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Artikel „Oetker, Friedrich“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 541–546, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oetker,_Friedrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:02 Uhr UTC)
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Oetker: Friedrich Oe., Publicist und kurhessischer Politiker, geb. den 9. April 1808 im Dorfe Rehren Amts Obernkirchen im nördlichen Theile der kurhessischen Grafschaft Schaumburg, stammte aus einer urkundlich seit wenigstens 1639 in jener Gegend sowie in Wiedensahl bei Minden ansässigen bäuerlichen Gutsbesitzerfamilie. Der Familienname, welcher im Schaumburg’schen Oetger gesprochen wird und an od Gut, sowie ger Speer erinnernd, Gutsvertheidiger bedeuten soll, kommt in Urkunden des Klosters Loccum noch vor jener Zeit vor. Der Großvater Johann Heinrich Oe. († 1801) galt in jenen Gegenden als ein Musterlandwirth. Der Vater Christian Oe. † 1847) bewohnte die kleine Steinbachsmühle in Rehren, welche seine Frau, eine geb. Bauer, von ihrer Mutter, einer geb. Heusinger von Waldegg, geerbt hatte. Oe. wurde vom Vater, einem nüchternen und ernsten Manne, frühzeitig zu ländlichen Arbeiten angehalten. Auch wurde er zur Zeit der herrschenden Frohndienste als Treiber bei den sog. Klapperjagden in den herrschaftlichen Forsten des nahen Bückeberges verwendet. Für alle solche Leistungen erwies er sich aber bald als zu schwach. Dazu befiel ihn eine Heiserkeit, welche ihn niemals wieder verließ und für seine ganze Lebensrichtung entscheidend wurde. Wegen Kränklichkeit unfähig, Anerbe zu werden, wurde er nach dem Besuche der Dorfschule in Rehren und nachdem ein zweijähriger Aufenthalt beim Oheim Oe. auf „Bolten-Stätte“ in Wiedensahl die Gesundheit nicht gebessert hatte, zum Studiren bestimmt. Er besuchte daher seit Herbst 1825 das Gymnasium in Rinteln, wo ihn eine enge Freundschaft mit Franz Dingelstedt verband. Nach Absolvirung des Gymnasiums entschied ein Schäfereistreit des Vaters für die Wahl des Rechtsstudiums, obwohl er in einer Zeit, wo Oeffentlichkeit und Mündlichkeit verlangt wurden, wegen Kurzathmigkeit geringe Aussichten für diesen Beruf zu haben schien. Auf der Universität Marburg widmete sich Oe. nicht blos dem Studium der Rechte, sondern wandte sich mit Dingelstedt der schönen Literatur zu und gründete mit diesem ein litterarisches Kränzchen, in welchem er mit Dichtungen auftrat. Eine derselben „Der sterbende Jüngling“ hat Dingelstedt 1836 in seinem „Hessischen Album“ veröffentlicht. Angeregt durch die schon bald nach dem Zustandekommen der kurhessischen Verfassung von 1831 entstandenen Verfassungsfragen, rief Oe. in Marburg auch das Akademische Lesemuseum ins Leben, wodurch er mehrfach in Verbindung mit S. Jordan, dem hauptsächlichsten Redactor jener Verfassung kam. Die Prüfung bei der Marburger Juristenfacultät bestand er gut; nach der Staatsprüfung in Kassel erhielt er aber nur die Befähigung bei Untergerichten und wurde 1835 Rechtspraktikant beim Stadtgericht in Kassel. Wegen der Mehrkosten des Aufenthalts in der Residenz mit dem Vater in Streit gerathen, suchte er sich selbständig durchzuschlagen durch Unterrichtung von Rechtscandidaten, durch Proceßschriften für Anwälte und durch Beiträge für die „Zeitung für die elegante Welt“, sowie für die „Abendzeitung“. Nach kurzer Zeit auch zu den Arbeiten bei höheren Gerichten zugelassen, wurde er 11/2 Jahre beim Obergericht in Kassel beschäftigt. Zugleich schrieb er für die dortige juristische Zeitschrift „Rechtsfreund“ verschiedene Abhandlungen. Daneben mit scherzhaften und launigen Dichtungen viel beschäftigt, erregte er Aufsehen durch Aufsätze und Gedichte, in welchen die [542] damaligen Verhältnisse der kleinstaatlichen Residenzstadt satyrisch behandelt waren. Nachdem 1836 Dingelstedt als Lehrer nach Kassel versetzt war, trieben beide dies systematisch. Des Ersteren „Kasseler Bilder“ in Lewalds „Europa“ wurden von Oe. in einer anderen Zeitschrift scheinbar, jedoch so bekämpft, daß es dadurch mit der Geißelung der betreffenden öffentlichen Zustände noch schlimmer wurde. Eine Folge war die Ausschließung Beider aus dem „Abendverein“. Hassenpflugs Angebot, für eine ministerielle Zeitschrift zu schreiben, lehnte Oe. ab; hierauf wurde aber auch sein Gesuch um Anstellung als Anwalt abgeschlagen; doch wurde er nach Hassenpflug’s Rücktritt im Juli 1837 wenigstens provisorisch als Anwalt in Kassel zugelassen. Daneben leitete er die Redaction des von Dingelstedt gegründeten „Salon“, welcher im December 1842 einging, und eine Abendunterhaltung, welche zwar geselligen Vergnügungen gewidmet war, zugleich aber einen Mittelpunkt der oppositionellen Elemente gegen das herrschende Regierungssystem bildete. Auf Spohr’s Veranlassung übernahm er 1838 die Bearbeitung des Textes zu dessen Oratorium „Der Fall Babylons“. 1844 und 1845 schilderte Oe. in nichthessischen Blättern die Mißregierung in Kurhessen und suchte durch mahnende Betrachtungen wie durch Ironie der Gleichgültigkeit und Aengstlichkeit der Bevölkerung entgegen zu wirken. In seinen Sonetten von 1847 geißelte er ebenso die Schlaffheit der Spießbürger wie die Herrschaft der Orthodoxen. Gleichen Zweck hatten seine „Harmlosen Mittheilungen aus dem Tagebuche eines Gemüthlichen“. Doch bald riefen ihn die Ereignisse zu ernsterer Beschäftigung mit den öffentlichen Zuständen. Durch eine Schrift „Die deutschkatholische Frage in Kurhessen“ (Leipzig 1847) suchte er auf die Beschlüsse des Landtags zu Gunsten der bedrängten Deutschkatholiken in Hanau einzuwirken. In den Märztagen von 1848 wurde er durch einige Flugblätter rasch ein einflußreicher Mann. Im Anschluß an dieselben gründete er in Kassel die „Neue Hessische Zeitung“, in welcher er die Bestrebungen des Märzministeriums kräftig unterstützte und bald in heftigen Kampf mit den Demokraten gerieth. In dem im December 1848 eröffneten Landtage die schaumburger Städte vertretend, regte er hier mehrere wichtigere Fragen an. Zu diesen gehört ein Versuch, den Kurfürsten zur vertragsmäßigen Verwendung seiner Civilliste für die Unterhaltung von Monumentalbauten, besonders in Wilhelmshöhe, zu bewegen. Als im Februar 1850 Hessen durch die Wiederberufung Hassenpflug’s tief erregt wurde, mahnte Oe. in seiner Zeitung und im Landtage zur Ruhe und Mäßigung in dem bevorstehenden Verfassungsstreite, an welchem er sich dann in hervorragender Weise betheiligte. Im Mai schilderte er in der Kammer, wie unvereinbar es mit der Ehre des Landes sei, daß ein in Preußen wegen Fälschung gerichtlich verfolgter Mann in Hessen Justizminister sei. Bald darauf nöthigte er diesen in einem Kammerausschusse, Aufklärung über seine Pläne in der deutschen Frage zu ertheilen und die Erklärung, daß der Bundestag ohne Zustimmung der Landtage nicht hergestellt werden könne, schriftlich niederzulegen. Auch wurde auf Oetker’s Antrag die Regierung ersucht, die von Hassenpflug zu viel bezogenen Ministergehalte einzuziehen. Im Sommer 1850 trug ein Proceß gegen Oe. wesentlich dazu bei, die Sache dieses Ministers noch weiter herabzusetzen, indem er von der Anklage, in seiner Zeitung den Charakter der Regierung „ein Deficit an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl“ genannt zu haben, auf die Einrede der Wahrheit hin vom Schwurgericht in Kassel einstimmig freigesprochen wurde, nachdem er in einer Schrift „Das Ministerium Hassenpflug“ die Gesetzwidrigkeiten des Ministers zusammengestellt hatte. Die Verhandlungen dieses Processes veröffentlichte er unter dem Titel „Die Redlichkeit und das Ehrgefühl des Ministeriums Hassenpflug vor dem Schwurgericht in Kassel.“ Mit den weiteren Schritten gegen die Verfassung [543] wuchs die Bedeutung von Oetker’s Zeitung, und sein ebenso ruhiges wie unerschrockenes Verhalten gegenüber jenen Angriffen übte vorbildlichen Einfluß auf die fortdauernd gesetzliche Haltung der Bevölkerung des Landes. Als weitere Maßregeln gegen das Blatt durch das von Oe. bewirkte Einschreiten des bleibenden Ständeausschusses vereitelt waren und die Gerichte in Sachen dieser Zeitung die September-Verordnungen für ungesetzlich erklärt hatten, blieb der Kriegszustand auch in anderen Fällen wirkungslos. Zuvor ließ der Oberbefehlshaber am 4. Oktober 1850 Oe. ins Kasseler Castell abführen; allein der Staatsprocurator, der General-Staatsprocurator, das Obergericht und das vom Generalauditoriat angewiesene Kriegsgericht verlangten die Freilassung, letzteres unter Bedrohung des Oberbefehlshabers mit Verhaftung. Dieser, erzürnt über spöttische „Offene Briefe“ an ihn, welche Oe. aus der Haft in seiner zu Gotha weiter erscheinenden Zeitung veröffentlicht hatte, versuchte vergeblich, ihn in der Haft einzuschüchtern und zum Aufgeben der Zeitung zu bewegen. Nach dem Einrücken der Bundesexecution lebte Oe. eine Zeitlang in Braunschweig und auf Wangerooge; um aber sicherer zu sein vor steckbrieflicher Verfolgung, welche im September 1851 infolge einer Anklage wegen Ausbreitung von Mißverguügen gegen die hessische Regierung wider ihn eingeleitet war, begab er sich nach Helgoland. Hier beschäftigte er sich drei Jahre eingehend mit den Zuständen der Insel und gab dann eine Schrift heraus „Helgoland. Schilderungen und Erörterungen“ (Berlin 1855). Später folgten „Helgoländer Sonette“ (Leipzig 1857). Gesundheitsgründe veranlaßten im October 1854 seine Uebersiedlung nach Brüssel. Hier sowie in Mecheln und Ostende beschäftigte er sich sehr eingehend mit der vlamischen Bewegung. Er schrieb hierüber eine Abhandlung, welche von Dautzenberg ins Vlamische übersetzt, unter dem Titel „De Vlaemsche Taelstryd“ (Gent 1857) sowie in französischer Uebersetzung („Le mouvement flamand“ Tournai 1858) erschien. In Kassel war die Anklage gegen ihn 1856 zurückgezogen, doch ließ er sich erst im August 1859 dort wieder dauernd nieder. Den um diese Zeit in Kurhessen wieder aufgelebten schwachen Hoffnungen auf Beseitigung der „provisorischen Verfassung“ von 1852 gab Oe. durch die von ihm am 10. November 1859 gegründete „Hessische Morgenzeitung“ in Kassel einen festeren Anhalt. Mit großer Vorsicht und vielem Geschick deckte er in diesem Blatte nach und nach eine ganze Reihe von schwachen Seiten des herrschenden Verfassungs- und Rechtszustands auf; durch wiederholte Angriffe auf diese Blößen führte er einen hartnäckigen litterarischen Krieg gegen die politische Neuordnung und den noch nicht gelungenen formellen Abschluß und er wußte durch persönliche Vertretung seiner öffentlichen Behauptungen vor Gericht der Regierung der Nachfolger Hassenpflugs empfindliche Niederlagen beizubringen. Näheres über diese Thätigkeit ist in Nr. 38 der Gartenlaube von 1862 und später von ihm selbst geschildert in „Nord und Süd“ (Bd. 11. Breslau 1879). Auf solche Art weckte er die Bevölkerung Kurhessens aus mehrjähriger Lethargie zu lebendigster Geltendmachung ihrer Rechte und trug das Wesentlichste dazu bei, die Hindernisse für den Abschluß der neuen Verfassung unübersteiglich zu machen. Zugleich regte er durch Artikel in den wichtigsten deutschen Zeitungen und durch zahlreiche persönliche Verbindungen auch außerhalb Hessens das lebhafteste Interesse für dessen Sache an. Bald hatte er mit dem Verlangen nach Herstellung der Verfassung von 1831 den größten Theil der Bevölkerung Hessens hinter sich, welche mit unbedingtem Vertrauen auf die Parolen lauschte, durch welche die Schachzüge der Regierung vereitelt wurden. Die vielen Beschlagnahmen seiner Zeitung, die Wiedergabe seiner gerichtlichen Vertheidigungsreden und die Flugblätter, welche er vom Krankenlager in Montreux aus verbreiten ließ, hielten das Publikum lange in großer Spannung. Mitbegründer des [544] Nationalvereins und Pfleger desselben für Hessen, forderte er, in Benutzung der Lücke einer Verordnung, zu einem verschleierten Beitritt auf, bis im Januar 1860 eine besondere Verordnung dies zu verhindern suchte. Auch gründete er eine Kasse zur Unterstützung der 1850 wegen Eidestreue entlassenen Officiere. Nach Erlaß der Verfassung vom 30. Mai 1860 wurde jener Kampf heftiger. Oetker’s Erörterungen über das Widerrechtliche der betreffenden Bundesbeschlüsse und das Mangelhafte ihrer Befolgung verstärkten den Widerstand der Bevölkerung außerordentlich. Auf seine Agitation ist es anerkanntermaßen zum größten Theil zurückzuführen, daß die Landtagswahlen auf Grund jener Verfassung wiederholt unter Verwahrung für die Verfassung von 1831 vorgenommen wurden und daß die zweite Kammer sich für unzuständig erklärte, Vorgänge, infolge deren der Streit sich wieder zur deutschen Frage erhob. Auch stand Oe. dem Zustandekommen der badischen Denkschrift vom 14. Juli 1862 nicht fern. Sein Wirken fand besondere Anerkennung durch seine Ernennung zum Ehrenbürger von acht hessischen Städten, durch eine Ehrengabe, durch seine demonstrative Wahl in den Kasseler Bürgerausschuß und in einer Erklärung von hundert Mitgliedern des ersten deutschen Juristentags. Nachdem die Verfassung von 1831 unvollständig hergestellt worden, setzte Oe. selbständig vom Landtage, in welchem er wieder die schaumburger Städte vertrat, den Kampf in gewisser Weise fort. An den Bemühungen des Landtags für Herstellung zeitgemäßer Gesetze und gegen die kurfürstliche Stagnation der Regierungsgeschäfte nahm Oe. 1863–65 den regsten Antheil, vertrat jedoch mehrmals mit einigen Genossen eine entschiedenere und strengere, zuweilen eine vorsichtigere Richtung gegen die Mehrheit der Liberalen. Dieser Zwiespalt, von Persönlichkeiten nicht ganz zu trennen, datirte schon aus der Zeit, da Oe. im Kampfe fast allein stand. Der zu verschiedenen Zeiten gegen ihn erhobene Vorwurf dictatorischen Vorgehens war zum Theil begründet. Für die ersten Zeiten des wiederbegonnenen Kampfes rechtfertigte Oe. dies jedoch mit der sachlichen Nothwendigkeit. Im Hinblick auf die für die Menge schwerverständlichen Rechtsfragen würden nicht Viele unter einen Hut zu bringen gewesen sein. Dieses Verfahren liebte er aber, veranlaßt durch seine zunächst aus Gesundheitsrücksichten gebotene Fernhaltung von öffentlichen Versammlungen, auch in späteren Zeiten fortzusetzen, wo eine Reihe wohl zu beachtender Mitstreiter in Betracht kam. Näheres über diese für die späteren Parteiverhältnisse nicht unwichtigen Vorgänge s. in „Grenzboten“ 1873 Nr. 31. Nach der Besitznahme Hessens durch Preußen trat Oe. in der Presse sehr entschieden für möglichste Wahrung der Rechtseigenthümlichkeiten des Landes, zunächst für die Uebergangszeit, soweit es ohne Nachtheil für die nationale Sache thunlich sei, auf. Hierin ist er vielfach mißverstanden. Berliner Blätter, auch liberale, warfen ihm unberechtigten Particularismus vor; die Thatsachen haben ihm aber insofern recht gegeben, als eine Reihe ministerieller Verordnungen des Dictaturjahrs im August 1867 an maßgebender Stelle als Mißgriffe anerkannt wurden. Wegen der Art der Zustimmung zur Einverleibung Hessens in Preußen gerieth Oe. selbst mit ihm näher Stehenden in starke Meinungsverschiedenheit. Die Erhaltung des größten Theils des hessischen Staatsschatzes für die besonderen Anstalten Hessens sowie die Belassung des kurhessischen Landtags als Communallandtag sind größtentheils durch Oetker’s Wirken in Berlin, wo er im October 1867 auch Mitglied der hessischen Vertrauensmänner war, bewirkt. Als später das Bestehen einer Reihe von Uebelständen, namentlich in der Landwirthschaft, Oe. schuld gegeben wurde, erließ er im December 1873 eine klarstellende Widerlegung. 1868–74 dem hessischen Communallandtage angehörend, war er, namentlich im Verwaltungsausschusse, für die Angelegenheiten hessischer gemeinnütziger Anstalten hervorragend thätig, lehnte aber 1875 die Wiederwahl ab. [545] Im Abgeordnetenhause, in welchem er 1867–70 den Bezirk Hofgeismar-Wolfhagen, 1870–73 den Bezirk Schlüchtern-Gelnhausen, 1873–76 den Landkreis Kassel, 1877–81 den Kreis Rinteln vertrat, wirkte er als Mitglied der rechten Seite der nationalliberalen Partei fast nur durch persönlichen Einfluß, fühlte sich aber durch die großen Parlamentarier und infolge seines zunehmenden krankhaften Zustandes sehr zurückgesetzt. In allen hessischen Angelegenheiten blieb er in Berlin wie in der Heimath eine große Autorität. Im Reichstag vertrat er seit der Zeit des Norddeutschen Bundes den heimathlichen Bezirk, ohne die Schritte seiner Partei zu billigen, welche zu deren Abwendung vom Reichskanzler führten. In seinen letzten Jahren behielt er die Mandate zu den Parlamenten nur auf besonderen Wunsch der Wähler, erfuhr aber infolge der Verschiebung der Parteien selbst in der engeren Heimath neue heftige Angriffe, über welche Karl Braun in seinen „Zeitgenossen“ (Bd. 1, Braunschweig 1877: „Ein Chattenhäuptling“) Näheres mitgetheilt hat, und infolge deren er einen Ehrenbürgerbrief zurücksandte. Vorwiegend wandte er sich der schriftstellerischen Thätigkeit wieder zu. Von seinen Aufsätzen in vielen Zeitschriften sind zunächst die über die Reform der preußischen Verfassung, über den Sprachen- und Rassenstreit in Belgien und über Ministerverantwortlichkeit in den „Preuß. Jahrbüchern“ von 1870 und 1871 hervorzuheben. In der „Köln. Ztg.“ trat er im April 1876 entschieden gegen die auf Helgoland herrschenden politischen Zustände auf und suchte dann in einer Schrift „Verfassung und Recht auf Helgoland“ (Stuttgart 1878), nachzuweisen, daß die 1864 und 1868 dort eingeführten Verfassungen mit den bei der englischen Besitznahme ertheilten Zusicherungen nicht in Einklang stünden. Dies veranlaßte eine Polemik in der englischen Presse und Lord Roseberry brachte die Sache im englischen Parlament zur Sprache. In Oetkers „Belgischen Studien“ (Stuttgart 1876) sind die Ergebnisse eingehender Forschungen aus seinen Flüchtlingsjahren niedergelegt. Sie betreffen das Vereinswesen sowie die Schaubelustigungen in Belgien in alter und neuer Zeit, Städtebilder, die Beginenhöfe sowie das Strand- und Dünenleben, die Seethiere und -Pflanzen an der Küste von Ostende. Werthvoll für die Einzelnheiten der politischen und der Culturgeschichte Kurhessens für die Zeit von 1809–59 sind Oetker’s „Lebenserinnerungen“ (2 Bde. Stuttgart 1877 u. 78). Ferner ist zu erwähnen Oetker’s Aufsatz über „Karlsbad und seine Badeschriften“ in der Allg. Ztg. Nr. 140 von 1875 und seine Schrift „Ueber Erziehungsanstalten und verwahrloste Kinder“ (Hefte 114 u. 115 der Deutschen Zeit- und Streitfragen). Nachdem er seinen Antheil an der Hess. Morg. Ztg. verkauft, legte er seit 1880 seine Ansichten über die laufenden hessischen Angelegenheiten im Hess. Tageblatt in Kassel nieder. Sein Buch „Aus dem norddeutschen Bauernleben“ (Berlin 1880), zum Theil in niedersächsischem Plattdeutsch geschrieben, enthält in novellistischen Erzählungen aus seiner Jugend und Heimath eine culturgeschichtlich geschätzte Schilderung des Lebens des norddeutschen Bauern. Oe. starb am 17. Februar 1881 im Augusta-Hospital zu Berlin und wurde in Kassel beerdigt. Vor der Ueberführung dahin hielt bei einer Todtenfeier der Abg. Löwe-Calbe eine Rede, in welcher er ihn einen großen Bürger seines Heimathlandes nannte und sein Ringen für die Einheit und Freiheit Deutschlands treffend schilderte (Hess. Morg. Ztg. vom 24. Februar 1881). – Nekrologe in Allg. Ztg. Nr. 62 u. 63, Beil.; Kass. Tagespost und Hann. Cour. vom 18., Frankf. Ztg. vom 19., Magd. Ztg. 22. Februar, Nat.-Ztg. vom 31. Juli und 10. August, Gartenlaube Nr. 11 von 1881. Später erschien: „Heimatherinnerungen an F. Dingelstedt und Fr. Oe.“ von Rodenberg (Berlin 1882); „F. Dingelstedt und Fr. Oe.“ in Allg. Ztg. vom 7. und 8. Juli 1882; [546] Pfaff: „Zur Erinnerung an Fr. Oe.“ (Gotha 1883). Oe., welcher einst eine erhebliche Summe für die Sache Schleswig-Holsteins beigetragen und 1867 durch einen Geldbeitrag Petermann zur Aufrechthaltung des Plans einer ersten deutschen Nordpolfahrt bewogen hatte, ließ letztwillig gemeinnützigen Anstalten in Hessen erhebliche Summen zu Theil werden. Fast 5 Jahre nach Oetker’s Tode gab ein Neffe desselben aus dem Nachlaß einen dritten Band von dessen „Lebenserinnerungen“ (Kassel und Berlin 1885) heraus. Nur ein kleiner Theil dieses Buchs enthält jedoch eigene Aufzeichnungen Oetker’s, und auch hiervon sind nur die auf belgische Zustände bezüglichen in der von ihm selbst zur Veröffentlichung bestimmten Fassung. Aus dem übrigen massenhaften Material ist eine „fingirte Selbstbiographie“ construirt. Diese ist werthvoll für die Geschichte des zweiten hessischen Verfassungsstreits, geht aber zu sehr ins Einzelne. Von allgemeinerem Interesse sind mehrere ausführlich behandelte Rechts- und Verfassungsfragen Kurhessens, sowie Unterredungen, welche Oe. 1862–65 mit den preußischen Ministern Graf Bernstorff und v. Bismarck über die Frage von Preußens Vorgehen für die Sache Kurhessens führte.