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Artikel „Jordan, Sylvester“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 513–520, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jordan,_Sylvester&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 10:57 Uhr UTC)
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Jordan: Sylvester J., Staatsrechtslehrer und kurhessischer Staatsmann, geb. am 30. December 1792 zu Omes, einem wenige Häuser zählenden, zum Dorfe Axam bei Innsbruck gehörenden Orte, † am 15. April 1861 zu Kassel. Der Name und die Schicksale Jordan’s sind innig verbunden mit der Geschichte der constitutionellen Entwickelung in Deutschland. Wol Niemand hat in ernsterer Weise an die fürstliche Gewalt die Frage gestellt, ob und inwieweit sie es aufrichtig meine mit den Zugeständnissen, zu denen sie sich im Interesse der Völker nach langem Zögern bereit erklärte, aber Niemand hat auch den Zorn der Feinde des Constitutionalismus empfindlicher erfahren, als J. Aus den ärmlichsten Verhältnissen arbeitete er sich empor zu der angesehensten Stellung als Vorkämpfer der liberalen Zeitideen, um dann als Märtyrer derselben schwere Leiden zu erdulden, bis der Umschwung der Zeitverhältnisse ihn in jähstem Wechsel in amtlicher Stellung zum Vertreter der nationalen Bestrebungen berief, wegen deren er lange die Strafe des Verbrechers erduldet. J. war das jüngste von acht Kindern des armen Schuhmachers Matthias J. zu Omes und der Maria geb. Jordan aus Oberperfuß. Seine Jugend verlief höchst traurig. Die Armuth der Eltern, der Unfrieden in deren Hause, des Vaters Unmuth über seine drückende Lage, dessen Trunksucht und Mißhandlung der Familie bereiteten ihm nur trübe Eindrücke. Um so mehr wuchs sein Streben nach Besserem. Der schon früh als Tagelöhner dienende Knabe besuchte vom siebenten Jahre an die Dorfschule zu Axam, in welcher er jedoch nur nothdürftig lesen lernen konnte. Einige Vervollkommnung fand er bei Kunden des Vaters und seinem väterlichen Oheim Franz, einem Schuhmacher und damals in Tirol bekannten Dichter. Trotz schwächlichen Körpers vom zartesten Alter an zu allen Verrichtungen angehalten, gab er vom neunten Jahre an die Arbeiten als Drescher und Flachsbrecher auf, wogegen er bis zum 13. Jahre das Schuhmacherhandwerk erlernte. Durch das Verhalten des Vaters, welches die Familie zeitweise zur Flucht zwang, wurde er in sich gekehrt und zur Schwermuth geneigt. Die einzige Jugendfreude fand er in der Musik. Es war aber nur eine Quer- oder Schwögelpfeife, auf welcher er in melancholischen Weisen seiner Stimmung Ausdruck verlieh. Doch auch diese Freude wurde ihm genommen, nachdem der in der Gegend sehr geehrte Geistliche Hirn sie ihm als gottlos bezeichnet hatte. J. entschloß sich nun, den Weg dieses Mannes einzuschlagen. Er lud sich die schwersten Arbeiten auf, brachte im Walde knieend vor den Bildnissen Maria’s zu und geißelte sich ihr zu Ehren bis aufs Blut. Der Entschluß Jordan’s, in den geistlichen Stand zu treten, wurde von Hirn gefördert, aber nur durch viele Bitten errang er die Zustimmung des Vaters zum Unterricht in deutscher und [514] lateinischer Sprache beim Priester zu Axam, dem er bei der Messe als Ministrant diente. Als dieser des Unterrichts bald müde ward, erhielt J. solchen beim Hülfsprediger zu Oberperfuß, dem er dafür Handdienste leistete. Im Herbst 1806 fand er Aufnahme ins Gymnasium zu Innsbruck. Die Fülle des hier sich ihm eröffnenden Wissens ließ den Gedanken an den geistlichen Beruf bald zurücktreten, zumal sein Nachdenken über katholische Glaubenssätze ihn dahin führte, deren Wahrheit zu bezweifeln. Seine Studien wurden unterbrochen durch den tiroler Aufstand von 1809 gegen die baierische Herrschaft. Die fanatischen Ausschweifungen der Bauern prägten ihm tief die Ueberzeugung ein, daß die Extreme verderblich und nur die Folgen unnatürlicher Entwickelung seien. Durch einen Aufsatz „Sokrates und Christus, eine Parallele“, welchen er bei einer Schulfeierlichkeit vortrug, sowie durch eine Strafrede, die er im Dorfe Kämnaten den sittenlosen Geistlichen hielt, machte er sich in der Heimath viele Feinde. Da er nach Aufhebung der Universität zu Innsbruck hier nur noch Theologie hätte studiren können, begab er sich im September 1811 mit den geringsten Mitteln nach München, wo er seinen Unterhalt durch Privatunterricht erwarb und bis 1812 den letzten Gymnasialcursus vollendete. 1812–13 hörte er im Lyceum zu München Vorlesungen, mit Vorliebe philosophische, und bezog, mit einem Innsbrucker Theresianischen Stipendium versehen, im November 1813 die Universität Landshut zum Studium der Rechts- und der Naturwissenschaft. Tirols Abtretung an Oesterreich veranlaßte ihn im September 1814 zu einer Reise nach Wien, wo er, nach Ablegung einer Prüfung bei der Schulcommission, die Erlaubniß zur Ertheilung von Privatunterricht und dann eine Hofmeisterstelle erhielt, auch juristische Vorlesungen hörte. Durch Bekanntschaft mit hervorragenden Männern ward ihm die Zusage einer Lehrerstelle an der zu reorganisirenden Universität zu Pavia zu Theil. In Wien behagte es ihm jedoch nicht; er wünschte den Staat wieder zu verlassen, dessen Einrichtungen seinen geistigen Bedürfnissen keine Befriedigung, seinem Streben keinen zusagenden Wirkungskreis zu bieten vermochten. Er verließ im April 1815 Wien ohne bestimmten weiteren Berufsplan, verzichtete beim Fortfall des Stipendiums vorläufig auf die Vollendung seiner wissenschaftlichen Laufbahn und erhielt vom baierischon Landrichter v. Klöckel zu Rosenheim auf Empfehlung die Zusage, als Gehülfe beim dortigen Landgerichte angenommen zu werden. Zunächst aber begab er sich in die Heimath auf die Nachricht, daß viele in Kämnaten versammelt gewesenen Geistliche, erzürnt über seine früher an sie gerichteten Ermahnungen, ihn als lutherischen Ketzer und Gottesläugner förmlich in den Bann gethan. Es gelang ihm, die hierunter sehr leidenden Eltern zu beruhigen, ein Verständigungsversuch mit den Geistlichen mißlang jedoch völlig. Zwei derselben verboten ihm den Eingang in jenes Dorf unter der Drohung, Sturm läuten und ihn todtschlagen zu lassen. Nach vergeblichem Versuche, obiges Stipendium wieder zu erlangen, trat J. die Stelle als Schreiber beim Landgerichte in Rosenheim an, gab sie jedoch wieder auf, als die philosophische Fakultät zu Landshut seine Bearbeitung ihrer Preisfrage „Ist die Eintheilung der Philosophie in theoretische und praktische gültig, wenn sie in ihrem tiefsten Grunde aufgefaßt werden soll?“ gekrönt hatte. Er empfing dort nach abgelegter Prüfung am 15. Mai 1815 die Würde eines Doctors der Philosophie. Hierauf nahm er eine Stelle als Hauslehrer in München an, wo er zugleich die nöthigen Vorbereitungen zu einem festen Lebensberufe zu treffen suchte. Aus Neigung zum Lehrfache bewarb er sich um Anstellung bei einer höheren wissenschaftlichen Lehranstalt; doch befolgte er den ihm von befreundeten Oberstudienräthen ertheilten Rath, lieber das Studium der Rechte zu vollenden. Ausgerüstet mit einem neuen Stipendium, bezog er im Winter 1815 abermals die Universität Landshut, [515] wo er am 28. August 1817 auch die juristische Doctorwürde erwarb. Dann trat er beim Landgericht zu Landshut in die gerichtliche Praxis, schied jedoch schon im März 1818 infolge Streites mit dem Vorstande aus. Sein Entschluß, nunmehr in Berlin das Glück zu versuchen, kam nicht zur Ausführung, da der ihm befreundete Prof. Mittermaier in Landshut ihm eine Stelle als Geschäftsführer beim Advocaten Meinel in München verschaffte, welcher als Agent des Herzogs von Leuchtenberg oft in Geschäften abwesend sein mußte. Die Bekleidung dieser Stelle von April 1818 bis Juni 1820 brachte J. zum ersten Male in eine völlig unabhängige Lage und in Bekanntschaft mit vielen ausgezeichneten Persönlichkeiten. Nachdem im Februar 1818 Baiern eine Verfassung erhalten, gewährte der erste Landtag J. Gelegenheit, die Entwickelung des Verfassungslebens aus unmittelbarer Anschauung kennen zu lernen und hierdurch eine Vorschule für sein späteres Wirken auf diesem Gebiete zu machen. Insbesondere fand er Veranlassung, an den landständischen Verhandlungen selbst mittelbar Theil zu nehmen, indem er den Auftrag erhielt, die Begründung vieler Anträge für einzelne Abgeordnete zu verfassen. Seine ursprüngliche Neigung ließ ihm jedoch immer wieder das öffentliche Lehramt wünschenswerth erscheinen; aber sein Gesuch, sich in Landshut um die Stellung eines Privatdocenten zu bewerben, unterstützt durch seine Schrift „Ueber die Auslegung der Strafgesetze mit Rücksicht auf das gemeine Recht“, wurde vom akademischen Senate im Mai 1819 absichtlich nur unter Bedingungen gewährt, welche er nicht wohl erfüllen konnte. Infolge dessen wünschte er seine neue Heimath Baiern wieder zu verlassen. In der That wurde ihm vom badischen Staatsrath Eichrodt die Hoffnung auf Verleihung einer der nächsten zur Erledigung kommenden Professuren an der Universität Freiburg im Br. gemacht und ihm gerathen, bis dahin als Privatdocent in Heidelberg aufzutreten. Diesem Rathe leistete er, nachdem er einige Monate die Geschäfte eines Advocaten in Frankfurt a/M. versehen, im September 1820 Folge und führte sich hier ein mit einem „Programma, observationes quasdam in doctrinam de morgengaba Germanica continens“. Zu Heidelberg trat J. in freundschaftliches Verhältniß mit dem als Privatmann zu Mannheim wohnenden früher kurhessischen geheimen Cabinetsrathe Kopp, durch dessen Vermittelung er im September 1821 einen Ruf als außerordentlicher Professor des Staatsrechts an die Universität Marburg erhielt. Damit hatte das Umherziehen endlich aufgehört. Kurhessen wurde ein neues Vaterland für J. und in Marburg entfaltete er als Gelehrter eine rege Thätigkeit. Schon 1822 wurde er ordentlicher Professor und Beisitzer des Spruchcollegiums; einen Ruf an die nun frei gewordene Stelle in Freiburg lehnte er ab, schrieb seine „Versuche über allgemeines Staatsrecht mit Bezugnahme auf Politik“ (Marb. 1828), welchem Werke sein „Lehrbuch des allgemeinen und deutschen Staatsrechts“, Abth. 1 (Kassel 1831) folgte. Eine Fortsetzung ist nicht erschienen. Er wurde in Angelegenheiten des hessischen Fürstenhauses zu Rathe gezogen, auch wurden Gutachten zum diplomatischen Gebrauche bei ihm eingeholt. Diese stille Wirksamkeit wurde durch die politischen Ereignisse des Jahres 1830 unterbrochen. Sie berührten gerade die Punkte, welche den Gegenstand von Jordan’s wissenschaftlichen Untersuchungen gebildet hatten. In seinem letzterwähnten Werke hatte er als den Zweck jeder Staatsverfassung die Begründung und dauernde Befestigung des Rechtsgesetzes hingestellt. Der Staat als die Form des Volkslebens müsse, um dem Wesen desselben völlig zu entsprechen, sich aus diesem selbst entwickeln und darum müßten die Verfassungen, zur Vermeidung krankhafter Zustände, mit den steigenden Volksbedürfnissen verbessert werden. Die eigentlichen Urheber der Revolutionen seien die hartnäckigen Gegner von Reformen. Die jetzigen Verhältnisse der Völker verlangten eine repräsentative [516] Regierungsform. Der Kampf um diese war eben damals in vollem Gang. Der Nachhall, welchen die französische Julirevolution in Deutschland fand, galt der Begründung repräsentativer Verfassungen. Dies war auch das Ziel der Bewegung in Kurhessen, wo trotz des Bestehens einer altständischen Verfassung in den letzten Zeiten viele Mißhelligkeiten in der Verwaltung vorgekommen waren. Es verstand sich wie von selbst, daß im October 1830 die Universität Marburg einen so sachkundigen Mann, wie J., in den Landtag schickte, welcher die vom Kurfürsten Wilhelm II. verheißene Verfassung vereinbaren sollte. In dem zur Vorberathung des Entwurfs gewählten Ausschusse war J. Vorsitzender und maßgebende Person. Man war schon geneigt, den Entwurf unverändert anzunehmen, als es J. gelang, den Ausschuß zu überzeugen, daß eine wahrhaft repräsentative Verfassung zu Stande kommen müsse. Er ging davon aus, daß Kurhessens Beitritt zum constitutionellen Systeme entscheidend für dessen Sieg in Deutschland sein würde. Er war daher mit großem Eifer beflissen, Garantien gegen den Mißbrauch der Gewalt einzuführen. Er ging darauf aus, die Bestimmungen so zu fassen, daß ein Abweichen der Regierung vom Wege der Verfassung fast unmöglich wurde. Es ist später J. vorgeworfen, daß er als Theoretiker darauf ausgegangen sei, gewisse Grundsätze, unbekümmert um ihre praktische Durchführbarkeit, zu verwirklichen. Es findet sich eine solche Behauptung z. B. in der an die deutschen Höfe gerichteten Denkschrift, in welcher die kurhessische Regierung im Oct. 1859 zu zeigen suchte, daß die Verfassung von 1831 dem monarchischen Principe widerstreite; allein das Bestreben, die Regierung fest an gewisse Grundsätze zu binden, beruhte eben auf den übelsten Erfahrungen. Bei den Verfassungsberathungen sprach J. sich dahin aus, er setze die Aufgabe der wahren Staatsweisheit darein, „daß man weder das Alte gewaltsam zerstöre, noch das Neue gewaltsam verhindere, weder jenes blind hasse, noch dieses ebenso blind liebe, sondern daß man den Gang der Ereignisse ohne Vorurtheil und Leidenschaft, blos mit dem Licht der Vernunft und der Geschichte sorgfältig beobachte, nach der Natur jenes Ganges nur die Hindernisse beseitige, welche der freien und selbständigen Entwickelung des Neuen entgegentreten und so, ohne das Alte mit Gewalt festhalten oder das Neue mit Gewalt herbeiführen zu wollen, nur die Geburt des letzteren erleichtere. Die neuen Gestaltungen sollen bei ihrer Entstehung und Ausbildung nicht verkrüppeln oder gar verwundet werden, sondern frisch und lebensvoll, gleichsam unmerksam ins Leben treten“. Vergl. Jordan’s Aufsatz „Ueber die Grundsätze, von welchen bei der Abfassung der kurhessischen Verfassungsurkunde ausgegangen worden“, in Pölitz’ Jahrbuch der Geschichte und Staatskunst, 1832, Bd. I. S. 193–220. Jene bei Beginn der Berathungen von J. vorangestellten Grundsätze erscheinen nichts weniger als revolutionäre. Tendenziös ist die Behauptung in Wagener’s Staats- und Gesellsch.-Lex. von Jordan’s „Unfähigkeit zum Gesetzgeber“. Das Bestreben, die Grundsätze des constitutionellen Systems in völliger Reinheit durchzuführen, war jedoch nicht völlig von Erfolg gekrönt. J. sah sich genöthigt, sich auf ein Handeln über einzelne Punkte einzulassen, sodaß hierdurch einige unklare Bestimmungen, z. B. über die ständische Ministeranklage, entstanden, welche später Anlaß zu vielen Streitigkeiten wurden. Es wäre besser gewesen, J. hätte das Werk aus Einem Geiste herstellen können; aus der Unterlassung folgt aber nicht, daß die durchgesetzten Grundsätze jener Art nur als verwerfliche Ausnahmen anzusehen seien. Den meisten Erfolg hatte J. bei den Satzungen über die Garantien des Rechtszustandes. Er selbst hat im Staatslexikon (Aufl. 1 und 2, Art. Hessen-Kassel) beklagt, daß jene Verfassung keine reine und vollständige Durchbildung des constitutionellen Principes enthalte und er tröstete sich mit der Hoffnung, daß das Fehlende allmählich werde ergänzt werden. Die Hoffnung [517] wurde aber schon bald getäuscht. Er mußte die große Wahrheit seines im Verfassungsausschusse gegebenen Bedenkens gewahr werden, „daß alle gesetzlichen Normen, so umsichtig man auch für urkundliche Feststellung sorgen mag, an sich todt sind, wenn sie nicht Lebendigkeit, Kraft und Beständigkeit von Denen erhalten, deren Thun und Lassen sie ordnen sollen“. Schon mit dem ersten nach Maßgabe der Verfassung von 1831 berufenen Landtage begann, unter Jordan’s lebhafter Theilnahme, der Kampf um die aufrichtige Ausführung der Verfassung. In einem Falle, in welchem zwischen Wortlaut und Geist der Verfassung zu wählen war, wies J. unnachsichtig auf letzteren als auf das Entscheidende hin und bewirkte den Beschluß auf Erhebung der Anklage gegen den Kriegsminister wegen Vollziehung eines nicht gegengezeichneten Befehls über Versetzung von Offizieren. Wegen dieses Beschlusses wurde der Landtag im Juli 1832 aufgelöst. Der Entwurf eines Preßgesetzes gelangte nicht zur Verkündigung, weil ihn die Kammer auf Jordan’s Antrag im Sinne der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens über Preßvergehen geändert hatte. Kasseler Bürger überreichten J. eine Adresse zur Anerkennung seines mannhaften Auftretens; die Stadt Marburg schenkte ihm als Anerkennung seiner Verdienste ein Haus. Ferner lenkte J. die Aufmerksamkeit der Stände auf die Verhältnisse des Bundestags. Die Selbständigkeit der Einzelstaaten, führte er aus, sei nur gesichert, wenn die Bundestagsgesandten angewiesen würden, stets in constitutionellem Sinne zu handeln. Auf seinen Antrag sprachen die Stände den Wunsch nach Veröffentlichung der Bundesprotokolle und der Errichtung einer constitutionellen Einrichtung am Bundestage aus. Dafür erhielt er Dankadressen aus vielen Theilen Deutschlands. Nachdem er sich im September 1832 zu Höxter mit einer Tochter Paul Wigand’s verheirathet, wurde er auf der Rückkehr in Kassel festlich und in Marburg mit fürstlichen Ehren empfangen. Eine Broschüre „Jordan’s Ankunft und die Feier des 15. September oder Marburg’s feierliche Woche“ enthält das Nähere darüber. Die außerordentliche Volksgunst, welche J. genoß, veranlaßte die kurhessische Regierung, Schritte bei der Bundesversammlung und 1833 Schritte bei einer Großmacht zu thun, damit J. als ein gefährlicher Demagoge aus Hessen entfernt werde. Die Sache scheiterte jedoch, weil sich J. durchgängig loyal benahm. Aber nun suchte man ihm gleichsam hinterrücks beizukommen. Die gesetzlich ihm zustehende Gehaltszulage wurde ihm vorenthalten, wie Minister Eggena sagte, um ihn nachgiebiger zu machen. Hassenpflug versagte ihm sogar die Landtagsdiäten, falls er nicht auf eine Neuwahl verzichte. Als dies nichts fruchtete, gab Hassenpflug der Polizei in Kassel auf, nachzuforschen, ob sich gegen Jordan’s sittliches Betragen nichts ermitteln lasse, worauf die Polizei feile Dirnen verhörte. Im October 1832 ließ Hassenpflug durch Dr. Straube J. vom Erscheinen in Kassel mit dem Bedeuten abmahmen, daß sonst die Regierung sein sittliches Betragen dem Publikum bloßstellen würde. J., hierüber tief entrüstet, sah sich nun erst recht zur Annahme der Wahl veranlaßt, erschien in Kassel, wartete aber vergeblich aus die Ausführung der Drohung. Nun machte die Regierung die Ansicht geltend, die Verfassungsbestimmung, wonach Staatsdiener zum Eintritt in den Landtag der Genehmigung der vorgesetzten Behörde bedürfen, beziehe sich auch auf den Abgeordneten der Landesuniversität. Der akademische Senat in Marburg verwarf jedoch, indem er zugleich Jordan’s Verzicht ablehnte, diese Ansicht und blieb dabei auch, nachdem Hassenpflug ihm eröffnet, daß der Regent die Auslegung des Ministeriums theile. Mit Bezug auf diese Vorgänge gab J. heraus: „Actenstücke über die Frage, ob der § 71 der kurhessischen Verfassungsurkunde auch auf den Abgeordneten der Landesuniversität anwendbar sei“ (Offenbach 1833). Während ihm das Ministerium wiederholt die Rückkehr auf seinen [518] Posten in Marburg aufgab, erklärte ihn der Landtag als Abgeordneten legitimirt und das von J. angerufene Obergericht in Kassel wies durch unbedingtes Mandat das Ministerium des Innern bei Geldstrafe zur Zurücknahme des Befehls an. Die Sache hatte die größte Bedeutung für die Verfassungsentwickelung gewonnen und J. sprach sich offen dahin aus, es gelte in diesem Falle, ob die Verfassung bestehen solle oder nicht. Der akademische Senat gab ihm am 5. Febr. 1833 seinen Dank für das Ausharren zu erkennen. Nachdem der Landtag infolge dieser und ähnlicher Streitigkeiten im März aufgelöst war, verzichtete J., infolge einer Rücksprache mit Hassenpflug auf Wiederwahl. Letzterer hatte ihm erklärt, sein Auftreten sei dem Wohle Hessens schädlich und hindere das Einvernehmen zwischen Regierung und Ständen. Die ihm zugleich zugesicherte Zahlung der rückständigen Diäten erfolgte nicht. Zum neuen Landtag wählte ihn der Marburger Landkreis. Er nahm an, die Regierung versagte jedoch die Bestätigung und als er dort nochmals gewählt wurde, schlug er aus. Am 31. December 1833 fand in Kassel ein Fest statt zur Verherrlichung von Jordan’s Verdiensten. Er selbst forderte hier, wie bei der Feier des Jahrestags der Verfassungsverleihung, die Bürger von Kassel zur Vertheidigung der wieder mehrfach gekränkten Landesrechte auf. Seitdem stand J. unter polizeilicher Aufsicht und der an der Spitze der Polizei in Marburg stehende Hr. Robert sammelte sorgfältig Daten, welche später dazu dienen sollten, J. den Gerichten zu überantworten. Wie Welcker und v. Itzstein in Baden, Weidig in Hessen-Darmstadt, so galt J. für Kurhessen als Vorkämpfer der Idee einer Reform des deutschen Bundes und wurde, wie diese, von Gegnern mit Vorliebe in den Verdacht revolutionärer Umsturzpläne gebracht. Anzeichen für solche, meist sehr gesuchter und kleinlicher Art, waren es, welche polizeilich gesammelt und dann mit einer Ausbeute aus den von der Bundescentralbehörde eingezogenen Acten der in anderen Staaten über das Frankfurter Attentat geführten Untersuchungen künstlich verbunden wurden. Solchergestalt ward J. allmählich so sehr in den Ruf geheimer revolutionärer Umtriebe versetzt, daß bei Untersuchungen über Hochverrath in Hessen-Darmstadt mehrere Personen über Jordan’s Betheiligung an solchen vernommen wurden. Es ist erwiesen, daß bei diesen Aussagen die Hoffnung auf Milderung der Strafe der Beschuldigten, wie bei obigen Angebereien die Hoffnung auf Beförderung im Dienst bestimmend war. Nach sechsjährigem Sammeln hatte die Polizei soviel Stoff zusammen, daß man ihn für hinreichend hielt, um gegen J. eine strafrechtliche Untersuchung einzuleiten. Die vom Marburger Apotheker Döring, welcher sich in Jordan’s Vertrauen eingeschlichen und dann wegen Todtschlags zu sechsjähriger Festungshaft verurtheilt war, gegen Zusicherung von Straferlaß gemachten falschen Angaben über revolutionäre Verbindungen Jordan’s wurden in einer im Juni 1839 gegen diesen begonnenen Untersuchung „wegen Betheiligung an revolutionären Umtrieben“ zu einem Indicienbeweise benutzt und dessen Mängel während Jordan’s vom 28. August 1839 im ganzen 6 Jahre dauernden Haft in einem Thurme des Marburger Schlosses durch Aussagen weiterer höchst verdächtiger Personen ergänzt. Allein das ganze mühsam zusammengesponnene Gewebe ergab nichts für die Untersuchung, durch diese aber war J. wenigstens seiner politischen Wirksamkeit entzogen. Dieser schrieb eine „Selbstvertheidigung“ (Mannheim 1844), in welcher er das vielfach Widerspruchsvolle, das geradezu Unmögliche und Einfältige der Aussagen gegen ihn nachwies. Die widerwärtigen Einzelnheiten der Untersuchung sind ferner zu ersehen aus folgenden Schriften: „Vertheidigung des Hrn. Prof. J.“ von A. Boden (Frankfurt a. M. 1843); K. Welcker, „Die geheimen Inquisitionzprocesse gegen Weidig und J.“ (Karlsruhe 1843); Boden, „Nachträge zur Vertheidigung Jordan’s“ (Frankfurt 1843); dritte Schrift [519] Boden’s „Zur Vertheidigung Jordan’s wider seine Gegner“ (Frankfurt 1844); P. Wigand, „Vertheidigung Jordan’s“ (Mannheim 1844); Dr. Bansa, Nachtrag hierzu (Mainz 1844); Fischer, S. J., „Vertheidigungsschrift eines deutschen Advokaten“ (Leipzig 1844). Die Voruntersuchung wurde im August 1840 geschlossen, die Hauptuntersuchung im April 1841 eingeleitet. Am 14. Juli 1841 wurden die Acten an den Bundestag geschickt. Jordan’s Gesuch um Freilassung gegen Caution wurde, obwohl seine Gesundheit durch die lange Haft gelitten, wiederholt abgeschlagen. Sein Schicksal erregte, zumal man von seiner harten Behandlung während der Haftzeit hörte, in weiten Kreisen Deutschlands das lebhafteste Mitgefühl. Vgl. Ferd. Trinks und G. Julius. „Sylv. Jordan’s Leben und Leiden“ (Leipzig 1845), Abth. 3; Grenzboten 1846. 2. Semester, 2, Bd.. S. 396; Frankfurter Journal vom 7. April 1844. Beil.; Gartenlaube von 1877. Nr. 43; Fr. Dingelstedt besang J. in einem Gedichte „Ein Osterwort aus Kurhessen“ (vgl. Müller, „Kassel seit 70 Jahren“, Bd. II Kassel 1876, S. 133). Erst bei bedenklicher Verschlimmerung seines Zustandes wurde die Uebersiedelung in seine Wohnung gestattet, in welcher er ständig von Gensdarmen bewacht wurde. Zwei Jahre nach Schluß der Untersuchung, am 14. Juli 1843, wurde J. vom Obergericht zu Marburg „wegen Beihülfe zum versuchten Hochverrath, begangen durch Nichthinderung hochverrätherischer Unternehmungen“, unter Anrechnung eines Theiles der Untersuchungshaft, zu fünfjähriger Festungsstrafe, Dienstentsetzung, Verlust der Nationalkokarde und in die Kosten verurtheilt, von den 13 Mitangeklagten 7 freigesprochen, 6 zu mehrjähriger Festungshaft verurtheilt. Dieses Urtheil ward am 18. August 1843 gerichtsseitig in besonderer Broschüre veröffentlicht. Das Oberappellationsgericht in Kassel hob jedoch am 5. Novbr. 1845 dieses Urtheil wieder auf und verurtheilte J. nur wegen unpassender Schreibart an einer Stelle seiner Vertheidigungsschrift zu einer Strafe von 5 Thlr. Nach Entlassung aus der Haft war Jordan’s Kraft gebrochen. Er hat sich nie wieder mit früherem Eifer den öffentlichen Dingen gewidmet und war von viel zu weichem Gemüthe, als daß er sich nicht hätte niedergedrückt fühlen sollen. Als das J. 1848 die Bestrebungen Jordan’s zu Ehren brachte, wollte die Bevölkerung Kurhessens die während der Zeit des Kampfes ausgezeichneten Männer an hohe Posten gebracht sehen. So wurde J. alsbald in den Landtag gewählt und hier mit stürmischem Jubel empfangen, aber schon nach wenigen Tagen, 28. März, vom liberalen Ministerium Eberhard zum kurhessischen Mitgliede der dem Bundestage beizugebenden 17 Männer des öffentlichen Vertrauens ernannt. Sein Einzug in Frankfurt a/M. war ein Triumphzug; die Bevölkerung spannte die Pferde seines Wagens aus und zog ihn, gleichsam ein Sinnbild der eben zum Siege gelangten Grundsätze, jubelnd in die Stadt. Auch seine Wahl zur Stelle eines der vier Vicepräsidenten des Vorparlaments bedeutet einen Zoll der Dankbarkeit und Verehrung von Seiten der aus allen Theilen Deutschlands zusammengekommenen Patrioten. Im Vorparlamente trat er am 2. April gegen den von Vogt u. A. gestellten Antrag auf, zur Schaffung einer constituirenden Versammlung nicht zu schreiten vor Entfernung der Bundestagsgesandten, welche zu den sogenannten Ausnahmsbeschlüssen mitgewirkt. Am 12. April 1848 wurde J. selbst mit dem Titel eines geheimen Legationsraths zum Bundestagsgesandten Kurhessens ernannt und im Juni übertrug ihm der Wahlkreis Fritzlar das erledigte Mandat zur deutschen Nationalversammlung. Hier hielt er sich zur demokratisch-constitutionellen Partei des „Landsberger Hofs“. Im Parlament selbst trat er nur selten auf. Am 21. August 1848 beantragte er die Gewährleistung der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit durch besonderen Staatsschutz. Im November 1849 wurde J. zum Mitgliede des Schiedsgerichts in Erfurt ernannt, von dieser [520] Stelle jedoch nach Einbruch der Reaction in Kurhessen von Hassenpflug alsbald abberufen. Er behielt noch eine Zeit lang seinen Wohnsitz in Frankfurt a/M. und lebte dann kränkelnd und sehr zurückgezogen in Kassel. Bei Beginn der Bewegung für Wiederherstellung seines Werkes, der Verfassung von 1831, wurde er 1860 angegangen, ebenfalls dafür einzutreten, er lehnte jedoch ab. Mit Beginn des J. 1861 fiel er in schmerzhafte Krankheit und im Traumleben seiner letzten Tage weilte sein Geist meist in den Bergen seiner Heimath. Sein Leichenbegängniß gestaltete sich durch die zahlreiche Begleitung der Kasseler Bürger, durch den weiten Umzug, sowie das Vorüberziehen vor dem Ständehause zu einer Art von Kundgebung für Wiedererlangung der Verfassung. Das auf dem Grabe errichtete Denkmal, zu dessen Kosten öffentlich gesammelt wurde, erinnert an die Tiroler Felsen. – Schriften Jordan’s, außer obigen, sind: „Die Jesuiten und der Jesuitismus“ (Altona 1839); „Wanderungen aus meinem Gefängnisse am Ende des Sommers und im Herbst 1839“ (Frankfurt 1847). Bemerkenswerthe Aufsätze: „Andeutungen über die praktische Ausführung des Systems der Reformen in den bestehenden Staaten“ in Pölitz’ Jahrb. der Gesch. u. Staatskunst (1829, Bd. I), „Ueber wahre und falsche Politik“ (das. Bd. II), „Ueber die Grundsätze, von welchen bei der Abfassung der kurhessischen Verfassungsurkunde ausgegangen worden“ (das. 1832, Bd. I). Endlich „Disquisitio de nonnullis controversiis ad doctrinam de conatu delinquendi spectantibus“ (Marb. 1826).

Justi’s Grundlage einer Hess. Gelehrtengesch. (Marb. 1831), S. 290); Biograph. Umrisse der deutschen Nationalversammlung, Heft 3 u. 4 (Frankfurt a/M. 1849): Wagener’s Staats- u. Ges.-Lex., Bd. X. S. 573; Staatslex., 3. Aufl., Artikel über Jordan; E. Bauer, Gesch. der constitutionellen Bewegungen im südlichen Deutschland (Charlottenburg 1846); Unsere Zeit, 1861, S. 701; Hessische Morgenzeitung, Nr. 501 u. 503; Oetker, Lebenserinnerungen, Bd. I (Stuttg. 1877).