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Artikel „Ludwig der Deutsche“ von Engelbert Mühlbacher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 417–446, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig_der_Deutsche&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 17:19 Uhr UTC)
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Band 19 (1884), S. 417–446 (Quelle).
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Ludwig der Deutsche, der jüngste Sohn Ludwig des Frommen aus erster Ehe, wurde um das J. 804 geboren. Aus einer baierischen Urkunde lernen wir den Namen seines Erziehers Egilolf kennen. Eine spätere Schilderung weiß zu erzählen, wie er, als sechsjähriger Knabe an den Hof seines Großvaters Karl d. Gr. gebracht, durch kluge und dreiste Rede sein Herz gewonnen und ihn zum Ausspruch veranlaßt habe, aus dem Kleinen werde noch Großes werden. Das Hausgesetz von 817 wies L. unter der einstigen Oberhoheit seines älteren Bruders Lothar Baiern, das Land der Kärntner, Böhmen, Avaren und Slaven im Osten Baierns und für seinen Bedarf die königlichen Villen Lauterhofen und Ingolstadt im Nordgau zu; doch erst 825 wurde er, nachdem er im Vorjahr auf einem Verwüstungszuge gegen die Bretagne mit dem Grafen Matfrid von Orléans eines der drei Heere befehligt hatte, nach Baiern gesandt und im Juni 826 datiren Freisinger Urkunden „nach dem ersten Jahre, da König L. nach Baiern kam“. Seine Stellung war, wie die seiner Brüder Lothar in Italien, Pippin in Aquitanien: sie regieren im Namen und Auftrag ihres Vaters, dem die Gewalt gewahrt bleibt; dieser urkundet auch allein wie früher für das baierische Gebiet. 828 wurde L. mit einem Heere gegen die Bulgaren, welche im Vorjahr Pannonien verwüstet hatten, entsandt; über den Erfolg des Feldzugs fehlt jede Nachricht, im nächsten Jahre plünderten dieselben Feinde wieder längs der Drau. Wie Lothars, so wurde auch Ludwigs Stellung zum Vater durch die umfassenden Pläne der Kaiserin Judith, ihrem Sohn Karl ein Reich zu schaffen, bestimmt. Sie versuchte zuerst die beiden Brüder dafür zu gewinnen und durch engere Bande an ihren Sohn und ihre Familie zu knüpfen: wie Lothar zum Pathen des neugeborenen Karl ausersehen war (823), so wurde L. [418] 827 mit ihrer Schwester Hemma vermählt. In beider Gegenwart wurde auch 829 zu Worms Alamannien an Karl übertragen. Schmälerte diese Maßregel auch zunächst nur das Erbe Lothars, so mußten doch auch L. und Pippin für ihre Antheile besorgt sein. Dem drohenden „Unwillen“ der älteren Brüder suchte der kaiserliche Hof durch die Entlassung Lothars nach Italien und durch die Bestellung Bernards, dessen Obhut der kleine Karl anvertraut wurde, „zum zweiten Mann des Reichs“ zu begegnen. Doch schon im nächsten Jahre brach die Empörung los; die Häupter des Aufstandes beriefen Lothar und Pippin, die Kaiserin wurde in ein Kloster in Poitiers gebracht. Nach dem nicht unbedenklichen Bericht Radberts, des Biographen Walas, soll es damals L., der – wir wissen nicht, warum – von seinem Vater in Haft gehalten wurde, gelungen sein zu entkommen; zu den Aufständischen geeilt, soll er das gräuliche Treiben am Hofe, die ehebrecherischen Beziehungen der Kaiserin zu Bernard, ihre Zauberkünste gegen den Gemahl, Bernards Mordpläne enthüllt haben. Das Ergebniß der Empörung konnte ihn nicht befriedigen; der ganze Gewinn fiel Lothar zu, der seine Ansprüche auf das Hausgesetz von 817 stützte, seine Partei beutete den Erfolg in rücksichtsloser Weise aus, die öffentlichen Zustände verschlimmerten sich. Ist auch die Meldung Thegans, L. habe die Entthronung des Vaters verhindert, anderweitig nicht verbürgt, so erhalten wir doch durch die Erzählung Nithards bald sicheren Boden: als die Verschlimmerung der Verhältnisse die Sympathien für den alten Kaiser mehrte und sein Anhang dessen Wiedereinsetzung plante, sandte man heimlich einen gewandten Unterhändler, den Mönch Guntbald, an L. und Pippin und gewann sie durch die Zusage, daß ihre Reiche vergrößert werden sollten, wenn sie ihres Vaters Partei ergreifen würden. L. ward deren zuverläßlichste Stütze: der alte Kaiser, „den Westfranken mißtrauend und lieber den Deutschen sich anvertrauend“, bestand auf der Berufung des Reichstages nach Nimwegen, wo die Sachsen und Ostfranken sich einfinden konnten. Hier erschien auch L., „der dem Vater in allen Nöthen zur Seite stand“, hier unterwarf sich Lothar, seine Partei wurde zersprengt. Auch zum Reichsstag in Aachen, auf dem das Strafgericht über die Empörer erging (Februar 831), fand sich L. ein. Dieser Zeit gehört auch der Entwurf einer Reichstheilung an, welche, Lothar ausschließend und auf Italien beschränkend, nach dem Muster des Hausgesetzes von 806 Verfügungen über die Erbfolge nach dem Tode des alten Kaisers traf; L. sollte zu Baiern ganz Thüringen, Ripuarien, Atoarien (Geldern), Sachsen, Friesland, die Gaue Ardennen, Hasbania, Brabant, Flandern und das Land bis Cambray und Vermendois erhalten, das übrige Reich zwischen Pippin und Karl getheilt werden. Sollte damit das Versprechen, welches der gefangene Kaiser gegeben, eingelöst, L. wie Pippin für die geleistete Hülfe belohnt und ihr Interesse mit dem Karls unzertrennbar verknüpft werden, so kam der Entwurf doch nie zur Ausführung. Die Kaiserin lenkte wieder die Politik, bald änderte sich die ganze Sachlage: Lothar, den Judith von neuem für ihre Pläne zu gewinnen strebte, wurde in Ingelheim (Mai 831) wieder in Gnaden aufgenommen, seine Parteigänger wurden amnestirt.

L. und Pippin sahen sich um den zugesicherten Preis verkürzt und gegen den älteren Bruder, der dem Vater eben erst solche Unbill zugefügt hatte, zurückgesetzt. Diese treulose Politik barg aber in sich auch die Gefährdung des ihnen längst zugewiesenen Besitzes. Noch gegen Ende des J. 831 wurde Pippin an den väterlichen Hof berufen und hier „wegen Ungehorsam und sittlicher Ungebundenheit“ internirt; wol schon damals hegte die Kaiserin den Plan, Aquitanien ihrem Söhnchen zu verschaffen. Als Pippin am 27. December aus Aachen entflohen war, wurde über die gegen ihn zu ergreifenden Maßregeln [419] berathen; man beschloß eine Reichsversammlung nach Orléans einzuberufen; Lothar und L., die kurz vorher (November 831) dem Reichstag in Diedenhofen, auf dem Bernard sich von der Beschuldigung des Ehebruchs mit der Kaiserin reinigte, beigewohnt hatten, sollten in Aachen erscheinen und ihren Vater nach Orléans begleiten. Da traf die unerwartete Nachricht ein, daß L. zu den Waffen gegriffen und selbst Hörige und Slaven in das baierische Heer eingereiht habe, um Alamannien, den Besitz Karls, zu erobern, dort das Volk für sich in Eid und Pflicht zu nehmen und dann gegen den Vater selbst vorzurücken (März 832). Nach officiellem Berichte soll Graf Matfrid, einer der entschiedensten Anhänger Lothars, die Erhebung geplant und ins Werk gesetzt haben, während Thegan, wie er dies auch sonst liebt, die Schuld geradezu Lothar zuschiebt. Der Groll über die Nichterfüllung der gemachten Zusagen, der nun zur Selbsthülfe griff und in der Erwerbung Alamanniens eine Entschädigung suchte, gesteigert noch durch das Verfahren gegen Pippin, bot der Ursache genug. Der Kaiser berief den Heerbann der West- und Ostfranken und der Sachsen für den 18. April nach Mainz. Am nächsten Tage brach er auf, setzte über den Rhein und Main und lagerte bei Tribur. Der Baiernkönig war bis Lampertheim gegenüber Worms vorgedrungen, die erwarteten Zuzüge waren ausgeblieben. Als der Kaiser heranzog, kehrte er eilig auf dem Wege, den er gekommen, nach Baiern zurück. Der Abfall lichtete seine Reihen, der Kaiser rückte, den Spuren der Verwüstung begegnend, langsam mit seinem Heere durch Alamannien nach. In Augsburg erschien L. vor seinem Vater; er erhielt Verzeihung gegen das eidliche Versprechen, nie mehr derartiges zu unternehmen, noch anderen zu einem solchen Unternehmen sich anzuschließen. Dieser rasche Erfolg mochte den Kaiser hoffen lassen, daß er ebenso leicht Pippins Widerstand brechen, ohne größere Schwierigkeit die Pläne seiner Gemahlin zur Ausführung bringen werde. Er täuschte sich, Pippin war ein kühnerer Charakter. Er leistete zwar, als der Kaiser mit einem Heer in Aquitanien einrückte (September 832), der an ihn ergangenen Vorladung Folge und erschien vor seinem Vater, der ihn nach Francien verwies, „bis er durch Besserung sein Gemüth besänftigt haben würde“; Aquitanien wurde an Karl verliehen und der Treueid für ihn eingefordert. Doch es gelang dem entthronten Pippin in Doué Nachts zu entfliehen und nach Aquitanien zu entkommen. Seine Anhänger schaarten sich um ihn. Das nachrückende Heer des Kaisers erlitt durch die Unbilden des Winters und durch Ueberfälle große Verluste, die Heerfahrt endete mit kläglichem Rückzug. Kaum war der Kaiser wieder in Aachen angelangt, als ihm die Kunde zukam, daß seine Söhne Lothar, L. und Pippin sich zur Empörung verbündet hätten und gegen ihn mit großer Heeresmacht ziehen wollten. Im Februar 833 brach er gen Worms auf. Die Unterhandlungen mit den Aufständischen, an deren Spitze sich wieder Lothar gestellt hatte, blieben erfolglos, der Kaiser, welcher bei Colmar seinen Söhnen gegenüber lagerte, sah sich genöthigt, sich selbst ihnen auszuliefern (29. oder 30. Juni). Sie geben ihm beruhigende Versicherungen; als er in ihr Lager kommt, wird seine Gemahlin von ihm getrennt und zu den Zelten Ludwigs geführt, er selbst mit dem kleinen Karl auf den Lagerplatz Lothars geleitet. Lothar übernimmt förmlich die Herrschaft, das Reich wird unter die drei Brüder getheilt. Aus den Urkunden erhellt, daß L., der auch nach den Xantener Jahrbüchern Lothar als Oberherrn den Treueid geleistet haben soll, Alamannien, das Elsaß und Franken zufiel, wie es scheint, auch Sachsen und Thüringen. Die neugewonnene Stellung kommt auch äußerlich zum Ausdruck: wie aus den Urkunden Lothars, so verschwindet der Name des Kaisers auch aus jenen Ludwigs, die bisher gleichfalls nach den kaiserlichen Regierungsjahren datirt hatten, der enger umgrenzte Titel [420] „durch Gottes Gnade König der Baiern“ vereinfachte sich zu dem bedeutsameren Titel „durch Gottes Gnade König“, mit dem J. 833 beginnt eine neue Epoche, die Datirung nach den Regierungsjahren in „Ostfrancien“. Lothar führt, während L. nach Baiern zurückkehrt, den Vater als Gefangenen nach Soissons und läßt ihn im Kloster St. Medard einschließen. Die Reichsversammlung in Compiègne (October 833) versetzt mit Billigung Lothars den Kaiser in den Anklagestand, er wird zur öffentlichen Kirchenbuße in Soissons, die eine Wiedererhebung auf den Thron unmöglich machen sollte, gezwungen. Lothar führt im November den Vater mit sich nach Aachen, wo er zu überwintern gedenkt und hält ihn in strenger Haft. Er beansprucht nun die ganze Reichsgewalt für sich und sucht seine beiden Brüder ganz in den Hintergrund zu drängen. Zum Unmuth darüber gesellt sich das durch die harte Behandlung des Vaters verletzte kindliche Gefühl. L. ist es, der zuerst für diesen eintritt. Von Frankfurt ordnet er den Abt Gozbald von Altaich und den Pfalzgrafen Morhard an Lothar ab mit der Forderung, dem Vater eine mildere Behandlung zu Theil werden zu lassen. Als Lothar diese Botschaft unwillig aufnimmt, schickt er Gesandte an seinen Vater, der Zutritt zu ihm wird ihnen verweigert. Auf einer Zusammenkunft mit Lothar in Mainz (December 833) wiederholt L. die Bitte, der Bruder möge gegen den Vater Milde walten lassen und ihn nicht in so enger Haft halten. Da Lothar dies hartnäckig verweigert, plant er die Befreiung des Vaters. Nach Epiphanie 834 sendet er den Abt Grimald von Weißenburg und den Grafen Gebhard zu seinem Vater nach Aachen. Lothar gestattet ihnen, denselben im Beisein der Aufseher zu sehen. Die Gesandten werfen sich dem Kaiser zu Füßen und überbringen ihm Grüße von ihrem König; es ist ihnen nicht möglich, mit dem Gefangenen allein zu sprechen, durch Zeichen geben sie ihm zu verstehen, daß ihr Herr die Erniedrigung seines Vaters nicht länger dulden wolle. Unterdeß bricht sich auch eine immer weitere Kreise ergreifende Bewegung zu Gunsten des alten Kaisers Bahn, Pippin ruft, aufgefordert durch eine Gesandtschaft seines Bruders L., die Aquitanier und die Leute jenseits der Seine, L. selbst die Baiern, Austrasier, Sachsen, Alamannen zu den Waffen, um mit ihnen gegen Aachen zu ziehen. Lothar eilt nun mit dem gefangenen Vater nach Westfrancien, in St. Denis macht er Halt; Pippin steht mit seinen Schaaren bereits an der Seine, die Burgunder haben die Marnelinie besetzt. Lothar sucht durch Unterhandlungen Zeit zu gewinnen; als er hört, daß auch L. mit einem Heere heranziehe, flieht er am 28. Februar nach Burgund. Am 1. März wird der Kaiser in St. Denis wieder feierlich von den Bischöfen in die Kirche aufgenommen und mit den Waffen und königlichen Insignien bekleidet. In Quierzy erwartet er seine Söhne Pippin und L., seine Retter; gerührt dankt er ihnen für seine Befreiung, ebenso der ihn umjubelnden Menge für die erwiesene Treue. Er entläßt Pippin nach Aquitanien und zieht mit L. nach der Residenz Aachen. Die Versuche, Lothar zu friedlicher Unterwerfung zu bestimmen, sind vergeblich; das kaiserliche Heer erleidet an der Grenze der britanischen Mark eine vollständige Niederlage, Lothar zieht den Seinen zu Hülfe und erobert auf dem Wege Châlon s. S. Da endlich rafft der Kaiser sich auf; in Langres, wohin er mit seinem Sohn L. gekommen war, hält er den Heertag und rückt gegen Lothar. Dieser muß sich vor Blois unterwerfen, mit feierlichem Eide seinen hochfliegenden Ansprüchen entsagen und mit seinen Anhängern nach Italien abziehen. L., dem der Kaiser nun auch den Besitz von Ostfrancien bestätigt zu haben scheint, und Pippin werden in ihre Reiche entlassen.

Das Verhältniß Ludwigs zu seinem Vater ist in den nächsten Jahren ein herzliches, gefestet in der Zeit der Noth. Im August 835 ist L. auf dem [421] Reichstag in Tramoyes (Stremiaco) anwesend, im Mai und September auf jenem in Diedenhofen und Worms, wo erfolglose Unterhandlungen mit Lothar gepflogen werden, um eine Aussöhnung mit dem Vater anzubahnen. Wenn auch ungern, sucht nun die Politik der Kaiserin in L. eine Stütze: dieser erscheint 837 auf der Reichsversammlung in Aachen, mit seiner Zustimmung überträgt der Kaiser „den besten Theil Franciens, Friesland, den größten Theil Belgiens, das Land zwischen Seine und Maas bis Burgund und bis zum Ocean an Karl, dem auch die Großen und Vasallen sogleich die Huldigung und den Treueid zu leisten haben. Nur widerstrebend fügt sich L., die immer regen und gierigen Ausstattungspläne für seinen jungen Stiefbruder, welche jetzt Pippin wieder auf seinen früheren Besitz, auf Aquitanien, beschränken, lassen ihn auch für seinen neuerworbenen Länderbesitz fürchten. Er tritt mit Lothar in Verbindung; um Mittfasten 838 hat er mit diesem eine „Unterredung“ im Thal von Trient. Am kaiserlichen Hof verursacht die Zusammenkunft große Aufregung, der Kaiser, der mit Ludwigs Abreise auch schon Ziel und Zweck der Fahrt erfahren zu haben scheint, läßt, erzürnt, daß der Baiernkönig dies ohne sein Wissen und ohne seinen Rath gethan habe, durch Eilboten alle seine Getreuen zu sich bescheiden, macht ihnen Mittheilung von dieser verdächtigen Unterredung und fordert sie auf, nöthigenfalls zum Widerstand gerüstet zu sein. Schon in der Osterwoche erscheint L. vor seinem Vater in Aachen; in scharfes Verhör genommen, schwört er mit seinen Vertrauten, daß bei jener Zusammenkunft mit Lothar nichts gegen die dem Vater schuldige Treue und Ehre geplant worden sei; er wird nach Hause entlassen mit dem Auftrag, im Mai sich wieder in Nimwegen zu stellen. Erst im Juni findet hier die Reichsversammlung statt. Anfangs herrscht zwischen Vater und Sohn ein leidliches Einvernehmen: in einer kaiserlichen Urkunde für Kempten tritt dieser als Intervenient auf, vor ihnen wird eine Streitsache Fuldas entschieden. Doch als der Kaiser „den Rathschlägen gewisser fränkischer Großen nachgebend“, von L. zurückfordert, „was dieser jenseits und diesseits des Rheins von väterlichem Reich usurpirt hatte“, kommt es zu heftigem Streit. Der Kaiser verfügt die Einziehung jener Lande, nämlich des Elsasses, von Sachsen, Thüringen, Austrien und Alamannien und gewinnt jetzt wieder Pippin für die Pläne zu Gunsten Karls, welcher im September zu Quierzy wehrhaft gemacht und gekrönt wird. Von Westfrancien zieht der Kaiser gen Frankfurt, um dort zu überwintern und wol auch die verfügten Maßnahmen gegen L. zur Ausführung zu bringen. Auf dem Wege dahin erhält er die Nachricht, daß die Stadt schon von L. besetzt sei und dieser ihm nicht nur die Winterresidenz, sondern auch den Rheinübergang wehren wolle.

L. hatte die Zwischenzeit zu Rüstungen benutzt, um wenigstens das rechte Rheinufer zu behaupten, und war am 29. November mit seinen Truppen in Frankfurt eingetroffen. Der Kaiser läßt überall die Getreuen aufbieten und zieht nach Mainz. In Kastel steht ihm sein Sohn gegenüber und wehrt ihm den Uebergang über den Strom; ein Versuch, an verschiedenen Punkten zugleich über den Rhein zu setzen, wird vereitelt, neue Friedensmahnungen bleiben ohne Erfolg. Am 7. Januar endlich gelingt der Rheinübergang auf Schiffen, gedeckt durch die unterdeß auf dem rechten Ufer erschienenen Sachsen. Der Abfall lichtet die Schaaren der Austrasier, Thüringer und Alamannen in Ludwigs Heer, er flieht nach Baiern. Der Kaiser verzichtet auf die Verfolgung und nimmt die in Gnade auf, welche sich ihm unterwerfen und Treue schwören, die Anstifter und Förderer der Empörung straft er mit Güterconfiscation und Verbannung. Erst in der Fastenzeit bricht er nach Alamannien auf, Ostern feiert [422] er in der Pfalz Bodman am Bodensee; nach einer nicht ganz zuverlässigen Nachricht erscheint hier L., um Verzeihung zu erbitten und zu erhalten.

Da Pippin inzwischen gestorben war (13. December 838), verbündet die Politik der Kaiserin sich wieder mit dem Interesse Lothars. Am 30. Mai 839 wird zu Worms die Aussöhnung zwischen dem Kaiser und Lothar ins Werk gesetzt, zwischen diesem und Karl das ganze Reich mit Ausnahme Baierns getheilt. Die Länder, für deren Behauptung L. eben erst zu den Waffen gegriffen hatte, sollen nach des Vaters Tod an Lothar fallen, L. auf Baiern beschränkt werden. Er erhält von seinem Vater den Befehl, ohne seine Erlaubniß die Grenzen Baierns nicht zu überschreiten, widrigenfalls der Kaiser mit einem Heer nach Augsburg kommen werde; es werden die Mannschaften bestimmt, die dann gegen Baiern ins Feld rücken sollen. Die an L. abgeordneten kaiserlichen Gesandten bringen die Botschaft zurück, daß derselbe den Befehlen des Vaters nicht durchaus den Gehorsam verweigere, aber nur unter der Bedingung gehorsamen wolle, daß ihm von den namentlich bezeichneten Getreuen des Kaisers die verlangte Sicherstellung eidlich gewährleistet werde. Da diese fern sind, zieht der Kaiser es vor, seiner Zusicherung der Treue zu vertrauen, bis er siegreich aus Aquitanien, das sich für das Erbrecht von Pippins gleichnamigem Sohn erhoben hatte, zurückkehren werde, mächtig genug, eine etwaige Empörung dann sogleich niederzuwerfen. Einigen Anhängern Ludwigs, die den letzten Aufstand mit der Confiscation ihrer Güter gebüßt hatten, gesteht er auf dessen Bitte Rückgabe ihres Besitzes zu gegen das eidliche Versprechen, ihm unverbrüchliche Treue zu wahren und an keiner Erhebung oder an Umtrieben sich zu betheiligen.

Der Kaiser zieht nach Aquitanien. Noch hatte er das empörte Land seinem jüngsten Sohn nicht zu sichern vermocht, als ihm im Februar 840 zu Poitiers die Meldung zukommt, daß L., unterstützt von Thüringern und Sachsen, durch Alamannien bis Frankfurt vorgedrungen sei, viele Ostfranken für seine Sache gewonnen habe und das Land bis zum Rhein als den ihm rechtlich gebührenden Antheil beanspruche. Der Kaiser, durch diese Nachricht tief betroffen, läßt seine Gemahlin und seinen Sohn in Poitiers zurück, bricht trotz der Altersschwäche und des bedenklicher werdenden Lungenleidens nach Beginn der Fastenzeit, die er sonst heilig zu halten pflegte, sogleich auf; seinen Bruder, den Erzkaplan Drogo von Metz, und den Grafen Adalbert sendet er zur Deckung des linken Rheinufers mit Streitkräften voraus. Unter den größten Mühseligkeiten gelangt er selbst gegen Ostern nach Aachen. Mit dem gesammelten Heere bricht er von hier auf und zieht in eiligem Marsch durch den Lahngau nach Thüringen. L. weicht zurück, ohne den Kampf zu wagen, und kann sich nur retten, indem er von den Slaven den Durchzug durch ihr Land erkauft, er flieht wieder nach Baiern. In Salz beruft der Kaiser eine Reichsversammlung auf den 1. Juli nach Worms, um mit Lothar und seinen anderen Getreuen über die Maßregeln gegen L. zu berathschlagen. Doch seine Krankheit verschlimmert sich rasch, zu Schiffe wird er nach der Rheininsel bei Ingelheim gebracht. Der Groll gegen L. beherrscht ihn noch auf dem Sterbebette; als er zu Gunsten der Kirchen und Armen, Lothars, dem er auch die Reichsinsignien übersenden läßt, und Karls über seine Fahrhabe testirt, wird L. nicht bedacht. Der versöhnenden Zusprache seines Beichtigers Drogo gelingt es endlich auch für diesen Verzeihung zu erwirken; aber noch trägt der Sterbende den Bischöfen auf, seinen Sohn daran zu mahnen, wie er seines Vaters graue Haare mit Herzeleid in die Grube gebracht und Gottes Gebote und Drohungen verachtet habe.

Nach dem Tode Ludwigs des Frommen (20. Juni 840) beanspruchte Lothar das ganze Reich für sich und heischte überall die Huldigung. Diesseits der Alpen schaarte sich wieder seine alte Partei um ihn, sein Anhang wuchs [423] mehr und mehr. Seine Parteigänger, einst die Vertreter der Reichseinheit, sollen ihn unter Hinweis auf seine Kaiserwürde und sein Erstgeburtsrecht gedrängt haben, die Brüder zu enterben, während ihre Anhänger sich auf die von allen beschworene Theilung, auf deren Gleichstellung mit dem ältesten Bruder beriefen. Um den Widerstand seiner Brüder leichter bewältigen zu können, suchte Lothar sie zu trennen. Er ließ Karl, der noch in Aquitanien weilte, Versicherungen seiner freundlichen Gesinnung übermitteln und rückte gegen seinen nächsten Gegner, gegen L. Nach kurzem Kampfe verjagte er die nach Worms gelegte Besatzung, ging über den Rhein und marschirte gegen Frankfurt. Bei Mainz trat ihm unerwartet L. mit einem mächtigen Heer entgegen, entschlossen, das Reich östlich vom Rhein sich mit den Waffen zu wahren. Man vereinbarte für die Nacht Waffenruhe, die beiden Heere lagerten einander gegenüber. Als Lothar seine Erwartung, L. werde, ohne eine Schlacht zu wagen, das Feld räumen, getäuscht sah, schloß er mit ihm (August 840) einen Waffenstillstand bis 11. November unter der Bedingung, daß sie sich an diesem Tag am gleichen Ort treffen sollten und daß, wenn über die Reichstheilung keine Einigung erzielt werden könnte, die Entscheidung den Waffen anheim gestellt werde. Während Lothar gegen Karl nach Westfrancien zog, benutzte L. trefflich die Frist, um die Huldigung der Ostfranken, Alamannen, Sachsen und Thüringer entgegen zu nehmen, die Städte am linken Rheinufer in Vertheidigungsstand zu setzen und mit Besatzungen zu versehen. Lothars Unschlüssigkeit, die vor einer entscheidenden Schlacht zurückschreckte, brachte ihn auch Karl gegenüber um jeden Erfolg; in dem Vertrag von Orléans verpflichtete er sich sogar bis zu der für 8. Mai in Attigny anberaumten Zusammenkunft, welche die Reichstheilung endgültig regeln sollte, auch L. nicht anzugreifen. Aber schon im März 841 rückte er, nachdem er im Februar nach Aachen zurückgekehrt war, gegen L. ins Feld. Er marschirte am linken Ufer rheinaufwärts, bei Worms glückte es ihm endlich, über den Strom zu setzen. Von vielen der Seinen verrathen und fast eingeschlossen, sah L. sich zu raschem Rückzug gezwungen. Lothar, überzeugt, daß dieser Feind unschädlich gemacht sei, führte sein Heer gegen Karl und ließ nur den Grafen Adalbert von Metz mit Streitkräften zurück, um dem Volk den Treueid abzunehmen und eine Vereinigung Ludwigs mit Karl zu verhindern. Zunächst trat er mit Karl wieder in Unterhandlungen; die Ueberschreitung der durch den Vertrag von Orléans gezogenen Grenzen rechtfertigte dieser damit, daß auch Lothar vertragswidrig L. angegriffen habe. Karl kam, wie er sich verpflichtet hatte, nach Attigny, vergeblich wartete er aber auf das Eintreffen Lothars; unterdeß langten Gesandte Ludwigs ein, der sich bereit erklärte, ihm gegen ihren gemeinsamen Gegner Hülfe zu bringen. Dankend nahm Karl das Anerbieten an und bat, die Hülfeleistung zu beschleunigen. Das Bündniß gegen Lothar war geschlossen. Ohne Zögern brach L. auf. Im Rießgau, jenseits der Wörnitz, stellte Graf Adalbert sich seinem Vormarsch entgegen; am 13. Mai errang L. einen vollständigen Sieg, Adalbert selbst fiel. Unweit Châlons s. M. vereinigte er sich mit Karl. Sie versuchten gemeinsam mit Lothar zu unterhandeln, doch dieser wies ihre Anerbietungen zurück; er ließ ihnen sagen, er wolle nichts ohne Schlacht, und zog seinem Verbündeten Pippin von Aquitanien entgegen. L. und die Seinen waren darüber bestürzt; die langen Märsche, die Kämpfe hatten sie hart mitgenommen; sie litten namentlich Mangel an Pferden. Um die Schmach abzuwehren, daß der Bruder den Bruder verlassen habe, faßten sie den muthigen Entschluß, bei Karl auszuharren, und brachen mit diesem zur Verfolgung Lothars auf. Sie erreichten ihn am 21. Juni bei Auxerre. Am nächsten Tag boten sie ihm die Schlacht an. Lothar gewann einen Vorsprung, sie überholten ihn und lagerten bei Thury, Lothar bei Fontenoy. Nochmals versuchten [424] sie Unterhandlungen, sie blieben erfolglos. Am 25. Juni ward die „unselige“ Schlacht bei Fontenoy geschlagen. L. stand bei Brittas Lothar gegenüber, seine Schaaren wurden von dem tapfern Ansturm Lothars anfangs zurückgedrängt, bald aber hielten sie Stand, warfen den Feind zurück, Lothar wurde von der Flucht fortgerissen. Leichter war der Kampf Karls bei Fagit. Die Sieger geboten der Verfolgung und Plünderung Einhalt, eine unermeßliche Beute fiel in ihre Hände, aber auch ihr Sieg war theuer erkauft, die Blüte der fränkischen Streitmacht war gefallen. Am Tag nach der Schlacht versammelten sie ihre Bischöfe und diese erklärten, daß sie nur für ihre gerechte Sache gefochten und die Schlacht als Gottesgericht für sie entschieden habe, eine „Entschuldigung“, welche die Geistlichkeit der Gegenpartei nicht anerkannte.

Die verbündeten Brüder ließen Lothar unbehelligt, der sich nach Aachen wandte, seinen Anhang zu mehren und namentlich durch die Aufwiegelung der freien und halbfreien Sachsen gegen die mehr Ludwigs Sache geneigten Adeligen diesem einen nahen und gefährlichen Feind zu schaffen suchte, und strebten zunächst die eigenen Lande sich vollständig zu sichern. Karl zog nach Aquitanien, L. kehrte über den Rhein zurück und unterwarf sich gewaltsam oder friedlich einen Theil der Sachsen, Ostfranken, Thüringer und Alamannen, unter denen Lothars Sache noch immer viele Anhänger zählte. Schon im Juli rückte Lothar gegen ihn ins Feld, „als ob er ihn bis zu den fremden Völkern verjagen wollte“, doch eine gefährliche Wendung Karls gegen Mastricht zwang ihn zu raschem Rückzug. Er wandte sich nun ebenso erfolglos gegen diesen; von Tours eilte er, durch die Kunde aufgeschreckt, daß Karl und L. sich mit bedeutenden Heeren zu vereinigen strebten, nach Aachen zurück. Im Februar 842 trafen die beiden Brüder in Straßburg zusammen, nachdem Karl sich den Weg ins Elsaß frei gemacht und L. die Lothar ergebenen Städte am linken Rheinufer bezwungen hatte. Am 14. Februar beschworen sie mit ihren Getreuen feierlich, L. in romanischer, Karl in deutscher Sprache, ihr Bündniß gegen Lothar, der, obwol das Gottesgericht gegen ihn entschieden habe, den Kampf gegen sie fortsetze und ihr Volk ins Elend stürze, und sprachen ihre Getreuen des Treueides ledig, wenn einer von ihnen diesen Schwur brechen sollte. Sie rückten gegen Lothar vor, Karl auf dem linken, L. auf dem rechten Rheinufer. In Mainz stieß sein Sohn Karlmann mit einem ansehnlichen Heer zu ihm. Am 18. März langten sie in Koblenz an, die mit der Vertheidigung des Moselüberganges betrauten Schaaren ergriffen die Flucht, der Weg nach Aachen stand offen. Erst auf die sichere Kunde, daß Lothar entflohen sei, zogen sie dahin. Man berathschlagte sogleich, was mit Lothars Reich zu geschehen habe, hieß es doch, und das Gerücht fand auch bei den Brüdern Glauben, daß Lothar an seiner Sache verzweifle und nach Italien ziehe. Sie überließen die Entscheidung den zahlreich anwesenden Geistlichen, welche in Anbetracht des treulosen Gebahrens Lothars gegen seinen Vater und seine Brüder, der Verbrechen, die dasselbe im Gefolge gehabt, seiner Unfähigkeit und jeglichen Mangels an gutem Willen, des Gottesgerichtes, das jetzt nochmals gegen ihn entschieden habe, einmüthig erklärten, daß Gottes strafende Hand ihn verjagt und sein Reich seinen besseren Brüdern zu gerechter Regierung überantwortet habe. Aber erst nach der öffentlichen Zusicherung, daß sie nicht in die Fußstapfen ihres vertriebenen Bruders treten, sondern nach Gottes Willen die Regierung führen würden, gab der Clerus im Namen Gottes ihnen die Vollmacht, Lothars Reich in Besitz zu nehmen. Jeder der Brüder wählte 12 Getreue, um es mit Rücksichtnahme auf den territorialen Zusammenhang gleichmäßig zu theilen. Gerade an dieser Stelle ist im Bericht Nithards eine wol schon ursprüngliche Lücke; so erfahren wir nicht, welche Gebiete dem einzelnen zugewiesen wurden. L. und Karl ließen sich von den [425] neuen Unterthanen, die ihnen gefolgt waren, den Treueid leisten und trennten sich, um von den neugewonnenen Ländern förmlich Besitz zu ergreifen; jener feierte Ostern (2. April) zu Köln, dieser zu Heristal; sie nahmen die, welche sich einfanden, in Pflicht und folgten, L. über Diedenhofen, Karl über Rheims, in langsamem Zug Lothar nach Burgund. In Verdun trafen sie wieder zusammen.

Lothar versuchte es nun mit Unterhandlungen. Als seine Erklärung, daß er zum Frieden bereit sei, nur kühle Aufnahme fand, ließ er durch eine zweite Gesandtschaft seine Ansprüche auf ein Drittel des Reichs ermäßigen. L. und Karl zeigten sich zum Abschluß eines Friedens und zur Annahme des Theilungsantrags geneigt; auch ihre Vasallen waren des verheerenden Krieges müde geworden, die Geistlichkeit drängte zum Frieden. Mit dem ihm zuerst angebotenen Gebiet gab sich Lothar nicht zufrieden, die Bevollmächtigten der verbündeten Brüder vergrößerten dasselbe und verbürgten sich eidlich für die Theilung in drei möglichst gleiche Theile. Am 15. Juni wurden bei einer Zusammenkunft der drei Brüder auf der Insel Ansilla bei Mâcon die Verhandlungen eröffnet; nur mit Noth kamen sie am folgenden Tag zum Abschluß. Der Präliminarfriede bestimmte gleichmäßige Theilung des Reiches, mit Ausnahme von Italien, Baiern und Aquitanien; Lothar sollte die Wahl seines Antheils frei stehen und jede Partei 40 Bevollmächtigte bestellen, die mit der „Beschreibung“ des Reichs betraut, am 1. October in Metz zusammen zu treten hätten. L., der nun den Osten des Reichs als sicheren Besitz ansehen konnte, kehrte dahin zurück. Im August hielt er eine Reichsversammlung in Salz ab und zog von da nach Sachsen, um den noch immer wüthenden Aufstand der „Stellinger“, wie sie sich nannten, gegen die Adeligen niederzuwerfen. Ueber die Anstifter erging ein erbarmungsloses Strafgericht. Im October traf er wieder mit Karl in Worms zusammen. Ihre Bevollmächtigten erachteten sich in Metz durch die Nähe Lothars, der in Diedenhofen sich aufhielt, gefährdet. Man einigte sich zur Verlegung der Verhandlungen nach Coblenz. Da auch diese, vereitelt durch die Umtriebe Lothars, welche die Aufnahme der „Beschreibung“ des Reichs verhindert hatten, zu keinem Ergebniß führten, wurde im November in Diedenhofen unter Aufrechthaltung der früher eingegangenen Bedingungen die Verlängerung des Präliminarfriedens bis zum 14. Juli des nächsten Jahres vereinbart. Im August 843 endlich wurde in Verdun der definitive Friede geschlossen und die Reichstheilung vorgenommen. L. erhielt zu Baiern das Land bis zum Rhein mit Kurwalchen, dem Thur- und Aargau, auf dem linken Rheinufer die Städte Speier, Worms und Mainz mit ihren Sprengeln, Thüringen, Ostfranken, Sachsen; die Brüder, welche persönlich erschienen waren, garantirten sich gegenseitig eidlich ihre Reiche. Nicht ein nationales Princip war der Theilung zu Grunde gelegt worden; das Reich Ludwigs umfaßte, vom romanischen Kurwalchen abgesehen, nur Stämme deutscher Zunge, aber noch nicht alle deutschen Stämme. Seine Diplome datiren nach wie vor nach den Regierungsjahren in „Ostfrancien“; nur von Geschichtsschreibern, zuerst von den westfränkischen Reichsannalen, wird ihm der Titel „König von Deutschland“ beigelegt.

Erlitt das gute Einvernehmen unter den drei Brüdern auch bald eine Störung, so hielten doch die in schwerer Zeit gefesteten näheren Beziehungen zu Karl in den nächsten Jahren Stand und sie ermöglichten es L., vermittelnd und versöhnend zwischen Lothar und Karl einzutreten. Noch auf der Zusammenkunft in Diedenhofen (October 844) gelobten sich die Brüder, entsprechend der Forderung der im benachbarten Yütz gleichzeitig versammelten Synode, unverbrüchliche Eintracht, Fernhaltung aller, die Zwietracht säen wollten; gemeinsam ordneten sie zur Herstellung des Friedens Gesandte an Pippin II. von Aquitanien [426] ab. Aber bald kam es zwischen Lothar und Karl zu förmlichem Bruch. Ein Vasall Karls, Gisalbert, entführte eine Tochter Lothars nach Aquitanien und vermählte sich mit ihr. Lothar glaubte Karl in Einverständniß und ließ sich selbst durch die gemeinsame Erklärung Ludwigs und Karls, welche sie im März 846 bei einer Zusammenkunft in Westfrancien abgaben, daß Gisalbert gegen ihren Willen mit seiner Tochter sich verbunden habe, nicht beschwichtigen. Auf dem Tag von Meersen (Februar 847) wiederholten die drei Brüder zwar die Versicherung der Eintracht, gegenseitigen Beistandes und gegenseitiger Garantie ihrer Reiche, aber die Spannung zwischen Lothar und Karl bestand fort. Je mehr sie sich verschärfte, um so mehr näherte Lothar sich L. Die Jahrbücher von Fulda erzählen zu 847, daß beide das Jahr in trautem Einvernehmen verbracht, einander besucht und durch Geschenke geehrt haben. Bei einer Zusammenkunft in Coblenz (Februar 848) machte Lothar, „wie das Gerücht ging“, den Versuch, L. von Karl zu trennen und ganz für sich zu gewinnen, eine Zumuthung, welche derselbe jedoch mit dem Hinweis auf das beschworene Bündniß mit Karl ablehnte. Ludwigs Bemühungen gelang es endlich, Lothar mit Gisalbert, der sich unter seinen Schutz begeben hatte, und mit Karl auszusöhnen. Im Frühjahr 849 traf er wieder mit diesem zusammen „und so sehr waren sie in brüderlicher Liebe einander verbunden, daß sie sich gegenseitig öffentlich Stäbe (als Symbole der Uebergabe ihres Besitzes) überreichten und jeder Gemahlin und Kinder unter den Schutz des Ueberlebenden stellte“. Die nun in ihrer Familie wieder hergestellte Eintracht fand auch in der Zusammenkunft der drei Brüder in Meersen (Sommer 851) Ausdruck. Wieder versicherten sie sich feierlich gegenseitiger Liebe und Unterstützung, so daß auch keiner nach des anderen Reich oder Vasallen sich gelüsten lasse, und Ludwigs Erklärung betonte namentlich die Nothwendigkeit brüderlicher Eintracht, deren Störung so viel Unheil angestiftet habe, und gegenseitigen Beistandes.

Ludwigs Reich fand im Osten und Nordosten bedeutende Aufgaben; hier galt es nicht nur die Grenzen zu schützen und zu sichern, sondern auch die anwohnenden Völkerschaften dem Christenthum und der Cultur zu gewinnen. Schon 844 war L. genöthigt, gegen die Unabhängigkeitsgelüste der Abodriten zu den Waffen zu greifen; er erzwang die Anerkennung seiner Oberhoheit. Ein viel gefährlicherer Feind waren die Dänen. 845 eröffneten sie zu gleicher Zeit gegen die drei karolingischen Reiche die Feindseligkeiten: sie plünderten Hamburg, andere Schaaren überfielen Friesland, eine Flotte lief in die Seine ein und brandschatzte Paris. L. begnügte sich, eine Gesandtschaft an den Dänenkönig Horich abzuordnen. Auf dem Reichstag in Paderborn erschienen im Herbst Gesandte seiner Brüder, der Dänen, Slaven und Bulgaren; Horich soll sich bereit erklärt haben, zur Herstellung des Friedens die Gefangenen auszuliefern und die geraubten Schätze nach Möglichkeit zurückzugeben. Wenigstens wurden in den nächsten Jahren die sächsischen Lande von den Freibeutern verschont. Schwierigkeiten boten nicht minder die schwankenden Verhältnisse im Osten. Am 13. Januar 845 empfingen zwar 14 böhmische Häuptlinge mit ihrem Gefolge in Regensburg die Taufe und mit dem Beginn der Christianisirung mochte auch die Festigung des deutschen Einflusses gesichert scheinen. Aber schon 846 mußte L. gegen die „auf Abfall sinnenden“ Mährer zu Felde ziehen; er bestellte Rastiz (Rastislaw) anstatt Moimirs zum Herzog und brachte seine Oberhoheit wieder zur Geltung; doch auf dem Rückmarsch durch Böhmen wurde sein Heer angegriffen und erlitt bedeutende Verluste. 848 entsandte er, als ein Einfall der Böhmen drohte, seinen Sohn Ludwig gegen dieselben; sie wurden gezwungen, um Frieden zu bitten und Geiseln zu stellen. Sie erhoben sich indeß schon wieder im nächsten Jahre. Unter dem Befehl des Grafen Ernst von der böhmischen Mark, „des ersten unter den Freunden des [427] Königs“, rückte ein starkes Heer nach Böhmen, um das aufständische Land wieder zu unterwerfen; auf den Wunsch der Böhmen führte Thacolf, der Graf der Sorbenmark, dem sie, weil er ihrer Gesetze und Gebräuche kundig war, besonderes Vertrauen entgegenbrachten, die Unterhandlungen mit den Häuptlingen; die anderen Führer, eifersüchtig und besorgt, daß ihnen Erfolg und Verdienst entgehe, griffen den Feind an, wurden aber geschlagen und ins Lager zurückgeworfen; sie mußten einen schmählichen Rückzug durch Stellung von Geiseln erkaufen und tief fühlte man die Schande, welche der Neid und die Zwietracht der Heerführer über das Reich gebracht hatten. Der Erfolg der Böhmen ermuthigte auch die Sorben zu plündernden Einfällen; 851 führte L. selbst ein Heer gegen dieselben und züchtigte sie durch die Verwüstung ihres Landes.

War Ludwigs Thätigkeit auch durch die äußeren Verhältnisse fortwährend in Anspruch genommen, so wandte er doch auch den inneren Zuständen eifrige Sorge zu. 847 trat auf Geheiß des Königs unter Vorsitz des eben zum Erzbischof von Mainz erhobenen Hraban an dessen Bischofsitz eine Synode zusammen; sie faßte Beschlüsse zur Reform der kirchlichen Disciplin, Wahrung des Kirchengutes, Schutz der ärmern Freien gegen die auf ihnen lastenden Bedrückungen, bestellte Anskar als Bischof von Bremen und legte dem König ihre Beschlüsse zur Bestätigung vor. Ein Jahr später wurde auf einer zweiten Synode in Mainz mit Zustimmung des Königs die Prädestinationslehre des Mönchs Gotschalk verurtheilt, der, von seinem Vater, dem sächsischen Grafen Bern, schon als Kind in Fulda dem Mönchsstande geweiht, nur widerwillig den ihm aufgezwungenen Beruf ertrug; Gotschalk selbst wurde öffentlich gegeißelt, von Mainz nach Rheims gebracht und mußte sich endlich verpflichten, nicht mehr in das Reich Ludwigs zurück zu kommen. Nochmals versammelte sich im October 852 in Mainz eine ostfränkische Synode, gleichzeitig tagten unter Vorsitz des Königs die weltlichen Großen über die staatlichen Angelegenheiten. Von da ging dieser nach Sachsen, um den zu Tage tretenden Uebelständen, namentlich den Uebergriffen der Grafen und Beamten zu steuern und Recht zu schaffen. Das Land durchziehend, saß er an den Malstätten selbst zu Gericht. In Minden und Erfurt hielt er Reichstage ab und erließ ein Gesetz, daß die Grafen und Beamten, damit sie nicht Richter und Partei in einer Person seien, in ihrem Amtsbezirk nicht auch die rechtliche Vertretung anderer Personen, die Vogtei, übernehmen dürfen.

Klebte den schwankenden Verhältnissen der Theilreiche auch schon an sich das Annectirungsgelüste an, so war doch eigentlich durch die von der Kaiserin Judith geleitete Politik die Ländergier zum Staatsprincip erhoben worden, das mit Mißachtung bindender Verpflichtungen den rohen Eigennutz an die Stelle des Rechts setzte. Als gelehrigster Schüler erwies sich später Karl. Aber auch auf die Politik Ludwigs, so sehr er auch selbst früher in Mitleidenschaft gezogen worden war, blieb diese Schule nicht ohne Einfluß. Den ersten Anlaß bot Aquitanien. Hier hatten sich die Verhältnisse immer wirrer gestaltet. Karl vermochte nicht Herr des Landes zu werden, Pippin II. leistete hartnäckigen Widerstand; während der Bürgerkrieg das Land verheerte, häuften sich die Plünderungszüge der Normannen. Pippin wurde 852 von dem baskischen Grafen Sancho gefangen genommen und an Karl ausgeliefert, der ihn im Kloster St. Medard zu Soissons zum Mönch scheeren ließ. Die Erbitterung gegen Karl stieg, als er im März 853 den Grafen Gauzbert von Maine enthaupten ließ. Die Aquitanier wandten sich an L.; sie ordneten, wol schon seit 852, öfter Gesandte an Ludwig ab und flehten ihn an, „daß er entweder selbst die Herrschaft über ihr Land übernehme oder einen seiner Söhne schicke, um sie von der Tyrannei Karls zu befreien, da sie sonst gezwungen wären, bei den fremden und ungläubigen [428] Völkern mit Gefahr ihres Glaubens Hülfe zu suchen, wenn sie dieselbe bei den rechtgläubigen und rechtmäßigen Herren nicht finden könnten“. Dieser Hülferuf fand bei L. um so eher Gehör, als er, wie die westfränkischen Reichsannalen sich ausdrücken, „wegen gewisser zur Zeit des Bürgerkriegs zwischen ihnen eingegangener Bedingungen“ auf Karl heftig erzürnt war. Der drohenden Gefahr suchte Karl durch ein enges Bündniß mit Lothar, den er ganz für sich zu gewinnen verstand, vorzubeugen. Er verschmähte es aber auch nicht, mit den Bulgaren in Verbindung zu treten und von ihnen einen Angriff auf das ostfränkische Reich zu erkaufen. L. führte das ziemlich abenteuerliche Unternehmen nicht selbst aus, sondern sandte seinen Sohn Ludwig mit einem Heer von Thüringern, Alamannen und Baiern nach Aquitanien, „um zu sehen, ob die an die Gesandten gemachten Zusagen auf Wahrheit beruhten“. Karl und Lothar schlossen auf dem Tag von Lüttich (Februar 854), bei dem L., obwol eingeladen, nicht erschienen war, ein förmliches Bündniß; sie verbürgten sich ihre Reiche, und verpflichteten sich gegenseitig „einander gegen L., würde er oder einer seiner Söhne eines ihrer Reiche angreifen, Beistand zu leisten und, falls einer von ihnen stürbe, auch den Söhnen das väterliche Reich zu wahren und gegen Angriffe zu vertheidigen“. Lothar übernahm die Vermittlung bei L.; die Beziehungen zwischen beiden waren erkaltet, seit Lothar sich ganz Karl angeschlossen, und L. hatte sogar mit den Großen Lothars Verbindungen anzuknüpfen versucht. Bald nach dem Tag von Lüttich trafen Lothar und L. am Rhein zusammen; nach heftigem Zank verständigten sie sich jedoch zu einem Friedensvertrag. Karl, der unterdeß in Aquitanien gewesen war, wo seine Schaaren ebenso schlimm hausten wie die Deutschen, war über diese Abmachungen nicht wenig besorgt; er lud Lothar zu einer Zusammenkunft ein. In Attigny erneuerten sie ihr Bündniß (Juni 854) und schickten Gesandte an L. mit der Forderung, daß er seinen Sohn aus Aquitanien zurückberufe. Dieser hatte in Aquitanien nicht festen Fuß zu fassen vermocht; nur die Sippe des enthaupteten Grafen Gauzbert hatte sich ihm angeschlossen; die Menge strömte Pippin zu, der, vielleicht nicht ohne Wissen Karls, aus dem Kloster St. Medard entwichen war; als nun auch Karl, Pippin bei Seite lassend, sich gegen die fremden Truppen wandte, sah sich der deutsche Prinz, „da er“, wie die Jahrbücher von Fulda sagen, „sich überzeugt hatte, daß seine Ankunft überflüssig gewesen sei“, im Herbst zu fluchtartigem Rückzug in seine Heimath gezwungen. Das Unternehmen war schmählich gescheitert. Die Mißhelligkeiten zwischen L. und Karl wurden schon 855 friedlich ausgeglichen, die Hoffnung auf gemeinsame Beute verbündete sie wieder. Lothar erkrankte zu Beginn des Jahres 855; dies gab ihnen „Gelegenheit sich wieder zu einigen“, so daß Lothar Verdacht schöpfte und sich bei Karl beschwerte.

Kaum war Lothar I. gestorben (29. September 855), als die Großen des Lothar II. zugefallenen Theilreichs diesen zu L., der im Sommer einen erfolglosen Feldzug gegen den aufständischen Herzog Rastislaw von Mähren unternommen hatte, nach Frankfurt führten und dort mit dessen Zustimmung zu ihrem König erhoben. Bald aber schloß sich Lothar näher an Karl an. Auf einer Zusammenkunft mit L. zu Coblenz (Februar 857) tauschte er mit diesem noch freundschaftliche Versicherungen aus, doch schon am 1. März beschwor er zu St. Quentin die Erneuerung des von seinem Vater eingegangenen Bündnisses mit Karl, eine Verbindung, die L. so gefährlich erschien, daß er mit Lothars Bruder, Kaiser Ludwig II. von Italien, etwa im Juli zu Trient in gleicher Weise sich verbündete. Lothar erschien auch im Mai des nächsten Jahres nicht in Coblenz, wohin L. ihn eingeladen hatte, noch sandte er Bevollmächtigte, „weil er mit Karl gegen L. verbündet war“. Denn schon drohten zwischen dem [429] westfränkischen und ostfränkischen König neue und bedenklichere Mißhelligkeiten. Bereits 853 hatten sich die unzufriedenen westfränkischen Großen an L. um Beistand gewandt, 856 ging eine neue Gesandtschaft an ihn ab, um im Namen fast aller westfränkischen Grafen und der Aquitanier ihn zum Einschreiten gegen die Mißregierung Karls aufzufordern, hatte ja L. erst am 12. März dieses Jahres auch dem 854 aus der Haft in Corbie entkommenen Karl, dem Bruder Pippins II. von Aquitanien, Mainz, den Metropolitansitz seines Reichs, verliehen. Aber der König war durch die eigenen Angelegenheiten zu sehr in Anspruch genommen und genöthigt, eine Heerfahrt gegen die Daleminzier (zwischen Elbe und Mulde) und Böhmen zu unternehmen; jene wurden mit Hülfe der Sorben geschlagen, in Böhmen unterwarfen sich einige Herzoge, das Heer erlitt indeß schwere Verluste. Karl beeilte sich, die Mißvergnügten durch die Zusicherung der Abhülfe ihrer Beschwerden zu beschwichtigen. Die Zustände besserten sich nicht, Karl war der Unbotmäßigkeit der Großen gegenüber ohnmächtig, das Land blieb nach wie vor der Tummelplatz der Raubzüge der Normannen, die im December 856 zum zweiten Male Paris überfielen, mit denen nun auch Pippin von Aquitanien gemeinschaftliche Sache machte. Da erschien im Juli 858 wieder eine Gesandtschaft der westfränkischen Großen, an ihrer Spitze Abt Adalhard von St. Bertin und Graf Otto, vor L., um ihn zu bitten, daß er dem hartbedrängten Volk rasch zu Hülfe komme, da sie, müßten sie auf die Hoffnung der Befreiung durch ihn verzichten, sonst gezwungen seien, Schutz bei den Heiden zu suchen; sie seien außer Stand, so versicherten sie, die Tyrannei Karls länger zu ertragen, der durch sein hinterlistiges Wüthen im Innern zu Grunde richte, was die normannischen Raubhorden noch übrig gelassen, dessen Versprechen und Eiden Niemand mehr Glauben schenken könne. L., welcher im Februar mit einigen seiner Räthe zu Forchheim, dann mit dem von ihm berufenen Grafen zu Ulm Besprechungen gepflogen und hier auch Gesandte seines Verbündeten, Kaiser Ludwigs II., empfangen hatte, war, als Lothar seiner Einladung nach Coblenz nicht gefolgt war, nach Frankfurt gegangen, um mit den Seinen „über den Nutzen des Reichs“ zu berathschlagen; es war beschlossen worden, drei Heere gegen die aufrührerischen Slaven aufzubieten und das eine unter dem Prinzen Karlmann gegen Rastislaw von Mähren, das andere unter dem Prinzen Ludwig gegen die Abodriten und Linonen, das dritte unter Thaculf gegen die Sorben zu entsenden. Die Heere waren marschbereit, als die Gesandtschaft aus Westfrancien einlangte. Ihr Hülfegesuch brachte nach der Versicherung der Fuldaer Annalen den König in arge Verlegenheit, denn er mußte nun entweder gegen den Bruder vorgehen oder, was nicht minder gewissenlos, das bedrängte Volk preisgeben und noch dazu besorgen, die öffentliche Meinung werde ihn beschuldigen, daß nur Ländergier, nicht der Hülferuf des Volkes der Beweggrund seines Handelns gewesen sei; doch er habe, so erzählen sie weiter, dem Rath der Weisen sich endlich gefügt und im Bewußtsein der Reinheit seines Gewissens den Gesandten die Zusage gemacht, mit Gottes Hülfe ihnen beizustehen. Mitte August versammelte er das Heer in Worms und zog durch das Elsaß nach Westfrancien, während Karl mit Lothar den auf der Seineinsel Oissel eingeschlossenen Normannen gegenüber stand.

Am 1. September erreichte L. die Pfalz Ponthion und empfing hier die Huldigung der herbeigeströmten Großen; von der hohen Geistlichkeit war nur Erzbischof Wenilo von Sens erschienen. Ueber Châlons und Sens rückte das Heer in den Gau von Orléans vor, wo die Großen aus Aquitanien, Neustrien und der Bretagne, wie sie zugesagt, sich einfanden, und marschirte fast auf demselben Wege wieder nach dem Gau von Queudes (in der Nähe von Meaux) zurück. Karl hatte auf die Kunde vom Einbruch seines Bruders sogleich die [430] Belagerung der Normannen aufgegeben und war nach Burgund geeilt, um Streitkräfte zu sammeln. Vergeblich versuchte er zu unterhandeln, L. wies seine Anerbietungen zurück und selbst den in dessen Namen von den westfränkischen Bischöfen und Gesandten gemachten Vorschlag einer Zusammenkunft, auf der nach seinem Beirath den Beschwerden Abhülfe geschaffen, den Uebelständen gesteuert werden sollte. Schon standen sich die Heere schlachtbereit bei Brienne sur Aube gegenüber. Karl betheuerte weinend nochmals den Seinen, in Zukunft allen ihr Recht zu geben, er sandte sogar Hincmar von Rheims an seinen Bruder, damit er diesen und sein Volk für den räuberischen Einfall excommunicire. Feig wie immer, seinen Truppen, in welche Desertion einzureißen begann, mißtrauend und an seiner Sache verzweifelnd, entfloh er heimlich mit wenigen Begleitern am 12. November nach Burgund, seine Truppen gingen zum Feinde über. Nach diesem unblutigen Erfolg wähnte L. seine Eroberung gesichert; er untersagte die Verfolgung Karls, entließ „in allzu unvorsichtigem Sicherheitsgefühl“ sein ostfränkisches Heer in die Heimath und „vertraute seine Sache denen an, die eben ihren Herrn verlassen und verrathen hatten“, allerdings eifrig bestrebt durch reichliche Verleihung von Aemtern und Würden, Klöstern und Besitzungen ihre Dienste zu lohnen, ihr Interesse an das seine zu fesseln. Ueber Troyes zog er nach Attigny, wo auch der bisherige Bundesgenosse Karls, Lothar, der nun auch sein Reich bedroht glauben mochte, wie es heißt, auf Betreiben Wenilo’s von Sens sich einfand und einen Freundschaftsvertrag abschloß. Es erging auch der Befehl, alle Vasallen Karls in Eid und Pflicht zu nehmen, daß sie L. in der Behauptung Westfranciens unterstützen werden. Vom 7. December 858 aus Attigny datirt eine Urkunde nach „dem ersten Regierungsjahre in Westfrancien“, ein Beweis, daß L. die Eroberung des Landes als vollendet betrachtete und gewillt war, es in Besitz zu behalten. In Attigny empfing er aber auch das von Hincmar verfaßte Schreiben der in Quierzy versammelten westfränkischen Bischöfe, welche treu zu ihrem rechtmäßigen König standen; sie lehnten es ab, der an sie ergangenen Einladung zu einer Versammlung in Rheims, wo der Eroberung durch ihre Anerkennung und wol auch durch die Krönung Ludwigs die kirchliche Weihe gegeben werden sollte, Folge zu leisten, sie führten ihm die Verantwortung seines Einbruches vor dem ewigen Richter, das entsetzliche Unheil und Elend, das derselbe über das Land gebracht, zu Gemüthe, verwiesen auf die Bedrängniß des Reichs durch die Normannen, auf die furchtbaren Mißstände im Innern, forderten die Wahrung der kirchlichen Privilegien, namentlich die Unverletzlichkeit des Kirchenguts, und erklärten die geforderte gemeinsame Berathung, da es sich um eine Angelegenheit der ganzen Kirche diesseits der Alpen handle, auf eine ruhigere Zeit verschieben zu wollen. Zugleich unterhielten sie rege Beziehungen zu Karl. Wie immer bei solch gewaltsamen Umwälzungen verschlimmerten sich die Verhältnisse, mehrte sich das Elend; die Großen, welche L. gerufen, fühlten unmuthig das kräftigere Regiment des neuen Herrschers. Bald fand Abfall und Verrath auch unter seinen neuen „Getreuen“ Eingang. L. hatte die ihm verschwägerten Welfen Konrad und Hugo, welche seine Partei ergriffen hatten, nach Burgund entsandt, um Karl zu beobachten und über dessen Bewegungen zu berichten; doch diese gingen zu Karl über und beredeten ihn, L., der, von Truppen entblößt, nur ein kleines Gefolge um sich hatte, zu überfallen. Von Auxerre brach Karl mit Streitkräften auf; beinahe gelang es ihm, L. am 15. Januar 859 im Gau von Laon zu überrumpeln, nur mit Noth entging dieser der Gefangenschaft. Er eilte nach Deutschland zurück und man bemühte sich, die schmähliche Flucht durch einen Einfall der Sorben, der seine Gegenwart in seinem Reiche nöthig gemacht habe, [431] zu beschönigen. Seine Pläne waren gescheitert, rascher als er es gewonnen, hatte er das eroberte Reich wieder verloren.

L. nahm Aufenthalt in Worms und knüpfte Friedensunterhandlungen mit Karl und Lothar an, die am 12. Februar zu Warq (bei Mezières) das frühere Bündniß erneuert hatten. Am 28. Mai trat eine Synode westfränkischer und lothringischer Bischöfe zusammen, welche sich auch mit der Herstellung eines förmlichen Friedens zwischen den Königen beschäftigte; als Karl und Lothar sich dazu bereit erklärten, ließ sie an L. die Forderung stellen, daß er sein auch der Kirche zugefügtes Unrecht bereue, mit den Königen zur Herstellung des Friedens zusammenkomme und die Verworfenen, welche sich unter seinen Schutz begeben und ihm Treue gelobt, ausliefere. Am 4. Juni empfing L. zu Worms die Gesandten der Synode, an ihrer Spitze Hincmar von Rheims, er sprach seine Reue über das Vorgefallene aus, schnitt aber, wol schon von deren Inhalt unterrichtet, die weiteren Eröffnungen der Bischöfe mit der Erklärung ab, daß er ihre Anträge nicht annehmen könne, sondern vorerst mit seinen Bischöfen über die Sache verhandeln müsse. Wieder drängte eine größere Synode in Savonière (bei Toul) zum Friedensschluß. So vereinbarten die Könige eine Zusammenkunft in Andernach; sie waren mit einer Anzahl von der Gegenpartei namentlich bezeichneter Großer erschienen; auf einer Rheininsel nahe der Veste traten sie zu einer Besprechung zusammen, beide Ufer waren durch ihr Gefolge besetzt. Es kam zu heftigem Streit, eine Einigung war nicht zu erzielen, da L. darauf bestand, daß jene, welche im Vorjahr ihm gehuldigt hatten, die eingezogenen Lehen zurückerhielten. Zur Schlichtung dieses Streitpunktes verabredeten sie eine Zusammenkunft in Basel für den Herbst. Um seinen Einfall in Westfrancien gegen Mißdeutungen beim Kaiser und Papst zu rechtfertigen, sandte L. den Abt Thioto von Fulda nach Italien mit dem Auftrag, ihre Antworten, wenn möglich, noch vor der verabredeten Zusammenkunft zu überbringen. Als der Abgesandte mit günstigem Bescheid zurückkam, traf er den König schon am Bodensee, da Lothar in Basel nicht erschienen und Karl deshalb auf dem Weg dahin umgekehrt war. Erst der Vermittlung Lothars gelang es, nachdem Karl seine ersten Vorschläge zurückgewiesen hatte, im nächsten Jahre den Abschluß des Friedens zu erwirken. Am 1. Juni 860 trafen sich die drei Könige in Coblenz; nach längeren Verhandlungen kamen unter Mitwirkung der am 5. Juni in der Castorkirche zusammengetretenen Bischöfe und Großen der drei Reiche die Vereinbarungen zu Stande; am 7. Juni wurden feierlich der Friedensschluß und die Erneuerung der Beschlüsse von Meersen verkündet. L. schwor seinem Bruder und seinem Neffen unter gegenseitiger Garantie ihrer Reiche, so lange er lebe, ein treuer Berather und Helfer zu sein; Karl gelobte für die, welche sich L. angeschlossen hatten, volle Amnestie ihrer Eigengüter und Lehen, jene ausgenommen, die er selbst ihnen verliehen hatte, wenn auch L. dieselbe Gunst denen zugestehe, die ihn in seiner Noth unterstützt hatten. War mit diesem Friedensschluß das verunglückte Unternehmen gegen Westfrancien auch zu einem glimpflichen Abschluß gebracht, so blieb es doch nicht ohne schädigende Rückwirkung auf Ludwigs Reich und Regierung.

Schon 857 hatte König Lothar seine verhaßte Gemahlin Theutberga verstoßen, war aber im nächsten Jahre durch die Haltung seiner Großen gezwungen worden, sie wieder zu sich zu nehmen. Um sich ihrer zu entledigen, ließ er ihr auf der Synode zu Aachen (Juni 860) den Proceß machen; nach dem erpreßten Eingeständniß des sittlichen Verbrechens, dessen ihr Gemahl sie bezichtigte, wurde ihr „gestattet“ den Schleier zu nehmen. Es gelang ihr bald zu ihrem Bruder Abt Hucbert zu entkommen; gleich ihm fand sie im westfränkischen Reich Aufnahme und Schutz. Wie Hincmar von Reims ihre Sache mit [432] der Schärfe des empörten sittlichen Gefühls vertrat, so benutzte Karl sie für die Zwecke seiner klug berechnenden Politik, die jetzt gierig nach Ländererwerb auszuspähen begann. So war Lothar, dessen ganzes Sinnen und Trachten nur mehr von dem Bestreben erfüllt war, die Scheidung von Theutberga aufrecht zu erhalten und sich mit seiner geliebten Konkubine Waldrada zu vermählen, auf das Bündniß mit L., der mit seinem Bruder wol nur äußerlich ausgesöhnt war, angewiesen. Noch 860 wurde dasselbe abgeschlossen; als Preis dafür trat Lothar nach dem Bericht der westfränkischen Reichsannalen das Elsaß ab, das indeß, so lange Lothar lebte, nicht in Ludwigs Besitz gelangte. Bald nahmen die Verbündeten offen Stellung gegen Karl. Auf dem Reichstag in Regensburg entsetzte L. Ende April 861 den Grafen Ernst, „den hervorragendsten unter seinen Großen“ – er war auch der Schwiegervater von Ludwigs ältestem Sohn Karlmann – „wegen Untreue“, dessen Neffen, den Abt Waldo von Schwarzach (am Rhein), Uto und Berengar, sowie die Grafen Sigihart und Gerold als Mitschuldige ihrer Aemter und Lehen; als Ernsts Neffen sich ins Reich Lothars zu ihrem Verwandten, dem Grafen Adalhard, einem Oheim von Karls Gemahlin, der noch im September 860 als Fürsprecher in einer Urkunde Lothars genannt wird, begaben, wurde Adalhard mit seiner Sippe des Landes verwiesen; die Verwiesenen fanden in Westfrancien ehrenvolle Aufnahme und Entschädigung für ihre Verluste, Adalhard wurde noch dadurch ausgezeichnet, daß Karl ihm die Erziehung seines Sohnes Ludwig übertrug. Als der westfränkische König (Ende 861) erobernd und verwüstend in das Reich Karls von Burgund, des Bruders Lothars, mit dem dieser schon 858 einen Erbvertrag abgeschlossen hatte, einfiel, übersandten Lothar und L. einen feierlichen Protest gegen den Friedensbruch. Sie schickten zugleich ein gemeinsames Schreiben an den Papst Nicolaus I., in dem sie über den räuberischen Einfall Karls Klage führten und baten, daß der Papst persönlich kommen möge, um den westfränkischen König kraft seines apostolischen Amtes zur Rechenschaft zu ziehen. 862 trafen sie in Mainz zusammen; Lothar versprach gegen die Abodriten mit zu Felde zu ziehen, hielt aber seine Zusage nicht. So unternahm L. die Heerfahrt allein; sie blieb ohne durchgreifenden Erfolg, der König mußte sich mit der Stellung von Geiseln, darunter eines Sohnes des Abodritenfürsten Dabomysl, begnügen. Nachdem er nach Frankfurt zurückgekehrt war, verwüsteten die Normannen mit Feuer und Schwert Sachsen und zum ersten Mal erschienen auch im Osten des Reichs, das zugleich von einer Hungersnoth heimgesucht wurde, die Raubschaaren der Ungarn.

Unterdeß hatte sich Lothar mit Waldrada vermählt und sie zur Königin krönen lassen. Dieser Schritt bot Karl willkommenen Anlaß, noch schroffer gegen ihn aufzutreten. L. suchte zu vermitteln. Er ließ Karl zu einer Zusammenkunft mit ihrem Neffen einladen. Sie trafen sich im November 862 in Savonière. Da Karl eine persönliche Begegnung mit Lothar ablehnte, bevor er nicht L. seine Beschwerden gegen Lothar dargelegt hätte, geriethen beide in heftigen Streit. L. verstand sich endlich dazu, mit 2 deutschen und 2 lothringischen Bischöfen Lothar die Beschwerdeschrift Karls zu überbringen. Sie führte aus, daß der Coblenzer Friede weder von L., noch weniger von Lothar eingehalten worden sei, daß dieser in seinem Ehehandel weder den von Karl und dessen Bischöfen erbetenen Rath befolgt, noch die angerufene Entscheidung des Papstes abgewartet habe und daher wie ein Heide und öffentlicher Sünder zu meiden sei; Karl verlangte die Mitwirkung Ludwigs, daß ihr Neffe sein Verfahren gegen seine Gemahlin öffentlich rechtfertige oder die Zusage leiste, das Geschehene zu bessern, erst dann sei es ihm möglich, mit ihm in Verkehr und in Verhandlungen über die Aufrechthaltung des Coblenzer Vertrages zu treten; er erbot sich noch, wenn Lothar seine Forderung zurückweisen würde, L. gegenüber zu [433] brüderlicher, diensteifriger Freundschaft. Lothar nahm die ihm gestellten Bedingungen an und wurde unter diesem Vorbehalt zum Friedenskuß und zur Unterredung aufgenommen. In den Erklärungen vom 3. November berührte L. das Unterbleiben der in Coblenz vereinbarten Zusammenkünfte „eingetretener Hindernisse wegen“, seine Vermittelung zwischen Karl und Lothar, die Zusage des letzteren, die Besserung der Uebelstände in ihren Reichen; Lothar betonte seine Dankbarkeit gegen L., der ihn an Kindesstatt angenommen habe, und versprach die Einhaltung seiner Zusage. Da L. und Lothar gegen die öffentliche Vorlesung der Erklärung Karls, welche die Zusicherung der Freundschaft für Lothar unter dem Vorbehalt der Erfüllung der gegebenen Zusage geben wollte, Verwahrung einlegten, beschränkte sich dieser auf die Erklärung vor ihren Räthen, er werde seinem Neffen Freund und Helfer sein, wenn dieser das Gleiche thue. Damit war nothdürftig der äußere Friede wieder hergestellt.

Nun griff aber der Papst ein. Er forderte die Absendung deutscher und westfränkischer Bischöfe zur Synode von Metz, die Lothars Ehesache untersuchen sollten. Es erschienen hier nur lothringische Bischöfe (Juni 863). Lothar bestach die päpstlichen Legaten, die Synode anerkannte seine Ehe mit Waldrada als rechtmäßige. Doch der Papst kassirte ihre Beschlüsse und schritt mit voller Strenge ein; Lothars Helfershelfer, die Erzbischöfe Theutgaud von Trier, ein Bruder von Ludwigs vielvermögendem Erzkaplan Grimoald, und Gunthar von Köln wurden abgesetzt. Diese Maßregel berührte auch das ostfränkische Reich, der nordwestliche Theil desselben gehörte zur Erzdiöcese Köln. L. vermied trotz des Drängens des Erzbischofs Liutbert von Mainz jede Parteinahme gegen Lothar. In einem Schreiben, das der Papst als Antwort auf die zur Regelung kirchlicher Verhältnisse durch Salomon von Konstanz übersandte Botschaft erließ, sprach Nikolaus harten Tadel über den König aus, daß derselbe nicht früher schon, wie es seine Pflicht gewesen, Lothars Vermählung mit Waldrada öffentlich mißbilligt habe. Die geistlichen Einflüsse und die Erwägungen, daß Lothar, der sich nun ganz seinem Bruder Kaiser Ludwig II. angeschlossen hatte, doch sein Ziel nicht erreichen werde, daß die Auflösung und Auftheilung des lothringischen Reichs doch nur mehr eine Frage der Zeit sei, führten eine Annäherung an Karl herbei. Schon auf dem Reichstag zu Pistres (Juni 864) waren der Mainzer Metropolit und der gewandte Bischof Altfrid von Hildesheim, wol als Unterhändler ihres Königs, anwesend. Im Februar 865 trafen L. und Karl persönlich in Thousey (bei Toul) zusammen. Ihre öffentlichen Erklärungen bezeichneten nur die Bedürfnisse der Kirche und des Reichs, die Erneuerung des Coblenzer Friedens, die Wahrung der Rechte, aber auch der Pflichten ihrer Getreuen gegenüber ihrem König als den Zweck ihrer Vereinbarung; sie verpflichteten sich gegenseitig auch ihren Söhnen, falls einer von ihnen stürbe, treue Hülfe zu erweisen, und stellten für die Ausführung des das Vergeben und Vergessen aller früheren Irrungen in sich begreifenden Vertrages je 2 Bürgen, die bei einer Verletzung desselben die Könige an ihre Pflicht mahnen sollten. Jene Erklärungen verdammten jedoch auch Lothars sündhaften Wandel und das daraus stammende Unheil, allerdings mit der Versicherung, daß sie die Hand bieten wollten, ihn auf den Weg der Pflicht zurückzuführen. Sie übersandten an ihn die Aufforderung, bevor er nach Rom gehe, was er gegen die göttlichen und menschlichen Gesetze gesündigt, zu bessern und früher sein Reich zu ordnen; sie meldeten zugleich dem Papst die Absendung dieses Mahnschreibens und stellten neue Mahnungen in Aussicht, weigerten sich aber zu der vom Papst nach Rom berufenen Synode Bischöfe zu schicken. Lothar fühlte sich durch das Bündniß seiner Oheime, das sich ganz als Werk Karls darstellt, [434] sehr beunruhigt; überzeugt, daß sie nur darnach trachteten, ihm sein Reich zu entreißen und unter sich zu theilen, rief er die Vermittlung seines kaiserlichen Bruders und des Papstes an. Nicolaus erließ auch ernste Warnungsschreiben an die beiden Könige, die west- und ostfränkischen Bischöfe, und mahnte eindringlich zur Wahrung des Friedens und Achtung der mit Lothar früher eingegangenen Verträge. Im Juni 865 überreichte der Legat Arsenius in Frankfurt L. das päpstliche Schreiben und vereinbarte hier seiner Friedensmission gemäß eine Zusammenkunft der Könige in Köln. Die Furcht vor der gefährlichen Habgier der Oheime erwirkte, was der Papst bisher vergeblich zu erreichen sich bemüht hatte: Lothar nahm in Douzy (bei Sedan) die von Arsenius ihm zugeführte Theutberga feierlich als seine rechtmäßige Gattin und Königin auf und willigte ein, daß Waldrada nach Italien gesandt wurde. Durch Vermittlung der Königin Irmintrud erfolgte wenige Tage später auch eine förmliche Aussöhnung zwischen Karl und Lothar, in Attigny der Abschluß eines Freundschaftsvertrages. Statt aber zur Zusammenkunft nach Köln, wo nur L. und Karl erschienen, zu kommen, ging Lothar nach Orbe zu einer Unterredung mit seinem kaiserlichen Bruder, der immer seine und seiner Sache verläßliche Stütze gewesen war.

Obgleich Waldrada am 2. Febr. 866 von Nicolaus gebannt worden war, nahm Lothar doch seinen alten Plan, sich von Theutberga zu befreien, wieder auf. Er verständigte sich mit Karl und erkaufte durch die Abtretung der reichen Abtei St. Vaast dessen zweideutige Mitwirkung. Beide ordneten gemeinsam eine Gesandtschaft mit geheimen Aufträgen an den Papst ab. Zu der für den 3. November verabredeten Zusammenkunft in Metz erschien nur Karl mit einem Heer; L. ließ ihm melden, daß er der bewaffneten Hülfe desselben gegen seinen aufständischen gleichnamigen Sohn nicht bedürfe und daß dringende Angelegenheiten ihn nach Baiern riefen; Lothar verhandelte indeß mit seinen Bischöfen zu Trier und zwang Theutberga zu einem „freiwilligen“ Verzicht auf ihre ehelichen Rechte und die königliche Würde. Nicolaus verwarf diesen Verzicht und hielt sein Urtheil im vollen Umfang aufrecht. Mit scharfen Worten mißbilligte er Karls Parteinahme, die seiner früheren Haltung so sehr widerspreche, und forderte am 7. März 867 auch Ludwig auf, seinen Einfluß bei Lothar für Theutberga geltend zu machen. Karl übergab Lothar persönlich zu Attigny die für ihn und dessen Bischöfe bestimmten päpstlichen Schreiben und ging von da nach Metz zu einer „Unterredung“ mit L. Sie erneuerten den Vertrag von Thousey, trafen aber zugleich Abmachungen, „wenn Gott ihnen von den Reichen ihrer Neffen mehr schenke“, dies gleichmäßig zu theilen, und verpflichteten sich zu gegenseitiger Vertheidigung ihres Antheils und zum Schutz der römischen Kirche. Auf dem Rückweg besuchte Karl wieder Lothar und forderte auch im Namen Ludwigs Unterwerfung unter die Befehle des Papstes. Erschreckt suchte Lothar die drohende Gefahr zu beschwören. Er wandte sich wieder an den Papst, während seine Bischöfe gegen die Verdächtigung ihrer Treue gegen ihren König Protest erhoben, und eilte selbst nach Frankfurt, um sich mit dem redlicheren seiner Gegner auszusöhnen. Er verbündete sich wieder mit L. und empfahl für die Zeit der beabsichtigten Romfahrt dessen Schutz sein Reich sowie seinen und Waldrada’s Sohn Hugo, dem er das Elsaß verlieh. L. intervenirte nun auch beim Papst; er versicherte denselben, daß auf seine Mahnung Lothar zugesagt, in allem dem päpstlichen Befehl zu gehorsamen, daß er mit Waldrada seit der Rückkehr des Arsenius keinen Verkehr mehr gehabt habe, und legte mit seinen Bischöfen Fürsprache für die abgesetzten Erzbischöfe Theutgaud und Gunthar ein. Diese Verwendung vermochte den unbeugsamen Rechtssinn des Papstes nicht milder zu stimmen; er verwies in seiner Antwort den deutschen König auf die vollständige Unzuverlässigkeit Lothars, dem er [435] von neuem verbiete vor Erfüllung aller an ihn gestellten Forderungen nach Rom zu kommen, und schlug die Fürsprache für Theutgaud und Gunthar ab; ein anderes Schreiben beauftragte die deutschen Bischöfe L. zu mahnen, daß er seinen ganzen Einfluß auf Lothar geltend mache, damit derselbe die unerläßlichen Bedingungen erfülle. Kurz nach Erlaß dieser Schreiben starb Nicolaus I. Die versöhnlichere Haltung seines auch mehr der Einwirkung des Kaisers zugänglichen Nachfolgers Hadrian II., der schon am 12. Febr. 868 Karl und Ludwig unter Androhung kirchlicher Strafen aufforderte die Reiche des Kaisers und Lothars nicht zu beunruhigen, belebte Lothars Hoffnungen. Er rüstete sich zu seiner Romreise und trat mit seinen Oheimen in Unterhandlung. Er verständigte sich, Karl mißtrauend, zuerst mit L., der ihm auch die eidliche Zusage leistete, er werde sich ihm nicht widersetzen, wenn er Waldrada zur Gemahlin nehme. Von Karl erhielt er nur ausweichende Antwort. Als er vor seinem Aufbruch nochmal durch Gesandte von seinen Oheimen das Versprechen verlangte, daß sie bis zu seiner Rückkehr sein Reich unbehelligt lassen würden, lehnte Karl eine bindende Zusage ab, dagegen „soll“ L. dieselbe gegeben haben. Bereits auf dem Wege nach Italien schenkte Lothar am 22. Januar 869 zu Orbe Ludwigs Tochter Bertha, Aebtissin von St. Felix und Regula in Zürich, bedeutenden Besitz, „auf daß sie die Freundschaft zwischen ihm und ihren Eltern eifrig fördere“. Lothar starb, ohne sein Ziel erreicht zu haben, am 8. August 869 zu Piacenza.

Die Auflehnung gegen seinen Vater büßte L. reichlich an seinen Söhnen. Schon 861 erhob sich sein ältester Sohn Karlmann, der seit etwa 5 Jahren Kärnten verwaltete, vielleicht erbittert über die Verurtheilung seines Schwiegervaters, des Grafen Ernst; er entsetzte alle Grafen der pannonischen und karantanischen Mark und bestellte dafür ihm ergebene Anhänger. „Auf Neuerungen sinnend“ trat er mit Herzog Rastislaw von Mähren, dem rührigsten Feind des ostfränkischen Reichs unter den Slaven, in Verbindung. L. befürchtete offene Empörung und berief seinen Sohn zu sich. Unter freiem Geleite erschien Karlmann im Frühjahr 862 zu Regensburg. Er rechtfertigte sich gegen die erhobenen Beschuldigungen und beschwor, daß er nie mehr hinterlistig etwas gegen des Vaters Herrschaft unternehmen werde. Nach der nicht wahrscheinlichen Meldung westfränkischer Reichsannalen soll Karlmann 861 das Gebiet bis zum Inn sich angeeignet und sein Vater ihm dasselbe jetzt bestätigt haben. Schon im November wurde Ludwig von Savonière durch die Nachricht, daß Karlmann im Bunde mit Rastislaw sich wieder erhoben habe, nach Baiern gerufen. „Er ward“, wie die nicht unbefangenen Fuldaer Jahrbücher erzählen, „so vieler und so schwerer Verbrechen bei seinem Vater in seiner Abwesenheit beschuldigt, daß man ihn fürwahr für einen Hochverräther hätte halten müssen, wenn seine Ankläger diese Beschuldigungen hätten beweisen können“. Tief erzürnt erklärte Ludwig in öffentlicher Versammlung (863), daß, so lange er lebe und regiere, Karlmann nie mehr zu Amt und Würden gelangen werde. Als dieser, bereits auf dem Wege zur Pfalz, dies erfuhr, eilte er nach Kärnten zurück, um, sicher unter den Seinen, den Zorn des Vaters verrauchen zu lassen. Der König sammelte ein Heer, wie er verbreiten ließ, zur Bekriegung des Mährenherzogs Rastislaw, wandte sich aber plötzlich gegen seinen Sohn. Der Graf Gundakar, der die Schwarzachfurt (am Semmering) vertheidigen sollte, ging mit den besten Truppen zu ihm über; er empfing dafür die Mark Kärnten. Das Land lag offen, Karlmann entfloh. L. besorgte, daß er in Westfrancien Aufnahme und Schutz finden könnte, und schickte einen Gesandten an Karl mit der Bitte, seinem Sohn keine Zuflucht zu gewähren. Bald darauf stellte sich Karlmann unter Bürgschaft der Großen für seine Sicherheit „im Gefühl seiner Unschuld“ [436] vor seinem Vater, der ihn gegen eidliche Angelobung in freier Haft halten ließ. Im August 864 zog L. gegen dessen Bundesgenossen, Herzog Rastislaw, zu Felde. In Tuln traf er mit dem Bulgarenkhan (Bogoris) zusammen, der Christ zu werden versprochen und mit dem er bereits früher freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatte, und schloß mit ihm einen Friedensvertrag. Rastislaw hielt im offenen Felde nicht stand; in seiner Burg Dowina eingeschlossen, unterwarf er sich, stellte Geiseln und leistete den Treueid. Nach der Rückkehr seines Vaters entfloh Karlmann unter dem Vorgeben, auf die Jagd zu gehen, aus seiner freien Haft nach Kärnten und nahm seine früheren Lande mit Zustimmung der Grafen in Besitz. Der König eilte ihm auf dem Fuße nach, lud ihn unter sicherem Geleit zu sich und bestätigte ihn vorläufig in seiner früheren Stellung. Von da zog er nach Frankfurt; er verletzte sich auf der Hirschjagd durch einen Sturz vom Pferde, wurde aber bald wieder hergestellt. Erst im nächsten Jahre erfolgte eine vollständige Aussöhnung zwischen Vater und Sohn, als L. von Thousey, wo er im Februar 865 bei seinem Bruder Karl weilte, durch die Kunde, daß Werinhar, der Graf der pannonischen Mark, Rastislaw zum Abfall aufgestachelt habe, heim gerufen, nach der Amtsentsetzung Werinhars Karlmann die ihm früher entzogenen südöstlichen Marken förmlich zurückgab. Wie es scheint, wurden damals auch Bestimmungen über die künftige Reichstheilung unter die Söhne getroffen; nach des Vaters Tod sollte Karlmann Baiern mit seinen Marken und den zinspflichtigen slavischen Völkerschaften, Ludwig Ostfrancien, Thüringen und Sachsen, Karl Schwaben mit Churwalchen erhalten. Den Söhnen war damit nur die Anwartschaft eröffnet, die volle Regierungsgewalt behielt sich der Vater vor.

Karlmann stand fortan treu zu seinem Vater, es war jetzt der zweite Sohn, Ludwig, der sich gegen ihn erhob. Schon 865 kam es zu hartem Zwist, da er gegen den Willen des Vaters sich mit der Tochter Adalhards, der seit seiner Ausweisung aus dem Reich Lothars in Westfrancien eine so bedeutende Stellung einnahm, verlobt hatte. Auf einer Zusammenkunft in Köln vermittelte Karl die Aussöhnung zwischen Vater und Sohn, die Vermählung unterblieb. Im nächsten Jahre versuchte der jüngere Ludwig offene Empörung. Er glaubte sich verkürzt, weil der Vater einige ihm entzogene Lehen an Karlmann gegeben hatte. Werinhar und andere vom König wegen Untreue durch Verlust der Lehen bestrafte Vasallen, wie Uto und Berengar, Adalhards Neffen, denen er die Rückgabe ihrer Aemter und Lehen versprach, fachten den Groll noch mehr an. Er entsandte Boten nach Thüringen und Sachsen, um Anhänger zu werben, und trat mit Rastislaw in Verbindung, damit dieser durch einen Einfall in Baiern dort die Streitkräfte seines Vaters, der erst von einem kampflosen Zug gegen die Slaven zurückgekehrt war, und seines älteren Bruders festhalte. Der König, „durch die Erfahrung klug gemacht“, ergriff rasch umfassende Maßregeln. Er vertraute die Hut Baierns Karlmann an, der auch Rastislaw bewog, nicht loszuschlagen, und eilte selbst nach Frankfurt, wo die Schaaren der Getreuen ihm zuströmten. Zugleich forderte er seinen Bruder Karl zur Hülfeleistung auf. Die geplante Empörung war gelähmt: sein Sohn erschien unter sicherem Geleit vor ihm, sie gelobten sich durch Handschlag Frieden bis zum 28. October. Der König benützte die Frist, um in der Ostmark Vertheidigungsmaßregeln gegen einen etwaigen Angriff Rastislaws zu treffen. Durch die Vermittlung des Erzbischofs Liutbert von Mainz und anderer „Friedensfreunde“ kam im November zu Worms die Aussöhnung zu stande. Der König konnte Karl, der von Metz nach Verdun vorgerückt war, melden lassen, daß er seine Hülfe nicht mehr nöthig habe. Kaum ein Jahr später betraute er seinen Sohn mit der Führung des sächsischen und thüringischen Heerbanns gegen[WS 1] die Abodriten.

[437] Wie in der Ostmark unter der Regierung Ludwigs die deutsche Kolonisation und Kultur immer weiter vordrang, so gewann im slovenischen Südosten des Reichs die von Salzburg gepflegte Mission immer festeren Boden, besonders seit Ludwig 848 zu Regensburg Pribina das bisher zu Lehen getragene Gebiet, Unterpannonien nördlich der Drau, feierlich zu eigen gab und damit ein eigenes slavisches Fürstenthum unter fränkischer Hoheit schuf. Kozel, der Sohn des 861 von den Mähren erschlagenen Pribina, bewies dieselbe Treue und denselben Eifer für das Christenthum. Wandte sich auch Rastislaw 863 nach Konstantinopel, um von hier christliche Missionäre zu erhalten und dadurch den kirchlichen Einfluß Ostfranciens auf sein Land fern zu halten, so schien sich dafür doch voller Ersatz zu bieten, als der Bulgarenkönig Bogoris, der seit seiner Taufe (864) den Namen Michael führte, die Christianisirung seines anfangs widerstrebenden Volkes beschloß. Er wandte sich im Juli 866 an L. mit der Bitte um Zusendung eines Bischofs und tüchtiger Priester, zugleich aber auch an den Papst Nicolaus. Ludwig übertrug die Mission dem Bischof Ermenrich von Passau, der 867 von Priestern und Diakonen begleitet nach Bulgarien zog; da es an den nöthigen kirchlichen Utensilien und Büchern fehlte, stellte der westfränkische König das Nöthige, eine Spende seiner Bischöfe, bei. In Bulgarien hatten sich aber, als Ermenrich anlangte, die Verhältnisse geändert; die römischen Glaubensboten waren ihm zuvorgekommen und verdrängten die fränkische Mission. Ermenrich mußte unverrichteter Dinge zurückkehren, Bulgarien erhielt eine vom fränkischen Kirchenverband unabhängige Organisation. Trotz dieses Mißerfolges der deutschen Kirche trat eine auf Wunsch des Papstes und auf Geheiß und im Beisein des Königs im Mai 868 zu Worms versammelte ostfränkische Synode gegen die vom Patriarchen Photius verfochtene „Ketzerei“ über die Trinität ganz für die römische Lehre ein, andere Synodalbestimmungen betrafen die kirchliche Disciplin, namentlich die Kirchenbußen.

Der allein berechtigte Erbe König Lothars war sein Bruder Kaiser Ludwig II. Nur mit den Waffen hätte er die Erbschaft, welche die Oheime, namentlich Karl, schon zu Lebzeiten Lothars als ihre Beute betrachtet hatten, behaupten können. Aber er weilte, schon seit 866 in ununterbrochenem Krieg mit den Sarazenen, in Unteritalien, als sein Bruder unerwartet starb. Er konnte, wollte er nicht auf die bereits errungenen und die zu erwartenden größeren Erfolge gänzlich verzichten, den Kriegsschauplatz nicht verlassen. Dem Reich Lothars war er immer fremd geblieben, er durfte nicht hoffen, daß für sein Recht dort eine Partei sich erheben werde. So hatte er nur unwirksame Proteste, ebenso unwirksam blieb das Auftreten des Papstes. Karl hatte schon lange auf diese Beute gelauert; der deutsche König mußte, wollte er nicht leer ausgehen, auf der früher geplanten Theilung bestehen, selbst wenn er die Absicht gehabt hätte, das Erbrecht[WS 2] des Kaisers zu achten. Doch auch ihm lag diese Absicht fern. Karl griff sogleich zu. Das Glück schien ihn noch besonders zu begünstigen. Sein Bruder Ludwig lag krank in Regensburg. Die Streitkräfte seines Reichs standen gegen die Slaven im Felde. Zu Beginn des Jahres 869 hatten schon mit den Böhmen, welche durch räuberische Einfälle das Grenzgebiet beunruhigten, Kämpfe stattgefunden; Karlmann hatte gegen die Mähren gefochten und in 2 Treffen gesiegt, in einem derselben war auch der verrätherische Markgraf Gundakar, der sich nach Mähren geflüchtet hatte, gefallen; die Sorben und Susler (zwischen Mulde und Elbe) waren mit gedungenen böhmischen Schaaren verwüstend über die Grenze Thüringens vorgedrungen. Im August war die ganze Streitmacht des Reichs aufgeboten: die Thüringer und Sachsen marschirten unter dem Befehl des Prinzen Ludwig gegen die Sorben, der baierische Heerbann erhielt die Weisung, Karlmann gegen Zwentibald, Rastislaws Neffen, zu unterstützen, das fränkische [438] und alamannische Heer wollte der König persönlich gegen Rastislaw führen. Da erkrankte er schwer und übergab, „Gott den Ausgang der Sache empfehlend“, seinem jüngsten Sohn Karl die Führung des Heeres. Dieser drang siegreich in Mähren vor, während Rastislaw in einer starken Veste sich einschloß, und vereinigte sich mit Karlmann, der das Gebiet Zwentibalds verwüstend durchzogen hatte; auch Ludwig besiegte in zwei Treffen die Sorben. Mit reicher Beute kehrten die Sieger zurück. Die Krankheit ihres Vaters hatte sich unterdeß verschlimmert, die Aerzte verzweifelten an seinem Aufkommen. Auf die Kunde von dem Tod Lothars war Karl unverweilt an die Grenze nach Attigny gezogen. Richteten auch einige lothringische Bischöfe und Große an ihn die Aufforderung, ihr Reich nicht zu betreten, bevor er sich nicht mit seinem Bruder über die Theilung verständigt haben würde, so ergriff doch die Mehrzahl seine Partei. Ihrem „annehmbareren und für ihn heilsameren Rath“ Folge leistend eilte er über Verdun, wo bereits manche ihm huldigten, nach Metz. Schon am 9. September ließ er sich hier als „rechtmäßigen Erben“ feierlich von den Bischöfen krönen. Er verfügte über das Reich als Eigenthum, lohnte reichlich seine Parteigänger und entzog Lehen und Besitz denen, welche ihm nicht die Huldigung leisteten. Seiner neuen Erwerbung sicher, pflog er der Jagd in den Ardennen. Da erreichte ihn der Gesandte seines Bruders L., der ihn an den zwischen ihnen abgeschlossenen Theilungsvertrag erinnern und seinen Antheil fordern ließ. Karl gab eine „entsprechende“ Antwort und zog nach der Residenz Aachen, um auch hier die Huldigung entgegen zu nehmen. Doch es erschien niemand, der nicht schon früher sich ihm angeschlossen hatte. Er ging nach Gondreville, um die für Martini (11. November) einberufenen Großen der Provence und des oberen Burgund zu empfangen. Hier trafen ihn aber Gesandte des Papstes und des Kaisers; der Papst trug in Schreiben vom 5. September unter Androhung des Bannes den westfränkischen Bischöfen und insbesondere Hincmar auf zu verhüten, daß weder Karl noch ein anderer vom Reich Lothars, des Kaisers rechtmäßigem Erbe, Besitz ergreife, damit dieser nicht gezwungen sei zum Schutz seines Erbes den Kampf gegen die Ungläubigen aufzugeben. Dieselbe Forderung stellte der kaiserliche Gesandte Boderad. Ein anderes päpstliches Schreiben mahnte eindringlichst die Großen des lothringischen Reichs dem Kaiser unverbrüchliche Treue zu wahren. Karl ließ sich dadurch in seinen Plänen um so weniger stören, als es hieß, daß sein Bruder Ludwig dem Tod nahe sei. Er zog ins Elsaß zur Besitznahme auch dieses Landes und dann wieder nach Aachen. Er verfügte die Besetzung der beiden Metropolen des lothringischen Reichs: in Trier wurde Abt Bertolf von Mettlach zum Erzbischof bestellt, für Köln, obwohl Gunthar vor kurzem zurückgekehrt war, Hilduin bestimmt. Doch hier kam Ludwig zuvor; auf seinen Befehl fuhr Erzbischof Liutbert von Mainz mit den Kölner Suffraganen heimlich nach Deutz, am 7. Januuar 870 wurde Willibert zum Erzbischof von Köln gewählt und von Liutbert noch am selben Tage in der Bischofstadt geweiht. Zornig eilte Karl nach Köln, Willibert und seine Anhänger flüchteten.

Wider Erwarten war L. von seiner Krankheit genesen. Karl stand auf dem Höhepunkt seiner Macht, auch der in Friesland belehnte Normanne Rorich hatte ihn anerkannt. Am 22. Januar 870 feierte er in Aachen die Vermählung mit seiner Konkubine Richild, einer Nichte von Lothars Gemahlin Theutberga. Da langte im Februar eine Gesandtschaft Ludwigs an, der ihm bedeuten ließ, er möge so rasch als möglich Aachen und das lothringische Reich verlassen, sonst werde er ihn unverzüglich mit den Waffen daraus vertreiben. Diese Drohung gewann dadurch Nachdruck, daß L., von den lothringischen Großen schon lange erwartet, bereits nach Frankfurt gekommen war, dort ihre [439] Huldigung entgegengenommen und ihnen die von Karl eingezogenen Lehen wieder verliehen hatte; auch andere, die früher Karl gehuldigt hatten, schlossen sich jetzt dem ostfränkischen König an. Karl begann nun zu unterhandeln. Am 6. März wurde zu Aachen durch Bevollmächtigte eine Vereinbarung beschworen, welche beide Könige verpflichtete das Reich Lothars gleichmäßig zu theilen und weder im neuen Besitz noch in den alten Reichen einander zu schädigen. Karl verließ ohne Verzug Aachen und ging nach Westfrancien zurück. Ein anderer bedeutender Erfolg stärkte noch mehr Ludwigs Stellung: Rastislaw von Mähren wurde durch seinen Neffen Zwentibald, den er, weil er sich Karlmann unterworfen hatte, aus dem Weg räumen wollte, gefangen und in Fesseln an Karlmann geschickt, der ihn unter Bedeckung nach Baiern führen und dort einkerkern ließ; ohne Widerstand drang Karlmann in Mähren ein, unterwarf das ganze Land und übertrug die Verwaltung den Grafen der Ostmark. Mit erhöhten Ansprüchen traten daher Ludwigs Gesandte im Mai zu Attigny auf. Sie forderten, so berichtet wenigstens der westfränkische Annalist, mit Mißachtung der Aachener Eide mehr, als ihrem König gebührte; es kam zu heftigem Hader, eine Einigung wurde nicht erzielt. Karl schickte Gesandte an L. nach Frankfurt, um ihn zu persönlichen Verhandlungen über die Theilung zu bestimmen; dieser ließ ihm seine Bereitwilligkeit zu einer Zusammenkunft erklären und vorschlagen, daß sie, während Karl in Heristal, er selbst in Meersen Aufenthalt nehme, am 1. August an einem inmitten gelegenen Ort sich träfen; jeder sollte von 4 Bischöfen, 10 Räthen und nur 30 Vasallen begleitet sein. Auf der Reise nach Meersen erlitt L. zu Flamersheim im Ripuarier Gau beim Einsturz eines morschen Söllers einen Rippenbruch. Trotz der Schmerzen setzte er die Reise nach Aachen fort. Die Verhandlungen begannen; am 9. August trafen sich die Könige an der Maas (unweit Meersen), die Theilung wurde in Vollzug gesetzt. L. erhielt den östlichen an sein Reich grenzenden Theil: mehr als zwei Drittel von Friesland, das Gebiet östlich der Maas und Ourthe und der durch die Ardennen gehenden geraden Linie von den Quellen dieses Flusses bis zur Mosel, östlich der Mosel bis oberhalb Toul mit Einschluß des Moselgaus am linken Flußufer und von Metz, die Karl nebst dem östlichen Ardennengau sammt Prüm und Stablo „zur Wahrung des Friedens und der Liebe dazu gegeben hatte“, der Toul ausschließenden südwestlichen Grenzlinie von der Mosel (bei Gondreville) bis zur Marne und dann südöstlich bis zur oberen Saône, endlich der hier oberhalb Châlons s. S. beginnenden südwestlichen Linie bis zum Genfer See. Der neue Länderzuwachs, bei dem Ludwig keineswegs im Nachtheil war, enthielt die Metropolen Köln und Trier, die Bisthümer Utrecht, Straßburg, Basel, viele reiche Klöster, mehr als 30 Grafschaften; die neue Grenze zwischen Ost- und Westreich fiel nunmehr auch ungefähr mit der Sprachgrenze zusammen.

Am 10. August verabschiedeten sich die Könige. L. suchte in Aachen vollständige Heilung, er war genöthigt sich einer bedenklichen Operation zu unterziehen. Hier langten im September Gesandte des Kaisers und des Papstes ein, um wieder des Kaisers Erbrecht geltend zu machen. Sie kamen zu spät. Ihre Aufträge beruhten noch, wie die vom 27. Juni datirten päpstlichen Schreiben zeigen, auf der Sachlage, wie sie vor einem halben Jahr bestand, als Karl zur schmählichen Rückkehr in sein Reich durch Ludwig gezwungen worden war. Sogar von den Abmachungen von Aachen scheint man damals in Italien noch nicht unterrichtet gewesen zu sein; denn Ludwig wird in den päpstlichen Schreiben ob seiner Uneigennützigkeit höchlich belobt und um sicheres Geleit für die Gesandten zu Karl gebeten, dieser dagegen wegen seines treulosen Einbruchs in Lothars Reich hart gescholten. Der vollendeten Thatsache gegenüber konnte auch die Drohung des Papstes, daß er zur Schlichtung der Sache [440] nöthigenfalls selbst die Reise zu Karl unternehmen werde, um so weniger verfangen. Karl antwortete denn auch mit einem Einfall in Burgund und der Besitznahme von Lyon und Vienne. Rücksichtsvoller verfuhr Ludwig. In dem Schreiben an den Kaiser und die einflußreiche Kaiserin betheuerte er in allgemeinen Redensarten seine Treue, welchen Werth er auf das bisher ungetrübte Einvernehmen lege, warnte vor bösen Einflüsterungen und ging mit dem Hinweis auf die geheimen Aufträge seiner Gesandten über das Geschehene mit einer Phrase hinweg, die allenfalls die Auslegung gestattete, daß er die Besitzergreifung Lothringens nur als vorläufige betrachte. Den Papst bat er um Verleihung des Palliums an Willibert von Köln, der mit Liutbert von Mainz und dem jetzt auch von Ludwig anerkannten Bertolf von Trier der auf königlichen Befehl am 26. September in Köln versammelten Synode präsidirt hatte. Gegen Ende des Jahres ging L. nach Baiern zurück; eine Reichsversammlung in Regensburg verurtheilte Rastislaw als eidbrüchigen Vasallen zum Tod, der König begnadigte ihn zur Blendung und zur Einsperrung in ein Kloster.

So glücklich das Jahr 870 für L. gewesen war, so viel Mißgeschick brachte ihm das folgende Jahr. Seine beiden jüngeren Söhne Ludwig und Karl erhoben sich in offenem Aufruhr, weil ihnen das Gerücht zu Ohren gekommen war, daß ihr Vater, wie es hieß, auf Betreiben der Königin Hemma den ihrem älteren Bruder Karlmann bestimmten Theil des Reichs durch Verkürzung ihres Erbtheils vergrößern wolle, und besetzten den Speierer Gau. Der König eilte nach Frankfurt und suchte durch Botschaft vom 1. Februar die erregten Gemüther zu beruhigen. Die Verhandlungen blieben erfolglos, es kam nur ein Waffenstillstand bis Mai zu stande. Unterdessen war im Osten eine neue Gefahr aufgetaucht. Karlmann hatte Zwentibald, den man der Untreue beschuldigte, in Gewahrsam gebracht. Die Mährer, die ihren Fürsten todt glaubten, erhoben Sclagamar, einen Verwandten desselben zum Herzog und eröffneten den Kampf gegen die Grafen der Ostmark, wurden aber zurückgeschlagen. Schlimmer gestalteten sich die Verhältnisse, während Ludwig im Mai vor Tribur und später persönlich zu Gernsheim mit seinen aufständischen Söhnen unterhandelte, deren Erbitterung durch die Blendung eines ihrer Anhänger gesteigert worden war, und sie „kaum durch freundliche Worte und Versprechungen von Lehen einigermaßen zu besänftigen“ vermochte. Zwentibald war, da die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sich nicht erweisen ließen, von Karlmann aus der Haft entlassen und reich beschenkt mit einem baierischen Heer zur Vertreibung Sclagamars nach Mähren gesandt worden. Aber er verständigte sich heimlich mit seinen Landsleuten, die ihn ohne Zaudern wieder als Herzog anerkannten, überfiel und vernichtete das baierische Heer. Ludwig mußte nun bestrebt sein, vor allem Ruhe in seinem Reich zu schaffen. Der Zwist mit seinen Söhnen hatte sich noch verschärft; sie waren nach Westfrancien gegangen und hatten in Douzy die Vermittlung ihres Oheims Karl angerufen; auch L. hatte dahin Gesandte geschickt und Karl zu einer Zusammenkunft in Mastricht einladen lassen. Dieselbe fand im August statt. Ludwigs Söhne hatten sich nicht eingefunden unter dem Vorwand, daß der Vater ihnen die zugesagten Lehen noch nicht eingeantwortet habe, nur ihre Vollmachtsträger waren im Gefolge Karls erschienen, um ihre Forderungen geltend zu machen. Auch Karl erhob Beschwerde, daß Verwandte und Anhänger des widerspenstigen Bischofs Hincmar von Laon mit den geraubten Schätzen dieser Kirche in Ludwigs Reich Aufnahme und Schutz gefunden hätten, und verweigerte der Erhebung des Erzbischofs Willibert von Köln seine Anerkennung. Von neuem Mißtrauen erfüllt trennten sich die Könige.

[441] Ein unerwartetes Ereigniß führte die aufständischen Söhne wieder dem Vater zu. Am 13. August 871 wurde Kaiser Ludwig in Benevent durch Verrath gefangen genommen und in enger Haft gehalten. Allgemein verbreitete sich das Gerücht, daß er mit seiner Gemahlin getödtet worden sei. Dem deutschen König kam diese Kunde zu, als er eben „betrübt“ von Aachen nach dem Osten seines Reiches zog. Seiner Familie schien sich nun eine neue glänzende Aussicht zu eröffnen: der Kaiser hatte keinen Sohn, der Thron Italiens war erledigt. Diese Aussicht bestimmte auch seine Söhne, sich unverweilt gegen Empfangnahme einiger Lehen mit ihm auszusöhnen. Aber auch der westfränkische König suchte wieder sogleich zuzugreifen. Durch Gesandte aus Italien eingeladen rückte er bis Besançon vor und schickte Boten über die Alpen voraus, die aber die unerwünschte Nachricht brachten, daß der Kaiser lebe. Gleichzeitig hatte jedoch auch Ludwig seinen jüngsten Sohn Karl in das dem Kaiser gehörige Land jenseits des Jura abgesandt, um den Bewohnern den Treueid abzunehmen, „was er auch that“. Rasch kehrten die voreiligen Usurpatoren wieder heim. Dieser Vorfall hatte Karls Pläne auf Italien enthüllt; es war dieselbe Politik, welche er nach Lothars Tod verfolgt hatte. Karls Plänen strebte Ludwig, der die einmal eröffnete Aussicht auf Italien nicht mehr fahren ließ, auf anderem Wege zuvorzukommen. Dies Streben bestimmte nun seine Politik. Nach Baiern zurückgekehrt entsandte L. noch zu Ende des Jahres ein Heer gegen die Böhmen, die schon damals, wie es scheint, sich mit den Mährern verbündet hatten; es gelang Vortheile zu erringen und durch den Ueberfall eines großen Brautzuges reiche Beute zu machen. Zu Beginn des Jahres 871 empfing er eine griechische Gesandtschaft mit Briefen und reichen Geschenken; auch der griechische Kaiser mochte in ihm den künftigen Herrn Italiens erblicken. Mitte der Fasten auf einer Reichsversammlung in Forchheim vermochte der König seine jüngeren Söhne endlich auch zur Aussöhnung mit ihrem älteren Bruder Karlmann. Der neidische Hader um das zu erwartende Erbe wurde durch genaue Bestimmungen über die Reichstheilung nach des Vaters Ableben geschlichtet, welche nun wol auch das seit der Reichstheilung von 865 neu erworbene Gebiet aus dem Erbe Lothars umfaßten; Ludwig und Karl schworen vor dem ganzen Volke ihrem Vater, so lange er lebe, Treue zu wahren. Doch sie ließen sich nicht bewegen mit Karlmann gegen Mähren zu ziehen. Es wurden sehr bedeutende Streitkräfte aufgeboten. Die Thüringer und Sachsen ergriffen, „weil sie den König nicht bei sich hatten und untereinander nicht einig sein wollten“, schmählich die Flucht, dagegen besiegte ein fränkisches Heer unter Erzbischof Liutbert von Mainz an der Moldau 5 böhmische Herzoge und kehrte nach Verwüstung des Landes zurück. Ein zweites fränkisches Heer war zur Unterstützung Karlmanns bestimmt; es rückte mit dessen Truppen in Mähren ein, erlitt aber in den heftigen, wenn auch glücklichen Gefechten große Verluste; während Karlmann noch sengend und brennend das Feindesland durchzog, zersprengte ein in dessen Rücken bis zur Donau vorgedrungenes mährisches Streifcorps die Bedeckung der baierischen Schiffe, nur wenige entkamen. L. war der Heerfahrt fern geblieben, da wichtige Angelegenheiten ihn südwärts gerufen hatten. In Trient traf er im Mai mit der Kaiserin Angilberga zusammen, die jetzt die Unterhandlungen um das Erbe Lothars persönlich führte. Unter Mitwirkung päpstlicher Legaten schloß er mit dem Kaiser ein förmliches Bündniß gegen Karl; „mit Mißachtung der zwischen ihnen beschworenen Verträge“, berichten die westfränkischen Reichsannalen, „ohne Wissen und Zustimmung der Leute, die ihm gehuldigt, trat er seinen Antheil am Reich Lothars ab“. Der Preis dafür war wahrscheinlich die Zusicherung der Nachfolge an Ludwigs ältesten Sohn Karlmann. Von Trient sandte die Kaiserin wieder Boten an [442] Karl, um ihn nochmal zu einer Besprechung in St. Maurice einzuladen; als er aber, bereits auf dem Wege dahin, von den Abmachungen mit L. Kunde erhielt, kehrte er um und wies auch den Versuch zurück, durch den Bischof Wibod von Parma freundschaftliche Beziehungen anknüpfen zu lassen. Am 9. Septbr. ließ er sich „in Anbetracht, daß sein Bruder die früher geleisteten Eide gebrochen und sich mit dem Kaiser verbündet habe“, von den Bischöfen, Großen und Unterthanen feierlich den Treueid erneuern. Die von Ludwig schon vor dem Tag in Trient angeregte Zusammenkunft in Mastricht unterblieb, dagegen erschienen hier im October vor dem westfränkischen König die Normannenhäuptlinge Rorich und Rodulf. Forderte auch Papst Johann VIII. (gewählt 14. Decbr. 872) nochmal unter Androhung des Bannes die Herausgabe des Erbes Lothars, so konnte dies doch nicht von thatsächlichem Belang sein. Auch Ludwigs Abtretung war nur eine theoretische, sie wurde nicht ausgeführt.

Auf den 1. Febr. 873 hatte L. eine Reichsversammlung nach Frankfurt anberaumt und zu derselben auch seine beiden jüngeren Söhne Ludwig und Karl, welche trotz der Eide von Forchheim ihren Groll nicht aufgegeben hatten, und die Lothringer berufen. Von Gewissensbissen gefoltert gestand Karl, sich vom Teufel besessen wähnend, öffentlich seine und seines Bruders Anschläge gegen den Vater; nach einem glaubwürdigen Bericht wollten sie ihn entthronen und einkerkern. Dieser begnügte sich mit einer scharfen Rüge an Ludwig und der Weisung, Karl an heilige Stätten zu geleiten, damit er durch der Märtyrer Fürbitte Heilung finde, gestand aber schon wenige Monate später auf einem Reichstag in Biesenstätt bei Worms beiden eine gewisse Antheilnahme an der Regierung zu, indem er ihnen unter Vorbehalt der eigenen Entscheidung in den wichtigsten Fällen die Erledigung der einlaufenden Rechtssachen zuwies, und befriedigte damit ihre nächsten Wünsche. Hier erschienen auch Gesandte des Dänenkönigs Sigifried mit dem Ansuchen, im Interesse des beiderseitigen Handels in den Grenzmarken den Frieden zu wahren. Der König gab seine Zustimmung und dehnte dieses Abkommen auch auf das Reich Halfdan’s, des Bruders Sigifrieds, aus, als derselbe kurz darauf in Metz das gleiche Ansuchen stellen ließ mit dem Beifügen, daß die Vereinbarung von dänischen und sächsischen Bevollmächtigten an der Eider beschworen werde. Von Biesenstätt zog er dann über Mainz nach Aachen, wo er mit den Seinen „eine geheime Besprechung“ hielt und von dem unter sicherem Geleit erschienenen Normannen Rorich, der im Vorjahre vom westfränkischen König für seine Sache gewonnen worden war, die Huldigung entgegennahm. Rorichs Genosse Rodulf wurde bei einem Einfall in den Ostergau getödtet. Die Spannung mit seinem Bruder zeigte sich auch darin, daß L. dessen geblendetem Sohn Karlmann Aufnahme und eine ruhige Zufluchtsstätte für den Rest des Lebens gewährte. Die Sorge für sein Reich führte ihn noch an die äußerste Westgrenze; er hielt in Metz eine Reichsversammlung und kehrte dann, zurückgerufen, wie es heißt, durch ein Hülfegesuch seines von den Mährern bedrängten ältesten Sohnes, durch das Elsaß nach Baiern zurück. Im November empfing er zu Regensburg eine vom griechischen Kaiser „zur Erneuerung der früheren Freundschaft“ mit Briefen und Geschenken an ihn abgeordnete Gesandtschaft. Für das Volk war dies eine unglückliche Zeit: 873 wüthete eine große Hungersnoth, ungeheuere Heuschreckenschaaren vernichteten die Saaten; es folgte ein ungewöhnlich strenger Winter, so daß es nicht möglich war aus den verschneiten Wäldern Holz herbeizuschaffen und viele Menschen und Thiere erfroren, und darauf ein heißer, trockener Sommer; ein Drittel der Bevölkerung soll durch Hunger und Seuchen umgekommen sein.

Die Nachricht, daß sein Sohn Ludwig mit einigen königlichen Räthen zu Seligenstadt eine geheime Besprechung gehabt habe, schreckte den König auf; er [443] eilte nach Frankfurt und pflog hier zu Beginn des Februars 874 mit seinen Getreuen Rath „über die Eintracht und den Stand des Reichs“. In der Fastenzeit glaubte er während des Schlafes eine Erscheinung seines Vaters zu haben, der bat, ihn aus seinen Qualen im Jenseits zu erlösen; er ließ daher durch Rundschreiben alle Klöster zu Gebeten auffordern. Nach einem Reichstag in Tribur brach er nach Italien auf. Unfern Verona traf er mit dem Kaiser, der nach einem vergeblichen Versuch, Benevent zu züchtigen, zu Ende des Vorjahres bereits kränkelnd von Unteritalien zurückgekommen war, der Kaiserin und Papst Johann VIII. zusammen. Ueber die dort geführten Verhandlungen ist nichts überliefert; sie bezogen sich wol auf die Nachfolge in Italien. Der Kaiser empfahl seine Gemahlin dem Schutze seines Oheims und des Papstes; seine Vermittelung erwirkte auch die lange verzögerte Verleihung des Palliums an Willibert von Köln. Nach seiner Rückkunft hatte der König zu Forchheim eine Unterredung mit seinen Söhnen Karlmann und Ludwig und empfing eine Gesandtschaft Zwentibalds, nachdem die im Vorjahr durch einen baierischen Gefangenen übermittelten Vorschläge als unannehmbar zurückgewiesen worden waren. An der Spitze der Gesandtschaft stand der griechische Priester Johannes, der im Namen seines Herrn schwor, daß derselbe Zeit seines Lebens dem König Treue wahren und den festgesetzten Zins zahlen werde, wenn er im ruhigen Besitz seines Landes belassen würde. Auch Boten der mit den Mährern verbündeten Böhmen erbaten und erhielten Frieden. Eine Empörung der Sorben, welche nach dem Tod des tapferen Markgrafen Thaculf sich erhoben hatten, war schon im Januar niedergeworfen worden. So war die von den Slaven stetig drohende Gefahr jetzt in den Hintergrund geschoben. Die 2. Hälfte des Jahres brachte L. in Aachen zu. Durch seinen Sohn Karl ließ er seinen Bruder zu einer Zusammenkunft an der Mosel einladen; als diese durch ein Unwohlsein desselben verhindert worden war, hielten sie zu Beginn des December eine Besprechung zu Heristal, wahrscheinlich um sich über Italien zu verständigen. Eine Verständigung wurde nicht erzielt. Den Winter verlebte Ludwig in Frankfurt. Nach Ostern besuchte er seine Gemahlin, die einen Schlaganfall erlitten hatte, in Baiern und hielt dann wieder eine allgemeine Reichsversammlung in Tribur. Während derselben geriethen die Franken und Sachsen in heftigen Streit; sie drangen mit gezückten Schwertern auf einander ein und nur das Dazwischentreten des Prinzen Ludwig hinderte das Blutvergießen.

Am 12. August 875 starb Kaiser Ludwig II. Noch vor seinem Hinscheiden soll er den Wunsch ausgesprochen haben, daß Karlmann, der älteste Sohn des deutschen Königs, ihm in der Kaiserwürde nachfolge. Während eine von der verwittweten Kaiserin Angilberga einberufene Versammlung der italienischen Großen in Pavia, uneinig über den Nachfolger, Boten an den westfränkischen wie den ostfränkischen König zu schicken beschloß und die Kaiserin diesen auffordern ließ seinen ältesten Sohn nach Italien zu schicken, ergriff der Papst sogleich Karls Partei und ordnete Gesandte an ihn ab, die ihn „zu den Schwellen der Apostel“ einladen sollten. Ohne aber eine Aufforderung abzuwarten, eilte Karl, sobald er vom Ableben des Kaisers sichere Kunde erhalten hatte, nach Italien, am 29. September urkundete er bereits zu Pavia „im ersten Jahr der Nachfolge Ludwigs“ für Italien. Wieder war es ihm geglückt seinem rechtlicheren und bedächtigeren Bruder zuvorzukommen. „Entrüstet“ sandte Ludwig zunächst um den Gegner festzuhalten, seinen jüngsten Sohn Karl über die Alpen; doch der unfähige Prinz mußte mit seinen zügellosen, wol größtentheils aus italienischen Parteigängern gebildeten Schaaren bald das Feld räumen. Schon mochte der westfränkische König den Besitz Italiens als gesichert betrachten, als endlich Karlmann mit einem baierischen Heer heranrückte. Karl suchte ihm durch Besetzung der Etschklause [444] bei Verona den Weg nach Italien zu versperren, doch das baierische Heer gelangte auf schwer gangbaren Gebirgspfaden in das Thal der Brenta. Er strebte nun in der Angst vor einem Kampfe – „er war nämlich“, bemerkt der Annalist von Fulda, „feiger denn ein Hase“ – durch reiche Versprechungen und Geschenke Karlmann zu gewinnen und zu überlisten: bei einer Zusammenkunft mit ihm schwor er Italien schleunig zu verlassen und die Verfügung über Italien dem Ermessen seines Bruders anheim zu geben, wenn Karlmann wieder abziehen würde. Dem Eid vertrauend schloß dieser einen Waffenstillstand bis Mai und zog ab; der westfränkische Reichsannalist steht nicht an zu erzählen, Karlmann sei vor der überlegenen Macht seines Gegners zurückgewichen. Karl aber eilte nach Rom und empfing hier am Weihnachtsfest die Kaiserkrone. Unterdeß war L. mit seinem zweiten Sohne in Westfrancien eingerückt, überzeugt dadurch seinen Bruder zu unverzögerter Rückkehr zu zwingen. Er hielt es für nöthig, wie 858 seinen Angriff durch das Vorgeben zu beschönigen, er komme nur, um die schlimmen Zustände des Reichs zu bessern; konnte doch ein Schreiben Hincmars von Reims, das die westfränkischen Bischöfe zur Treue gegen ihren König aufforderte, nicht umhin, Karls Regierung als eine schlechte, die weder Recht noch Treue achte, zu kennzeichnen. Er ließ sich durch die strenge Mahnung des Papstes, das Reich des Bruders nicht zu beunruhigen, bis er selbst den Streit zwischen ihnen geschlichtet habe, in seinem Vormarsch nicht beirren und verweigerte die Annahme des päpstlichen Schreibens. Die Unzufriedenen, wie der seiner Würde entsetzte Kämmerer Engilramn, sogar manche Bischöfe schlossen sich ihm an und die von der Königin Richildis zur Landesvertheidigung aufgebotenen Großen hausten eben so arg im Lande als das deutsche Heer. Weihnacht feierte L. in Attigny. Seinen Zweck erreichte er nicht: Karl blieb unbekümmert um das Elend seines Reichs in Italien, mit Erfolg bestrebt sich den neuen Besitz zu sichern; seit er die Kaiserkrone trug, war es nur noch schwieriger geworden ihm denselben streitig zu machen. „Von Mitglied ergriffen und den Bitten vieler, er möge nicht wegen der Thorheit Karls dessen Reich verderben, nachgebend“, kehrte Ludwig im Januar 876 über Trier nach Frankfurt zurück. Am 31. Jan. verschied in Regensburg seine Gemahlin Hemma. Der Krieg mit dem Westreich war unvermeidlich und L. hielt mit seinen Getreuen Berathungen. Karl war im März aus Italien zurückgekommen; er prunkte in prächtiger Tracht und prahlte, wie man erzählte, er werde mit einem so ungeheuren Heer gegen Deutschland marschiren, daß die Rosse den Rhein aussaufen würden und er trockenen Fußes durch das Strombett gehen könnte. Wie weit seine Pläne reichten, zeigt auch die am 5. Januar durch den Papst erfolgte Ernennung des Erzbischofs Ansegis von Sens zum apostolischen Vicar von Gallien und Germanien mit ausgedehnten Vollmachten. Im Papste besaß er einen eifrigen Bundesgenossen. Als derselbe vom Einmarsch Ludwigs ins Westreich Kunde erhalten hatte, sandte er 2 Legaten ab, die nach Ostern am Hoflager Karls zu St. Denis einlangten. Sie brachten auch Schreiben an die Bischöfe und an die Großen im Reich Ludwigs, „des Königs von Baiern“, mit, welche, den König mit mehr als kühnem Vergleich Kain an die Seite stellend, jene, weil sie den vom Teufel angestifteten Friedensbruch nicht gehindert, hart tadelten, wie diese unter Androhung des Bannes zur Hintanhaltung jeder Feindseligkeit gegen das Kaiserreich aufforderten und zur Verantwortung vor die von den Legaten abzuhaltende Synode luden. Ludwig verweigerte auch die Annahme dieser Botschaft. Am 21. Juni trat die Synode in Ponthion zusammen. Erst am 4. Juli kam die Sache Ludwigs zur Verhandlung. Der Kaiser wohnte der Sitzung bei; er hörte die Gesandten seines Bruders, den Erzbischof Willibert von Köln, die Grafen Adalard und Maingaud an, durch welche er den ihm erbrechtlich und vertragmäßig gebührenden Theil [445] des Reichs ihres Neffen Kaiser Ludwigs fordern ließ. Als Antwort verlas einer der päpstlichen Legaten das Schreiben des Papstes an die deutschen Bischöfe und übergab Willibert zur Kundmachung an seine Amtsbrüder eine Abschrift. In der Schlußsitzung ließen die Legaten neun von ihnen eigenmächtig ohne Wissen der Synode verfaßte Kapitel durch den Bischof Odo von Beauvais als die Synodalbeschlüsse verlesen; das letzte enthielt die einmüthige Bestätigung der Censur des Papstes „über die verruchten Thaten König Ludwigs und seiner Mitschuldigen“, wenn sie sich nicht bessern und dem apostolischen Stuhl nicht den schuldigen Gehorsam leisten würden. Die Synode verweigerte aber, hauptsächlich wegen des Ansegis v. Sens zugesprochenen Primats, denselben ihre Anerkennung und Hincmar verurtheilte sie „als jeder Berechtigung und Autorität entbehrend“. Diesem Verfahren gegenüber begnügte sich L. in einem ruhigen Schreiben an den Papst sein Recht darzulegen und rüstete zum Krieg. Am 19. Juli bestätigte er zu Ingelheim der Kaiserin Angilberga, die an ihn Gesandte geschickt hatte, ihren sämmtlichen Besitz, ein Beleg, daß die Hoffnung auf Italien keineswegs aufgegeben war. Doch eine rasch sich verschlimmernde Krankheit setzte seinen Plänen ein Ziel. L. starb am 28. August in der Pfalz zu Frankfurt, an demselben Tage, an dem Gesandte Karls an ihn von Servais abgingen. Seine Leiche wurde am 29. August in Lorsch beigesetzt.

L. war keiner jener bedeutenden Herrscher, die ihrer Zeit und ihrem Volk neue Bahnen weisen, aber er war der bedeutendste und, gewiß nicht das geringste seiner Verdienste, der ehrlichste unter seinen Brüdern. Selbst als er sich gegen seinen Vater erhob, griff er zu den Waffen, um ein wohl erworbenes Anrecht zu vertheidigen. Nur bei dem Unternehmen gegen Aquitanien, bei dem ersten Einbruch in das Westreich ließ auch er sich von jener Ländergier leiten, die der Fluch des karolingischen Hauses geworden war. In schwerer Zeit stand er treu seinem jüngeren Bruder zur Seite; seine spätere Politik wurde, von schwankenden Interessen beeinflußt, unzuverlässig wie die, mit der sie sich verbündete oder der sie entgegentrat. Das Glück begünstigte seine lange Regierung; unter seinem Scepter wurden die deutschen Stämme zum ersten Mal vereinigt. Aber seine Klugheit und Tapferkeit wußten das Reich auch gegen die umdrängenden Feinde zu schirmen und ersparten ihm die furchtbaren Bedrängnisse, welche namentlich das Westreich an den Rand des Verderbens brachten. Strenge Gerechtigkeit sicherte die Ruhe im Innern. Den theologisch-wissenschaftlichen Studien seiner Zeit brachte er lebhaftes Verständniß, der christlichen Mission eifrige Förderung entgegen; ihm widmete der Weißenburger Mönch Otfrid seine deutsche Bearbeitung der Evangelien. Milde und gewinnend im Umgang, jedem äußeren Prunk abhold und sittlich tadellos hat er sich das Lob seiner Zeitgenossen, die Liebe seiner Unterthanen erworben.

Die Quellen für die Geschichte Ludwigs sind bis 840 jene der Geschichte seines Vaters, für die Zeit des Bruderkrieges bietet Nithard die meisten und besten Nachrichten. Unter der Regierung Ludwigs gewinnt auch das ostfränkische Reich eine Geschichtsschreibung: die Jahrbücher von Fulda (839 bis 863 von Rudolf v. Fulda, seit 863 von einem unbekannten Verfasser) darf man als ostfränkische Reichsannalen bezeichnen. Von hervorragender Bedeutung sind auch die westfränkischen Reichsannalen (Annales Bertiniani, 835 bis 861 von Prudentius von Troyes), besonders der von Hincmar von Rheims verfaßte letzte Theil. Spärlichere Nachrichten liefern die Jahrbücher von Xanten und die Chronik des Regino. Von der neueren Forschung ist Ludwigs Geschichte in den einschlägigen Werken allgemeinen Inhalts (wie Wenck, Das fränkische Reich nach dem Vertrage von Verdun; Simson, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Ludwig dem Frommen) behandelt; eine vollständige [446] und ausgezeichnete Darstellung gibt der 1. Band von E. Dümmler’s Geschichte des ostfränkischen Reichs. Für die Einreihung und Kritik der Urkunden hat Th. Sickel in den Beiträgen zur Diplomatik (I–II Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 36, 39) eine feste Grundlage geschaffen. Zusammenstellung des Materials in der nächsthin erscheinenden 4. Lieferung der Neubearbeitung von Böhmer’s Regesten der Karolinger.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegeen
  2. Vorlage: Ebrecht