in Ebert’s Leipziger Hörsaal gesessen – die Fachmänner nebst ihren Veröffentlichungen zusammenzuhalten bestimmt war. Trotz eifrigster Hingabe Ebert’s führte sich das „Jahrbuch“ nicht so gut ein, daß es buchhändlerisch einigermaßen rentirt hätte, und so lauerte vielfacher Aerger für E., der, um für selbständige Arbeit die Arme frei zu bekommen, öfters die Redactionslast ganz abschütteln wollte. In München durch Baron Schack, den Mitarbeiter Paul Heyse, Wolf (der bair. Akademiker war) Subvention oder wenigstens greifbares Interesse bei König Max II. zu erwirken, mißlang. So ging der Verlag Frühling 1861 von Asher Co. und Dümmler in Berlin an Brockhaus in Leipzig über. Eine Reise nach der Französischen Schweiz, um sich wieder einmal in Conversation zu üben, scheiterte im Sommer 1862 an schwankender Gesundheit. „Aller und aller Illusionen bar“ und „auf dem Punkte schon angelangt, kaum etwas von der Zukunft zu erwarten“, wurde E. am 10. Juni 1862, unico loco vorgeschlagen, als Ordinarius auf den eben errichteten Lehrstuhl der romanischen Sprachen und Litteraturen an der Universität Leipzig berufen, was er wie eine Erlösung annahm; ein anonymer Brief aus Marburg an das sächsische Ministerium hatte ihn nicht verdächtigen können. Mitte October übersiedelte E. dorthin, Mitte November hielt er die Antrittsvorlesung über den Gang der Entwicklungsgeschichte der romanischen Sprachwissenschaft und der Litteraturgeschichte. Das vielfältig anregende Leipzig mit den gelehrt-litterarischen Interessen und Kunstgenüssen behagte ihm im Vergleich mit Marburg ungemein. Gerade sechs Jahre ständiger Mitarbeiter an Friedrich Zarncke’s „Litterarischem Centralblatt“, trat er zu ihm, der ihm höchst collegial entgegenkam, in ein Verhältniß, dessen Freundschaftlichkeit bis zu Ebert’s Tode immer mehr wuchs und in des überlebenden Collegen beredtem und bewegten Nachrufe gipfelte. Zarncke freilich, „an den allein zu denken wäre“ als Leipziger Mitarbeiter des „Jahrbuchs“ (das. V, H. 2 Z.s Aufsatz über Brut y Tysilio), hatte mit dem „Lit. Ctrlbl.“ vollauf zu thun; und da das „Jahrbuch“ E. manche Verdrießlichkeit verursachte, andererseits die ihm sehr zusagende akademische Wirksamkeit ihn stark in Anspruch nahm (er brachte alle Vorlesungen zu Stande und schloß Sommer 1864 deren Cyklus ab), auch alle Erwägungen, es, etwa in Wien unter Mussafia nebst Wolf Vater und Sohn zu consolidiren, sich zerschlugen, trat er mit dem Schlusse des 5. Bandes im September 1864 von der Redaction zurück. Aus einem andern Unternehmen, das „alles Wichtige im Jahrbuch ersetzen werde“ und für das Wolf seinen Aufsatz über die jüngste spanische Litteratur zurückhalten solle (Jan. 1864), wurde nichts. Damit schlief auch der Briefwechsel zwischen E. und Wolf ein: die Freunde, die sie aus Fachgenossen geworden, haben sich nur im Bilde gesehen, da eine geplante Wiener Reise – wie andere verhinderte sie E.s beinahe periodisch leidender Zustand – ins Wasser gefallen war. Schon in Marburg klagte er wiederholt über Augen- und Ohrenleiden, und auch die Uebersiedlung nach Leipzig erfolgte unter Unwohlsein. Dabei schlug ihm der Tod der geliebten Mutter (16. Januar 1864), die schon seit dem Umzuge mit ihm recht gekränkelt, eine schwere Wunde, machte ihn selbst halbkrank und [235] hing ihm lange nach. Er kaufte sich an ihrer Seite ein Grab, in dem er nun ruht, blieb aber trotz einer ihm von Freund Wolf gemachten Andeutung vom Heirathen (Antwort 5. Octbr. 1864) Hagestolz. Am 8. Juni 1859 hatte er brieflich den verwittweten Wolf den Jüngeren getröstet, „daß er doch ein Herz besessen habe, das ihn liebte, welches Glück nicht jedem zu Theil wird“. Im Herbst 1864 besuchte er auf einer Ferienreise Kassel und Marburg. Damit trat er an seinen dortigen Amtsnachfolger die fernere Ueberwachung seines Schmerzenskindes ab, das nun seinen Weg in die Welt nahm mit dem Untertitel „unter besonderer Mitwirkung von Ferdinand Wolf und Adolf Ebert herausgegeben von Ludwig Lemcke“, und seit Wolf am 20. Februar 1866 nach einem für die Romanistik so gesegneten Dasein ins Grab sank, „begründet im Verein mit F. W. von A. E., herausgegeben von L. L.“. Zwei wichtige Aenderungen gingen bei diesem Anlasse vor sich. E. bot keine größeren Beiträge mehr – seine Zeit war anderweit festgelegt – abgesehen von der gehaltvollen, für die Geschichte des Fachs wahrhaft ergiebigen Abhandlung „Ferdinand Wolf. Seine Bedeutung für die romanische Philologie, namentlich die Litteraturgeschichte“ VIII (1867), 271–305, die fast zu gleichen Theilen dankbare Pietät wie der Wunsch, den Antheil des langjährigen Arbeitsgefährten für die Wissenschaft festzustellen, dictirt hat. Sodann sind folgende Mittheilungen bezeichnend, die Lemcke auf dem Vorsatzblatte des ersten Heftes zu Band VI macht: bei unveränderter äußerer Einrichtung wird das „Jahrbuch“ hinfort auch dem rein philologischen Theile seines Gebiets die Rücksicht zu Theil werden lassen, die der nunmehrige Stand der Wissenschaft erheischt (Wolf hatte im April 1855 Ebert’s Beifall dafür erhalten, rein ästhetische und rein philologische d. h. grammatische Arbeiten auszuschließen); zweitens dürfen Gelehrte des Auslands künftig ihre Muttersprache gebrauchen, wenn das eine gebildete romanische oder das Englische ist. Man halte daneben Ebert’s Bedauern Jahrb. V, 240 am Ende seiner eingehenden, die Eroberungsthat schön hervorhebenden Anzeige von Wolf’s „Le Brésil littéraire“ – welches Werk der Verleger nur in französischer Uebersetzung (G. van Muyden’s) annahm – „daß dem Verf. es nicht vergönnt gewesen ist, das Werk in deutscher Sprache zu veröffentlichen … Aber auch das Vaterland hat seine Rechte“.

Durch den Tod der Mutter, auch wohl die seit Verzicht auf die Redaction eintretende Minderung persönlicher Beziehungen fühlte sich E. vereinsamt. Am 5. September 1864 erklärt er Wolf, sich nun ganz in seine Studien vergraben zu wollen: „das lang beabsichtigte große Werk soll den ganzen Rest meines Lebens beschäftigen: eine „Allgemeine Geschichte der Litteratur seit dem Christentum“, nachdem er am 28. März 1863 von den mit Prudentius anhebenden Studien zu einer ‚Allgemeinen Geschichte der Litteratur des Abendlandes‘“ gemeldet hatte. In dem letzterhaltenen Briefe der Wolf-Correspondenz, der somit einen Ausblick auf die Krone seines Schaffens, die seine übrigen drittehalb Jahrzehnte ausfüllen sollte, heißt es: „Ob ich je zur Vollendung des Ganzen gelange, ist freilich zweifelhaft. Der erste Band allein kann mich mehrere Jahre beschäftigen. Doch die Ausarbeitung geschieht zunächst in meinem eigenen Interesse; und so ist die Frage der Publication für mich sehr untergeordneter Art.“ Seinen Zuhörern trug er zuerst in den Wintersemestern 1866/67, 1868/69, Sommer 1871 über christliche lateinische Litteratur bis auf Karl d. Gr. wie Proben seines epochemachenden Werkes vor, das in den nöthigen, dem Kenner erklärlichen Pausen, 3bändig 1874–87 erschien und, wie das Vorwort vor dem 2. Bande sagt, durch Gesundheitsstörungen wiederholt gehemmt wurde; Band I ist „den lieben Freunden Friedrich Zarncke [236] und Georg Voigt gewidmet“ und verlangte im J. 1889 eine neue, auf Grund der Specialstudien, die E. selbst meist hervorgerufen hatte, (so dankt die Vorrede zum 3. Bande 1887 seinem einstigen Schüler und nunmehrigen nächsten Leipziger Amtsgenossen Richard Wülker, der 1885 seinen „Grundriß zur Geschichte der angelsächsischen Litteratur“ veröffentlicht hatte, für seine Beihilfe), verstärkte Auflage. Den bescheidenen, leiblich nie ganz festen Mann absorbirten seine Studien vollständig, und so lebte er meistens zurückgezogen, jedem lauten Lobe, jeder Hervorziehung seiner Person ängstlich ausweichend. Akademische Ehren nahm E. grundsätzlich nicht an – wenn man nicht dahin rechnet, daß er, am 22. Juni 1867 Mitglied der Leipziger Akademie, der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften geworden, als deren stellvertretender Secretär (d. h. 2. Vorsitzender) in der philologisch-historischen Classe seit 12. Decbr. 1883 bis zum Tode fungirte. Die ausgedehnte Arbeit „Tertullian’s Verhältniß zu Minucius Felix, nebst einem Anhang über Commodian’s Carmen Apologeticum“, die er 1868 in des V. Bds. der „Abhandlungen d. philol.-hist. Cl. der K. S. G. d. W.“ Nr. 5, S. 319–386, bezw. 387–420 veröffentlichte, sowie seine vier Beiträge zu den „Berichten“ ebenderselben sind lediglich als Vorstudien zur großartigen Hauptarbeit zu betrachten. Diese Aufsätze in den „Berichten“ der K. S. G. d. W. sind: „Ueber den Verfasser des Buches de mortibus persecutorum“ (Ber. 22, 1870, 115–138); „Ueber die Rätselpoesie der Angelsachsen, insbesondere die Aenigmata des Tatwine und Eusebius“ (Ber. 29, 1877, S. 52–56); „Kleine Beiträge zur Geschichte der Karolingischen Litteratur“ (Ber. 30 II, 1878, S. 95–112); „Ueber das angelsächsische Gedicht ‚der Traum vom heiligen Kreuze‘“ (Ber. 36, 1884, S. 81–93). Nachdem E. den Abschluß seines stattlichen Compendiums, das die Sammel- und kritische Ausbeute eines vollen Viertelsäculums umfaßt, und die Revision des ersten, grundlegenden Teiles durchgeführt hatte (September 1889), stand er an der Schwelle der 70 Jahre-Norm des Psalmisten. Eine öffentliche Feier des Datums, wie sie Schüler und Collegen vorhatten, ließ er nicht begehen, und genau einen Monat darauf, am 1. Juli 1890, raffte den bis zum letzten Augenblicke forschungsfreudigen Gelehrten, der im höheren Alter häufig der erwünschten Schaffenskraft vorübergehend beraubt gewesen, nach kurzer Krankheit ein Herzleiden weg. Dem anspruchslosen, liebenswürdigen Menschen, dem treuen Freunde reinen Gemüths, dem unersetzlichen Gelehrten und hochgeschätzten Lehrer bereiteten Universität, Collegen und Schüler eine erhebende Trauerfeierlichkeit.

Ebert’s Leben, an sich äußerlich wenig ereignißreich, bietet doch ein erhöhtes Interesse dar durch die mannichfaltigen, für ihre Zeit typischen Mühsale, die er zu überwinden hatte, um sich und seiner Wissenschaft ein Fleckchen an der Sonne zu erringen, insbesondere auch um dem publicistischen Werkzeug der von ihm ideal erfaßten Wissenschaft das Dasein zu ermöglichen. Die politische Anfeindung, die der gemäßigt liberale, nie agitatorische Gelehrte in Kurhessen ungerecht erduldete, reiht ihn hinter jene Märtyrer ihrer Ueberzeugung, wie sie dem deutschen Gelehrtenstand vor und nach der Mitte des 19. Jahrhundert seit dem gewaltsamen Exodus der berühmten „Göttinger Sieben“ Ehre gemacht hatten. Beiderlei Ungunst der Zeitumstände hat den redlichen Apostel der Romanistik und Litteraturgeschichte bis ins 42. Jahr niedergehalten und auf der schwächlichen Constitution nachhaltige Spuren hinterlassen. Um so wunderbarer, wie der 54jährige noch an den Druck seines imposanten, lange in die Wege geleiteten Werkes schritt, das er 67jährig abschloß und ¾ Jahre vor dem Tode nochmals neu vorzustellen begann. Die Lebensgeschichte und Laufbahn Ebert’s sind ein deutliches Zeugniß des Ringens [237] einer jungen, heute längst voll und stark entfalteten Sonderwissenschaft, der Neueren Philologie und Litteraturgeschichte, zur Selbständigkeit. Auch sie wollte sich neben ihrer mit Staatsmitteln reich ausgestatteten altclassischen Schwester und der soeben aufgewachsenen Zwillingsschwester, der Germanistik, ihr Recht am Tische ertrotzen. Sie stak zwar bis zu einem gewissen Grade noch in den Kinderschuhen, aber sie spannte alle ihre Kräfte an, um anerkannt und auch von oben her gefördert zu werden. Darum hat auch E. nie gezaudert, die grammatisch-linguistische Seite seines Feldes – zunächst auch des Englischen mit, später ausschließlich der Romanistik – auf dem Katheder ebenso energisch mitzuvertreten wie die seinem Herzen naheliegende litterarhistorische, welche in seinen Publicationen allein zur Geltung kam. Zwar sprach er es überzeugt mehrfach aus – eine Forderung, die sogar heute erst an Nordamerikas Universitäten erfüllt ist – zur ausgiebigen Pflege der neueren Philologie gehöre für jedes wichtige Sprachgebiet ein linguistischer und ein litterarhistorischer Professor, ohne dabei den geringsten Zweifel zu lassen, daß ihn Sympathie und Studiengang bloß zum letzteren Amte zögen. Gleichwol erfüllte er in Marburg dem Bedürfnisse gemäß sogar überwiegend die linguistischen Erfordernisse und lieferte während der langen Leipziger Wirksamkeit in regelmäßigem Intervall den Studiendebütanten die universal einführende „Einleitung in das vergleichende Studium der romanischen Sprachen“, wo neben den feinsinnigen Litteratur-Ueberblick eine großzügige, dennoch das Individuelle betonende Rundschau über die Entwicklung sämmtlicher einschlägigen Sprachgebiete nebst deren Mundarten trat, die außer litterarischen auch genug rein philologische Probleme aufwarf und so mancherlei gelungene Arbeiten in der Dialektkunde veranlaßte. Ueberhaupt beruhte Ebert’s Wirken als Docent, wie es sich in Leipzig allmählich ausgestaltete, wesentlich auf den bedacht angelegten und sorgsam ausgearbeiteten Vorlesungen, die er ständig durch Ergänzungen auf dem Laufenden erhielt, nicht auf seinem Versuche seminaristischer Uebungen, die er, wie in Marburg anfänglich, einmal in einer „Litteraturgeschichtlichen Societät“, regelmäßig in einer „Romanistischen Gesellschaft“ mit mannichfaltigen Anregungen veranstaltete. Freilich ist er deren Theilnehmern und den Mitgliedern des „Akademischen Vereins für neuere Philologie“, dessen Ehrenmitglied er natürlich war, selten näher getreten, was theils in höheren Jahren das Befinden verbot, theils sein bis zuletzt bewahrtes Zurückhalten: dies grenzte fast an Schüchternheit und erschwerte es jüngeren Leuten ziemlich, wissenschaftlichen Beirath oder gar Halt bei ihm zu finden. Das ist mit eine Ursache, daß E. keine „Schule“ gebildet hat; trotzdem haben nicht nur Hunderte nachheriger tüchtiger Lehrer der neueren Sprachen, sondern genug spätere akademische Fachleute mit großem Erfolg zu seinen Füßen gesessen. Durch große culturelle Gesichtspunkte sowohl wie durch stetiges Aufrechterhalten der Totalität der romanischen Philologie hat er jene fast noch mehr als durch sachlichen Reichthum mit Interesse und Bewunderung für das sprachlich-geistige Leben der weltgeschichtlich unvergänglichen romanischen Völkergruppe zu erfüllen gewußt. Hat E. sich auch nicht wie der, übrigens mit Unrecht einseitig als Grammatiker ausgeschrieene Vater und Altmeister der Romanistik, Friedrich Diez, in beiden Rayons des Fachs forscherisch und schriftstellerisch bethätigt und dem in den Siebzigern und Achtzigern des Jahrhunderts, wie in der Germanistik, mächtig hervordrängenden jung-linguistischen Streben – das ja schon sein Nachfolger Lemcke von Anbeginn im „Jahrbuch“ protegirt hat – wenig Rechnung getragen, so steht sein hohes Verdienst um die unmodernere, aber für Erkenntniß des Volkscharakters und -geistes der romanischen Nationen, [238] sowie die mittelalterliche Gesammtcultur kaum weniger ertragsreiche Seite der Romanistik, felsenfest.

Ueber Ebert’s Leistungen können wir uns hier nicht im einzelnen verbreiten. Seine „Quellenforschungen aus der Geschichte Spaniens“, deren litterarische Fundamentirung auch äußerlich des Verfassers Uebergang zum Litterarhistoriker mit vollzogen haben mag, fanden schon oben bei der Zeit ihres Hervortretens (1849) genügende Charakteristik. Einen dauernden Werth besitzt das „Handbuch der italienischen National-Litteratur. Historisch geordnete Anthologie der Poesie und Prosa von der ältesten bis auf die neueste Zeit nebst einem Abriß der Litteratur-Geschichte“ (1854; 2. [Titel-] Ausg. 1864), im Herbst 1853 nach schwer zugänglichen peinlichen Textcollationen herausgegeben: nach F. Wolf’s Referat „ein wahrhaft historisch-pragmatisches Musivbild“, „wozu die Musterauswahl [die das Drama vorläufig ausschloß] als belegende Urkundensammlung dient“, mehrfach mit W. Wackernagel’s ausgezeichnetem „Deutschen Lesebuch“ parallelisirt. Leider ist E. nicht dazu gekommen, die in Umrissen entworfene und durch Colleg und 1852–59 durch vielseitige Sonderstudien fundirte große „Geschichte des Theaters im Mittelalter“, schließlich „Geschichte des Dramas und Theaters in Europa bis zur Entwicklung der neuen Bühne“ betitelt, auszuführen. Daraus hat sich nur das Capitel „Entwicklungs-Geschichte der französischen Tragödie vornehmlich im XVI. Jahrhundert“ abgezweigt und zu einem selbständigen Buche (1856) ausgewachsen, das aber in seinen zwei ersten Capiteln, der in Connex mit der entschiedenen „Vorrede“ über litterarhistorische Theorie und Poetik des ältern wie neuern Kunststils ausholenden dogmatischen „Einleitung“ – diese orientirte, klar über Ebert’s, Wolf gegenüber etliche Male erörterte Anschauung – und dem Resumé des mittelalterlichen, vornehmlich des ernsten Schauspiels Frankreichs, sich als Ausschnitt oder Torso jener Gesammtdarstellung verräth. Die ursprünglich (1854) beabsichtigte „Geschichte der classischen Tragödie der Franzosen“ ist diese kritische Evolution, die mit einer Prüfung des Corneille’schen überwältigenden Eingreifens abschließt, geworden, weil E. die mangelhaften Hülfsmittel in Deutschland damals ebensowenig durch eindringliche Kenntnißnahme in Paris ergänzen konnte. Der durch streng historisches Verfahren stichfesten Schrift ward der Beifall competenter Richter zu Theil, die, gegenüber kleinlichem Widerspruche eines Krikers in Herrig’s „Archiv“ und du Méril’s, die durch ästhetische Momente unbestechliche, dagegen das Historische und dabei das Sociale sauber herausarbeitende Methode anerkannten: so auch wieder F. Wolf’s liebevolle Würdigung. Im Frühling 1857 erschien in Cotta’s „Deutscher Vierteljahrsschrift“ Ebert’s flott geschriebener Aufsatz über „Litterarische Wechselwirkungen zwischen Spanien und Deutschland“, während das im Briefe an Wolf vom 25. April 1857 breit discutirte Thema einer Abhandlung „Die deutschen Universitäten und das Studium der neueren, insonderheit der romanischen Sprachen und der Litteraturgeschichte“ in der erwähnten Leipziger Antrittsvorlesung leider erstickt zu sein scheint. Seinem „Jahrbuch“ war E., lange vor dessen Geburtsstunde sogar, nicht bloß ein aufopferungsfähiger Redacteur, sondern auch ein rühriger Mitarbeiter. Als seine Hauptarbeiten darin müssen gelten: in Band I die große Abhandlung über „Die englischen Mysterien mit besonderer Berücksichtigung der Townley-Sammlung“ (ferner bespricht er ausführlich A. Lacroix’ preisgekrönte „Histoire de l’influence de Shakespeare sur le théâtre français jusqu’à nos jours“ und A. Fabre’s „Etudes historiques sur les Clercs de la Bazoche“ – also, wie im Hauptbeitrag, Geschichte des Dramas bebauend), auch die regelmäßige Bibliographie Ebert’s ist von Anfang an eine bedeutende, höchst nützliche Leistung; in [239] Band II (1860) „Zur catalanischen Litteratur“, in Band IV „Die Handschriften der Escurialbibliothek zur romanischen und englischen Litteratur“; in Band V (1864) der erste, ohne Nachfolge gebliebene Abschnitt von „Studien zur Geschichte des mittelalterlichen Dramas“, nämlich über „Die ältesten italienischen Mysterien“, ferner die ausführliche kritische Anzeige von Wolf’s „Le Brésil littéraire“. Aus Ebert’s oben citirten Beiträgen zu den Publicationen der Leipziger Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. seien hier nur die wichtigsten Resultate herausgehoben: die vielventilirte Autorschaft der heftigen Schrift über die Christenverfolgungen gehört dem christlichen Rhetor Lactantius; die „Octavia“ des Minucius Felix ist nicht von Tertullian’s Apologeticus abhängig, vielmehr umgekehrt (späterhin von anderer Seite gemeinsame Quelle behauptet); Commodian, der älteste christlich-lateinische Poet, hat auch das durch Hinweis auf einen zweiten, nachneronischen Antichrist bemerkliche Gedicht verfaßt; die Angelsachsen Tatwina und Eusebius sind als Urheber anziehender lateinischer Räthseldichtungen (die E. zugleich kritisch edirte) anzusehen; das angelsächsische „Traumgesicht vom heiligen Kreuz“ stammt nicht vom Dichter Kynewulf, womit über diesen hergebrachte Behauptungen zerfallen.

Der Glanz- und Höhepunkt von Ebert’s Schaffen, in dem sich seine Art, Kraft und Methode sammelten, ward und blieb die „Allgemeine Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abendlande“. An diesem Orte deren unendlichen Gehalt an Wissens- und Gedankenstoff knapp anzudeuten, erscheint nicht angängig. E. verkörpert hier seine Ansicht schriftlich, daß ein gewisser gemeinsamer Geist das ganze ideelle Leben in der ersten Hälfte des Mittelalters durchdringe, indem es bereits eine Weltlitteratur fast im Goethe’schen Sinne besessen habe. Dieser universell-litterarische Zug bricht sich zunächst im spätlateinischen Schriftthum Raum, dem also ein guter Bruchtheil von Ebert’s Darlegungen gilt. Aber die späteren Capitel unternehmen eine Charakteristik der einsetzenden Nationallitteraturen in ihren Anfangsstadien, natürlich von einem höheren, gleichsam kosmopolitischen Standpunkte, wie ihn ja auch der Titel will. Band I führt als selbständiges Ganzes den Sondertitel: „Geschichte der christlich-lateinischen Litteratur von ihren Anfängen bis zum Zeitalter Karl’s des Großen“, Band II „Geschichte der lateinischen Litteratur vom Zeitalter Karl’s des Großen bis zum Tode Karl’s des Kahlen“, Band III „Die nationalen Litteraturen von ihren Anfängen und die lateinische Litteratur vom Tode Karl’s des Kahlen bis zum Beginne des elften Jahrhunderts“, die französische Uebersetzung, von E. durchgesehen und im ersten Bande schon mit seinen Verbesserungen, von Joseph Aymeric (Bonn) und James Condamin (Lyon) heißt Histoire générale de la littérature du moyen âge en occident (Paris 1883, 1884, 1889). Wie schon das Vorwort zur ersten Auflage von Band I die allgemeine Litteratur des Mittelalters, einen einheitlichen Organismus, den Ausdruck der aus germanisch-romanischem Zusammenwirken, aus römisch-hellenischen und orientalisch-hellenischen, d. h. christlichen Elementen erzeugten abendländischen Cultur, als ihr Thema bezeichnet hatte, so betonte der Verfasser im Mai 1877, S. V des Vorworts zu Band III nochmals, „daß das Werk nicht bestimmt war, die lateinische Litteratur des Mittelalters allein und etwa als einen Ausläufer der classischen des Alterthums, wie jene Kritiker [altphilologische, die Ebert’s Vorgehen als Einbruch in ihre Domäne tadelten, obwol er doch den Forschungen der Patristik, über Vulgär- und Mittellatein gleichsam erst ein neues sicheres Substrat geliefert hat] sich einbildeten, sondern als Vorläufer und Begleiter der Nationallitteratur des Abendlandes in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu schildern.“ Zumal E. zahlreiche bisher vernachlässigte Quellen und Unterlagen zuerst benützt hatte, besonders auch die bislang [240] arg unterschätzte Fachwissenschaft des Mittelalters, soweit sie litterarischen Rang beanspruchen darf, ergoß sich da ein wahrer Strom neuer Thatsachen und Anschauungen aufklärend. Weit über die Grenze der Fachgenossen und die des Vaterlands hinaus hat diese Grundlegung einer europäischen Litteratur- und Geistesgeschichte von Altroms Untergang bis ums Jahr 1000 Aufsehen gemacht und Adolf Ebert’s Namen, wie N. Wülker sagt, „zum Ruhme deutscher Gelehrsamkeit unter die bedeutendsten Litterarhistoriker gestellt“. Dem Manne, der die Litteraturgeschichte als eine historische Disciplin, als eine Geistesgeschichte betrachtet und gepflegt und dabei stets die geistig-litterarischen Zusammenhänge der Völker in den Vordergrund gerückt hat – Ebert s’est surtout attaché à l’étude des rapports des littératures romanes avec les littératures germanique et latine du moyen âge; il s’est efforcé de rattacher ces littératures aux moeurs, aux institutions, aux idées du temps, sagt Th. Ruyssen – steht ein Standpunkt sehr wohl an wie der im Lenz 1859 dem Freunde Wolf brieflich ausgesprochene: „Mag bei dem ausbrechenden Weltkriege der Himmel auch das ,Jahrbuch‘ in seine Obhut nehmen, das die Brüderlichkeit der Nationen zur geistigen Basis hat. Es verträgt sich schlecht mit diesem wahrhaft miserablen Kriege!“ und „Eine gewisse Franzosenfresserei droht ja leider schon wieder einzureißen. Ueberhaupt, es ist eine erbärmliche Welt, wohin man den Blick richtet“. Und damit stimmt der Gedanke Richard Otto’s am Ende seines, von inniger Schülerverehrung getragenen kritischen Nachrufs: „Wie eine künstlerische Natur alles harmonisch vereint, so war auch Ebert’s Ansicht von der romanischen Philologie abgerundet und ohne Disharmonie … Ebert war ein universaler Geist mit weitem Blick … “ Ihm war die Litteraturgeschichte ein Stück Völkerkunde, weil erst die Rücksicht auf die anderen geistigen Factoren der Geschichtsentwicklung sie verständlich macht und ihre Unterlage mit hundert Fasern an den großen und kleinen Geschehnissen des Lebens haftet“.

Hauptquelle der mit werthvollem einleitenden Ueberblick und mancherlei Erläuterungen versehene „Briefwechsel zwischen Adolf Ebert und Ferdinand Wolf“, d. h. exacte Auszüge der 125 Briefe Ebert’s an Wolf nebst Teil-Abdruck 10 besonders wichtiger, wie ihn R. P. Wülker am 4. Febr. 1899 in der philol.-histor. Classe der Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig vorlegte und in den „Berichten“ v. 1899 S. 77–139 zum Abdruck brachte; die Originale, sowie Wolf’s Briefe an E. liegen auf der Leipziger Universitätsbibliothek. Allerlei biographische Daten bei Karl W. Whistling, „Prof. Dr. Adolf Ebert. Nekrolog“: Leipziger Tageblatt v. 4. Juli 1890 Nr. 185, S. 4380. L. Fr(änkel), „Zu Adolf Ebert’s 70. Geburtstag“: 126. Beilage z. Allgem. Ztg. Nr. 151 (2. Juni) 1890; Rich. Otto, „Adolf Ebert“: ebenda, 70. u. 71. Blg. zu Nr. 83 u. 84, 1891. Zu Einzelnem: W. Schoof, „Die deutsche Dichtung in Hessen“ (1901), S. 147 u. 196; Ebert’s Nachruf auf Wolf (s. oben), bes. S. 294 f. u. 298 f.; Th. Ruyssen’s Artikel über E. La Grande Encyclopédie XV (1892) 231. In der officiellen Publication „Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig am 1. Juli 1896“ S. XXXII Besprechung seiner für diese gedruckten Arbeiten (durch Otto Ribbeck, im „Namen- und Sachregister d. Abhdlgn. u. Berichte d. histor.-philol. Cl. d. K. S. Ges. d. Wissensch. 1846–1895“ (1898), S. 8 Verzeichniß derselben. Eigenes Verzeichniß seiner Beiträge zum „Jahrbuch f. roman. u. vgl. Lit.“ Band I–V in der Mitarbeiter- u. Titelliste hinter S. 464 (Druckfehler 644!) des Bd. V. – Wegen der Beziehungen und vergleichshalber wichtig ist Rud. Beer’s Artikel über Ferd. Wolf: Allg. Dtsch. Biogr. XLIII, 727–737, bes. [241] S. 733–737; viele bezeichnende Aeußerungen lassen sich fast wörtlich auf Ebert anwenden. Wolf’s Referat über Ebert’s „Handbuch“ im „Litter. Centralblatt“ 1853 Nr. 48, Sp. 784–5, das über Ebert’s „Entwicklungsgeschichte“ i. d. „Allgem. Ztg.“ 1856, Beilg. z. Nr. 265, Sp. 4235–6: beide abgedruckt in „Kleinere Schriften von Ferd. Wolf, zusammengestellt von Edm. Stengel“ (1890, Heft 87 von Stengel’s „Ausgb. u. Abhdlgn. aus d. Gebt. d. rom. Philol.“), S. 189 bezw. 221 (Vgl. auch S. IX f.). – Frdl. Mittheilungen von Geh. Hofrath Prof. R. P. Wülker in Leipzig u. A.; eigene Erinnerungen. F. Dingelstedt, Blätt. a. s. Nachlaß. Mit Randbemerkgn. v. Rodenberg I, 185. – Sollten die eingeleitete Umfrage und weitere Nachforschung ergiebig ausfallen, so folgt, wol als Programm der Kgl. Ludwigs-Kreisrealschule zu München, 1904 eine Arbeit „Adolf Ebert und seine Bedeutung für die Litteraturgeschichte. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Neueren Philologie“.