ADB:Lothar II. (König von Lothringen)

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Artikel „Lothar II. (König von Lothringen)“ von Engelbert Mühlbacher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 241–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lothar_II._(K%C3%B6nig_von_Lothringen)&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 17:52 Uhr UTC)
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Lothar II., der zweitälteste Sohn Lothars I., wird zuerst 841 genannt; damals noch ein Knabe, erhielt er von seinem Vater den Befehl, mit den Sachsen bei Speier zu ihm zu stoßen. Bei der Reichstheilung fielen ihm, nachdem ihm kurz vorher Friesland zugewiesen worden war, die nördlichen Lande diesseits der Alpen mit der Residenz Aachen zu. Noch 855 zogen die Großen seines Reichs mit ihm zu seinem Oheim Ludwig nach Frankfurt und erhoben ihn hier zum König. Dieser Huldigung folgte die kirchliche Salbung. Noch während der Trauerzeit um den Vater vermählte er sich mit Theutberga, der Tochter eines Grafen Boso und Schwester des Abts Hucbert von St. Maurice. Schon damals hatte er, wie sein Vater, „sinnlichen Genüssen huldigend“, Waldrada, wie es heißt, eine edle Jungfrau, die ihm noch sein Vater verlobt haben soll, zur Concubine. Mögen ihn auch politische Rücksichten zu seiner Ehe bewogen haben, so ist es doch durchaus unglaublich, daß er, wie später einer seiner Vertheidiger, Adventius von Metz, behauptet, dazu von Hucbert gezwungen worden sei. Die Reichstheilung befriedigte nicht die Ansprüche der beiden älteren Brüder. Kaiser Ludwig II. führte sogleich Klage bei den Oheimen, daß er verkürzt worden sei, da er Italien schon von seinem Großvater Ludwig dem Frommen erhalten habe. Bei einer Zusammenkunft der drei Brüder zu Orbe 856 kam es zu heftigem Streit, so daß man beinahe zu den Waffen griff. Den jüngsten Bruder Karl wollte L. zum Geistlichen scheeren lassen und die Großen seines Gebietes mußten ihn seinen Händen entreißen. Ludwig und L. verstanden sich endlich dazu, ihrem jüngsten Bruder Karl, wie der Vater bestimmt hatte, die Provence und die Grafschaft Lyon zu überlassen und sich mit ihrem Antheil zufrieden zu geben. Im nächsten Jahre traf L. mit seinem Oheim Ludwig dem Deutschen in [242] Coblenz zusammen und erneuerte am 1. März zu St. Quentin das Bündniß mit Karl dem Kahlen, wie es mit seinem Vater bestanden hatte. Dies veranlaßte eine Erkaltung der Beziehungen zu Ludwig; L. erschien zu der mit ihm vereinbarten Zusammenkunft in Coblenz (858) weder persönlich, noch sandte er einen Bevollmächtigten.

Die Abneigung gegen seine Gemahlin, die Leidenschaft für Waldrada, die ihn derart beherrschte, daß man sie der Wirkung von Zaubertränken zuschrieb, trieben ihn bald zu gewaltthätigen Schritten. Er verstieß schon 857 Theutberga; als Vorwand diente die Beschuldigung, daß sie mit ihrem durch rohe Ausschweifungen berüchtigten Bruder vor ihrer Vermählung widernatürliche Unzucht getrieben und durch einen Trunk eine Fehlgeburt bewirkt habe. Erst später spielte ihre Unfruchtbarkeit eine Rolle. Dieses Begehren führte zu Kämpfen mit Hucbert, dem L. den Ducat zwischen dem Jura und dem großen St. Bernhard, in dem die Abtei St. Maurice lag, verliehen hatte; wenn Regino erzählt, daß Hucbert „rebellirt“ habe, so darf man das wol dahin verstehen, daß er für seine und seiner Schwester Ehre mit den Waffen eingetreten ist. Am 28. Decbr. 857 brach L. von Aachen auf, doch es gelang ihm nicht, einen dauernden Erfolg gegen den durch das Terrain ungemein begünstigten Gegner zu erringen. Er suchte die Bekämpfung Hucberts von sich abzuschütteln: seinem Bruder Karl trat er 858 die an dessen Grafschaft anstoßenden Bisthümer Bellay und Tarantaise ab, allerdings gegen einen Erbvertrag, der ihm die Nachfolge in Karls Reich, wenn dieser kinderlos stürbe, sicherte; 859 überließ er seinem älteren Bruder den Theil seines Reichs jenseits des Jura, nämlich die Städte Genf, Lausanne und Sitten mit den Bisthümern, Klöstern und Grafschaften, das Hospital auf dem St. Bernhard und die Grafschaft Pümplitz (bei Bern) ausgenommen. Mit diesem Gebiet übernahm Ludwig auch die Fortführung des Kampfes gegen Hucbert, der erst 864 durch dessen Tod in einem Gefechte bei Orbe sein Ende fand. Durch die Großen sah L. sich schon 858 gezwungen, seine verstoßene Gemahlin wieder bei sich aufzunehmen, nachdem sie sich von der gegen sie erhobenen Beschuldigung beim Mangel anderer Beweise nach dem Spruch der Großen und Bischöfe und mit Zustimmung des Königs durch das Gottesurtheil des heißen Wassers, aus dem ihr Vertreter siegreich hervorging, gereinigt hatte. Doch er räumte ihr nicht ihre ehelichen Rechte ein, sondern hielt sie in Gewahrsam. Zunächst war er noch durch äußere Angelegenheiten in Anspruch genommen. Er zog im August 858 Karl dem Kahlen, der die auf der Seineinsel Oissel (südlich Rouen) eingeschlossenen Normannen belagert hatte, zu Hülfe und kehrte nach Abbruch der Belagerung im September wieder zurück. Doch noch im selben Jahre schloß er zu Attigny einen Vertrag mit Ludwig dem Deutschen, der auf Einladung der westfränkischen Mißvergnügten erobernd in Karls Reich eingefallen war; aber schon einige Monate später (2. Febr. 859) erneuerte er zu Warq (bei Mezières) eidlich das Bündniß mit Karl dem Kahlen, als dieser seinen Bruder zum Rückzuge gezwungen hatte, und entschuldigte sich damit, daß er früher von „Verführern“ durch lügenhafte Berichte hintergangen worden sei. Im Juni traf er mit dem westfränkischen König und seinem Bruder in Savonnière bei Toul zusammen, nachdem die von einer Synode westfränkischer und lothringischer Bischöfe kurz vorher angeregten Unterhandlungen mit Ludwig keinen Erfolg gehabt hatten. Auch bei einer Zusammenkunft Lothars und seiner beiden Oheime bei Andernach wurde keine Einigung erzielt und man verständigte sich zur Fortführung der Verhandlungen in Basel am 25. October. Aber L. erschien hier nicht und Karl der Kahle kehrte deshalb auf dem Wege dahin um. Erst im Juni 860 fand im Beisein Lothars zu Coblenz der Friedensschluß zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen statt; die drei Könige [243] erneuerten unter einander das früher bestandene Bündniß, das sie auch auf Lothars Brüder ausdehnten, und garantirten sich ihre Reiche; ihre Vereinbarungen wiederholten größtentheils die Beschlüsse von Meersen vom J. 851.

Statt nach Basel war L. nach Italien gezogen und hatte, wie erwähnt, seinem Bruder Ludwig das Gebiet jenseits des Jura abgetreten, um damit auch dessen mächtigen Einfluß in Rom für seine Ehescheidungssache, die fortan sein ganzes Sinnen und Trachten, seine ganze Politik beherrscht, zu gewinnen. Im Januar 860 versammelt sich auf seinen Befehl eine Synode lothringischer Bischöfe und Aebte in Aachen. Der König erkkärt vor derselben, daß das Gottesurtheil nicht die Wahrheit enthüllt habe, daß er auf der Reise nach Italien nun noch genauer in jenes Verbrechen eingeweiht worden sei, und fordert die Synode auf, seine Gemahlin darüber zu vernehmen. Diese legt ein Geständniß des ihr zur Last gelegten Verbrechens, bei dem ihr aber Gewalt angethan worden sei, ab und bittet, sich in ein Kloster zurückziehen zu dürfen. Die Erzbischöfe Gunthar von Köln und Theutgaud von Trier, der Bischof Adventius von Metz und Abt Hegil entscheiden, daß der König keine eheliche Gemeinschaft mehr mit ihr haben dürfe und ihr gestatte, den Schleier zu nehmen. Eine zahlreichere Synode, der man auch vergeblich den Erzbischof Hincmar von Rheims beizuziehen sucht, tritt im Februar wieder in Aachen zusammen, um den Proceß gegen Thutberga förmlich zu verhandeln: öffentlich bekennt sie vor derselben, daß ihr Bruder mit ihr widernatürliche Unzucht getrieben habe, und überreicht ihrem Gemahl ein schriftliches Bekenntniß. L. beeilt sich, feierlich zu betheuern, daß er dieses Geständniß nicht erpreßt, daß er, um einen öffentlichen Scandal zu vermeiden, sogar das falsche Gottesurtheil als Wahrheitsbeweis hingenommen und sich nur durch die Publicität des Verbrechens, von der er sich selbst bei seiner letzten Reise in Burgund und Italien überzeugte, genöthigt gesehen habe, die Sache dem Urtheil der Bischöfe zu unterbreiten. Theutberga wiederholt insgeheim, wie vor den Laien und ihren Freunden, sogar auf deren Zusicherung des vollen Schutzes ihrer Unschuld gegen jede Gewaltthat, daß ihr Bekenntniß ein ganz freiwilliges gewesen sei, sie beharrt bei dieser Erklärung. „Darob entsetzt“, kommt man zu dem Beschluß, daß die nun in die Oeffentlichkeit gedrungene Blutschande durch öffentliche Buße gesühnt werden müsse. Man darf den späteren Versicherungen Theutberga’s glauben, daß ihr Geständniß ein erzwungenes gewesen ist, daß sie es nur abgelegt habe, um sich aus ihrer unerträglichen Lage zu befreien. Nichts spricht mehr gegen L. und seine Helfershelfer als der heuchlerische Ton moralischer Entrüstung, mit dem sie ihre Berichte füllen, die Zweideutigkeit und Unwahrheit, mit der sie ihre Sache vertheidigen. Theutberga gelingt es bald zu entkommen; „aus Furcht vor dem Haß ihres Mannes und seinen Nachstellungen“ flieht sie in das Reich Karl des Kahlen zu ihrem Bruder Hucbert. Sie appellirt an den Papst Nicolaus I., da ihr Bekenntniß nur durch Gewalt erpreßt und sie vollkommen unschuldig sei. Mit Ungestüm verwendet sich auch ihr Bruder für sie in Rom und in dem einflußreichen Erzbischof Hincmar von Rheims ersteht ihrer Sache ein beredter Vertheidiger. Mit besonderem Eifer nimmt sich aber Karl derselben an und er versteht es sie fortan für seine politischen Zwecke gegen L. auszubeuten. L. versucht der Appellation seiner Gemahlin in Rom sogleich entgegen zu wirken. Er sendet seinen Oheim Liutfried, den Erzbischof Theutgaud von Trier und den Bischof Atto von Verdun, die zugleich die lothringischen Bischöfe zu vertreten haben, mit einem sehr verbindlichen Schreiben nach der ewigen Stadt, um den Papst zu bitten, er möge den lügenhaften Berichten seiner Feinde nicht Glauben schenken und ihn unverweilt benachrichtigen, wenn die Sarazenen das Gebiet des heiligen Petrus oder seines kaiserlichen Bruders angreifen würden, da er mit [244] seinen Getreuen bereit sei für Gott und den Papst allen Gefahren zu trotzen. Zum Schutz gegen Karl d. K. schließt er ein förmliches Bündniß mit Ludwig d. D. und tritt diesem das Elsaß ab, ohne daß freilich diese Abtretung auch ins Werk gesetzt wurde. Auf Ludwigs Betreiben entfernt er 861 Adalard, einen Oheim von Karl d. K. Gemahlin Irmintrud, aus seinem Reich, den dieser dann zum Erzieher eines seiner Söhne ernennt. Gemeinsam mit Ludwig schickt er an den westfränkischen König, welcher in das Reich seines jüngeren Bruders, Karls von Burgund, eingefallen und verwüstend bis Macon vorgedrungen war, Gesandte, wie sie in einem gemeinsamen Schreiben an den Papst über den Friedensstörer Klage führen und dem Wunsch Ausdruck geben, daß der Papst persönlich kommen möge, um ihn kraft seines apostolischen Amtes zur Rechenschaft zu ziehen. 862 treffen sie wieder in Mainz zusammen. L. verspricht Ludwig mit ihm gegen die Wenden ins Feld zu rücken, löst aber die Zusage nicht ein. Ihn beschäftigt ganz sein Ehehandel. Am 29. April wird wieder eine Synode der lothringischen Bischöfe in Aachen eröffnet, L. überreicht eine Klageschrift, welche ausführt, daß er nach ihrem Urtheil sich von Theutberga, die noch dazu unfruchtbar sei, getrennt habe, daß er aber, unfähig der Enthaltsamkeit, sie in Anbetracht seiner Jugend bitte, seinen sinnlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und für diese unerträglichen Verhältnisse Abhilfe zu schaffen; auf die Versicherung Theutgaud’s, der König habe für etwaige Vergehen mit seiner Concubine bereits reumüthig gebüßt, erklärt die Synode, daß sie die Ehe mit Theutberga nicht für eine rechtmäßige halte und daß sie ihm daher die Eingehung einer rechtmäßigen Ehe nicht verweigere; nur zwei Bischöfe haben den Muth für die Giltigkeit der Ehe mit Theutberga einzutreten. Dem Papste theilt L. mit, daß die Synode ihn ermächtigt habe Waldrada zu ehelichen, daß er aber die Entscheidung des Papstes abwarten wolle. Obwol dieser jedes weitere Vorgehen vor Ankunft seiner Legaten verbietet, vermählt er sich feierlich mit Waldrada, die ihm schon einen Sohn Hugo geboren hatte, und läßt sie zur Königin krönen; Hilduin, einem Bruder Gunthar’s von Köln, der mit Theutgaud von Trier die Erfüllung seiner Wünsche am meisten gefördert hatte, verleiht er das Bisthum Cambray.

Die Vermählung mit Waldrada gibt Karl d. K. willkommenen Anlaß gegen seinen Neffen eine schroff ablehnende Haltung einzunehmen; kurz vorher hatte er schon Hucbert, der im westfränkischen Reich auch Unterstützung für seinen Kampf gegen L. gefunden hatte, die reiche Abtei St. Martin in Tours verliehen. Bei der Zusammenkunft in Savonnière (November 862) weigert er sich mit L. in Verkehr zu treten, und es kommt darob zwischen ihm und Ludwig d. D. zu heftigem Streit. Karl beschwert sich, daß die Bestimmungen des Koblenzer Vertrages von den beiden anderen Contrahenten nicht eingehalten worden seien, daß L. Engeltrud, der Gemahlin des Grafen Boso (wahrscheinlich eines Bruders Hucbert’s), die 856 ihrem Gatten entflohen war, und Balduin, der Karls Tochter Judith entführt hatte, trotz der über beide verhängten Excommunication den Aufenthalt in seinem Reiche gestatte, daß er in seinem Ehehandel weder den von ihm und seinen Bischöfen erbetenen Rath noch die Entscheidung des Papstes abgewartet habe; er erklärt, daß L. deshalb, bis er sich bessere, wie ein Heide und öffentlicher Sünder zu meiden sei, und verlangt, daß dieser öffentlich sein Verfahren gegen seine Gemahlin nach göttlichem und menschlichem Gesetz rechtfertige oder Besserung gelobe, dann erst sei er bereit als liebevoller Oheim ihn aufzunehmen und Zeit und Ort für die Zusammenkunft und die Verhandlungen über Aufrechthaltung des Koblenzer Vertrags zu bestimmen. L. nimmt die ihm gestellten Bedingungen an und nur unter diesem Vorbehalt nehmen ihn Karl und die westfränkischen Bischöfe, an ihrer Spitze Hincmar von Rheims, zum Friedenskuß und zur Unterredung auf. In den für die Oeffentlichkeit bestimmten [245] Erklärungen verspricht L. die Beobachtung der gegebenen Zusage, und Freundschaft und Hilfe für Karl, wenn dieser ihm Freund und Helfer sei; er spricht Ludwig, der ihn an Kindesstatt angenommen habe, seine dienstwillige Dankbarkeit für seine Vermittlung aus. Gegen die öffentliche Verlesung der Erklärung Karls, welche die Zusicherung der Freundschaft gegen L. an die Erfüllung der gegebenen Zusage knüpfen will, legen Ludwig und L. Verwahrungen ein, damit Lothar’s Sache nicht berührt werde; so begnügt sich Karl mit der vor einem engeren Kreise vorgebrachten Erklärung, daß er L., wie ein Oheim dem Neffen, Freund und Helfer sein wolle, wenn dieser das Gleiche thue. Nur nothdürftig war damit das äußere Einvernehmen mit dem westfränkischen König wieder hergestellt und es ist bezeichnend für die allgemeine Stimmung, daß die Xantener Jahrbücher zum Jahre 862 vermerken: „Schon wird es eckelig von der Zwietracht unserer Könige und der Verwüstung unserer Länder durch die Heiden zu erzählen.“ 863 unternahm L. eine Heerfahrt gegen die Normannen, welche sich in der Nähe von Xanten auf einer Rheininsel verschanzt hatten, während andere Schaaren stromaufwärts bis Neuß vordrangen. Hier stellten sich ihnen L. auf dem linken, die Sachsen auf dem rechten Ufer entgegen und belagerten sie bis Anfangs April. Als sie heimlich abzogen, wollte L., der schon Schiffe in Bereitschaft gehalten hatte, ihnen nachsetzen, doch die Seinen weigerten sich und nur die nacheilenden Sachsen konnten einen Erfolg erringen.

Vielleicht hatte L. selbst getrachtet von den Normannen bald loszukommen. Zu Beginn des Jahres starb sein jüngerer Bruder Karl und es kam ihm die Kunde zu, daß der ältere Bruder Ludwig schon in dessen Reich gekommen sei und die Großen für sich zu gewinnen suche. Er eilte nun auch nach Burgund, wo er schon am 30. April urkundet. Durch Vermittlung ihrer Umgebung kam (wahrscheinlich schon im Mai) eine vorläufige Vereinbarung zwischen den beiden Brüdern zu stande, welche die Entscheidung einer späteren Zusammenkunft vorbehielt. Zugleich wandten sich aber beide Parteien „um Frieden bittend“ an Karl den Kahlen, der ihnen auch die Zusicherung gab Frieden zu halten, „soweit die Feindseligkeit der Gegner dies gestatte.“ So verständigte man sich noch in diesem Jahre zu einer Theilung des Erbes: Ludwig erhielt einen Theil des transjuranischen Burgunds und die Provence, L. das Uebrige.

Schon am 23. November 863 hatte Papst Nicolaus I. L. die Absendung von Legaten, der Bischöfe Rodoald von Porto und Johannes von Cervia, kund gethan mit der Forderung, daß auch je zwei ost- und westfränkische Bischöfe zur Synode beigezogen und ihm das definitive Urtheil vorbehalten werde; zugleich hatte er aber Ludwig dem Deutschen und Karl d. K. von diesem Schreiben Mittheilung gemacht. Als ihm erst nach Abreise seiner Legaten zu Ohren gekommen war, daß L. den vom päpstlichen Stuhl erbetenen „Rath“ nicht abgewartet habe, hatte er denselben (etwa im April) neue Instructionen gesandt und sie beauftragt zu untersuchen, ob L., wie er vorgebe, vor seiner Vermählung mit Theutberga bereits mit Waldrada rechtmäßig verehelicht gewesen sei, sowie das Verfahren gegen jene und ihr Bekenntniß, das sie in ihrer Appellation als erpreßtes bezeichnet habe, einer Revision zu unterwerfen. In dem Einberufungsschreiben an die Bischöfe hatte er die Drohung ausgesprochen, L., wenn er vor der Synode nicht erscheine oder für die Verstoßung seiner „rechtmäßigen und ersten Gemahlin“ und seine zweite Vermählung nicht Genugthuung leiste, zu excommuniciren und der Mahnung an Hilduin vom Bischofsstuhl in Cambray zu entfernen, die gleiche Drohung beigefügt. L. lehnte, als die Legaten ihm die päpstlichen Forderungen übermittelten, die Zusage sicheren Geleites für Theutberga zur Synode, sowie die Einberufung anderer Bischöfe als der seines Reiches, die durch Vergabungen gewonnen oder durch Drohungen eingeschüchtert waren, ab. Von L. [246] gingen die Legaten zu Karl d. K., der sie ehrenvoll aufnahm und mit Geschenken entließ. Mitte Juni 863 tritt endlich die Synode in Metz zusammen; L. erscheint mit seinen Bischöfen und einem Gefolge von Edlen; Theutberga war, weil ihr sicheres Geleit verweigert worden war, nicht gekommen. L. besticht die Legaten, diese legen daher die päpstlichen Schreiben der Synode nicht vor und führen ihre Aufträge nicht aus. Er trägt seine Sache der Synode im Beisein der Legaten vor und erklärt, daß sein Vater selbst ihm Waldrada übergeben und er nur nach dem Rath und mit Ermächtigung der Bischöfe so gehandelt habe; alle bezeugen, daß Theutberga freiwillig, nicht gezwungen ihr belastendes Geständniß abgelegt habe. Theutberga wird nun, namentlich auf Betreiben der Erzbischöfe Gunthar und Theutgaud, verurtheilt, die Ehe mit Waldrada als zu Recht bestehend anerkannt, Engeltrud vom Banne gelöst. Die Synodalacten werden von den anwesenden Bischöfen unterzeichnet und auf den Rath des „schlauen“ Bischofs Hagano von Bergamo, wol des Vertreters Kaisers Ludwig II., Gunthar und Theutgaud beauftragt, dieselben persönlich dem Papst zur Bestätigung vorzulegen. Sie gehen zugleich als Gesandte des Königs nach Rom. Lothar’s Wünsche schienen nun erfüllt. Doch der Papst zerriß mit rücksichtsloser Hand seine Berechnungen. Auf der römischen Synode (Ende October) kassirt Nicolaus I. die Metzer Synode, welche er der Ephesinischen Räubersynode gleichstellt; er setzt Theutgaud und Gunthar ab und kündigt den anderen Bischöfen die gleiche Strafe an, wenn sie sich nicht dem päpstlichen Stuhl unterwerfen und diese Unterwerfung für die Zukunft verbürgen; über Engeltrud verhängt er von Neuem den Bann und bedroht „alle Verächter der päpstlichen Lehren, Befehle, Verbote, Satzungen und Dekrete in Sachen des Glaubens, der kirchlichen Disciplin, der Correction der Gläubigen, der Besserung der Lasterhaften“ mit der Excommunication. An L. erläßt er eine scharfe Mahnung und den Auftrag, die Nachfolger der abgesetzten Erzbischöfe nur mit Genehmigung des päpstlichen Stuhles bestellen zu lassen. Rundschreiben verkünden den Bischöfen Galliens, Deutschlands und Italiens diese Beschlüsse und in denselben heißt es von L.: „wenn der noch in Wahrheit König genannt werden kann, der seine sinnlichen Gelüste nicht durch heilsame Beherrschung zügelt, sondern in schmählicher Entnervung ihrem unerlaubten Drängen nachgibt.“ Die abgesetzten Erzbischöfe Theutgaud und Gunthar eilen zu Kaiser Ludwig II. nach Benevent und führen über ihre ungerechte Absetzung, die nur mit Wissen ihres Fürsten und im Beisein anderer Metropoliten hätte erfolgen dürfen, Beschwerde. Der Kaiser ist über das Vorgehen des Papstes um so mehr entrüstet, als die beiden Erzbischöfe zugleich als Gesandte seines Bruders nach Rom gekommen waren. Er zieht (Februar 864) in ihrer Begleitung mit einem Heere nach Rom; der Papst flieht, als er hört, daß man ihn gefangen nehmen will, vom Lateran in die Peterskirche. Als der Kaiser aber vom Fieber ergriffen wird, söhnt er sich mit dem Papst aus und befiehlt Gunthar und Theutgaud nach Hause zurückzukehren; Gunthar läßt ihre schon früher an die lothringischen Bischöfe versandte Vertheidigungsschrift durch seinen Bruder Hilduin gewaltsam am Grabe des heiligen Petrus niederlegen. Auch L., dessen willige Werkzeuge sie gewesen waren, tritt nicht für sie ein. Nach der Rückkehr von einem Feldzug gegen die Normannen, die er mit einer bedeutenden Summe abkauft, sendet er den Bischof Ratold von Straßburg mit einem demüthigen Schreiben nach Rom, das er wieder mit Betheuerung seiner Ergebenheit und seines Verlangens nach Rom zu kommen eröffnet; er verwahrt sich wieder gegen die Einflüsterungen seiner Feinde und wälzt alle Schuld von sich ab; er anerkennt die Absetzung der beiden Erzbischöse und gibt nur der Hoffnung nach einer Revision ihres Processes Ausdruck. Dem Beispiel des Königs folgen die Bischöfe, sie unterwerfen sich demüthig. Das Erzbisthum [247] Köln verleiht L., als Gunthar wegen Ausübung kirchlicher Functionen auch von den Bischöfen mit dem Bann belegt wird, auf eigene Faust dem Welfen Hugo, der sich keineswegs durch ein geistliches Leben auszeichnete. Erbittert rafft Gunthar alle Schätze zusammen und zieht nach Rom, um dem Papst „das ganze Gewebe von Trug“ zu enthüllen. Diese Aufwallung wird allerdings bald durch das Streben nach Wiedererlangung des reichen Erzbisthums beschwichtigt.

L. sucht nun an seinem Bruder eine feste Stütze. Der Kaiser nimmt auch entschieden seine Partei; er verweigert den Gesandten der westfränkischen Bischöfe wie den päpstlichen Legaten an Karl d. K. den Durchzug durch sein Reich; eine Synode in Pavia spricht sich zu Gunsten des persönlich anwesenden Gunthar aus, der in der Hoffnung, durch die Fürsprache des Kaisers restituirt zu werden, mit seinem Schicksalsgenossen nach Rom pilgerte. Um so bedenklicher wird die Haltung der Oheime L. gegenüber. Ludwig der Deutsche zieht sich von ihm zurück und tritt noch zu Ende des Jahres in Unterhandlungen mit Karl; hatte doch der Papst gegen den deutschen König harten Tadel ausgesprochen, daß er nicht früher schon gegen „jenen Lothar“ aufgetreten sei, und ihm verboten mit ihm, wenn er Waldrada bei sich behalte, irgend eine Gemeinschaft zu halten, und Ludwig hatte sich beeilt einen Gesandten nach Rom zu schicken. Im Februar 865 kommen Ludwig und Karl in Thousey zusammen und erneuern den Koblenzer Vertrag. L. ist förmlich ausgeschlossen. Er erbittet sich durch Gesandte ihren Rath und dieser wird ihm auch im reichlichen Maß zu theil: in öffentlicher Erklärung verdammten sie seinen sündhaften Wandel und das daraus fließende Unheil; sie lassen ihm rathen vorerst, bevor er nach Rom gehe, nach der Mahnung des Papstes zu bessern, was er gesündigt, und erst nach „Ordnung seines Reichs“ aufzubrechen. L. ist dadurch tief beunruhigt; er schöpft Verdacht, daß seine Oheime ihm seine Reiche nehmen und unter sich theilen wollen, und sendet daher Liutfrid an seinen kaiserlichen Bruder mit der Bitte, er möge vom Papst Briefe zum Schutz seines Reichs erwirken. Diese werden auch vom Kaiser erwirkt.

Die Furcht vor der Habgier der Oheime erzwingt volle Nachgiebigkeit. Im Juni trifft der päpstliche Legat Arsenius, Bischof von Orta, in Gondreville bei L. ein, nachdem er in Frankfurt Ludwig d. D. ein päpstliches Schreiben mit der eindringlichen Mahnung „den Frieden mit dem Kaiser und Lothar zu wahren“, die früheren Verträge aufrecht zu halten, überreicht und vom deutschen König sogar die Zusage einer Zusammenkunft mit Karl und L. in Köln zur Wiederherstellung der Eintracht erhalten hatte; ein Schreiben gleichen Inhalts hatte er an Karl zu überbringen. Der Legat überreicht in Gondreville die päpstlichen Briefe an L. und die lothringischen Bischöfe, welche dem König, falls er nicht unverzüglich Theutberga zu sich nehme und Waldrada verstoße, die Fällung der bisher nur aus Liebe zum Kaiser aufgeschobenen definitiven Sentenz und damit die förmliche Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft androhen. L. fügt sich gehorsam. Am 3. August schwören für ihn zu Vendresse (bei Sedan) sechs Grafen und sechs Vasallen in Gegenwart der lothringischen und zweier westfränkischer Bischöfe, welche Theutberga, die bisher ehrenvoll im Reich Karls gelebt, in dessen Auftrag an Arsenius übergeben hatten, und vor vielen Edlen nach der von dem Legaten vorgeschriebenen Formel auf die Evangelien, daß L. Theutberga als seine rechtmäßige Gattin und als Königin annehmen und fortan halten, daß weder er noch sonst Jemand ihr aus Rache ein Uebel zufügen werde, wenn sie ihrer Pflicht als Gattin in allem nachkomme. Am selben Tag noch übergibt Arsenius im nahen Douzy Theutberga an L. und schärft ihm unter Androhung zeitlicher und ewiger Rechenschaft die Erfüllung jener eidlichen Verpflichtung ein; die Kirchenbuße für den öffentlichen Ehebruch wird ihm erlassen. Zugleich wird bestimmt, daß Waldrada nach Italien gesandt werde, um die [248] weiteren Verfügungen des Papstes zu erwarten und, wenn er es für nöthig erachte, nach Rom zu kommen, um sich zu rechtfertigen oder Buße zu thun. L. geht sogleich zu Karl d. K. nach Attigny; dieser läßt sich herbei auf Verwendung der Königin Irmintrud das frühere Bündniß zu erneuern. Am 15. August wohnen L. und Theutberga im königlichen Schmuck, mit der Krone auf dem Haupt, in Gondreville der Messe des Arsenius bei, der dahin gekommen war, um Waldrada in Empfang zu nehmen und sie nach Italien zu führen. Er reist mit ihr auch bis Orbe, von da aber nach Worms, wo er auch Engeltrud übernimmt, die sich eidlich verpflichten muß vor oder mit ihm nach Rom zu kommen. Doch Engeltrud entweicht an der Donau. Waldrada gelangt zwar nach einem vereitelten Fluchtversuch nach Italien, weigert sich aber nach Rom zu gehen; von Pavia läßt L. (kaum ohne Wissen seines Bruders) sie in die Heimath zurückführen, während man das Gerücht verbreitet, sie sei mit Einwilligung des Papstes zurückgekehrt; nach einer späteren Quelle soll sie sehr oft auf dem prächtigen Fiskalgut Ham geweilt und hier die Besuche des Königs empfangen haben. Am 2. Februar 866 verhängt der Papst über sie feierlich den Bann. Man ist bemüht dies zu verheimlichen und die lothringischen Bischöfe verweigern die Annahme und Publikation der Excommunicationsbriefe.

Zu der von Arsenius veranlaßten Zusammenkunft in Köln war L. nicht erschienen. Er trifft dafür in Orbe seinen Bruder, am 17. Mai 866 schenkt er diesem ein Gut bei Olonna mit der Bestimmung, daß er es an seine Gemahlin Angilberga, deren Einfluß ein allmächtiger war, übertrage; dagegen ist die Nachricht Regino’s von der Entsendung eines lothringischen Hilfsheeres gegen die Sarazenen in Unteritalien ganz unsicher. Aber auch seiner „vielgeliebten“ Theutberga – der Titel Gemahlin wird ihr selbst in der Schenkungsurkunde nicht gegeben – weist L. am 17. Januar großen Güterbesitz in Burgund zu, darunter, wie wir aus einer späteren Urkunde erfahren, den wegen Infidelität eingezogenen Besitz ihres Bruders. Wie es scheint, erfüllt er damit nur eine der bei der Aussöhnung mit ihr übernommenen Verpflichtungen; seine Abneigung gegen sie hat sich nicht gemindert, er sucht sich von ihr wieder zu befreien, obwol er, diesmal in gehobenem Tone, in einem Schreiben an den Papst wieder gegen die Verdächtigungen seiner habgierigen „Nebenbuhler“, namentlich des „Hauptes seiner Ankläger“ (Karl des Kahlen) protestirt und verlangt, daß diese mit ihm in Rom erscheinen. Er zieht es aber doch vor mit Karl sich durch ein wirksameres Mittel abzufinden: bei einer Zusammenkunft in der Nähe von St. Quentin (August 866) tritt er ihm die reiche Abtei St. Vaast ab als Preis des Abkommens, welches ihm zum Vorgehen gegen Theutberga freie Hand geben soll. Das Bündniß mit Karl ist von einer tief gehenden Spannung mit Ludwig d. D. begleitet. Bald darauf trifft L. wieder mit Karl in Attigny zusammen; Theutberga, welche schon die Erlaubniß hatte nach Rom zu gehen, wird zurückgerufen, Karl und L. schicken gemeinsam eine Gesandtschaft mit geheimen Aufträgen an der Papst. Statt zu der mit den Oheimen verabredeten Zusammenkunft nach Metz zu gehen, verhandelt L. im November zu Trier mit seinen Bischöfen. Theutberga sollte nach Hincmar’s Bericht ihr früheres Geständniß wiederholen und bewogen werden den Schleier zu nehmen. Durch die rücksichtslose, gewaltthätige Behandlung aufs äußerste getrieben, überschickt sie auf Drängen Lothar’s dem Papst das „Bekenntniß“, daß sie freiwillig und gern auf die königliche Würde verzichte, weil Waldrada die rechtmäßige Gattin und sie selbst unfruchtbar sei; sie will nach Rom kommen, um dem Papst ihr Leid klagen, ihr Herz ausschütten zu können, und droht in ihrer Verzweiflung Hand an ihr Leben zu legen. Zugleich dringen dunkle Gerüchte nach Rom, L. beabsichtige über Theutberga nochmals Gericht halten zu lassen, um die Scheidung oder auf Anklage [249] des Ehebruchs den gerichtlichen Zweikampf zwischen ihrem und seinem Mann zu erzwingen oder sie gar zu tödten.

Für Theutberga tritt Nicolaus mit seiner unbeugsamen Energie ein, seine Briefe beleuchten grell die ganze Angelegenheit. An L. und Theutberga schreibt er, daß er deren „Bekenntniß“, weil durch Mißhandlungen und Todesangst erpreßt, verwerfe, daß L., selbst wenn Theutberga auf ihre ehelichen Rechte verzichte, nie Waldrada, die auch nie seine rechtmäßige Gattin gewesen, ehelichen könne; er tröstet Theutberga, verbietet ihr aber nach Rom zu kommen, da sie ihren Gatten nicht ihrer Nebenbuhlerin überlassen dürfe und vorerst die vollste Bürgschaft für ihre Sicherheit auf der Reise haben müsse; L. mahnt er nochmals seine Pflichten gegen seine rechtmäßige Gattin zu erfüllen und jeden Verkehr mit der gebannten Waldrada abzubrechen, damit er nicht derselben Strafe verfalle. Den lothringischen Bischöfen befiehlt er ohne Rücksicht auf die Folge oder den etwaigen Verlust ihrer Lehen die Excommunication Waldrada’s zu publiciren und den König an die Erfüllung des seinem Legaten Arsenius geleisteten Eides zu mahnen. Karl d. K. gegenüber mißbilligt er mit scharfem Tadel das Bündniß mit L., das mit seiner früheren Haltung in so grellem Widerspruch stehe, und bittet ihn Theutberga Schutz und Zuflucht zu gewähren. Diese Briefe des Papstes werden Karl am 20. Mai überreicht. In einem späteren Schreiben ersucht der Papst noch den deutschen König seinen Einfluß bei L. zu Gunsten Theutberga’s geltend zu machen.

In Attigny übergibt Karl persönlich L. die für ihn und seine Bischöfe bestimmten päpstlichen Schreiben. Von hier geht er nach Metz, wo er mit Ludwig d. D. eine „Unterredung“ hat: er schließt mit ihm einen Vertrag, welcher Bestimmungen über die Theilung, „wenn Gott ihnen von den Reichen ihrer Neffen noch mehr schenken sollte“, und die gegenseitige Vertheidigung ihres Antheils trifft und auch der römischen Kirche ihren Schutz zusichert. Auf der Rückkehr besucht Karl L. wieder im Ardennenwald, um ihn auch im Namen Ludwigs aufzufordern, den Befehlen des Papstes sich zu fügen. L. sendet seinen Kanzler Grimland nach Rom mit einem Schreiben, welches, das alte Ränkespiel wiederholend, mit Betheuerungen seiner Ergebenheit und Schuldlosigkeit dem Papst zu große Leichtgläubigkeit gegenüber den Anklagen seiner Feinde vorwirft und wieder fordert, seinen Anklägern in Rom gegenüber gestellt zu werden; er bittet den Papst sein Königthum unangetastet zu lassen und versichert, daß er seit der Abreise des Arsenius weder mit Waldrada verkehrt noch seit ihrer Rückkunft aus Italien sie auch nur gesehen habe. Zugleich sucht er dem ehrlicheren seiner Gegner sich wieder zu nähern; in Frankfurt söhnt er sich mit Ludwig d. D. aus und verbündet sich mit ihm, seinem Schutz empfiehlt er für die Zeit der beabsichtigten Romreise sein Reich und Waldrada’s Sohn Hugo, dem er das Elsaß verleiht. Wie tief auch die inneren Wirren Lothar’s Reich durchwühlen, zeigt ein Schreiben der lothringischen Bischöfe an ihre westfränkischen Amtsbrüder, in dem sie gegen die Verdächtigung ihrer Treue durch Angehörige ihres Reichs, „welche Karl zu überreden suchen, daß er das Reich ihres Königs sich aneigne und diesen als einen verachteten und von seinem Volk verlassenen Fürsten vertreibe“, feierlich Protest erheben und dieselben beschwören in Anbetracht des schon angerichteten Unheils mit aller Strenge gegen die Friedensstörer einzuschreiten. Ludwig intervenirt nun wieder zu Gunsten Lothars beim Papst und legt sogar mit dem deutschen Episcopat Fürsprache ein für die abgesetzten Erzbischöfe Gunthar und Theutgaud. Trotz der Betheuerungen seines Gehorsams schickt L., der in diesem Jahre auch einen, wie es heißt, siegreichen Feldzug gegen die Normannen unternimmt, im Herbst Theutberga nach Rom, um die Auflösung ihrer Ehe zu erwirken.

[250] Auch Ludwigs Verwendung bleibt ohne Erfolg. Der Papst verweist den deutschen König darauf, daß L. von den oft betheuerten Zusagen noch gar nichts erfüllt habe, und verbietet, daß er nach Rom komme, bevor er nicht sämmtlichen Forderungen Genüge gethan habe; ebenso entschieden schlägt er die Bitte um Reconciliation der abgesetzten Erzbischöfe ab.

Diese Schreiben Nicolaus I. datiren vom 30. October. Am 13. November stirbt er. Sein Nachfolger Hadrian II. ist milder, versöhnlicher und dem Einflusse des Kaisers zugänglicher. Als Theutberga vor ihm erscheint und um die Auflösung ihrer Ehe, die keine rechtmäßige sei, ansucht, verweigert er seine Einwilligung und behält den endgiltigen Entscheid einer Synode vor, selbst als die unglückliche Königin erklärt, daß sie lieber zu den Heiden flüchten als zu ihrem Gemahl zurückkehren wolle; er ermahnt L., Theutberga als rechtmäßige Gemahlin aufzunehmen oder ihr, wenn sie es vorziehen sollte bis zur Synode auf einem ihrer Güter zu bleiben, seinen Schutz angedeihen zu lassen und Waldrada zu meiden. Er gewährt Theutgaud, der bald darauf dem Fieber erliegt, während Gunthar, der mit ihm nach Rom gekommen, kaum dem Tod entrinnt, die Laiencommunion; im Februar 868 löst er Waldrada auf Bitte des Kaisers vom Bann unter der Bedingung, daß sie L. fern bleibe. Er fordert unter Androhung kirchlicher Strafen Karl d. K. und Ludwig d. D. auf, die Reiche des Kaisers und Lothars nicht zu beunruhigen. Diese Aufforderung wird wol dadurch veranlaßt, daß sich im ost- und westfränkischen Reich das Gerücht verbreitet hatte, Nicolaus habe den unverrückbaren Entschluß ausgesprochen, daß L. als gebannt zu betrachten sei, wenn er bis 1. Februar 868 Waldrada nicht entlassen habe, wie auch Karl mit Zustimmung Ludwigs eine Synode für diesen Tag nach Auxerre einberufen hatte, „um über Lothars Sache zu verhandeln“.

L. beeilt sich dem neuen Papst mit der Klage über das einseitige Vorgehen seines Vorgängers die Versicherung seiner unbegrenzten Ergebenheit zu wiederholen, sein Reich dessen Schutz zu empfehlen und seine baldige Ankunft in Rom anzukündigen. Er tritt mit seinen Oheimen in Unterhandlung; Karl vertröstet ihn bei einer Zusammenkunft in Attigny auf einen späteren Zeitpunkt. Als L. durch Gesandte die bestimmte Zusage fordert, daß sein Reich bis zu seiner Rückkunft von Rom unbehelligt bleibe, gibt Karl eine ausweichende Antwort, während Ludwig ein bindendes Versprechen gegeben haben „soll“.

Zu Beginn des J. 869 bricht L. nach Italien auf, von der Hoffnung beseelt durch den Einfluß seines Bruders beim Papste sein Ziel zu erreichen. Am 22. Januar macht er Berta, einer Tochter Ludwig d. D. und Aebtissin von St. Felix und Regula in Zürich, eine bedeutende Schenkung, „damit sie die Festigung der Freundschaft zwischen ihm und ihren Eltern eifrig fördere“. Im Juni ist er in Ravenna; hier treffen ihn Gesandte seines in Unteritalien weilenden Bruders mit dem Auftrag, daß er nicht weiter reise noch länger in Italien bleibe, sondern in sein Reich zurückkehre, bis der Kaiser Zeit zu einer Zusammenkunft finde. Unbekümmert um diese Botschaft reist L. weiter. Rom bei Seite lassend geht er zu seinem Bruder nach Benevent. „Durch viele Bitten, Geschenke, Schmeicheleien“ gewinnt er die maßgebende Persönlichkeit, die Kaiserin Angilberga. Er erwirkt durch sie, daß der Kaiser den Papst nach Montecasino beruft und der Kaiserin gestattet ihn dorthin zu begleiten. Eine uns erhaltene Rede des Papstes gewährt Einblick in die Forderungen Lothars: der Papst weist das Ansinnen der Restitution der verurtheilten Geistlichen, namentlich Gunthar’s, zurück, erklärt, daß Theutberga nur aus Todesangst um Scheidung ihrer Ehe gebeten habe, daß eine Revision des päpstlichen Spruches nur durch ein allgemeines Concil erfolgen könne, und bittet dem Kaiser vorzustellen, daß er nicht durch Forderung solcher Zugeständnisse die Kirche in [251] Gefahr bringe. Durch viele Geschenke und durch die Vermittlung der Kaiserin erreicht L., daß der Papst vor ihm die Messe singt und gegen die Versicherung, daß er mit Waldrada seit ihrer Bannung keinen Verkehr noch eine Unterredung gehabt habe, ihm und seinem Gefolge die Communion reicht; diese wird auch Gunthar gegen einen Revers, in dem er die von Nicolaus über ihn verhängtes Absetzung förmlich anerkennt, gewährt. L. folgt dem Papst nach Rom, die Kaiserin kehrt zu ihrem Gemahl zurück. Als er am 9. Juli die Peterskirche besucht, wird er von keinem Geistlichen begrüßt, der Söller neben der Peterskirche, in dem er Wohnung nimmt, ist nicht einmal gereinigt. Der Papst weigert sich am nächsten Tag vor ihm die Messe zu singen. Am 11. Juli spricht er mit dem Papst im Lateran; für viele Geschenke an goldenen und silbernen Gefäßen erhält er von diesem als Gegengabe einen wollenen Mantel, einen Palmenzweig und einen Stab; er deutet dies dahin, daß der Mantel den Besitz (die Revestitur) Waldrada’s, der Palmenzweig den Sieg seiner Sache, der Stab die Gewalt über die widerspenstigen Bischöfe bezeichne. Anderes haben der Papst und die Römer im Sinn: jener beschließt Legaten nach Gallien zu schicken, um mit den Bischöfen über die Forderungen Lothars zu verhandeln und das Ergebniß der für den 1. März 870 nach Rom zu berufenden Synode vorzulegen, der auch vier Bischöfe des ost- und westfränkischen Reichs mit Gesandten der Könige und einige lothringische Bischöfe als Vertreter der übrigen beigezogen werden sollten. Voll Hoffnung verläßt L. Rom. In Lucca wird er vom Fieber ergriffen. Die Seuche rafft sein Gefolge haufenweise vor seinen Augen weg. Krank setzt er die Reise fort. Am 6. August langt er in Piacenza an. Am nächsten Tag verschlimmert sich sein Zustand, um 3 Uhr Nachmittags tritt plötzlich Bewußtlosigkeit ein. Er stirbt am 8. August um 8 Uhr früh in der Blüthe der Jahre und wird in der Kirche des heiligen Antonin beigesetzt. An seine Grabstätte vergabt Theutberga später Güter; sie findet im Kloster der heiligen Glodesindis in Metz ihre Ruhestätte, Waldrada nimmt in Remiremont den Schleier. Lothars zerrüttetes Reich wird die gute Beute seiner Oheime.

Hauptquelle für die Geschichte Lothars II. sind die westfränkischen Reichsannalen; spärlichere Mittheilungen bieten die Jahrbücher von Fulda und Xanten, nicht immer verläßliche die Chronik des Regino. Ueber die ersten Stadien des Processes gegen Theutberga (bis 860) liefert genaue Nachrichten Hincmar’s Liber de divortio Lotharii (über diesen M. Sdralek, Hincmar’s von Rheims canonistisches Gutachten über die Ehescheidung des Königs Lothar II., Freiburg i. Br. 1881), über die späteren Stadien namentlich die päpstlichen Briefe. Die diesbezüglichen Briefe Lothars an den Papst sind von Baronius aus einer Trierer Handschrift veröffentlicht. Bearbeitung in Dümmler’s Geschichte des ostfränkischen Reiches, Bd. I; Zusammenstellung des Materials in Böhmer’s Regesten der Karolinger (neu bearbeitet von E. Mühlbacher), 1. Bd., 3. und 4. Lieferung.