Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gadrosia (=Kedrosia), Gebiet des heutigen Balucistan
Band VII,1 (1910) S. 895903
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Gedrosia oder Gadrosia (auch Kedrosia; die beste Namensform ist Gadrosia) entspricht einigermaßen dem heutigen Balučistān, wenn man darunter das von dem Balućenstamm bewohnte alte Territorium vor der englischen Grenzregulierung und nicht das Chanat Balučistān versteht. Die griechische Erdkunde seit Eratosthenes setzt G. unmittelbar am nördlichen Wendekreis an, der in Wahrheit noch ziemlich weit südlich der gedrosischen Küste im Ozean verläuft (vgl. Strab. II 133). G. bildet den südöstlichen Teil des Hochlandes von Iran; nach der Darstellung der Eratosthenischen Geographie, die den Namen mit Unrecht auf Ostiran beschränkt, die südliche Hälfte Arianas. Vom Hindukuš und den Parallelketten zu beiden Seiten des Heri-rūd (Areios) senkt sich Ostiran allmählich zum Indischen Ozean ab; eine Reihe ungefähr nordost-südwestlich streichender flacher Gebirgsfalten läuft in das die Mitte Ostirans einnehmende, durchschnittlich 1000 m hohe Wüstenplateau aus. Dieses wird im Osten gegen das Tiefland des Indus von den sehr schwer passierbaren, zahlreichen Ketten des in Bogenlinie nord-südlich gerichteten Suleimāngebirges (größte Höhe über 3400 m) völlig abgeschlossen. Die westliche Hauptkette setzt sich ungefähr in der Mitte des Wüstenplateaus in dem noch mühsamer zu übersteigenden, breiten Brāhuīgebirge fort (bis 3500 m hoch).

Die östliche Hauptkette des Brahui, die den Namen Kirthăr führt (τὰ Ἄρβιτα ὄρη nach Ptol. VI 21), verläuft in geschwungener Linie ebenfalls meridional, löst sich auch ihrerseits wieder in Einzelzüge auf und fällt im Kap Monse steil zum Indischen Ozean ab. Im Osten schmiegt sich ihr der Indus an, im Innern nimmt der Habb (Arabis) ein typisches Längstal ein. Der Kirthārkamm bildet die natürliche Grenze G.s gegen das Indusland; doch verschiebt die Auflösung des Gebirges nahe der Küste die Grenze westlich an den Arabisfluß, sie begünstigte zugleich ein Einströmen indischer Volkselemente längs der gedrosischen Küste, während im übrigen das Gebirge durchaus den Grenzwall indischer und iranischer Völker bildet. Im Gegensatz zur äußeren Kette biegen die inneren Falten des Brahuigebirges allmählich aus der meridionalen in die Ostwestrichtung um, parallel zur Küste, es erfolgt eine noch größere Auflösung in immer mehr einzelne Ketten, Berge und Hügel, die neben und hintereinander laufen; nur die innerste Kette behält stetig die Tendenz der Umbiegung bei und geht aus der äquatorialen allmählich nunmehr in eine Nordwestrichtung über, so einen nach Süden konvexen Halbkreis bildend, der dem Hilmend (Erymanthos)-Bogen im Norden entspricht und das Wüstenplateau im Süden begrenzt. Dementsprechend ist die Breite des Berglandes im ganzen von der Küste bis zur zentralen Wüste verschieden, in der Mitte des Bogens etwa 230 km. Erst am Eingang zum Persischen Meerbusen beginnt auch der Hauptteil des Berglandes nach Nordwesten umzubiegen und geht in die parallelen Falten des Zagrossystems im westlichen Iran über. [896]

Geologisch herrscht, wie in dem ganzen iranischen Randgebirge, so auch in G. der Nummulitenkalk des Eocäns vor. Das östliche Stück der südlichen Gebirgsumrahmung des inneriranischen Hochplateaus ist der Hauptteil der Landschaft G., dieses also seiner Konfiguration nach ein sowohl von der Küste wie vom Innern d. h. dem Wüstenplateau aus sehr schwer zugängliches, in der Breite äußerst schwierig passierbares Bergland, wenn auch die Höhen der Berge und Parallelkämme mäßig sind und von dem Inneren zur Küste außerdem stetig abnehmen. Nur der oben genannte innerste Bogen weist im Nordwesten sehr viel beträchtlichere Höhen auf (bis 3868 m in dem noch tätigen Vulkan Kūhī-Taftān).

Grenzen Gedrosias. Im Osten das genannte Kirthārgebirge (Arbita ὄρη) und der Arabisfluß gegen Indien (Strab. XV 720. Arrian. anab. VI 21, 3 und Ind. 23, 1. Curt. IX 39. Diod. Sic. XVII 104. Ptolem. VI 21. Ammian. Marc. XXIII 6, 7). Im Westen fehlt eine natürliche Grenze gegen Karmanien, sie begann an der Küste am östlichen Eingang der Straße von Ormuz im Vorgebirge Karpella = Ras el Kūh (Arrian. Ind. 32, 3 und Strab. XV 726) und verlief direkt nördlich durch den Ostrand des Semiramisgebirges bis zu den Parsika ὄρη (heute noch Ğamāl Baris), von hier endlich in nordöstlicher Richtung zur Depression des Hamūnsumpfes (Lacus Ponticus): Ptolem. VI 8, der allerdings zwei zeitlich verschiedene Grenzen durcheinanderwirft. Im Norden grenzt G. sowohl an Drangiana wie an Arachosien (beide = Afghanistan) nach Eratosthenes bei Strab. 724; die alte Grenze verlief nicht viel südlicher als die heutige balučisch-afghanische, da nach den Alexanderhistorikern bei Diod. Sic. XVI 81 die in der großen Hilmendbeuge ansässigen Euergetai-Ariaspai unmittelbar G. benachbart wohnen. Ptolemaios setzt die Nordgrenze in den Βαίτια ὄρη an, die vielleicht in den ersten Höhenzügen südlich der Hamūndepression zu suchen sind; G. umfaßte jedenfalls auch einen Teil des zentralen Plateaus. Damit nähert sich die Grenze im Osten der breiten Zone des nördlichen Brahuigebirges. In steilen Stufen fällt dieses sehr schroff und unvermittelt zum inneren Plateau ab, von hier aus sehr schwer zugänglich; von der Indusebene führen die beiden berühmten Pässe Bolan und Mūlah herauf, auch sie äußerst beschwerlich. Zwischen den Aufwölbungen der zahlreichen Kämme des Brahui dehnen sich lange Plateaustreifen in sehr großer Meereshöhe und von ungewöhnlich strengem Klima, wesentlich nur als Viehweiden dienend. Es sind vor allem die Hochflächen von Kelāt, der balučischen Hauptstadt (2067 m Meereshöhe) und von Ketta (1680 m); von der letzteren nordwärts dehnte sich die Landschaft Chaarene aus, die Alexanders General Krateros vom unteren Indus her durchzog und unterwarf. Chaarene gehörte aber nicht mehr zu G., sondern zu Arachosien, wie sich aus Strab. XV 721 Ende und 725 ergibt.

Über die Landesnatur G.s hat die griechische Erdkunde durch den kühnen Rückmarsch Alexanders eine recht gute Vorstellung erhalten; trotz der furchtbaren Strapazen, die das Heer dezimierten, arbeitete der Stab von Gelehrten auch hier fleißig, die Wüstennatur G.s erweckte das [897] höchste Interesse, namentlich die allgemeine Botanik wurde ungemein bereichert. Über das Innere G.s weiß Karl Ritter nicht mehr zu berichten, und noch heute breitet sich tiefes Dunkel darüber, da Alexander d. Gr. auch nicht in einzelnen europäischen Reisenden einen Nachfolger erhalten hat, der G. in diesem weiten Umfang durchmessen hätte. In der Beschreibung der gedrosischen Küste konnte jener nichts tun als auf die Aufnahme von Alexanders Admiral Nearchos zu verweisen, erst die englischen Aufnahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. haben diese übertroffen und für immer beiseite geschoben.

Bis auf die durchweg fast um das Doppelte zu groß angenommenen Entfernungen war Nearchs Periplus vorzüglich und genau. Danach stellte sich die Küste im ganzen als außerordentlich unwirtlich und öde dar, sodaß für die Schiffsmannschaften kaum der notdürftigste Proviant aufzutreiben war. Die Berge und Hügelrücken streichen überall in nächster Nähe der Küste, an sie lagert sich ein ganz schmaler, flach ins Meer einfallender Sandstrand an, wo der Wechsel der Gezeiten den Schiffen leicht gefährlich wurde, fortwährend unterbrochen von Steilküste, deren Kalkfelsen in schroffen Vorgebirgen, von der Brandung umtost, abstürzen. Darum mußte sich Alexander meist in den Längstälern des Innern halten und sich begnügen, dann und wann von den Bergwällen Ausschau zum Meer zu halten. Da die Verbindung mit dem Innern durch die zahllosen Parallelfalten des Mittelgebirges aufs äußerste erschwert ist, trägt G. durchaus kontinentalen Charakter und die Küste ist für das Land ohne Wert. Von den Bergrücken kommen mit kurzem steilem Gefälle unzählige schluchtartige Gießbäche herab (Wadi), die gewöhnlich kein Wasser enthalten, dagegen bei den gewaltigen Regengüssen des Südwestpassats ganz plötzlich zu reißenden Strömen anschwellen. Wie plötzlich das geschieht, schildert Arrian. anab. VI 25, 4 sehr anschaulich, er nennt auch die Ursache, den jähen Anprall der Wolkenmassen, die der Monsun treibt, gegen das Randgebirge. An den Mündungen dieser Wadis hat die Küste einige wenige fruchtbare Oasen aufzuweisen, die Nearch besonders hervorhebt. Der hervorstechendste Zug in der Landesnatur G.s ist die außerordentliche Dürre und Wasserarmut, die der durchlässige Kalkstein des Bodens und die langen regenlosen Sommer bedingen. Sandwüste und Steppenbildung, abflußlose Sumpfgebiete sind die Folgen, die Mulden zwischen den Berg- und Hügelreihen werden weithin von ihnen eingenommen (vgl. auch Mela III 71 und Plin. VI 93). Dabei ist der Boden der Wüstenstriche durchaus nicht eben, die Landwinde fegen hohe Dünen zusammen, die von Norden allmählich ansteigend, nach Süden steil abfallen und in langen Wellen hintereinander Alexanders Vormarsch unsäglich erschwerten (Arrian. anab. VI 24. 26, 4. Strab. 722. Auch von Pottinger ähnlich geschildert). Nur einige der Längstäler, die aber durch Bergrücken, Steppen, Wüsten fast unzugänglich gemacht werden und keine Verbindung miteinander haben, weisen guten Ackerboden auf. Meist sind sie abflußlose Mulden, wo der Getreidebau durch künstliche Bewässerung aufrecht erhalten wird. Hier konnte [898] sich seßhaftes Leben entwickeln, sonst bietet G. nur Schaf- und Ziegenweiden (Arrian. anab. VI 22. 23). Der größte Teil der Bevölkerung bestand darum aus Nomaden, wie noch heute die Balučen meist Wanderhirten sind.

Die Vegetation dieser subtropischen Wüstenregion erweckte das höchste Interesse der griechischen Gelehrten Alexanders und veranlaßte exakte Beobachtungen und Aufzeichnungen, deren Beste namentlich bei Theophrast. hist. plant. IV 4, 12–13. 7, 4–7 und Aristobulos (bei Arrian. anab. VI 22 und Strab. XV 723) erhalten sind (vgl. jetzt vor allem H. Bretzl Botanische Forschungen des Alexanderzuges, namentlich Kap. VIII). Von der Mündung des Indus an lernten sie an den von der Flut zeitweise überschwemmten, während der Ebbe trockenen Küstenstrichen zum erstenmal die üppige Mangrovenvegetation kennen, und Nearch gab ihr eine umfassende klassische Charakteristik, die noch unübertroffen ist. Hochstämmige Bäume fehlen an der Küste wie im Innern natürlich ganz, mit Ausnahme der Dattelpalme, die als Kulturbaum in großen Gruppen die menschlichen Ansiedlungen in den Oasen umgibt oder an einsamen Stellen wild wächst. Sonst besteht ein großer Unterschied zwischen der üppigen, dickichtartigen Vegetation der Wadis und dem ganz spärlichen Pflanzenkleid der Dünen oder der kahlen, wildzerklüfteten, sonnenverbrannten Kalkfelsen. Dort wächst namentlich der herrlich blühende Oleander, dessen Giftblättern zahlreiche Lasttiere in Alexanders Heer erlagen. Auf den Sanddünen gedeihen die für das Landesklima so typischen und als Typen von den Griechen sofort erkannten kaktusartigen, blattlosen Euphorbien mit ihren scharfen Stacheln und den fleischigen Stengeln, deren milchweißer Saft so giftig ist und an die Augen gebracht, sofortige Erblindung herbeiführt, – auch eine traurige Erfahrung des Alexanderzuges. Außerdem wurde eine Nardenart festgestellt mit starkem süßem Duft. Neben diesen Giftpflanzen bringt aber G. auch eine wichtige Handelspflanze hervor, den Myrrhenbaum (Balsamodendron); er wächst auf den felsigen Partien der Wüste, niedrig, mit dornenstrauchartigem Habitus, nach allen Seiten dichte Zweige verbreitend. Der Stengel sondert, mit dem Messer geritzt, das wichtige Harz ab, das als Räucherwerk gebraucht wurde. Die dem Heere folgenden Phoeniker sammelten es ebenso wie die Narde in großen Massen.

Von der gedrosischen Bevölkerung wurde bereits erwähnt, daß sie wesentlich aus Wanderhirten bestehen mußte. An der öden, süßwasserarmen Küste hauste in fast tierischer Urzuständlichkeit eine seßhafte, aber außerordentlich armselige Bevölkerung, die, unbekannt mit dem Gebrauch der Metalle, sich nur ganz primitiver Steinwerkzeuge usw. bediente (vgl. Ichthyophagoi). Ethnologisch muß heute scharf unterschieden werden zwischen der im Aussterben begriffenen, aber im Mittelalter viel weiter nach Westen ausgedehnten Sprache der Brahūī im östlichen Randgebirge G.s und dem herrschenden Idiom des Balūčī. Dieses ist ein ostiranischer Dialekt, seine Träger haben sich aber erst im 18. Jhdt. von Mekran her über das nordöstliche Balučistan ausgebreitet; noch früher saßen sie nach den arabischen [899] Geographen in einigen wenigen Tälern des Grenzdistrikts von Fārs und Kermān am Eingang des Persischen Meerbusens, in den Sitzen der altpersischen Jutijā. Östlich davon in dem westlichsten Teile G.s, der Landschaft Kanthonike, nennen die arabischen Geographen die Qofṣ (persisch Kōfič), die eine Sprache für sich reden, weder Erānisch noch Arabisch, schlank, hochgewachsen, sehr mager, von schwarzbrauner Hautfarbe sind. Heute heißt die Landschaft Bešākird und ist von E. Floyer erforscht worden; er fand dort einen an Zahl geringen Herrenstand balučischer Herkunft und ihm untertan eine Sklavenbevölkerung von dunkelster Hautfarbe und mit straffem, schlichtem Haar (vgl. Tomaschek Hist. Geogr. v. Persien 47ff.): das ist also die autochthone Bevölkerung, die im Mittelalter noch selbständig war. Im 6. und 5. Jhdt. v. Chr. waren der Hauptstamm des westlichen G. die Mykoi oder Maka (s. d.), welche die Bṛhat-samhita des Varāha-mihira unter den westlichen Nachbarvölkern Indiens als Mākara aufzählt. Die persische Verwaltung hat ihren Namen auf das ganze kontinentale G. ausgedehnt (= Maka), wie die Keilinschriften Darius I. lehren. Wie unter Maka nachgewiesen wird, waren sie nicht arisch-ērānischer Abkunft, sondern offenbar die Hauptvertreter jener autochthonen Rasse, die im Mittelalter von den Balučen unterworfen wurde, und deren letzte Reste heute die Brāhūī sind. Das Brāhūī steht nachweislich den Dravidasprachen des vorderindischen Dekhan nahe, und die älteste bekannte Bevölkerung G.s ist demnach den Dravidavölkern zuzurechnen. In den eigentlichen Sitzen der Brāhūī, dem ostgadrosischen Randgebirge, finden sich im Altertum die zuerst im 4. Jhdt. erwähnten Oreiten (s. d.), so von den griechischen Entdeckern nach ihrem Hauptort Ora genannt. Ausdrücklich heißt es von ihnen, sie seien keine Inder, sondern hätten eine eigene Sprache, die weder indisch noch ērānisch oder gadrosisch sei. Tomaschek (Persien 19) hat Ora überzeugend aus dem Brāhūī und den vorderindischen Dravidadialekten gedeutet, wo es ,Hof, Stadt, Vorort‘ bezeichnet. Die Oreiten sind also wirklich die Vorläufer der Brāhūī. Die an der öden Küste G.s hausende Bevölkerung von den Oreiten westwärts faßten die hellenistischen Gelehrten als Ichthyophagoi (s. d.) zusammen, die Älteren nannten sie und teilweise auch die binnenländische Bevölkerung G.s asiatische Aithiopen, nach dem Vorgange Herodots (III 92), der die persische Bezeichnung Kušijā richtig in dieser Weise übersetzte. Er fügte auch die erste anthropologische Beschreibung hinzu: sie seien dunkel wie die afrikanischen Aithiopen (= Neger) und unterschieden sich von diesen hauptsächlich durch ihre Sprache und die Haarform, die nicht kraus, sondern schlicht und straff sei (= ἰθύτριχες Herod. VII 70). Die tiefdunkle Hautfarbe heben auch die Alexanderschriftsteller aus eigener Anschauung hervor (bei Diodor. Sic. XVII 105, 3) und setzen hinzu, daß auch die Körper der Menschen über und über behaart seien (Arrian. Ind. 24, 9). Über die Haartracht bemerken sie gelegentlich, abweichend von Herodot: τρίχωμα πεπιλωμένον ἐῶσι = sie tragen das Haar verfilzt. Es müssen danach ethnographische und anthropologische [900] Unterschiede unter der dunklen Bevölkerung bestanden haben, auf die auch andere Momente hinweisen. Aber die schlichthaarigen Aithiopen entsprechen genau den mittelalterlichen Qofṣ (s. o.) und erweisen sich somit auch somatisch als Verwandte der vorderindischen Dravida. Auf diese Verwandtschaft mit den nichtarischen Stämmen des Dekhan spielt auch die Bezeichnung ,Seeinder‘ (Indi maritimi) an, die andere Alexanderhistoriker für die Ichthyophagen gebraucht hatten (bei Curt. IX 40). Ebenso drückt sich der allophyle Charakter der Bevölkerung des nordöstlichen G. (Gebiet von Kelāt und Qozdār) in dem Landesnamen Ṭurān aus, der spätestens in sassanidischer Zeit gebräuchlich wurde (s. u.) und offenbar von den Persern oder den ērānischen Arachosiern (den Vorfahren der Afghanen) herrührt. Im sassanidischen Turan saßen während des frühen Altertums die Parikanioi (s. d.), die also wahrscheinlich gleichfalls den dravidischen Völkern zuzurechnen sind. Aus dem westlichen G. ist der Stamm der Pārada bekannt, dessen Name in der Stadt Paradene (s. d.) fortlebte; er dürfte sich von dem in der Bṛhat-samhita genannten, offenbar dravidischen Volke abgezweigt haben, das in Sūrat wohnte. Ptolem. VI 20 nennt im östlichen G., also nördlich der Oreiten und im Brāhūīgebiet, die Ramnai, die von dem dravidischen Stamme gleichen Namens im nördlichen Dekhan und südlich des Vindhiagebirges (Ptolem. VII 1, 65) abstammen mögen. Diese Zeugnisse reichen aus, um sprachlich und raßlich die nahe Verwandtschaft der älteren Bevölkerung G.s mit den Dravida zu erweisen. Schon oben wurde hervorgehoben, wie gerade im Südosten G.s die starke Auflösung des sonst völlig geschlossenen Randgebirges den Zugang vom Indusdelta her erleichtert; hier müssen die Dravida, vielleicht erst unter dem Druck der arischen Invasion in Indien, nach G. eingeströmt sein. Hier sind ihnen später arisch-indische Kultureinflüsse gefolgt und haben in dem barbarischen Lande eine gewisse Zivilisation verbreitet: von den Oreiten des Binnenlandes wird wenigstens berichtet, daß sie indische Tracht und Bewaffnung angenommen hatten. Jenen indischen Einflüssen kamen aus dem arachosischen Binnenlande ostiranische entgegen, die auf die dravidischen Parikanier und Maka (s. d.) einwirkten; wie tief sie vordrangen, zeigt der Umstand, daß die Oreiten die von der mazda-jasnischen Religion gebotene Sitte befolgten, ihre Toten nicht zu begraben, sondern auf sterilen, felsigen Bergkuppen wilden Tieren zum Fraße auszusetzen (Diodor. Sic. XVII 105, 1f.). Dagegen lebten die Fischesser der Küste im denkbar primitivsten Naturzustande als ein ἔθνος ἄξενον καὶ παντελῶς θηριῶδες. Die oben angeführten abweichenden Angaben über das Haar und anderes lassen vermuten, daß sich unter ihnen außer den eingewanderten dravidischen Elementen Angehörige einer ganz niedrigen Rasse befanden, die möglicherweise mit den Wedda auf Ceylon verwandt war.

Wie Herodot und die altpersischen Keilinschriften zeigen, waren im 6. und 5. Jhdt. die herrschenden Dravidastämme des binnenländischen G. die Maka und die Parikanioi, beide anscheinend schon seit Kyros I. dem persischen Reiche [901] einverleibt. Darius I. vereinigte die ersteren, also das westliche G. mit der ,Seeprovinz‘ (Zranka), die letzteren, das östliche G. mit der Satrapie Arachosien (Herodot. III 93). Es liegt in der Landesnatur begründet, daß die unwirtliche, vom Binnenland kaum zugängliche Küste noch längere Zeit frei blieb; sie wurde erst 516 vom Indus her durch den griechisch-persischen Admiral Skylax erobert und darauf wie das parikanische Binnenland, mit dem sie durch das Puralital leichter kommuniziert, an Arachosien angegliedert. Geographisch nannten die Perser das ganze spätere G. Maka, das deutet gleichfalls auf eine gewisse ethnographische Einheit. Mit dem Niedergang der persischen Herrschaft wurde G. leicht wieder unabhängig; so fand es Alexander d. Gr. Er fand es aber auch, von dem freien Stamme der Oreiten im östlichen Randgebirge abgesehen, politisch geeint zu einem Königreich der Γαδρωσοί (Arrian. anab. VI 21–24). Dieser Name begegnet damals zuerst, die älteren Maka und Parikanioi werden nicht mehr genannt, also müssen sich spätestens im 4. Jhdt. innere Umwälzungen in G. vollzogen haben: an die Stelle jener älteren Stämme waren offenbar die Gadrosen getreten und hatten das ganze von den Griechen so bezeichnete Land unterworfen. Ein Teil der Maka war über die Straße von Ormuz nach Arabien gedrängt, der Rest des Volkes auf die Landschaft Makarene am Maxatesfluß (heute Makšīd oder Maškīd) im Zentrum G.s beschränkt worden (s. Maka). Die Königsburg der G., Pūra, lag im Westen des Landes (Arrian. anab. VI 24, 1; wahrscheinlich bei Pampūr), dort dürften sich demnach die Gadrosen zuerst festgesetzt haben. Die Alexanderhistoriker unterscheiden mit großer Bestimmtheit die dunkelhäutigen Fischesser der Küste von den Gadrosen, denen jene doch politisch untertan waren; darin birgt sich jedenfalls eine ethnographische Beobachtung über die somatische und sprachliche Verschiedenheit beider. Zu dieser tritt eine moderne Erkenntnis in Parallele: mit Sicherheit lassen sich in der antiken gadrosischen Nomenklatur eine ganze Reihe Namen ērānischer Herkunft feststellen, über die ganze Küste verteilt zumindest folgende: Bagisara westlich des Oreitenlandes im Gebiet der Pasirai, die ausdrücklich von den Fischessern getrennt und den Gadrosen zugerechnet werden (Arrian. Ind. 26, 2 und Plin. VI 95, wo Gedrusi et Sires in G. Pasires zu verbessern ist, – beide nach Nearchos), demnach als arische Iranier anzusprechen sind; dann Kophas, Bageia, Zorambos, Deranebilla, Kanata, Agris; im Binnenland Bestia, Pūra (die gadrosische Königsburg!) usw. (vgl. Tomaschek Die Küstenfahrt Nearchs 23–39 und Persien 51 u. a.). Aus dem, ungefähr halbwegs der gadrosischen Küste gelegenen Hafenplatz Mosarna, der selbst dravidisches Gepräge zu haben scheint, nimmt Nearch einen Piloten gadrosischer Nationalität mit, der den rein ērānischen Namen Hydrakes (udraka = Fischotter) führt. Endlich sei nochmals an die Einflüsse der mazdajasnischen Religion, die bei den Oreiten festgestellt wurden, erinnert: alles das stellt eine ērānische Einwanderung in G. außer Frage und zwingt zu der Annahme, daß diese im Zusammenhange mit der Eroberung des Landes durch den Stamm der Gadrosen [902] im 4. Jhdt. zu denken ist. Die Gadrosen waren also arisch-iranischer Abkunft; ihr Vordringen erscheint als überraschende Parallele zu der neuerdings erfolgten Ausbreitung der iranischen Balučen. Wie die Lage ihrer Hauptstadt andeutet, haben sie sich mutmaßlich zunächst im westlichen G. festgesetzt. Hierhin sind sie allem Anschein nach erst im 4. Jhdt. auf dem Wege über die ,Seeprovinz‘ aus Ostiran eingewandert; Plin. VI 92 erwähnt im Parapanisadenland am Hindukuš eine Stadt Cadrusi, die angeblich von Alexander gegründet sein soll, aber vielleicht einen alten, mit den südlichen Gadrosen zusammengehörigen Stammesnamen fortsetzt. Die von Tomaschek versuchte Ableitung des Namens G. von Sanskrit kadru = braun – damit sollen die arischen Inder die dunklen dravidischen Aboriginer G.s bezeichnet haben – ist so fragwürdig als möglich. Eher wird man an den bei den mittelalterlichen arabischen Geographen und Historikern in Ost-Kerman und Makran lokalisierten Stamm der Ğat denken dürfen, die mit den Balučen verwandt waren (vgl. Ibn Chordādbih bei Marquart Erānsahr 186f.; Masūdī ebd. 251, auch 190): die Balučen wären danach in gewissem Sinne die Nachkommen der ērānischen Gadrosen.

Alexander machte aus G. mit Einschluß der Oreiten und Arabiten anfänglich eine selbständige Satrapie, dann vereinigte er sie, ähnlich wie Darius I., mit Arachosien unter dem Statthalter Sibyrtios, der seine Provinz auch noch einige Jahre nach Alexanders Tod verwaltete (Arrian. anab. VI 27, 1. 22, 1; Ind. 23, 5. Diodor. Sic. XVIII 3, 3). Darauf verschwindet G. wieder vollkommen aus dem Licht der Geschichte bis zum 1. Jhdt. n. Chr. Damals besuchte der Verfasser des Periplus des Erythräischen Meeres die Küsten des Indischen Ozeans; aus seinem Bericht (§ 37) erfährt man, daß zwischen dem persisch-parthischen Reich und dem parthischen Königreich Indoskythia am unteren Indus eine selbständige ‚βασιλεία‘ der Parsides (vgl. Näheres unter Pasirai) besteht, die 3000 Stadien östlich vom Eingang des Persischen Meerbusens beginnt. Damit ist die Beschreibung G.s bei Ptolem. VI 21 in auffälliger Übereinstimmung: G. umfaßt hier nur noch die östliche Hälfte des ursprünglichen Territoriums, die Westgrenze gegen Karmanien erreicht gegenüber der Insel Asthala (nach heute Astōlah) das Meer; die Hauptstadt ist Parsis, also müssen die Parsirai oder Parsidai der herrschende Stamm sein, wie im Periplus. Sie decken sich sowohl dem Namen wie den Sitzen nach mit Nearchs Pasirai, denen ērānische Abkunft zugesprochen werden mußte. Demnach hatten diese das Erbe der verwandten Gadrosen angetreten und mindestens im 1. Jhdt. das östliche G. zu einem selbständigen Staate gemacht. Das westliche G. war im Königreich Karmanien aufgegangen (s. d.); im 3. Jhdt., als Ardašīr das Sassanidenreich begründete, bestand hier mit einem uralten dravidischen Stammesnamen ein Königreich Pāradān (vgl. Marquart Erānšahr 31). Der Name G. aber war völlig verschwunden. An seiner Stelle taucht unter den Sassaniden wieder der älteste Landesname Maka auf; das östliche G. heißt offiziell Makurān und Ṭurān, auch unter der arabischen Herrschaft in [903] Iran, und bis heute ist der Landschaftsname Mekran geblieben.