Wallenstein (Schiller-Galerie)

Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Pecht
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wallenstein
Untertitel:
aus: Schiller-Galerie. Charaktere aus Schiller’s Werken, gezeichnet von Friedrich Pecht und Arthur von Ramberg. Funfzig Blätter in Stahlstich mit erläuterndem Text von Friedrich Pecht
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: F. A. Brockhaus
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[Ξ]

Wallenstein.

[Ξ]
WALLENSTEIN.
(Wallenstein.)


Dass „Wallenstein“, diese herrlichste Schöpfung unsers Schiller, auch die vollendetste Tragödie sei, die das deutsche Theater überhaupt besitzt, ist allmählich überall zur Anerkennung gekommen. Wenn dem also ist, so liegt vielleicht der Hauptgrund darin, dass der Held der mächtigen Trilogie zugleich auch die bei weitem am meisten gelungene, die fesselndste und bis ins kleinste Detail hinaus am meisterhaftesten durchgeführte Figur desselben, ja dass es hier vielleicht das einzige mal ist, wo es deutscher Dichtkunst gelang, uns das Wesen des Genie unwiderstehlich wahr zu zeigen, die dämonische Kraft desselben vollständig zur Erscheinung zu bringen.

Nicht als ob nicht auch die übrigen Gestalten des Stücks wie das Verhältniss, in dem sie zueinander stehen in der fortschreitenden Entwickelung der Handlung, weniger bewunderungswürdig, weniger aus der reinsten und höchsten Poesie hervorgegangen erschienen; sie alle aber werden uns nur von einzelnen Seiten her gezeichnet, während des Friedländers Gestalt bis in jede Falte des Herzens verfolgt wird.

Gleich im Prolog setzt uns der Dichter sofort auf die nöthige Höhe, um das Feld seiner Darstellung zu überblicken, indem er uns den Zustand Deutschlands seit Beginn des Dreissigjährigen Kriegs schildert und fortfährt:

Auf diesem finstern Zeitgrund malet sich
Ein Unternehmen kühnen Uebermuths
Und ein verwegener Charakter ab.
Ihr kennet ihn – den Schöpfer kühner Heere,
Des Lagers Abgott und der Länder Geisel,
Die Stütze und den Schrecken seines Kaisers,
Des Glückes abenteuerlichen Sohn,

[Ξ]

Der, von der Zeiten Gunst emporgetragen,
Der Ehre höchste Staffel rasch erstieg
Und, ungesättigt immer weiter strebend,
Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel –

und uns dann auf die nähere Ausführung, die vorzugsweise Gegenstand künstlerischer Ergänzung und Belebung der Geschichte ist, vorbereitet:

Doch euern Augen soll ihn jetzt die Kunst,
Auch euerm Herzen menschlich näher bringen:
Denn jedes Aeusserste führt sie, die alles
Begrenzt und bindet, zur Natur zurück;
Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang
Und wälzt die grössre Hälfte seiner Schuld
Den unglückseligen Gestirnen zu.

Auf dem Hintergrund ebenso furchtbarer Massen als bedeutender Charaktere, die ihn umgeben, wie sie uns schon im „Lager“, und weiter Schritt vor Schritt in den „Piccolomini“ geschildert werden, tritt dann seine gewaltige, alles überragende Gestalt nur um so mächtiger hervor. Diese selbst ist der Aufhellung der wirklichen Geschichte mit so bewunderungswürdigem Scharfsinn, mit so ausserordentlicher Divinationsgabe vorangegangen, ihre spätern Forschungen haben so sehr dazu gedient, die Auffassung des Dichters zu rechtfertigen, dass der zeichnende Künstler kaum etwas anderes thun konnte, als sich an die historischen Porträts zu halten, wie sie uns von van Dyck u. a. überliefert worden sind.

Es ist ein strenges, echt soldatisches Gesicht, das uns alle diese Bildnisse zeigen, äusserlich kalt und doch der rücksichtslosesten, verzehrendsten Leidenschaft fähig, mager, starkknochig, mit schwarzem, durchdringendem, ruhig und schwer blickendem Auge. Die höchste Willens - und Thatkraft spricht aus dem ganzen Kopf, gepaart mit undurchdringlicher Verschlossenheit, einem Hang zu tiefsinniger Reflexion, ja selbst zu mystischem Grübeln, die Vorliebe für das Wunderbare und Geheimnissvolle zeichnet sich in der übermässig hochgewölbten Stirn mit den scharf abgeschlossenen Seitenwänden. Den festesten Muth aber, auch das ganz realistisch der Erde zugewandte Trachten charakterisirt der zusammengepresste Mund, die vorgedrückte Unterlippe, [Ξ] das kühne Profil, die starke, fast raubthierartig ausgebildete untere Partie des Gesichts, die hohe, straffe Gestalt. Ueber all dem das Siegel der geheimnissvollen Macht des Genie, jener Grösse des Geistes nicht nur, sondern auch jener ungeheuern Gewalt des Willens, der die Massen instinctartig an sich fesselt und sie mit sich fortreisst, wie die Augen der Schlange die Vögel bezaubern. Es ist ein geborener Herrscher, der uns hier in dem runden Thurmgemach, das Thekla in ihrer Unterhaltung mit Max und der Gräfin Terzky schildert, nachlässig auf einen Himmelsglobus gestützt, vorgeführt wird, die Bilder der Planeten hinter sich, die Figuren der Tafel sinnend betrachtend, auf welcher der Gestirne Lauf verzeichnet ist, deren Aspect ihn erst zum Handeln treibt – wie er sich selber täuschend sagt –, während es doch nur die innerste Natur ist, der er folgt. Der unzerstörbare felsenfeste Glaube an sich, verbunden mit dem Vertrauen auf besondere geheimnissvolle Mächte, die ihm zu Gebote stehen, wie sich beides so oft bei genialen Naturen findet, dieser Zusammenhang mit einem incommensurabeln dämonischen Reich, der durch das ganze Stück geht, erhöht den Zauber nur um so mehr, mit dem der Held auf uns wirkt.

Wie der Dichter den ganzen Process, den Wallenstein bis zum vollständigen Verrath an seinem Kaiser durchzumachen hat, Schritt für Schritt an uns vorübergehen lässt, ihn menschlich motivirt, das geschieht mit einer Meisterschaft, welcher die deutsche Dichtung nichts Aehnliches mehr an die Seite zu setzen hat. Zufall, Verhängniss und innere Nothwendigkeit sind hier in einer Weise miteinander verwoben, dass uns die Spannung nicht einen Augenblick loslässt, ebenso wenig als die Bewunderung für den Helden, dessen ungeheuern Selbstbetrug wir sogar verstehen, mit dem er sich über Dinge täuscht, welche die gemeinern Naturen um ihn herum vollkommen durchschauen, sodass er uns oft als eine Art von Schlafwandler erscheint, und wir doch an seinen Geist glauben, weil wir sehen, dass er mit der Inspiration des Genie aus derselben Quelle entspringt.

Ueber dem Staunen vor seiner Grösse vergessen wir sogar beinahe den Tadel seines schrankenlosen Egoismus, der Kälte, mit der er alles [Ξ] dem Moloch seines Ehrgeizes opfert, das eigene Kind, die Gattin, den jugendlichen Freund, bis ihn das Schicksal ergreift und zerschmettert unter den Trümmern seines zusammenstürzenden Gebäudes, als er eben noch in äusserster Verblendung durch das reine Opfer des Max die Rache von seinem Haupt hinweggenommen glaubt:

Die bösen Götter fordern ihren Zoll.
Das wussten schon die alten Heidenvölker:
Drum wählten sie sich selbst freiwill’ges Unheil,
Die eifersücht’ge Gottheit zu versöhnen,
Und Menschenopfer bluteten dem Typhon.
Auch ich hab’ ihm geopfert. – Denn mir fiel
Der liebste Freund und fiel durch meine Schuld.
So kann mich keines Glückes Gunst mehr freuen,
Als dieser Schlag mich hat geschmerzt. – Der Neid
Des Schicksals ist gesättigt, es nimmt Leben
Für Leben an, und abgeleitet ist
Auf das geliebte reine Haupt der Blitz,
Der mich zerschmetternd wollte niederschlagen.



[Ξ]

Gräfin Terzky.

[Ξ]
GRÄFIN TERZKY.
(Wallenstein.)


Sehen wir bei Thekla die ideale Natur des Weibes in schönster Verklärung geschildert, so zeigt uns Gräfin Terzky die dem Realen zugewandte Seite des weiblichen Wesens mit vielleicht noch grösserer Meisterschaft, denn gewiss gehört dieser Frauencharakter zu Schiller’s vollendetsten Schöpfungen. Hätte sie einen weniger hochfliegenden Geist, erstrebte sie niedrigere Ziele, so wäre sie eine gemeine Intriguantin; so wie sie der Dichter uns malt, ist sie dies nicht; wenn auch ihre Waffen, die Mittel einer Frau, theilweise aus dem Arsenal der Intrigue geholt werden müssen, so werden sie doch überall durch die merkwürdige geistige Ueberlegenheit geadelt, mit der sie dieselben braucht. Man hat den Frauen oft vorgeworfen, dass ihnen Geist und Verstand nichts nütze, da sie diese Gaben nicht dazu zu verwenden wüssten, sich höhere Aufgaben zu stellen, sondern sie in der Regel nur dazu misbrauchten, irgendeinen ganz gewöhnlichen Zweck oder gar eine ganz willkürliche Caprice mit einem ungemeinen Aufwand von Scharfsinn in den Mitteln zu erstreben. Gräfin Terzky zeigt uns das Gegentheil und documentirt sich dadurch als grossartige Natur. Sie hat lediglich nichts als die kleinen Mittel der Intrigue bei Max, und die feine weibliche Dialektik beim Schwager, beide aber gebraucht sie, um die weltumfassenden Plane des letztern zu unterstützen, dessen umgreifender Sinn in ihr ein vollkommenes Echo findet. Sie ist die einzige Frau, die ihn versteht und würdigt, Thekla ist doch zu sehr Weib, um ein anderes Genüge als das des Herzens zu suchen; sie ist blos hochherzig, während Gräfin Terzky ihr an Seelengrösse gleichsteht und sie an hohem Geiste übertrifft. Dass sie dabei mit dem Glücke zweier Menschen spielt, stösst [Ξ] uns zurück, wie uns jedes Vorherrschen des Verstandes über das Gemüth bei den Frauen verletzt; man muss aber zugeben, dass sie von ihrem Standpunkte aus recht hat.

Was ist ihr Max, ein gutmüthiger, schwärmerischer, junger Mensch, was Thekla, ein Mädchen, das eben aus der Pension kommt, gegen das Geschick ganzer Länder, gegen des Vaters Riesenplane, gegen ihn selbst, der ihr offenbar als das Höchste gilt, was für sie existirt! Den Frauen wird auch das Ideale persönlich, das Abstracte lässt sie immer kalt und nur das Concrete, an eine Person Gebundene, vermag sie zu begeistern. So hat sich denn die ganze Seele des ehrgeizigen, grosssinnigen Weibes dem Schwager zugewendet, der ihr das Ideal eines Mannes darstellt, dessen verwegener, umgreifender Charakter dem ihrigen vollkommen entspricht, den sie allein vollkommen versteht und auf den sie daher auch einen so grossen Einfluss ausübt, da sie als Frau eine fast ähnliche Kraft des Willens und tiefe Kenntniss des Menschenherzens besitzt wie er, sein politisches und staatsmännisches Talent in fast ebenso hohem Grade besitzt. Wie sie die Menschen zu lenken versteht, hat der Dichter trefflich in der Scene geschildert, wo sie des Max sich zu versichern sucht, indem sie ihm Thekla’s Besitz in Aussicht stellt, ihm sagt:

Geniessen Sie Ihr Glück. Vergessen Sie
Die Welt um sich herum. Es soll die Freundschaft
Indessen wachsam für Sie sorgen, handeln.
Nur sei’n Sie dann auch lenksam, wenn man Ihnen
Den Weg zu Ihrem Glücke zeigen wird.

Oder wenn sie fortfährt:

Ich will denn doch gerathen haben, Vetter,
Den Degen nicht zu frühe wegzulegen.
Denn eine Braut, wie die, ist es wohl werth,
Dass mit dem Schwert um sie geworben werde.

Oder wie sie Thekla den Kopf zurecht zu setzen sucht:

Denkt Ihr, er habe sein bedeutend Leben
In kriegerischer Arbeit aufgewendet, . . . .
Nur, um ein glücklich Paar aus euch zu machen? . . . .

[Ξ]

 Das hätt’ er
Wohlfeiler haben können! . . . .
Lass jetzt des Mädchens kindische Gefühle,
Die kleinen Wünsche hinter dir! Beweise,
Dass du des Ausserordentlichen Tochter bist!
Das Weib soll sich nicht selber angehören.

Noch meisterhafter ist aber ihre Dialektik gegen Wallenstein, wenn sie ihn antreibt, endlich den Entschluss zu fassen, mit dem Kaiser zu brechen. Mit welcher Feinheit weiss sie alle Saiten zu berühren, die im Herzen dieses Mannes widerklingen müssen; wie weiss sie mit den Sophismen

Entworfen blos ist’s ein gemeiner Frevel;
Vollführt, ist’s ein unsterblich Unternehmen,
Und wenn es glückt, so ist es auch verziehn:
Denn aller Ausgang ist ein Gottesurtheil –

dem Politiker und Staatsmann eine Brücke zu bauen für seine moralischen Scrupel, ihn der Pflicht der Dankbarkeit zu entbinden:

Nicht wahrlich guter Wille stellte dich,
Dich stellte das Gesetz der herben Noth
An diesen Platz, den man dir gern verweigert –

und ihm zu zeigen, wie er in Uebereinstimmung mit sich bleibe, wenn er den Schritt der Rebellion endlich thue:

Nicht du, der stets sich selber treu geblieben,
Die haben Unrecht, die dich fürchteten,
Und doch die Macht dir in die Hände gaben.
Denn Recht hat jeder eigene Charakter,
Der übereinstimmt mit sich selbst; es gibt
Kein andres Unrecht, als den Widerspruch.

Gräfin Terzky ist zu sehr Frau und liebt Wallenstein zu sehr, als dass sie diese Sprache führte, wenn sie nicht fühlte, dass es eigentlich die innerste Regung seines Herzens sei, die sie ausspreche. – Wenn sie hier richtig geht, so hat sie dagegen falsch gerechnet, als sie glaubte, Thekla mit in des Vaters Plane ziehen zu können, wie alle Politiker sich gewöhnlich täuschen, wenn sie Idealisten leiten wollen, [Ξ] die meist gerade da störrisch werden, wo der Politiker gar keine Möglichkeit mehr sieht, anders zu handeln.

Hat sie einmal der Verstand irre geleitet, so führt sie das Herz um so sicherer. Die geheime Liebe zu Wallenstein, um die sie selbst nicht weiss, die aber der Angelpunkt ihres ganzen Wesens ist, sie zwingt, in Noth und Tod mit ihm zu gehen, bricht in den letzten Scenen überall hervor und erwirbt ihr unsere ganze Theilnahme wieder; oder wer wäre nicht gerührt, wenn die grossartige, geistreiche, verstandesscharfe Frau, den tragischen Ausgang ahnend, die Worte fallen lässt:

– Wenn es uns fehl schlägt, wenn er zu dem Schweden
Mit leerer Hand, als Flüchtling, müsste kommen, . . . .
  Könnt’
Er selbst es auch ertragen, so zu sinken,
Ich trüg’s nicht, so gesunken ihn zu sehn –

oder ihn, da das Unglück schon hereingebrochen, in Eger bittet, sie nicht zurückzulassen:

Das gegenwärtige Unglück trägt sich leicht;
Doch grauenvoll vergrössert es der Zweifel
Und der Erwartung Qual dem weit Entfernten –

ja als ihre ganze Liebe sichtbar wird, da sie ihn ermuntern will:

O bleibe stark! Erhalte du uns aufrecht,
Denn du bist unser Licht und unsre Sonne.

Wie stark diese Leidenschaft war, zeigt sich am besten in ihrer Todesscene, wo sie Terzky’s kaum erwähnt, nur von Wallenstein spricht und unsere Bewunderung vollends durch die Seelengrösse erzwingt, mit der sie, ihr Schicksal mit ihm vereinend, sterbend spricht:

Wir fühlten uns nicht zu gering, die Hand
Nach einer Königskrone zu erheben –
Es sollte nicht sein – doch wir denken königlich
Und achten einen freien, muth’gen Tod
Anständiger, als ein entehrtes Leben.
– Ich habe Gift . . . .



[Ξ]

Octavio Piccolomini.

[Ξ]
OCTAVIO PICCOLOMINI.
(Wallenstein.)


Den meisten Beschauern unserer Darstellungen wird die des Octavio eine Enttäuschung bereiten. Sie werden sich den alten Fuchs wol lang, unmässig hager, finster, womöglich mit kahlem Schädel vorgestellt haben, und finden nun einen stattlichen, dicken, höchstens etwas schlangenartig blickenden Herrn vor sich. Der Künstler gesteht offen, dass er sich denselben ebenso wie sie ausgemalt hatte, schon darum, weil man ihn auf dem Theater gewöhnlich so geben sieht; und erst die Bekanntschaft mit den Porträts des historischen Octavio, wie sie noch vielfach und zum Theil vortrefflich existiren, brachte ihn auf eine andere, diesen mehr entsprechende Auffassung. Die ruhige Kälte, der Grundton im Charakter des weltgewandten Octavio verträgt sich sehr gut mit einer vortrefflichen Verdauung, ein dickes Gesicht verbirgt im geschmeidigen Fett die gefährlichsten Gedanken, das Lauern, die scharfe Beobachtung nur um so besser. Vom Soldaten hat Octavio nur den kaltblütigen, ruhigen Muth mitten in der höchsten Gefahr, seine Feinde sagen von ihm, er tauge mehr zum Intriguiren, als zur Führung eines Heeres, was am Ende wol blos heisst, er besitze mehr staatsmännisches als Feldherrntalent, mehr Verstand, als fortreissende Macht des Willens; denn dass er hochbegabt ist, zeigt uns jede seiner Aeusserungen, wohlredend, höfisch, abgeschliffen, gewandt setzt er die Worte langsam und wohlerwogen, aber scharf zugespitzt und mitten ins Herz der Sache oder der Person dringend. Während uns bei Max eine durchaus wahre, eine deutsche Natur entgegentritt, der die natürliche angeborene Lust des Italieners zur Intrigue nicht nur fehlt, sondern sie im höchsten Grade anwidert, so ist bei Octavio die Feinheit des ultramontanen Geistes ganz unverkennbar. Er ist in diesem Betracht [Ξ] ein würdiger Gegner Wallenstein’s, der einzige von all den Generalen ausser ihm, welcher höhere Gesichtspunkte hat, während sie den andern, selbst dem Max, abgehen; sie alle betrachten den Krieg als ihren Beruf, als ein Handwerk, das sie mit Lust um seiner selbst willen treiben; er allein kennt ihn als ein blosses Mittel und zwar als das letzte, äusserste und traurigste, und spricht es aus:

  Es gibt
Noch höhern Werth, mein Sohn, als kriegerischen;
Im Kriege selber ist das letzte nicht der Krieg.

Die Ueberlegenheit seines Geistes erklärt denn auch vollständig jenen mächtigen Einfluss, den er auf die Entschliessungen der übrigen Generale ausübt, sie beugen sich aber blos der Macht seiner Gründe, er lenkt sie nach seiner Absicht, weil er die Motive kennt, die auf jeden einzelnen Eindruck machen, und sich ihrer versichert, während sie Wallenstein durch die Macht seines Willens und den Zauber seiner Person allein schon besiegt, und nur die nachträgliche kühlere Ueberlegung sie ihm wieder entfremdet.

Octavio ist zu sehr Diplomat, zu sehr Verstandesmensch, als dass er eine eigentliche Heldennatur wie der Friedländer haben könnte, wenn er auch nirgends niedrig denkt. Seine Klugheit, seine kalte Ruhe ist aber so vorherrschend, dass sie allen andern unheimlich wird und ihn der eine einen „alten Fuchs“, der andere eine „falsche Katze“ schilt, der „listige Welsche“ ihm jedenfalls nie geschenkt wird. Wie alle geistesscharfen Menschen ohne eigentliche Schöpferkraft, erweckt er zunächst eher Widerwillen, und muss uns seine Vorzüge erst beweisen, – was nur durch die Art seines Seins hervorgerufen werden kann, denn Wallenstein ist ebenso wenig aufrichtig als er, verfolgt noch persönlichere Zwecke, wählt noch weniger moralische Mittel und unterliegt diesem Vorurtheil doch nicht, sondern bezaubert. Octavio’s Zwecke bestehen sogar immerhin noch eher vor dem Richterstuhl der Moral, als die des Wallenstein. Er ist nicht mehr ehrlich gegen den Freund, als dieser ein Verräther wird, und seine Rechtfertigung gegen Max, der ihm die Falschheit vorwirft:

[Ξ]

  Es ist nicht immer möglich,
Im Leben sich so kinderrein zu halten,
Wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten.
In steter Nothwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüth nicht wahr –
Das eben ist der Fluch der bösen That,
Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
Ich klügle nicht, ich thue meine Pflicht;
Der Kaiser schreibt mir mein Betragen vor.
Wohl wär’ es besser, überall dem Herzen
Zu folgen, doch darüber würde man
Sich manchen guten Zweck versagen müssen –

hat am Ende immerhin noch bessern Grund, als die Sophismen, mit denen Wallenstein seinen Treubruch vor sich selbst beschönigt. Ein Abfall von einem, der sich selber untreu wird, ist wenigstens kein Verrath wie der des letztern, und wenn er uns gehässiger erscheint als dieser, so ist es nur darum, weil der Dichter uns die kleinen und niedrigen Mittel, die er gelegentlich braucht, um dem Kaiser die Armee zu erhalten, schonungslos zeigt, während die des Wallenstein, um sie zu verführen, nur angedeutet, ja andern in die Schuhe geschoben werden. Es stösst uns zurück, wenn wir hören, wie Wallenstein überall sein Vertrauen zu ihm ausspricht, ihn gar entschuldigt, während wir ihn sagen hören, dass er den Feldherrn mit seinen Horchern rings umgeben habe, wenn wir sehen, wie er den Buttler, den Isolani an ihren schwachen Seiten fasst, während der Friedländer doch sicher gegen die Kürassiere, gegen Buttler, ja gegen Max nicht aufrichtiger ist. Octavio charakterisirt sein Verhältniss zu ihm vielleicht am besten, wenn er gegen Questenberg äussert:

  Denken Sie nicht etwa,
Dass ich durch Lügenkünste, gleissnerische
Gefälligkeit in seine Gunst mich stahl,
Durch Heuchelworte sein Vertrauen nähre.
Befiehlt mir gleich die Klugheit und die Pflicht,
Die ich dem Reich, dem Kaiser schuldig bin,
Dass ich mein wahres Herz vor ihm verberge,
Ein falsches hab’ ich niemals ihm geheuchelt!

[Ξ] In dem abergläubischen Vertrauen Wallenstein’s zu ihm, das nicht einmal in der eigenen Anhänglichkeit wurzelt, sondern doch nur darin, dass er ihn für das geschickteste Werkzeug seiner Plane hält, liegt schwerlich eine Verpflichtung, das Werkzeug auch zu werden.

Schliesslich wird sogar unsere Theilnahme ihm wieder zugewandt, wenn wir den strengen Verstandesmenschen wenigstens an Einer Stelle der Liebe und Zärtlichkeit zugänglich finden; es rührt uns, wie ihm sein Sohn ans Herz gewachsen ist, wenn wir sehen, wie die jugendliche Reinheit, die er sich nicht erhalten konnte in den Kämpfen des Lebens, ihm an seinem Max gerade so theuer ist. Es ist einer der poetischsten Züge in der Composition des Dichters, dass das Schicksal den schlauen Octavio mit grausamem Hohne da trifft, wo es ihm am schmerzlichsten ist, und bei ihm nicht minder als bei Wallenstein zeigt, dass man noch so geschickt rechnen – und das Facit am Ende doch irrig sein kann.



[Ξ]

Max Piccolomini.

[Ξ]
MAX PICCOLOMINI.
(Wallenstein.)


Es ist eine ebenso merkwürdige als tröstliche Erscheinung, dass gerade in Zeiten tiefster Fäulniss, Zwietracht, Intrigue, ja inmitten des unaufhörlichen Blutvergiessens, der Greuel aller Art, die langer Bürgerkriege unzertrennliche Begleiter sind, einzelne Naturen aufwachsen, die von der allgemeinen Verderbniss unberührt bleiben, sich eine schier unbegreifliche Reinheit und Jungfräulichkeit erhalten. Leider sind es gerade diese Naturen, die dann zum Opfer, zum anscheinend fruchtlosen Untergang bestimmt sind, die umsonst gegen den Strom allgemeiner Verwilderung ankämpfen, von demselben fortgerissen und in seinen Fluten begraben werden. Aber ihr Bild, ihr Andenken erhält sich fort und fort, wie die Tugend ewig besiegt, betrogen, verlacht und verhöhnt wird und doch aus den Flammen irdischer Qual nur gereinigter und strahlender emporsteigt, um neue edelmüthige Naturen zur Nachahmung fortzureissen. Solche Gestalten waren die christlichen Märtyrer, unzählige Helden des Glaubens, der Wissenschaft, der Kunst; solche Charaktere führt uns unser unsterblicher Dichter in Max, in Thekla vor. Sind sie im rasenden Treiben rücksichtslosester Leidenschaften im voraus dem Untergange verfallen, so richtet sich doch jedes edlere Gemüth an ihrem Bilde auf, und sie erfüllen so ihre Mission, für die sie der Dichter mit allem Reiz seiner Poesie geschmückt, wie man die Opfer bekränzt.

Die ersten und echtesten Eigenschaften des Mannes, deren Besitz allemal unsern Antheil sichert, deren Mangel niemals verziehen wird, sind Muth und Ehrgefühl. Daher führt uns auch Schiller den Jüngling, der im weitern Verlauf des Stücks unter den vielen Männergestalten desselben am meisten unsere menschliche Theilnahme in Anspruch nehmen soll, sofort als den jungen Heros ein, auf dessen dunkeln Locken schon der Lorber glänzt; „jetzt soll der Kriegsheld [Ξ] fertig sein“, sagt Isolan von ihm. Er wird uns aber nicht nur als heldenkühn geschildert, die erste That, die man uns von ihm berichtet, ist auch eine That der Liebe und Aufopferung, er befreit seinen Vater aus den Reihen der Feinde. Schon im „Lager“ war uns die Anhänglichkeit der tapfern Reiter an ihn gezeigt worden, die sich ihn selbst zum Führer erwählt, dann der Ruf, in dem er auch bei den übrigen Regimentern steht, dass sie ihn alle erwählen, um ihre Petition zu übergeben. Sie errathen, dass des Lagers wahrem Sohn alles das in dem eigenen Innern widerklingen muss, was von echtem Kriegergeist in jedes einzelnen Soldaten Brust schlägt; er ist der schönste Typus jenes echt nationalen Soldatenthums, dessen Schilderung im „Wallenstein“ seine höchste poetische Weihe erhält. Dass uns der Dichter zeigt, wie so viel tausend Heldenherzen den feurigen Jüngling als ihren Vertreter sich heraussuchen, ist gewiss ein vollkommen richtiger Zug zum Bilde desselben; stellt er ihn dadurch schon auf eine hohe Stufe, so wird er in unsern Augen noch mehr erhöht, wenn wir sehen, wie auch Wallenstein die gerade Heldennatur in ihm ehrt und liebt, die Geistesverwandtschaft in ihm herausfühlt, von dem Strom seiner reinen jugendlichen Empfindung bezaubert wird, der bei jeder Gelegenheit voll und krystallhell hervorbricht. Sagt er doch von ihm:

Denn er stand neben mir, wie meine Jugend,
Er machte mir das Wirkliche zum Traum,
Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröthe webend –
Im Feuer seines liebenden Gefühls
Erhoben sich, mir selber zum Erstaunen,
Des Lebens flach alltägliche Gestalten.

Mit vollendeter Meisterschaft lässt uns der Dichter alle diese Eigenschaften gleich im ersten Auftreten ihn selber am hellsten offenbaren und uns zugleich zeigen, wie er sich mit aller Schwärmerei einer jugendlichen Seele an Wallenstein angeschlossen hat, als er ihn vor Questenberg Zug vor Zug richtig malt, wie es nur ein geistreicher Mensch, eine verwandte Natur kann und doch das ganze Bild idealisirt, weil er nur das sieht, was in ihm selbst ein Echo findet.

[Ξ] Noch hat er den Zauber des Friedens nie gesehen, keine Ahnung von seinem stillen Glück ist in die kampfgewohnte Seele gestiegen, als der Anblick seiner Segnungen gleichzeitig mit der Liebe zu einer edeln Frauenseele vereint ihm zu Theil wurden; jetzt zum ersten mal empfindet er mit Sehnsucht und Entzücken, dass es noch andere Güter gibt als Kriegerruhm und soldatische Ehren.

Ihn auch durch dieses Band noch an sich zu fesseln oder fesseln zu lassen, war ein Meisterstrich des ältern Freundes; aber wenn er auch vollkommen gelingt, wie Max selbst es ja verkündet:

Was dank’ ich ihm nicht alles – o, was sprech’ ich
Nicht alles aus in diesem theuren Namen Friedland!
Zeitlebens soll ich ein Gefangner sein
Von diesem Namen –

so empört uns doch die Perfidie in dem Calcul, die gerade mit Nothwendigkeit das tragische Ende herbeiführen muss, der herzlose Egoismus, mit dem Wallenstein selbst das Lebensglück des Freundes seiner Ehrsucht zum Opfer bringt.

Thekla ahnt die grausame Wahrheit besser, als sie ihm, da er seine Hoffnung auf den Vater ausspricht in den Worten:

Er soll mein Glück entscheiden, er ist wahrhaft,
Ist unverstellt und hasst die krummen Wege,
Er ist so gut, so edel –

erwidert:

Das bist du!

Wie bei Thekla, so ist auch bei Max das Charakteristische die jugendliche Härte des Charakters, die Unmöglichkeit in den Conflicten des Lebens mit einer Pflicht zu transigiren. Unübertrefflich schön ist der Widerstand gemalt, den er der auf ihn hereinbrechenden Ueberzeugung von der Verrätherei Wallenstein’s entgegensetzt, der Scharfsinn, mit dem er den ganzen Theil der Motive erräth, die ihn dazu treiben könnten und doch noch zu entschuldigen wären, die noch ein Echo in seiner reinen Brust finden würden, wenn er dem Vater gegenüber in die Anklage aufbricht:

[Ξ]

Ihr werdet ihn durch Eure Staatskunst noch
Zu einem Schritte treiben – ja, Ihr könntet ihn,
Weil Ihr ihn schuldig wollt, noch schuldig machen.

Auf die höchste Höhe wird unsere Theilnahme für ihn gesteigert, wenn er, als Wallenstein selber ihm keinen Zweifel mehr an seinem Verrathe übrig lässt, alle hinreissende Macht jugendlicher Beredsamkeit aufwendet um ihn zurückzuhalten, ihn wirklich, wenn auch fruchtlos, für einen Augenblick erschüttert.

Als er sieht, dass alles verloren, dass er sich im Vater und Feldherrn gleich sehr getäuscht, geht der unheilbare Riss durch sein Gemüth, den er so schön durch die Worte malt:

Weh mir! Ich habe die Natur verändert.
Wie kommt der Argwohn in die freie Seele?
Vertrauen, Glaube, Hoffnung ist dahin.
Denn alles log mir, was ich hochgeachtet.

Aber nur Gleichgesinnte können sich vollkommen verstehen, daher weder Octavio, Wallenstein, noch die Terzky die Partei, die Max im Streit ergreifen wird, richtig beurtheilen, während sie Thekla sogleich fühlt und mit Sicherheit voraussetzt:

  Sein Entschluss wird bald
Gefasst sein, daran zweifelt nicht. Entschluss!
Ist hier noch ein Entschluss?

In dieser letzten Unterredung, die er mit Wallenstein hat, sehen wir ihn dargestellt, nachdem er die Entscheidung in Thekla’s Hände gelegt und von ihr auf sein erstes Gefühl zurückgewiesen, von allen andern zurückgestossen wird. Die Verzweiflung fasst hier endlich sein Herz, der Gedanke, den Tod zu suchen, überkommt ihn, jene Masslosigkeit in der Empfindung, die der Jugend eigen ist, die niemals einen Ausweg sieht, und er weiht sich und die Kameraden, die ihn an die verhasste Pflicht mahnen, dem Untergang:

Ihr reisst mich weg von meinem Glück, wohlan,
Der Rachegöttin weih’ ich eure Seelen!
Ihr habt gewählt zum eigenen Verderben;
Wer mit mir geht, der sei bereit zu sterben!



[Ξ]

Thekla.

[Ξ]
THEKLA.
(Wallenstein.)


Unter den Frauencharakteren des grossen Dichters erweckt vielleicht keiner eine so tiefe innere Rührung als der Thekla’s, den er mit allem Zauber seiner Poesie, mit aller Pracht und Glut seiner Sprache zu schmücken gewusst hat. Der blendende Reichthum der letztern ist so gross, er nimmt unser Mitgefühl für die herrliche Gestalt so gefangen, dass wir selten dazu kommen, uns Rechenschaft über ihre einzelnen Eigenschaften zu geben, ja dass wir in jenem kühlern Alter, wo man über so viele Illusionen der Jugend nicht nur, sondern leider auch bisweilen über ihre echte und gerechte Begeisterung lächeln zu dürfen glaubt, oft sogar diesen Charakter unwahr finden und an ihm mäkeln. Freilich hätte man recht, wenn Tugend und Ehre, Aufopferungslust, Liebe und Hochsinn auch unnütze Jugendillusionen wären, statt wirkliche und hohe Güter, die unser ganzes Herz, unsere ganze Existenz auszufüllen vermögen, – wenn der nicht entsetzlich arm würde, der anfängt an ihrer Existenz zu zweifeln, sie für blosse Phrasen zu halten.

Wenn der Dichter in seinem grossartigen Werke alle mit Schuld beladen sein lässt und doch die einzigen Unschuldigen, Max und Thekla, diese jugendschönen und reinen Gestalten, als die ersten Opfer in diesem Conflicte unversöhnlicher und egoistischer Naturen fallen lässt, so ist die Wirkung davon eine um so tragischere und ergreifendere, als wir die Nothwendigkeit und Unvermeidlichkeit ihres Untergangs vollständig voraussehen, die gerade durch diese Reinheit, durch dieses Unvermögen, mit irgendeiner moralischen Ueberzeugung, mit irgendeinem Gebot der Pflicht und Ehre zu markten, herbeigeführt wird.

[Ξ] Thekla ist eben aus dem Kloster herausgetreten, der giftige Hauch der Welt hat noch keine ihrer sittlichen Ueberzeugungen wankend gemacht, sie hat noch nicht gelernt, sich mit irgendetwas abzufinden: es ist eine ganze, ungebrochene Natur, edel, enthusiastisch, hochsinnig, schwärmerisch, aber auch heftig, unbeugsam, kühn und trotzig, wie der Vater. In dieses bisher im klösterlichen stillen Frieden, der Einsamkeit der Zelle ruhig aufgeblühte Gemüth fällt nun auf einmal die Liebe wie ein Sonnenstrahl hinein, der das ganze Leben plötzlich wach ruft, es rasch zum Bewusstsein aller seiner Kräfte bringt.

Dass die Liebe die Frauen klüger, die Männer blinder macht als sie vorher waren, ist ein alter Erfahrungssatz; so wird auch hier, während Max gar nicht mehr sieht, was um ihn vorgeht, das noch eben unerfahrene, schüchterne Mädchen in raschem Wechsel scharfsehend, fest, klug und umsichtig, ihr Herz ahnt schnell, wo eine Gefahr für die Liebe droht, wer es ehrlich oder falsch mit ihr meint, sie warnt Max sogleich vor „diesen Terzkys“:

Trau ihnen nicht. Sie meinen’s falsch. . . .
 Ich sah es gleich,
Sie haben einen Zweck. . . .
  Es ist nicht
Ihr Ernst, uns zu beglücken, zu verbinden.

Sie fühlt, dass sie nichts auf die Mutter bauen darf, sie findet den Vater zu beschäftigt,

Als dass er Zeit und Musse konnte haben,
An unser Glück zu denken.

Wie rücksichtslos sich diese Natur der ganzen Macht der Liebe hingibt, motivirt sie schon durch die Sorge für den Geliebten:

Wo aber wäre Wahrheit hier für dich,
Wenn du sie nicht auf meinem Munde findest? –

oder wenn sie singt:

Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet –

[Ξ] wenn sie sagt:

 Sein Geschenk allein
Ist dieses neue Leben, das ich lebe.

Es würde in dieser Leidenschaft, wie in jeder andern, das egoistische Element uns beleidigen: Thekla’s edlere Natur trägt sie auch über diese Klippe weg, und wenn sie einerseits entschlossen ist, alles an den Besitz des Geliebten zu setzen:

Den festen Willen hab’ ich kennen lernen,
Den unbezwinglichen, in meiner Brust,
Und an das Höchste kann ich alles setzen –

so heiligt sie dies für unser Gefühl wieder durch die grenzenlose Opferlust der Jugend, vor allem aber dadurch, dass ihr die Liebe heiliger ist als der Geliebte, seine Ehre mehr gilt als seine Person, ja dass sie nicht einen Augenblick zögert, das eigene Glück, die letzte Hoffnung dieser Ehre zu opfern. Dass sie ihm lieber entsagt, als dass sie einen Flecken an ihm wüsste, der ihr ein Gott ist, dies ist ein Zug, der ihrem hohen Sinn nicht allein, der auch einem echt weiblichen Charakter entspricht.

Die letzte Scene, in der Max die Entscheidung über sein Handeln, somit seine Ehre ihrer richtigen Empfindung anvertraut, ist nicht nur eine der ergreifendsten des ganzen Stücks, sondern sie beruht auch auf einer tiefen Kenntniss des menschlichen Herzens, es ist jene sichere Empfindung für alles Edle in der echt weiblichen Natur, an die Max im heftigsten Zwiespalt sich wendet, wenn er sie bittet:

Leg’ alles, alles in die Wage, sprich
Und lass dein Herz entscheiden –

und sie ihm erwidert:

 O das deine
Hat längst entschieden. Folge deinem ersten
Gefühl –

und dann ahnungsvoll fortfährt:

 Auch mich
Wird meines Vaters Schuld mit ins Verderben
Hinabziehn.

[Ξ] Als Friedland’s starke Tochter bewährt sie sich aber, als es hereingebrochen; es malt uns die Wirkung der finstern Hoffnungslosigkeit auf ein muthiges Gemüth, wenn sie darauf besteht, die Erzählung des schwedischen Hauptmanns noch einmal zu hören. Nicht leeres Pathos, sondern der trockene Ton der Verzweiflung, die keine Thränen mehr findet, ist’s, wenn sie vorwurfsvoll zur Neubrunn sagt:

 Ward ihm sanft
Gebettet unter den Hufen seiner Rosse?

Endlich folgt sie nur der dämonischen Macht des Verhängnisses, das sie zieht nach des Geliebten Untergang nicht leben zu bleiben, wie sie das deutlich äussert, wenn sie, seiner treuen Reiter gedenkend, sagt:

Sie wollten auch im Tod nicht von ihm lassen,
Der ihres Lebens Führer war – das thaten
Die rohen Herzen, und ich sollte leben!

In diesen letzten Scenen hat sie der Künstler aufgefasst. In dem blonden Mädchengesicht mit hoher, intelligenter Stirn, grossen, schwärmerischen Augen, kleinem, aber entschlossenem Munde mit vollen Lippen, festem Kinn, sehen wir die echte Tochter ihres Vaters. Seine Kühnheit und Unbeugsamkeit sind geblieben, sein egoistisches Herz ist in die Schwärmerei, den Idealismus des Weibes übersetzt worden; der volle Stolz der zum Herrschen geborenen Natur, der natürliche Adel spricht aus den hohen, grossen, königlichen Formen wie des Kopfes so der Figur seiner Tochter. Es ist etwas Heldenhaft-Titanisches in diesem Blut: dieses Geschlecht kann zerschmettert, nicht aber gebeugt werden.



[Ξ]

Der Kapuziner.

[Ξ]
DER KAPUZINER.
(Wallenstein.)


Es gibt eine Derbheit, die als Tochter eines grobkörnigen Naturells und der Geradheit und Ehrlichkeit der Absichten harmlos ist und ertragen werden muss, da sie ihr Unangenehmes dadurch ausgleicht, dass man wenigstens weiss, woran man ist. Eine andere Art aber ist die, die nur als Maske benutzt wird, um listigen Hintergedanken eine unverfängliche Folie zu geben. Von der letztern gefährlichen Sorte, wo sich unter den Rosen der soldatischen Rücksichtslosigkeit die Schlange der geistlichen Tücke verbirgt, ist die des Kapuziners, den uns Schiller vorführt, dem er nebst dem Wachtmeister die Rolle des Intriguanten in der Exposition der grossen Trilogie zugewiesen hat, und der uns gleich eingangs versinnlicht, wo Wallenstein’s Hauptfeinde zu suchen seien.

Als äusserliches Amt, als Handhabe für seine geheime Thätigkeit ist ihm also nur die Aufgabe gegeben worden, den geistigen Theil, die Seele der Soldaten nicht ganz zu Grunde gehen zu lassen. Freilich ein schwieriges Handwerk, das ihm gehörig sauer gemacht wird bei solchen verzweifelten Patienten, die, wie der Holk’sche Jäger, von sich sagen:

Flott will ich und müssig gehn,
Alle Tage was Neues sehn.

Weiterhin sehen wir denn den Satz weiter ausgeführt, indem derselbe Jäger von der Armee sagt:

Da gibt’s nur ein Vergehn und Verbrechen:
Der Ordre fürwitzig widersprechen.
Was nicht verboten ist, ist erlaubt;
Da fragt niemand, was einer glaubt.

Für Gesellen, die die Inhaber solcher Anschauungen sind, deren Pflichtenlehre ein so weitläufiges Gewand trägt, braucht man denn [Ξ] natürlich starke Mittel, wie sie in der weltbekannten burlesken Dialektik des Kapuziners geboten werden. Dieselbe dürfte wol eine Nachahmung derjenigen des unvergleichlichen Paters Abraham a Sancta Clara sein, wenigstens ist jedenfalls Schiller durch diesen unsterblichen Typus des Tons eines Kapuziners zur Färbung des seinigen angeregt worden.

So sehen wir denn im Schiller’schen Kapuziner einen Philosophen der cynischen Sorte, nicht etwa einen magern, schwarzgalligen Fanatiker, der, wie der Prediger in der Wüste, von Heuschrecken und wildem Honig lebt, sondern einen wohlgenährten, rothhaarigen, mit mächtiger Lunge und noch besserer Verdauung begabten schmerbauchigen Pfaffen vor uns, dem es weder an gesundem Menschenverstand noch an Witz, am allerwenigsten aber an bullenbeisserartiger Streitlust und an Trieb zum Intriguiren fehlt. Er ist Pater geworden nicht aus Spiritualismus, sondern weil er zu faul war, etwas anderes zu treiben, nachdem er sich in vielerlei Rollen versucht und die Nichtigkeit aller nach seiner Meinung gründlich kennen gelernt hatte. Um Kapuziner zu werden, muss man entweder ziemlich stupid und bigot sein, oder ein starkes Element von Humor und Faulheit, von cynischer Bedürfnisslosigkeit und Herrschsucht zugleich haben. Ein anderes als solch ein derbes und unverwüstliches Gewächs käme in der rauhen Luft des Lagers nicht fort.

Der Pater Provinzial hat ihn von Wien aus offenbar gut instruirt, und er tritt vollkommen gerüstet auf den Wahlplatz. Auch verfehlt er seine Wirkung im Anfang durchaus nicht, und die Soldaten ertragen ganz ruhig im Bewußtsein ihrer Verdienste die einschneidenden Belobungen, die er ihnen mit drastischer Beredsamkeit dafür austheilt. Der Wahrheit widersteht man nie, wenn man von ihr überrascht und sie mit Muth und Schneide vorgetragen wird, besonders aber, wenn ihr der Humor, die pikante Wendung das Beleidigendste nehmen; seine bilderreiche Sprache braucht der Redner daher offenbar hauptsächlich, um seine Derbheiten schmackhafter zu machen und die Hörer für sich einzunehmen.

[Ξ] Er hat wahrscheinlich gehofft, dass nach dem alten Recept ein halb Dutzend aneinander gereihter Sätze, die unbestreitbar richtig seien, eine gebahnte Strasse für eine falsche und sophistische Folgerung herstellen würden, die man den Hörer gern auch hinunterschlucken lassen möchte; der Kunstgriff gelingt gar sehr oft, besonders wenn dann wieder ein paar richtige Thesen draufgesetzt werden, damit man keine Zeit zum Nachdenken übrig behalte.

Wenn unser Kapuziner also zum Beispiel anfängt, die politische Lage zu schildern und sagt:

Was steht ihr und legt die Hände in Schos?
Die Kriegsfurie ist an der Donau los,
Das Bollwerk des Baierlands ist gefallen –

so weiss das jeder, nicht minder, dass die Armee hier in Böhmen liegt, den Bauch pflegt „und sich’s wenig grämen lässt“; ebenso richtig ist, dass

Die Christenheit trauert in Sack und Asche;
Der Soldat füllt sich nur die Tasche.

Auch ist wenig dagegen einzuwenden, wenn er darangeht, die Ursache des Kriegs zu suchen und sagt:

Denn die Sünd’ ist der Magnetenstein,
Der das Eisen ziehet ins Land herein.
Auf das Unrecht, da folgt das Uebel –

oder wenn er den Soldaten vorhält:

Aber, wer bei den Soldaten sucht
Die Furcht Gottes und die gute Zucht
Und die Scham, der wird nicht viel finden.

Bisher waren seine Behauptungen also unbestreitbar und werden auch im Bewusstsein der Schuld oder im Gefolge der guten Witze ruhig ertragen, ja sie würden sogar sicher einige Wirkung thun; leider zerstört aber der dreist gewordene Orator in der Hoffnung auf jenes guten Recepts Unfehlbarkeit diesen ganzen Effect, indem er sofort seine eigentliche Batterie demaskirt und mit der Verdächtigung eröffnet:

[Ξ]

Aber wie soll man die Knechte loben,
Kömmt doch das Aergerniss von oben!
Wie die Glieder, so auch das Haupt!
Weiss doch niemand, an wen der glaubt!

Das offenbar Absichtliche des Seitenhiebes ruft sofort den Widerspruch hervor. Er sucht ihn durch verdoppelte Dosen und durch ein paar unbestreitbare Argumente zu entwaffnen, sagend:

Rühmte sich mit seinem gottlosen Mund:
Er müsse haben die Stadt Stralsund,
Und wär’ sie mit Ketten an den Himmel geschlossen.

Allein, da er gleich wieder fortfährt mit Verleumden, indem er behauptet, der Feldherr

Verleugnet, wie Petrus, seinen Meister und Herrn –

was die Soldaten wenigstens noch nicht wissen können, und wenn er endlich mit des Pudels Kern in dem Satze herausplatzt:

Lässt sich nennen den Wallenstein:
Ja freilich, er ist uns allen ein Stein
Des Anstosses und Aergernisses –

so hilft ihm nichts mehr, und er sieht nur noch diejenigen auf seiner Seite, die ihn gar nicht verstanden haben und blos seinem Rock glauben – die Kroaten.

Den geifernden Pater als Soldatenprediger trifft also just dasselbe Schicksal, wie viele ebenso aufrichtige Hofprediger, die das umgekehrte Verfahren beobachten wie er, und von denen man auch ganz ruhig einen Scheffel schmeichlerischer Lügen hinunterschluckt, weil sie einem schmecken, die man aber nichtsdestoweniger wie ihn hinauswirft, sobald sie sich unterstehen, ein einziges Quentchen unangenehmer Wahrheit darunter zu mischen, was in allen Fällen zeigt, dass dem Mächtigen predigen, sei es nun ein einzelner oder die Masse, eine kitzliche Sache ist, wenn man Hintergedanken hat, die einem die moralische Unantastbarkeit rauben.



[Ξ]

Gustel von Blasewitz.

[Ξ]
GUSTEL VON BLASEWITZ.
(Wallenstein.)


Eine lange Kriegsperiode schafft wie ein langer Friede sich eigene Charaktere, die eben nur gerade unter diesen Verhältnissen möglich wurden. Wallenstein, Max, Isolani und so viele andere kann man sich ohne den Hintergrund dieses endlosen Kampfes nicht denken, ebenso wenig die beiden schätzbaren Personen, denen das Amt der Stärkung des geistigen und des leiblichen Menschen vorzugsweise zugefallen ist in dem grossen Drama, das der Dichter vor unsern Augen abwickelt: der Kapuziner und die Gustel von Blasewitz, und die er diese Rolle mit so energischer Action übernehmen lässt, dass sie beide sich unserm Gedächtniss aufs festeste einprägen, trotzdem dass sie mit wenigen, wenn auch ebenso kühnen als sichern Strichen hingemalt sind. Dies ist besonders bei der Gustel der Fall, die sich darum einer wohlgegründeten Popularität in beiden Hemisphären erfreut und eine grosse Schar von warmen Verehrern unter allen Primanern, Cadetten und Corporalen besitzt, die sich in ihren zahlreichen Nebenstunden mit der schönen Literatur befassen.

Die Veranlassung zu dem drolligen Namen gab bekanntlich eine zu Schiller’s Zeiten ihrer Schönheit halber berühmte Wirthstochter in Blasewitz, einem bei Dresden dem damaligen Aufenthaltsorte des Dichters in Loschwitz gegenüber an der Elbe gelegenen Dorfe, die eigentlich Auguste Segadin hiess und deren Reize dem hübschen Platze am lachenden Stromufer eine grosse Zahl von jungen und fröhlichen Besuchern zuzogen, unter denen sich auch der Dichter befand. Er veranstaltete damals mit Körner, Naumann u. a. theatralische Aufführungen, zu denen er auch sie beizuziehen wünschte, jedoch von [Ξ] ihr abgewiesen ward. Er drohte ihr nun sie doch aufs Theater zu bringen, und aus dieser Drohung entsprang der Name, der unsere Gustel sehr gegen ihren Willen unsterblich machte, was sie dem Dichter mit jenem Ueberfluss von Humormangel, der manchmal das sächsische Frauenzimmer kennzeichnen soll, bis an ihr Ende niemals verzeihen konnte. Sie heirathete bald nach dieser Schiller’schen Episode einen dresdener Senator Renner, starb als beinahe vierundneunzigjährige Witwe erst im Jahre 1856 und war immer höchst empfindlich, wenn die Rede auf diese unfreiwillige Rolle kam, sodass man jedenfalls annehmen darf, dass Schiller nichts von ihr benutzt hat, als eben den Namen.

Ohne Zweifel verdiente die Gustel, welche uns der Maler in so handfester, stämmiger Leiblichkeit vorführt, so wenig Aehnlichkeit sie im übrigen mit der pretiösen Frau Senatorin sicherlich hat, doch mit nicht minderm Rechte eine so ansehnliche Zahl Anbeter, und wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, dass unter ihnen ein guter Theil sich ihrer Freundlichkeit zu erfreuen hatte. Sagt doch ihr „alter Bekannter“, der „lange Peter von Itzehoe“, selber:

Was haben die Herren vom Regiment
Sich um das niedliche Lärvchen gerissen!

Diese Glanzperiode ist nun freilich in der Hauptsache schon vorbei, das niedliche Pflänzchen ist etwas ins Kraut geschossen, in diesen unendlichen Kämpfen gestählt und wetterhart geworden. Sie ist eine stark gefestete, ihren Schwerpunkt in sich findende Persönlichkeit schon darum, weil „der Schottländer, mit dem sie damals herumgezogen“, fort ist mit allem, was sie sich erspart, und ihr nichts liess, als „den Schlingel da“, den der Schulmeister einfängt. Hat der Schottländer ihr einen guten Theil der materiellen Früchte dieser Campagnen fortgenommen, so konnte er doch nicht alle Spuren derselben ebenso mit sich forttragen, wenigstens erwidert der „lange Peter“ ziemlich ungalant auf ihre Bemerkung, dass sie vieler Menschen Städte und Sitten gesehen, da sie „der rauhe Kriegesbesen fortgefegt von [Ξ] Ort zu Ort“: „Will’s Ihr glauben! Das stellt sich dar!“ Indess scheint jedwedes Liebesbedürfniss doch noch nicht aus diesem zärtlichen Herzen gewichen zu sein und die schwarzen Augen sehen noch ziemlich herausfordernd in die Welt hinein, nur dass die Freundlichkeit nach echter Wirthsmanier jetzt etwas berechneter geworden ist und vorzugsweise denjenigen vorbehalten bleibt, die viel Melniker trinken und ihn – auch bezahlen. So hat sie trotz ihrer Klagen offenbar in diesem ewigen Trouble ganz gute Geschäfte gemacht, was schon daraus hervorgeht, dass sie im Stande war, einzelnen Cavalieren, wie dem „bösen Zahler“ Isolani, zweihundert Thaler zu creditiren, und dass „die halbe Armee steht in ihrem Buche“. Einstweilen hat sie sich möglichst herausgeputzt; so abgelagerte Schönheiten vertragen viel Schmuck. Ob sie ihre Silberketten und Granaten beim Juwelier baar bezahlt oder von Holk’schen Jägern und Kroaten für verabfolgten Melniker auf eine billigere Art erworben, wollen wir freilich nicht genauer untersuchen, sondern uns damit beruhigen, dass „wenn die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten“. Ebenso wenig dürfte es gerathen sein, ernstliche Nachforschungen danach anzustellen, bei welcher nürnberger oder pilsener Bürgersfrau sie die Pelzhaube „geliehen“, mit der sie sich hier im Winterquartier geschmückt, eine Kopfbedeckung, welche die Wirthinnen ganz besonders in Gunst genommen zu haben scheinen, da man dieselben noch heute ganz ähnlich durch ganz Baiern von Böhmen an bis zum Bodensee bei ihnen, sowie bei wohlhabenden Bürgersfrauen und Bäuerinnen trifft.

Obwol wir nur so dürftige Andeutungen über die Vergangenheit unserer Gustel erhalten, so genügen sie doch, um uns zu überzeugen, dass ihr stark sinnliches Naturell, verknüpft mit einer gewissen derben Grazie, sie eher ins Lager geführt haben mögen, als irgendeine unglückliche Liebe. Ohnehin scheint sie nicht die Absicht zu haben, am gebrochenen Herzen zu sterben, da sie bald vor unsern Augen mit dem richtigen Takt dieser Damen trotz der herben Erfahrungen in Sachen des „Schottländers“ sich der Erziehung des Rekruten [Ξ] annimmt, der, wie wir wissen, „Kram und Laden“ zu erwarten hat, und ihn vorläufig in der Tanzkunst unterrichtet. Ob sie dem Novizen auch etwas von der Kriegskunst beibringen wird, müssen wir dahingestellt sein lassen; da sie von den „besten Schwadronen“ spricht, hat sie wol jedenfalls Anspruch auf den Besitz ausgiebiger strategischer und taktischer Kenntnisse, und scheint sich auch nöthigenfalls aufs Einhauen zu verstehen.

Wenn uns der Dichter ihr Bild mit solcher vollendeter Meisterschaft durch ein paar Striche lebendig zu machen gewusst hat, so wurde er dabei sicherlich durch den Umstand unterstützt, dass die langen Kriegsjahre ihm derartige Figuren damals ohne Zweifel in Fülle vorgeführt hatten, von denen er die Dialektik wie von der blasewitzer Schönen den Namen zu borgen im Stande war.